TE Bvwg Beschluss 2019/12/11 L502 2225542-1

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Veröffentlicht am 11.12.2019
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Entscheidungsdatum

11.12.2019

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §66 Abs1
FPG §70 Abs3
NAG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

L502 2225542-1/2E

BEschluss

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch RA Dr. Michael DREXLER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.10.2019, FZ. XXXX , beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur neuerlichen Entscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF) - ein türkischer Staatsangehöriger, der über einen Aufenthaltstitel für Italien verfügt - brachte am 04.01.2018 einen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte iSd § § 52 Abs. 1 NAG ein.

2. Mit Mitteilung des Amtes der Wiener Landesregierung vom 03.07.2018 wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gemäß § 55 Abs. 3 NAG davon in Kenntnis gesetzt, dass dem BF kein Aufenthaltsrecht nach § 54 Abs. 1 NAG zukomme.

3. Der BF wurde folglich zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung bzw. zur Aufforderung zur Ausreise am 05.12.2018 niederschriftlich vor dem BFA einvernommen.

4. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme des BFA vom 12.12.2018 wurde der BF von der geplanten Erlassung eines Einreiseverbots in Kenntnis gesetzt. In einem wurden länderkundliche Informationen zur Türkei übermittelt und der BF zur Abgabe einer Stellungnahme binnen 14 Tagen aufgefordert.

5. Der BF reiste am 12.01.2019 freiwillig nach Italien aus.

6. Nach seiner Rückkehr in das österreichische Bundesgebiet wurde er am 04.06.2019 erneut vor dem BFA zur Klärung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme niederschriftlich einvernommen.

7. Am 05.07.2019 brachte er über seinen Vertreter beim BFA einen Antrag auf Ausstellung einer Bestätigung darüber, dass keine Einwände gegen seinen Aufenthalt in Österreich bestünden, ein.

8. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme des BFA vom 09.07.2019 wurde der BF abermals von der geplanten Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Kenntnis gesetzt und zur Abgabe einer Stellungnahme hierzu aufgefordert.

9. Am 16.07.2019 brachte der BF über seinen Vertreter die entsprechende Stellungnahme ein. In einem wurden mehrere Unterlagen als Beweismittel vorgelegt. Der BF verließ am 17.07.2019 abermals freiwillig das österreichische Bundesgebiet nach Italien.

10. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid des BFA vom 15.10.2019 wurde der BF gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde ihm kein Durchsetzungsaufschub gewährt (Spruchpunkt II).

11. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 15.10.2019 wurde ihm von Amts wegen gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

12. Gegen den am 18.10.2019 zugestellten Bescheid wurde mit Schriftsatz seines Vertreters vom 14.11.2019 fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang erhoben. Unter einem wurden mehrere Unterlagen als Beweismittel vorgelegt.

13. Die Beschwerdevorlage der belangten Behörde langte mit 19.11.2019 beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ein und wurde das gg. Beschwerdeverfahren in der Folge der nun zur Entscheidung berufenen Gerichtsabteilung zur Entscheidung zugewiesen.

14. Das BVwG erstellte aktuelle Auszüge aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR), dem Strafregister sowie dem Zentralen Melderegister (ZMR).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der og. Verfahrensgang steht fest.

1.2. Die Identität des BF steht fest. Er ist türkischer Staatsangehöriger und verfügt über einen unbefristeten Aufenthaltstitel für Italien.

Er war von 26.07.2016 bis 12.01.2019 und von 16.04.2019 bis 17.07.2019 bzw. ist zuletzt seit 06.11.2019 im österreichischen Bundesgebiet polizeilich gemeldet und in diesen Zeiträumen auch hierorts aufhältig (gewesen).

In Österreich leben seine Eltern sowie ein Bruder und eine Schwester. Sein Vater ist in der Türkei geboren, aber italienischer Staatsangehöriger. Dieser ist seit 06.10.2017 in Österreich aufhältig und verfügt hier über eine Anmeldebescheinigung. Sein Vater ging zumindest bis September 2019 einer unselbstständigen sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nach, aus der er zuletzt ein monatliches Nettoeinkommen von EUR 1.787,84 erwirtschaftet. Er überwies dem BF zumindest in einem Zeitraum von 13.02.2019 bis 10.04.2019 monatlich EUR 500,-- nach Italien.

2. Beweiswürdigung:

Beweis erhoben wurde durch Einsichtnahme in den gg. Verfahrensakt des BFA und die vorliegende Beschwerde, durch die Einholung aktueller Auszüge aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister, dem Zentralen Melderegister und den BF und seine hiesigen Familienangehörigen betreffend sowie durch Einholung eines Strafregisterauszugs den BF betreffend.

