TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/18 W187 2118552-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.05.2020
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Entscheidungsdatum

18.05.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §9 Abs1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W187 2118552-2/25E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Hubert REISNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang

1. Der zum damaligen Zeitpunkt minderjährige Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Einreisebestimmungen schlepperunterstützt in das Bundesgebiet ein, wo er am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt. Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem Beschwerdeführer amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

3. Gegen diesen Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Die Beschwerde und der dazugehörige Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Entscheidung vorgelegt.

4. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung am XXXX zog der Beschwerdeführer seine Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides vom XXXX nach Beratung mit seiner Rechtsvertretung zurück.

5. Mit mündlich verkündetem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX , wurde das Verfahren hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides vom XXXX wegen Zurückziehung der Beschwerde gemäß § 13 Abs 7 AVG idgF iVm §§ 28 Abs 1 und 31 Abs 1 VwGVG idgF eingestellt. Hinsichtlich Spruchpunkt II., III. und IV. des angefochtenen Bescheides wurde der Beschwerde stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigen in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum XXXX erteilt.

Das Bundesverwaltungsgericht stellte in seinem mündlich verkündeten Erkenntnis vom XXXX fest, dass die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan - wenn auch nicht im gesamten Staatsgebiet im gleichen Ausmaß - nach wie vor prekär und sehr fragil sei. Auch die allgemeinen Lebensbedingungen und die Versorgungslage würden sich als sehr schwierig gestalten. Die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung, sei häufig nur sehr eingeschränkt möglich. Die soziale Absicherung liege traditionell bei den Familien und Stammesverbänden.

Beim Beschwerdeführer handle es sich um einen minderjährigen jungen Mann, der nie außerhalb seines Heimatdorfes gelebt und keine Verwandten außerhalb seines Heimatdistriktes habe. Er verfüge über kein soziales oder familiäres Netzwerk in Kabul. Für alleinstehende Rückkehrer ohne familiären Rückhalt stelle sich die Versorgung mit Wohnraum, Nahrungsmitteln und Medikamenten meist nur unzureichend dar. Hinzu komme, dass der Beschwerdeführer an einer posttraumatischen Belastungsstörung und an einer rezidivierenden depressiven Störung leide, aufgrund derer er in psychotherapeutischer Behandlung stehe. Er benötige sowohl eine medikamentöse als auch eine psychotherapeutische und ärztliche Betreuung. Es sei davon auszugehen, dass die Behandlung von psychischen Erkrankungen in Afghanistan noch nicht in ausreichendem Maße stattfinde. Psychotherapeutische Behandlung werde etwa nur in wenigen staatlichen Krankenhäusern angeboten. Die medizinische Versorgung leide landesweit an unzureichender Verfügbarkeit von Medikamenten und Ausstattung der Kliniken, insbesondere aber an fehlenden Ärzten und Ärztinnen. Die Kosten für Medikamente oder den Transport zu Gesundheitsvorsorgeeinrichtungen seien für viele Haushalte nicht finanzierbar. Folgebehandlungen seien oft schwierig zu leisten, insbesondere wenn der Patient - so wie der Beschwerdeführer - kein unterstützendes Familienumfeld habe.

Unter Berücksichtigung der den Beschwerdeführer betreffenden persönlichen und gesundheitlichen Verhältnisse könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass er im Fall der Rückkehr nach Afghanistan mangels ausreichenden Vorhandenseins psychiatrischer Behandlungsmöglichkeiten sowie mangels eines sozialen oder familiären Netzwerkes in eine Notsituation geraten würde. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat wäre der Beschwerdeführer somit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer realen Gefahr ausgesetzt, in seinen Rechten nach Art 3 EMRK verletzt zu werden. Unter den dargelegten Umständen erscheine die Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan daher derzeit unzumutbar.

Weder der Beschwerdeführer noch die belangte Behörde erhoben gegen dieses Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof bzw. eine außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof. Das Erkenntnis vom XXXX ist daher rechtskräftig.

6. Am XXXX langte ein Abschlussbericht des Stadtpolizeikommandos XXXX vom XXXX bei der belangten Behörde ein. Den übermittelten Unterlagen ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer beschuldigt wird, gemeinsam mit einem Mittäter am XXXX Marihuana erworben, besessen und gewinnbringend weiterverkauft zu haben. Da die Geschäftsabwicklung in der Öffentlichkeit ( XXXX ) stattgefunden habe, sei der Tatbestand des § 27 Abs 2a SMG erfüllt.

7. Am XXXX langte bei der belangten Behörde das Protokoll der Hauptverhandlung des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX zu XXXX ein, aus dem ersichtlich ist, dass gegen den Beschwerdeführer Anklage wegen § 27 Abs 2a 2. Fall, Abs 3 und § 27 Abs 1 Z 1 2. Fall, Abs 2 SMG erhoben wurde.

