TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/3 W154 2196555-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.06.2020
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Entscheidungsdatum

03.06.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §15b Abs1
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §53
FPG §55

Spruch

W154 2196555-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. KRACHER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Dr. ZÜGER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 9.4.2020, Zl. 1097005401/191291579, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 68 AVG als unbegründet abgewiesen.

II. Im Übrigen wird die Beschwerde gemäß §§ 10 Abs. 1 Z 3, 15b Abs. 1, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG und §§ 52, 53, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Verfahren über den ersten Antrag auf internationalen Schutz (in Rechtskraft erwachsen):

Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 27.11.2015 im Bundesgebiet seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz.

In seiner niederschriftlichen Einvernnahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) am 18.4.2018 brachte er zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen vor, dass er den Steinbruch-Betrieb seines Vaters, um welchen sich jetzt sein Bruder kümmern würde, übernommen und einige Jahre vor dem Vorfall geführt habe, weil sein Vater krank geworden sei. Sie hätten zwischen 15 und 20 Arbeiter gehabt, wobei einige bei den Taliban, bei den Daesh oder bei einer anderen terroristischen Gruppierung gewesen wären. Sein Onkel väterlicherseits und zwei von dessen Söhnen würden für die Regierung arbeiten. Sie seien gerade bei der Arbeit gewesen, als es zu einem Gefecht gekommen sei. Dabei wären viele Arbeiter geflüchtet und es habe viele Tote gegeben. Sie seien zur Polizei gebracht worden und rund eineinhalb Tage in Haft gewesen, um ihre Identität bzw. mögliche Verbindungen feststellen zu können. Vier ihrer Arbeiter seien festgehalten, die anderen freigelassen worden. Als er nach Hause gekommen sei, habe er erfahren, dass die Taliban zwei Fahrer aus dem Dorf getötet und ihn gesucht hätten. Die Extremisten hätten ihn und seine beiden Cousins für diese Operation verantwortlich gemacht und gewollt, dass er mit ihnen arbeitet. Sonst würden sie ihm wegen der Verluste nach dem Leben trachten. Er habe sich deshalb sofort ins Stadtzentrum nach Mitharlam begeben und zwei Monate bei einem Freund aufgehalten. Als die Taliban dann seinen Onkel väterlicherseits mitgenommen hätten, habe er sich zwei Monate in Kabul versteckt. Zu dieser Zeit sei einer seiner Cousins wegen dessen Arbeit für die Regierung getötet worden. Deshalb sei er in den Iran gegangen. Sein Onkel väterlicherseits sei dann freigelassen worden, weil er nur für die Suchtgiftabteilung gearbeitet habe und die Dorfältesten interveniert hätten. Zur konkreten Gefährdungslage befragt, berichtete er, dass sein anderer Cousin im Zuge der Arbeit bei einem Bombenanschlag im Jahr 2016 getötet worden sei. Zur Schilderung des Angriffs aufgefordert, berichtete er zusammenfassend, dass es auf dem Berg hinter ihrem Dorf zu einem Gefecht zwischen den Taliban und den Regierungskräften gekommen sei. Auf die Frage, was er dann mit der Auseinandersetzung zu tun gehabt habe, erwiderte er, "ich gar nichts". Es seien nur vier seiner Leute hingegangen und hätten mit den Extremisten gekämpft. Darauf hingewiesen, dass er dann eigentlich die Taliban unterstützt habe, gab er verneinend an, dass diese ihn für das Gefecht verantwortlich machen würden. Er sei nicht persönlich bedroht, aber gesucht worden, als er gerade in Polizeigewahrsam gewesen wäre. Ob er danach nochmals gesucht worden sei, wisse er nicht, da er nicht dort gewesen sei. Nach weiteren Aktionen gegenüber seiner Familie gefragt, antwortete er, dass es von den Vorkommnissen mit seinen Cousins und seinem Onkel abgesehen, keine anderen Vorfälle gegeben habe. Auf die Frage, was die Vorfälle seiner Verwandten eigentlich mit ihm zu tun haben, gab er erneut an, dass die Taliban seine Cousins und ihn für die Operation am Berg verantwortlich gemacht hätten. Er sei nach der Entlassung nämlich ins Dorf gefahren und von ihnen aufgefordert worden, sich ihnen anzuschließen. Andernfalls würde er getötet werden. Seine Cousins seien wegen ihrer Arbeit für die Regierung getötet worden. Nachgefragt, berichtete er, dass die Taliban sich in der Nacht immer auf diesem Berg aufgehalten hätten und dass es oft Gefechte gegeben habe.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 20.4.2018, Zl. 1097005401-151885577, wurde der erste Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrug die Frist für die freiwillige Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Dagegen wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

