TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/10 W108 2161746-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.07.2020
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Entscheidungsdatum

10.07.2020

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W108 2161742-1/12E
W108 2161746-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. BRAUCHART über

die Beschwerde

von 1. XXXX , geb. XXXX , und 2. XXXX , geb. XXXX , beide Staatsangehörigkeit: Syrien, 1. vertreten durch 2., beide vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 01.06.2017, 1. Zl. 15-1088970710-151434389/BMI-BFA_KNT_AST_01_TEAM_01, 2. Zl. 15-1088970405-151434375, wegen Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX sowie XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG (iVm § 34 Abs. 2 AsylG und § 34 Abs. 4 AsylG) der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG jeweils nicht zulässig.

Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Vorbringen:

1. Zweitbeschwerdeführerin, eine Staatsangehörige Syriens, begehrte gemeinsam mit ihrem minderjährigen Sohn (Erstbeschwerdeführer) mit Antrag vom 25.09.2015, ihnen internationalen Schutz nach dem AsylG 2005 (AsylG) zu gewähren (in der Folge auch Asylantrag). Sie waren gemeinsam mit der Schwester der Zweitbeschwerdeführerin, deren Ehemann und Tochter nach Österreich gereist.

Zu diesen Anträgen gab die Zweitbeschwerdeführerin zum Fluchtgrund und zur Rückkehrgefährdung bei der Erstbefragung an, sie sei im September 2015 legal mit Reisepass aus Syrien ausgereist. Im September 2014 sei sie darüber informiert worden, dass ihr Ehemann und Vater ihres mitgereisten Sohnes entführt worden sei. Von wem er entführt worden sei, wisse sie nicht. Ihr Wohnort sei vor drei Jahren vom Assad-Regime übernommen worden. Nach der Entführung habe sie Angst bekommen und ihren Sohn beschützen wollen, deswegen sei sie gemeinsam mit ihrer Schwester und ihrem Schwager aus Syrien geflüchtet.

In der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht) erstattete die Zweitbeschwerdeführerin im Beisein eines Dolmetschers und einer Vertrauensperson XXXX , im Wesentlichen folgendes Vorbringen:

Sie habe in XXXX (im Folgenden: H.) gelebt und sie sei Araberin und Sunnitin. Ihr Ehemann habe in einer XXXX firma in XXXX (im Folgenden: P.) gearbeitet und sei auf dem Weg von der Arbeit nach Hause entführt worden und noch immer vermisst. Die Straße von P. sei von Daesh (vom Islamischen Staat, IS) übernommen worden. Vermutlich sei ihr Ehemann von Daesh entführt worden, sie denke aber, dass es die Regierung gewesen sei. Sie hätte Angst vor einer weiteren Entführung gehabt. Sie habe ihren Sohn wegen der Angst einer Entführung in die Schule und nach Hause begleitet. Sie hätten die Entführung bei der Polizei angezeigt, diese hätte aber nichts unternommen, obwohl sie drei Mal bei der Polizei nachgefragt habe. Ihr Bruder habe in allen Krankenhäusern vergeblich nach ihrem Ehemann gesucht. Nach der Entführung ihres Mannes habe sie gewartet, ob sie etwas von ihrem Mann höre, und sie habe ihrem Sohn, so gut es gegangen sei, die Schule ermöglicht. Sie habe auch immer vor der Rekrutierung ihres Sohn Angst gehabt, da er sehr schnell gewachsen sei. Als Daesh Richtung H. vormarschiert sei, habe sie beschlossen, Syrien zu verlassen. Sie sei im September 2015 aus Syrien ausgereist. Sie wolle nicht mehr nach Syrien zurück, ihr Ehemann sei entführt worden und es werde sich wiederholen.

2. Mit dem nunmehr vor dem Bundesverwaltungsgericht bekämpften Bescheiden wies die belangte Behörde den Antrag der beschwerdeführenden Parteien hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (jeweils Spruchpunkt I.). Mit diesen Bescheiden wurde den Anträgen jedoch dahingehend Folge gegeben, dass den beschwerdeführenden Parteien der Status von subsidiär Schutzberechtigten (rechtskräftig) zuerkannt und ihnen eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt wurde (Spruchpunkte II. und III.).

Die belangte Behörde ging davon aus, dass die beschwerdeführenden Parteien in Syrien nicht persönlich bedroht und verfolgt worden seien. Die angegebene Entführung des Ehemannes/Vaters der beschwerdeführenden Parteien (im September 2014) hätte keine nachvollziehbare Relevanz für deren Ausreise (im September 2015) gehabt, zumal die beschwerdeführenden Parteien angegeben hätten, dass in diesem Jahr keine Verfolgung und Bedrohung stattgefunden hätte und dem Erstbeschwerdeführer so lange wie möglich der Schulbesuch ermöglicht hätte werden sollen. Überdies seien die beschwerdeführenden Parteien legal aus Syrien ausgereist.

3. Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides (Versagung des Asylstatus) richtet sich die fristgerecht eingebrachte gemeinsame Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG, in welcher ausgeführt wurde, die beschwerdeführenden Parteien hätten ihre Heimat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung durch das Assadregime verlassen, da der Ehemann/Vater von diesem Regime entführt worden sei. Es sei davon auszugehen, dass dieser in Gefangenschaft gestorben sei. Die Zweitbeschwerdeführerin habe aktiv nach ihrem Ehemann gesucht und habe auch den Behördenweg nicht gescheut, bei der lokalen Polizeistelle sei ihr gedroht worden, man würde sie in Haft nehmen, falls sie weitere Nachforschungen nach ihrem Ehemann nicht unterlasse. Von syrischen Militärangehörigen sei ihr die Vergewaltigung angedroht worden, als sie bei diesen nach ihrem Ehemann gefragt habe. Es sei ihr nahezu unmöglich gewesen, als Frau mit einem Kind alleine in Syrien zu leben. Die Flucht sei ihr im September 2015 nur deshalb gelungen, weil Bekannte von ihr ebenfalls geflohen seien. Überdies werde die Familie der beschwerdeführenden Parteien in letzter Zeit mehrmals von der syrischen Polizei besucht, die Polizei würde sich nach der Zweitbeschwerdeführerin erkundigen. Außerdem sei das Haus der Familie von einem Bombenschlag vollständig zerstört worden. Da oftmals der Grund von Entführungen und Drohungen in der Funktion bzw. in der Berufstätigkeit des Opfers gelegen sei, erscheine es glaubwürdig, dass die Arbeit des Ehemannes/Vaters der beschwerdeführenden Parteien in einer XXXX firma das Interesse des syrischen Staates auf sich ziehen habe können. Die beschwerdeführenden Parteien seien daher als Familienangehörige einer Reflexverfolgung ausgesetzt.

4. Die belangte Behörde machte von der Möglichkeit der Beschwerdevorentscheidung nicht Gebrauch und legte die Beschwerde samt den bezughabenden Akten der Verwaltungsverfahren zur Entscheidung vor.

