TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/17 L521 2151609-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.12.2019
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Entscheidungsdatum

17.12.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

L521 2151609-1/37E

Schriftliche Ausfertigung des am 28.11.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde des XXXX , Staatsangehörigkeit Irak, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.03.2017, Zl. 1057569000-150339264, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 28.11.2019 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte im Gefolge seiner schlepperunterstützten unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 03.04.2015 nach seiner unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung am Tag der Antragstellung legte der Beschwerdeführer dar, den im Spruch genannten Namen zu führen und Staatsangehöriger des Irak zu sein. Er sei am XXXX in Bagdad geboren und habe dort zuletzt auch im Bezirk XXXX gelebt, Angehöriger der arabischen Volksgruppe, bekenne sich zum Islam der sunnitischen Glaubensrichtung und sei ledig.

Im Hinblick auf seinen Reiseweg brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, den Irak am 05.02.2015 legal von Bagdad ausgehend auf dem Landweg in die Türkei verlassen zu haben. Nach einem kurzen Aufenthalt in Izmir sei er schlepperunterstützt auf dem Seeweg nach Griechenland gelangt und dort nach erkennungsdienstlicher Behandlung des Landes verwiesen worden. In der Folge sei er auf das Festland gefahren und anschließend mit schlepperunterstützt mit einem Lastkraftwagen nach Österreich verbracht worden.

Zu den Gründen seiner Ausreise befragt führte der Beschwerdeführer aus, sein Vater sei Anhänger des Regimes von Saddam Hussein. Seine Familie sei deshalb von der Mahdi-Miliz mehrmals bedroht worden. Im Januar 2015 habe er einen Drohbrief erhalten, wonach er das Gebiet verlassen müsse.

2. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 25.11.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, im Beisein einer geeigneten Dolmetscherin in arabischer Sprache niederschriftlich vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter einvernommen.

Befragt nach dem Grund für das Verlassen des Heimatstaates führte der Beschwerdeführer aus, er habe im Januar 2015 einen Drohbrief erhalten, wonach er binnen drei Tagen das Wohnhaus verlassen müsse. Sein Vater, der der Baath-Partei angehört habe, sei ein älterer Mensch und habe das Haus nicht verlassen wollen. Er selbst habe sich zu seiner Tante begeben und dort bis zu seiner Ausreise in die Türkei vierzehn Tage später das "das Finanzielle arrangiert".

Auf Nachfrage legte der Beschwerdeführer dar, sein Vater sei im angesprochenen Drohbrief ebenfalls bedroht worden. Den Drohbrief könne er nicht vorweisen, da sein Vater ihr weggeworfen habe. Einen Absender könne er nicht angeben, da ein solcher im Drohbrief nicht aufscheinen würde. Seine männlichen Familienangehörigen hätten den Irak ebenfalls verlassen und wären im Juni 2015 nach Jordanien gezogen. Außerdem legte der Beschwerdeführer auf Nachfrage dar, selbst ebenfalls der Baath-Partei angehörig zu haben.

3. Mit dem hier angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.03.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wider den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 wurde ausgesprochen, dass die Frist für eine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte das Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen aus, das Vorbringen des Beschwerdeführers werde im Hinblick auf den Ausreisegrund als nicht glaubhaft erachtet. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise im Irak bedroht worden sei oder dort gegenwärtig bedroht werde. Dem Beschwerdeführer sei anzulasten, im Irak eine polizeiliche Anzeige unterlassen zu haben. Ferner habe er bei der Erstbefragung die Mahdi-Miliz als Bedroher bezeichnet, bei der Einvernahme allerdings angegeben, dass der Drohbrief keinen Absender aufgewiesen habe. Dass sein ebenfalls bedrohter Vater nicht mit ihm geflüchtet sei, könne schließlich nicht nachvollzogen werden.

4. Mit Verfahrensanordnung vom 15.03.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben und der Beschwerdeführer ferner gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG darüber informiert, dass er verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.

5. Gegen den dem Beschwerdeführer am 16.03.2017 durch Hinterlegung zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die im Wege der dem Beschwerdeführer beigegebenen und von ihm bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

In dieser wird inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert und beantragt, den angefochtenen Bescheid abzuändern und dem Antrag auf internationalen Schutz Folge zu geben und dem Beschwerdeführer der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen oder hilfsweise des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen und jedenfalls die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht begehrt.

In der Sache bringt der Beschwerdeführer nach neuerlicher Darlegung des aus seiner Sicht maßgeblichen Sachverhaltes vor, das belangte Bundesamt sei auf sein individuelles Vorbringen nicht eingegangen und habe außerdem unzureichende Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat im Hinblick auf die Aktivitäten schiitischer Milizen und zur Sicherheitslage getroffen, wobei in der Beschwerde in der Folge Berichte zur Lage im Herkunftsstaat auszugsweise zitiert werden. Ausweisliche dieser Berichte zur Lage im Herkunftsstaat sei der Irak ein Staat ohne Gewaltmonopol und würden schiitische Milizen eigenmächtig und außerhalb jeder Kontrolle agieren.

Aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers ergebe sich schlüssig, dass er sich keinesfalls einer Miliz anschließen wolle. Sein familiärer Hintergrund und eigene Mitgliedschaft bei der Baath-Partei würden ein zusätzliches Gefährdungsmoment darstellen. Die Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung erweise sich demnach als wohlbegründet und es bestehe ein maßgebliches Risiko, im Fall einer Rückkehr in das Blickfeld schiitischer Milizeinheiten zu geraten und Verfolgungshandlungen ausgesetzt zu sein. Es liege daher eine Verfolgung des Beschwerdeführers in Syrien (!) mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit vor.

6. Die Beschwerdevorlage langte am 30.03.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurde in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.

7. Am 15.06.2018 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner rechtsfreundlichen Vertretung und eines Dolmetschers für die arabische Sprache durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung im Irak anhand von aktuellen Länderdokumentationsunterlagen erörtert, welche dem Beschwerdeführer ausgefolgt und eine Stellungnahme hiezu freigestellt wurde.

8. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.06.2018 wurde XXXX zum Sachverständigen bestellt und mit der Erstellung eines Befundes in der Sache des Beschwerdeführers im Wege von Recherchen im Herkunftsstaat beauftragt. Der Befund langte am 24.01.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

9. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte dem Beschwerdeführer zu Handen dessen rechtsfreundlicher Vertretung mit Note vom 29.01.2019 den Befund des Sachverständigen XXXX sowie aktuelle Länderdokumentationsunterlagen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat zur Abgabe einer Stellungnahme.

10. Mit Schreiben der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers vom 18.02.2019 wurden dem Bundesverwaltungsgericht Urkunden in arabischer Sprache und Lichtbilder zum Beweis des Vorbringens des Beschwerdeführers in Vorlage gebracht und dazu ausgeführt, dass der Beschwerdeführer mit einem Kurierdienst aus dem Irak originale Unterlagen erhalten habe und diese nunmehr in Vorlage bringen wolle. Eine Äußerung zum Befund des Sachverständigen XXXX kann dem Schreiben nicht entnommen werden.

11. Zur Vorbereitung der für den 28.11.2019 anberaumten mündlichen Verhandlung wurden der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers mit Noten des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.10.2019 aktuelle Länderdokumentationsunterlagen zur allgemeinen Lage im Irak zur Wahrung des Parteiengehörs übermittelt und die Möglichkeit eingeräumt, dazu innerhalb einer Frist schriftlich Stellung zu nehmen.

12. Am 18.11.2019 übermittelte der Beschwerdeführer im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung eine Stellungnahme, in welcher vorgebracht wird, dass dem Sachverständigen XXXX "die Zulassung als Sachverständiger durch den (!) BVwG" entzogen worden sei und der Gutachter "keine Beurteilungen mehr für die Asylwerber schreiben" dürfe. Der Befund des Sachverständigen sollte der Entscheidung daher nicht zugrunde gelegt werden.

In der Folge verweist der Beschwerdeführer unter auszugsweiser Zitierung der ihm zur Stellungnahme übermittelten Länderdokumentationsunterlagen auf den eigenen Verfahrensstandpunkt.