Am 18.10.2018 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durch, bei der der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen zusammenfassend im Wesentlichen vorbrachte, dass die Taliban vor seiner Ausreise von ihm und seinen Cousins verlangt hätten, für sie zu arbeiten. Seine beiden Cousins seien getötet worden und bei einer Rückkehr würde ihm dasselbe drohen. Die Taliban hätten keine Entscheidung der Jirga (Dorfältesten) akzeptiert und gemeint, dass vier Taliban getötet und vier weitere verhaftet worden seien und dass sie alle jene Personen, die dafür verantwortlich seien, "vernichten" wollen. Sein Onkel sei nicht weiterverfolgt worden, weil er in der Abteilung Drogenbekämpfung gearbeitet habe. Die Taliban hätten seine beiden Cousins und ihn für den Vorfall verantwortlich gemacht, die Cousins getötet und ihn verfolgt. Seine Cousins hätten bei den Sicherheitsposten im Dorf gearbeitet und sehr wohl etwas mit dem Vorfall zu tun gehabt. Sie seien beide an der Operation beteiligt gewesen, bei der Taliban getötet bzw. festgenommen worden seien. Da er mit seinen Cousins Kontakt gehabt habe, hätten die Taliban ihn verdächtigt, für diese spioniert zu haben.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 31.1.2019, GZ W136 2196555-1/9E, wurde die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 20.4.2018 als unbegründet abgewiesen.

Beweiswürdigend wurde zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers im Wesentlicen ausgeführt, die behauptete Verfolgungsgefährdung durch die Taliban, welche ihn und seine beiden Cousins verdächtigt hätten, für einen Einsatz der afghanischen Sicherheitsbehörden gegen die Extremisten verantwortlich zu sein, habe letztlich nicht festgestellt werden können. Zum einen habe der Beschwerdeführer von keinem einzigen Vorfall in seiner Heimat berichtet, welcher seine Befürchtung überzeugend stützen bzw. ein Interesse der Extremisten an seiner Person tatsächlich nahelegen würde, zum anderen sei sein Vorbringen nicht stimmig bzw. zum Teil auch abweichend und er habe zu den Ereignissen insgesamt nur sehr oberflächliche Angaben gemacht. Während er in der Erstbefragung noch angegeben habe, dass sein Onkel durch eine höhere Bestechungszahlung (30.000 Kaldar) und aufgrund des Versprechens, künftig nicht mehr als Polizist zu arbeiten, wieder freigelassen worden sei, hatbe er im Rahmen seiner Einvernahme lediglich von einer Intervention der Dorfältesten gesprochen und in erster Linie darauf hingewiesen, dass der Onkel nur bei der Drogenbekämpfung gearbeitet hätte und eigentlich deshalb wieder freigelassen worden wäre. Dieser Umstand sei jedoch mit seinem weiteren Vorbringen vor dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes nicht vereinbar, wonach die Taliban nämlich seine gesamte Familie "vernichten" wollten, weil einzelne Mitglieder für die Regierung arbeiteten. Auch die Aussage, dass die Extremisten mit ihm bzw. sogar mit seinen beiden Cousins zusammenarbeiten hätten wollen (vgl. Verhandlung vom 18.10.2018), sei damit schwer vereinbar und widerspreche grundsätzlich dem vom Beschwerdeführer anfangs in den Raum gestellten Vergeltungsgedanken ("[...] und sie alle jene Personen, die das verursacht haben, ?vernichten' wollen."). Noch dazu habe er in der mündlichen Verhandlung zugestanden, dass seine beiden Cousins tatsächlich an der damaligen Operation gegen die Extremisten beteiligt gewesen seien. Im Rahmen seiner Einvernahme habe er den Verdacht der Taliban hingegen noch als (eher) unbegründet dargestellt. Vor diesem Hintergrund sei es zum einen schwer vorstellbar, dass die Taliban wirklich (noch) mit dem Beschwerdeführer bzw. seinen Cousins zusammenarbeiten wollten, zum anderen sei es bemerkenswert, dass sein erster Cousin erst mehr als zwei Monate bzw. der andere Cousin überhaupt erst rund eineinhalb Jahre nach den Ereignissen am Berg getötet worden sein soll. Nach Ansicht des erkennenden Gerichts scheine ein unmittelbarer Zusammenhang der beiden behaupteten Todesfälle in seinem Verwandtenkreis mit der damaligen angeblichen Operation gegen die Taliban weniger wahrscheinlich, als die Annahme, dass diese einfach im Rahmen ihrer polizeilichen Tätigkeiten (Bombenanschlag) ums Leben gekommen seien. Daraus lasse sich aber eine unmittelbare Gefährdung für den Beschwerdeführer und seine Familie nicht mit entsprechend hoher Wahrscheinlichkeit ableiten. Schließlich deute auch der Umstand, dass ein Großteil seiner Familie noch Jahre nach seiner Ausreise offenbar unbehelligt im Heimatdorf leben und sein Bruder den Steinbruch ungestört habe weiterführen können, nicht gerade darauf hin, dass seine Familie wirklich in den Fokus der Extremisten geraten sei.

