TE Bvwg Erkenntnis 2019/8/22 L509 2175104-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.08.2019
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Entscheidungsdatum

22.08.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch

L509 2175104-1/29E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Ewald HUBER-HUBER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Iran, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.09.2017, Zl. 1093997306-151709884, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30.04.2019 und am 27.05.2019, zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX , geb. XXXX , gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.Der Beschwerdeführer (im Folgenden auch: BF), ein iranischer Staatsangehöriger, reiste im November 2015 illegal in das Bundesgebiet von Österreich ein und stellte am 5.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er wurde zu diesem Antrag am 6.11.2015 von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und am 16.05.2017 asylbehördlich einvernommen.

2. Zur Begründung führte er an, er sei Kurde und werde im Iran deshalb diskriminiert. Er sei außerdem ein Universitätsabsolvent. Aufgrund seiner Volkszugehörigkeit bekäme er jedoch keine Arbeit und müsse er viele Nachteile akzeptieren. Es sei ihm gesagt worden, falls er einen guten Job bekommen möchte, müsse er zuerst nach Syrien und an Kämpfen teilnehmen. Er könne nicht in den Iran zurückkehren, weil er dort keine Freiheiten und keine Zukunft hätte. Er werde gezwungen, nach Syrien in den Kampf zu ziehen.

3. Bei der asylbehördlichen Vernehmung am 16.05.2017 gab der BF an, Kurden seien im Iran eine Minderheit und das iranische Regime bekämpfe die Bevölkerung mit der Religion. Religion sei im Iran Zwang. Man sei gezwungen, die islamischen Gesetze zu beachten. Die Menschen würden mit Religion versklavt und wenn ein Kurde Bürgerrechte haben möchte, werde er als Landesverräter bezeichnet und sogar zum Tode verurteilt. Die Gesetze seien nur zugunsten des Regimes. Der Beschwerdeführer sei selbst ein Mitglied dieser Religion gewesen und habe gebetet. Als er bemerkt habe, dass diese Religion nur ein Geschäft und Werkzeug für die Unterdrückung sei, habe er die Religion fast gehasst. Er habe selbst in den Koran geschaut. Der Koran sei eine Waffe. Dieses Buch erlaube Menschen andere Menschen umzubringen. Deshalb hätte er versucht, seine Freunde zu informieren - einen davon sehr intensiv. Im Iran könne man darüber nicht frei sprechen. Deshalb hätten sie sich über Internetprogramme ("Telegramm") kontaktiert. Mithilfe eines Freundes hätte er am 2. April 2015 in "Telegramm" einen Kanal für freie Diskussionen eröffnet. Sie hätten ihre Meinung ganz offen darlegen wollen. Die Gruppe sei immer größer geworden, und es seien Diskussionen über den Koran und über den Propheten Mohammed und über Ali, den schiitischen Propheten, geführt worden. Anfang September 2015, der Beschwerdeführer sei gerade in Teheran zum Einkaufen gewesen, habe ihn sein Bruder angerufen und mitgeteilt, dass drei Leute in Zivil bei ihm zu Hause eine Hausdurchsuchung durchführen würden. Der Beschwerdeführer habe dann versucht, in die Gruppe bei "Telegramm" hineinzukommen, diese sei aber bereits blockiert gewesen. Er habe dann bemerkt, dass dies (Hausdurchsuchung) alles mit dieser Gruppe auf "Telegramm" zu tun habe. Innerhalb einer Woche habe er schließlich mithilfe eines Freundes, der mit einem Schlepper Kontakt aufgenommen hat, den Iran verlassen.

4. Dem Beschwerdeführer wurde das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation betreffend Iran vom 12.5.2017 zur Kenntnis gebracht und ihm Gelegenheit gegeben, dazu eine Stellungnahme abzugeben. Vom bevollmächtigten Vertreter des BF wurde eine schriftliche Stellungnahme abgegeben. In der Stellungnahme wird neuerlich betont, dass der Beschwerdeführer zur Volksgruppe der Kurden gehöre und er deshalb im Iran einer Diskriminierung ausgesetzt sei. Darüber hinaus wird ausgeführt, dass der Beschwerdeführer ein überzeugter Atheist sei und er sich als ursprünglich gebürtiger Schiit vom Islam gänzlich abgewendet hätte. Er habe erkannt, dass die iranische Regierung die Religion zu machtpolitischen Zwecken missbrauche und die Religion zur Kontrolle und Unterdrückung der Bürger zweckentfremde. Zusätzlich zu seiner atheistischen Einstellung nehme der Beschwerdeführer gleichzeitig eine regimekritische Haltung ein. Diese habe er mit anderen Menschen geteilt und Überzeugungsarbeit geleistet, indem er mit einem Freund eine Diskussionsplattform im Internet eingerichtet habe, welche zuletzt von ca. 100 Interessenten geteilt worden sei. In seinen Beiträgen habe der Antragsteller Kritik an der iranischen Regierung und am gleichzeitig staatlich aufgezwungenen Islam geübt. In Abwesenheit des Antragstellers sei dann eine Hausdurchsuchung durch drei Beamte in Zivil durchgeführt worden, worauf sich der Antragsteller bei einem Freund versteckt gehalten habe und letztlich aus dem Iran geflüchtet sei. Während er sich in der Türkei befunden habe, hätte er erfahren, dass die iranischen Behörden weitere Male nach ihm gesucht hätten. Im Falle der Rückkehr in den Iran befürchte er, behördlich verfolgt und bis hin zur Todesstrafe bestraft zu werden.

Wenn man davon ausgehe, dass der Antragsteller im Internet tatsächlich Kritik geübt hat, dann müsse auch davon ausgegangen werden, dass er asylrelevanter, lebensbedrohlicher Verfolgung ausgesetzt ist. Auch wenn er seine Beiträge aus Gründen der Vorsicht unter einem Pseudonym erstellt hat, könne ihn dies nicht vor erfolgreicher Verfolgung schützen, denn eine Nachverfolgung des Ursprungs und der Urheber der Beiträge sei Fachleuten jedenfalls möglich. Dazu wird auf eine vom Bundesverwaltungsgericht herangezogene Länderfeststellung verwiesen, die auszugsweise angeführt wurde. Der Umstand des Atheismus sei mit Apostasie gleichzusetzen und werde im Iran entsprechend geahndet. Dazu werde aus einer ACCORD-Anfragebeantwortung "Rechtslage für AtheistInnen, Strafbarkeit bzw. Bestrafung wegen Abfalls vom Islam" vom 25.3.2015 verwiesen. Ebenso wird das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran vom 31.3.2016 auszugsweise wiedergegeben, sowie auf die Konsequenzen hingewiesen, welche im Iran aus der Verbreitung von regime- und religionskritischen Artikel und einem Abfall vom Islam resultieren. Weiters werden Informationen zum Rechtsschutz und Justizwesen im Iran sowie zu den Haftbedingungen ausgeführt. Aufgrund der staatlichen Repressionen sei es nicht möglich, im Iran eine innerstaatliche Fluchtalternative in Anspruch zu nehmen, weil keine Ausweichmöglichkeiten bestünden.

5. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 5.11.2015 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstadt Iran abgewiesen (Spruchpunkt I. und II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt, jedoch wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen. Außerdem wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Iran zulässig sei (Spruchpunkt III.). Mit Spruchpunkt IV. wurde dem Beschwerdeführer für die freiwillige Ausreise eine Frist von 14 Tagen gesetzt.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides ging das BFA von einer feststehenden Identität des Beschwerdeführers sowie davon aus, dass der Beschwerdeführer der kurdischen Volksgruppe sowie muslimisch-schiitischen Glaubens angehöre. Die von ihm angegebenen Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates seien nicht glaubhaft und es sei daher auch keine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers festzustellen. Im Falle der Rückkehr sei der Beschwerdeführer keiner Gefährdung ausgesetzt. Er habe familiäre Anknüpfungspunkte im Iran und zu diesen Familienmitgliedern auch Kontakt. Es sei ihm die Rückkehr in den Iran zumutbar und es würde ihm dadurch nicht gänzlich der Entzug seiner Lebensgrundlage drohen. Er sei auch nicht am Leben oder an der körperlichen Unversehrtheit bedroht und es drohe ihm weder unmenschliche noch erniedrigende Behandlung bzw. Bestrafung. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer von allfälligen negativen Lebensumständen im Iran in höherem Maße betroffen sei, als jeder andere kurdisch-stämmige Staatsbürger in einer vergleichbaren Lage. Der Beschwerdeführer habe in Österreich keine familiären Anknüpfungspunkte und lebe von der Grundversorgung. Er beherrsche die deutsche Sprache auf dem Niveau A1, verfüge aber über kein schützenswertes Privat- oder Familienleben in Österreich. Es würden keine Umstände existieren, welche einer Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran entgegenstünden. Der Beschwerdeführer habe die Fluchtgeschichte zwischen der Erstbefragung bis zur Einvernahme am 16.5.2017 erheblich gesteigert. Er habe zunächst bei der Erstbefragung, mit keinem einzigen Wort erwähnt, dass er Atheist sei und dass er eine Internetseite mit regime- und islamkritischen Inhalt betreibe. Wäre das tatsächlich der Fall gewesen und hätten ihn die iranischen Behörden deswegen bereits verfolgt, dann hätten sie die Hausdurchsuchung so durchgeführt, dass diese nicht vergebens war. Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass die iranischen Behörden trotz Verwendung eines Pseudonyms den echten Namen des BF ausforschen. Die Arbeitsweise des iranischen Geheimdienstes, wie sie vom Beschwerdeführer geschildert wurde, stünde in jeglichen Widerspruch zur einer Arbeitsweise eines Geheimdienstes oder einer gleichen Institution. Des Weiteren wäre eine angebliche Verfolgung, hätte eine solche tatsächlich stattgefunden, für seine kurdisch-stämmige Familie nicht ohne Konsequenzen geblieben. Der Beschwerdeführer habe erst nach der Rückübersetzung eine Korrektur angebracht und behauptet, dass bei der angeblichen Hausdurchsuchung auch zwei verbotene Bücher gefunden worden seien. Dies überzeuge die erkennende Behörde davon, dass der Beschwerdeführer eine taktische Steigerung des Fluchtvorbringens mit dem Ziel, einen Asylgrund zu konstruieren, vorgenommen habe. Der Beschwerdeführer habe keine gleichbleibenden und substantiierten Angaben gemacht. Somit sei ihm die Glaubwürdigkeit abzusprechen. Der Beschwerdeführer habe sich auch hinsichtlich des Verbleibes seiner Dokumente widersprochen und habe er in einer Beschuldigten-Vernehmung vom 19.12.2016 vor der Landespolizeidirektion Oberösterreich angegeben, dass er vorgehabt hätte, nach Mitteleuropa auszuwandern. Die tatsächlichen Gründe des Beschwerdeführers seien daher auf wirtschaftliche Motive bzw. auf den Wunsch nach einem besseren Job in Europa zu reduzieren. Dass der Beschwerdeführer aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden aus rein ethnischen Gesichtspunkten verfolgt wird, ergebe sich aus den Länderfeststellungen nicht. Daran vermöge auch die Gründung einer offensichtlich regime- und islamkritischen Internetseite hier in Österreich unter einem Pseudonym nichts ändern. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der iranische Staat im Ausland erstellte Seiten kontrolliert und noch dazu die Administratoren dazu ausfindig macht. Auf keinem der Internetplattformen "Facebook", "Instagram" oder "Telegramm" sei der vollständige Name des Beschwerdeführers registriert. Es gehe aus der vorgezeigten Telegrammseite auch nicht hervor, wann und aus welchen Gründen die Seite blockiert wurde. Es sei daher die geforderte Intensität einer Verfolgung bzw. die maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung nicht gegeben. Wie aus einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 14.8.2017 hervorgehe, werde die Bewegungsfreiheit bestimmter Personengruppen nur unter bestimmten Voraussetzungen eingeschränkt. Der Beschwerdeführer habe selbst angegeben, im Iran weder strafrechtlich verurteilt noch Probleme mit Verwaltungsbehörden gehabt zu haben. Somit könne davon ausgegangen werden, dass er sich als kurdisch-stämmiger und unbescholtener Mann im gesamten iranischen Staatsgebiet frei bewegen kann. Die Rückkehr in den Iran sei ihm zumutbar und es gehe aus den Länderinformationen hervor, dass Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten begangen haben, von den iranischen Auslandsvertretungen Ersatzpapiere ausgestellt bekommen und in den Iran zurückkehren können. Darüber hinaus verfüge der Beschwerdeführer über einen gültigen Pass. Sein Lebensunterhalt sei durch seine Arbeitsfähigkeit gesichert und er könne Arbeit im Familienunternehmen ausüben bzw. wieder fortsetzen. Die Lebensgrundlage sei ihm nicht entzogen und könne er auch mit Unterstützung seiner Familie rechnen.

Es hätten sich daher keine Hinweise auf das Vorliegen eines Sachverhaltes ergeben, welche unter die Genfer Flüchtlingskonvention falle und zur Gewährung von Asyl führen würde. Das Fluchtvorbringen habe sich als unglaubhaft erwiesen und könne dem Vorbringen keinerlei glaubhafte aktuelle Gefährdung seiner Person entnommen werden, weshalb auch nicht anzunehmen sei, dass der BF im Falle der Rückkehr aufgrund der von ihm behaupteten persönlichen Fluchtgründe einer unmenschlichen Behandlung bzw. der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokoll Nr. 6 und Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt sein würde. Auch würden keine individuellen Umstände vorliegen, die dafür sprechen, dass er bei einer Rückkehr in das Heimatland in eine derart extreme Notlage geraten würde, dass eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK entsteht. Es deute auch nichts darauf hin, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückverbringung einer ernsthaften Gefährdung am Leben oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes ausgesetzt sein würde. Der Beschwerdeführer sei gesund und arbeitsfähig und könne sich - wenn auch auf bescheidenem Niveau - eine neue Existenz aufbauen. Er habe keine Familienangehörigen in Österreich und da er den Großteil seines bisherigen Lebens im Iran verbracht hat, werde ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Familien- und Privatlebens dadurch relativiert, dass den öffentlichen Interessen, insbesondere den Interessen eines geordneten Fremdenwesens und geordneten Zuzugs von Fremden im Verhältnis zu seinen privaten Interessen jedenfalls der Vorzug zu geben sei. Eine Rückkehrentscheidung sei nicht auf Dauer unzulässig und die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen käme nicht in Betracht. Die Rückkehrentscheidung und die Abschiebung seien zulässig. Dem Beschwerdeführer käme weder eine Flüchtlingseigenschaft zu, noch gebe es die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, die einer Abschiebung entgegenstünde. Es sei daher auch die Abschiebung zulässig. Gleichzeitig werde mit der Rückkehrentscheidung eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt. Gründe für die Verlängerung dieser Frist hätten sich nicht ergeben.

