TE Vwgh Erkenntnis 1997/11/25 95/04/0123

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Veröffentlicht am 25.11.1997
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
50/01 Gewerbeordnung;

Norm

AVG §52;
GewO 1973 §77 Abs2 impl;
GewO 1994 §74 Abs2 Z1;
GewO 1994 §74 Abs2 Z2;
GewO 1994 §77 Abs1;
GewO 1994 §77 Abs2;
GewO 1994 §79 Abs1;
GewO 1994 §82 Abs4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Stöberl und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Marihart, über die Beschwerde des W in B, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 25. April 1995, Zl. VIb- 221/496-1994, betreffend Verfahren gemäß S 81 GewO 1994, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird, soweit damit die Berufung der beschwerdeführenden Partei gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bludenz vom 19. Juli 1994, Zl. II-3138/94, abgewiesen wird, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 13.010,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bludenz vom 19. Juli 1994 wurde dem Beschwerdeführer die gewerbebehördliche Genehmigung der Änderung seiner Betriebsanlage (Omnibusgarage in B) durch Errichtung und Betrieb einer Waschanlage für Omnibusse "gemäß § 81 in Verbindung mit den §§ 74, 77 und 353ff der Gewerbeordnung 1994, BGBl. Nr. 194/1994, sowie in Verbindung mit § 27 Abs. 2 des Arbeitnehmerschutzgesetzes, BGBl. Nr. 234/1997 i.d.g.F." unter Vorschreibung folgender Auflagen erteilt:

1. Der Waschbetrieb darf nur tagsüber (6.00 bis 22.00 Uhr) bei geschlossenem Tor erfolgen.

2.

Ein Waschbetrieb an Sonn- und Feiertagen ist nicht zulässig.

3.

Ein Waschbetrieb während der Nachtstunden (22.00 bis 6.00 Uhr) ist nicht zulässig.

              4.              Die Waschanlage ist derart elektrisch zu verriegeln, daß sie nur bei geschlossenem Waschhallentor in Betrieb zu nehmen ist. Dagegen erhoben der Beschwerdeführer und ein Nachbar Berufung. Ergänzend zum erstinstanzlichen Ermittlungsverfahren hat die Berufungsbehörde ein (neues) gewerbetechnisches und danach ein (neues) medizinisches Amtssachverständigengutachten eingeholt. Zu diesen beiden, ihm zur Kenntnis gebrachten Gutachten, erstattete der Beschwerdeführer schriftliche Stellungnahmen vom 23. Februar 1995 bzw. 27. Februar 1995 und vom 5. April 1995.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 25. April 1995 wurde den Berufungen des Beschwerdeführers und eines namentlich genannten Nachbarn "gemäß 5 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit 5§ 74, 77, 81 und 353ff GewO 1994" keine Folge gegeben und der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bludenz vom 19. Juli 1994 bestätigt.