13. Am 28.11.2019 wurde die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht im Beisein des Beschwerdeführers und seiner rechtsfreundlichen Vertretung, eines Vertreters des belangten Bundesamtes und eines Dolmetschers für die arabische Sprache fortgesetzt. Im Verlauf der Verhandlung wurde die aktuelle Lageentwicklung im Irak anhand der dem Beschwerdeführer im Vorfeld übermittelnden und in der mündlichen Verhandlung um aktuelle Berichte zu den gegenwärtig in Bagdad stattfindenden regierungskritischen Protesten ergänzen Länderdokumentationsunterlagen erörtert und dem Beschwerdeführer neuerlich die Gelegenheit eingeräumt, seine Rückkehrbefürchtungen umfassend darzulegen.

Im Anschluss an die mündliche Verhandlung wurde das gegenständliche Erkenntnis samt den wesentlichen Entscheidungsgründen mündlich verkündet und seitens des Beschwerdeführers mit Eingabe vom 29.11.2019 die Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung des Erkenntnisses beantragt und unter einem mitgeteilt, dass die erteilte Vollmacht niedergelegt werde und die schriftliche Erkenntnisausfertigung dem Beschwerdeführer direkt zuzustellen sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angeführten Namen, er ist Staatsangehöriger des Irak und Angehöriger der arabischen Volksgruppe. Der Beschwerdeführer wurde am XXXX in Bagdad geboren und lebte dort bis zur Ausreise im Distrikt XXXX und dort im Bezirk XXXX in einem Haus im Eigentum seines Vaters. Der Beschwerdeführer ist Moslem und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Er ist ledig und hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer ist gesund, er steht nicht in medizinischer Behandlung und nimmt keine Medikamente ein.

Der Beschwerdeführer besuchte in Bagdad die Grundschule und eine weiterführende Schule Ausmaß von zwölf Jahren und erlangte die Matura. Im Anschluss daran absolvierte er ein zweijähriges Kolleg für Informationstechnologie und schloss diesen Lehrgang erfolgreich ab. Nach dem Eintritt in das Berufsleben im Jahr 2001 war der Beschwerdeführer zunächst zwei Jahre bei einer staatlichen Einrichtung tätig, die Raketenteile herstellte. Nach mehreren Jahren Arbeitslosigkeit arbeitete der Beschwerdeführer vier Jahre als Koch, zuletzt war er wiederum ohne Beschäftigung. Eigen Angaben zufolge stammt der Beschwerdeführer aus einer reichen Familie.

Die Mutter des Beschwerdeführers verstarb im Jahr 2012 eines natürlichen Todes. Sein Vater bezieht eine Rente und lebt den vom Bundesverwaltungsgericht nicht überprüften Angaben des Beschwerdeführers zufolge in der jordanischen Hauptstadt Amman, nähere Feststellungen zu seinem dortigen Aufenthaltsort können nicht getroffen werden.

Der Beschwerdeführer hat drei Schwestern, die verheiratet sind und mit ihren Ehemännern in Bagdad im Bezirk XXXX bzw. im Bezirk XXXX leben. Die zwei Brüder des Beschwerdeführers sind ebenfalls verheiratet und leben den vom Bundesverwaltungsgericht nicht überprüften Angaben des Beschwerdeführers zufolge in der jordanischen Hauptstadt Amman, nähere Feststellungen zu ihrem dortigen Aufenthaltsort können nicht getroffen werden.

Am 05.02.2015 verließ der Beschwerdeführer den Irak mit seinem Personenkraftwagen auf dem Landweg in die Türkei und gelangte in der Folge schlepperunterstützt auf dem Seeweg nach Griechenland und weiter nach Österreich, wo er am 03.04.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

1.2. Der Beschwerdeführer hatte in seinem Herkunftsstaat keine Schwierigkeiten aufgrund seiner arabischen Volksgruppenzugehörigkeit und seines sunnitischen Religionsbekenntnisses zu gewärtigen. Der Beschwerdeführer hatte außerdem vor seiner Ausreise keine Schwierigkeiten mit Behörden, Gerichten oder Sicherheitskräften seines Herkunftsstaates zu gewärtigen.

Der Beschwerdeführer war vor dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein im Jahr 2003 einfaches Mitglied der Baath-Partei. Einer im Irak politisch aktiven Gruppierung gehörte er zum Zeitpunkt der Ausreise nicht an.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Januar 2015 einen Drohbrief einer schiitischen Miliz erhielt. Der Beschwerdeführer war vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat auch keiner anderweitigen individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe, Kämpfer schiitischer Milizen oder Privatpersonen ausgesetzt und wird im Falle einer Rückkehr in seine Herkunftsregion Bagdad einer solchen individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt sein.

Der Beschwerdeführer ist im Fall einer Rückkehr in seine Herkunftsregion Bagdad auch nicht einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt aufgrund seines Bekenntnisses zum sunnitischen Islam ausgesetzt.

1.3. Dem Beschwerdeführer droht im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat nicht die Todesstrafe. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge im Irak.

1.4. Der Beschwerdeführer ist ein gesunder, arbeits- und anpassungsfähiger Mensch mit im Herkunftsstaat erworbener hervorragender Schulbildung und einer Berufsausbildung als Informationstechniker. Der Beschwerdeführer verfügt über eine - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherte Existenzgrundlage in seinem Herkunftsstaat sowie über familiäre Anknüpfungspunkte in seiner Herkunftsregion in Gestalt seiner dort lebenden Geschwister. Dem Beschwerdeführer ist darüber hinaus die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung seines Auskommens möglich und zumutbar.

1.5. Der Beschwerdeführer verfügt über ein irakisches Ausweisdokument (Personalausweis) im Original.

1.6. Der Beschwerdeführer hält sich seit dem 03.04.2015 in Österreich auf. Er reiste rechtswidrig in das Bundesgebiet ein, ist seither durchgehend im Bundesgebiet als Asylwerber aufhältig und verfügt über keinen anderen Aufenthaltstitel.

Der Beschwerdeführer bezieht seit der Antragstellung Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und war zunächst in einer Unterkunft für Asylwerber in der Gemeinde XXXX untergebracht. Vom 01.09.2016 an bis zum 05.07.2019 lebte der Beschwerdeführer in einem Privatquartier in der Stadt XXXX , seit dem 05.07.2019 ist er dort in einer Unterkunft für Asylwerber untergebracht.

Der Beschwerdeführer war im Bundesgebiet bislang nicht legal erwerbstätig. Mit Schreiben vom 13.06.2018 wurde ihm für den Fall einer "positiven Stellungnahme der zuständigen Behörden" von der XXXX ein Arbeitsplatz als Abwäscher für Schwarzgeschirr in Aussicht gestellt. Der Beschwerdeführer verrichtete außerdem gemeinnützige Arbeit in der Stadt Graz und reinigte dort im Ausmaß von 17,5 Stunden im Jahr 2019 Verkehrswege.

Der Beschwerdeführer besuchte zunächst in den Jahren 2015 und 2016 Deutschkurse der Caritasakademie der Diözese Graz-Seckau. Im ersten Halbjahr 2017 nahm der Beschwerdeführer am Projekt SprachCall 2017 des Landes Steiermark und der Caritasakademie der Diözese Graz-Seckau teil und belegte 47 von 50 Unterrichtseinheiten. Vom 12.09.2017 bis zum 09.11.2017 belegte er einen Deutschkurs auf dem Niveau A1.1 im Umfang von 50 Einheiten des Berufsförderungsinstitutes Steiermark. Prüfungen über Kenntnisse der deutschen Sprache legte er nicht ab. Der Beschwerdeführer verfügt über nur rudimentäre Kenntnisse der deutschen Sprache.

Der Beschwerdeführer ist alleinstehend und hat in Österreich keine Verwandten. Er pflegt normale soziale Kontakte zu seinem Freundeskreis und ist für keine Person im Bundesgebiet sorgepflichtig. Ein vereinsmäßiges Engagement des Beschwerdeführers ist nicht feststellbar.

1.7. Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet war nie nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Abs. 1a FPG geduldet. Sein Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Der Beschwerdeführer wurde nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.

