TE Bvwg Beschluss 2019/10/10 L504 2104596-2

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Veröffentlicht am 10.10.2019
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Entscheidungsdatum

10.10.2019

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
VwGVG §28 Abs3

Spruch

L504 2104596-2/6E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. Engel über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch RA Dr. Weh, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.07.2019, Zl. XXXX , beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

Mit Bescheid vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wurde gegen die beschwerdeführende Partei [bP] gemäß § 52 Abs. 1 Z. 1 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig sei, gemäß § 53 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 Z. 1 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen, gemäß § 55 Abs. 4 Fremdenpolizeigesetz keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt, gemäß § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-Verfahrensgesetz die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung aberkannt.

Zur Person stellte das Bundesamt im Wesentlichen fest, dass es sich hier um einen türkischen Staatsangehörigen handelt, der kurdischer Abstammung mit muslimischem Glauben ist. Die bP lebe mit Unterbrechungen im Jahr 2012 seit acht Jahren in Österreich. Sie spreche kurdisch. Sie sei gesund, verheiratet, arbeitsfähig und leide an keiner schweren oder lebensgefährlichen Krankheit. Während ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet sei sie lediglich zwei Jahre beschäftigt gewesen. Sie sei derzeit mittellos. Gegen sie würden kriminalpolizeiliche Eintragungen sowie eine strafrechtliche Verurteilung vorliegen.

Zu ihrem Privat und Familienleben führte die Behörde aus, dass die beschwerdeführende Partei seit 13. Mai 2016 mit einer österreichischen Staatsangehörigen verheiratet sei. Sie hätten gemeinsam zwei Söhne, 2016 bzw. 2018 geboren. Ihre Frau habe zuletzt als Angestellte bei einer Fluglinie gearbeitet. Die Eltern, zwei Schwestern und Brüder würden in der Türkei leben. Zu den Eltern bestehe telefonischer Kontakt. Weitere Geschwister würden in Österreich leben.

Zu den Gründen für die Erlassung des Einreiseverbotes führte die Behörde aus, dass für sie feststehe, dass sie sich derzeit unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Er sei zuletzt von der Bezirkshauptmannschaft ein Aufenthaltstitel Rot-Weiß-Rot-Karte plus, gültig bis 2. Februar 2015 erteilt worden am 29. Dezember 2014 habe sie bei der Bezirkshauptmannschaft um Verlängerung dieses Aufenthaltstitels angesucht, dieses Verfahren sei noch vor der Bezirkshauptmannschaft anhängig.

Fest stehe, dass die beschwerdeführende Partei, nachdem sie ihre erste Frau am 1. Juli 2011 geheiratet habe, am 20. März 2012 bei der österreichischen Botschaft in Ankara den Erstantrag auf Familienzusammenführung gestellt habe. Am 20. März 2013 habe sie sich scheiden lassen.

Fest stehe weiters, dass sie in der Stellungnahme vom 26. April 2019 behauptet habe, dass sie kein begünstigter Drittstaatsangehöriger sei. Die Ehegattin besitze zwar die österreichische Staatsbürgerschaft, sie habe jedoch laut aktuellem Auskunftsverfahrensauszug und ZMR-Auszug außerhalb von Österreich nicht gearbeitet. Somit habe sie ihr Recht auf Freizügigkeit nicht ausgeübt.

Fest stehe auch, dass die beschwerdeführende Partei mit Urteil des Landesgerichtes vom 10. Juni 2016 wegen des Verbrechens der absichtlich schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren verurteilt worden sei. Aus diesem Grund befinde sie sich derzeit in der Justizanstalt.

Fest stehe, dass gegen die beschwerdeführende Partei drei Eintragungen laut kriminalpolizeilichem Aktenindex bestünden.

Fest stehe, die beschwerdeführende Partei habe ihre Ehegattin am 13. Mai 2016, obwohl sie wussten, dass sie sich seit 2. Februar 2015 nicht rechtmäßig in Österreich aufhalte und im Falle einer Verurteilung ein Aufenthalt in Österreich öffentlichen Interessen widersprechen würde und daher die Erteilungsvoraussetzungen nicht gegeben wären, geheiratet.

Im Zuge des Ermittlungsverfahrens sei auch festgestellt worden, dass gegen die beschwerdeführende Partei am 24. Dezember 2014 ein Waffenverbot erlassen worden sei.

Bei den Tatbeständen die sie begangen habe, handele sich um Straftaten, die gegen Leib und Leben gerichtet waren und vorsätzlich begangen worden wären.