8. Die Landespolizeidirektion XXXX übermittelte der belangten Behörde am XXXX eine Berichterstattung, wonach der Beschwerdeführer und ein Mittäter am XXXX an einem allgemein zugänglichen, öffentlichen Ort im bewussten und gewollten Zusammenwirken und unter arbeitsteiliger Vorgehensweise in drei Angriffen insgesamt 6,13 Gramm Cannabiskraut an Polizeibeamte in Zivil verkauft hätten. Im Bunker der Beschuldigten seien weitere 20,8 Gramm Canabiskraut sichergestellt worden. Der Beschwerdeführer und sein Mittäter seien festgenommen und in die Justizanstalt XXXX eingeliefert worden. Anzumerken sei, dass der Beschwerdeführer erst am selben Tag ( XXXX ) um 9.30 Uhr wegen § 27 Abs 2a SMG zu einer bedingten Haftstrafe verurteilt worden sei. Nur ca. 1,5 Stunden danach sei der Beschwerdeführer wiederum Stadtpark angetroffen und erneut wegen § 27 Abs 2a SMG festgenommen worden.

9. Am XXXX langte die gekürzte Urteilsausfertigung des Landesgerichts für Strafsachen XXXX , XXXX , bei der belangten Behörde ein, aus der ersichtlich ist, dass der Beschwerdeführer am XXXX wegen der Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs 2a 2. Fall, Abs 3 SMG und nach § 27 Abs 1 Z 1 2. Fall, Abs 2 SMG zu einer unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt wurde. Dieses Urteil ist XXXX rechtskräftig.

10. Am XXXX langte eine weitere gekürzte Urteilsausfertigung des Landesgerichts für Strafsachen XXXX , XXXX , bei der belangten Behörde ein, wonach der Beschwerdeführer am XXXX neuerlich wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27a Abs 2a 2. Fall, Abs 3 SMG (teils als Beitragstäter im Sinn des § 12 3. Fall StGB) zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt wurde. Vom Widerruf der mit Urteil vom XXXX zu XXXX des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX gewährten bedingten Strafnachsicht im Ausmaß von fünf Monaten wurde abgesehen; jedoch wurde die gesetzte Probezeit von drei Jahren auf fünf Jahre verlängert. Dieses Urteil ist seit XXXX rechtskräftig.

11. Per XXXX wurde der Beschwerdeführer aus disziplinären Gründen aus der Grundversorgung abgemeldet.

12. Mit Schreiben vom XXXX stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs 4 AsylG. Begründend führte er aus, die Situation in seinem Heimatland, die Grundlage für die Erteilung des subsidiären Schutzes gewesen sei, habe sich nicht verbessert. Eine Rückkehr sei weiterhin unzumutbar, da in absehbarer Zeit keine Stabilisierung der Lage zu erwarten sei.

13. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde zu seinem Antrag auf Verlängerung des subsidiären Schutzes niederschriftlich im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu einvernommen. Zu seinen Familienverhältnissen gab er hier an, seine Mutter, zwei Brüder, eine Schwester und sein Onkel mütterlicherseits würden nach wie vor in Afghanistan in XXXX leben. Er stehe täglich mit seiner Familie in telefonischem Kontakt. Sein jüngerer Bruder arbeite und sein Onkel mütterlicherseits unterstütze die Familie. Seiner Familie gehe es gut. Befragt zu seinem Leben in Österreich gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass er bereits ein wenig Deutsch sprechen könne. Die Leute würden ihn verstehen. Auch er selbst verstehe ein bisschen Deutsch. Seit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , mit welcher dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, habe er keinen Deutschkurs gemacht. Er sei nicht erwerbstätig und habe sich vor ca. drei Monaten beim AMS arbeitslos gemeldet. Er wohne in XXXX mit einem anderen Afghanen, der die Miete zahle, in einer Wohngemeinschaft. In seinem privaten Umfeld habe sich seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nichts geändert. Auf seine Verurteilungen durch das Landesgericht für Strafsachen XXXX angesprochen, räumte der Beschwerdeführer ein, dass er Drogen verkauft und einen Fehler gemacht habe. Gefragt, warum er am XXXX aus disziplinären Gründen aus der Grundversorgung entlassen worden sei, führte er aus, er habe getrunken und blöde Bemerkungen gemacht. Ein Freund habe Marihuana geraucht und er sei dabei gewesen. Deshalb sei er aus der Grundversorgung entlassen worden. Auf Integrationsmaßnahmen in Österreich angesprochen, gab der Beschwerdeführer an, dass er momentan nichts mache. Er wolle aber seinen Hauptschulabschluss nachmachen und anschließend eine Ausbildung absolvieren oder arbeiten. Er wolle in Österreich bleiben und sich hier ein neues Leben aufbauen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Beschwerdeführer darauf hin, dass ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX aufgrund der schlechten Versorgungslage, seiner Minderjährigkeit im Entscheidungszeitpunkt, dem nicht vorhandenen sozialen Netzwerk in Kabul und unzureichender Hilfe bezüglich Wohnraum, Nahrungsmittel und Medikamenten zuerkannt worden sei. Diese Gründe seien nun nicht mehr gegeben. Die belangte Behörde teilte dem Beschwerdeführer mit, dass daher beabsichtigt werde, ein Aberkennungsverfahren einzuleiten.

14. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom XXXX , zugestellt am XXXX , wurde dem Beschwerdeführer der ihm mit Erkenntnis vom XXXX , XXXX , zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und ihm die mit Erkenntnis vom XXXX erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs 4 AsylG entzogen (Spruchpunk II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gegen den Beschwerdeführer wurde gemäß § 10 Abs 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 4 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte die belangte Behörde aus, das Bundesverwaltungsgericht habe sich bei der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Beschwerdeführer auf die damals prekäre Versorgungslage, die beim Beschwerdeführer damals bestehende posttraumatische Belastungsstörung, die allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung in Afghanistan sowie die (damalige) Minderjährigkeit des Beschwerdeführers gestützt. Weiter sei angeführt worden, der Beschwerdeführer habe keine Verwandten oder Freunde außerhalb seines Heimatdistrikts, weshalb nicht davon auszugehen sei, dass er über ein familiäres Netzwerk in Kabul verfüge. Dieser Sachverhalt sei nun aber nicht mehr gegeben. Der Beschwerdeführer sei nunmehr volljährig, gesund und arbeitsfähig. Er leide an keiner schwerwiegenden lebensbedrohenden physischen oder psychischen Erkrankung oder sonstigen Beeinträchtigung. Seine Familie lebe weiterhin in Nangarhar, ihr Lebensstandard sei sehr gut. Der Beschwerdeführer stehe mit der Familie in Kontakt und habe ein gutes Verhältnis. Im Fall seiner Rückkehr könne der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Familie in einem vertrauten sozialen Umfeld leben. Es sei ihm zumutbar, sich mit Gelegenheitsjobs seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Sofern der Beschwerdeführer in Nangarhar nicht leben könne, sei es ihm als Paschtunen möglich, in anderen sicheren Provinzen wie Balkh, Herat oder Kabul Fuß zu fassen und sich dort seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Aufgrund seiner nunmehrigen Volljährigkeit benötige der Beschwerdeführer keine familiären und sozialen Netzwerke in seinem Heimatland mehr. Zudem könne sich der Beschwerdeführer an Hilfsorganisationen in seinem Herkunftsstaat wenden. Nachdem die seinerzeitigen Gründe, die zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts führten, nicht mehr vorliegen und auch die Familienangehörigen des Beschwerdeführers weiterhin ohne Probleme in Afghanistan leben würden, sei es für den Beschwerdeführer ein Leichtes, wieder in Afghanistan Fuß zu fassen und im Kreise seiner Familie zu leben. Ebenso könne er etwa in den Provinzen Kabul, Balkh, Herat oder Parwan leben. Der Status des subsidiär Schutzberechtigten sei dem Beschwerdeführer daher gemäß § 9 Abs 1 AsylG 2005 abzuerkennen gewesen.

Für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem Beschwerdeführer amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

15. Mit Schreiben vom XXXX erhob der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung fristgerecht vollumfängliche Beschwerde gegen den spruchgegenständlichen Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung ein für den Beschwerdeführer günstigerer Bescheid erzielt worden wäre.

16. Die Beschwerde und der dazugehörige Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch die belangte Behörde zur Entscheidung vorgelegt. In einem verzichtete die belangte Behörde auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.

17. Mit Schreiben vom XXXX legte die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe die erteilte Vollmacht zurück, da der Beschwerdeführer nicht mehr erreichbar sei.

18. Am XXXX langten polizeiliche Unterlagen, darunter ein Amtsvermerk des Stadtpolizeikommandos XXXX , zwei Beschuldigtenvernehmungen des Beschwerdeführers und ein Sicherstellungsprotokoll beim Bundesverwaltungsgericht ein. Diesen Unterlagen ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 2 SMG am XXXX verdächtigt wird.

19. Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurden den Parteien einschlägige Länderinformationen zu Afghanistan übermittelt.

20. Die belangte Behörde teilte mit Schreiben vom XXXX mit, dass die Teilnahme eines informierten Vertreters an der mündlichen Beschwerdeverhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei. Ungeachtet dessen werde die Abweisung gegenständlicher Beschwerde beantragt und um Übersendung des aufgenommenen Verhandlungsprotokolls ersucht.

21. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer im Beisein seiner Rechtsvertreterin und eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu vom erkennenden Richter zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes zu seinen Beschwerdegründen einvernommen wurde. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung fern.

Die Verhandlungsschrift lautet auszugsweise:

"[...]

Richter: Verstehen Sie den Dolmetscher gut?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?

Beschwerdeführer: Ich kann der heutigen Verhandlung folgen und bin ganz gesund.

Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?

Beschwerdeführer: Nein, derzeit befinde ich mich nicht in ärztlicher Behandlung und nehme keine Medikamente ein.

[...]

Richter: Können Sie sich an Ihre Aussage vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erinnern? Waren diese richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?

Beschwerdeführer: Alle damaligen Angaben von mir entsprechen der Wahrheit. Ich kann mich an sie alle erinnern.

Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?

Beschwerdeführer: Ich bin afghanischer Staatsangehöriger, geboren am XXXX im Dorf namens XXXX , Distrikt XXXX , Nangarhar, Afghanistan.

Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

Beschwerdeführer: Meine Muttersprache ist Paschto. Außer Paschto kann ich auch Dari. Ich kann in beiden Sprachen sowohl ein wenig lesen als auch ein wenig schreiben. Ich habe das in der Koranschule gelernt.

Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.

Beschwerdeführer: Ich bin ein sunnitischer Moslem und gehöre der Volksgruppe der Paschtunen an. Ich bin derzeit ledig und habe keine Kinder.

Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.