1.8. Zur gegenwärtigen Lage im Gouvernement Bagdad werden folgende Feststellungen getroffen:

Das Gouvernement Bagdad ist das mit ca. 4.555 km² flächenmäßig kleinste Gouvernement des Landes und beherbergt die gleichnamige irakische Hauptstadt Bagdad. In Bagdad lebten 2018 offiziell schätzungsweise 8,1 Millionen Menschen. Obwohl Bagdad das kleinste Gouvernement im Irak ist, hat es die höchste Einwohnerzahl von allen Gouvernements. 87% der Bevölkerung des Gouvernements leben in der Stadt Bagdad selbst. Die Hauptstadt ist das wichtigste Wirtschaftszentrum des Landes und beherbergt die stark geschützte grüne Zone.

Die Stadt Bagdad ist in neun Verwaltungsbezirke gegliedert: Adhamiyah, Karkh, Karada, Khadimiyah, Mansour, Sadr City, Al Rashid, Rasafa und 9 Nissan ('new Baghdad'). Die restliche Fläche des Gouvernements beherbergt die Verwaltungsbezirke Al Madain, Taji, Tarmiyah, Mahmudiyah und Abu Ghraib, die den sogenannten "Bagdad Belt" bilden und die Vororte beherbergen.

Gouvernement und Stadt Bagdad weisen eine gemischte Bevölkerung aus Schiiten und Sunniten mit einer geringeren Anzahl christlicher Gemeinschaften auf. Während die meisten Stadtteile in Bagdad in der Vergangenheit von einer Mischung aus Sunniten und Schiiten bewohnt waren, führte die gewaltsame Säuberung im Zuge der konfessionellen Konflikte insbesondere in den Jahren 2006 und 2007 dazu, dass die Stadt viel stärker religiös geteilt und von den Schiiten dominiert zu sein scheint (siehe dazu im Detail unten 1.10 "Lage von sunnitischen Arabern in Bagdad").

Die Einheiten der irakischen Armee in Bagdad unterstehen Führung des Baghdad Operations Command (BOC), das in zwei Gebiete unterteilt ist, das Karkh Area Command und das Rusafa Area Command. Die Special Forces Division (SFD) des Premierministers ist für die Sicherheit in der grünen Zone und den Schutz des Premierministers verantwortlich und kann vom Verteidigungsministerium, dem BOC, dem Joint Operations Command (JOC) sowie dem Premierminister selbst eingesetzt werden. Die SDF wird auch für Sicherungsaufgaben in Bagdad herangezogen, insbesondere während der schiitischen Pilgerreisen.

Dem Karkh Area Command untersteht die 6. irakische Armeedivision mit verschiedenen Brigaden, die in und außerhalb der Stadt stationiert sind. Die dem Rusafa Area Command unterstehende 9. Irakische Armeedivision ist derzeit nicht in Bagdad stationiert. Die Bundespolizei des irakischen Innenministeriums ist in Bagdad durch drei Bundespolizeidivisionen vertreten. Die 1. Federal Police Division sichert die südwestliche, westliche und südöstliche Kanalzone von Bagdad. Die 2. Federal Police Division, die einzige mechanisierte Division der Bundespolizei in Bagdad, wird hauptsächlich zur Terrorismusbekämpfung in Bagdad und den Bagdad-Belts, zur Sicherung von Pilgerwegen und zu Aufgaben in Zusammenhang mit der Strafverfolgung herangezogen. Die 4. Federal Police Division deckte das südliche Bagdad und Gebiete südlich der Hauptstadt ab und betreibt das Gefängnis in Karkh. Ergänzend steht westlich von Bagdad die 3. Brigade der Emergency Response Division (ERD) zur Verfügung. Die Stadt Bagdad und die Vororte werden grundsätzlich von den irakischen Behörden kontrolliert. In der Praxis teilen sich die Behörden jedoch die Verteidigungs- und Strafverfolgungsaufgaben mit den schiitisch dominierten Milizen der Volksmobilisierungseinheiten (al-hashd al-sha'bi, engl.: popular mobilization units, PMU oder popular mobilization forces bzw. popular mobilization front, PMF), was zu einer "unvollständigen" oder überlappenden Kontrolle mit diesen Milizen führt. Für die Jahre 2014 und 2015 liegen Berichte vor, wonach Einheiten der PMF an Misshandlungen und Morden an Zivilisten und Sunniten im Zusammenhang mit Operationen gegen den Islamischen Staat in den Bagdad-Belts beteiligt waren.

Seit dem Eintritt der militärischen Niederlage des Islamischen Staates im Dezember 2017 gibt es in Bagdad und anderen Landesteilen weniger Angriffe des Islamischen Staates mit großer Breitenwirkung. Der Islamische Staat verfügt weiterhin über aktive Zellen im nördlichen und westlichen Bagdad-Belt, diese befinden sich jedoch erheblichen Verlusten im Jahr 2017 in einem inaktiven Zustand. Seit dem Jahr 2018 sind Bagdad und die Bagdad-Belts kein prioritäres Operationsgebiet des Islamischen Staates mehr und ist der Islamische Staat nicht mehr für den überwiegenden Teil der Gewalttätigkeiten in der irakischen Hauptstadt verantwortlich. Die Möglichkeit, Anschläge auch im Zentrum der irakischen Hauptstadt zu verüben, dürfte nach wie vor gegeben sein, allerdings befindet sich die verbliebenen Anhänger des Islamischen Staates in einer Phase der Neuaufstellung.

Wenn der Islamische Staat die Verantwortung für Angriffe übernimmt, werden die Opfer entweder als "Abtrünnige" oder "Rafida" (eine abfällige Bezeichnung für schiitische Muslime) oder als bewaffnete Akteure bezeichnet, obwohl die Opfer möglicherweise Zivilisten sind. Der Islamische Staat übertreibt das häufig die Verluste, die seine Anschläge nach sich ziehen.

Die nachstehende Grafik zeigt, dass die Anzahl der zivilen Opfer von Gewaltakten in Bagdad in den Jahren 2017 und 2018 gegenüber den Vorjahren signifikant gesunken ist und wieder das Niveau vor dem Erstarkten des Islamischen Staates erreicht hat (Anmerkung: Die Datenbank Iraq Body Count kommt zu abweichenden Werten, siehe dazu die weitere Grafik).

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Die folgende Grafik veranschaulicht die Entwicklung der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Gouvernement Bagdad und Anzahl der Opfer nach der Datenbank Iraq Body Count, wobei die Darstellung jedwede Art von Gewaltanwendung (insbesondere Bombenanschläge, Selbstmordattentate, Attacken mit Schusswaffen und außergerichtliche Tötungen) umfasst.

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Die Verwaltungsbezirke mit der höchsten Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen, die zu zivilen Todesfällen führten, waren im Jahr 2018 Adhamiya mit 78 sicherheitsrelevanten Vorfällen, die zu 94 zivilen Todesfällen führten, gefolgt von Resafa (einschließlich Thawra 1 & 2) mit 77 sicherheitsrelevanten Vorfällen, die zu 161 zivilen Todesfällen führten, gefolgt von und Mada'In mit 63 sicherheitsrelevanten Vorfällen, bei denen 69 Zivilisten ums Leben kamen. Die höchste Rate an Todesfällen pro 100.000 Einwohner) wurden im Vorort Tarmia (35,80) verzeichnet, gefolgt von Mada'in (15,91) und Adhamiya (8,25). Die meisten von der Iraq Body Count im Jahr 2018 im Gouvernement Bagdad erfassten Vorfälle betrafen Schießereien (46,4%), gefolgt von Morden ("executions") (30,6%) und die Verwendung improvisierter Sprengsätze (20,7%).

