Entscheidungsdatum
08.05.2020Norm
AsylG 2005 §57Spruch
W124 1435211-3/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. FELSEISEN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und die Spruchpunkte I. und III. des angefochtenen Bescheids werden ersatzlos behoben.
II. Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird dahingehend abgeändert, dass dem Antrag vom XXXX auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG stattgegeben und XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von zwei Jahren ab Rechtskraft dieser Entscheidung erteilt wird.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
I.1. Vorverfahren:
I.1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF), ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte nach Einreise in das österreichische Bundesgebiet am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz. Am XXXX erfolgte seine Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes. In der Folge wurde er am XXXX niederschriftlich vor dem Bundesasylamt einvernommen.
I.1.2. Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom XXXX , Zl. XXXX , sein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde der Antrag des BF hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Ferner wurde der BF gemäß § 10 Abs. 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen.
Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , XXXX , stattgegeben und der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
I.1.3. Nach Durchführung eines ergänzenden Ermittlungsverfahrens wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , der Antrag des BF hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum XXXX erteilt (Spruchpunkt III.).
Festgestellt wurde, dass der BF aus der Provinz Ghazni stamme und der Volksgruppe der Hazara sowie der schiitischen Glaubensrichtung des Islams angehöre. Er sei ledig und habe keine Kinder. Zuletzt sei er als Landwirt tätig gewesen. Seine Angehörigen würden im Iran und in Pakistan leben. Sein Vorbringen zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates werde nicht als glaubhaft erachtet. Die unsichere Lage in seiner Herkunftsprovinz stehe einer Rückkehr nach Afghanistan entgegen. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stehe ihm nicht offen. Auf den Seiten 10 bis 56 des Bescheids wurden Feststellungen zur allgemeinen Situation in Afghanistan getroffen.
In der Beweiswürdigung wurde hinsichtlich der Situation des BF im Fall seiner Rückkehr ausgeführt, dass ihm aufgrund der Gegebenheiten in seiner Herkunftsprovinz Ghazni, welche den behördlichen allgemeinen Länderfeststellungen zu entnehmen seien, eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu gewähren sei.
Rechtlich wurde hinsichtlich Spruchpunkt II. erwogen, dass es sich beim BF um einen arbeitsfähigen, gesunden Mann handle, bei welchem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne. Bis zu seiner Ausreise habe er ausschließlich in der Provinz Ghazni gelebt. Ghazni zähle zu den volatilen Provinzen im Südosten, wo regierungsfeindliche aufständische Gruppen in verschiedenen Distrikten aktiv seien und regelmäßig Aktionen durchführen würden. Ferner könne die Provinz von Kabul aus nicht sicher erreicht werden.
Hinsichtlich der Sicherheitslage in Kabul wurde festgehalten, dass sich seit 2010 die Zahl und Schwere sicherheitsrelevanter Zwischenfälle aufgrund vorbeugender Sicherheitsmaßnahmen deutlich reduziert habe. Medienwirksame Anschläge auf Einrichtungen mit Symbolcharakter seien dennoch auch künftig nicht auszuschließen. In Bezug auf die Versorgungslage in Afghanistan wurde ausgeführt, dass die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum sowie Gesundheitsversorgung häufig nur eingeschränkt möglich sei und die Absicherung traditionell bei den Familien sowie den Stammesverbänden liege. Afghanen, die außerhalb des Familienverbands oder nach einer längeren Abwesenheit im westlich geprägten Ausland zurückkehren, würden auf größere Schwierigkeiten stoßen als Rückkehrer, die in Familienverbänden zurückkehren, da ihnen das notwendige soziale oder familiäre Netzwerk sowie die erforderlichen Kenntnisse der örtlichen Gegebenheiten fehlen würden.
Eine Rückkehr in seine Herkunftsprovinz sei dem BF aufgrund der dortigen Sicherheitslage sowie der schlechten Erreichbarkeit nicht zumutbar. Eine innerstaatliche Fluchtalternative, beispielsweise in Kabul, stehe ihm unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände sowie aufgrund der allgemein schlechten Versorgungslage in Afghanistan nicht zur Verfügung. Zu berücksichtigen sei, dass der BF nie in Kabul gelebt habe, mit den dortigen Gegebenheiten daher nicht vertraut sei und weder über familiäre noch über soziale Anknüpfungspunkte in Kabul verfüge. Die Versorgung mit Wohnraum und Nahrungsmittel stelle sich insbesondere für alleinstehende Rückkehrer ohne familiären Rückhalt meist nur unzureichend dar. Es könne unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände des BF sowie der derzeit in Afghanistan vorherrschenden Versorgungsbedingungen sohin nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der BF im Fall seiner Rückkehr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung iSd Art. 3 EMRK ausgesetzt sein werde.