Beschwerdeführer: Ich bin immer in meinem Heimatdorf geblieben. Ich habe nirgendwo anders innerhalb Afghanistans gelebt. Ich habe einige andere Orte besucht, aber nicht dort gelebt.

Richter: Wie haben Sie in Afghanistan gewohnt?

Beschwerdeführer: Mein Vater starb ungefähr drei Jahre vor meiner Ausreise aus Afghanistan. Davor lebte ich gemeinsam mit meinen Eltern, meinem älteren Bruder, meinem jüngeren Bruder und einer Schwester. Mein älterer Bruder war psychisch instabil.

Richter: Was haben Sie in Afghanistan gemacht, gearbeitet, gelernt oder etwas Anderes?

Beschwerdeführer: Vor dem Tod meines Vaters ging ich zur Koranschule. Zu einer öffentlichen Schule konnte ich nicht gehen, weil es damals weit und breit keine öffentliche Schule in der Nähe gab. Nach dem Tod meines Vaters, musste ich dann arbeiten.

Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

Beschwerdeführer: Meine Familie lebt derzeit innerhalb der Hauptstadt der Provinz Nangarhar nämlich in XXXX .

Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie (Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?

Beschwerdeführer: Einmal im Monat kontaktiere ich meine Mutter.

Richter: Haben Sie in Afghanistan Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?

Beschwerdeführer: Ich habe zwei, drei Tanten väterlicherseits und einen Onkel mütterlicherseits, mit denen ich keinen Kontakt habe. Ich pflege lediglich Kontakt mit meiner Mutter.

Richter: Wollen Ihre Eltern und Geschwister auch nach Österreich kommen?

Beschwerdeführer: Nein, das wollen sie nicht. Ich selber versuche aber in Österreich etwas zu machen, sodass ich die Familie außer Lande bringen kann.

Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?

Beschwerdeführer: Derzeit bin ich auf der Suche nach einer Arbeit. Früher habe ich einiges in Österreich gemacht. Ich bin zu den Deutschkursen gegangen und habe freiwillig bei " XXXX " gearbeitet. Ich bin zur Schule gegangen, ich habe innerhalb der Schule geholfen.

Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?

Beschwerdeführer: Freunde?! Ja, das habe ich.

Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

Beschwerdeführer an Richter: Können Sie mir "Verein" beschreiben?

Beschwerdeführer: Ich habe früher, vor ungefähr sechs Monaten, in einem "Fight Club" Sport betrieben. Man nannte diese Art von Sport "Mutai". Außerdem spiele ich Cricket. Außerdem spiele Cricket mit meinen Freunden zwei bis dreimal pro Woche. Früher habe ich auch mit ihnen Cricket gespielt. Außerdem habe ich ungefähr drei Monate lang einen "Wrestling Sport" betrieben, den man in Österreich als "Ringen" kennt.

Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

Beschwerdeführer: In Afghanistan nein. In Österreich ja. Ich bin wegen Drogenhandels nämlich des Drogenverkaufs zweimal von den Gerichten hier in Österreich verurteilt worden. Beim ersten Mal musste ich nicht im Gefängnis sitzen, beim zweiten Mal schon und zwar drei Monate lang.

Richter: Schildern Sie den Vorfall, der zu Ihrer Flucht geführt hat!

Beschwerdeführer: Nach dem Tod meines Vaters - wie bereits erwähnt - lernte ich in einer Koranschule. Ich wurde von den Taliban aufgefordert, mich ihnen anzuschließen, um Dschihad zu machen. Ich wusste damals nicht, wer die Taliban sind. Deswegen fragte ich damals meinen Onkel mütterlicherseits danach. Dann erhielt ich Informationen sowohl von meinem Onkel mütterlicherseits als auch von meiner Mutter selbst über die Taliban. Mein Vater war einmal beim afghanischen Militär, bei der Afghanischen Nationalarmee, tätig. Mein Vater wurde eigentlich von den Taliban damals getötet. Mein Onkel mütterlicherseits sagte mir damals, dass das "sich anschließen" an die Taliban, würde bedeuten, dass man seine eigenen Brüder tötet. Er sagte, dass die Taliban mich zwangsrekrutieren wollen und dass das keine schöne Sache sei. Ich erhielt damals auch Drohbriefe von den Taliban. Ich erhielt damals Drohbriefe direkt von den Taliban in meinem Haus. Sie sprachen mich direkt in den Drohbriefen an. Da ich damals jung war und mich mit Politik und den Taliban nicht gut auskannte, ging ich jedes Mal zu meinem Onkel mütterlicherseits und zeigte ihm diese Briefe, so, dass er mir den Inhalt dieser Drohbriefe beschreiben konnte. Jedes Mal sagte mir mein Onkel mütterlicherseits, dass die Taliban sehr gefährliche Leute seien und diese damals meinen Vater getötet haben. Schlussendlich entschieden sich sowohl mein Onkel mütterlicherseits als auch meine Mutter für meine Ausreise aus Afghanistan. Sie waren um mein "Leib und Leben" besorgt und meinten, dass mein Leben durch die Taliban gefährdet würde. Sie schickten mich nach Europa.

Richter: Sind Sie jemals persönlich bedroht oder angegriffen worden?

Beschwerdeführer: Ich habe persönlich die Taliban gesehen. Bedroht bin ich aber von ihnen persönlich in physischer Form noch nicht. Sie sind nie zu mir persönlich gekommen von "Angesicht zu Angesicht" und haben mich nicht bedroht.