Weiters habe der Beschwerdeführer den Betrieb seines Vaters bereits mehrere Jahre ohne derartige Zwischenfälle geführt, obwohl es seinen Angaben zufolge regelmäßig zu solchen Auseinandersetzungen mit den afghanischen Sicherheitskräften auf dem Berg hinter seinem Heimatdorf gekommen sein soll (Einvernahme vom 18.4.2018: "In der Nacht sind die [Taliban] immer dort und es gibt oft Gefechte."). Es sei daher kein Grund ersichtlich, weshalb die Taliban ausgerechnet einen langjährig bekannten Geschäftsmann für einen der unzähligen Polizeieinsätze verantwortlich machen sollten.

Die Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers sei auch dadurch in Mitleidenschaft gezogen, dass er vor dem erkennenden Gericht erstmals angegeben habe, dass seine Familie nunmehr aufgrund von Drohungen der Taliban wegen seines Verschwindens den Heimatort habe verlassen müssen und in die Provinzhauptstadt gezogen sei. Befragt warum die Taliban seine Familie nunmehr mehr als drei Jahre nachdem er Afghanistan verlassen habe, bedrohen sollten, bzw. den Beschwerdeführer suchen sollten, habe der Beschwerdeführer keine nachvollziehbare Begründung abgeben können und lediglich sein bisheriges Vorbringen wiederholt. Dem Vorbringen, dass die Familie nunmehr erstmals im Herbst 2018 von den Taliban aufgrund des geschilderten Vorfalls, der sich nach Angaben des Beschwerdeführers Anfang 2015 ereignet habe, verfolgt werde, werde daher mangels Plausibilität nicht gefolgt.

Das erste Verfahren erwuchs am 4.2.2019 in Rechtskraft.

In weiterer Folge verließ der Beschwerdeführer das österreichische Bundesgebiet und stellte in Frankreich am 19.2.2019 einen Asylantrag. Am 17.12.2019 wurde er von Frankreich nach Österreich überstellt.

2. Verfahren über den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz:

Am 17.12.2019 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz (Folgeantrag).

Hiezu wurde er am selben Tag von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und am 24.1.2020 vor dem Bundesamt niederschriftlich einvernommen.

Im Rahmen seiner Erstbefragung brachte er zu seinem Fluchtgrund folgendes vor: "Meine ehemaligen Fluchtgründe sind noch immer aufrecht. Meine Frau und meine Kinder sind in der Zwischenzeit in eine andere Stadt in eine andere Stadt in Afghanistan gezogen damit sie in Ruhe leben können."

Am 17.12.2019 wurde dem Beschwerdeführer mit Verfahrensanordnung gemäß § 15b AsylG iVm § 7 Abs. 1 VwGVG mitgeteilt, dass er an einem näher genannten Quartier (Flüchtlingsunterkunft) durchgehend Unterkunft zu nehmen habe.

Anlässlich seiner Einvernahme vor der Behörde erklärte er, er sei in der Heimat wegen dem, was bei seiner Arbeit vorgefallen sei und wegen seines Fluchtgrundes, welchen er auch hier erwähnt habe, eineinhalb Tage lang eingesperrt, aber nie verurteilt worden.