4. Mit Verfahrensanordnung vom 28.9.2017 wurde dem Beschwerdeführer ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt. Mit weiterer Verfahrensanordnung wurde der Beschwerdeführer verpflichtet, ein Rückkehrberatungsgespräch bis zum 12.10.2017 in Anspruch zu nehmen.

5. Mit Schriftsatz vom 16.10.2017 wurde durch den bevollmächtigten Vertreter des Beschwerdeführers rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde eingebracht. Die Beschwerde richtet sich gegen alle Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides und es wird Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behauptet. Nach Wiederholung des Sachverhaltes wird der Argumentation der belangten Behörde entgegengehalten, dass zwar die belangte Behörde in der Darstellung hinsichtlich asylrelevanter Verfolgung bzw. Diskriminierung im Recht sei, es erscheine jedoch, dass sie mit diesem Satz das gesamte Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers auf dieses Vorbringen reduziert. Die belangte Behörde habe das übrige Vorbringen des Beschwerdeführers ganz außer Acht gelassen. Nämlich, dass er nicht in den Iran zurückkehren könne, da er aufgrund des Betreibens einer Internetseite mit regime- und islamkritischem Inhalt im Iran bereits in den Fokus der iranischen Behörden geraten sei und er zudem seine sehr kritischen Aussagen im Internet über Instagram und auch Facebook von Österreich aus fortsetzt. Die Feststellung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer sei in Österreich, um seine wirtschaftliche Situation zu verbessern, entbehre jeglicher Nachvollziehbarkeit. Dem stünde entgegen, dass sein Vater Baugründe besitzt, sein Bruder mit Immobilien handelt und die Familie ein Elektrogeschäft betreibt, in welchem der BF mitgearbeitet hätte. Zudem verfüge der Beschwerdeführer über eine höhere Ausbildung in Form eines Ausbildungs-Diploms in Automechanik. Die belangte Behörde hätte daher das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner wirtschaftlichen Situation im Iran zur Gänze ignoriert. Es sei auch der Meinung der belangten Behörde zu widersprechen, dass es dem iranischen Staat nicht möglich sei, im Ausland erstellte Internetseiten zu kontrollieren bzw. die Administratoren ausfindig zu machen. Es handelt sich hierbei um Expertenwissen, welches der belangten Behörde nicht zur Verfügung stünde. Nur ein mit Cyber-Kriminalität befasster Experte könne dazu eine verlässliche Auskunft geben, nämlich zu der Frage, ob eine Identifikation eines Urhebers von kritischen Postings vom Ausland her bzw. im Ausland möglich ist oder nicht. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass ein Ausfindig-machen eines Urhebers von Postings jedenfalls auch vom Ausland her möglich ist. Das Internet sei ein international weltweit grenzüberschreitendes Kommunikationsmedium und Staaten würden über Experten in ihren Sicherheitsdienststellen verfügen, welchen es nachweislich gelingt, international gesuchte Verbrecher oder Regimekritiker auf Social Media Plattformen überall - also auch im Ausland - ausfindig zu machen und gegebenenfalls einer Verhaftung oder Verurteilung zuzuführen.

Dazu wurden drei Beispiele angeführt, in denen die Internet-Aktivitäten im Ausland bei einer Rückkehr in das Herkunftsland negative Folgen für die Rückkehrer gehabt hätte. Das eine Beispiel betreffe eine Frau, welche in Großbritannien lebte und von dort aus regimekritische Beiträge auf Facebook gepostet hatte. Sie sei anlässlich einer Besuchsreise am Flughafen im Iran verhaftet und zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Dies sei auch in Bezug auf einen türkischen Staatsangehörigen geschehen, der über Facebook den türkischen Präsidenten kritisiert habe. Weiters habe die israelische Armee ihre Massenverhaftungen an Palästinensern damit verteidigt, dass die Betroffenen auf Facebook angeblich zu Gewalt gegen Israel aufgerufen hätten oder Gewalttaten gegen das israelische Militär, die israelische Polizei oder die israelischen Bürger gutgeheißen hätten. Der iranische Sicherheitsdienst sei daher mit Sicherheit nicht alleine auf die Beobachtung inländischer Internetaktivitäten beschränkt. Die Beweiswürdigung der belangten Behörde stützte sich auf bloße Vermutungen, sei spekulativ und ohne Begründungswert. Die belangte Behörde habe nicht bedacht, dass die iranischen Behörden ihre Bürger auch im Ausland intensiv beobachten. Das iranische Regime bediene sich dabei eigener Vereine und Internetportale. Die vom Beschwerdeführer angeführten kritischen Inhalte würden jedenfalls als Eingriff auf das politische System und gleichzeitig auf islamische Grundsätze gewertet. Aus seinem Vorbringen ginge auch hervor, dass er sich im Fokus der iranischen Behörden befunden habe und dass er über regime- und islamkritische Inhalte von Österreich aus über Instagram und Facebook verbreite. Der belangten Behörde sei es nicht gelungen, schlüssig zu begründen, warum die am Ende der Befragung hinzugefügte Ergänzung ein gesteigertes Vorbringen darstellen oder unglaubwürdig sein soll. Es sei der belangten Behörde verwehrt, Widersprüche von Vorbringen in der Ersteinvernahme zu weiteren niederschriftlichen Einvernahmen heranzuziehen, die Ersteinvernahme sei auf die Abgleichung der Personaldaten und des Reiseweges ausgerichtet und würde der Schilderung der Fluchtgründe nur kurzer Raum eingeräumt. Es könne vom Antragsteller nicht erwartet werden, dass er alle Facetten seiner Fluchtmotive bzw. Ereignisse anspricht. Aus den Angaben des Beschwerdeführers sei zweifellos eine sehr tiefe innere Abneigung gegen den Islam ersichtlich. Er habe nicht bloß behauptet, dass er sich vom Islam abgewendet hat bzw. dass er Atheist ist, sondern habe er dies sehr deutlich zum Ausdruck gebracht und konkret begründet. Dieser Haltung habe der Beschwerdeführer mit aller Deutlichkeit auch von Österreich aus weiterhin über das Internet Ausdruck verliehen.

