TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/12 L514 2203356-1

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Veröffentlicht am 12.12.2019
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Entscheidungsdatum

12.12.2019

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

L514 2203356-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. KLOIBMÜLLER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch RAe Klaus KOCHER & Mag. Wilfried BUCHER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.07.2018, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen uns Asyl (im Folgenden: BFA) vom 17.07.2018, Zl. XXXX , wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein für die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Das Aufenthaltsverbot wurde vom BFA im Wesentlichen mit den strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers begründet. Der Beschwerdeführer könne sich zwar auf das Assoziierungsabkommen berufen, weshalb die günstigeren Bestimmungen des § 67 FPG anzuwenden sei, die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei jedoch aufgrund der vom Beschwerdeführer ausgehenden erheblichen Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit zulässig.

2. Mit Verfahrensanordnung vom 19.07.2018 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG von Amts wegen ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht beigegeben.

3. Gegen diesen dem rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers am 24.07.2018 zugestellten Bescheid wurde mit Schriftsatz vom 08.08.2018 fristgerecht Beschwerde erhoben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Identität des Beschwerdeführers steht fest. Er ist türkischer Staatsbürger und somit Drittstaatangehöriger. Er hält sich mit seinen Eltern seit dem Jahr 1993 ununterbrochen im Bundesgebiet auf. Vorerst erhielt er eine Aufenthaltsbewilligung für den Zweck "Familieneigenschaft mit Fremden" und wurde ihm schließlich im Jahr 1998 ein unbefristeter Aufenthaltstitel erteilt. Aufgrund der Verurteilungen wurde er iSd § 28 NAG rückgestuft und wurde dem Beschwerdeführer eine "Rot-Weiß-Rot Karte plus" gemäß § 41a Abs. 5 NAG gültig von 10.05.2017 bis 09.05.2018 erteilt. Am 05.04.2018 erfolgte ein neuerlicher Verlängerungsantrag.

Der Beschwerdeführer wurde im Zeitraum 1999 bis 2016 insgesamt zwölf Mal rechtskräftig verurteilt, wobei die letzte Verurteilung des LG für Strafsachen XXXX vom XXXX 2016, Zl. XXXX , (Rechtskraft seit XXXX 2016) wegen der Begehung des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch als Beteiligter gemäß §§ 127, 129 Abs. 1 Z 2 StGB (zwölfmonatige Freiheitsstrafe) stammt.

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegten Verwaltungsakt des BFA.

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem Akteninhalt.

2.2. Zur Person der beschwerdeführenden Partei:

Die Feststellungen hinsichtlich der Staatsangehörigkeit, der Identität des Beschwerdeführers sowie seiner Einreise, ergeben sich aus dem Akteninhalt und dem vorgelegten Identitätsdokument.

Die strafgerichtlichen Verurteilungen sind dem Strafregisterauszug zu entnehmen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1.-der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

-2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Gemäß § 28 Abs. 4 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Behörde bei ihrer Entscheidung Ermessen zu üben hat, wenn es nicht gemäß Abs. 2 in der Sache selbst zu entscheiden hat und wenn die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG sind die Behörden verpflichtet, wenn das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid aufhebt, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

Gemäß § 28 Abs. 6 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn im Verfahren wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG eine Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären und gegebenenfalls aufzuheben. Dauert die für rechtswidrig erklärte Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt noch an, so hat die belangte Behörde unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Zustand herzustellen.

Gemäß § 28 Abs. 7 VwGVG kann das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG sein Erkenntnis vorerst auf die Entscheidung einzelner maßgeblicher Rechtsfragen beschränken und der Behörde auftragen, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der hiermit festgelegten Rechtsanschauung binnen bestimmter, acht Wochen nicht übersteigender Frist zu erlassen. Kommt die Behörde dem Auftrag nicht nach, so entscheidet das Verwaltungsgericht über die Beschwerde durch Erkenntnis in der Sache selbst, wobei es auch das sonst der Behörde zustehende Ermessen handhabt.

Gemäß § 28 Abs. 8 VwGVG tritt durch die Aufhebung der angefochtenen Weisung jener Rechtszustand ein, der vor der Erlassung der Weisung bestanden hat; infolge der Weisung aufgehobene Verordnungen treten jedoch dadurch nicht wieder in Kraft. Die Behörde ist verpflichtet, in dem betreffenden Fall mit den ihr zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

3.2. Mit Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 04.04.2019, Ra 2019/21/0009, hat dieser klargestellt, dass nunmehr aufgrund der geänderten Rechtslage auch in Bezug auf türkische Staatsangehörige, welche in den Anwendungsbereich des Beschlusses 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 (im Folgenden kurz: ARB 1/80) fallen bzw. daraus ein Aufenthaltsrecht ableiten können, als "sonstige Drittstaatsangehörige" gelten und für eine Aufenthaltsbeendigung nur eine Rückkehrentscheidung und gegebenenfalls ein Einreiseverbot in Frage kommen und nicht eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot.