Vater, Mutter, Geschwister, seine Kinder und seine Frau befänden sich im Iran, sie wären auch geflüchtet. Dazu legte der Beschwerdeführer iranische Impfpässe von den fünf Kindern sowie Fotos vor und gab an, sie wären vor 12 Tagen im Iran angekommen.

Er habe eine Steinbruchfirma geführt und mehrere Leute beschäftigt. Nachdem ein paar (vier) Mitarbeiter ums Leben gekommen seien, sei ihm vorgeworfen worden, dass er an dem Verlust der Menschenleben mitschuldig wäre. Als sein Vater damals mit seinen Kindern zum Begräbnis gegangen sei, um an der Bestattungszeremonie teilzunehmen, sei die Familie wortwörtlich bedroht worden, dass "wir" alle getötet würden. Die Witwen bzw. Verwandten der Verstorbenen hätten Rache gewollt. Eigentlich habe er das auch bereits 2018 alles erwähnt, aber er wolle dies noch erläutern und Neuigkeiten erzählen.

In weiterer Folge korrigierte sich der Beschwerdeführer dahingehend, jenes Begräbnis sei nicht für die Verstorbenen aus dem Steinbruch, sondern für seinen Großvater gewesen und die Leute wären dort aufgetaucht.

Nachgefragt, ob sich seit der rechtskräftigen Entscheidung in seinem Vorverfahren irgendetwas Wesentliches in seinem Leben geändert habe, gab der Beschwerdeführer an, einmal vor seinem negativen Bescheid wären seine Familienmitglieder mit dem Tode bedroht worden und zweimal danach und zwar im September 2018, Februar 2019 und November 2019. Die Bedrohung vom September 2018 habe er damals vor dem Bundesverwaltungsgericht erwähnt.

Seinen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz begründete er im Wesentlichen damit, dass nach dem Begräbnis im Februar 2019 die anderen Familien seine Familie dahingehend bedroht hätten, sie würden sie überall erwischen und töten. Im Februar 2019 sei das Begräbnis und die erste Bedrohung gewesen und im November 2019 habe sein Vater Frieden schließen wollen, indem er der anderen Familie eine Tochter als Wiedergutmachung angeboten habe, was abgelehnt und wobei wieder eine Morddrohung gegen seine Familie ausgesprochen worden sei. Auch die Intervention der Dorfältesten habe nicht geholfen.

Die nunmehr vorgebrachte Verfolgung privater Dritter stehe in Zusammenhang zu seinen im Erstverfahren genannten Fluchtgründen, weil bei diesem Vorfall Leute ums Leben gekommen seien und deren Familienmitglieder "uns" verfolgten.

Seinen Erstantrag habe er damit begründet, dass die Taliban zu den getöteten Familienmitgliedern gesagt hätten, jeder, der mit Spionen der jetzigen afghanischen Regierung Frieden schließe, werde auch zum Tode verurteilt, aus diesem Grund würden diese Familien auch keinen Frieden mit der Familie des Beschwerdeführers schließen. Neu sei, dass seine Familie zum dritten Mal mit dem Tode bedroht worden wäre und deshalb illegal aus Afghanistan geflüchtet sei.

Es handle sich um dieselbe Bedrohung und wegen derselben Bedrohung sei seine Familie auch geflüchtet. Die Gründe hätten sich verschlimmert. Der Beschwerdeführer habe keine persönlichen Probleme mit Personen außer diesen und auch keine mit Gerichten oder dem Staat.

In Österreich habe der Beschwerdeführer weder einen Beruf noch eine Nebenbeschäftigung, sondern sei in der Grundversorgung und habe auch ca. 200 Euro Ersparnisse von einer Tätigkeit in der Küche. Konto gebe es keines. In Frankreich lebe ein Bruder, der auch Asylwerber sei, im Bundesgebiet gebe es keine Verwandten, keine Familiengemeinschaft und keine familienähnliche Lebensgemeinschaft.

Seit November 2015 befinde er sich im Bundesgebiet und habe sich dazwischen ca. 10 Monate in Frankreich aufgehalten. Der Beschwerdeführer habe Deutsch gelernt, A1 abgeschlossen und mehrere Integrationskurse besucht, er habe keine österreichischen Freunde, sei in keinen Vereinen tätig aber habe 2018 freiwillig in einem Heim mitgearbeitet.