Abschließend wurden die Anträge gestellt, eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchzuführen, dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft zu zuerkennen, in eventu dem Beschwerdeführer den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, in eventu das Verfahren zur Sanierung der aufgetretenen Verfahrensmängel zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Das Bundesverwaltungsgericht hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in die erstinstanzlichen Verwaltungsakte. Weiters hat das Bundesverwaltungsgericht am 30.04.2019 und am 27.05.2019 jeweils eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchgeführt, in der der BF und ein Zeuge im Beisein eines zur Vertretung bevollmächtigten Rechtsberaters persönlich befragt wurden. Zur Beurteilung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage wurde auf das von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid angeführte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (LIF) betreffend das Herkunftsland Iran verwiesen und zusätzlich das LIF vom 12.05.2017, mit letzter Aktualisierung vom 02.01.2018 zu den Themen Religionsfreiheit, Christen, Apostasie, ethnische Minderheiten, Kurden, Meinungs- und Pressefreiheit/Internet und exilpolitische Tätigkeiten herangezogen. Das LIF wurde dem Vertreter des BF anlässlich der Verhandlung am 30.04.2019 ausgefolgt.

1. Feststellungen:

1.1. Der BF trägt den im Spruch angeführten Namen und ist an dem angegebenen Datum geboren. Er ist als iranischer Staatsangehöriger im November 2015 illegal in das Bundesgebiet von Österreich eingereist. Den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte er am 05.11.2015.

Der BF ist ledig und ohne Kinder. Von seinen nächsten Verwandten leben seine Mutter, zwei Schwestern und ein Bruder im Iran. Sein Vater ist bereits verstorben. In Österreich hat der BF keine Familienangehörigen und auch sonst keine familiären Anknüpfungspunkte.

1.2. Der BF hat sich der römisch-katholischen Kirche angeschlossen und ist zum Christentum konvertiert. Er hat eine Taufvorbereitung absolviert und wurde am 13.05.2018 in der römisch-katholischen Pfarre St. E. vom zuständigen Pfarrer getauft. Aus der islamischen Religionsgemeinschaft ist der BF förmlich ausgetreten. Im Zuge des Beschwerdeverfahrens hat der BF nachvollziehbar dargelegt, dass er ernsthaft und mit Überzeugung vom islamischen Glauben zum christlichen Glauben übergetreten ist. Er besucht regelmäßig die Gottesdienste und kirchlichen Veranstaltungen, setzt sich mit Glaubensfragen und den grundsätzlichen christlichen Inhalten auseinander.

1.3. Der gegenständlichen Entscheidung werden u. a. die Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides zugrunde gelegt. Schon die belangte Behörde hat Feststellungen getroffen, insbesondere zu den Bereichen politische Lage, Sicherheitslage, Rechtsschutz und Justizwesen, Sicherheitsbehörden, Folter und unmenschliche Behandlung, NGO¿s und Menschenrechtsaktivisten, allgemeine Menschenrechtslage, Haftbedingungen, Todesstrafe, Religionsfreiheit- insbesondere zur Lage der Christen, zum Thema Apostasie, Konversion zum Christentum, Proselytismus und Hauskirchen - ethnische Minderheiten, Grundversorgung und Rückkehr. Es ergaben sich seit der Entscheidung der belangten Behörde im Herkunftsland Iran keine für den vorliegenden Fall relevanten Veränderungen. Insbesondere ist die Lage in Bezug auf Religionswechsel, Abfall vom Islam, Veranstaltung von Hauskirchen bzw. -messen, Behandlung von Christen und Verfolgung von Missionierungen sowie die Situation von Rückkehrern unverändert, wie sich aus den ergänzenden Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes anlässlich der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung ergibt.

Demnach sind folgende Feststellung zu treffen:

Politische Lage

Die komplexen Strukturen politischer Macht in der Islamischen Republik Iran sind sowohl von republikanischen als auch autoritären Elementen gekennzeichnet. Höchste politische Instanz ist der "Oberste Führer der Islamischen Revolution", Ayatollah Seyed Ali Khamene'i, der als Ausdruck des Herrschaftsprinzips des "velayat-e faqih" (Vormundschaft des Islamischen Rechtsgelehrten) über eine verfassungsmäßig verankerte Richtlinienkompetenz verfügt, Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist und das letzte Wort in politischen Grundsatz- und ggf. auch Detailfragen hat. Er wird von einer vom Volk auf acht Jahre gewählten Klerikerversammlung (Expertenrat) auf unbefristete Zeit bestimmt (AA 6.2018a, vgl. BTI 2018, ÖB Teheran 9.2017).

Parteien nach westlichem Verständnis gibt es nicht, auch wenn zahlreiche Gruppierungen nach dem iranischen Verfahren als "Partei" registriert sind. Bei Parlaments- oder Präsidentschaftswahlen werden keine Parteien, sondern Personen gewählt (AA 6.2018a, vgl. GIZ 3.2018a). Zahlreiche reformorientierte Gruppierungen wurden seit den Präsidentschaftswahlen 2009 verboten oder anderweitigen Repressionen ausgesetzt.

Im neuen Parlament sind 17 weibliche Abgeordnete vertreten (AA 6.2018a).

Das iranische Wahlsystem entspricht nicht internationalen demokratischen Standards. Der Wächterrat, der von konservativen Hardlinern und schlussendlich auch vom Obersten Rechtsgelehrten Khamenei kontrolliert wird, durchleuchtet alle Kandidaten für das Parlament, die Präsidentschaft und den Expertenrat. Üblicherweise werden Kandidaten, die nicht als Insider oder nicht vollkommen loyal zum religiösen System gelten, nicht zu Wahlen zugelassen. Bei Präsidentschaftswahlen werden auch Frauen aussortiert. Das Resultat ist, dass die iranischen Wähler nur aus einem begrenzten und aussortierten Pool an Kandidaten wählen können (FH 1.2018, vgl. AA 2.3.2018).

Die Reformer und Moderaten konnten starke Zugewinne erreichen, so gingen erstmals alle Parlamentssitze für die Provinz Teheran an das Lager der Reformer. 217 der bisherigen 290 Abgeordneten wurden nicht wiedergewählt. Auf Reformbestrebungen bzw. die wirtschaftliche Öffnung des Landes durch die Regierung Rohanis wird von Hardlinern in Justiz und politischen Institutionen mit verstärktem Vorgehen gegen "unislamisches" oder konterrevolutionäres Verhalten reagiert. Es kann daher noch nicht von einer wirklichen Verbesserung der Menschenrechtslage gesprochen werden. Ein positiver Schritt war die Publikation der Bürgerrechtscharta im Dezember 2016. Die rechtlich nicht bindende Charta beschreibt in 120 Artikeln die Freiheiten, die ein iranischer Bürger haben sollte (ÖB Teheran 9.2017).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (6.2018a): Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/-/202450, Zugriff 20.6.2018

- AA - Auswärtiges Amt (2.3.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran

- BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report - Iran, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf, Zugriff 22.3.2018

- FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1426304.html, Zugriff 21.3.2018

- Kurier (9.5.2018): Trump kündigt Iran-Abkommen: So reagiert die Weltgemeinschaft, https://kurier.at/politik/ausland/trump-kuendigt-iran-abkommen-so-reagiert-die-weltgemeinschaft/400033003, Zugriff 25.6.2018

- GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2018a): Geschichte und Staat Iran, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/, Zugriff 25.4.2018

- ÖB Teheran (9.2017): Asylländerbericht

Sicherheitslage

Auch wenn die allgemeine Lage insgesamt als ruhig bezeichnet werden kann, bestehen latente Spannungen im Land. Sie haben wiederholt zu Kundgebungen geführt, besonders im Zusammenhang mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei ist es in verschiedenen iranischen Städten verschiedentlich zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten gekommen, die Todesopfer und Verletzte gefordert haben, wie beispielsweise Ende Dezember 2017 und im Januar 2018 (EDA 20.6.2018).