Das gesamte Verhalten stelle ein besonders starkes Indiz für die Annahme dar, dass ihr weiterer Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit massiv gefährde.

Des Weiteren traf das Bundesamt Feststellungen zum Herkunftsstaat Türkei auf Basis des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation.

Gegen diesen Bescheid wurde durch den Rechtsfreund der beschwerdeführerenden Partei innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

Das Bundesamt trat trat den Beschwerdeausführungen im Rahmen der Beschwerdevorlage nicht entgegen.

In Teilerledigung der Beschwerde wurde der Spruchpunkt über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung und über die dadurch nicht bestehende Frist für eine freiwillige Ausreise behoben, da die diesbezüglichen gesetzlichen Voraussetzungen für die Aberkennung nicht erfüllt waren.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch den Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes.

1. Feststellungen:

Das BFA hat im angefochtenen Bescheid die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes unterlassen und ergibt sich dieser auch nicht aus dem Inhalt des Verwaltungsaktes. Insbesondere in Bezug auf die familiären Anknüpfungspunkte zur österreichischen Ehegattin und den gemeinsamen Kindern in Österreich wurden keine bzw. keine hinreichenden Ermittlungen getätigt.

2. Beweiswürdigung:

Der für diese Entscheidung relevante Sachverhalt ergibt sich aus der vorliegenden Aktenlage zweifelsfrei.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Zurückverweisung

§ 28 VwGVG

(1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

(4) Hat die Behörde bei ihrer Entscheidung Ermessen zu üben, hat das Verwaltungsgericht, wenn es nicht gemäß Abs. 2 in der Sache selbst zu entscheiden hat und wenn die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

(5) Hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf, sind die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

(6) [....]

(7) [....]

(8) [....]

Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Ergänzend zu obigen Ausführungen ist aber auch die jüngste Judikatur des EuGH zu erwähnen, der in seinem Urteil vom 14.6.2017, C-685 EU:C:2017:452 sich ua. mit der Frage, ob nationale Bestimmungen, welche dem Verwaltungsgericht die amtswegige Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts (anstelle der Behörde) - bei entsprechender Untätigkeit der Behörde - der in der europarechtlichen Judikatur geforderten Objektivität bzw. Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des Gerichts entgegenstehen.

Nach seiner Ansicht können die Gerichte nach den nationalen Verfahrensregeln zwar verpflichtet sein, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Vorlage solcher Beweise zu fördern, doch können sie nicht verpflichtet sein, anstelle der genannten Behörden die Rechtfertigungsgründe vorzubringen, die nach dem Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C 390/12, EU:C:2014:281) diese Behörden vorzubringen haben. Werden diese Rechtfertigungsgründe wegen der Abwesenheit oder der Passivität dieser Behörden nicht vorgebracht, müssen die nationalen Gerichte alle Konsequenzen ziehen dürfen, die sich aus einem solchen Mangel ergeben.

Der EuGH führte weiter aus, dass die Art. 49 und 56 AEUV, wie sie insbesondere im Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C 390/12, EU:C:2014:281), ausgelegt wurden, im Licht des Art. 47 der Charta dahin zu interpretieren sind, dass sie einer nationalen Verfahrensregelung, nach der in Verwaltungsverfahren das Gericht, bei der Prüfung des maßgeblichen Sachverhalts die Umstände der bei ihm anhängigen Rechtssache von Amts wegen zu ermitteln hat, nicht entgegenstehen, sofern diese Regelung nicht zur Folge hat, dass das Gericht an die Stelle der zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats zu treten hat, denen es obliegt, die Beweise vorzulegen, die erforderlich sind, damit das Gericht eine entsprechende Prüfung durchführen kann. Hinsichtlich des Rechts nach Art. 47 Abs. 2 der Charta auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht umfasst der Begriff der "Unabhängigkeit", die der Aufgabe des Richters innewohnt, nämlich zwei Aspekte. Der erste, externe, Aspekt setzt voraus, dass die Stelle vor Interventionen oder Druck von außen geschützt ist, die die Unabhängigkeit des Urteilens ihrer Mitglieder im Hinblick auf die ihnen unterbreiteten Rechtsstreite gefährden könnten (Urteil vom 9. Oktober 2014, TDC, C-222/13, EU:C:2014:2265, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der zweite, interne, Aspekt steht mit dem Begriff der "Unparteilichkeit" in Zusammenhang und bezieht sich darauf, dass hinsichtlich der Parteien des Rechtsstreits und ihren jeweiligen Interessen an dessen Gegenstand ein gleicher Abstand gewahrt wird. Dieser Aspekt verlangt, dass Sachlichkeit obwaltet und neben der strikten Anwendung der Rechtsnormen keinerlei Interesse am Ausgang des Rechtsstreits besteht (Urteil vom 9. Oktober 2014, TDC, C-222/13, EU:C:2014:2265, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Was das Zusammenspiel zwischen der den nationalen Gerichten nach dem nationalen Recht obliegenden Pflicht, in den bei ihnen anhängigen Rechtssachen den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, und dem Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281), anbelangt, ist in den Rn. 50 bis 52 des vorliegenden Urteils darauf hingewiesen worden, dass die nationalen Gerichte nach dem Unionsrecht eine Gesamtwürdigung der Umstände, unter denen eine restriktive Regelung erlassen worden ist und durchgeführt wird, auf der Grundlage der Beweise vornehmen müssen, die die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats vorgelegt haben.