In der Begründung dieses Bescheides führte der Landeshauptmann nach Darstellung der maßgebenden Vorgänge des Verwaltungsverfahrens und der anzuwendenden Rechtslage - soweit für die Behandlung der Beschwerde relevant -aus, unter Berücksichtigung der wiedergegebenen schlüssigen Gutachten, insbesondere der Ausführungen der medizinischen Amtssachverständigen, sowie der Ermittlungsergebnisse im Verfahren vor der Erstbehörde sei die Berufungsbehörde der Auffassung, daß die Vorschreibung-der im Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bludenz ausgewiesenen Auflagen erforderlich sei, um Gefährdungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1 GewO 1994 durch den Betrieb der Waschanlage samt Zu- und Abfahrtsverkehr zu vermeiden und diesbezüglich Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 2 bis 5 leg. cit. auf ein zumutbares Maß zu beschränken; die Vorschreibung darüber hinausgehender Auflagen sei nicht erforderlich. Den Berufungen des Beschwerdeführers und des namentlich genannten Nachbarn sei daher nicht Folge zu geben gewesen. Zur Berufung des Beschwerdeführers sei zudem auszuführen, daß die dem Privatgutachten zugrundegelegten Meßergebnisse vom Amtssachverständigen nicht angezweifelt worden seien, sondern sich diese mit dessen Messungen grundsätzlich decken würden. Durch die Aufnahme des Waschbetriebes würden notwendigerweise zusätzliche Zu- und Abfahrten zur bzw. von der Waschhalle erforderlich. Bei Verwendung der Halle als Waschhalle würden Busse - anders als bei einer ausschließlichen Verwendung als Garage - nur kurze Zeit (während des Waschvorganges) in der Halle abgestellt und dann aus der Waschhalle ausgefahren, um einem neuen Bus für den Waschvorgang Platz zu schaffen. Diese, mit der Verwendung der Waschhalle im kausalen Zusammenhang stehenden Fahrbewegungen seien im gegenständlichen Änderungsgenehmigungsverfahren zu berücksichtigen gewesen. Da die eigentlichen Waschvorgänge bei geschlossenem Tor für die Nachbarn unter Berücksichtigung der Schallpegel bei den Zu- und Abfahrten im wesentlichen nicht störend seien, seien Schallpegelmessungen der Waschanlage bei geschlossenem Tor nicht erforderlich gewesen. Die Genehmigung für die Waschtätigkeit könne nicht isoliert von den erforderlichen Zu- und Abfahrten - diese seien lärmtechnisch gemessen worden - gesehen werden. Die von der medizinischen Amtssachverständigen beantragten und in den Bescheid aufgenommenen Auflagen seien in diesen zusätzlichen Zu- und Abfahrten zur bzw. von der Waschhalle begründet. Zur Kritik des Beschwerdeführers, es herrsche an Sonn- und Feiertagen sowie nachts auf der unmittelbar angrenzenden Westbahnstrecke erheblicher Zugs- und Verschubbetrieb (ca. 100 Züge pro Tag), werde auf die Ausführungen des im Berufungsverfahren eingeholten gewerbetechnischen Sachverständigengutachtens verwiesen. Wie in diesem Amtssachverständigengutachten unter Punkt 2.5. ausgeführt worden sei, trete die Bahnlinie am gegebenen Standort in der in diesem Gutachten näher angeführten Differenzierung schalltechnisch in Erscheinung. Auch in dem im Berufungsverfahren eingeholten medizinischen Gutachten werde die diesbezüglich beeinflußte Umgebungsgeräuschsituation entsprechend berücksichtigt. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid nach seinem gesamten Beschwerdevorbringen in dem Recht verletzt, nicht durch Auflagen belastet bzw. beschränkt zu werden, die zum Schutz der Nachbarn vor den im § 74 Abs. 2 GewO normierten Gefährdungen und Belästigungen nicht erforderlich sind. Er bringt hiezu im wesentlichen vor, die medizinische Amtssachverständige habe hinsichtlich der von ihr vorgeschlagenen Auflage - einen Waschbetrieb in der Zeit von 22.00 bis 6.00 Uhr zu untersagen - übersehen, daß nach den Ausführungen des im Berufungsverfahren beigezogenen gewerbetechnischen Sachverständigen von 22.00 bis 0.00 Uhr je halbe Stunde noch jeweils ein Waschvorgang durchgeführt werden könne, ohne eine Erhöhung der Gesamtschallimmission zu verursachen. Die belangte Behörde habe diesen Widerspruch aber nicht erkannt. Die medizinische Sachverständige habe aufbauend auf dem gewerbetechnischen Gutachten vom 31. Jänner 1995 die Auswirkungen der zu erwartenden Immissionen auf den menschlichen Organismus festzustellen. Die im Berufungsverfahren beigezogene medizinische Sachverständige habe jedoch das gewerbetechnische Gutachten nicht vollständig übernommen und sei auf die in der Beschwerde im einzelnen dargelegten Ausführungen des gewerbetechnischen Amtssachverständigen nicht eingegangen. Im ärztlichen Sachbefund finde sich nichts über die Klangcharakteristik. Der medizinische Sachverständige habe unter anderem auf die Häufigkeit und eine allfällige Klangcharakteristik der einzelnen Lärmereignisse insbesondere der Lärmspitzen Bedacht zu nehmen. Die medizinische Sachverständige habe dem gewerbetechnischen Sachverständigen zu Unrecht vorgeworfen, daß er die Lärmpegelspitzen nicht beachtet habe. Diese Schallpegelspitzen habe der gewerbetechnische sachverständige in seinem Gutachten dargelegt. Die Waschanlage selbst erreiche diese Grenzwerte nie. Lediglich durch die Fahrbewegungen am Vorplatz werde der Grenzwert werktags um 5 dB und sonntags um 14 dB überschritten. Der von der medizinischen Sachverständigen angeführte Zuschlag von 30 dB während der Nachtstunden werde in keinem Fall überschritten. Ein ärztlicher Sachverständiger habe in seinem Gutachten aber von den objektiv durch den gewerbetechnischen Sachverständigen aufgenommenen Beweisen auszugehen. Dies habe die im Berufungsverfahren beigezogene ärztliche Sachverständige im vorliegenden Fall unterlassen. Die belangte Behörde habe das medizinische Sachverständigengutachten ohne ausreichende Würdigung übernommen. Dadurch habe die belangte Behörde ihre Begründungspflicht verletzt. Sie habe auch das gewerbetechnische Gutachten nicht ausreichend gewürdigt. Der gewerbetechnische Amtssachverständige habe nämlich zu auf der K-Straße in der Nacht auftretenden Schallpegelspitzen (von 75 dB) nicht nachvollziehbar ausgeführt, wie sich dies auf die gegenständliche Situation auswirke. In diesen Punkten sei das gewerbetechnische Gutachten unverständlich. Zum Zeitraum Sonntag morgen fehlten in der Befundaufnahme Ausführungen über die Lärmsituation, die Betriebsgeräusche und den Fahrbetrieb. Auch Meßergebnisse seien hier nicht angeführt. Der Sachverständige gehe davon aus, daß Messungen der Emissionen bei geschlossenem Tor auch eine mit Unsicherheiten verbundene Abschätzung hinsichtlich des Schalldämmaßes nicht notwendig gemacht hätte. Aus welchem Grund das Schalldämmaß nicht gemessen worden sei, bleibe unbeantwortet. Der Sachverständige habe sein Mikrofon im Vorgarten des Nachbarn F in einer Höhe von 1,5 m aufgestellt. Dabei habe der Sachverständige nicht berücksichtigt, daß sich Nachbarn in der Nacht nicht im Garten sondern in ihren Schlafzimmern aufhielten. Wo sich diese Schlafräume befänden und wie sich die Lärmsituation dort bei offenem bzw. geschlossenem Fenster darstelle, sei nicht ermittelt worden.