Dem Beschwerdeführer wurde im Rahmen der Einvernahme die Möglichkeit eingeräumt, in die aktuellen Länderfeststellungen (Länderinformationsblatt) des Bundesamtees Einsicht und dazu Stellung zu nehmen.

Mit Verfahrensanordnung gemäß § 15b AsylG iVm § 7 Abs. 1 VwGVG vom 27.1.2020 wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass die Gründe für die am 17.12.2019 erlassene Anordnung der Unterkunftnahme nunmehr weggefallen seien und diese Anordnung mit sofortiger Wirkung aufgehoben werde.

Am 2.3.2020 langten beim Bundesamt nochmals die iranischen Impfpässe der Kinder des Beschwerdeführers sowie ein iranischer Mietvertrag und eine Bestätigung darüber, dass die Familie des Beschwerdeführers nunmehr im Iran lebt, ein.

Am 10.3.2020 langte beim Bundesamt eine "Bestätigung des Dorfvorstehers" zur vorgebrachten Blutrache ein.

Mit dem gegenständlichen Bescheid vom 9.4.2020 wurde der gegenständliche Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtliich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und des Staus des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt II.) und dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 15b Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer aufgetragen von "17.12.2020" (gemeint: 17.12.2019) bis 27.1.2020 in einem näher bezeichneten Quartier Unterkunft zu nehmen (Spruchpunkt VII.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG wurde gegen ihn ein auf die Dauer von 2 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Sprchpunkt VIII.).

Begründend wurde darin hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. ausgeführt, dass das neuerliche bzw. zusätzliche Vorbringen des Beschwerdeführers in modifizierter Form auf sein Vorbringen im Erstverfahren aufbaue, welches als nicht glaubhaft angesehen worden sei, und ebenso nicht der Wahrheit entspreche. Zusammenfassend habe der Beschwerdeführer keine konkrete Verfolgung oder sonstigen Umstände vorgebracht, welche bei einer Rückkehr in sein Heimatland eine tatsächliche Gefahr für sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit darstellen könnte.

Dagegen wurde fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang erhoben und die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt.

Begründend wurde zusammengefasst im Wesentlichen vorgebracht, im ersten Asylverfahren habe der Beschwerdeführer die Furcht vor Verfolgung durch die Taliban geltend gemacht, weil er und seine Cousins, die für die Regierung gearbeitet hätten, für ein Gefecht verantwortlich gemacht worden wären, bei dem einige Talib getötet worden seien. Im Folgeverfahren habe er jedoch einen völlig anderen Fluchtgrund genannt, nämlich, dass beim Begräbnis seines Großvaters "im Februar 2020" eine Feinschaft (Blutfehde) eskaliert wäre, man seine Familienangehörigen mit dem Tod bedroht habe und ein Befriedungsversuch durch die Jirga im November 2019 erfolglos geblieben sei, weshalb die Familienangehörigen in den Iran geflohen seien und der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in Folge von Blutrache bedroht wäre. Dieser Fluchtgrund sei nach dem Abschluss des erten Asylverfahrens entstanden und inhaltlich eine andersartige Verfolgungsgefahr.

Auch wurde moniert, dass das Bundesamt den in Wien aufhältigen beantragten Zeugen hätte einvernehmen müssen, weil dieser die Familienfehde aus eigener Wahrnehmung bestätigen könnte und deren Neuaufflammen durch telefonische Rücksprache mit seiner vor Ort lebenden Tante in Erfahrung gebracht habe. Im Übrigen habe die Behörde ein witeres vorgelegtes - und nunmehr nochmals angefügtes - Schreiben von Dorfältesten unberücksichtigt gelassen und die beantragte Vor-Ort-Recherche unterlassen.

Die Beschwerdevorlage langte beim Bundesverwaltungsgericht am 27.4.2020 ein.

Mit Beschluss vom 28.4.2020, GZ W154 2196555-2/2Z, erkannte das Bundesverwaltungsgericht diieser Beschwerde gemäß § 17 Abs. 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zu.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage beider Asylanträge des Beschwerdeführers, seiner Einvernahmen vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes und des Bundesamts, der bislang ergangenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid, der im Verfahren vorgelegten Schriftsätze sowie der Einsichtnahme in den Verwaltungsakt werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, sunnitischen Glaubens und gehört der Volksgruppe der Paschtunen an. Er stammt aus dem Distrikt Alishang, in der Provinz Laghman.