I.1.4. Die gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheids erhobene Beschwerde wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , XXXX , als unbegründet abgewiesen. Der gegen dieses Erkenntnis erhobenen außerordentlichen Revision wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom XXXX , stattgegeben und das Erkenntnis behoben. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , XXXX , wurde die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheids vom XXXX erneut abgewiesen.
I.1.5. Mit Bescheid vom XXXX , Zl. XXXX , wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung des BF bis XXXX verlängert. Mit Bescheid vom XXXX , Zl. XXXX , wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung bis XXXX erneut verlängert.
I.2. Gegenständliches Verfahren:
I.2.1. Am XXXX stellte der BF den gegenständlichen Antrag auf Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung.
I.2.2. Am XXXX wurde der BF niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen.
Zu seiner Person gab der BF an, seine Erstsprache sei Dari. Ferner verfüge er über Deutschkenntnisse auf dem Sprachniveau B1. Er sei gesund, nehme keine Medikamente und könne jederzeit arbeiten. Derzeit sei er als Kochgehilfe tätig.
Der BF gehöre der Volksgruppe der Hazara sowie der schiitischen Glaubensrichtung des Islams an. Er sei im Jahr XXXX in der Provinz Ghazni geboren und dort aufgewachsen. Er habe zehn Jahre die Schule besucht und habe im Herkunftsstaat nicht gearbeitet. Im Jahr 2011 sei er endgültig aus dem Herkunftsstaat ausgereist, woraufhin er im Jahr 2013 in Österreich eingereist sei. Er sei nicht verheiratet und habe keine Kinder. Zwei Brüder und eine Schwester des BF würden in Pakistan leben. Sie seien im Jahr 2013 aus Afghanistan ausgereist. Sein Onkel, der in Kabul gewohnt habe, lebe jetzt im Iran. Auch seine Tante väterlicherseits lebe im Iran. Die Mutter des BF sei bereits lange verstorben. Sie habe keine Geschwister. Den Aufenthaltsort seines Vaters kenne er nicht. Zuletzt habe er vor 20 Tagen Kontakt zu seinem Bruder gehabt. Seiner Familie gehe es gesundheitlich gut, finanziell gehe es hingegen nicht gut. Seine Geschwister seien im Jahr 2013 aus Afghanistan ausgereist.
Zu seinen Rückkehrbefürchtungen gab der BF an, er könne nicht zurück, da seine Eltern tot seien und er sich vor der Familie fürchte, welcher seine Schwester versprochen gewesen sei. Sie hätten sie damals bedroht und seien sogar nach Kabul gekommen, um seine Schwester zu holen. Hinsichtlich einer Rückkehr nach Herat oder Mazar-e Sharif führte er an, dass die Sicherheitslage in beiden Städten schlecht sei.
Auf Nachfrage, warum er die Geschichte mit seiner Schwester nicht bereits in seinem Verfahren über seinen Antrag auf internationalen Schutz geschildert habe, führte er an, der Grund sei, dass die Leute damals noch nicht in Kabul gewesen seien. Damals habe es noch keine Drohungen gegeben. Auf Vorhalt, dass seine Schwester damals gar nicht mehr in Kabul gewesen sei, führte er an, sie seien erst weg, als er nach Österreich gekommen sei. Auf weiteren Vorhalt, dass er das im gesamten Verfahren nicht erwähnt habe, erklärte er, er habe nur zwei Einvernahmen gehabt.
Zu seinem Leben in Österreich gab er an, er arbeite seit vier Jahren. Er habe österreichische Freunde und lebe in einer eigenen Mietwohnung. Seinen Lebensunterhalt bestreite er durch seine Arbeit. Verwandte habe er in Österreich nicht. In einem Verein oder einer sonstigen Organisation sei er nicht Mitglied. Strafbare Handlungen habe er während seines Aufenthalts in Österreich nicht begangen.