5. In einer Beschwerdeergänzung brachte die Zweitbeschwerdeführerin ein Foto ihres Sohnes, des Erstbeschwerdeführers, zum Beweis für sein nicht alterstypisches Erscheinungsbild in Vorlage und brachte dazu vor, da der Erstbeschwerdeführer älter aussehe, als er tatsächlich sei, würde er mit hoher Wahrscheinlichkeit im Falle einer Rückkehr nach Syrien zum syrischen Militär einberufen bzw. rechtswidrig eingezogen werden.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Sache der beschwerdeführenden Parteien eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher diese sich persönlich beteiligten. Beweis erhoben wurde ua. durch Einvernahme der Zweitbeschwerdeführerin als Partei und XXXX als Zeugin, Erörterung der vorgelegten Beweismittel und von Länderberichten zur Situation in Syrien.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab an, sie sei auf der Polizeistation, als sie dort nach ihrem Mann gefragt habe, von einem Beamten verbal sexuell belästigt worden, er habe sie sogar ins Zimmer mitgenommen, sie sei jedoch von einem anderen Beamten verteidigt worden, sodass sie die Polizeistation habe verlassen können. Das Militär am Kontrollposten hätte ihr auch viele Sachen gesagt, die ihr unangenehm gewesen seien. Man habe ihr gedroht, sie festzunehmen und sie zu vergewaltigen. Nach dieser Drohung habe sie nicht mehr nach ihrem Ehemann gefragt. Sie habe bei der Einvernahme im behördlichen Verfahren Angst gehabt, dass ihr Sohn von der sexuellen Belästigung erfährt. Es sei ihr auch unangenehm gewesen, einem männlichen Dolmetscher so etwas zu erzählen. Sie seien illegal aus Syrien ausgereist. Sie habe bereits im behördlichen Verfahren erwähnt, dass sie mit ihrem Mann an Demonstrationen gegen die syrische Regierung teilgenommen habe, die syrische Regierung zu ihren Eltern gekommen sei und nach ihr gefragt habe. Im Jahr 2015 sei drei Mal in der Wohnung ihrer Eltern nach ihr gesucht worden, das letzte Mal ca. eine Woche vor ihrer Ausreise. Die Behörde habe eine befreundete Lehrerin in der Schule festgenommen. Die syrische Regierung suche noch immer nach ihr, auch nachdem sie das Land verlassen habe, sei nach ihr gefragt worden. Die syrische Regierung habe Interesse an ihrer Person, weil sie in Syrien an Demonstrationen teilgenommen habe und sie sich immer negativ gegen die syrische Regierung äußere, das mache sie auch in Österreich. So habe sie in einem Deutschkurs ihre vom syrischen Regime abweichende politische Meinung gesagt, was zu einem Streit mit im Deutschkurs anwesenden Unterstützern des Assad-Regimes geführt habe. Auch ihre Schwester hätte das Land verlassen, weil sie belästigt worden sei. Wahrscheinlich hätte die syrische Regierung ihren Ehemann entführt, weil er an Demonstrationen teilgenommen und über WhatsApp gegen die syrische Regierung geschimpft habe. Das Gebiet, wo ihr Mann gearbeitet habe und wo er verschwunden sei, sei unter der Kontrolle der syrischen Regierung gestanden. Die berufliche Tätigkeit ihres Ehemannes hätte mit seiner Entführung nichts zu tun. In Syrien lebe nur mehr ihre Schwester, die ihre mittlerweile verstorbene Mutter gepflegt habe. Die Schwester wolle Syrien auch verlassen. Ihr Neffe, der Sohn der Schwester, die in Österreich sei, sei von der syrischen Regierung festgenommen worden. Seither wüssten sie nichts mehr über ihn. Sie hätte in H. im Jahr 2011 fünf Mal an friedlichen Demonstrationen gegen die Regierung teilgenommen. Ein Nachbar habe ihr ca. im Jahr 2011 erzählt, dass er von einem Freund, der für den syrischen Geheimdienst arbeite, erfahren habe, dass ihr Name auf einer Liste stehe. Ihr Sohn sei jetzt groß und sie habe Angst um ihn, dass er wegen ihr inhaftiert werde. Er sehe jetzt wie ein junger Mann aus. Er könnte auch an einem Checkpoint kontrolliert werden.

XXXX , deren Vernehmung als Zeugin zum Beweis dafür beantragt wurde, dass die Zweitbeschwerdeführerin bei der Befragung vor dem Bundesamt aufgewühlt gewesen sei und deshalb die Befragung nicht vollständig durchgeführt worden sei, sagte aus, sie sei bei der Einvernahme der Zweitbeschwerdeführerin durch die Behörde als Begleitperson der Zweitbeschwerdeführerin anwesend gewesen. Die Zweitbeschwerdeführerin sei in einem aufgelösten Zustand gewesen. Ihr aufgelöster Zustand hätte sich durch diverse Fragen bei der Vernehmung ergeben, es seien Fragen zu ihrer Flucht und im Zusammenhang mit ihrem Ehemann, zu dessen Entführung, gestellt worden. Die Einvernahme sei relativ früh abgebrochen worden, um die Zweitbeschwerdeführerin nicht weiter zu belasten. In diesem Sinne sei auch vom Leiter der Einvernahme formuliert worden, dass er sehe, dass die Zweitbeschwerdeführerin aufgewühlt sei, und er sie dazu nicht weiter befragen werde. Sie hätte das nicht als Abbruch der Vernehmung gewertet, sondern als Verkürzung, um die Zweitbeschwerdeführerin nicht weiter zu belasten. Es seien dann allgemeinere Fragen gestellt worden. Sie hätte den Eindruck gehabt, dass die Zweitbeschwerdeführerin die Möglichkeit gehabt hätte, alle ihre Fluchtgründe vorzubringen, allerdings habe sie sich mehr auf den Sohn bezogen, weniger auf sich selbst. Die Zeugin könne sich erinnern, dass die Zweitbeschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen ausgesagt habe, sie hätte Angst um ihren Sohn, weil er den Schulweg bewältigen habe müssen, sie hätte Angst vor Entführungen. Die Zweitbeschwerdeführerin hätte ausgesagt, sie hätte wegen der Entführung ihres Ehemannes die Behörde aufgesucht und nach ihrem Ehemann gefragt und es sei ihr angedroht worden, sie solle weitere Nachfragen nach ihrem Ehemann unterlassen. Sie könne sich nicht erinnern, dass die Zweitbeschwerdeführerin angesprochen hätte, dass ihr von der Behörde anderes angedroht worden wäre und dass nach ihr gesucht worden wäre. Über ihr politischen Engagement habe die Zweitbeschwerdeführerin nicht berichtet. Sie habe sich dahingehend geäußert, dass ihr Mann etwas gegen das Regime gesagt/gemacht bzw. dass ihr Mann irgendwo gearbeitet hätte und dass das dem Regime nicht gefallen hätte. Die Zweitbeschwerdeführerin habe in der Verhandlung betont, dass sie, sie und ihr Ehemann, nicht regimetreu seien. An eine Aussage der Zweitbeschwerdeführerin, dass sie selbst an Demonstrationen teilgenommen hätte, könne sich die Zeugin nicht erinnern. Die Zweitbeschwerdeführerin hätte angegeben, es sei davon auszugehen sei, dass ihr Mann vom Regime entführt worden sei. Ob die Zweitbeschwerdeführerin Unvollständigkeit der Niederschrift gerügt hätte, könne ich nicht sagen. Die Zweitbeschwerdeführerin hätte dem Dolmetscher gesagt, sie hätte vieles so nicht gesagt und sie wolle es geändert haben. Es sei dann etwas geändert worden, aber die Zeugin hätte auch den Eindruck gehabt, dass noch ein paar Sachen aufzunehmen gewesen wären. Die Zweitbeschwerdeführerin hätte ihr gesagt, dass sie gewisse Sachen nicht habe sagen können. Nach der Vernehmung habe es viele Tränen bei ihr gegeben. Sie hätte gemeint, es müsse mehr auf ihren Sohn abgestellt werden, weil er schon viel älter aussehe und die Angst, dass er rekrutiert werde, damals schon sehr groß gewesen sei.

Die Zweitbeschwerdeführerin legte in der Folge eine Bestätigung einer Fachärztin für Psychiatrie vom 22.10.2019 vor, wonach sich die Zweitbeschwerdeführerin in regelmäßiger psychiatrischer Behandlung befinde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Es wird von den Darlegungen oben unter Punkt I. zum Verfahrensgang und Vorbringen ausgegangen.

Die Zweitbeschwerdeführerin ist die Mutter des im Entscheidungszeitpunkt 14 Jahre alten Erstbeschwerdeführers, der jedoch wesentlich älter aussieht. Sie sind beide Staatsangehörige Syriens, Araber und Sunniten und lebten mit dem Ehemann/Vater in Syrien in H./Stadtteil XXXX .

Die Stadt H. war eine der Hochburgen der Aufstandsbewegung (von Protesten) gegen das syrische Regime und des Bürgerkrieges, Stadtteile von H., so auch der Stadtteil, in dem die beschwerdeführenden Parteien gelebt haben, wurden (zeitweise) von oppositionellen bewaffneten Gruppierungen/Rebellen (Gegnern des Assad-Regimes) kontrolliert. H. war deshalb Ziel massiver Angriffe der syrischen Armee und der syrischen Geheimdienste und steht aktuell wieder unter der Kontrolle der syrischen Regierung/Armee.