Dem Experten Michael Knights zufolge ereigneten sich in Bagdad 2018 die wenigsten Terroranschläge von -Jihadisten seit dem Jahr 2003. Anschläge des Islamischen Staates sind in der Stadt selbst "mehr oder weniger verschwunden", in den Bagdad-Belts sind die Anschläge des islamischen Staates zurückgegangen. Derzeit verhält sich der Islamische Staate in Bagdad und den Bagdad-Belts unauffällig und hat 2018 nicht viele Operationen durchgeführt. Wenn Angriffe verübt werden, handelt es sich meistens um Anschläge mit improvisierten Sprengsätzen. Der Islamische Staat ist wahrscheinlich nicht für den Großteil der Gewalt in Bagdad verantwortlich. Das Institute for the Study of War geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass die derzeit registrierten Gewaltakte in Bagdad im Zusammenhang mit kriminellen und politischen Auseinandersetzungen (unter letztes fallen politische Einschüchterung, gezielte Attentate usw.) und nicht mit dem Islamischen Staat stehen. Auch der Experte Michael Knights geht davon aus, dass meisten Gewalttaten in Bagdad nicht dem Islamischen Staat zuzuschreiben sind. Quellen besagen, dass der Islamische Staat seine Aktivitäten derzeit nur im Bagdad-Belt und in den Randgebieten der angrenzenden Gouvernements entfaltet, anstatt in der Stadt selbst. Der Experte Joel Wing gab an, dass die gewalttätigsten Vorfälle mit improvisierten Sprengsätzen und Schießereien, die er aufzeichnete, Medienberichten zufolge im äußersten Norden und Süden von Bagdad und in geringerem Maße im Westen vorkommen. Das Institute for the Study of War stellte fest, dass die intensiveren Angriffe mit improvisierten Sprengsätzen im nördlichen und nordwestlichen Teil der Stadt Bagdad (Kadhimiyah, Adahamyah) und im Vorort Tarmia (nördlich von Bagdad) verübt werden. Nur einige Vorfälle ereigneten sich in Bagdad westlich des Tigris - Karadah und Neu-Bagdad / al-Nissan und östlich des Tigris (Rusafa, Karkh, Rasheed und Mansour) sowie in Doura, jedoch in geringerer Intensität.

Das Institute for the Study of War kommt in seiner Analyse zum Ergebnis, dass "überwiegende Mehrheit" der Gewaltakte in Bagdad im Jahr 2018 "politische Gewalt" darstellte, die im Allgemeinen politische Einschüchterungen, bewaffnete Scharmützel und gezielte Morde unter Schiiten vor dem Hintergrund des anhaltenden politischen Wettbewerbs und der Regierungsbildung nach den Wahlen im Mai 2018 umfasste. In ähnlicher Weise erklärt der Experte Michael Knights, dass der Haupttrend bei der Gewalt in Bagdad darin besteht, dass es sich fast ausschließlich um persönliche, gezielte oder kriminelle Gewalt handelt, die in erster Linie den Einsatz von Kleinwaffen, Erpressung, Einschüchterung, improvisierte Sprengsätze oder Granaten, Schießereien, Raubüberfälle und andere Erscheinungsformen organisierter Kriminalität umfasst. Diese Aktivitäten dienen dem Experten zufolge in erster Linie der Einschüchterung und Gewalt gegen Zivilisten, um Geld zu verdienen, Zivilisten zu vertreiben, die als Außenseiter angesehen werden, oder um politische Gegner oder Menschen mit einer anderen ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit zu vertreiben oder ist gegen Personen gerichtet, die aufgrund ihres Lebensstils oder ihrer vorherigen Beteiligung an Verbrechen oder bewaffneten Konflikten exponiert sind. Er erwähnte auch, dass die politischen Spaltungen unter den Schiiten derzeit einen Großteil der Gewalt in den schiitischen Gebieten von Bagdad und Basrah ausmachen.

Die Expertin Geraldine Chatelard hebt hervor, dass Milizen in Bagdad häufig von Sunniten und Minderheiten der Gewalt beschuldigt werden, Morddrohungen, Entführungen, gezielte Attentate oder die Übernahme von Gebäuden von rechtmäßigen Eigentümern verübt zu haben, dies unter Hinweis darauf, dass sogar Schiiten Opfer von Erpressung und Tötung geworden sind. Der Expterte Michael Knights weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Sunniten und Christen in erster Linie befürchten, von schiitischen Milizen in Bagdad erpresst oder entführt zu werden, jedoch Quellen davon berichteten, dass die Zuweisung der Verantwortung für bestimmte Angriffe zu bestimmten Täter in Bagdad schwierig ist und insbesondere Sprengstoff sowohl zu politischen als auch zu kriminellen Zwecken eingesetzt wird, um Ziele anzugreifen und einzuschüchtern. Den PMF-Milizen werden dabei "enge Verbindungen zu kriminellen Banden" zugeschrieben, die Unterscheidung zwischen beiden ist nicht immer klar.

Der Experte Michael Knights vertritt zur Sicherheitslage allgemein die Ansicht, dass in der Stadt Bagdad die Gebiete sicherer sind und weniger Raum für offene Gewalt wie z.B. improvisierte Sprengsätze oder Raubüberfälle bieten, in denen sich die irakischen Streitkräfte auf die Bewachung wichtiger Standorte konzentrieren - etwa die Verwaltungsbezirke Karkh, Doura und Mansour. Dort wo die irakischen Streitkräfte weniger dominant ist und bewaffnete Akteure wie kriminelle Banden und Milizen Revierkämpfe führen und um Einfluss konkrurrieren, ist die Sicherheitslage entsprechend angespannter, wie in Kadhimiyah, Jihad, Bayaa und Karadah. Er vertrat die Ansicht, dass die "schlimmsten Sicherheitsbereiche" in der Stadt Adhamiyah, New Bagdad und Sadr City seien.

Milizen sind auch in bewaffnete Zusammenstöße zwischen ihnen selbst und den regulären Sicherheitskräften verwickelt, die laut Michael Knights im Jahr 2018 im Zentrum der Hauptstadt und in östlich gelegenen Gebieten mehrmals stattfanden. Ein Vorfall zog mediale Aufmerksamkeit nach sich: Am 20. Juni 2018 stoppte die irakische Polizei ein Auto in der Innenstadt von Bagdad, das Angehörigen der von Iran unterstützten Miliz Kataib Hezbollah ("Hisbollah-Brigaden") gehörte. Ein Hisbollah-Konvoi mit fünf Fahrzeugen traf ein und begann auf die Polizei zu schießen, was zu einem Feuergefecht führte, bei dem zwei Offiziere und ein Milizionär verletzt wurden. Die Polizei umzingelte daraufhin das Hauptquartier der Kataib Hezbollah, bis der Schütze der Polizei übergeben wurde. Der Vorfall spiegelt den möglichen Machtkampf zwischen irakischen Sicherheitskräften (Armee, Bundespolizei, örtliche Polizei) und PMF-Milizen wider.

EASO hat die folgenden sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2018 exemplarisch identifiziert:

Anschläge mit improvisierten Sprengsätzen und Bomben

Bagdad wurde in der Vergangenheit vom Islamischen Staat wegen der Bevölkerungskonzentration bevorzugt angegriffen, da die großen Menschenansammlungen die Möglichkeit geboten haben, mit einem Bombenanschlag eine große Anzahl von Opfern zu treffen. 2018 sind solche Anschläge jedoch zurückgegangen. Noch im Jahr 2017 verfolgte der Experte Michael Knights eine hohe Anzahl von Angriffen mit Hilfe von improvisierten Sprengsätzen auf Märkte und Geschäfte in Bagdad. Die Anzahl der Angriffe dieser Art ging jedoch im weiteren Verlauf des Jahres 2018 zurück. Das Institute for the Study of War stellte fest, dass ein in Bagdad im Jahr 2018 festgestellter charakteristischer Angriff des Islamischen Staates darin bestand, Sprengsätze gegen kleine Personenbusse einzusetzen, die jeweils etwa zehn Personen befördern und die in ganz Bagdad zum Straßenbild gehören. Diese Busse wurden im Islamischen Staat im Jahr 2018 mehrmals mit improvisierten Sprengsätzen angegriffen, was zwar nur minimale Verluste, aber Einschüchterungen der Zivilbevölkerung zur Folge hatte.