Schon mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer im Ergebnis im Recht.

Gemäß § 74 Abs. 2 GewO 1994 - in der hier anzuwendenden Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 63/1997 - dürfen gewerbliche Betriebsanlagen nur mit Genehmigung der Behörde

333, 334, 335) errichtet oder betrieben werden, wenn sie wegen der Verwendung von Maschinen und Geräten, wegen ihrer Betriebsweise, wegen ihrer Ausstattung oder sonst geeignet sind, (Z. 1) das Leben oder die Gesundheit ... der Nachbarn ... zu gefährden; (Z. 2) die Nachbarn unter anderem durch Lärm zu belästigen. Nach dem Abs. 3 dieser Gesetzesstelle besteht die Genehmigungspflicht auch dann, wenn die Gefährdungen, Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteiligen Einwirkungen nicht durch den Inhaber der Anlage oder seine Erfüllungsgehilfen, sondern durch Personen in der Betriebsanlage bewirkt werden können, die die Anlage der Art des Betriebes gemäß in Anspruch nehmen.

Gemäß § 77 Abs. 1 leg. cit. ist die Betriebsanlage zu genehmigen, wenn nach dem Stand der Technik (S 71a) und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zu erwarten ist, daß überhaupt oder bei Einhaltung der erforderlichenfalls vorzuschreibenden bestimmten geeigneten Auflagen die nach den Umständen des Einzelfalles voraussehbaren Gefährdungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1 vermieden und Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 2 bis 5 auf ein zumutbares Maß beschränkt werden.

Ob Belästigungen der Nachbarn im Sinne des § 74 Abs. 2 Z.2 zumutbar sind, ist gemäß § 77 Abs. 2 leg. cit. danach zu beurteilen, wie sich die durch die Betriebsanlage verursachten Änderungen der tatsächlichen örtlichen Verhältnisse auf ein gesundes, normal empfindendes Kind und auf einem gesunden, normal empfindenden Erwachsenen auswirken.

