TE OGH 2020/7/29 13Os42/20f

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Veröffentlicht am 29.07.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Juli 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Part in der Strafsache gegen P***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Geschworenengericht vom 4. Dezember 2019, GZ 35 Hv 26/19i-139a, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Eisenmenger, der Angeklagten und ihres Verteidigers Mag. Jelinek sowie des Privatbeteiligtenvertreters Mag. Haas zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten wird verworfen.

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft werden der Wahrspruch der Geschworenen und das darauf beruhende Urteil aufgehoben und es wird die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Salzburg als Geschworenengericht verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden die Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde P***** aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

Danach hat sie am 3. März 2019 in F***** Erich T***** eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich zugefügt, indem sie ihm mit einem Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 12 cm einen Stich in den linken Brustbereich versetzte, der zu einer Durchsetzung des großen und des kleinen Brustmuskels links und des dritten Zwischenrippenraums sowie zu einem Durchstich des linken Lungenoberlappens, des Herzbeutels und des Lungenarterienhauptstamms führte, was den Tod des Erich T***** zur Folge hatte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richten sich die von der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden.

Da die Angeklagte weder bei der Anmeldung (ON 141) noch innerhalb der vierwöchigen Ausführungsfrist (§ 285 Abs 1 erster Satz StPO) Nichtigkeitsgründe deutlich und bestimmt bezeichnet hat, war ihre Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen (§§ 285 Abs 1 zweiter Satz, 288 Abs 1, 344 StPO).

Die Staatsanwaltschaft bekämpft das Urteil – unter Einhaltung der Kriterien des § 345 Abs 4 StPO (ON 138 S 19 f) – mit einer auf § 345 Abs 1 Z 6 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Die Geschworenen verneinten die anklagekonform nach dem Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB gestellte Hauptfrage und bejahten die nach dem Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB gestellte Eventualfrage I, wodurch die Beantwortung der nach dem Verbrechen der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach § 86 Abs 2 StGB gestellten Eventualfrage II entfiel.

Zutreffend kritisiert die Fragenrüge die Aufnahme einer Eventualfrage nach dem Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB in das Fragenschema.

Eventualfragen sind dann zu stellen, wenn sie durch erhebliche (Ratz, WK-StPO § 345 StPO Rz 42), prozessordnungsgemäß in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse (§ 258 Abs 1 StPO iVm § 302 Abs 1 StPO) indiziert sind (RIS-Justiz RS0100608 [T2, T4], RS0100677, RS0100888, RS0100991 und RS0101087; Lässig, WK-StPO § 314 Rz 2 mwN).

Der Schluss von einem Verfahrensergebnis auf die verlangte Eventualfrage muss den Gesetzen logischen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen entsprechen (RIS-Justiz RS0100526 und RS0100569; Lässig, WK-StPO § 314 Rz 3).

Diese Voraussetzungen waren hier nicht erfüllt.

Nach der Einlassung der Angeklagten habe sich Erich T***** die Stichverletzung selbst zugefügt (ON 136 S 5 und 10). Diese Verantwortung reicht für eine Eventualfrage nach einem Körperverletzungsdelikt nicht hin, sondern müsste, ihre Wahrheit vorausgesetzt, die Freisprechung der Angeklagten zur Folge haben (RIS-Justiz RS0100582 [T8]).

Nach den Ausführungen des gerichtsmedizinischen Sachverständigen in der Hauptverhandlung verstarb Erich T***** an einer Brustkorbstichverletzung links, die ihm durch eine kräftige „von schulterwärts nach fußwärts“ zur Mittellinie hin ins Körperinnere ausgeführte Bewegung zugefügt worden sei und eine Eröffnung der Brusthöhle sowie einen Durchstich des linken Lungenlappens und des Herzbeutels mit erheblichem Blutverlust zur Folge hatte. Zudem ging der Experte vom vollständigen Eindringen der 12 cm langen Klinge des Messers in den Körper aus (ON 136 S 26 ff). Auch dieses Verfahrensergebnis indiziert fehlenden Tötungsvorsatz nach den Gesetzen logischen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen nicht.

Bloß abstrakt denkbare Möglichkeiten und Mutmaßungen sind keine taugliche Grundlage für eine Eventualfrage (RIS-Justiz RS0101072 und RS0100420; Lässig, WK-StPO § 314 Rz 2).

Die Voraussetzungen für die Stellung einer Eventualfrage nach dem Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB waren somit insgesamt nicht gegeben.

Demnach waren – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft der Wahrspruch der Geschworenen und das darauf beruhende Urteil aufzuheben und die Neudurchführung des Verfahrens anzuordnen (§ 349 Abs 1 StPO).

Ein Eingehen auf das weitere Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde erübrigt sich.

Mit ihren Berufungen waren die Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung zu verweisen.

Textnummer

E129126

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0130OS00042.20F.0729.000

Im RIS seit

22.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

20.04.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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