Noch im Januar 2018 sprengten sich zwei Selbstmordattentäter auf dem überfüllten Tayran-Markt in Bagdad und töteten dabei mindestens 38 Menschen und verletzten bis zu 90 Menschen. Der Angriff schockierte die Bevölkerung von Bagdad, da er nach einem signifikanten Rückgang solcher Angriffe in Bagdad. Er wurde vom Guardian als der schwerste Angriff auf Bagdad seit der Erklärung des Sieges über den Islamischen Staat beschrieben. Beispiele für andere explosive Angriffe im Jahr 2018 sind die folgenden:

- In Rashidiya explodierte im Januar 2018 eine Bombe, ein Milizionär der PFM wurde getötet und zwei weitere wurden verletzt wurden.

- Am 23. Januar 2018 wurde ein Soldat getötet und zwei weitere verletzt, als eine irakische Militärpatrouille in Tarmiya nördlich von Bagdad von einer Straßenbombe getroffen wurde.

- Am 16. Mai 2018 wurden 5 Menschen getötet und 10 verletzt, als ein Selbstmordattentäter ein schiitisches Begräbnis in Tarmiya angriff.

- Am 23. Mai 2018 verübte der Islamische Staat einen Selbstmordanschlag in der Shula-Region, bei dem Angaben des Islamischen Staates zufolge 33 Menschen getötet und verletzt wurden. Die irakischen Medien berichteten demgegeneüber, dass vier Menschen getötet und 15 verletzt wurden.

- Der Islamische Staat meldete im August 2018 5 Angriffe mit improvisierten Sprengsätzen auf Kleinbusse in Bagdad in den Distrikten Amil, Shula, Turath und Baladiyat. 669 Zwei dieser Angriffe töteten und verletzten 12 schiitische Muslime.

- Im Juni 2018 wurden 17 Menschen bei einer Explosion eines Waffenlagers der Miliz von Muqtada al Sadr getötet und 80 verletzt. Berichten zufolge wurden die Waffen in einer Moschee aufbewahrt, die von Sadr-Anhängern benutzt wurde.

- Eine Explosion auf einem Markt in Sadr City am 14. August 2018 wurde von einer Quelle im Sicherheitsapparat auf kriminelle Gründe zurückgeführt. Dabei wurden drei Menschen getötet und vier verletzt.

- Ein improvisierter Sprengsatz, der auf Schiiten im Bezirk Jihad (West-Bagdad) abzielt, tötete Berichten zufolge im September 2018 vier Menschen in der Nähe eines Einkaufszentrums.

- Am 25. September 2018 wurde in den folgenden Bezirken eine Reihe von Explosionen gemeldet, die zu Opfern führten: Al Jadid (New Bagdad) östlich von Bagdad (1 Tote, 2 Verletzte), al Shaab nördlich von Bagdad (2 Tote) und al-Baayaa westlich von Bagdad (2 Tote) .Der Islamische Staat übernahm am 25. September 2018 die Verantwortung für fünf improvisierte Sprengsätze gegen Shula, Kadhimiyah (Nord-Bagdad), Shaab und Bataween (Rusafa), und den Bezirk Bayaa (Zentral-Bagdad), dabei wurden 3 Zivilisten getötet.

- Am 1. und 2. Oktober 2018 forderten zwei improvisierte Sprengsätze in Shaab und Al Jadid einen Toten und mehrere Verwundete. Dem Islamischen Staat zufolge sei die Zahl der Opfer bei diesen beiden Angriffen viel höher gewesen und habe mehr als 50 Tote und Verwundete betragen.

- Am 7. Oktober 2018 wurden bei einer Reihe von Angriffen auf verschiedene Vororte in Bagdad (Abu Dshir, 17 km südlich von Bagdad, Abu Ghraib, 44 km westlich von Bagdad und im Norden von Bagdad) vier Personen getötet und fünf verletzt.

- Am 4. November 2018 wurden bei einer Serie von fünf improvisiertem Sprengsätzen in verschiedenen Gebieten des Gouvernements 8 Personen getötet und 14 verletzt. Eine andere Quelle berichtete von 7 Toten und 16 Verletzten. Der Islamische Staat behauptete jedoch, es seien bei den von ihm verübten Anschlägen mehr als 50 Opfer zu beklagen gewesen.

Beispiele für bewaffnete Zusammenstöße im Jahr 2018 sind die folgenden:

- Unbekannte bewaffnete Personen eröffneten das Feuer im Stadtteil Jihad im Westen von Bagdad und töteten im Januar 2018 einen lokalen Bürgermeister.

- Der Islamische Staat ermordete 8 Zivilisten bei einem Angriff auf den Vorort Tarmia im Mai 2018; die Opfer stellten Werbung für die Parlamentswahl auf; der Islamische Staat bezeichnete sie als Mitglieder einer Stammesmiliz.

- Bei einem weiteren, nächtlichen Angriff des Islamischen Staates auf den Vorort Tarmia Anfang Mai 2018 wurden 21 Mitglieder eines lokalen Stammes (18 Männer, 2 Frauen und ein Kind) getötet. Sämtliche Opfer waren Mitglieder des Albu-Faraj-Stammes, der ein überzeugter Gegner des Islamische Staates in der Region ist. Die Mitglieder sind Teil der lokalen sunnitischen Miliz und der PMF, die zur Verteidigung gegen des Islamischen Staat gegründet wurden. Die Angreifer des Islamischen Staates trugen Armeeuniformen und gingen zunächst gegen einen Anwalt vor, von dem bekannt war, dass er Opfern des Islamischen Staates half, und töteten ihn in seinem Haus. Als andere Dorfbewohner kamen, um zu helfen, eröffneten sie das Feuer, töteten und verletzten sie und zogen sich zurück, bevor die Armee eintraf, um sie zu fassen.

In Bagdad gab es mehrere Morde an Persönlichkeiten, die in sozialen Medien bekannt geworden waren, ohne dass die Täter identifiziert und einer bestimmten Gruppierung zugeordnet werden konnten.

- Tara Fares, bekannt aus Instagram, die in den sozialen Medien über persönliche Freiheit berichtet, wurde am 27. September 2018. in Bagdad erschossen, als sie in ihrem Porsche fuhr.

- Im Jahr 2017 wurde Karar Nushi, ein männliches Model, das Morddrohungen wegen seiner langen Haare und seiner engen Kleidung erhalten hatte, in der Palästina-Straße erstochen aufgefunden, wobei sein Körper Anzeichen von Folter zeigte.

- Hammoudi al-Meteiry, ein 15-jähriger und als "König von Instagram" bezeichneter Jugendlicher, der Berichten zufolge wegen seiner Homosexualität von unbekannten Tätern getötet wurde.

Der Islamische Staat gab bekannt, Scheichs und Stammesführer angegriffen zu haben, die die Parlamentswahlen im Mai 2018 unterstützten. Im Mai 2018 behauptete der Islamische Staat, er habe das Haus eines wahlfördernden Stammesführers mit einer Bombe angegriffen zu haben; es ist unklar, ob diese dabei getötet wurde. Folgende weiteren Angriffe wurden dem Islamischen Staat zugeschrieben:

- Am 27. Februar 2018 wurden vier Mitglieder der Sahwa-Bewegung von unbekannten Tätern im Norden Bagdads erschossen. Einer wurde getötet, die anderen drei verwundet.

- Am 1. März 2018 wurde ein ehemaliger Beamter der Sahwa-Bewegung durch eine Bombe in Bagdad getötet.

- Am 29. April 2018 wurde ein Führer der PMF, Qassim Al-Zubaidi, bei einem Attentat in der Innenstadt von Bagdad verletzt. Stunden zuvor wurde ein Wahlkandidat der Rechtsstaat-Koalition nördlich von Bagdad getötet.

- Am 22. Juni 2018 gab der Islamische Staat bekannt, einen Stammesführer in al-Zour in der Nähe von Tarmia nördlich der Hauptstadt getötet zu haben, weil er die Parlamentswahlen unterstützt hatte.

- Am 8. Juli 2018 wurden ein Kommandeur der Stammesmiliz und einer seiner Begleiter bei einem Bombenangriff in Nordbagdad verwundet.

- Am 19. Juli 2018 wurde ein Angehöriger der Sicherheitskräfte bei einem Angriff mit einer auf der Straße platzierten Bombe auf ihn in Tarmia im Norden von Bagdad verwundet.