Wenn es zur Wahrung der im § 74 Abs. 2 umschriebenen Interessen erforderlich ist, bedarf gemäß § 81 Abs. 1 leg. cit. auch die Änderung einer genehmigten Betriebsanlage einer Genehmigung im Sinne der vorstehenden Bestimmungen. Diese Genehmigung hat auch die bereits genehmigte Anlage soweit zu umfassen, als es wegen der Änderung zur Wahrung der im § 74 Abs. 2 umschriebenen Interessen gegenüber der bereits genehmigten Anlage erforderlich ist. Wie der Verwaltungsgerichtshof - ausgehend von dem im § 77 Abs. 1 leg. cit. im Zusammenhang mit der Vorschreibung von Auflagen enthaltenen Merkmal "erforderlichenfalls" - in ständiger Rechtsprechung dargelegt hat, dürfen dem Betriebsinhaber nicht strengere (ihn stärker belastende) Maßnahmen vorgeschrieben werden, als dies zur Wahrung der im § 77 Abs. 1 und 2 GewO 1994 angeführten Schutzzwecke notwendig ist (vgl. hiezu etwa das hg. Erkenntnis vom 22. April 1997, Zl. 96/04/0217, und die darin angegebene Vorjudikatur).

Ausgangspunkt einer Eignung zur Belästigung (bzw. Gefährdung der Gesundheit) von Nachbarn einer gewerblichen Betriebsanlage muß das zur dort entfalteten gewerblichen Tätigkeit gehörende Geschehen sein. Lärmereignisse sind demnach nur insoweit zu berücksichtigen, als diese - wie etwa hier aus der Sicht des Beschwerdefalles auch das erforderliche Zu- und Abfahren zur bzw. von der Waschhalle - der Betriebsanlage zuzurechnen sind. Hingegen ist das Fahren von Fahrzeugen (auch Betriebsfahrzeugen) auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr oder der durch den Bahnbetrieb (hier: der Westbahn) verursachte Lärm der dem Beschwerdefall zugrundeliegenden Betriebsanlage nicht mehr zuzurechnen (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 25. Mai 1993, Zl. 92/04/0233, u.a.). Die Feststellung, ob die Immissionen einer (geänderten) Betriebsanlage ein für die Nachbarn zumutbares Maß überschreiten werden, ist Gegenstand des Beweise durch Sachverständige auf dem Gebiet der gewerblichen Technik und auf dem Gebiet des Gesundheitswesens. Den Sachverständigen obliegt es, auf Grund ihres Fachwissens ein Urteil (Gutachten) über diese Fragen abzugeben. Der gewerbetechnische Sachverständige hat sich darüber zu äußern, welcher Art die von einer Betriebsanlage nach dem Projekt des Genehmigungswerbers zu erwartenden Einflüsse auf die Nachbarschaft sind, welche Einrichtungen der Betriebsanlage als Quellen solcher Immissionen in Betracht kommen, ob und durch welche Vorkehrungen zu erwartende Immissionen verhütet oder verringert werden und welcher Art und Intensität die verringerten Immissionen noch sein werden. Dem ärztlichen Sachverständigen fällt - fußend auf dem Gutachten des gewerbetechnischen Sachverständigen - die Aufgabe zu, darzulegen, welche Einwirkungen die zu erwartenden unvermeidlichen Immissionen nach Art und Dauer auf den menschlichen Organismus entsprechend den in diesem Zusammenhang im § 77 Abs. 2 GewO enthaltenen Tatbestandsmerkmalen auszuüben vermögen. Auf Grund der Sachverständigengutachten hat sich sodann die Behörde im Rechtsbereich ihr Urteil zu bilden (vgl. hiezu etwa das hg. Erkenntnis vom 8. Oktober 1996, Zl. 94/04/0191, und die darin angegebenen Vorjudikatur). Der ärztliche Sachverständige hat - wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung dargelegt hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 1991, Zl. 90/04/0178, u.a.) - in seinem Gutachten von dem objektiv durch den gewerbetechnischen Sachverständigen aufgenommenen Befund auszugehen; gewerbetechnische Ermittlungen gehören nicht zum Aufgabenbereich des medizinischen Sachverständigen. Der medizinische Sachverständige kann demnach unvollständig gebliebene gewerbetechnische Ermittlungen nicht ergänzen.