Der Ehemann/Vater der beschwerdeführenden Parteien, der bei einer XXXX firma in P. arbeitete, nahm an den Protesten/Demonstrationen gegen die syrische Regierung in H. teil und kritisierte die syrische Regierung über einen Internet-Messenger-Dienst. Er wurde im September 2014 auf den Weg von der Arbeit, vermutlich von der syrischen Regierung, die damals das Gebiet kontrollierte, entführt und ist seither vermisst. Nachfragen/Nachforschungen der Zweitbeschwerdeführerin und anderer Familienmitglieder bei der syrischen Polizei, beim Militär und in Krankenhäusern blieben ergebnislos. Die Zweitbeschwerdeführerin wurde bei Erkundigungen nach ihrem Ehemann von Behördenorganen (sexuell) belästigt und mit der Verhaftung bedroht. Im September 2015 ist die Zweitbeschwerdeführerin gemeinsam mit ihrem Sohn und ihrer Schwester, deren Ehemann und Tochter, die ebenfalls in H. lebten, illegal aus Syrien ausgereist und seither nicht mehr dorthin zurückgekehrt.

Am 25.09.2015 stellten die beschwerdeführenden Parteien und die genannten mitgereisten Verwandten in Österreich Anträge auf internationalen Schutz. Den beschwerdeführenden Parteien wurde der Status von subsidiär Schutzberechtigten von der belangten rechtskräftig zuerkannt. Sie sind strafrechtlich unbescholten. Den mitgereisten Angehörigen der beschwerdeführenden Parteien (Schwester, Schwager und Nichte der Zweitbeschwerdeführerin) wurde in Österreich der Staus von Asylberechtigten von der belangten Behörde rechtskräftig zuerkannt. Der Sohn der Schwester der Zweitbeschwerdeführerin wurde nach der Ausreise der Zweitbeschwerdeführerin bzw. ihrer Schwester in Syrien von Soldaten der syrischen Regierung festgenommen, seither ist über sein Schicksal nichts bekannt. Aktuell lebt nur noch eine Schwester der Beschwerdeführerin in Syrien, die Syrien aber ebenfalls verlassen will. In Syrien wäre die Zweitbeschwerdeführerin eine alleinstehende Frau, der Erstbeschwerdeführer ein Kind ohne männlichen Schutz.

Die Zweitbeschwerdeführerin ist (bzw. war wie ihr Ehemann bereits in Syrien) keine Anhängerin der syrischen Regierung und des Präsidenten Assad. Sie lehnt eine Unterstützung der syrischen Regierung, insbesondere auch die Teilnahme ihres Sohnes im bewaffneten Konflikt an der Seite der syrischen Regierung, ab. Sie übt in Österreich offen Kritik am Assad-Regime, auch gegenüber Unterstützern des Assad-Regimes, wodurch es zu einem Streit zwischen ihr und Anhängern des Assad-Regimes gekommen ist.

Die beschwerdeführenden Parteien sind aktuell gefährdet, in Syrien asylrelevant in das Blickfeld der syrischen Regierung zu geraten als politische Gegner wahrgenommen und/oder im Wege der Sippenhaft in Anspruch genommen zu werden und/oder nicht mehr in ihren Herkunftsort H. zurückkehren zu dürfen. Sie sind ohne (männliche) Familienangehörige in Syrien schutzlos und in ihrer Lebensführung gravierend beeinträchtigt. Dem Erstbeschwerdeführer droht die zwangsweise Rekrutierung durch die syrische Regierung sowie sein Einsatz im bewaffneten Konflikt in Syrien. Der Erstbeschwerdeführer will den Militärdienst für die syrische Regierung nicht leisten. Die beschwerdeführenden Parteien drohen in Syrien schwere Menschenrechtsverletzungen.

1.2. Hinsichtlich der Lage in Syrien:

Politische Lage/Sicherheitslage

Gebiete unter Regierungskontrolle inkl. Damaskus und Umland, Westsyrien

Seit Mai 2018 hat sich die allgemeine Sicherheitslage in den von der Regierung kontrollierten Gebieten Syriens, darunter finden sich auch die wichtigsten Städte wie Lattakia, Homs, Hama, Tartous und Damaskus, deutlich verbessert. Im Allgemeinen kam es im Vergleich mit den Zahlen vor Juli 2018 zu einem signifikanten Rückgang der militärischen Auseinandersetzungen und der sicherheitsrelevanten Vorfälle in von der Regierung kontrollierten Gebieten. Die Situation bleibt in einigen Gegenden jedoch angespannt, wie im Osten der Provinz Lattakia, im Westen der Provinz Aleppo und im Norden der Provinz Hama. In Bezug auf die Art der sicherheitsrelevanten Vorfälle gibt es Berichte von Beschuss, bewaffneten Zusammenstößen, Entführungen sowie Explosionen von Kampfmittelresten.

Die Küstenregion wurde im Großen und Ganzen vom militärischen Konflikt verschont. Der Norden sieht sich gleichwohl mit einem gelegentlichen „Spillover“ von Idlib aus konfrontiert. So gibt es aktuell im ländlichen Lattakia Auseinandersetzungen zwischen syrischer Armee und Rebellen. In den größeren Städten und deren Einzugsgebieten wie Damaskus und Homs stellt sich die Sicherheitslage als relativ stabil dar, auch wenn es immer wieder zu gezielten Anschlägen zumeist auf regierungsnahe Personen kommt.

Die Regierung besitzt nicht die nötigen Kapazitäten, um alle von ihr gehaltenen Gebiete auch tatsächlich zu kontrollieren. Daher greift die Regierung auf unterschiedliche Milizen zurück, um manche Gegenden und Checkpoints in Aleppo, Lattakia, Tartous, Hama, Homs und Deir ez-Zour zu kontrollieren. Es gibt auch Berichte, wonach es in einigen Gebieten zu Zusammenstößen sowohl zwischen den unterschiedlichen Pro-Regierungs-Milizen als auch zwischen diesen und Regierungstruppen gekommen ist.

In den ersten Monaten des Jahres 2018 erlebte Ost-Ghouta, nahe der Hauptstadt Damaskus, die heftigste Angriffswelle der Regierung seit Beginn des Bürgerkrieges. Mitte April 2018 wurde die Militäroffensive der syrischen Armee auf die Rebellenenklave von Seiten der russischen Behörden und der syrischen Streitkräfte für beendet erklärt. Ende Mai 2018 zogen sich die letzten Rebellen aus dem Großraum Damaskus zurück, wodurch die Hauptstadt und ihre Umgebung erstmals wieder in ihrer Gesamtheit unter der Kontrolle der Regierung standen. Seitdem hat sich die Sicherheitslage in Damaskus und Damaskus-Umland (Rif Dimashq) deutlich verbessert. Im Januar kam es zu zwei Bombenanschlägen in Damaskus Stadt. Einem in der Nähe eines Büros des Militärischen Nachrichtendienstes im Süden mit mehreren Todesopfern, und einem mittels einer Autobombe in der Nähe der russischen Botschaft mit Verletzten. Einer internationalen humanitären Organisation zufolge ist es weniger wahrscheinlich, dass Angriffe dieser Art in Damaskus (im Gegensatz zu anderen großen Städten) passieren, weil die Hauptstadt durch Sicherheitskräfte schwer bewacht ist.

Seit 2012 führte Israel dutzende Luftschläge auf syrischem Staatsgebiet durch, hauptsächlich auf Orte oder Konvois in der Nähe der libanesischen Grenze, die mit Waffenlieferungen an die Hizbollah in Verbindung stehen, bzw. generell auf iranische Ziele und Ziele mit dem Iran verbündeter Milizen. Es soll etwa ein bis zweimal im Monat zu Angriffen der israelischen Luftwaffe auf Ziele in der Provinz Damaskus kommen. Bis Ende Januar 2019 äußerte sich die israelische Armee nicht oder nur selten und erst nach einiger Zeit über Spekulationen zu Luftangriffen auf syrischem Staatsgebiet, für die die israelische Armee verantwortlich sein soll. Ende Januar berichteten die israelischen Streitkräfte beinahe zeitgleich über einen Angriff auf iranische Ziele in Syrien. Laut dem pensionierten Generalstabsschef der israelischen Streitkräfte Gadi Eisenkot hätte Israel sogar tausende Luftangriffe durchgeführt. Seit 2017 soll es nahezu täglich zu israelischen Angriffen kommen. Im Jahr 2018 wurden demnach 2.000 Bomben abgeworfen. Syrischen Staatsmedien zufolge wurden Anfang Juli 2019, bei israelischen Luftangriffen nahe der Hauptstadt Damaskus und in der Provinz Homs, vier Zivilisten getötet und 21 Personen verletzt.