Eine maßgebliche Änderung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat seit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens über den ersten Antrg auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers kann ebensowenig festgestellt werden, wie eine maßgebliche Änderung der vom Beschwerdeführer bereits im Erstverfahren vorgebrachten Fluchtgründe.

Dem Beschwerdeführer könnte bei einer Rückkehr in die Herkunftsprovinz Laghman aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

Die Kernfamilie des Beschwerdeführers lebt zwar mittlerweile im Iran, in seiner Heimat halten sich jedoch nach wie vor zumindest noch zahlreiche Onkel und Tanten väter- bzw. mütterlicherseits auf. Weiters hat der Beschwerdeführer Freunde in der Provinzhauptstadt Mehtarlam und in Kabul, bei welchen er bereits mehrere Wochen Unterschlupf und Versorgung gefunden hat. Der Beschwerdeführer kann Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

Der Beschwerdeführer ist gesund, anpassungsfähig und kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen. Er hat seine Aussichten auf eine Arbeit in Kabul bei einer entsprechenden Sicherheitslage für aussichtsreich befunden (Erstverfahren) und erkärte nunmehr im Rahmen seiner Einvernahme am 24.1.2020: "Wenn ich Sicherheit gehabt hätte, könnte ich in Afghanistan arbeiten" und zudem nach Vorhalt des aktuellen Länderinformationsblattes, wenn er nicht gefährdet wäre, könnte er auch in anderen Provinzen leben.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Herat/Mazar-e Sharif kann der Beschwerdeführer grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in Herat/Mazar-e Sharif einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Herat/Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

Seit November 2015 befindet sich der Beschwerdeführer im Bundesgebiet und hielt sich nach Abschluss des Erstverfahrens ca. 10 Monate in Frankreich auf, wo er einen Asylantrag stellte. Am 17.12.2019 wurde er von dort nach Österreich überstellt.

In Österreich hat der Beschwerdeführer nach wie vor keine familiären, verwandtschaftlichen oder sozialen Anknüpfungspunkte und keine österreichischen Freunde. Er verzichtete zwar am 13.2.2020 auf Leistungen der Grundversorgung, ist jedoch nicht legal erwerbstätig und verfügt lediglich über Deutschkenntnisse auf dem Niveau A1. Er besuchte bereits vor Abschluss des Erstverfahrens mehrere Integrationskurse und arbeitete 2018 freiwillig in einem Heim mit. Der Beschwerdeführer ist in keinen Vereinen tätig.

Im Hinblick auf die derzeit bestehende Pandemie aufgrund des Corona-Virus wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer nicht unter die Risikogruppe der Personen von über 65 Jahren und der Personen mit Vorerkrankungen fällt. Ein bei einer Überstellung des Beschwerdeführers nach Afghanistan vorliegendes "real risk" einer Verletzung des Art. 2 oder 3 EMRK ist hierzu nicht erkennbar.

Zur Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers (Stand 13.11.2019):

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433. Die folgende Grafik der Staatendokumentation schlüsselt die sicherheitsrelevanten Vorfälle anhand ihrer Vorfallarten und nach Quartalen auf (BFA Staatendokumentation 4.11.2019):

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018

Die afghanische Regierung bemühte sich Wahllokale zu sichern, was mehr als 4 Millionen afghanischen Bürgern ermöglichte zu wählen (UNAMA 11.2018). Und auch die Vorkehrungen der ANDSF zur Sicherung der Wahllokale ermöglichten eine Wahl, die weniger gewalttätig war als jede andere Wahl der letzten zehn Jahre (USDOS 12.2018). Die Taliban hatten im Vorfeld öffentlich verkündet, die für Oktober 2018 geplanten Parlamentswahlen stören zu wollen. Ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl 2014 warnten sie Bürger davor, sich für die Wahl zu registrieren, verhängten "Geldbußen" und/oder beschlagnahmten Tazkiras und bedrohten Personen, die an der Durchführung der Wahl beteiligt waren (UNAMA 11.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Von Beginn der Wählerregistrierung (14.4.2018) bis Ende des Jahres 2018, wurden 1.007 Opfer (226 Tote, 781 Verletzte) sowie 310 Entführungen aufgrund der Wahl verzeichnet (UNAMA 24.2.2019). Am Wahltag (20.10.2018) verifizierte UNAMA 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) durch Wahl bedingte Gewalt. Die höchste Anzahl an zivilen Opfern an einem Wahltag seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNAMA im Jahr 2009 (UNAMA 11.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019):

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) - Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub - Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).