Richter: Ich halte Ihnen vor, bei Ihren Angaben am XXXX im ersten Verfahren ist lediglich festgehalten, dass Ihr Onkel gesagt hat, dass er nicht mehr für Sie sorgen könne und Sie nur nach Europa bringen könne und dass Sie nach Österreich gekommen sind, um die Familie unterstützen zu können und ein schönes Leben zu haben. Was meinen Sie dazu?

Beschwerdeführer: Ich bin bis jetzt fünf bis sechs Mal in Bezug auf meinen Fluchtgrund im Rahmen des Asylverfahrens befragt worden. Es sind hunderte verschiedene Fragen gestellt worden und ich habe dementsprechend und diesbezüglich Antworten gegeben. Bei meiner ersten Einvernahme vor dem BFA habe ich das gesagt. Ja, das stimmt. Mein Onkel mütterlicherseits hat mir damals gesagt, dass er nicht mehr für meinen Unterhalt sorgen können. Das stimmt.

Richter: Ich halte Ihnen nun vor, dass diese Schilderung des Fluchtgrundes stark von der vorherigen Angabe abweicht. Ich weise darauf hin, dass in der 2. Instanz ein Neuerungsverbot gilt. Die Zwangsrekrutierung durch die Taliban habe ich gerade vorhin zum ersten Mal gehört, obwohl ich mir alles durchgelesen habe. Hat das wirklich stattgefunden? Haben Sie sich das einfallen lassen, weil das ein gängiger Fluchtgrund gerade für Jugendliche ist?

Beschwerdeführer: Nein, das habe ich mir nicht einfallen lassen. Es hat tatsächlich stattgefunden.

Richter: Warum haben Sie das bisher nicht erzählt?

Beschwerdeführer: Warum habe ich das bis jetzt nicht gesagt?!

Richter: Ich habe es nicht protokolliert gesehen.

Beschwerdeführer: Es handelt es sich hierbei um meine Reife und meine Vernunft. Damals war ich sehr jung, als ich nach Österreich kam. Ich war ein unreifer Mensch. Jetzt, wenn ich auf meine Vergangenheit zurückblicke, wird mir klar, warum mir meine Mutter damals gesagt, wie ich sprechen soll.

Richter: Wodurch sind Sie in Afghanistan konkret bedroht?

Beschwerdeführer: Ich habe Angst in Afghanistan getötet zu werden. Ich habe Angst vor den Taliban und Angst vor der sehr unsicheren Lage Afghanistans. Diese unsichere Lage jagt mir immer wieder Angst ein.

Richter: Wie sind Sie nach Österreich gekommen?

Beschwerdeführer: Ich habe zu der vorher gestellten Frage noch etwas zu sagen. In Afghanistan werden täglich hunderte Menschen getötet. Selbstmordattentäter sprengen sich in die Luft innerhalb der Moscheen, der Schulen, auf den Straßen, innerhalb der Bazare. Überall lauern die Gefahren. Es ist überhaupt nicht möglich, dort zu leben. Ich kam schlepperunterstützt zunächst von Afghanistan in den Iran, danach in die Türkei. Dann kam ich nach Bulgarien, dann nach Serbien und von Serbien kam ich mit dem LKW direkt nach Österreich.

Richter: Wie haben Sie die Reise bezahlt?

Beschwerdeführer: Meine Mutter und mein Onkel mütterlicherseits organisierten diese Ausreise für mich damals. Sie zahlten den vereinbarten Betrag dem Schlepper aus, nicht ich.

Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde!

Beschwerdeführer: Weil man in dem zuletzt erlassenen Bescheid behauptet hat, dass Afghanistan, mein Vaterland, ein sicheres Land sei. Dass ich dort zurückkehren könnte, es ist ein sehr unsicheres Land. Ich sehe hier eine Verletzung meiner Rechte in diesem Bescheid. Deswegen habe ich Beschwerde erhoben, weil ich hier in Österreich bleiben will und ein schönes Leben haben will. Wie kann ich in ein so unsicheres Land zurückkehren und dort weiterleben. Das kann ich nicht. Damals, als ich zum ersten Mal ein Aufenthaltsrecht erhielt, hatte ich wenig Geld gehabt und musste auf den Straßen leben. Deswegen wandte ich mich dem Drogenhandel zu. Sonst hätte ich das nicht gemacht.

Richter: Was würde passieren, wenn Sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?

Beschwerdeführer: Ich würde entweder bei einem Selbstmordanschlag getötet werden oder von meinem Bruder.

Dolmetscher an Beschwerdeführer: Was meinen Sie mit dem Bruder. Würde Ihr Bruder Sie dann töten?

Beschwerdeführer: Ich meine mit Bruder nicht meinen eigenen Bruder, sondern Landsleute. Ergänzend gebe ich an, dass ich Angst vor den Taliban habe und würde dort von den Taliban getötet werden.

[...]

Der Beschwerdeführer bringt nichts mehr vor.

Richter: Haben Sie den Dolmetscher gut verstanden?

Beschwerdeführer: Ja."

Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung verwies die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers auf die Ausführungen in der Beschwerde. Die belangte Behörde habe im bekämpften Bescheid selbst festgestellt, dass eine ausreichende, dauerhafte Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers nicht gegeben sei. Bezogen auf seine Herkunftsprovinz sei dem Beschwerdeführer daher der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen. Darüber hinaus sie in den aktuellen UNHCR-Richtlinien vom 30.8.2018 deutlich klargestellt worden, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul aufgrund der aktuellen Sicherheitslage nicht zur Verfügung stehe. Der Beschwerdeführer habe keine sozialen Anknüpfungspunkte in Kabul, keine Berufsausbildung und sei noch nie vor Ort gewesen. Aus diesen Gründen sei dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltsgenehmigung gemäß § 8 Abs 4 AsylG für zwei weitere Jahre zu erteilen.

22. Mit Schriftsatz vom XXXX übermittelte der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung eine Anmeldung des Beschwerdeführers bei der Sozialversicherung durch seinen Dienstgeber, XXXX , vom XXXX .

23. Am XXXX langte ein Bericht des Stadtpolizeikommandos XXXX beim Bundesverwaltungsgericht ein, wonach der Beschwerdeführer der geschlechtlichen Nötigung am XXXX verdächtigt werde.

24. Die belangte Behörde übermittelte dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX ein Fahndungsblatt zur Anordnung der Festnahme des Beschwerdeführers wegen des Verdachts der versuchten Vergewaltigung nach §§ 15, 201 StGB.

25. Am XXXX langte ein Bericht des Stadtpolizeikommandos XXXX über die erfolgte Festnahme des Beschwerdeführers ein. Der Beschwerdeführer wurde am XXXX in die Justizanstalt XXXX eingeliefert.

26. Am XXXX langte ein Konvolut polizeilicher Unterlagen, darunter Anlass-Berichte des Stadtpolizeikommandos XXXX vom XXXX und XXXX , ein Zwischen-Bericht des Stadtpolizeikommandos XXXX vom XXXX und der Abschluss-Bericht des Stadtpolizeikommandos XXXX vom XXXX , beim erkennenden Gericht ein. Diesen Unterlagen ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer der versuchten Vergewaltigung am XXXX verdächtigt wird und sich seit XXXX in Haft befindet.

27. Am XXXX langte die Verständigung von der Anklageerhebung gegen den Beschwerdeführer durch die Staatsanwaltschaft wegen § 202 Abs 1 StGB und § 83 Abs 1 StGB beim Bundesverwaltungsgericht ein.

28. Am XXXX erkundigte sich das Bundesverwaltungsgericht telefonisch beim Landesgericht für Strafsachen XXXX nach dem Stand des Strafverfahrens. Dem erkennenden Gericht wurde mitgeteilt, der Beschwerdeführer sei mit Urteil vom XXXX des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX , XXXX , verurteilt worden. Dieses Urteil sei jedoch noch nicht rechtskräftig, da der Beschwerdeführer Berufung an das Oberlandesgericht erhoben habe.

29. Am XXXX langte das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX XXXX , rechtskräftig seit XXXX , beim Bundesverwaltungsgericht ein. Diesem Urteil ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwölf Monaten verurteilt wurde. Die mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX XXXX gewährte bedingte Strafnachsicht wurde widerrufen.

30. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde mit Schreiben vom 20.4.2020. das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019 zur Stellungnahme.

31. Der Beschwerdeführer äußerte sich dazu mit Schriftsatz vom 13.5.2020.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl und den Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts betreffend den Beschwerdeführer, insbesondere durch Einsicht in die vorgelegten Dokumente und Integrationsunterlagen, sowie durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die ins Verfahren eingeführten Länderberichte.

1. Feststellungen

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, ist im Entscheidungszeitpunkt volljährig und Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan. Er gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Muttersprache ist Paschtu, er spricht aber auch Dari. Beide Sprachen kann der Beschwerdeführer sowohl ein wenig lesen als auch schreiben. Weiter beherrscht der Beschwerdeführer ein wenig Deutsch. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos.

Der Beschwerdeführer wurde im Dorf XXXX , im Distrikt XXXX in der Provinz Nangarhar geboren und wuchs dort im familieneigenen Haus mit seinen Eltern, seinen beiden Brüdern und einer Schwester auf. Er lebte an keinem anderen Ort in Afghanistan. Der Beschwerdeführer besuchte ab seinem siebten oder achten Lebensjahr eine Koranschule. Sein Vater verstarb ungefähr drei Jahre vor der Ausreise des Beschwerdeführers aus Afghanistan, woraufhin der Beschwerdeführer begann, in der Landwirtschaft zu arbeiten und fremde Grundstücke bewirtschaftete.

Der Vater des Beschwerdeführers ist bereits verstorben. Seine Mutter, seine beiden Brüder, eine Schwester und sein Onkel mütterlicherseits leben derzeit in XXXX . Der jüngere Bruder des Beschwerdeführers geht einer Arbeit nach, zusätzlich wird die Kernfamilie des Beschwerdeführers vom Onkel mütterlicherseits unterstützt. Der Beschwerdeführer steht mit seiner Mutter regelmäßig telefonisch in Kontakt. Weiter leben zwei bis drei Tanten väterlicherseits des Beschwerdeführers in Afghanistan, zu denen jedoch kein Kontakt besteht. Weitere (entfernte) Verwandte oder sonstige Bezugspersonen des Beschwerdeführers leben nicht in Afghanistan.