In Iran kommt es, meistens in Minderheitenregionen, unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Seit den Pariser Anschlägen vom November 2015 haben iranische Behörden die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zu Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran, erhöht.

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen und Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit März 2011 gab es in der Region wieder verstärkt bewaffnete Zusammenstöße zwischen iranischen Sicherheitskräften und kurdischen Separatistenorganisationen wie PJAK und DPIK, mit Todesopfern auf beiden Seiten. Insbesondere die Grenzregionen zum Irak und die Region um die Stadt Sardasht waren betroffen. Trotz eines im September 2011 vereinbarten Waffenstillstandes kam es im Jahr 2015 und verstärkt im Sommer 2016 zu gewaltsamen Konflikten. In bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen iranischen Sicherheitskräften und Angehörigen der DPIK am 6. und 7. September 2016 nahe der Stadt Sardasht wurden zehn Personen und drei Revolutionsgardisten getötet. Seit Juni 2016 kam es in der Region zu mehreren derartigen Vorfällen. Bereits 2015 hatte es nahe der Stadt Khoy, im iranisch-türkischen Grenzgebiet (Provinz West-Aserbaidschan), Zusammenstöße mit mehreren Todesopfern gegeben (AA 20.6.2018b).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (20.6.2018b): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/iransicherheit/202396, Zugriff 20.6.2018

- BMeiA - Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (10.5.2017): Reiseinformation Iran, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/iran/, Zugriff 20.6.2018

- EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (20.6.2018): Reisehinweise Iran, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/iran/reisehinweise-fuerdeniran.html, Zugriff 20.6.2018

Rechtsschutz / Justizwesen

Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 9.2017).

Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und, dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (US DOS 20.4.2018). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die unter Anwendung von Folter gemacht wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 18.1.2018). Die Behörden setzen sich ständig über die Bestimmungen hinweg, welche die Strafprozessordnung von 2015 für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorsieht, wie das Recht auf einen Rechtsbeistand unmittelbar nach der Festnahme und während der Untersuchungshaft (AI 22.2.2018, vgl. HRW 18.1.2018).

In der Normenhierarchie der Rechtsordnung Irans steht die Scharia an oberster Stelle. Darunter stehen die Verfassung und das übrige kodifizierte Recht. Die Richter sind nach der Verfassung angehalten, bei der Rechtsanwendung zuerst auf Grundlage des kodifizierten Rechts zu entscheiden. Im Zweifelsfall kann jedoch gemäß den Art. 167 und 170 der iranischen Verfassung die Scharia vorrangig angewendet werden (AA 9.12.2015, vgl. US DOS 15.8.2017).

Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich stark von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe sind nach wie vor auf der Tagesordnung (ÖB Teheran 9.2017). Das iranische Strafrecht ist islamisch geprägt. Zudem existieren einige strafrechtliche Nebengesetze, darunter das Betäubungsmittelgesetz sowie das Antikorruptionsgesetz. Die statuierten Straftatbestände und Rechtsfolgen enthalten zum Teil unbestimmte Formulierungen. Den Kern des "Scharia-Strafrechts", also des islamischen Strafrechts mit seinen z.T. erniedrigenden Strafen wie Auspeitschung, Verstümmelung, Steinigung, sowie der Todesstrafe bilden die Abschnitte zu den Qesas-und Hudud-Delikten:

* "Hudud" (Verstoß gegen das Recht Gottes) enthält Straftatbestände, die im Koran und in der Sunna genauer beschrieben sind, wie z.B. Diebstahl, Raub, Alkoholgenuss, Sexualstraftaten inkl. Homosexualität und Unzucht, sowie Verbrechen gegen Gott. Zu all diesen Tatbeständen enthält das Gesetz detaillierte Beweisregelungen, nach denen der Täter jeweils nur bei Geständnis oder ihn belastenden Aussagen mehrerer Zeugen verurteilt werden soll.

* "Qesas"(Vergeltung) ist gekennzeichnet durch das Prinzip der körperlichen Vergeltung für die Tatbestände Mord und Körperverletzung mit Folge des Verlustes von Gliedmaßen. Hierbei können Geschädigte oder deren Familie selbst bestimmen, ob sie auf Vergeltung bestehen oder sich mit einer Schadensersatzzahlung zufrieden geben ("Diyeh" oder "Dyat", sog. Blutgeld; Minimalsatz rund 31.500 ?). Für die in Art. 13 der Verfassung genannten religiösen Minderheiten ist Blutgeld in gleicher Höhe zu zahlen wie für die Tötung von Muslimen (AA 9.12.2015).

Die "Taazirat"-Vorschriften (vom Richter verhängte Strafen), Strafnormen, die nicht auf religiösen Quellen beruhen, bezwecken in erster Linie den Schutz des Staates und seiner Institutionen. Während für Hudud- und Qesas-Straftaten das Strafmaß vorgeschrieben ist, hat der Richter bei Taazirat-Vorschriften einen gewissen Ermessensspielraum (AA 9.12.2015).

Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da diese sich durch scheinbare Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Häftlinge ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch. Hinsichtlich der Ausübung von Sippenhaft liegen gegensätzliche Informationen vor, sodass eine belastbare Aussage nicht möglich ist (AA 2.3.2018).

Im Frühling 2016 wurde ein Gesetz zu politischen Verbrechen erlassen, welches zwar eine Sonderbehandlung für politische Häftlinge einführt (eigene Gefängnisse, keine Gefängniskleidung), den Begriff "politisches Vergehen" aber sehr offen definiert, weshalb weiter willkürliche Verfolgung zu befürchten ist. Statistiken zur Zahl der politischen Gefangenen sind nicht verfügbar. Es wird aber von mehr als 1.000 politischen Gefangenen ausgegangen, wobei diese Zahl auch Menschen, die wegen ihrer religiösen Überzeugung festgehalten werden, beinhaltet (ÖB Teheran 9.2017).

Rechtsschutz ist oft nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird mitunter - insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren - nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Es gibt zahlreiche Berichte über durch Folter und psychischen Druck erzwungene Geständnisse. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen (AA 2.3.2018).