Der Verwaltungsgerichtshof führte in der zitierten Entscheidung Folgendes aus:

"28 Türkische Staatsangehörige - auch solche mit einer Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 - sind "sonstige" Drittstaatsangehörige. Sie unterfallen daher dem Wortlaut nach

§ 52 FPG. Vor allem aber ist zu bedenken, dass türkische Staatsangehörige, gegen die in Einklang mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 eine aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen wird, zu illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen werden, denen daher nach der Rückführungs-RL im Wege einer Rückkehrentscheidung eine Rückkehrverpflichtung in ihr Herkunftsland, ein Transitland gemäß gemeinschaftlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder in ein anderes Drittland, in das sie freiwillig zurückkehren wollen und in dem sie aufgenommen werden, aufzuerlegen ist (Art. 6 Abs. 1 und 6 iVm Art. 3 Z 3 und 4 Rückführungs-RL). Das wird im österreichischen Rechtsbereich (seit 1. Jänner 2014 zur Gänze) nur mehr durch die Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG umgesetzt, die nach dem 8. Absatz dieser Bestimmung den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde, verpflichtet. Demgegenüber verpflichten Ausweisungen nach § 66 FPG und Aufenthaltsverbote nach

§ 67 FPG nur zur Ausreise aus Österreich (siehe § 70 Abs. 1 FPG).

Vor diesem Hintergrund ist nunmehr auch gegen türkische Staatsangehörige, die über eine Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 verfügen und deren Aufenthalt in Übereinstimmung mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 beendet werden soll, anders als nach der bis 31. Dezember 2013 geltenden Rechtslage nicht mehr ein Aufenthaltsverbot, sondern eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot zu erlassen. Freilich hat es dabei zu bleiben, dass diese Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot eine Gefährdung voraussetzt, die jener gleichkommt, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger rechtfertigt oder, wie sich aus EuGH 8.12.2011, Ziebell, C-371/08, ergibt, im Fall eines türkischen Staatsangehörigen, der sich seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig in Österreich aufhält, Art. 12 der Daueraufenthalts-RL - umgesetzt durch § 52 Abs. 5 FPG - entspricht."

3.3. Für den gegenständlichen Fall bedeutet dies Folgendes:

Im gegenständlichen Fall hat das BFA gegen einen türkischen Staatsangehörigen, welcher der Prüfung des BFA nach in den Anwendungsbereich des ARB 1/80 fällt, ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG erlassen.

Wie sich aus der oben zitierten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes ergibt, wurde damit - unabhängig vom tatsächlichen Bestehen von Anknüpfungspunkten nach dem Assoziationsabkommen - die Rechtslage verkannt und wäre zur Aufenthaltsbeendigung des Beschwerdeführers als "sonstigen Drittstaatsangehörigen" hier die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot zu prüfen.

Zu beachten ist dabei, dass diese Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot bei tatsächlich nach dem Assoziationsabkommen berechtigten Personen eine Gefährdung voraussetzt, die jener gleichkommt, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger rechtfertigt oder die (wie sich aus EuGH 8.12.2011, Ziebell, C-371/08, ergibt, im Fall eines türkischen Staatsangehörigen, der sich seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig in Österreich aufhält) Art. 12 der Daueraufenthalts-RL - umgesetzt durch § 52 Abs. 5 FPG - entspricht.

Dass es sich beim Beschwerdeführer aus anderen Gründen um einen begünstigten Drittstaatsangehörigen iSd § 2 Abs. 4 Z 11 FPG handeln würde und somit doch die

§§ 66 ff FPG und nicht § 52 FPG zur Anwendung gelangen, hat das BFA hier nicht aufgezeigt.

3.4. Gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG sind die Behörden verpflichtet, wenn das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid aufhebt, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

Bei einer Aufhebung gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG handelt es sich um eine materielle Erledigung der Rechtssache durch (ersatzlose) Behebung des angefochtenen Bescheides in Form eines Erkenntnisses.

Es war daher der Beschwerde stattzugeben und der Bescheid zur Gänze zu beheben.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß

Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) ab. Durch das genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes fehlt es auch nicht an einer Rechtsprechung und die zu lösende Rechtsfrage wird in der Rechtsprechung auch nicht uneinheitlich beantwortet.

Schlagworte

Assoziationsabkommen Aufenthaltsverbot Aufenthaltsverbot aufgehoben Behebung der Entscheidung Einreiseverbot Rechtsgrundlage Rechtslage Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L514.2203356.1.00

Im RIS seit

21.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

21.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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