Über die Art der zu erwartenden Immissionen hat sich (nicht der ärztliche sondern) der gewerbetechnische Sachverständige zu äußern und insoweit darzulegen, ob und gegebenenfalls welche Eigenart einem Geräusch (wie etwa Impulscharakter, besondere Frequenzzusammensetzung, Modulationstiefe u.dgl.) unabhängig von seiner Lautstärke anhaftet. Hinsichtlich der Klangcharakteristik hat der ärztliche Sachverständige in seinem Gutachten - auch wenn in diesem Zusammenhang subjektive Wahrnehmungen von Bedeutung sein können - von den objektiven durch den gewerbetechnischen Sachverständigen aufgenommenen Beweisen auszugehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 1994, Zl. 94/04/0054).

Im vorliegenden Fall rügt die (im Rahmen des Berufungsverfahrens beigezogene) medizinische Amtssachverständige im Rahmen ihrer Beurteilung der Lärmimmissionen, daß die Lärmspitzen, die in der medizinischen Beurteilung großen Stellenwert hätten, vom gewerbetechnischen Amtssachverständigen nicht beachtet worden seien. Wenn dieser Sachverständige ausführe, daß durch den Verkehr auf der K-Straße Schallpegelspitzen bis 75 dB auftreten könnten, mache es - nach Ansicht der ärztlichen Amtssachverständigen - für die Anrainer einen wesentlichen Unterschied, wenn die Anzahl der Schallpegelspitzen durch Betriebsgeräusche vermehrt werde. Schlafstörungen seien als erhebliche Beeinträchtigungen der Gesundheit zu qualifizieren. Zusammenfassend sei aus medizinischer Sicht zu fordern, daß durch die neu errichtete Betriebsanlage bei den Nachbarn die Nachtruhe nicht zusätzlich gestört werde und die Sonntagsruhe soweit als möglich erhalten bleibe.

Die von der ärztlichen Amtssachverständigen nach dem Inhalt des im Berufungsverfahren eingeholten gewerbetechnischen Amtssachverständigengutachten zu Recht bemängelte Unvollständigkeit des gewerbetechnischen Befundes hätte die belangte Behörde durch eine Ergänzung des gewerbetechnischen Gutachtens beheben müssen, um dem ärztlichen Sachverständigen eine ausreichende Grundlage für eine abschließende Beurteilung zu ermöglichen.

Vorauszuschicken ist, daß in Fällen, in denen die akustische Umgebungssituation während der in Betracht zu ziehenden Zeiträume erheblichen Schwankungen unterliegt, die von der Betriebsanlage ausgehenden (bzw. ihr zuzurechnenden) Immissionen unter Zugrundelegung jener Situation zu beurteilen sind, in der diese Immissionen für den Nachbarn am ungünstigsten (= belastendsten) sind (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 3. September 1996, Zl. 95/04/0189, vom 2. Juli 1992, Zl. 92/04/0052, und vom 31. März 1992, Zl. 91/04/0267). Der Verwaltungsgerichtshof hat auch wiederholt ausgesprochen, daß dann, wenn eine Messung der Immissionen (hier: Lärm) möglich ist, eine solche vorzunehmen ist und Schätzungen oder Berechnungen der Immissionen unzulässig sind. In diesem Zusammenhang ist es insbesondere unzulässig, dann, wenn eine Messung am entscheidenden Immissionspunkt möglich ist, die dort zu erwartenden (oder auch bestehenden) Immissionen aus Ergebnissen einer Messung an einem anderen Ort zu prognostizieren (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 22. November 1994, Zl. 94/04/0129, und vom 3. September 1996, Zl. 95/09/0189).