In der Folge wurde das Länderinformationsblatt Afghanistan vom 13.11.2019 in das Verfahren eingeführt und mit dem BF erörtert. Das Bundesamt brachte dem BF ferner zur Kenntnis, dass er aus Sicht der Behörde bei einer Rückkehr in den Städten Herat und Mazar-e Sharif eine zumutbare Lebenssituation vorfinden würde. In Anbetracht seiner privaten Bindungen zu Österreich werde ihm eine "Aufenthaltsberechtigung plus" gemäß § 55 AsylG erteilt werden.
I.2.3. Mit Aktenvermerk vom XXXX wurde festgehalten, dass der BF mit seiner Aufgeschlossenheit sowie Flexibilität überzeugt habe. Er habe sich als anpassungsfähige, anpassungswillige und offene Person dargestellt. Dies sei vor allem auch aus der Schilderung hinsichtlich seines bisherigen Aufenthalts in Österreich zu erkennen.
I.2.4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , wurde dem BF der mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.). Sein Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vom XXXX wurde gemäß § 8 Abs. 4 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG wurde ihm kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt III.). Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG wurde gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt. Dem BF wurde gemäß § 58 Abs. 2 und 3 AsylG iVm § 55 AsylG eine "Aufenthaltsberechtigung plus" erteilt.
Festgestellt wurde zusammengefasst, dass der BF in der Provinz Ghazni aufgewachsen sei, der schiitischen Glaubensgemeinschaft sowie der Volksgruppe der Hazara angehöre und 10 Jahre die Schule besucht habe. Er sei arbeitsfähig, ledig und kinderlos. An einer lebensbedrohlichen Erkrankung leide er nicht.
In Österreich arbeite er seit XXXX in einem näher bezeichneten Unternehmen. Bereits zuvor sei er einer Erwerbstätigkeit nachgegangen. Sein Einkommen liege über der Geringfügigkeitsgrenze und er spreche gut Deutsch.
Er überzeuge mit seiner Aufgeschlossenheit sowie seiner Flexibilität und verfüge über eine rasche Auffassungsgabe. Ferner sei er anpassungsfähig und -willig.
Die genannten positiven persönlichen Eigenschaften seien im Zeitpunkt der Schutzgewährung vorgelegen, seien der Behörde allerdings nicht bekannt gewesen. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten würden aktuell nicht vorliegen. Eine individuelle Furcht vor Verfolgung im Herkunftsstaat habe der BF nicht glaubhaft gemacht. Die Gefährdungslage, welche in seiner Herkunftsprovinz bestehe, liege nicht im gesamten Herkunftsstaat vor. Dem BF stehe eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e Sharif und Herat offen. Dort würde er auch Arbeitsmöglichkeiten vorfinden.
Auf den Seiten 8 bis 87 des Bescheids wurden Feststellungen zur allgemeinen Situation im Herkunftsstaat getroffen.
In der Beweiswürdigung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Feststellungen zur Person des BF auf seinen dahingehend nachvollziehbaren und konsistenten Angaben ergeben. Aus dem Umstand, dass der BF bereits zwei Arbeitsstellen gefunden habe, werde geschlossen, dass er flexibel, aufgeschlossen und anpassungsfähig sei. Auch die Feststellung, wonach er eine rasche Auffassungsgabe habe, sei auf seine bisherigen Arbeitsstellen zurückzuführen.
In Bezug auf seinen Herkunftsstaat habe er jedoch keine aktuellen und individuellen Fluchtgründe glaubhaft gemacht. Der BF sei nie persönlich bedroht worden und sei sohin auch keiner Gefahr ausgesetzt gewesen. Hinsichtlich der in der Einvernahme vorgebrachten Verfolgungsgründe, welche in Zusammenhang mit seiner Schwester stehen, wurde festgehalten, dass dieses Vorbringen im Vorverfahren nicht erwähnt worden sei und es sich überdies bloß um eine private Fehde handeln würde, aufgrund welcher er in einem anderen Landesteil Afghanistans keine Probleme haben würde, zumal es in Afghanistan kein Meldewesen geben würde. Selbst für den Fall, dass er gesucht werde, könne er daher nicht gefunden werden.