- Am 2. August 2018 wurde mit einer am Straßenrand platzierten Bombe ein Fahrzeug der Sicherheitskräfte in der Region Sabaa al-Bour nördlich von Bagdad angegriffen. Eine Person wurde getötet, eine andere verletzt.

Im Januar 2018 erklärte der Direktor des Medienbüros des BOC, dass die Sicherheitskräfte in der Hauptstadt Fortschritte in Bezug auf das Sammeln von Informationen über den Islamischen Staat gemacht hätten und dass sich Militäreinsätze im Bagdader Gürtel positiv auf die Sicherheitslage ausgewirkt hätten. Der Direktor kündigte ferner den Bau eines Sicherheitszauns um Bagdad mit Sicherheitstoren an, um Aufständische daran zu hindern, in die Stadt einzusickern.

Dem Institute für the Study of War zufolge hat sich BOC im vergangenen Jahr auf die Bagdad-Belts konzentriert, was zu dem Rückgang der Angriffe in Bagdad beigetragen hat. Im Allgemeinen sei es den Sicherheitskräften gelungen, die Rückkehr weitverbreiteter Gewalt nach Bagdad im Jahr 2018 zu verhindern. Dieser Erfolg zeigt sich in der allgemeinen Abnahme von Gewaltereignissen im vergangenen Jahr. Politische Gewalt stelle nach wie vor die größte Herausforderung dar, dazu komme Destabilisierung angesichts der anhaltenden Blockade der neuen irakischen Regierung unter dem irakischen Premierminister Adel Abdul-Mahdi. Die PMF und andere lokale Sicherheitskräfte in Bagdad würden häufig eher auf politische Akteure reagieren, als auf den institutionellen staatlichen Sicherheitsapparat.

Die Expertin Geraldine Chatelard erklärt, dass die Wirksamkeit des Schutzes der Zivilbevölkerung vor verschiedenen Formen von Gewalt vom politischen Willen der beteiligten Akteure abhängen kann. Schutzbemühungen werden durch die Situation vor Ort untergraben, in der PMF-Milizen auf Befehl ihrer eigenen Kommandos handeln und nicht der irakischen Regierung, weil sie verschiedenen politischen Anwärtern oder iranischen Gönnern gegenüber rechenschaftspflichtig sind. Die Regierung könne Erscheinungen von "Gesetzlosigkeit und Kriminalität" seitens der Milizen derzeit nicht wirksam begegnen. Der Experte Michael Knights geht davon aus, dass Gesetzesverstöße von Milizen auch derzeit folgenlos bleiben. Landinfo schätzt die Lage in Bagdad so ein, dass Milizen weiterhin Bewegungsfreiheit zukommt und sie über Verbindungen zur Polizei verfügen und an Kontrolle, Verhaftung, Bestrafung bzw. Entführung von Personen ebenso beteiligt sind, wie an anderweitigen an kriminellen Aktivitäten. In den Bagdad-Belts haben die Milizen mehr Handlungsspielraum, dort können sie den Einheimischen das Recht verweigern, in ihre Häuser zurückzukehren. Die PMF-Milizen sind dessen ungeachtet populär und haben sowohl formelle als auch informelle Macht. Sie konzentrieren sich auch auf den Wiederaufbau. In Bagdad wurde etwa ihre Rolle beim Wiederaufbau einer medizinischen Klinik beworben. Manchmal wenden sich die Einheimischen, auch in Bagdad, an die Milizen der Nachbarschaft, anstatt an die Polizei, um Gerechtigkeit zu suchen.

Michael Knights zufolge gibt es eine große Konzentration von Sicherheitskräften, einschließlich der in Bagdad stationierten Armee, die seiner Ansicht nach angemessen und aktiv geführt werden und über adäquate Beratung und nachrichtendienstliche Unterstützung verfügen. Die Androhung bzw. Zufügung von Gewalt in Bagdad erfolge derzeit eher "persönlich und gezielt" und weniger "situativ" (Anwesenheit am falschen Ort / zum falschen Zeitpunkt). Das Institute for the Study of War erklärte, dass Milizen in Bagdad in einem gewaltsamen Wettbewerb um territoriale Präsenz und Territorium, Bevölkerung und politischen Einfluss stehen. Viele ihrer politischen Machthaber wurden im Mai 2018 in das irakische Parlament bzw. die Regierung gewählt.

Checkpoints in Bagdad werden dazu verwendet, um sicherzustellen, dass Autobomben und Selbstmordattentäter nicht in die Stadt eindringen. Dem Experten Fanar Haddad zufolge betreiben PMF-Milizen keine regulären Checkpoints in der Stadt Bagdad, richten solche bei Zwischenfällen aber ad hoc ein. In den Bagdad-Belts gibt es demgegenüber sichtbare PMF-Präsenz und PMF-Kontrollpunkte Eine ähnliche Ansicht vertrat ein im Irak ansässiger Sicherheitsanalytiker, der erklärte, dass sich die von PMF-Milizen betriebenen Kontrollpunkte hauptsächlich am Stadtrand von Bagdad befinden und nicht in der Stadt selbst, wobei an Kontrollpunkten im Osten der Stadt PMF-Elemente gemeldet wurden. Es sei für die PMF-Milizen möglich, temporäre Kontrollpunkte einzurichten, um auf bestimmte Probleme in den Stadtteilen von Bagdad zu reagieren. Im Januar 2018 teilte der Mediendirektor der BOC der Zeitung Asharq Al-Awsat mit, dass 281 Kontrollpunkte in Bagdad aufgehoben wurden, mindestens 600 Hauptstraßen und Ausgänge und ihre Vororte wiedereröffnet und am 10. Dezember 2018 Tausende Betonblöcke entfernt wurden. Im Jahr 2018 wurde außerdem die befestigte Internationale Zone (grüne Zone) in der Innenstadt für die Öffentlichkeit geöffnet. Dies ist die erste Wiedereröffnung nach Jahren. Im Jahr 2015 hatte die Regierung die grüne Zone für ein paar Tage geöffnet, aber nach Widerstand von US-Beamten wieder geschlossen.

1.9. Zur Lage aktiver Baathisten sowie ehemaliger Mitgliedern der Baath-Partei sowie deren Angehörige im Irak werden folgende Feststellungen getroffen:

Von 1968 bis 2003 regierte die arabisch-sozialistische Baath-Partei den Irak. Die Baathisten waren 1963 kurzzeitig an die Macht gekommen und hatten sie 1968 wiedererlangt. Seit dieser Zeit konzentrierte sich die Macht der Partei unter dem irakischen Führer Saddam Hussein. Die Partei folgte einer säkularen arabisch-nationalistischen Ideologie, und durch die Baath-Partei konzentrierte sich die Macht über das Land unter der Kontrolle einer kleinen Elite, die durch Familien- und Stammesverbindungen verbunden war und weniger durch ideologische Überzeugungen. In den achtziger Jahren waren etwa 10 % der irakischen Bevölkerung Mitglieder der Partei. Die Baath-Partei wurde als brutales autoritäres Regime beschrieben, das die Regierung und die militärischen Institutionen durchdrang, um die Macht über die Bevölkerung zu bewahren. Saddam Hussein und die Baath-Partei benutzten Gewalt, Tötung, Folter, Hinrichtung und verschiedene Formen der Unterdrückung, um die Bevölkerung zu kontrollieren. Ein besonders bekannter Vorfall war der Giftgasanschlag auf das nordkurdische Dorf Halabja, der im Jahr 1988 verübt wurde. Dabei wurden 5.000 Menschen getötet und 10.000 irakische Kurden verletzt, weil sie verdächtigt worden waren, dem Regime gegenüber nicht loyal zu sein.

Nach dem Zusammenbruch des Regimes von Saddam Hussein im Jahr 2003 wurde die Baath-Partei durch die 2005 verabschiedete neue Verfassung effektiv verboten. Ein vom irakischen Parlament im Juli 2016 verabschiedeter Gesetzesentwurf untersagt der arabisch-sozialistischen Baath-Partei jegliche politische, kulturelle, intellektuelle oder soziale Aktivität unter egal welchem Namen oder durch gleich welche medialen Kommunikationsmittel.