Der oben wiedergegebene Verfahrensgang und die Feststellungen zur Person des BF und zu seinen hiesigen Familienangehörigen stehen im Lichte des vorliegenden Akteninhalts und der dazu eingeholten Auszüge aus og. Datenbanken als unstrittig fest.

Nicht feststellbar war, in welchem Ausmaß der BF aktuell von seinem Vater unterstützt wird und wie er im Übrigen seinen Lebensunterhalt bestreitet.

3. Rechtliche Beurteilung:

Mit Art. 129 B-VG idF BGBl. I 51/2012 wurde ein als Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zu bezeichnendes Verwaltungsgericht des Bundes eingerichtet.

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden.

Gemäß Art. 132 Abs. 1 Z. 1 B-VG kann gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

Gemäß Art. 135 Abs. 1 B-VG iVm § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG) idF BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde als gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, 1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 hat, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg. cit nicht vorliegen, das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgeht.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Mit BFA-Einrichtungsgesetz (BFA-G) idF BGBl. I Nr. 68/2013, in Kraft getreten mit 1.1.2014, wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) eingerichtet.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG idgF sowie § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Zu A)

1.1. § 51 Abs. 1 NAG idgF lautet:

Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.

§ 52 Abs. 1 Z. 2 NAG idgF lautet:

Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§§ 51 und 53a) sind, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird.

§ 54 NAG idgF lautet:

(1) Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51) sind und die in § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen, sind zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren oder für die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen. Dieser Antrag ist innerhalb von vier Monaten ab Einreise zu stellen. § 1 Abs. 2 Z 1 gilt nicht.

(2) Zum Nachweis des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sind ein gültiger Personalausweis oder Reisepass, die Anmeldebescheinigung oder die Bescheinigung des Daueraufenthalts des zusammenführenden EWR-Bürgers sowie folgende Nachweise vorzulegen:

1. nach § 52 Abs. 1 Z 1: ein urkundlicher Nachweis des Bestehens der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft;

2. nach § 52 Abs. 1 Z 2 und 3: ein urkundlicher Nachweis über das Bestehen einer familiären Beziehung sowie bei Kindern über 21 Jahren und Verwandten des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie ein Nachweis über die tatsächliche Unterhaltsgewährung.

§ 55 Abs. 3 NAG idgF lautet:

Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hiervon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.

§ 2 Abs. 4 FPG idgF lautet:

Im Sinn dieses Bundesgesetzes ist

1. - 7. [...]

8. EWR-Bürger: ein Fremder, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist;

9. [...]

10. Drittstaatsangehöriger: ein Fremder, der nicht EWR-Bürger oder Schweizer Bürger ist;

11. begünstigter Drittstaatsangehöriger: der Ehegatte, eingetragene Partner, eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers oder Österreichers, die ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen haben, in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, sowie eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, insofern dieser Drittstaatsangehörige den unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, von dem sich seine unionsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht;

§ 52 FPG idgF lautet:

(1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder

2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

(2) - (5) [...]

(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.

§ 66 FPG idgF lautet:

(1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

§ 70 Abs. 3 FPG lautet:

EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen ist bei der Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.

1.2. Infolge der Mitteilung des Amtes der Wiener Landesregierung, MA 35, vom 03.07.2018, der zufolge ein Aufenthaltsrecht des BF nach § 54 NAG nicht bestehe, erwog die belangte Behörde gemäß § 55 Abs. 3 NAG grundsätzlich zurecht die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen den BF.

Der Vater des BF ist italienischer Staatsangehöriger - sohin EWR-Bürger -, der über eine Anmeldebescheinigung verfügt. Dieser ist in Österreich sozialversicherungspflichtig erwerbstätig und damit gemäß § 51 Abs. 1 NAG zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt.

Ob der BF gemäß § 54 iVm § 52 Abs. 1 Z. 2 NAG ebenfalls zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt ist, hängt davon ab, ob ihm - zumal er bereits das 21. Lebensjahr vollendet hat - von seinem Vater tatsächlich Unterhalt gewährt wird (vgl. VwGH 22.11.2012, 2011/23/0666). Gemäß § 54 Abs. 2 Z. 2 NAG ist hierfür ein Nachweis über die tatsächliche Unterhaltsgewährung zu erbringen.

1.3. Im bekämpften Bescheid stellte die belangte Behörde fest, dass der BF kein begünstigter Drittstaatsangehöriger sei und ihm das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht zukomme, weil er nicht belegen konnte, dass ihm von seinem Vater tatsächlich Unterhalt gewährt werde und er daher die Voraussetzungen für die Ausstellung einer Aufenthaltskarte nicht erfülle.