Es gibt verfahrensrechtliche Bestimmungen, die den Richtern die Anweisung geben, islamische Quellen und Fatwas zu kontaktieren, wenn es keinen Gesetzestext zum Vorfall gibt (DIS 6.2014).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran

- AA - Auswärtiges Amt (2.3.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran

- AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html, Zugriff 21.3.2018

- BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report - Iran, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf, Zugriff 22.3.2018

- DIS - Danish Immigration Service (6.2014): Update on the Situation for Christian Converts in Iran. Report from the Danish Immigration Service's fact-finding mission to Istanbul and Ankara, Turkey and London, United Kingdom, https://www.ecoi.net/en/file/local/1038385/1226_1403600474_rapportiranffm10062014ii.pdf, Zugriff 21.3.2018

- HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1424270.html, Zugriff 21.3.2018

- ÖB Teheran (9.2017): Asylländerbericht

- US DOS - US Department of State (20.4.2018): Country Reports on Human Rights Practices 2016 Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430093.html, Zugriff 23.4.2018

- US DOS - US Department of State (15.8.2017): 2016 Report on International Religious Freedom - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1406998.html, Zugriff 28.5.2018

Sicherheitsbehörden

Neben dem "Hohen Rat für den Cyberspace" beschäftigt sich die iranische Cyberpolice mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfällen und Verletzungen der Privatsphäre im Internet sowie der Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet. Sie steht auf der EU-Menschenrechtssanktionsliste (AA 2.3.2018).

Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da vor allem die Basijis nicht nach iranisch-rechtsstaatlichen Standards handeln. Auch Verhaltensweisen, die an sich (noch) legal sind, können das Misstrauen der Basijis hervorrufen. Basijis sind ausschließlich gegenüber dem Obersten Führer loyal und haben oft keinerlei reguläre polizeiliche Ausbildung, die sie mit rechtlichen Grundprinzipien polizeilichen Handelns vertraut gemacht hätten. Basijis haben Stützpunkte u.a. in Schulen, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander. Viele Schätzungen nehmen an, dass heute mehrere Millionen Basijis in Iran tätig sind. Bereits auffälliges Hören von (insb. westlicher) Musik, die Äußerung der eigenen Meinung zum Islam oder gemeinsame Autofahrten junger nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen kann den Unwillen zufällig anwesender Basijis bzw. mit diesen sympathisierenden Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Verprügeln durch Basijis können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden. Zu Verhaftungen kommt es immer wieder auch, wenn (junge) Menschen gemischtgeschlechtliche Partys feiern oder sie sich nicht an die Bekleidungsvorschriften halten. Manchmal kann bei Frauen schon ein zu kurzer/enger Mantel oder das Hervortreten von Haarsträhnen unter dem Kopftuch, bei Männern zu eng anliegende Jeans, das Tragen von Goldschmuck oder ein außergewöhnlicher Haarschnitt für eine Verhaftung reichen (ÖB Teheran 9.2017).

In Bezug auf die Überwachung der Bevölkerung ist zu sagen, dass nicht bekannt ist, wie groß die Kapazität der iranischen Behörden ist, jeden zu überwachen. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (2.3.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran

- BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report - Iran, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf, Zugriff 22.3.2018

- DW - Deutsche Welle (18.2.2016): Die Strippenzieher der iranischen Wirtschaft, http://www.dw.com/de/die-strippenzieher-der-iranischen-wirtschaft/a-19054802, Zugriff 22.3.2018

- FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1426304.html, Zugriff 22.3.2018

- DIS/DRC - The Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-and-converts.pdf, Zugriff 24.4.2018

- Menawatch (10.1.2018): Die Wirtschaft des Iran ist in den Händen der Revolutionsgarden, https://www.mena-watch.com/die-wirtschaft-des-iran-ist-in-den-haenden-der-revolutionsgarden/, Zugriff 22.3.2018

- ÖB Teheran (9.2017): Asylländerbericht

- Tagesspiegel (8.6.2017): Staat im Staat: Warum Irans Revolutionsgarden so viel Macht haben, https://www.tagesspiegel.de/politik/krise-am-golf-staat-im-staat-warum-irans-revolutionsgarden-so-viel-macht-haben/19907934.html, Zugriff 22.3.2018

- US DOS - US Department of State (20.4.2018): Country Reports on Human Rights Practices 2016 Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430093.html, Zugriff 23.4.2018

Folter und unmenschliche Behandlung

Folter ist nach Art. 38 der iranischen Verfassung verboten. Verschiedenen Berichten zufolge schließen Verhörmethoden und Haftbedingungen in Iran in einzelnen Fällen seelische und körperliche Folter sowie unmenschliche Behandlung nicht aus.

Die Justizbehörden verhängten und vollstreckten auch 2017 weiterhin grausame und unmenschliche Strafen, die Folter gleichkamen. In einigen Fällen wurden die Strafen öffentlich vollstreckt. Zahlreiche Personen, unter ihnen auch Minderjährige, erhielten Strafen von bis zu 100 Peitschenhieben.

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (2.3.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran

- AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html, Zugriff 24.4.2018

- HRC - UN Human Rights Council (formerly UN Commission on Human Rights) (5.3.2018): Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran [A/HRC/37/68], https://www.ecoi.net/en/file/local/1426273/1930_1520515641_a-hrc-37-68.doc, Zugriff 25.4.2018

- ÖB Teheran (9.2017): Asylländerbericht

Allgemeine Menschenrechtslage

Zu den größten menschenrechtlichen Problemen gehören die hohe Anzahl an Exekutionen, Folter, harsche und lebensbedrohliche Haftbedingungen, willkürliche Verhaftungen, politische Gefangene, widerrechtliche Einmischung in die Privatsphäre, schwerwiegende Einschränkungen der Meinungs-, Presse-, Internet-, Versammlungs-, Vereinigungs- und Religionsfreiheit. Weiters Frauen- und LGBTI-Rechte und eingeschränkte politische Partizipation, sowie Korruption. Es gab nur wenige Unternehmungen seitens der Regierung, diese Probleme zu untersuchen, gerichtlich zu verfolgen und zu bestrafen. Straffreiheit bleibt weiterhin ein Problem in Iran (US DOS 20.4.2018). Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze in Frage stellt.

Die Menschenrechtslage in Iran bleibt vier Jahre nach Amtsantritt einer gemäßigten Regierung trotz gradueller Verbesserungen im Bereich der Kunst- und Pressefreiheit nahezu unverändert kritisch. Regimegegner sowie religiöse und ethnische Minderheiten sind nach wie vor regelmäßig Opfer staatlicher Repressionen. Beunruhigend ist die außerordentlich hohe Anzahl an Hinrichtungen (AA 6.2017a).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (6.2017a): Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/-/202450, Zugriff 21.3.2018

- AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html, Zugriff 21.3.2018

- FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1426304.html, Zugriff 19.6.2018

- HRC - UN Human Rights Council (formerly UN Commission on Human Rights) (5.3.2018): Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran [A/HRC/37/68], https://www.ecoi.net/en/file/local/1426273/1930_1520515641_a-hrc-37-68.doc, Zugriff 25.4.2018

- HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1424270.html, Zugriff 24.4.2018

- ÖB Teheran (9.2017): Asylländerbericht

- US DOS - US Department of State (20.4.2018): Country Reports on Human Rights Practices 2016 Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430093.html, Zugriff 23.4.2018

Meinungs- und Pressefreiheit

Die iranische Verfassung garantiert zwar Meinungs- und Medienfreiheit, aber nur insoweit Aussagen nicht "schädlich" für die grundlegenden Prinzipien des Islams oder die "Rechte der Öffentlichkeit" sind (ÖB Teheran 9.2017). In der Praxis sehen sich Meinungs- und Pressefreiheit mit starken Einschränkungen konfrontiert (AA 2.3.2018, vgl. BTI 2018, AI 22.2.2018).