Versöhnungsabkommen

Die sogenannten Versöhnungsabkommen sind Vereinbarungen, die ein Gebiet, das zuvor unter der Kontrolle einer oppositionellen Gruppierung stand, offiziell wieder unter die Kontrolle des Regimes bringen. Der Abschluss der sogenannten „Reconciliation Agreements“ folgt in der Regel einem Muster, das mit realer Versöhnung wenig gemeinsam hat. Die Regierung bietet, meist nach schwerem Beschuss oder Belagerung, ein Versöhnungsabkommen an, das an verschiedene Bedingungen geknüpft ist. Diese Bedingungen unterscheiden sich von Abkommen zu Abkommen. Zivilisten bzw. Kämpfer können in den Gebieten bleiben oder jene, die sich nicht den Bedingungen der Vereinbarung unterwerfen wollen, können mit ihren Familien nach Idlib oder in andere von der Opposition kontrollierte Gebiete evakuiert werden. Die übrigen Personen können 6 Monate lang eine Amnestie nutzen und können sich in dieser Zeit stellen, um den Militärdienst abzuleisten. Die Wehrpflicht war bisher meist ein zentraler Bestandteil der Versöhnungsabkommen. Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt werden, sondern stattdessen bei der örtlichen Polizei eingesetzt werden, oder dass sich Personen verpflichten müssen, der Regierung z.B. für Spionage zur Verfügung zu stehen.

Im Rahmen von Versöhnungsvereinbarungen gemachte Garantien der Regierung, gegenüber Individuen oder Gemeinschaften, werden jedoch nicht eingehalten. Glaubhafte Berichte von Organisationen aus zuletzt zurückeroberten Gebieten wie Dara‘a im südlichen Syrien und Ost-Ghouta nahe Damaskus sprechen von Verhaftungen sowie Zwangsrekrutierungen ehemaliger Oppositionskämpfer binnen kurzer Zeit. Berichten zufolge sind Personen in Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien oft zurückhaltend über die Situation in diesen Gebieten zu berichten.

Wehrdienst/Rekrutierung

Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von 18 oder 21 Monaten gesetzlich verpflichtend. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines freiwilligen Militärdienstes.

Rekrutierung von Minderjährigen

Einige Quellen berichten, dass Regierungseinheiten, Pro-Regime-Milizen, bewaffnete nichtstaatliche Gruppen, inklusive der Freien Syrischen Armee (FSA) und mit dieser verbündete Gruppen, kurdische Einheiten und islamistische Gruppen in Syrien Minderjährige als Kindersoldaten rekrutieren. Andere Quellen berichten jedoch davon abweichend, dass es zwar Minderjährige gibt, die in den Rängen von regierungstreuen Milizen kämpfen, jedoch die syrische Armee keine Minderjährigen rekrutiert oder einsetzt.

Die syrische Armee hat durch Verluste, Desertion und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen.

Aktuell ist ein „Herausfiltern“ von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints weit verbreitet.

Opposition/Zuschreibung einer oppositionellen Gesinnung

Bestimmte Personen werden aufgrund ihrer politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen oder ihnen wird auf andere Weise Schaden zugefügt. Aber die Konfliktparteien wenden Berichten zufolge breitere Auslegungen an, wen sie als der gegnerischen Seite zugehörig betrachten. Diese basieren z.B. auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in einem bestimmten Gebiet, das als „regierungsfreundlich“ oder „regierungsfeindlich“ gilt.

Eine sich verstärkende Besonderheit des Konflikts in Syrien ist der Umstand, dass – auch - die syrische Regierung als Konfliktpartei oftmals größeren Personengruppen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung unterstellt. Die Annahme, dass eine Person eine bestimmte politische Meinung hat, oder eine bestimmte Konfliktpartei unterstützt, basiert oft nur auf wenig mehr als der physischen Anwesenheit dieser Person in einem bestimmten Gebiet oder ihrer Abstammung aus diesem Gebiet oder auf ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund oder ihrer Stammeszugehörigkeit.

Personen, die tatsächlich oder vermeintlich regierungsfeindliche Ansichten haben

Einwohner Syriens, die tatsächlich oder vermeintlich regierungskritische politische Ansichten im weitesten Sinne haben, sind als Personen anzusehen, die gefährdet sind durch die Regierung verfolgt zu werden. Es liegen schon seit längerem Berichte darüber vor, dass die syrische Regierung politischen Dissens durch Einschüchterung, Überwachung und Inhaftierung von politischen Aktivisten, Journalisten, Schriftstellern und Intellektuellen unterdrückt. Auf die im März 2011 aufkommenden Protestbewegungen und die sich anschließenden bewaffneten Aufstände, reagierten die Regierung und regierungsfreundliche Kräfte, wie aus Berichten hervorgeht, mit massiver Unterdrückung und Gewalt. Die Regierung wendet, wie berichtet wird, bei der Beurteilung von politischem Dissens sehr breite Kriterien an: jegliche Kritik, Opposition oder sogar unzureichende Loyalität der Regierung gegenüber, wie auch immer ausgedrückt – friedlich oder gewalttätig, organisiert oder spontan, im Rahmen einer politischen Partei, bewaffneten Gruppe oder individuell, virtuell im Internet oder im bewaffneten Konflikt – führte Berichten zufolge zu schweren Vergeltungsmaßnahmen für die betreffenden Personen. Es wurde berichtet, dass zahlreiche Protestteilnehmer, Aktivisten, Wehrdienstentzieher, Deserteure, Laienjournalisten, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, Ärzte und andere Personen, denen regierungsfeindliche Haltungen zugeschrieben wurden, willkürlich verhaftet, in incommunicado Haft genommen, gefoltert oder anderen Misshandlungen ausgesetzt, oder Opfer von extralegalen oder Massenhinrichtungen wurden. Gegen zahlreiche Personen wurden Berichten zufolge Strafverfahren gemäß dem Terrorbekämpfungsgesetz (Gesetz Nr. 19 vom 2. Juli 2012) durchgeführt. Das Gesetz sieht schwere Strafen – von langjährigen Haftstrafen bis hin zur Todesstrafe – für Personen vor, bei denen festgestellt wird, dass sie „terroristische“ Handlungen begangen haben. „Terrorismus“ ist vage und mit sehr weiten Begriffen in den Gesetzen definiert, die viel Raum für Strafverfolgung wegen zahlreicher unterschiedlicher Aktivitäten bieten, einschließlich Teilnahme an Protesten, Äußerungen in sozialen Medien, Bereitstellung humanitärer Hilfsdienste, Schmuggeln von Arzneimitteln und Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen. Berichten ist zu entnehmen, dass die meisten Häftlinge nie förmlich angeklagt werden. Gegen tausende Zivilisten wurden Berichten zufolge von Strafgerichten, dem Antiterrorismus-Gericht in Damaskus und militärischen Feldgerichten Strafverfahren durchgeführt, die gegen die internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren verstoßen. In der Regel gingen den Verfahren monatelange Untersuchungshaft in Einrichtungen der Sicherheitsdienste und erzwungene Geständnisse voraus. Es wird berichtet, dass die Strafen für jene Personen, die vor Gericht gestellt und verurteilt wurden, auch dann hart sind, wenn die fraglichen Aktivitäten selbst friedlich waren. Wie aus Berichten hervorgeht, überwacht die Regierung Korrespondenz, Online-Aktivitäten und politische Zusammenkünfte. Die Regierung hört Berichten zufolge mit Hilfe von entsprechender Ausrüstung Gespräche ab, installiert Spysoftware auf den Computern von Aktivisten, blockiert Textnachrichten und ortet Mobil- und Satellitentelefone. Aus Berichten geht hervor, dass die Online-Überwachung zu willkürlichen Verhaftungen, incommunicado Haft, Folter und Tötungen von zahlreichen politischen Dissidenten, Aktivisten, Laienjournalisten und anderen Personen geführt hat. Zahllose Personen wurden Berichten zufolge inhaftiert, nachdem sie über soziale Medien Fotos oder Videos, die regierungskritische Proteste oder Aufstände unterstützen, weitergeleitet, positiv bewertet oder kommentiert hatten. Wie berichtet wird, hackt die seit April 2011 bestehende so genannte Syrische Elektronische Armee mit stillschweigender Zustimmung der Regierung Websites und Seiten sozialer Medien von oppositionellen Gruppen, von bestimmten westlichen Medien und Menschenrechtsorganisationen und blockiert sie oder überflutet sie mit regierungsfreundlichen Inhalten. Wie aus Berichten hervorgeht, wurden nach Ausbruch der regierungskritischen Proteste im März 2011 Syrer, die im Ausland an solchen Protesten teilnahmen, durch Mitarbeiter syrischer Botschaften und durch andere Personen, die mutmaßlich im Auftrag der syrischen Regierung handelten, kontrolliert, eingeschüchtert und teilweise körperlich angegriffen. Berichten zufolge wurden die in Syrien gebliebenen Angehörigen von syrischen Staatsangehörigen, die sich an Protesten oder damit verbundenen Aktivitäten im Ausland beteiligt hatten, Befragungen unterzogen, durch telefonische Anrufe, E-Mails und Facebook-Nachrichten bedroht, sie wurden verhaftet, misshandelt oder sogar getötet. In Deutschland wurden vier Mitarbeiter der syrischen Botschaft, die mutmaßlich Aktivitäten syrischer Oppositionsmitglieder überwachten, ausgewiesen. Wie berichtet wird, befürchten im Exil lebende Syrer von Landsleuten, die aus eigener Initiative oder als Informanten im Auftrag der syrischen Regierung handeln, überwacht, bedroht oder in sozialen Medien als „regierungsfeindlich“ dargestellt zu werden.