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten würden gegenwärtig nicht vorliegen, da dem BF eine Neuansiedlung in den Städten Mazar-e Sharif und Herat zumutbar sei. Er verfüge über eine zehnjährige Schulbildung und habe in Österreich Berufserfahrung gesammelt. Aus diesen Gründen sei festzustellen, dass er im Fall der Rückkehr seine Existenz eigenständig sichern könne. Auch das Fehlen eines sozialen oder familiären Unterstützungsnetzwerk führe nicht zur Unzumutbarkeit einer Neuansiedlung in den genannten Städten. Als erwachsener, arbeitsfähiger und gesunder Mann könne er eigenständig für seinen Lebensunterhalt aufkommen und dabei im Bedarfsfall auf die Unterstützung internationaler und nationaler Rückkehrorganisationen zurückgreifen. Da es ihm in Österreich gelungen sei, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten und im Alltag immer wieder auftretenden Schwierigkeiten in diversen Bereichen zu bewältigen, sei es ihm zuzumuten, mit seiner neuen Leben- und Berufserfahrung auch in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat zu leben. Er werde sohin in der Lage sein, auch aus eigenen Kräften ein notdürftiges Überleben in Afghanistan zu sichern. Fehlende Ortskenntnisse oder eine anfängliche Orientierungslosigkeit würden nicht zur Feststellung führen, dass die genannten Städte nicht als taugliche Fluchtalternative in Frage kommen würden, da es einem Erwachsenen zumutbar sei, sich in Großstädten seines Herkunftsstaates Kenntnisse der örtlichen Begebenheiten anzueignen.
Es sei anzumerken, dass das Bundesamt bei der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten davon ausgegangen sei, dass der BF als alleinstehender Rückkehrer ohne familiäre Anknüpfungspunkte und ohne finanzielle Unterstützung im Fall der Rückkehr in eine ausweglose Situation geraten würde. Nunmehr habe sich aber gezeigt, dass der BF große Einsatzbereitschaft zeige, zumal er bereits mehrere Arbeitsstellen gehabt habe. Dadurch sei ersichtlich, dass er über eine rasche Auffassungsgabe verfüge und mit seiner Flexibilität und Aufgeschlossenheit überzeuge. Diese positiven Attribute würden ihm im Fall der Rückkehr von Nutzen sein. Er habe während seines Aufenthalts gezeigt, dass er sich sogar in einem fremden Land, in welchem sich insbesondere die Kultur, die Sprache sowie auch die Religion von seinem Heimatland unterscheiden würden, anpassen und zurechtfinden könne. Dies werde ihm bei der Eingliederung in die afghanische Gesellschaft nützlich sein. Aufgrund der Länderinformationen sowie seiner Berufserfahrung sei dem BF eine Rückkehr nach Afghanistan zumutbar. Die Städte Herat und Mazar-e Sharif könnten zudem sicher über den Luftweg erreicht werden.
Rechtlich wurde zu Spruchpunkt I. ausgeführt, dass im Aberkennungsverfahren eine aktuelle Prüfung hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten vorzunehmen sei. So habe der EuGH in seinem Urteil vom 23.05.2019, Bilali, C-720/17 erkannt, dass Art. 19 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 16 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (in der Folge: Statusrichtlinie) dahin auszulegen sei, dass ein Mitgliedstaat den subsidiären Schutz aberkennen müsse, wenn er diesen Status zuerkannt habe, ohne dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung erfüllt gewesen seien, indem er sich auf Tatsachen gestützt habe, die sich in der Folge als unzutreffend erwiesen hätten, und obgleich der betroffenen Person nicht vorgeworfen werden könne, sie habe den Mitgliedstaat bei dieser Gelegenheit irregeführt. Der Gerichtshof habe weiter darauf verwiesen, dass die Zuerkennung von subsidiärem Schutz nur an Personen vorgesehen sei, welche die Voraussetzungen auch tatsächlich erfüllen. Wenn der Mitgliedstaat diesen Status nicht rechtmäßig gewähren habe dürfen, müsse er erst recht verpflichtet sein, ihn abzuerkennen, wenn der Irrtum festgestellt werde.