1.2 Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Der Beschwerdeführer gelangte im XXXX in das österreichische Bundesgebiet und stellte am XXXX gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Seither hält er sich durchgehend im Bundesgebiet auf.

Mit mündlich verkündetem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , XXXX , wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Tragende Gründe für die Gewährung des subsidiären Schutzes waren die seinerzeitige prekäre Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan, das Fehlen eines Unterstützungsnetzwerks außerhalb seines Heimatdistriktes, die damals beim Beschwerdeführer bestehende posttraumatische Belastungsstörung und seine damalige Minderjährigkeit.

Der Beschwerdeführer hat seit seiner Einreise an mehreren Deutsch-, Integrations- und Basisbildungskursen teilgenommen. Er hat jedoch noch keine Prüfung zu seinen Deutschkenntnissen abgelegt. Im XXXX wurde der Beschwerdeführer in die internationale Flüchtlingsklasse der XXXX aufgenommen, die im XXXX begann und die der Beschwerdeführer ca. ein Jahr lang besuchte. Im Rahmen seines Schulbesuchs verrichtete der Beschwerdeführer ehrenamtliche Tätigkeiten im Schulgarten wie das Auf- und Umsetzen von Kompostmieten, den Transport von Häckselgut und das Aufräumen einer Werkzeughütte. Ab XXXX war der Beschwerdeführer für kurze Zeit erwerbstätig. Derzeit bezieht der Beschwerdeführer zwar keine Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung, er ist aber auch nicht erwerbstätig. Der Beschwerdeführer hat soziale Kontakte in Österreich - auch zu österreichischen Staatsbürgern geknüpft. Der Beschwerdeführer ist kein Mitglied in einem Verein. In seiner Freizeit trifft er sich gerne mit Freunden und spielt Cricket.

In Österreich leben keine Verwandten oder sonstige wichtige Bezugspersonen des Beschwerdeführers. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich noch gibt es in Österreich geborene Kinder des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich bescholten und wurde bereits dreimal von österreichischen Gerichten verurteilt. Er wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX wegen der Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs 2a 2. Fall, Abs 3 SMG und nach § 27 Abs 1 Z 1 2. Fall, Abs 2 SMG zu einer unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt, weil er im Zeitraum vom XXXX Cannabiskraut im XXXX gewinnbringend veräußert und im Zeitraum XXXX Cannabiskraut zum persönlichen Gebrauch innegehabt hat.

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27a Abs 2a 2. Fall, Abs 3 SMG, teils als Beitragstäter im Sinn des § 12 3. Fall StGB, zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt, weil er am XXXX Cannabiskraut im XXXX gewinnbringend veräußert hat, obwohl er bereits einmal wegen einer solchen Tat verurteilt worden war. In einem wurde die Probezeit von jeweils drei Jahren des Urteils des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX zu XXXX auf fünf Jahre verlängert. Dieses Urteil wurde mit XXXX vollzogen.

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe in der Dauer von zwölf Monaten verurteilt, da er am XXXX zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung nötigte und sie im Anschluss durch Versetzen eines Faustschlages ins das Gesicht vorsätzlich am Körper verletzte. Zudem wurde die dem Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX , XXXX , gewährte bedingte Strafnachsicht widerrufen. Dieses Urteil wurde zum Teil bereits vollzogen. Der Beschwerdeführer wurde am XXXX unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren vorzeitig aus der Haft entlassen. Zudem wurde Bewährungshilfe angeordnet.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.

1.3 Zur Änderung der Umstände seit der Gewährung von subsidiärem Schutz

Seit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , XXXX , mit welchem dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, ist es zu keiner Verbesserung der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan gekommen.

Es ist jedoch eine nachhaltige maßgebliche Verbesserung seiner subjektiven bzw. persönlichen Situation eingetreten. Die Umstände, die zur Gewährung des subsidiären Schutzes mit Erkenntnis vom XXXX geführt haben, haben sich daher seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Beschwerdeführer wesentlich und nachhaltig verändert bzw. verbessert.

1.4 Zur Rückkehrsituation des Beschwerdeführers

Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

Die Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers (Nangarhar) zählt zu den volatilen Provinzen Afghanistans. Die Sicherheitslage hat sich in den letzten Jahren verschlechtert, die Zahl der zivilen Opfer ist angestiegen. Bewaffnete Aufständische, darunter die Taliban, sind in Nangarhar aktiv und kontrollieren manche Distrikte. Es kommt immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Mitgliedern der Taliban und des ISKP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan). Militärische Spezialeinheiten sind in der Provinz tätig. Es werden regelmäßig militärische Operationen, darunter auch Luftangriffe und Bodenoffensiven, durchgeführt, um gewisse Distrikte von Aufständischen zu befreien.

Im Fall einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Herkunftsprovinz Nangarhar droht ihm die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und Streitkräften der Regierung oder durch Übergriffe von regierungsfeindlichen Gruppierungen gegen die Zivilbevölkerung zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Die Hauptstadt Kabul ist von innerstaatlichen Konflikten und insbesondere stark von öffentlichkeitswirksamen Angriffen der Taliban und anderer militanter Gruppierungen betroffen. Im Jahr 2018 wurden 1.866 zivile Opfer dokumentiert, was einer Zunahme von 2% gegenüber 2017 entspricht. Die afghanische Regierung führt regelmäßig Sicherheitsoperationen in und um die Hauptstadt Kabul durch.