Berichten zufolge, besteht der ISKP in Pakistan hauptsächlich aus ehemaligen Teherik-e Taliban Mitgliedern, die vor der pakistanischen Armee und ihrer militärischen Operationen in der FATA geflohen sind (CRS 12.2.2019 ;vgl. CTC 12.2018). Dem Islamischen Staat ist es gelungen, seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan dadurch zu stärken, dass er Partnerschaften mit regionalen militanten Gruppen einging. Seit 2014 haben sich dem Islamischen Staat mehrere Gruppen in Afghanistan angeschlossen, z.B. Teherik-e Taliban Pakistan (TTP)-Fraktionen oder das Islamic Movement of Uzbekistan (IMU), während andere ohne formelle Zugehörigkeitserklärung mit IS-Gruppierungen zusammengearbeitet haben, z.B. die Jundullah-Fraktion von TTP oder Lashkar-e Islam (CTC 12.2018).

Der islamische Staat hat eine Präsenz im Osten des Landes, insbesondere in der Provinz Nangarhar, die an Pakistan angrenzt (CRS 12.2.2019 ;vgl. CTC 12.2018). In dieser sind vor allem bestimmte südliche Distrikte von Nangarhar betroffen (AAN 27.9.2016; vgl. REU 23.11.2017; AAN 23.9.2017; AAN 19.2.2019), wo sie mit den Taliban um die Kontrolle kämpfen (RFE/RL 30.10.2017; vgl. AAN 19.2.2019). Im Jahr 2018 erlitt der ISKP militärische Rückschläge sowie Gebietsverluste und einen weiteren Abgang von Führungspersönlichkeiten. Einerseits konnten die Regierungskräfte die Kontrolle über ehemalige IS-Gebiete erlangen, andererseits schwächten auch die Taliban die Kontrolle des ISKP in Gebieten in Nangarhar (UNSC 13.6.2019; vgl. CSR 12.2.2019). Aufgrund der militärischen Niederlagen war der ISKP dazu gezwungen, die Anzahl seiner Angriffe zu reduzieren. Die Gruppierung versuchte die Provinzen Paktia und Logar im Südosten einzunehmen, war aber schlussendlich erfolglos (UNSC 31.7.2019). Im Norden Afghanistans versuchten sie ebenfalls Fuß zu fassen. Im August 2018 erfuhr diese Gruppierung Niederlagen, wenngleich sie dennoch als Bedrohung in dieser Region wahrgenommen wird (CSR 12.2.2019). Berichte über die Präsenz des ISKP könnten jedoch übertrieben sein, da Warnungen vor dem Islamischen Staat laut einem Afghanistan-Experten "ein nützliches Fundraising-Tool" sind: so kann die afghanische Regierung dafür sorgen, dass Afghanistan im Bewusstsein des Westens bleibt und die Auslandshilfe nicht völlig versiegt (NAT 12.1.2017). Die Präsenz des ISKP konzentrierte sich auf die Provinzen Kunar und Nangarhar. Außerhalb von Ostafghanistan ist es dem ISKP nicht möglich, eine organisierte oder offene Präsenz aufrechtzuerhalten (UNSC 13.6.2019).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit (CSR 12.2.2019; vgl. UNAMA 24.2.2019; AAN 24.2.2019; CTC 12.2018; UNGASC 7.12.2018; UNAMA 10.2018). Im Jahr 2018 war der ISKP für ein Fünftel aller zivilen Opfer verantwortlich, obwohl er über eine kleinere Kampftruppe als die Taliban verfügt (AAN 24.2.2019). Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt (UNAMA 24.2.2019), nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab (UNAMA 30.7.2019).

Der ISKP verurteilt die Taliban als "Abtrünnige", die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CRS 12.2.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.8.2019; vgl. AP 19.8.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.8.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (WP 19.8.2019).

Al-Qaida und ihr verbundene Gruppierungen

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont (UNSC 15.1.2019). Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv (UNSC 13.6.2019).

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder (UNSC 13.6.2019).

Im Rahmen der Friedensgespräche mit US-Vertretern haben die Taliban angeblich im Jänner 2019 zugestimmt, internationale Terrorgruppen wie Al-Qaida aus Afghanistan zu verbannen (TEL 24.1.2019).

Quellen:

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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