Demnach hätte der gewerbetechnische Sachverständige im Beschwerdefall auf der Grundlage möglicher und aussagekräftiger Immissionsmessungen zunächst die vom Straßenverkehr und vom Bahnbetrieb ausgehenden Immissionen (durch die im vorliegenden Fall die tatsächlichen örtlichen Verhältnisse maßgebend bestimmt werden) nach Intensität, Häufigkeit und Klangcharakteristik dieser Störgeräusche vollständig ermitteln und dabei auch auf die für das medizinische Sachverständigengutachten relevanten Lärmspitzen in ausreichender Weise eingehen müssen. Dem gewerbetechnischen Befund kann jedoch weder Anzahl noch Klangcharakteristik der von Straßenverkehr und Bahnbetrieb ausgehenden Lärmspitzen, denen die Nachbarn nach den tatsächlichen örtlichen Verhältnissen ausgesetzt sind, entnommen werden. In diesem Zusammenhang fällt auf, daß die gewerbetechnischen Lärmmessungen hinsichtlich der Umgebungssituation und der durch Fahrbewegungen verursachten Betriebsgeräusche nur im Vorgarten des 12,5 m entfernten Wohnhauses des Nachbarn F (Meßpunkt 3,5 m vor der nordseitigen Gebäudefassade in 1,8 m Höhe) vorgenommen wurden. Dem gegenüber befindet sich der zur Waschhalle nächstgelegene Wohnnachbar aber 8 m entfernt südöstlich der Busgarage (nämlich das Haus G, K-Straße 27). Der gewerbetechnische Amtssachverständige räumt in seinem Gutachten selbst ein, daß die vom ihm getroffenen Aussagen nur für die Wohnnachbarn S und F gelten würden, und daß beim Nachbarn F geringere Schallimmissionen durch den Waschvorgang zu erwarten seien, weil das Tor der Waschhalle in Bezug auf das Haus dieses Nachbarn auf der schallabgelegenen Seite liege (siehe Seiten 14/15 seines Gutachtens). Des weiteren ist dem gewerbetechnischen Befund zu entnehmen, daß hinsichtlich der vom Waschvorgang verursachten Betriebsgeräusche aussagekräftige Messungen (insbesondere Nahfeldmessungen) bei geschlossenem Tor, um die Berechtigung eines Impulszuschlages zu klären, nicht erfolgten und - nach Ansicht des gewerbetechnischen Amtssachverständigen - über Verlangen der Behörde nachgeholt werden müßten (siehe Seite 9 seines Gutachtens). Auf der Grundlage dieses im Berufungsverfahren ermittelten gewerbetechnischen Befundes kann nicht beurteilt werden, ob bzw. in welchem Umfang (die am ungünstigsten belasteten) Nachbarn durch das vom Straßenverkehr und dem Bahnbetrieb bestimmte Umgebungslärmgeschehen bereits gesundheitsgefährdenden Schlafstörungen ausgesetzt sind und in welchem Umfang bzw. welchen Auswirkungen auf diese tatsächlichen Verhältnisse durch das der gegenständlichen Omnibuswaschanlage zuzurechnende Betriebsgeschehen (Fahrbewegungen zur und von der Waschanlage sowie Waschvorgänge) aufgrund der Anzahl und Klangcharakteristik der dabei auftretenden Lärmspitzen zu erwarten sind. Abschließend ist darauf zu verweisen, daß der ärztliche Sachverständige im fortgesetzten Verfahren gegebenenfalls Belästigungen durch verursachte Änderungen der tatsächlichen örtlichen Verhältnisse unter Bedachtnahme auf die nach § 77 Abs. 2 GewO 1994 maßgebende Unterscheidung von Kindern und Erwachsenen zu beurteilen haben wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. September 1994, Zl. 92/04/0279).

Aus den dargelegten Gründen vermag der Verwaltungsgerichtshof die im Berufungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten nicht als vollständig zu erkennen. Der angefochtene Bescheid wurde daher dadurch, daß die belangte Behörde diese Gutachten (ohne nähere Begründung) als schlüssig bewertete und ihrer Entscheidung zugrunde legte, im (vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen) Umfang der Abweisung der Berufung des Beschwerdeführers als in einem wesentlichen Punkt nur mangelhaft begründet (§§ 60, 67 AVG). Die belangte Behörde hat somit Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Ferner bedarf der Sachverhalt in wesentlichen Punkten einer Ergänzung. Der angefochtene Bescheid war daher schon aus den dargelegten Gründen hinsichtlich der Abweisung der Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. W i e n , am 25. November 1997

Schlagworte

Gutachten rechtliche Beurteilung Sachverständiger Aufgaben Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Arzt Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Techniker Gewerbetechniker

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995040123.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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