(Arabische) Sunniten

(Arabische) Sunniten werden im Allgemeinen und insbesondere, wenn sie aus Gebieten stammen, die bekanntermaßen mit der Opposition sympathisieren oder unter der de facto Kontrolle bewaffneter oppositioneller Gruppen stehen, als regierungsfeindlich wahrgenommen. Aus diesem Grund waren ihre Wohngebiete von Beschießungen, Artilleriefeuer und Militärangriffen betroffen und von der Versorgung mit Lebensmitteln und anderen Grundbedarfsgütern abgeschnitten. Darüber hinaus wurden Sunniten von Streitkräften der Regierung aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Verbindung mit sunnitischen Islamisten oder Salafisten bzw. ganz allgemein bewaffneten oppositionellen Gruppen willkürlich verhaftet, in Isolationshaft genommen, gefoltert und auf andere Weisen misshandelt sowie extralegal und standrechtlich hingerichtet. Der unabhängigen UN-Untersuchungskommission zufolge besteht „in von der Regierung kontrollierten Gebieten für sunnitische Männer aus Unruhegebieten das größte Risiko, an Kontrollstellen oder bei Hausdurchsuchungen inhaftiert zu werden, da sie als wahrscheinliche Sympathisanten oder Unterstützer von oppositionellen bewaffneten Gruppen gelten. Diese Gemeinschaft ist insbesondere in Hinblick auf Zwangsverschleppung, Folter und andere Menschenrechtsverletzungen während Inhaftierungen gefährdet.

„regierungsfeindliche Gebiete“

Berichten ist zu entnehmen, dass die Regierung davon ausgeht, dass Zivilpersonen, die aus Gebieten stammen oder in Gebieten wohnen, in denen es zu Protesten der Bevölkerung kam und/oder in denen bewaffnete oppositionelle Gruppen in Erscheinung treten oder (zeitweise) die Kontrolle übernommen haben, generell Verbindungen zur bewaffneten Opposition haben. Diese Zivilpersonen werden daher von der Regierung als regierungsfeindlich angesehen. Dies gehört Berichten zufolge zu einer umfassenden Politik, Zivilisten aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, ihrer Anwesenheit in einem Gebiet oder ihrer Herkunft aus einem Gebiet anzugreifen, das als regierungsfeindlich betrachtet wird und/oder von dem vermutet wird, dass es oppositionelle bewaffnete Gruppen unterstützt. Es wird berichtet, dass die Regierung versucht, die breite Unterstützung von oppositionellen bewaffneten Gruppen auszuhöhlen, indem sie Zivilisten für die tatsächliche oder vermeintliche Opposition zur Regierung bestraft und das Leben in Gebieten unter deren Kontrolle für Zivilisten unerträglich macht. Zivilisten in diesen Gebieten sind Berichten zufolge im Rahmen von Bodenoffensiven, Hausdurchsuchungen und an Kontrollstellen von unterschiedlichen Strafmaßnahmen durch Regierungskräfte und regierungsnahe Kräfte betroffen, darunter Inhaftierung, Folter, sexuelle Gewalt und extralegale Hinrichtungen. Darüber hinaus wurden, wie berichtet wird, Häuser und Geschäfte von Personen, die als gegnerisch gelten, bei militärischen Überfällen durch Regierungskräfte und regierungsnahe Kräfte geplündert und zerstört. Nachdem die Regierung über einige Teile des Landes die Kontrolle verloren hat, ist sie Berichten zufolge nun dazu übergegangen, die Zivilbevölkerung in diesen Gebieten unter ausgedehnten Artilleriebeschuss zu nehmen und mit Bombardierung aus der Luft zu überziehen. Diese gezielten Angriffe, darunter auf Krankenhäuser, Beerdigungsprozessionen, öffentliche Märkte, Brottransporte und Bäckereien, wurden als eine Taktik beschrieben, mit der die in Gebieten unter der Kontrolle regierungsfeindlicher bewaffneter Gruppen oder ISIS lebende Zivilbevölkerung bestraft und terrorisiert werden soll und ihre Lebensbedingungen unerträglich gemacht werden sollen. Es wurde berichtet, dass die Regierung zahlreiche Gebiete, die unter der Kontrolle der Opposition stehen, belagert hat und auf diese Weise systematisch Zivilpersonen von der Grundversorgung – z. B. mit Lebensmitteln und medizinischer Versorgung ? abgeschnitten hat. Wie aus Berichten hervorgeht, wurden Personen, die versuchten belagerte Gebiete zu verlassen um medizinische Hilfe aufzusuchen, verhaftet, von Heckenschützen ins Visier genommen oder am Verlassen gehindert. Personen, die Nahrungsmittel oder andere Grundversorgungsgüter in belagerte Gebiete transportierten oder versuchten, aus einem belagerten Gebiet zu fliehen, wurden Berichten zufolge drangsaliert, festgenommen, inhaftiert, gefoltert und getötet. Die gegen Gebiete unter der Kontrolle von regierungsfeindlichen bewaffneten Gruppen gerichtete Belagerungstaktik der Regierung zielt Berichten zufolge darauf ab, die Zivilbevölkerung in diesen Gebieten zu bestrafen, die Unterstützung der bewaffneten Regierungsgegner in der Bevölkerung zu unterbinden und Zivilisten und Kämpfer zum Aufgeben zu zwingen.

Es wird berichtet, dass Regierungskräfte im Rahmen von lokalen Waffenstillständen zunehmend auf die Evakuierung der Zivilbevölkerung aus Gebieten zurückgreift, die zuvor unter der Kontrolle regierungsfeindlicher bewaffneter Gruppen gestanden haben, häufig nach langen Phasen der Belagerung und Bombardierungen der betroffenen Gemeinschaften. Die Vereinten Nationen und unabhängige Beobachter haben ihre Besorgnis darüber ausgedrückt, dass diese Maßnahmen Zwangsvertreibung von Zivilisten darstellen. Außerdem weisen regierungskritische Quellen und unabhängige Beobachter auf die konfessionelle Dimension derartiger erzwungener Umsiedlungen von (sunnitischen) Bevölkerungsteilen aus ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten hin, da es Berichten zufolge in mehreren Fällen Mitgliedern religiöser Minderheiten, die als loyal der Regierung gegenüber galten, gestattet wurde, sich in den frei gewordenen Gebieten niederzulassen. Die Regierung wies dies zurück. In den Gebieten, in denen die Regierung die Kontrolle wiedererlangt hat, nimmt sie Berichten zufolge zahlreiche Personen aufgrund der ihnen zugeschriebenen Unterstützung oder Sympathie für regierungsfeindliche bewaffnete Gruppen fest, insbesondere Männer sowie Jungen, die älter als zwölf Jahre alt sind.