1.4. In seinem Erkenntnis vom 22.11.2012, ZI. 2011/23/0666 hat der Verwaltungsgerichtshof im Falle eines 31-jährigen Drittstaatsangehörigen, dessen Vater ein österreichischer Staatsangehöriger war und der von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, wobei der Drittstaatsangehörige angab von diesem tatsächlich Unterhaltsleistungen zu empfangen, festgehalten, dass die belangte Behörde, angesichts der im dortigen Verfahren vorgelegten Haftungserklärung des Vaters des Drittstaatsangehörigen und seines Vorbringens, mit dem bloßen Verweis auf die "Aktenlage" zu kurz griff und es nicht ausreicht, dass sie sich bloß darauf beruft, dass dem Drittstaatsangehörigen kein Unterhalt gewährt werde, ohne darzulegen, worauf die belangte Behörde sich bei ihrem Verweis bezog, zumal im angefochtenen Bescheid dahingehende Feststellungen fehlten und sich die belangte Behörde mit dem Vorbringen des BF zur tatsächlichen Unterhaltsleistung nicht hinreichend befasst hat.

1.5. Im Zuge des behördlichen Verfahrens brachte der BF mehrere Einkommensnachweise seines Vaters sowie mehrere Überweisungsbelege eines Geldinstituts, bei dem er Bargeldsendungen in Höhe von EUR 500 von seinem Vater in Empfang nahm, in Vorlage um eine tatsächliche Unterhaltsgewährung nachzuweisen und gab vor dem BFA am 04.06.2019 zuletzt an, dass er seinen Lebensunterhalt mit finanzieller Unterstützung seines Vaters bestreite.

Wenngleich er in früheren Einvernahmen zur Frage nach den Mitteln für seinen Lebensunterhalt auf eigene Erwerbstätigkeit verwiesen hatte, wurde für das erkennende Gericht in der nunmehrigen Konstellation nicht erkennbar, wie das BFA zum Schluss gelangen konnte, dass der BF keine tatsächlichen Unterhaltsleistungen von seinem Vater empfängt. Ebenso blieb mangels Ermittlungen der belangten Behörde unklar, ob er allenfalls seinen Lebensunterhalt doch aus eigenen Mitteln bestreitet.

Gerade im Hinblick auf diese fehlenden Feststellungen war aber zu bedenken, dass eine Unterhaltsgewährung iSd Artikel 2 Z 2 lit d der Richtlinie 2004/38/EG, der durch § 2 Abs. 4 Z 11 FrPolG 2005 innerstaatlich umgesetzt wurde, (nur) vorliegt, wenn der Unionsbürger für alle erforderlichen wesentlichen Unterhaltsbedürfnisse des Drittstaatsangehörigen aufkommt. Dies ist wiederum dann nicht der Fall, wenn ein Drittstaatsangehöriger seine finanziellen Bedürfnisse vorwiegend aus eigenen Mitteln bestreitet (vgl. VwGH 21.07.2019, Ra 2017/22/0079, mwN).

1.6. Die in dieser Hinsicht unterbliebene behördliche Ermittlungstätigkeit war im Falle des Beschwerdeführers nicht nur deshalb geboten, weil vom jeweiligen Ermittlungsergebnis abhängt, ob dem BF der Status des begünstigten Drittstaatsangehörigen iSd § 54 NAG zukommt oder nicht.

Schon dem Wortlaut von § 66 Abs. 1 FPG ist immanent, dass der von der Ausweisung Betroffene entweder EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger sein muss, was hinsichtlich des BF, einem türkischen Staatsangehörigen, aber nicht der Fall wäre, sofern ihm keine unionsrechtliche Aufenthaltsberechtigung zukommt. Insofern das BFA im angefochtenen Bescheid davon ausging, dass der BF kein begünstigter Drittstaatsangehöriger sei, war eine auf § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG gestützte Ausweisung jedenfalls nicht rechtskonform, sondern allenfalls eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 FPG zu erlassen, wobei diesfalls - angesichts des italienischen Daueraufenthaltstitels des BF - auch auf § 52 Abs. 6 Bedacht zu nehmen ist.

1.7. Im Falle einer Ausweisung des BF ist das BFA auch angehalten, auf seine privaten und familiären Interessen im Bundesgebiet einzugehen, was ebenso für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen ihn gilt.

Da das BFA auch diesbezüglich keine Feststellungen traf, war für das erkennende Gericht nicht nachvollziehbar, auf welche Grundlage das BFA seine diesbezügliche Beurteilung stützte.

Auch war für das erkennende Gericht nicht nachvollziehbar, aufgrund welcher Feststellungen die belangte Behörde zur Auffassung gelangte, dass kein Durchsetzungsaufschub gemäß § 70 Abs. 3 FPG zu gewähren sei.