Im Fall einer Niederlassung des Beschwerdeführers in Kabul droht ihm die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und Streitkräften der Regierung oder durch Übergriffe von regierungsfeindlichen Gruppierungen gegen die Zivilbevölkerung zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Die Provinzen Balkh und Herat gehören zu den friedlichsten Provinzen Afghanistans und sind vom Konflikt relativ wenig betroffen. Insbesondere Balkh gehört zu den stabilsten und ruhigsten Provinzen Afghanistans mit im Vergleich zu anderen Provinzen geringen Aktivitäten von Aufständischen. In den letzten Monaten versuchten Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif ist davon jedoch nicht betroffen. Die Provinz Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen Afghanistans. Aufständische sind in einigen abgelegenen Distrikten aktiv. Die Hauptstadt der Provinz - Herat (Stadt) - ist davon wenig betroffen und gilt trotz Anstiegs der Kriminalität nach wie vor als sehr sicher. Sowohl Mazar-e Sharif in Balkh als auch Herat (Stadt) stehen unter Regierungskontrolle. Beide Städte verfügen über einen internationalen Flughafen, über den sie sicher erreicht werden können.

Die Provinzen Balkh und Herat waren von einer Dürre betroffen. Ernährungssicherheit, Zugang zu Wohnmöglichkeiten, Wasser und medizinische Versorgung sind in Mazar-e Sharif und Herat (Stadt) grundsätzlich gegeben. Die Arbeitslosigkeit im Herkunftsstaat ist hoch und Armut verbreitet.

Für den Fall einer Niederlassung des Beschwerdeführers in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat kann nicht festgestellt werden, dass diesem die Gefahr droht, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Angriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Im Fall einer Rückführung des - inzwischen volljährigen und gesunden - Beschwerdeführers nach Herat (Stadt) oder Mazar-e Sharif ist davon auszugehen, dass er sich - wenn auch nach anfänglichen Schwierigkeiten - eine Lebensgrundlage wird aufbauen und die Grundbedürfnisse seiner menschlichen Existenz wie Nahrung, Kleidung und Unterkunft wird decken können. Der Beschwerdeführer wird im Fall seiner Niederlassung in Herat (Stadt) oder Mazar-e Sharif ein mit anderen dort lebenden Afghanen vergleichbares Leben ohne unbillige Härten führen können. Der Beschwerdeführer ist mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftslandes vertraut und spricht mit Paschtu und Dari zwei weit verbreitete Sprachen seines Heimatlandes. Dem Beschwerdeführer ist daher der Aufbau einer Existenzgrundlage in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat (Stadt) möglich. Er hat keine Sorgepflichten. Seine Existenz könnte der Beschwerdeführer - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern.

Es gibt in Afghanistan unterschiedliche Unterstützungsprogramme für Rückkehrer von Seiten der Regierung, von NGOs und durch internationale Organisationen, die der Beschwerdeführer in Anspruch nehmen könnte. IOM bietet in Afghanistan Unterstützung bei der Reintegration an.

1.5 Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers

Es werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:

1.5.1 Staatendokumentation (Stand 13.11.2019, außer wenn anders angegeben)

1.5.1.1 Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.4.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.5.2019). Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 - mit Ausnahme der Provinz Ghazni - Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14. November 2019 erwartet (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Provinz Kandahar musste die Stimmabgabe wegen eines Attentats auf den Provinzpolizeichef um eine Woche verschoben werden und in der Provinz Ghazni wurde die Wahl wegen politischer Proteste, welche die Wählerregistrierung beeinträchtigten, nicht durchgeführt (s.o.). Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen. Durch Wahl bezogene Gewalt kamen 56 Personen ums Leben und 379 wurden verletzt. Mindestens zehn Kandidaten kamen im Vorfeld der Wahl bei Angriffen ums Leben, wobei die jeweiligen Motive der Angreifer unklar waren (USDOS 13.3.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004, USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).

Die Hezb-e Islami wird von Gulbuddin Hekmatyar, einem ehemaligen Warlord, der zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird, geleitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem Friedensschluss und Präsident Ghani sicherte den Mitgliedern der Hezb-e Islami Immunität zu. Hekmatyar kehrte 2016 aus dem Exil nach Afghanistan zurück und kündigte im Jänner 2019 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 an (CNA 19.1.2019).

Im Februar 2018 hat Präsident Ghani in einem Plan für Friedensgespräche mit den Taliban diesen die Anerkennung als politische Partei in Aussicht gestellt (DP 16.6.2018). Bedingung dafür ist, dass die Taliban Afghanistans Verfassung und einen Waffenstillstand akzeptieren (NZZ 27.1.2019). Die Taliban reagierten nicht offiziell auf den Vorschlag (DP 16.6.2018; s. folgender Abschnitt, Anm.).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.8.2019) - bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 8.9.2019) - mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als "Marionette" des Westens betrachten - auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.8.2019; vgl. NZZ 12.8.2019; DZ 8.9.2019).

Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, MS 28.1.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigten Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.5.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehreren Warlords, statt (Qantara 12.2.2019; vgl. TN 31.5.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.5.2019).

1.5.1.2 Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu ve

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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