Diese Gerichte können nach den nationalen Verfahrensregeln zwar verpflichtet sein, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Vorlage solcher Beweise zu fördern, doch können sie - wie die Generalanwältin in den Nrn. 51 bis 56 und 68 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat - nicht verpflichtet sein, anstelle der genannten Behörden die Rechtfertigungsgründe vorzubringen, die nach dem Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281), diese Behörden vorzubringen haben. Werden diese Rechtfertigungsgründe wegen der Abwesenheit oder der Passivität dieser Behörden nicht vorgebracht, müssen die nationalen Gerichte alle Konsequenzen ziehen dürfen, die sich aus einem solchen Mangel ergeben.

Die Ausführungen des EuGH beziehen sich zwar auf ein Verwaltungsstrafverfahren, sie sind nach ho. Ansicht in ihren sich daraus ergebenden Grundsätzen zu der Rolle des Verwaltungsgerichtes im Verhältnis zu jener der ermittelnden Behörde jedoch auch im gegenständlichen Fall anwendbar.

Im Lichte einer GRC-konformen Interpretation der verfassungsrechtlichen Bestimmungen, wonach das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden hat, finden diese demnach jedenfalls dort ihre Grenze, wenn das Gericht an die Stelle der zuständigen belangten Behörde zu treten hätte, der es eigentlich obliegt, dem Gericht die Beweise, iSd Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts, vorzulegen. Wird diese Grenze überschritten ist das Gericht ermächtigt - wenn nicht sogar iS obiger, vom EuGH aufgezeigter Grundsätze verpflichtet - eine kassatorische Entscheidung iSd § 28 Abs. 3 VwGVG zu treffen.

Fallbezogen ergibt sich Folgendes:

Das Bundesamt nahm insbesondere in Bezug auf die Ehegattin und den gemeinsamen Kindern keine bzw. keine hinreichenden Ermittlungen vor.

Zuletzt legte der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 22.08.2019, Ra 2019/21/0128-6, zur Frage der Trennung von einer österreichischen Ehegattin und gemeinsamer Kinder die maßgebliche Judikatur dar und ergibt sich daraus im Wesentlichen auch das Ausmaß des für diesen Fall zu ermittelnde Sachverhaltes:

"[...] 11 Die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts haben bereits wiederholt die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf das Kindeswohl bei der nach § 9 BFA-VG vorzunehmenden Interessenabwägung zum Ausdruck gebracht (siehe dazu die Nachweise in VwGH 7.3.2019, Ra 2018/21/0141, Rn. 16). Dem wurde das BVwG - wie in der Revision im Ergebnis zu Recht gerügt wird - nicht gerecht. Trotz des anpassungsfähigen Alters der Kinder wäre nämlich zu berücksichtigen gewesen, dass sie nicht nur in Österreich geboren wurden, sondern vor allem die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. Im Übrigen geht es nicht um ein bloßes "Mitreisen" der Ehefrau und Kinder mit dem Revisionswerber, sondern um eine Wohnsitzverlegung der gesamten Familie, was in der Regel einerseits mit der Aufgabe der bisherigen Wohnung und der Berufstätigkeit in Österreich sowie dem Verlust der sozialen Anknüpfungspunkte und andererseits mit der Neugründung eines Haushalts und Suche nach einer Beschäftigung in der Türkei sowie in Bezug auf das ältere Kind dem Beginn eines Schulbesuchs in einem fremden Land verbunden wäre. Wie sich das im vorliegenden Fall konkret gestalten würde und welche "beachtlichen Auswirkungen" - so das BVwG nur generalisierend - im Einzelnen damit verbunden wären, hat das BVwG unerörtert gelassen, obwohl sich dafür die abgehaltene mündliche Verhandlung angeboten hätte. Da es im Übrigen auch nicht aufzeigte, in welcher Form dem Revisionswerber gemeinsam mit seinen Angehörigen eine legale Rückkehr und neuerliche Wohnsitznahme in Österreich nach Ablauf der Befristung des Einreiseverbotes möglich wäre, hätte überdies in Betracht gezogen werden müssen, dass die für zumutbar erachtete Ausreise der gesamten Familie in die Türkei voraussichtlich auf Dauer werde erfolgen müssen. Das wäre den österreichischen Kindern, die grundsätzlich einen Anspruch auf ein gemeinsames Familienleben mit beiden Elternteilen haben, nicht zumutbar. Das gilt aber auch für die Ehefrau des Revisionswerbers, die sich seit etwa 27 Jahren rechtmäßig in Österreich aufhält und seit mehr als 15 Jahren die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt.