Für Funk- und Fernsehanstalten besteht ein staatliches Monopol. Der Empfang ausländischer Satellitenprogramme ist ohne spezielle Genehmigung untersagt, wenngleich weitverbreitet. Die Behörden versuchen, dies durch den Einsatz von Störsendern (sog. Jamming) zu unterbinden. Ebenso werden oppositionelle Webseiten und eine Vielzahl ausländischer Nachrichtenseiten sowie soziale Netzwerke durch iranische Behörden "geblockt" (AA 2.3.2018, vgl. FH 1.2018). Ihr Empfang ist jedoch mithilfe sog. VPN (Virtual Private Networks) möglich, wird aber "gefiltert" bzw. mitgelesen. Das Vorgehen der Behörden gegen reformorientierte Medien erstreckt sich auch auf das Internet. Jeder, der sich regimekritisch im Internet äußert, läuft Gefahr, mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, einen "Cyber-Krieg" gegen das Land führen zu wollen. Die Überwachung persönlicher Daten ist grundsätzlich nur mit Gerichtsanordnung möglich, außer die nationale Sicherheit ist betroffen (AA 2.3.2018).

Auch gegen Personen, die ihre Meinung oder Nachrichten online publizieren (Blogger), wurde in den letzten Jahren massiv vorgegangen. Oft wurden sie zu langen Haftstrafen verurteilt, zum Teil sogar zum Tode. Die elektronischen Medien und der Internet-Verkehr sowie Internet-Cafés (obligatorische Personenidentifikationen und Überwachungskameras) stehen unter intensiver staatlicher Kontrolle. Millionen Internetseiten sind gesperrt, Satellitenschüsseln sind verboten (jedoch weit verbreitet, wenn auch manchmal durch Abmontieren kurzfristig beeinträchtigt). Regimefeindliche oder "islamfeindliche" Äußerungen werden auch geahndet, wenn sie in elektronischen Kommunikationsmedien, etwa auch in sozialen Netzwerken, getätigt werden (ÖB Teheran 9.2017).

Ebenso unter Druck stehen Filmemacher und bildende Künstler, vor allem dann, wenn ihre Kunst als "unislamisch" oder regimekritisch angesehen wird oder sie ihre Filme an ausländische Filmproduktionsfirmen verkaufen oder auch nur im Ausland aufführen (dazu wurde jüngst eine Genehmigungspflicht verhängt). Über zahlreiche Künstler wurden Strafen wegen zumeist "regimefeindlicher Propaganda" und anderen Anschuldigungen verhängt. Viele sind regelmäßig in Haft bzw. zu langjährigen Tätigkeits- und Interviewverboten verurteilt (ÖB Teheran 9.2017).

Präsident Rohani hatte in seiner Wahlkampagne eine Lockerung der Zensurpolitik versprochen. Zeitweise wurden einige soziale Netzwerke wieder freigegeben. Rohani bezeichnete den Zugang zum Internet als "Bürgerrecht" und ist selbst auf Twitter und Facebook aktiv (beide aktuell in Iran gesperrt, wobei dies durch viele Iraner mittels VPN umgangen wird). Trotz seiner vielversprechenden Aussagen und einer (teils heftig geführten) öffentlichen Diskussion insbesondere zum Thema "Cyberspace" hat sich die Situation aber nicht signifikant verbessert, im Gegenteil: Im ersten Halbjahr 2016 wurde immer wieder von Polizeiaktionen gegen Instagram (u.a. "Operation Spider") und andere soziale Netzwerke wegen "islamfeindlicher" Inhalte (etwa Werbung für Tattoostudios oder Make-up) und von zahlreichen Festnahmen berichtet. Ende Mai 2016 wurde angekündigt, dass die Anbieter von Messaging-Apps binnen eines Jahres die Daten über iranische Staatsbürger auf Server innerhalb Irans transferieren müssen, um Datenschutz- und Sicherheitsbedenken auszuräumen. Nur Dienste, die dem Folge leisten, könnten auch weiterhin in Iran angeboten werden (ÖB Teheran 9.2017). Der in Iran sehr beliebte Messenger Dienst Telegram wurde am 30.4.2018 gesperrt, da er angeblich die nationale Sicherheit gefährde. Die Iraner sollen auf den Messenger Soroush umsteigen, der unter staatlicher Kontrolle steht (ROG 4.5.2018).

Nahezu jede iranische Familie besitzt eine Satellitenschüssel, auch wenn diese offiziell verboten sind. Internet ist weit verbreitet, die Zahl der Internetcafés (Cofee Net) nimmt stetig zu, chatten (und zunehmend auch bloggen) ist eine Art Volkssport unter jungen Iranern. Zudem ist die Zahl an Handys gerade unter jungen Iranern hoch, auch wenn SIM-Karten sehr teuer sind. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich Filme aus Hollywood, von denen Raubkopien überall auf den Straßen zu kaufen sind. Die dürftige Qualität und die islamische Zensur schrecken niemanden ab (GIZ 3.2018c).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (2.3.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran

- AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html, Zugriff 19.6.2018

- BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report - Iran, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf, Zugriff 19.6.2018

- FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1426304.html, Zugriff 19.6.2018

- HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1424270.html, Zugriff 19.6.2018

- GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2018c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/, Zugriff 19.6.2018

- ÖB Teheran (9.2017): Asylländerbericht

- ROG - Reporter ohne Grenzen (4.5.2018): Iranian court imposes total ban on Telegram, https://www.ecoi.net/de/dokument/1432115.html, Zugriff 22.6.2018

- ROG - Reporter ohne Grenzen (2018): Rangliste zur Pressefreiheit 2018, http://www.rog.at/wp-content/uploads/2015/05/Rangliste-Pressefreiheit-2018.pdf, Zugriff 19.6.2018

- US DOS - US Department of State (20.4.2018): Country Reports on Human Rights Practices 2016 Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430093.html, Zugriff 19.6.2018

Religionsfreiheit

In Iran leben ca. 82 Millionen Menschen, von denen ungefähr 99% dem Islam angehören. Etwa 90% der Bevölkerung sind Schiiten, ca. 9% sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha'i, Sufis, Ahl-e Haqq und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppierungen (BFA Analyse 23.5.2018). Der Islam schiitischer Prägung ist im Iran Staatsreligion. Gleichwohl dürfen die in Art. 13 der iranischen Verfassung anerkannten "Buchreligionen" (Christen, Juden, Zoroastrier) ihren Glauben im Land relativ frei ausüben. In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie. Jegliche Missionstätigkeit kann jedoch als "mohareb" (Krieg gegen Gott) verfolgt und mit dem Tod bestraft werden. Auch unterliegen Vertreter religiöser Minderheiten Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Nichtmuslime sehen sich darüber hinaus im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald ein Muslim Teil der relevanten Personengruppe ist (AA 2.3.2018, vgl. ÖB Teheran 9.2017).