Ergänzend wurde darauf hingewiesen, dass es der Systematik und den Zielen der Statusrichtlinie widersprechen würde, die in dieser Richtlinie vorgesehenen Rechtsstellungen Drittstaatsangehörigen zuzuerkennen, die sich in Situationen befinden, die keinen Zusammenhang mit dem Zweck des internationalen Schutzes aufweisen (vgl. EuGH 23.05.2019, Bilali, C-720/17).
Auch der Verwaltungsgerichtshof habe in seiner Entscheidung vom 14.08.2019, Ra 2016/20/0038, ausgeführt, dass die Bestimmung des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG das Ziel verfolge sicherzustellen, dass nur jenen Fremden, welche die Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiären Schutz erfüllen, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukomme.
Ferner sei der Wortlaut des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG eindeutig. Wenn die Erteilungsvoraussetzungen nicht vorliegen würden, so sei der Schutzstatus abzuerkennen. Für Interpretationen, dass die Aberkennung etwa nur bei bestimmten Fällen von Tatsachenunkenntnis der Behörde anzuwenden wäre, bestehe angesichts dieser Eindeutigkeit der Formulierung kein Raum. Auch in der Judikatur nehme man weitreichende Möglichkeiten zur Durchbrechung der Rechtskraft an. Diesbezüglich wurde auf die Entscheidung des Asylgerichtshof vom 23.09.2019, E9 318.625-2/2010, sowie die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.09.2019, XXXX verwiesen.
Dem BF sei sohin der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG abzuerkennen, da - wie in der Beweiswürdigung ausführlich dargelegt - im gegenständlichen Fall die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht vorliegen würden.
Abschließend wurde darauf hingewiesen, dass die Entscheidung der Behörde keineswegs von einer Änderung der Rechtsprechung allein, sondern von einer Aktualisierung des Kenntnisstandes der Behörde zur allgemeinen Situation im Herkunftsstaat des BF gestützt werde. Dabei sei auch die individuelle Situation des BF berücksichtigt worden, wobei das Ermittlungsverfahren spezifische Kenntnisse und Fähigkeiten zu Tage gebracht habe, die im Zeitpunkt der Zuerkennung des Schutzstatus keine Berücksichtigung gefunden hätten.
I.2.5. Gegen Spruchpunkte I., II. und III. dieses Bescheids erhob der BF am XXXX fristgerecht Beschwerde wegen der Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens, mangelhafter Beweiswürdigung und inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
Nach Darstellung des Sachverhalts wurde begründend ausgeführt, dass in den UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul explizit ausgeschlossen worden sei. Ein Umkehrschluss, dass andere afghanische Städte grundsätzlich als sichere und zumutbare Fluchtalternativen erachtet werden, sei jedoch nicht zulässig. In der Folge wurden die UNHCR-Richtlinien sowie der EASO-Bericht April 2019 auszugsweise zitiert und die aktuelle Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan erörtert.
In weiterer Folge wurde ausgeführt, dass der BF bereits im Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sowie im Zeitpunkt der letzten Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung ein gesunder, junger Mann im erwerbsfähigen Alter gewesen sei. Es liege sohin keine Änderung der subjektiven Lage des BF vor. Hinsichtlich der behaupteten Änderung der Sicherheitslage werde auf die bereits angeführten Berichte verwiesen. Zu berücksichtigten sei weiter, dass die Schulausbildung sowie die in Österreich gewonnene Berufserfahrung in Afghanistan nur bedingt hilfreich sei. Vielmehr sei der BF einer Bedrohung im Herkunftsstaat ausgesetzt, da er als "verwestlicht" wahrgenommen werde.
Der Verfassungsgerichtshof habe festgehalten, dass ein rechtskräftig entschiedener Sachverhalt nicht grundlos neuerlich untersucht und anders entschieden werden dürfe. Lediglich eine andere rechtliche Beurteilung oder Würdigung eines im Wesentlichen unveränderten Sachverhalts könne die Aberkennung eines rechtskräftig zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht rechtfertigen. Konkrete nachvollziehbare Feststellungen zu den maßgeblichen Änderungen des entscheidungswesentlichen Sachverhalts würden im Bescheid fehlen. Eine wesentliche und dauerhafte Veränderung der Sicherheitslage seit der letzten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung des BF sei nicht eingetreten, was auch der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entnommen werden könne. Eine solche Feststellung könnte überdies erst nach einem angemessenen Beobachtungszeitraum getroffen werden. Die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG seien sohin nicht erfüllt und sei der angefochtene Bescheid insoweit ersatzlos zu beheben.