12 Das BVwG bedachte aber - im Hinblick auf die Äußerung der Ehefrau des Revisionswerbers in der mündlichen Verhandlung, nicht mit ihrem Ehemann in die Türkei übersiedeln zu wollen - auch den Fall der Trennung der Angehörigen und es meinte, dann könne der Kontakt im Wege moderner Medien, wie etwa Skype, aufrecht erhalten werden. Dabei lässt das BVwG jedoch außer Acht, dass die Aufrechterhaltung des Kontaktes mittels moderner Kommunikationsmittel mit einem Kleinkind, wie dem jüngeren Kind des Revisionswerbers, kaum möglich ist und dem Vater eines Kindes (und umgekehrt) grundsätzlich das Recht auf persönlichen Kontakt zukommt (so schon VwGH 16.5.2012, 2011/21/0277, mwN; vgl. etwa auch VfGH 12.10.2016, E 1349/2016).

13 In diesem Zusammenhang ist aber auch noch darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner rezenten Judikatur eine Trennung von einem österreichischen oder in Österreich dauerhaft niedergelassenen Ehepartner im Ergebnis nur dann für gerechtfertigt erachtete, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie insbesondere bei Straffälligkeit des Fremden (vgl. etwa VwGH 23.3.2017, Ra 2016/21/0199, Rn. 12, mit dem Hinweis auf VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0271, Rn. 13 f, mwN).

[...]"

In Anbetracht dieser Judikaturlinie des VwGH hat das Bundesamt diesbezüglich Ermittlungen zu tätigen und sich folglich damit in der Begründung auseinanderzusetzen. Gegenständlich ist unzweifelhaft ein hohes öffentliches Interesse - wie in Rz 13 angeführt - gegeben und zitiert das Bundesamt im angefochtenen Bescheid auch richtigerweise die Judikatur des VwGH, wonach bei der Dauer der Bemessung des Einreiseverbotes insbesondere auch die Intensität der privaten und familiären Bindungen zu Österreich maßgeblich sind. Dazu hat die belangte Behörde, wie bereits angeführt, jedoch keine bzw. keine hinreichenden Ermittlungen getätigt.

Angemerkt wird weiters, dass, soweit aus dem Akteninhalt ersichtlich, die Ansicht der Behörde, dass sich die bP seit Ablauf des Aufenthaltstitels nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, nicht geteilt werden kann.

Aus dem IZF ist ersichtlich, dass der bP zuletzt eine Rot-Weiß-Rot-Karte plus ausgestellt wurde, dies mit Gültigkeit bis zum 02.02.2015. Weiters ist daraus ersichtlich, dass die bP vor Ablauf des Aufenthaltstitels bei der Bezirkshauptmannschaft einen Verlängerungsantrag einbrachte. Dass darüber bis dato entschieden worden wäre, lässt sich weder dem Akteninhalt noch dem IZF entnehmen.

Gemäß § 24 Abs 1 NAG sind Verlängerungsanträge vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels, frühestens jedoch drei Monate vor diesem Zeitpunkt, bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen. Nach Stellung eines Verlängerungsantrages ist der Antragsteller, unbeschadet der Bestimmung nach dem FPG, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Da die bP vor Ablauf des Aufenthaltstitels diesen Verlängerungsantrag stellte, war die bP bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesamtes weiterhin zum Aufenthalt berechtigt.

Die Rückkehrentscheidung auf § 52 Abs 1 Z1 FPG [nicht rechtmäßiger Aufenthalt] zu stützen, erscheint somit verfehlt.