In der Baath-Partei gab es verschiedene Ränge. Der Bekanntheitsgrad musste nicht unbedingt mit einem hohen Rang einhergehen. Die Bekanntheit einer Person kann sich etwa durch mediale Bekanntheit, Begehen von Straftaten und dergleichen - oft im Rahmen ihres Berufs ergeben unabhängig davon, ob die Mitgliedschaft in der Baath-Partei unfreiwillig oder aus Überzeugung erfolgte.

Je nach Akteur werden aus strafrechtlichen, politischen oder kriminellen Motiven die Namenslisten gar nicht oder nur lokal öffentlich gemacht. Die Verwicklung eines Teils der Baathisten in terroristische Aktivitäten seit 2003, bzw. das Bestehen von Straftaten aus der Zeit vor 2003, sorgen für zusätzliche Intransparenz, wer welche Baathisten oder ehemalige Mitglieder aus welchen Gründen sucht. Umgekehrt ergibt sich daraus ein Interesse der bekannteren Baathisten oder solchen mit Straftaten, ihre Identität zu verschleiern. Eventuelle Namensänderungen, falsche Namen oder ein geänderter Gebrauch von Kurzversionen der meist eigentlich langen irakischen Namen erschweren die Recherchen.

Hinzukommt, dass viele Berufe oft mit der Mitgliedschaft in der Baath-Partei einhergingen. Dies traf Berufe wie LehrerInnen, aber auch die irakische Armee, sodass die Unterscheidung zwischen Baath-Mitgliedschaft und Beruf oft in den Quellen nicht gemacht wird. Was Angehörige betrifft, so verschleiert ein Teil von ihnen als Schutz ihr Verwandtschaftsverhältnis und zum Teil ist es nicht im Interesse der betroffenen Familien, dass z.B. Entführungen an die Öffentlichkeit kommen bzw. auf sich aufmerksam zu machen. Der (frühere) Reichtum des Zirkels um Saddam Hussein macht zudem diesen Personenkreis für Kriminelle oder als Geldbeschaffungsaktion für bewaffnete Gruppen in Form von Entführungen, Erpressungen, Überfällen etc. zusätzlich interessant. Diese Mischung von Faktoren erschwert das Auffinden von Informationen, wie sie sich auf die Gefährdungslage von Angehörigen von Baathisten oder ehemaligen Mitgliedern auswirkt und welche Faktoren in welcher Gewichtung dabei eine Rolle spielen.

Informationen zum Thema Verfolgung von Ex-Baath-Mitgliedern wurden vorwiegend in älteren Quellen gefunden. In aktuelleren Quellen finden sich viele Informationen zu der fortgesetzten De-Baathifizierungs-Politik der Regierung, der bezüglich der Baath-Partei eingeschränkten Meinungs- und Vereinigungsfreiheit, des nicht vorangetriebenen "Aussöhnungsprozesses", der aktuellen Verhaftungen von gesuchten Baath-Mitgliedern, und bezüglich der ehemaligen Baath-Mitglieder, die sich dem Islamischen Staat oder anderen bewaffneten Gruppen anschlossen.

Während der Baath-Herrschaft haben sich viele Baath-Mitglieder zahlreicher Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht. Nach der US-Invasion in den Irak und der Entmachtung des Baath-Regimes kam es zu zahlreichen Verfolgungen und Morden an aktiven wie ehemaligen Mitgliedern. Verantwortlich dafür waren vorrangig schiitisch-assoziierte Milizen. Bereits im Mai 2003 wird zum Teil von hunderten Ex-Baathisten gesprochen, die alleine in Bagdad getötet worden sein sollen. Die Zahlen sind aber sehr unklar, eine andere Quelle von 2007 besagt, dass seit 2003 zumindest 200 Ex-Baathisten getötet wurden, sowie hunderte Familien aus ihren Häusern flüchten mussten. Wieder eine andere Quelle besagte im November 2006, dass die Zahl der seit Anfang 2006 getöteten Baathisten 1.556 erreicht hat, und dass keiner der Fälle untersucht worden war. Teilweise handelte es sich dabei um gezieltes Abarbeiten von Abschusslisten, teilweise waren es aber auch persönliche Racheakte. In den Jahren nach 2007 scheinen die Morde an ehemaligen und aktiven Mitgliedern der Baath abgenommen zu haben, viele Fälle bleiben aber nicht-dokumentiert. Mittlerweile gibt es Quellen wie das UK Home Office, die davon ausgehen, dass die meisten Fälle der gefährdetsten Baathisten entweder von den Behörden untersucht wurden oder die Betroffenen aus dem Land geflohen seien. Daher ist die Zahl der im Irak verbliebenen ehemaligen Baath-Mitgliedern, die einer Gefährdung unterliegen, sehr gering (soweit sie nicht einer Terrorgruppe wie dem "Islamischen Staat" beigetreten sind).

Dass sich viele (ehemalige) Baath-Mitglieder aufständischen Gruppen angeschlossen haben (und teilweise eben auch jihadistischen Gruppen) kann unter anderem auch als Resultat der breit angelegten De-Baathifizierungspolitik angesehen werden, denn viele Personen waren der Baath-Partei nicht aus ideologischen Gründen beigetreten, sondern um unter dem damaligen Regime überleben zu können (Schätzungen zufolge waren zwischen einer Million und 2,5 Millionen Iraker Mitglieder bei der Baath-Partei).

Es gibt eine Suchliste der 50 wichtigsten Ex-Baathisten der USA aus der Invasion von 2003 sowie weitere US-Listen von gesuchten Personen. Es gibt auch eine Sanktionsliste der UNO gegen Personen (sowie eine gegen Institutionen). Suchlisten können zudem von den zentralirakischen oder kurdischen Sicherheitskräften ausgehen. Hinzu kommen Todeslisten von Milizen, wobei unterstellte oder tatsächliche Aktivitäten von Baathisten vor 2003, aber auch nach 2003 (z.B. eine angebliche oder tatsächliche Mitgliedschaft in einer aufständischen Gruppe) der Hintergrund für das Aufscheinen in solchen Listen sein können. Umgekehrt wurde auch eine baathistische Todesliste gegen Vertreter der Regierungen nach 2003 und deren Angehörige bekannt.

Im Irak ist es weiterhin verboten, die Baath-Partei zu unterstützen, oder Vereinigungen zu gründen oder solchen anzugehören, die die Baath-Partei unterstützen. Die weitreichende De-Baathifizierungs-Politik der schiitisch dominierten Regierung wurde dazu genutzt, um allgemein Sunniten zu marginalisieren, und tausenden Sunniten (Baath-Mitglieder waren zumeist Sunniten) die Möglichkeit zu entziehen, im öffentlichen Sektor zu arbeiten. Später sollten der sogenannte "Aussöhnungsprozess" und eine Modifizierung des De-Baathifizierungsgesetzes als Schritt dienen, ehemalige (niederrangige) Baath-Mitglieder wieder ins politische Leben zu integrieren. Gleichzeitig kommt es immer wieder (auch heute noch) zu Verhaftungen von Baath-Mitgliedern [ob diese nach 2003 noch aktive Mitglieder waren, wird nicht unbedingt angeführt], die sich während des Saddam-Regimes an Menschenrechtsverletzungen beteiligt hatten. Weitere Baathisten (unabhängig vom Rang) und ehemalige Baath-Mitglieder werden weiterhin wegen ihrer Taten vor und/oder nach 2003 gesucht. Z.B. kam es in Kirkuk immer wieder zu Verhaftungen. Zum Teil wurden diese Personen auch beschuldigt, sich nach Fall des Saddam-Regimes Rebellen- und Jihadisten-Gruppen angeschlossen zu haben. Das Verhältnis zwischen Kurden und Baathisten (und Arabern allgemein) ist unter anderem als Folge der Anfal-Kampagne Saddam Hussein's gegen die Kurden im Irak nach wie vor stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Kurden stellen ab dem Jahr 2003 in Kirkuk die politische Mehrheit und gingen damals hart mit arabischen Siedlern und ehemaligen Baathisten um. Interviews der Autoren einer schwedischen Studie zufolge behandeln sie die Araber, als wären sie alle Teil des Baath-Regime gewesen.