Angehörige

Die tatsächlich oder vermeintlich oppositionellen Ansichten einer Person werden häufig auch Personen in ihrem Umfeld, wie Familienmitgliedern, Nachbarn und Kollegen zugeschrieben. Die Familienangehörigen (beispielsweise Ehegatten, Kinder, Geschwister, Eltern und auch entferntere Verwandt) von (tatsächlichen oder vermeintlichen) Protestteilnehmern, Aktivisten, Mitgliedern von Oppositionsparteien oder bewaffneten oppositionellen Gruppen, Überläufern und Wehrdienstentziehern und anderen Personen wurden Berichten zufolge willkürlich verhaftet, in incommunicado Haft genommen, gefoltert und in sonstiger Weise ? einschließlich unter Anwendung sexueller Gewalt – misshandelt sowie auch willkürlich hingerichtet. Verläuft die Fahndung nach einem Regierungsgegner bzw. einer Person, die für einen Regierungsgegner gehalten wird, erfolglos, gehen die Sicherheitskräfte Berichten zufolge dazu über, die Familienangehörigen der betreffenden Person festzunehmen oder zu misshandeln. Dies geschieht entweder, um Vergeltung zu üben für die Aktivitäten bzw. den Loyalitätsbruch der gesuchten Person oder um Informationen über ihren Aufenthaltsort zu gewinnen und/oder mit der Absicht, die betreffende Person dazu zu bewegen, sich zu stellen bzw. die gegen sie erhobenen Anschuldigungen zu gestehen. Wie aus Berichten hervorgeht, wurden weibliche Verwandte verhaftet und als „Tauschobjekte“ für Gefangenenaustausch mit regierungsfeindlichen bewaffneten Gruppen verwendet. Darüber hinaus liegen Berichte vor, dass sogar Nachbarn, Kollegen und Freunde verfolgt wurden.

Aus Angst, selbst inhaftiert und misshandelt zu werden, sehen Familienmitglieder, wie Berichten zu entnehmen ist, häufig davon ab, nach dem Aufenthaltsort von verhafteten Familienmitgliedern zu forschen oder sich über die Verhaftung zu beklagen. Wie aus Berichten hervorgeht, sehen sie sich stattdessen gezwungen, korrupten Staatsbediensteten Schmiergelder zu bezahlen, um Informationen über den Aufenthaltsort eines inhaftierten Angehörigen zu erhalten, seine Verlagerung von einer Haftanstalt des Sicherheitsdienstes in die zentrale Haftanstalt zu veranlassen oder für seine Freilassung zu sorgen – dabei besteht für sie keine Erfolgsgarantie. Amnestien durch den Präsidenten haben, wie berichtet wird, auch Richtern die Möglichkeit eröffnet, Bestechungsgelder von Familien entgegen zu nehmen, die die Freilassung eines inhaftierten Familienmitglieds erreichen möchten. In besonders schwerwiegenden Fällen wurden Berichten zufolge ganze Familien von Oppositionsmitgliedern oder Überläufern verhaftet oder extralegal hingerichtet, beispielsweise bei Hausdurchsuchungen.

Aufgrund verfügbarer Herkunftslandinformationen reicht allein der Verdacht, dass eine Person regierungskritische Ansichten hat oder mit einer Person in Verbindung steht, die solche Ansichten hat, für die Verfolgung aus.

Den vorliegenden Quellen zufolge können Angehörige von gesuchten Personen, inklusive Wehrdienstentziehern, bei ihrer Rückkehr verhaftet werden, etwa um die gesuchten Personen unter Druck zu setzen, ihre Aktivitäten einzustellen oder sich den syrischen Behörden zu stellen.

Personen, die im Ausland auf bestimmte Weise aktiv sind

Wie aus Berichten hervorgeht, betrachtet die Regierung bestimmte Aktivitäten von im Ausland lebenden Syrern als Ausdruck einer oppositionellen Einstellung, darunter Anträge auf Asyl, Teilnahme an regierungskritischen Protesten, Kontakte zu Oppositionsgruppen oder andere Ausdrucksformen der Kritik an der Regierung, einschließlich über soziale Medien.

Verletzungen der internationalen Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts

Noch immer trägt die Zivilbevölkerung die Hauptlast des Konflikts. Berichten ist zu entnehmen, dass die Konfliktparteien Kriegsverbrechen und andere schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht sowie die Menschenrechte begehen, einschließlich Handlungen, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen; Straflosigkeit ist weitverbreitet.

Regierungstruppen und staatliche Institutionen

Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Ein Dekret von 2011 erlaubt die Bildung anderer politischer Parteien, jedoch nicht auf Basis von Religion, Stammeszugehörigkeit oder regionalen Interessen. Die Regierung erlaubt nur regierungsnahen Gruppen offizielle Parteien zu gründen und zeigt wenig Toleranz gegenüber anderen politischen Parteien, auch jenen, die mit ihr verbündet sind. Parteien wie das Communist Union Movement, die Communist Action Party und die Arab Social Union werden schikaniert. Gesetze, welche die Mitgliedschaft in illegalen Organisationen verbieten, wurden auch verwendet um Hunderte Mitglieder von Menschenrechts- und Studentenorganisationen zu verhaften. Es gibt auch zahlreiche Berichte zu anderen Formen der Belästigung von Menschenrechtsaktivisten, Oppositionellen oder Personen, die als oppositionell wahrgenommen werden, von Reiseverboten, Enteignung und Überwachung bis hin zu willkürlichen Festnahmen, „Verschwindenlassen“ und Folter.

Es sind zahllose Fälle bekannt, bei denen Personen für als regierungsfeindlich angesehene Tätigkeiten ihrer Verwandten inhaftiert und gefoltert werden, darunter sollen auch Fälle sein, bei denen die gesuchten Personen ins Ausland geflüchtet sind. Frauen mit familiären Verbindungen zu Oppositionskämpfern werden z.B. als Vergeltung oder zur Informationsgewinnung festgenommen. Außerdem werden Personen festgenommen, die Kontakte zu Verwandten oder Freunden unterhalten, die in oppositionell kontrollierten Gebieten leben.

Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind keine Neuerung der letzten Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits zuvor gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien.

Russland, der Iran und die Türkei haben im Zusammenhang mit den Astana-Verhandlungen wiederholt zugesagt, sich um die Missstände bezüglich willkürlicher Verhaftungen und Verschwindenlassen zu kümmern. Im Dezember 2017 gründeten sie eine Arbeitsgruppe zu Inhaftierungen und Entführungen im syrischen Konflikt, es waren bisher jedoch nur geringe Fortschritte zu verzeichnen.

Weitere schwere Menschenrechtsverletzungen, derer das Regime und seine Verbündeten beschuldigt werden, sind willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten, darunter auch der Einsatz von chemischen Waffen; Massaker und Vergewaltigungen als Kriegstaktik; Einsatz von Kindersoldaten sowie übermäßige Einschränkungen der Bewegungs-, Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit, inklusive Zensur. Die Regierung überwacht die Kommunikation im Internet, inklusive E-Mails, greift in Internet- und Telefondienste ein und blockiert diese. Die Regierung setzt ausgereifte Technologien und Hunderte von Computerspezialisten für Überwachungszwecke ein.

Orte, die im Laufe der vergangenen Jahre wieder unter die Kontrolle der Regierung gelangt sind, erlebten organisierte und systematische Plünderungen durch die bewaffneten Einheiten der Regierung. Berichten zufolge sind Personen in Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien oft zurückhaltend über die Situation in diesen Gebieten zu berichten.

Das Gesetz verbietet Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen, wobei das Strafgesetzbuch eine Strafe von maximal drei Jahren Gefängnis für Täter vorsieht. Nichtsdestotrotz wenden die Sicherheitskräfte in Tausenden Fällen solche Praktiken an. Willkürliche Festnahmen, Misshandlung, Folter und Verschwindenlassen sind in Syrien weit verbreitet. Sie richten sich von Seiten der Regierung insbesondere gegen Oppositionelle oder Menschen, die vom Regime als oppositionell wahrgenommen werden.