Soweit sich die belangte Behörde auf eine das aufenthaltsbeendende Verfahren auslösende Mitteilung der Bezirkshauptmannschaft gem. § 25 NAG beruft, so führt die belangte Behörde im Bescheid nicht aus, was die NAG-Behörde dabei über das Nichtvorliegen von Erteilungsvoraussetzungen konkret mitteilte und konnte diese Mitteilung auch nicht im umfassenden Aktenkonvolut vorgefunden werden.

Soweit die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid auch Eintragungen im Kriminalpolizeilichen Aktenindex über das Faktum der Erstattung von Anzeigen zur Beurteilung der Gefährdungsprognose heranzieht, wird der Sinn und Zweck dieser Datenbank verkannt. Diese Eintragungen bedeuten nämlich nicht schon per se, dass die bP diese Taten tatsächlich begangen hat. Will die Behörde dies jedoch berücksichtigen, so müsste sie betreffend des angezeigten Sachverhaltes - sofern sie nicht auf die Ergebnisse eines polizeilichen bzw. gerichtlichen Ermittlungsverfahrens zurückgreifen kann - selbst Ermittlungen anstellen, um beurteilen zu können, ob hier ein aus hier maßgeblicher fremdenpolizeilicher Sicht relevantes Verhalten für die gegenständliche Entscheidung erwiesenermaßen feststellbar und verwertbar ist.

Das Bundesamt hat im fortgesetzten Verfahren die angeführten, notwendigen Ermittlungen iSd ziterten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vorzunehmen. Weiters ist anzumerken, dass sich die Behörde nun auch mit dem sich aus der Beschwerde ergebenden Sachverhalt und Beweisanträgen auseinanderzusetzen hat.

Wie die vorherigen Ausführungen zeigen, wurde der maßgebliche Sachverhalt vom BFA in qualifizierter Weise nicht festgestellt. Dieser ist weder dem gegenständlich angefochtenen Bescheid, noch dem vorliegenden Akteninhalt zu entnehmen. Das BFA hat dadurch, dass wesentliche Punkte im Verfahren nicht bzw. nicht ausreichend berücksichtigt wurden, essentielle Ermittlungen unterlassen, weswegen im gegenständlichen Fall entsprechend der Rechtsprechung des VwGH zu § 28 Abs. 3 VwGVG (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) davon auszugehen ist, dass genau solch gravierende Ermittlungslücken vorliegen, die zur Zurückweisung an die Verwaltungsbehörde (BFA) berechtigen.

Da im gegenständlichen Fall ein wesentlicher Bereich des Ermittlungsverfahrens vor das Bundesverwaltungsgericht verlagert wäre, käme dies einer Delegation des Verfahrens an das BVwG gleich. Nach Ansicht des EuGH können die Gerichte nach den nationalen Verfahrensregeln zwar verpflichtet sein, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Vorlage solcher Beweise zu fördern, doch können sie nicht verpflichtet sein, wie im konkret Fall anstelle des Bundesamtes die Rechtfertigungsgründe vorzubringen, die nach dem Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C 390/12, EU:C:2014:281) die Behörde schon vorzubringen hat. Werden diese Rechtfertigungsgründe wegen der Abwesenheit oder der Passivität dieser Behörde nicht vorgebracht, müssen die nationalen Gerichte alle Konsequenzen ziehen dürfen, die sich aus einem solchen Mangel ergeben.

Es liegt auch nicht auf der Hand, dass die Ermittlungen und Entscheidung in der Sache durch das Bundesverwaltungsgericht rascher durchgeführt werden könnten oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wären.

Das BFA hat somit insbesondere die aufgezeigten Mängel zu beheben bzw. den maßgeblichen Sachverhalt in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren festzustellen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden und der Bescheid gemäß § 28 Abs 3 VwGVG an das BFA zurückzuverweisen.

Auf Grund gegebener Deutschkenntnisse konnte eine Übersetzung von Spruch und Rechtsmittelbelehrung entfallen.

Entfall einer Verhandlung

Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben war, worunter nach hL auch eine Kassation des Bescheides subsumiert werden kann (vlg. Hengstschläger/Leeb, AVG Kommentar, Rz 22 zu §67d).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung hinsichtlich § 28 Abs 3 VwGVG von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer diesbezüglichen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aufenthaltstitel Ehepartner Einreiseverbot Ermittlungspflicht familiäre Situation Gefährdungsprognose Kassation Kindeswohl mangelnde Sachverhaltsfeststellung Rückkehrentscheidung Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Verlängerungsantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L504.2104596.2.01

Im RIS seit

21.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

21.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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