Anerkannte religiöse Minderheiten - Zoroastrier, Juden, (v.a. armenische und assyrische) Christen - werden diskriminiert, nicht anerkannte nicht-schiitische Gruppen - Bahá'í, konvertierte evangelikale Christen, Sufi (Derwisch-Orden), Atheisten - werden in unterschiedlichem Grad verfolgt. Sunniten werden v.a. beim beruflichen Aufstieg im öffentlichen Dienst diskriminiert. Vertreter von anerkannten religiösen Minderheiten betonen immer wieder, wenig oder kaum Repressalien ausgesetzt zu sein. Sie sind in ihrer Religionsausübung - im Vergleich mit anderen Ländern der Region - nur relativ geringen Einschränkungen unterworfen (religiöse Aktivitäten sind nur in den jeweiligen Gotteshäusern und Gemeindezentren erlaubt; christliche Gottesdienste in Farsi sowie missionarische Tätigkeiten sind generell verboten). Darüber hinaus haben sie gewisse anerkannte Minderheitenrechte, etwa - unabhängig von ihrer zahlenmäßigen Stärke - eigene Vertreter im Parlament sowie das Recht auf Alkoholkonsum bei religiösen Riten und im Privatbereich, wenn keine Moslems anwesend sind. Es gibt Berichte von gesellschaftlicher Diskriminierung von Bahai aufgrund ihrer Religion. Dennoch geht die Verfolgung hauptsächlich von staatlichen Akteuren aus. Der Auswanderungsdruck ist auf Grund der für alle Iraner geringeren wirtschaftlichen Perspektiven auch bei den Angehörigen der anerkannten religiösen Minderheiten weiterhin groß (ÖB Teheran 9.2017).

Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit wird sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben systematisch verletzt. Die Behörden zwangen weiterhin Personen aller Glaubensrichtungen einen Kodex für Verhalten in der Öffentlichkeit auf, der auf einer strikten Auslegung des schiitischen Islams gründete. Muslime, die keine Schiiten waren, durften weder für das Amt des Präsidenten kandidieren noch andere hochrangige politische Ämter bekleiden. Das Recht, eine Religion zu wechseln oder aufzugeben, wurde weiterhin verletzt. Personen, die zum Christentum übergetreten waren, erhielten hohe Gefängnisstrafen, die in einigen Fällen von zehn bis 15 Jahren reichten. Es gab weiterhin Razzien in Hauskirchen. Personen, die sich zum Atheismus bekannten, konnten jederzeit willkürlich festgenommen, inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt werden. Sie liefen Gefahr, wegen "Apostasie" (Abfall vom Glauben) zum Tode verurteilt zu werden (AI 22.2.2018).

Anerkannten ethnischen Gemeinden ist es verboten, Christen mit muslimischem Hintergrund zu unterstützen. Gottesdienste in der Landessprache Persisch sind in Iran verboten, ebenso die Verbreitung christlicher Schriften. Teilweise werden einzelne Gemeindemitglieder vorgeladen und befragt. Unter besonderer Beobachtung stehen insbesondere auch hauskirchliche Vereinigungen, deren Versammlungen regelmäßig aufgelöst und deren Angehörige gelegentlich festgenommen werden. Muslimische Konvertiten und Mitglieder protestantischer Freikirchen sind demgegenüber willkürlichen Verhaftungen und Schikanen ausgesetzt (AA 2.3.2018).

Auch die Aussagen und Ansichten von schiitischen Geistlichen werden beobachtet. Schiitische Religionsführer, die die Politik der Regierung oder des Obersten Führers Khamenei nicht unterstützen, können sich auch Einschüchterungen und Repressionen bis hin zu Haftstrafen gegenübersehen (US DOS 15.8.2018).

Laut der in den USA ansässigen NGO "United for Iran" waren 2016 198 Gefangene wegen "Feindschaft gegen Gott", 31 wegen "Beleidigung des Islam" und 12 wegen "Korruption auf Erden" inhaftiert (US DOS 15.8.2017).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (2.3.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran

- AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html, Zugriff 21.3.2018

- BFA Analyse (23.5.2018): Iran - Situation armenischer Christen, https://www.ecoi.net/en/file/local/1431384/5818_1525418941_iran-analyse-situation-armenischer-christen-2018-05-03-ke.pdf, Zugriff 29.5.2018

- ÖB Teheran (9.2017): Asylländerbericht

- US DOS - US Department of State (15.8.2017): 2016 Report on International Religious Freedom - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1406998.html, Zugriff 28.5.2018

Christen (Apostasie, Konversion,... siehe Abschnittt 15.2)

Glaubwürdige Schätzungen sprechen von 100.000 bis 300.000 Christen in Iran, von denen der Großteil den armenischen Christen angehört. Diese leben hauptsächlich in Teheran und Isfahan. Die armenischen Christen gehören zu den anerkannten religiösen Minderheiten, die in der Verfassung genannt werden. Ihnen stehen zwei der 290 Sitze im iranischen Parlament zu. Laut den konsultierten Quellen können armenische Christen - solange sie sich an die Gesetze der Islamischen Republik Iran halten - ihren Glauben relativ frei ausüben. Es gibt Kirchen, die auch von außen als solche erkennbar sind. Sie haben das Recht, religiöse Riten und Zeremonien abzuhalten, Ehen nach den eigenen religiösen Gesetzen zu schließen und auch Privatschulen zu betreiben. Persönliche Angelegenheiten und religiöse Erziehung können dem eigenen religiösen Kanon nach geregelt werden. Es gibt aber auch Einschränkungen, mit denen auch anerkannte religiöse Minderheiten zu leben haben, beispielsweise Nachteile bei der Arbeitssuche, islamische Bekleidungsvorschriften und Benachteiligungen insbesondere im Familien- und Erbrecht. Eine wichtige Einschränkung ist das Proselytismusverbot, das für alle religiösen Minderheiten gilt. Missionierung kann im Extremfall mit dem Tod bestraft werden (BFA Analyse 23.5.2018). Nicht einmal Zeugen Jehovas missionieren in Iran (DIS/DRC 23.2.2018).

Das Christentum in Iran kann in ethnische und nicht-ethnische Christen unterteilt werden. Die Mehrheit der iranischen Christen ist den ethnischen Christen zuzuordnen und bezieht sich auf armenische und assyrische (oder auch chaldäische) Christen, die eine lange Geschichte in Iran vorweisen können und ihre eigenen linguistischen und kulturellen Traditionen besitzen. Die nicht-ethnischen Christen gehören hauptsächlich der katholischen und protestantischen Kirche an und haben ihren Ursprung in der Zeit des Schah-Regimes. Grundrechtlich besteht "Kultusfreiheit" innerhalb der Mauern d

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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