NGOs berichten glaubhaft, dass die syrische Regierung und mit ihr verbündete Milizen physische Misshandlung, Bestrafung und Folter an oppositionellen Kämpfern und Zivilisten begehen. Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und Minderjährigen sind weit verbreitet. Die Regierung soll hierbei auch auf Personen abzielen, denen Verbindungen zur Opposition vorgeworfen werden. Es sind zahllose Fälle dokumentiert, bei denen Familienmitglieder wegen der als regierungsfeindlich wahrgenommenen Tätigkeit von Verwandten inhaftiert und gefoltert wurden, auch wenn die als regierungsfeindlich wahrgenommenen Personen ins Ausland geflüchtet waren.

Systematische Folter und die Bedingungen in den Haftanstalten führen häufig zum Tod der Insassen. Die Gefängnisse sind stark überfüllt, es mangelt an Nahrung, Trinkwasser, Hygiene und Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung. Diese Bedingungen waren so durchgängig, dass die UN Commission of Inquiry zu dem Schluss kam, diese seien Regierungspolitik. Laut Berichten von NGOs gibt es zahlreiche informelle Hafteinrichtungen in umgebauten Militärbasen, Schulen, Stadien und anderen unbekannten Lokalitäten. So sollen inhaftierte Demonstranten in leerstehenden Fabriken und Lagerhäusern ohne angemessene sanitäre Einrichtungen festhalten werden. Die Regierung hält weiterhin Tausende Personen ohne Anklage und ohne Kontakt zur Außenwelt („incommunicado“) an unbekannten Orten fest. Von Familien von Häftlingen wird Geld verlangt, dafür dass die Gefangenen Nahrung erhalten und nicht mehr gefoltert werden, was dann jedoch nicht eingehalten wird. Große Summen werden gezahlt, um die Freilassung von Gefangenen zu erwirken.

In jedem Dorf und jeder Stadt gibt es Haft- bzw. Verhörzentren für die ersten Befragungen und Untersuchungen nach einer Verhaftung. Diese werden von den Sicherheits- und Nachrichtendiensten oder auch regierungstreuen Milizen kontrolliert. Meist werden Festgenommene in ein größeres Untersuchungszentrum in der Provinz oder nach Damaskus und schließlich in ein Militär- oder ziviles Gefängnis gebracht. Im Zuge dieses Prozesses kommt es zu Folter und Todesfällen. Selten wird ein Häftling freigelassen. Unschuldige bleiben oft in Haft, um Geldsummen für ihre Freilassung zu erpressen oder um sie im Zuge eines „Freilassungsabkommens“ auszutauschen.

Seit Sommer 2018 werden von den Regierungsbehörden Sterberegister veröffentlicht, wodurch erstmals offiziell der Tod von 7.953 Menschen in Regierungsgewahrsam bestätigt wurde, wenn auch unter Angabe wenig glaubwürdiger amtlich festgestellter natürlicher Todesursachen (Herzinfarkt, etc.). Berichte von ehemaligen Insassen sowie Menschenrechtsorganisationen benennen als häufigste Todesursachen Folter, Krankheit als Folge mangelnder Ernährung und Hygiene in den Einrichtungen und außergerichtliche Tötung. Die syrische Regierung übergibt die Überreste der Verstorbenen nicht an die Familien.

Mit Stand Dezember 2018 ist der Verbleib von 100.000 syrischen Gefangenen noch immer unbekannt. Laut Menschenrechtsgruppen und den Vereinten Nationen sind wahrscheinlich Tausende, wenn nicht Zehntausende davon umgekommen.

Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind jedoch keine Neuerung der Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits zuvor gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien.

Russland, der Iran und die Türkei haben im Zusammenhang mit den Astana-Verhandlungen wiederholt zugesagt, sich um die Missstände bezüglich willkürlicher Verhaftungen und Verschwindenlassen zu kümmern. Im Dezember 2017 gründeten sie eine Arbeitsgruppe zu Inhaftierungen und Entführungen im syrischen Konflikt, es waren bisher jedoch nur geringe Fortschritte zu verzeichnen.

In Berichten werden den Regierungstruppen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie schwere Verstöße gegen die Menschenrechte angelastet. Willkürliche und direkte Angriffe auf Zivilpersonen und zivile Infrastrukturen, einschließlich Krankenhäusern, Schulen und Vertriebenenlagern sowie Mitarbeitern und Hilfsgütern humanitärer Organisationen, sind weiterhin typische Verstöße der Regierungstruppen, insbesondere in Nordwestsyrien. Die systematischen Bombardierungen und Angriffe, die sich auf Zivilpersonen und zivile Ziele, einschließlich Gesundheitseinrichtungen, in den von bewaffneten oppositionellen Gruppen kontrollierten Gegenden richten, sind von den Vereinten Nationen und anderen Beobachtern als Taktik der „verbrannten Erde“ und als „kollektive Bestrafung“ der Zivilbevölkerung in diesen Gebieten bezeichnet worden.

Die Regierung hat Zivilpersonen im Rahmen sogenannter „Evakuierungsabkommen“ unter Zwang aus Gebieten vertrieben, die sie von bewaffneten oppositionellen Gruppen zurückerobert hat.

Den Vereinten Nationen und Menschenrechtsbeobachtern zufolge werden willkürliche Verhaftungen, Verschwindenlassen, Inhaftierungen unter lebensbedrohlichen Umständen, systematische und weitverbreitete Folter und sonstige Formen der Misshandlung, einschließlich sexueller Gewalt, Strafverfolgung nach der zu weit gefassten Antiterrorgesetzgebung unter Verletzung des Rechts des Beschuldigten auf ein faires Verfahren vor Antiterror- und militärischen Feldgerichten sowie summarische und außergerichtliche Hinrichtungen weiterhin in großem Umfang dokumentiert. Sie richten sich überwiegend gegen Personen, die tatsächlich oder vermeintlich Gegner der Regierung sind. Zu den Personen, denen regelmäßig eine regierungsfeindliche Gesinnung unterstellt wird, zählen Zivilpersonen (und insbesondere Männer und Jungen im kampffähigen Alter) aus (ehemals) von der Opposition kontrollierten Gebieten; Wehrdienstverweigerer und Deserteure; Mitglieder lokaler Räte; Aktivisten; Journalisten und Bürgerjournalisten aus der Zivilbevölkerung; Mitarbeiter humanitärer Hilfsorganisationen und Freiwillige des Zivilschutzes; medizinische Fachkräfte; Verteidiger der Menschenrechte sowie Hochschullehrkräfte und -wissenschaftler.

Die tatsächliche oder vermeintliche oppositionelle Haltung einer Person wird häufig Personen in ihrem Umfeld zugeschrieben, einschließlich Familienmitgliedern. Die IICISyria hat seit 2011 dokumentiert, „wie die syrische Regierung die Verbrechen der Vernichtung, des Mordes, der Vergewaltigung und sonstiger Formen sexueller Gewalt, der Folter und der Freiheitsentziehung im Zusammenhang mit den umfassenden und systematischen Festnahmen von Dissidenten sowie Personen, die als Sympathisanten bewaffneter Gruppen wahrgenommen wurden, begangen hat“.

Das Einfrieren von Vermögen oder dessen Beschlagnahme zwecks „kollektiver Bestrafung“ von Personen, die als Gegner der Regierung angesehen werden, ist ebenfalls gemeldet worden und wurde in manchen Fällen auch gegenüber den Familienangehörigen und Bekannten der Betroffenen praktiziert. Laut IICISyria sind zwischen 2016 und 2018 gegen ca. 70.000 Syrer Entscheidungen des Finanzministeriums ergangen, die das Einfrieren ihres Vermögens anordneten.

Die Streitkräfte der Regierung rekrutieren und benutzen Kinder, einschließlich solchen unter 15 Jahren, für Kampf- und Hilfsfunktionen. Als Akteure, die an der Rekrutierung von Kindern beteiligt sind, wurden Air Force Intelligence Service (Geheimdienst der Luftwaffe), Military Security (Militärsicherheit), Military Police (Militärpolizei) und National Guard (Nationalgarde) sowie in- und ausländische regierungsnahe Gruppen identifiziert.

