TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/3 W187 2163110-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.03.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

03.03.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W187 2163110-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Hubert REISNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 3 Abs 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Einreisebestimmungen schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

2. Im Rahmen seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag wurde der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu seiner Identität, seiner Reiseroute und seinen Fluchtgründen einvernommen. Hier gab er an, traditionell verheiratet und Vater einer Tochter zu sein. Er sei am XXXX in XXXX geboren, gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an und sei sunnitischer Moslem. Als Beweggrund für seine Ausreise gab er an, die allgemeine Sicherheitslage in XXXX sei immer schlechter geworden, als die Taliban die Stadt eingenommen hätten. Zudem habe der Beschwerdeführer eine berufliche Tätigkeit für ein schwedisches Unternehmen ausgeführt. Dort habe er als Gesundheitsberater gearbeitet. Seine Aufgabe sei gewesen, Menschen in abgelegenen Orten Informationen über Gesundheit näher zu bringen. Da ausländische Betriebe ein häufiges Ziel der Taliban gewesen seien, sei der Beschwerdeführer nicht mehr sicher gewesen. Aus diesen Gründen sei er geflüchtet. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan fürchte der Beschwerdeführer um sein Leben, da XXXX aufgrund der Taliban nicht mehr sicher sei. Zudem könne er seinen Job nicht mehr ausüben.

3. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Zu seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen zusammengefasst aus, er habe seit XXXX für das " XXXX " gearbeitet. Im Büro habe auch eine Kollegin gearbeitet. Das XXXX habe an verschiedenen Orten Toiletten ausgehoben. Der Beschwerdeführer habe dann die Bevölkerung zusammengerufen und mit ihnen über Reinheit und Gesundheit gesprochen. Er sei ab und zu von der Opposition (gemeint: von den Taliban) angerufen und aufgefordert worden, seinen Beruf aufzugeben, weil er dort mit einer Frau zusammenarbeite. Der Beschwerdeführer habe jedoch nicht darauf geachtet. Schließlich sei er vom XXXX auch außerhalb der Stadt XXXX eingeteilt worden. Dort habe der Beschwerdeführer mit einer staatlichen Stelle, nämlich mit einer Abteilung für den Aufbau der Dörfer, zusammengearbeitet. Im Dorf XXXX im Distrikt XXXX habe der Beschwerdeführer darüber ein Seminar gehalten. Seine Kollegin sei auch dabei gewesen. Auch Oppositionelle (gemeint: die Taliban) seien anwesend gewesen und hätten den Beschwerdeführer und seine Kollegin mitnehmen wollen. Die Dorfältesten hätten dies jedoch nicht zugelassen. Daraufhin hätten die Taliban ein Schriftstück vorbereitet und im Namen des Beschwerdeführers geschrieben, dass er sich verpflichte, die Arbeit mit dem XXXX zu unterlassen. Der Beschwerdeführer sei gezwungen worden, dieses Schriftstück zu unterschreiben. Sein Laptop und seine Kamera seien von den Taliban beschlagnahmt worden. Nur durch die Intervention der Dorfältesten habe verhindert werden können, dass die Taliban ihn mitnehmen. Der Beschwerdeführer sei dann zum XXXX gegangen und habe gesagt, dass er nicht mehr arbeiten wolle, weil er diese Verpflichtungserklärung unterschrieben habe. Das XXXX habe daraufhin ein Schreiben des Dorfältesten verlangt, in dem der Vorfall beschrieben wird. Der Beschwerdeführer habe auch ein solches Schreiben erhalten, das sogar vom Distriktvorsteher von XXXX bestätigt worden sei. Dieses Schreiben habe der Beschwerdeführer dem XXXX vorgelegt. Das XXXX habe dem Beschwerdeführer dann mitgeteilt, wer solle nur mehr in der Stadt XXXX und zu Zeiten, in denen ihm nichts passieren könne, seinen Dienst machen. Dies sei im Jahr XXXX gewesen. Die Taliban hätten jedoch herausgefunden, dass der Beschwerdeführer seine Arbeit zu anderen Zeiten verrichte. Der Beschwerdeführer sei ein paar Mal angerufen, bedroht und aufgefordert worden, die Arbeit zu verlassen. Am XXXX ( XXXX ) habe der Beschwerdeführer einen Drohbrief von den Taliban erhalten und seinem Vater dieses Schreiben gezeigt. Sein Vater habe daraufhin gemeint, er solle nicht mehr arbeiten. Dies habe der Beschwerdeführer auch nicht mehr getan. Er sei zwar von seinem Arbeitgeber angerufen und aufgefordert worden, zu arbeiten, er habe jedoch aufgrund des Drohschreibens abgelehnt. Dann sei XXXX an die Taliban gefallen. Dies habe er Beschwerdeführer zum Anlass genommen, das Land zu verlassen. Sein Leben sei in Gefahr, zumal in XXXX die meisten Taliban in ganz Afghanistan leben würden.

4. Am XXXX fragte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl per E-Mail beim XXXX an, ob der Beschwerdeführer tatsächlich für die Organisation gearbeitet hat. Bejahendenfalls bat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl um Mitteilung, wann und in welcher Position der Beschwerdeführer tätig war.