2.1. Die Aufhebung eines Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG folgt konzeptionell dem § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Insoweit erscheinen auch die von der höchstgerichtlichen Judikatur - soweit sie nicht die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung betrifft - anwendbar, weshalb unter Bedachtnahme auf die genannten Einschränkungen die im Erkenntnis des VwGH vom 16.12.2009, Zl. 2007/20/0482 dargelegten Grundsätze gelten, wonach die Behörde an die Beurteilung im Behebungsbescheid gebunden ist. Mängel abseits jener der Sachverhaltsfeststellung legitimieren das Gericht nicht zur Behebung aufgrund § 28 Abs. 3, 2. Satz (Erk. d. VwGH vom 19.11.2009, 2008/07/0167; vgl. auch Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), Anm. 11 zu § 28 VwGVG).

Ausführlich hat sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, (ebenso VwGH, 27.01.2015, Ro 2014/22/0087) mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

Es liegen die Voraussetzungen von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zusammengefasst dann vor, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht feststeht, insbesonders weil

1. die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat,

2. die Behörde zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat

3. konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde Ermittlungen unterließ, damit diese im Sinn einer "Delegierung" dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden oder

4. ähnlich schwerwiegende Ermittlungsmängel zu erkennen sind und

die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht - hier: das Bundesverwaltungsgericht - selbst nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z. 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden. Dies bedeutet, dass das Verwaltungsgericht über den Inhalt der vor der Verwaltungsbehörde behandelten Rechtsache abspricht, wobei sie entweder die Beschwerde gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid abweist oder dieser durch seine Entscheidung Rechnung trägt. Das Verwaltungsgericht hat somit nicht nur die gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid eingebrachte Beschwerde, sondern auch die Angelegenheit zu erledigen, die von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war.

Geht das Verwaltungsgericht - in Verkennung der Rechtslage - aber von einer Ergänzungsbedürftigkeit des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes aus, die bei einer zutreffenden Beurteilung der Rechtslage nicht gegeben ist, und hebt dieses Gericht daher den Bescheid der Verwaltungsbehörde gemäß § 28 Abs. 3 Satz 2 VwGVG infolge Verkennung der Rechtslage auf, verstößt das Verwaltungsgericht gegen seine in § 28 Abs. 2 VwGVG normierte Pflicht, "in der Sache selbst" zu entscheiden.

2.2. Zumal das BFA die erforderliche Ermittlungstätigkeit, auf deren Grundlage tragfähige Feststellungen zu wesentlichen Tatbestandsmerkmalen erst möglich gewesen wären, unterlassen hat, wurde aus Sicht des BVwG der entscheidungswesentliche Sachverhalt für die abschließende Beurteilung, ob der BF als begünstigter Drittstaatsangehöriger anzusehen wäre und damit eine etwaige Ausweisung überhaupt in Betracht käme bzw. ob er eben nicht als solcher anzusehen ist und damit eine allfällige Rückkehrentscheidung zu erwägen wäre, nicht einmal ansatzweise ermittelt und lag in der Folge eine gravierende Ermittlungslücke hinsichtlich der Subsumtion unter die richtige Rechtsgrundlage vor (vgl. VwGH vom 30.09.2014, Ro 2014/22/0021), weshalb sich das erkennende Gericht zur Behebung der bekämpften Entscheidung und Zurückverweisung des Verfahrens an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Erlassung eines neuen Bescheides veranlasst sah.

Eine Verlagerung des im Hinblick auf die erwähnten rechtlichen Konsequenzen erforderlichen Ermittlungsverfahrens vor das Bundesverwaltungsgericht war nicht als im Sinne des Gesetzgebers gelegen zu erachten. Im Übrigen würde eine erstmalige Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes und Beurteilung der Rechtsfrage durch das Bundesverwaltungsgericht eine (bewusste) Verkürzung des Instanzenzuges bedeuten (vgl. dazu VwGH v. 18.12.2014, Ra 2014/07/0002; VwGH v. 10.10.2012, Zl. 2012/18/0104). Dass eine unmittelbare Durchführung dieses Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, war nicht ersichtlich.

3. Zwar begehrte der BF in seiner Beschwerde in eventu die Behebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung des Verfahrens an das Amt der Wiener Landesregierung. Da jedoch das BFA in erster Instanz und nicht die genannte Niederlassungsbehörde zur Entscheidung in der gg. Sache berufen ist, war der Beschwerde insoweit stattzugeben, als die Angelegenheit mit Behebung des angefochtenen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen war.

4. Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

5. Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der Beschwerde stattzugeben bzw. der Bescheid im angefochtenen Umfang aufzuheben war.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Schlagworte

Ausweisung Durchsetzungsaufschub Ermittlungsmangel Ermittlungspflicht Kassation mangelhaftes Ermittlungsverfahren mangelnde Feststellungen mangelnde Sachverhaltsfeststellung Zurückverweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L502.2225542.1.00

Im RIS seit

21.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

21.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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