Sexuelle Gewalt

Mit keiner oder nur schwacher Rechtsdurchsetzung und begrenztem effektiven Schutz in diesem Bereich haben alle Arten von Gewalt gegen Frauen an Verbreitung und Intensität zugenommen, darunter Versklavung, Zwangsheirat mit Vertretern bewaffneter Gruppen, häusliche Gewalt und Vergewaltigung. Vergewaltigungen sind weit verbreitet, auch die Regierung und deren Verbündete setzten Vergewaltigung gegen Frauen, aber auch gegen Männer und Kinder, welche als der Opposition zugehörig wahrgenommen werden, ein, um diese zu terrorisieren oder zu bestrafen. Das tatsächliche Ausmaß von sexueller Gewalt in Syrien lässt sich nur schwer einschätzen, weil viele Vergehen nicht angezeigt werden. Vergewaltigungen und andere sexuelle Gewalt durch Wächter und Sicherheitskräfte sind Teil der Foltertechniken in Haftanstalten.

Besondere Bedenken in zurückeroberten Gebieten

Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen und bestimmte Kategorien von Zivilpersonen mussten entweder gezwungenermaßen ihr Gebiet verlassen oder an einem „Versöhnungsverfahren“ teilnehmen, um bleiben zu dürfen. Zwar sind die „Versöhnungsabkommen“ in jedem Gebiet unterschiedlich geregelt, doch sahen sie üblicherweise vor, dass die Sicherheits- und Verwaltungsbehörden der Regierung in das betreffende Gebiet zurückkehren, die Waffen niedergelegt werden, den von der Regierung gesuchten Personen Straffreiheit gewährt wird und eine sechsmonatige Schonfrist in Bezug auf die Einziehung zum Wehrdienst zur Anwendung kommt. Gemäß diesen Abkommen mussten sich Kämpfer und sonstige Personen, die als Widersacher der Regierung wahrgenommen wurden und in dem zurückeroberten Gebiet bleiben wollten, einer Überprüfung durch die Sicherheitsbehörden unterziehen (Arabisch: „taswiyat al-wada“; Deutsch: „den eigenen Status legalisieren“). Sofern sich Personen für eine „Versöhnung“ entschieden und qualifiziert hatten, beinhaltete die Überprüfung eine Untersuchung der früheren oppositionellen Aktivitäten der betreffenden Person, z. B. Beteiligung an Protesten gegen die Regierung, humanitäre Aktivitäten, Beteiligung an Kämpfen bewaffneter oppositioneller Gruppen oder sonstige Aktivitäten, die die Regierung als „Terrorismus“ einstuft. Zudem mussten sich die Betroffenen verpflichten, derartige Aktivitäten künftig zu unterlassen. Die IICISyria stellte fest, dass die Bedingungen der „Versöhnung“ Eingriffe in die „fundamentalen Menschenrechte einschließlich des Rechts auf friedliche Versammlung“ darstellen. Außerdem waren die Betroffenen gezwungen, Informationen über Familienangehörige und Aktivisten preiszugeben, die unter Zwang in andere Landesteile vertrieben worden waren. Berichten zufolge wird jedoch nicht allen Versöhnungsanträgen stattgegeben. Personen, deren Antrag abgelehnt wurde, laufen Gefahr, willkürlich inhaftiert zu werden.

Personen, die aus Gebieten außerhalb der Kontrolle der Regierung in Gebiete zurückkehren möchten, die von der Regierung rückerobert wurden, müssen sich laut Berichten ebenfalls einer Überprüfung unterziehen, die mit jener von Personen vergleichbar ist, die in ihren Gebieten geblieben sind, und können riskieren, willkürlich verhaftet und zwangsrekrutiert zu werden.

In Gebieten, die die Regierung 2018 zurückerobert hat, einschließlich Dera‘a und Quneitra, Qalamun, Ost-Ghouta und Süd-Damaskus sowie der Provinz Homs, „entstehen wieder die alten Muster von Verhaftung und Verschwindenlassen“. Tatsächliche oder vermeintliche Gegner werden schikaniert, willkürlich verhaftet, in Isolationshaft genommen, gefoltert und in sonstiger Weise misshandelt, zwangsverschleppt und zum Verschwinden gebracht sowie zwangsrekrutiert. Dies gilt auch für Personen, die bereits das „Versöhnungsverfahren“ mit der Regierung durchlaufen haben. Meldungen zufolge besteht bei Personen, die zum Militärdienst eingezogen werden, die Gefahr des Einsatzes an aktiver Front. Unter Verstoß gegen Bestimmungen in Versöhnungsabkommen, die eine Rückkehr der staatlichen Beschäftigten an ihren ehemaligen Arbeitsplatz vorsehen, sind Berichten zufolge Hunderte von Lehrern, medizinischen Fachkräften und Beamten in ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten daran gehindert worden, zu ihren Arbeitsplätzen zurückzukehren. In Ost-Ghouta und Zabadani (Damaskus-Umgebung) wurde gemeldet, dass Personen überwacht und willkürlich verhaftet wurden, wenn festgestellt wurde, dass sie mit Angehörigen im Ausland oder in Gebieten kommunizierten, die von bewaffneten oppositionellen Gruppen kontrolliert wurden. Zahlreiche Berichte beschreiben die allgegenwärtigen Plünderungen von Wohnhäusern und Geschäften der Personen, die nach dem Ende der Militäroffensiven von den Regierungstruppen vertrieben wurden. Die Freiheit, in einige der ehemals von der Opposition kontrollierten Gebiete einzureisen, innerhalb dieser Gebiete zu reisen und aus ihnen auszureisen, ist laut Meldungen weiterhin stark eingeschränkt.

In den Gebieten, die von der „Operation Friedensquelle“ betroffen sind, fürchten laut Meldungen Zivilpersonen, einschließlich Wehrdienstverweigerern, Mitarbeitern humanitärer Hilfsorganisationen, Aktivisten, Journalisten und Mitgliedern politischer Parteien, jedoch auch Zivilisten, die für die SDF und die Truppen der internationalen Koalition gearbeitet haben, die Rückkehr der Regierungstruppen infolge des Abkommens, das zwischen den SDF und der syrischen Regierung geschlossen wurde. Seitdem kam es an einer Reihe von Plätzen in mehrheitlich arabischen Großstädten und Städten zu Protesten gegen die Regierung.

Besondere Bedenken in Bezug auf Rückkehrer aus dem Ausland

Personen, die aus dem Ausland nach Syrien zurückkehren möchten und vorher eine „Statusklärung“ durchführen wollen, unterliegen einer Überprüfung durch die syrischen Behörden. Die Kriterien für eine Unbedenklichkeitsbescheinigung sind nicht bekannt, und es gibt auch keine Informationen darüber, wie viele rückkehrwillige Personen eine Rückkehrerlaubnis bzw. einen ablehnenden Bescheid von den syrischen Behörden erhalten haben. Es wurde berichtet, dass die syrischen Behörden einer unbekannten Anzahl von Syrern die Rückkehr verweigerten, was zur Trennung von Familien geführt hat.

Aus allen von der Regierung kontrollierten Gebieten wird gemeldet, dass Rückkehrer zu den Personen gehören, die schikaniert, willkürlich verhaftet, in Isolationshaft genommen, gefoltert und in sonstiger Weise misshandelt werden, und dass ihr Eigentum beschlagnahmt wird, u. a. aufgrund einer vermeintlich oppositionellen Haltung der Betroffenen. Männer im wehrpflichtigen Alter laufen auch Gefahr, nach ihrer Rückkehr verhaftet und zwangsrekrutiert zu werden. Zwischen 2017 und August 2019 registrierte das Syrian Network for Human Rights (SNHR) die Verhaftung von fast 2.000 Rückkehrern aus dem Ausland, einschließlich Frauen und Kindern. Den Berichten zufolge werden die Betroffenen entweder sofort bei der Einreise an den Landesgrenzen zum Libanon, zu Jordanien, zur Türkei und am Flughafen von Damaskus oder erst Tage bzw. Monate nach der Rückkehr festgenommen. Ferner wurde gemeldet, dass Personen verhaftet wurden, obwohl sie vor ihrer Rückkehr ein positives Sicherheits-Clearing der syrischen Regierung erhalten hatten. Laut Berichten sind auch Personen in Haft gestorben. Es wurde gemeldet, dass bei einigen Rückkehrern die Pässe beschlagnahmt wurden, damit sie das Land nicht verlassen können. Andere wurden regelmäßig zu Verhören einbestellt. Palästinenser, die früher in Syrien lebten, zählen laut Meldungen zu den Personen, die nach der Rückkehr nach Syrien verhaftet wurden. Zudem müssen einige Rückkehrer eventuell Beschränkungen der Freizügig

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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