Am 30. Juli 2016 brachte das Parlament das "Banning the Ba'ath, Entities and Racist Parties and Takfiri and Terrorist Activities Party Law" durch, das von Vielen als jenes Gesetz dargestellt wurde, das gegen die Ungerechtigkeiten des De-Baathifizierungsprozesses vorgehen sollte. Allerdings hat das neue Gesetz laut US-Department of State die Stigmatisierung jener Personen, die mit der Baath-Partei assoziiert werden, nicht verringert, sondern die De-Baathifizierung eher sogar verstärkt. Während es bei bisherigen De-Baathifizierungsprozessen eher darum ging, einzelne Personen davon abzuhalten, politisch am "Baathismus teilzunehmen", oder wirtschaftlich davon zu profitieren, kriminalisiert das neue Gesetz alleine schon die Idee des "Baathismus". Das Gesetz kriminalisiert im Speziellen Baathisten, die an Kundgebungen, Demonstrationen oder Sit-ins teilnehmen.

Das Gesetz wird vom US-Department of State somit als Schlag gegen Prinzipien wie Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Antidiskriminierung gesehen. Nachdem die Definition von "baathistischen Aktivitäten" sehr weit gefasst ist, und verlautbart wurde, dass das neue Gesetz gegenüber jeder Organisation, Partei oder bezüglich jeder Aktivität angewendet werden kann, kann das neue Gesetz dazu führen, dass politische Parteien, NGOs, Organisationen der Zivilgesellschaft und Gruppen von Bürgern, die demonstrieren oder einfach nur Meetings abhalten, damit bereits das Gesetz brechen.

Laut UK Home Office umfasste die Baath-Partei (Mitglieder plus Sympathisanten) ca 1,2 bis 2 Millionen Personen. 400 000 davon waren Vollmitglieder, von diesen 65 000 hochrangige Mitglieder. Besonders in den höheren Rängen dominierten arabische Sunniten. Die eigentliche Macht konzentrierte sich in dem kleinen Zirkel um Saddam Hussein, der auf tribalen oder persönlichen Verbindungen beruhte.

Gemäß UNHCR-Guidelines von 2007 wurde die Baath-Partei 2003 verboten und Baath-Mitglieder der vier höchsten Ränge sowie alle Angestellten des öffentlichen Dienstes der drei höchsten Verwaltungsebenen und voller Baath-Mitgliedschaft (unabhängig vom Rang) verloren ihre Arbeit. Die Armee, paramilitärische Einheiten und die Nachrichtendienste wurden aufgelöst und alle Mitarbeiter ab dem Rang Oberst wurden entlassen. Von den 30.000 Personen wurden zwar 15.000 Personen rehabilitiert, und einzelne Baathisten wurden aufgrund ihrer Spezialisierung benötigt, aber unter Premierminister al-Maliki kam es zu weiteren Säuberungswellen, auch wenn 2006 die meisten ehemaligen Baath-Mitglieder wieder an ihre Arbeitsplätze zurückkehren konnten oder wieder ihre Pensionen erhielten.

Nach der Entmachtung Saddam Husseins 2003 wurde die Baath-Partei verboten und höherrangige Baath-Partei-Mitglieder wurden im Zuge des De-Baathifizierungsgesetzes aus ihren Ämtern entfernt. Zu dieser Zeit gab es sogenannte Abschusslisten, anhand derer Baathisten verfolgt und getötet wurden. Dies betraf nicht nur hochrangige Mitglieder, sondern auch Menschen, die in ihren Gemeinden als [einfache] Partei-Mitglieder bekannt waren. Das Ausmaß der Verfolgung war nicht zwangsläufig daran geknüpft, ob eine Person hochrangiges oder niederrangiges Mitglied war, sondern wie bekannt die Baath-Parteimitgliedschaft in der Gesellschaft war, und ob die Person sich aus Sicht der Gesellschaft "schuldig" gemacht hat. Wenn es heute einen Angriff auf eine Person gibt, ist oft schwer zu sagen, ob es in Zusammenhang mit seiner früheren Partei-Mitgliedschaft oder etwas anderem steht - zum Beispiel mit seiner Tätigkeit nach 2003. Die gezielte Verfolgung von früheren Baathisten speziell auf Grund ihrer ehemaligen Mitgliedschaft ist heute weniger allgegenwärtig als damals, allerdings kann es gelegentlich vorkommen.

Die meisten der gefährdetsten Baathisten haben dem UK Home Office Policy-Dokument über Baathisten zufolge entweder das Land verlassen oder die neuen Behörden befassten sich mit ihnen. Daher ist die Zahl der im Irak verbliebenen Baathisten, die einer Gefährdung unterliegen, sehr gering. Unter manchen Umständen könnte eine Person aufgrund baathistischer Verbindungen durch den Staat oder schiitische Milizen gefährdet sein. Das Risiko hängt von den Tätigkeiten/Taten der Person (oder deren Verwandtem - im Fall von Angehörigen) ab und wodurch sie die Aufmerksamkeit erlangten.

Laut UNHCR (Stand 2007) kann der Rang in der Baath-Partei, in der Politik oder im Sicherheitsapparat ein entscheidender Faktor sein, ob jemand Ziel von Angriffen wird. Aber es wurden auch niederrangige Offizielle ermordet oder angegriffen, weil ihre Aktivitäten -z.B. die Suche nach der Deserteuren etc., in ihrer Umgebung bekannt waren. Auch eine Anzahl von niederrangigen Mitarbeitern der Bürokratie wie Lehrer und Professoren wurden umgebracht. An manchen Leichen waren Notizen angebracht, die sie klar als Baath-Partei-Mitglieder identifizierten.

Frühere Mitglieder der Baath-Partei sowie der politischen und Sicherheitsapparate können laut Berichtstand 2007 Schikanen, Einschüchterungen und physischer Gewalt, einschließlich Ermordung, ausgesetzt sein. Berichten zufolge haben schiitische Milizen Listen aus geplünderten Unterlagen über Baath-Mitglieder erstellt. Die Drohungen gelten sowohl Sunniten wie Schiiten. Ehemaligen Mitgliedern des Staatsapparats werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Die Erfahrungen mit der alten irakischen Justiz verleitet auch Menschen dazu, zur Selbstjustiz zu greifen.

In einem Artikel der US-amerikanischen Tageszeitung The Washington Post vom Mai 2003 findet sich die Information, dass die Iraker [im Anschluss an die US-Invasion am 20.3.2003] damit begannen, ehemalige Mitglieder der Baath-Partei zu töten. Viele Iraker zweifelten daran, dass die US-amerikanische Besatzung die mittelrangigen Funktionäre, von denen sie sagten, dass sie sie drei Dekaden lang gepeinigt hätten, ausreichend bestrafen würden, und nahmen daher die Angelegenheit selbst in die Hand. Wie viele ehemalige Baath-Mitglieder getötet wurden, ist sehr schwer zu sagen, aber vermutlich waren es alleine in Bagdad einige hundert. Die Mörder gingen offenbar nach Listen über Informanten vor, andere jedoch töteten einfach prominente Ex-Baathisten, darunter auch z.B. einen Sänger, der für seine Oden auf Saddam Hussein bekannt war.

Die auf humanitäre Themen fokussierende Nachrichtenagentur IRIN, ein vormaliges Projekt des United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA), berichtete im Juli 2007, dass ehemalige Mitglieder der Baath-Partei von schiitisch-assoziierten Milizen verfolgt würden. Zumindest 200 Ex-Mitglieder der Partei seien bereits getötet worden, hunderte Familien wurden gezwungen, aus ihren Häusern zu flüchten. Laut dem Sprecher der Iraqi Brothers Relief, einer NGO, die im südlichen Irak tätig ist, würden die Milizen 4.000 Mitglieder der Baath-Partei "vernichten" wollen. Dabei hätten die meisten Menschen, die während des Regimes von Saddam Hussein Mitglieder der Baath-Partei wurden, gar nicht die Chance gehabt, sich dagegen z

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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