I.2.6. Am XXXX wurden die Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakte dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen
II.1.1. Zur Person des BF:
II.1.1.1. Der 25-jährige BF ist Staatsangehöriger von Afghanistan und gehört der Volksgruppe der Hazara sowie der schiitischen Glaubensrichtung des Islam an.
Der BF spricht Dari. Er ist ledig, arbeitsfähig und leidet an keiner schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheit. Ihn treffen keine Obsorgeverpflichtungen. Er stammt aus der Provinz Ghazni. Dort hat er 10 Jahre die Schule besucht und seinem Vater auf dessen Landwirtschaft geholfen.
Die Mutter des BF ist bereits verstorben. Über den Verbleib seines Vaters hat der BF keine Informationen. Seine Geschwister leben in Pakistan. Im Iran leben der Onkel und die Tante des BF. Seine Familie befindet sich in einer schlechten finanziellen Situation.
Der BF hat nach wie vor Kontakt zu seinem Bruder.
II.1.1.2. Nach Einreise in das Bundesgebiet stellte der BF am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz. Seither ist er durchgehend in Österreich aufhältig.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum XXXX erteilt. Begründend wurde ausgeführt, dass der BF ein gesunder, arbeitsfähiger Mann sei, bei welchem die grundsätzliche Teilnahme am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne. Eine Rückkehr in seine Herkunftsprovinz sei ihm jedoch nicht zumutbar, da die Sicherheitslage in Ghazni volatil sei und die Provinz nicht sicher erreicht werden könne. Hinsichtlich der allgemeinen Situation im Herkunftsstaat wurde ferner erwogen, dass die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung, häufig nur eingeschränkt möglich sei. Die Absicherung liege traditionell bei den Familien sowie den Stammesverbänden. Afghanen, die außerhalb des Familienverbands oder nach einer längeren Abwesenheit im westlich geprägten Ausland zurückkehren, würden auf größere Schwierigkeiten stoßen als Rückkehrer, die in Familienverbänden zurückkehren, da ihnen das notwendige soziale oder familiäre Netzwerk sowie die erforderlichen Kenntnisse der örtlichen Gegebenheiten fehlen würden. Eine innerstaatliche Fluchtalternative, beispielsweise in Kabul, stehe ihm unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände sowie aufgrund der allgemein schlechten Versorgungslage in Afghanistan nicht offen, da der BF nie in Kabul gelebt habe, mit den dortigen Gegebenheiten daher nicht vertraut sei und weder über familiäre noch über soziale Anknüpfungspunkte in dieser Stadt verfüge. Im Fall der Rückkehr nach Afghanistan bestehe daher für den BF die reale Gefahr einer Verletzung seiner in Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte.
Die befristete Aufenthaltsberechtigung wurde dem BF zuletzt mit Bescheid vom XXXX bis zum XXXX verlängert. Daraufhin stellte er am XXXX einen Antrag auf (weitere) Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung.
II.1.1.3. In Österreich ist der BF vom XXXX bei der XXXX . als (nicht bloß geringfügig beschäftigter) Arbeiter tätig gewesen. In der Folge ist er teils einer geringfügigen Beschäftigung nachgegangen und hat teils Arbeitslosengeld bezogen. Seit XXXX ist er in einem Unternehmen als Kochgehilfe beschäftigt. Während seines Aufenthalts im Bundesgebiet hat sich der BF Deutschkenntnisse auf dem Sprachniveau B1 angeeignet. Eine Berufsausbildung oder eine sonstige Fort- und/oder Weiterbildung hat er seit seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet nicht absolviert. In Österreich ist der BF unbescholten.
Im Herkunftsstaat verfügt er über keine sozialen oder familiären Anknüpfungspunkte und könnte sohin im Fall einer Rückkehr auf kein tragfähiges soziales Netzwerk zurückgreifen. Im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat würde ihm auch keine finanzielle Unterstützung durch seine Angehörigen zukommen.
II.1.1.4. Unter Berücksichtigung der individuellen Situation des BF und der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan, insbesondere in seiner Herkunftsprovinz Ghazni, sowie in den Städten Kabul, Mazar-e Sharif und Herat, kann nicht festgestellt werden, dass sich die Umstände, die zur Gewährung subsidiären Schutzes geführt haben, seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , wesentlich und nachhaltig verändert haben.
II.1.2. Zur allgemeinen Situation in Afghanistan:
1.2.1. Sicherheitslage
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 03.09.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.04.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.06.2019; vgl. AJ 12.04.2019; NYT 12.04.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.04.2019; vgl. NYT 12.04.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.06.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel, die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.07.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.01.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss, als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 08.09.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.04.2019; vgl. NYT 19.07.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 03.09.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 07.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.08. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.04.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte, die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren, und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran, ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 03.09.2019).
So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich es keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 03.09.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 07.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 07.12.2018; vgl. ARN 23.06.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan (UNGASC 03.09.2019).
Für das gesamte Jahr 2018 registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.02.2019).
[...]
Für den Berichtszeitraum 10.05. - 08.08.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevante Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 03.09.2019). Für den Berichtszeitraum 08.02 - 09.05.2019 registrierte die UN insgesamt 5249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.06.2019).
Für den Berichtszeitraum 10.05 - 08.08.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle, bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 03.09.2019).
Im Gegensatz dazu registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).
[...]
Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.01.2019).
Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.01.2019).
Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.04.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.07.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.04.2019; vgl. NYT 19.07.2019).
Zivile Opfer
Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 01.01. - 30.09.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).
Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.04.2019) berichtet, bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.02.2019; vgl. SIGAR 30.04.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.02.2019).
[...]
High-Profile Angriffe (HPAs)
Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 01.06.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 01.12.2018 und 15.05.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).
Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten
Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.02.2019).
Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.02.2019).
Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018
Die afghanische Regierung bemühte sich, Wahllokale zu sichern, was mehr als 4 Millionen afghanischen Bürgern ermöglichte zu wählen (UNAMA 11.2018). Und auch die Vorkehrungen der ANDSF zur Sicherung der Wahllokale ermöglichten eine Wahl, die weniger gewalttätig war als jede andere Wahl der letzten zehn Jahre (USDOS 12.2018). Die Taliban hatten im Vorfeld öffentlich verkündet, die für Oktober 2018 geplanten Parlamentswahlen stören zu wollen. Ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl 2014 warnten sie Bürger davor, sich für die Wahl zu registrieren, verhängten "Geldbußen" und/oder beschlagnahmten Tazkiras und bedrohten Personen, die an der Durchführung der Wahl beteiligt waren (UNAMA 11.2018; vgl. USDOS 13.03.2019). Von Beginn der Wählerregistrierung (14.04.2018) bis Ende des Jahres 2018 wurden 1.007 Opfer (226 Tote, 781 Verletzte) sowie 310 Entführungen aufgrund der Wahl verzeichnet (UNAMA 24.02.2019). Am Wahltag (20.10.2018) verifizierte UNAMA 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) durch Wahl bedingte Gewalt. Die höchste Anzahl an zivilen Opfern an einem Wahltag seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNAMA im Jahr 2009 (UNAMA 11.2018).
Regierungsfeindliche Gruppierungen
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.02.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019):
Taliban
Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.08.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.07.2019). Zwischen 01.12.2018 und 31.05.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).
Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.08.2019; vgl. FA 03.01.2018) - Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub - Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.05.2016) - Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.01.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 04.07.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 06.12.2018).
Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.06.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.08.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.01.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.08.2017; vgl. AAN 03.01.2017; AAN 17.03.2017).
Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll zwölf Ableger in acht Provinzen betreiben (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig, und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.08.2019).
Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.08.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.08.2017).
Haqqani-Netzwerk
Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.02.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 01.07.2010; vgl. USDOS 19.09.2018; vgl. CRS 12.02.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015 als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).
Als gefährlichster Arm der Taliban hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.08.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.02.2019).
Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)
Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 05.03.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 01.08.2017; vgl. LW 04.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.09.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.06.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 03.06.2019; vgl. VOA 21.05.2019).
Berichten zufolge besteht der ISKP in Pakistan hauptsächlich aus ehemaligen Teherik-e Taliban Mitgliedern, die vor der pakistanischen Armee und ihrer militärischen Operationen in der FATA geflohen sind (CRS 12.02.2019; vgl. CTC 12.2018). Dem Islamischen Staat ist es gelungen, seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan dadurch zu stärken, dass er Partnerschaften mit regionalen militanten Gruppen einging. Seit 2014 haben sich dem Islamischen Staat mehrere Gruppen in Afghanistan angeschlossen, z.B. Teherik-e Taliban Pakistan (TTP)-Fraktionen oder das Islamic Movement of Uzbekistan (IMU), während andere ohne formelle Zugehörigkeitserklärung mit IS-Gruppierungen zusammengearbeitet haben, z.B. die Jundullah-Fraktion von TTP oder Lashkar-e Islam (CTC 12.2018).
Der islamische Staat hat eine Präsenz im Osten des Landes, insbesondere in der Provinz Nangarhar, die an Pakistan angrenzt (CRS 12.02.2019 ;vgl. CTC 12.2018). In dieser sind vor allem bestimmte südliche Distrikte von Nangarhar betroffen (AAN 27.09.2016; vgl. REU 23.11.2017; AAN 23.09.2017; AAN 19.02.2019), wo sie mit den Taliban um die Kontrolle kämpfen (RFE/RL 30.10.2017; vgl. AAN 19.02.2019). Im Jahr 2018 erlitt der ISKP militärische Rückschläge sowie Gebietsverluste und einen weiteren Abgang von Führungspersönlichkeiten. Einerseits konnten die Regierungskräfte die Kontrolle über ehemalige IS-Gebiete erlangen, andererseits schwächten auch die Taliban die Kontrolle des ISKP in Gebieten in Nangarhar (UNSC 13.06.2019; vgl. CSR 12.02.2019). Aufgrund der militärischen Niederlagen war der ISKP dazu gezwungen, die Anzahl seiner Angriffe zu reduzieren. Die Gruppierung versuchte, die Provinzen Paktia und Logar im Südosten einzunehmen, war aber schlussendlich erfolglos (UNSC 31.07.2019). Im Norden Afghanistans versuchten sie ebenfalls Fuß zu fassen. Im August 2018 erfuhr diese Gruppierung Niederlagen, wenngleich sie dennoch als Bedrohung in dieser Region wahrgenommen wird (CSR 12.02.2019). Berichte über die Präsenz des ISKP könnten jedoch übertrieben sein, da Warnungen vor dem Islamischen Staat laut einem Afghanistan-Experten "ein nützliches Fundraising-Tool" sind: so kann die afghanische Regierung dafür sorgen, dass Afghanistan im Bewusstsein des Westens bleibt und die Auslandshilfe nicht völlig versiegt (NAT 12.01.2017). Die Präsenz des ISKP konzentrierte sich auf die Provinzen Kunar und Nangarhar. Außerhalb von Ostafghanistan ist es dem ISKP nicht möglich, eine organisierte oder offene Präsenz aufrechtzuerhalten (UNSC 13.06.2019).
Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit (CSR 12.02.2019; vgl. UNAMA 24.02.2019; AAN 24.02.2019; CTC 12.2018; UNGASC 07.12.2018; UNAMA 10.2018). Im Jahr 2018 war der ISKP für ein Fünftel aller zivilen Opfer verantwortlich, obwohl er über eine kleinere Kampftruppe als die Taliban verfügt (AAN 24.02.2019). Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt (UNAMA 24.02.2019), nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab (UNAMA 30.07.2019).
Der ISKP verurteilt die Taliban als "Abtrünnige", die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CSR 12.02.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.08.2019; vgl. AP 19.08.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.08.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (WP 19.08.2019).
Al-Qaida und ihr verbundene Gruppierungen
Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont (UNSC 15.01.2019). Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv (UNSC 13.06.2019).
Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder (UNSC 13.06.2019).
Im Rahmen der Friedensgespräche mit US-Vertretern haben die Taliban angeblich im Jänner 2019 zugestimmt, internationale Terrorgruppen wie Al-Qaida aus Afghanistan zu verbannen (TEL 24.01.2019).
Quellen:
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* AAN - Afghanistan Analysts Network (24.2.2019): Record Numbers of Civilian Casualties Overall, from Suicide Attacks and Air Strikes: UNAMA reports on the conflict in 2018, https://www.afghanistananalysts.org/recordnumbersofciviliancasualtiesoverallfromsuicideattacksandairstrikesunamareportsontheconflictin2018/, Zugriff 3.6.2019
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