5. Mit dem gegenständlichen angefochtenen Bescheid vom XXXX wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) abgewiesen. Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Unter Spruchpunkt III. wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 4 AsylG die befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum XXXX erteilt.

Für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem Beschwerdeführer amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

6. Am XXXX langte bei der belangten Behörde eine Antwort des XXXX auf die Anfrage vom XXXX ein. Das XXXX teilte mit, dass der Beschwerdeführer im Zeitraum XXXX bis XXXX als Promoter im Rahmen des XXXX Projekts gearbeitet habe.

7. Gegen Spruchpunkt I. des gegenständlichen Bescheides erhob der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung mit Schreiben vom XXXX fristgerecht Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung ein für den Beschwerdeführer günstigerer Bescheid erzielt worden wäre.

8. Die Beschwerde und der dazugehörige Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Entscheidung vorgelegt. In einem verzichtete die belangten Behörde auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.

9. Am XXXX übermittelte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht den Antrag des Beschwerdeführers auf Verlängerung des subsidiären Schutzes gemäß § 8 Abs 4 AsylG zur Kenntnis.

10. Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurden den Parteien einschlägige Länderinformationen zu Afghanistan übermittelt.

11. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer im Beisein seiner Rechtsvertreterin sowie eines Dolmetschers für die Sprache Dari vom erkennenden Richter zu seinem Antrag auf internationalen Schutz und seinen Beschwerdegründen einvernommen wurde. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung fern.

Die Verhandlungsschrift lautet auszugsweise:

"[...]

Richter: Verstehen Sie den Dolmetscher gut?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?

Beschwerdeführer: Ja, ich bin gesund.

Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?

Beschwerdeführer: Ich bin kerngesund und nehme keine Medikamente.

[...]

Richter: Können Sie sich an Ihre Aussage vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erinnern? Waren diese richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?

Beschwerdeführer: Ich erinnere mich sehr gut daran. Es ist alles richtig protokolliert worden, außer einer Kleinigkeit, dass man den Vormund meiner Frau, welcher der Onkel väterlicherseits ist hat man irrtümlich den Namen ihres Vaters geschrieben, aber es ist ihr Onkel. Der Name ist richtig geschrieben worden, statt ihrem Vater hat man Onkel geschrieben. Der Onkel war nicht der Vormund, sondern der Vater.

Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?

Beschwerdeführer: Ich bin am XXXX in der Stadt XXXX geboren, im Ort XXXX , dritter Bezirk. Die Gasse heißt XXXX , neben dem Haus von XXXX . Nachgefragt gebe ich an, dass XXXX eine sehr berühmte Persönlichkeit dort ist und deswegen wird sein Name auch als eine Art Adresse verwendet.

Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

Beschwerdeführer: Ich spreche Dari, ein bisschen Paschtu und auch natürlich ein bisschen Deutsch.

Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.

Beschwerdeführer: Ich bin verheiratet, ich habe auch eine Tochter. Ich bin sunnitischer Moslem und ich bin Tadschike.

Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.

Beschwerdeführer: Ich kenne außer die Stadt XXXX keine anderen Städte oder Orte in Afghanistan. Ich habe nur in XXXX gelebt.

Richter: Wie haben Sie in Afghanistan gewohnt?

Beschwerdeführer: Wir haben ein eigenes Haus gehabt, es bestand aus mehreren Zimmern. Wir haben alle dort zusammengelebt.

Richter: Was haben Sie in Afghanistan gemacht, gearbeitet, gelernt oder etwas Anderes?

Beschwerdeführer: Ich habe in Afghanistan maturiert, ich habe im Jahre XXXX meine Matura bestanden. Nach der Vorprüfung, die ich auch bestanden habe, ging ich zum Lehramt und zwei Jahren später also XXXX habe ich als Lehrer abgeschlossen. Nach diesem Lehramt habe ich abends immer ohne Unterbrechung die Dari-Literatur weitergemacht, sprich eine Art Nachtuniversität. Im XXXX , die dort ein Büro hatten, habe ich gearbeitet. Deshalb war ich in der Stadt XXXX fast überall unterwegs. Besonders in den Außenbezirken, welche aus der Stadt gewesen sind, war ich beruflich unterwegs.

Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

Beschwerdeführer: Meine Familie lebt in Afghanistan. In Österreich habe ich meinen Bruder und seine Frau, ansonsten habe ich niemanden.

Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie (Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?

Beschwerdeführer: Ja, wir haben zwar Kontakt miteinander, aber nicht regelmäßig. Ein Grund dafür ist, dass das Internet nur tagsüber funktioniert und nachtsüber funktioniert nichts regelmäßig.

Richter: Haben Sie in Afghanistan Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?

Beschwerdeführer: Solange ich dort gelebt habe, habe ich sehr viel Kontakt mit vielen Leuten gehabt, weil es mein Beruf verlangt hat und ich bin auch ein geselliger Mensch. Seit ich hier bin, habe ich mit niemanden außer meiner Familie Kontakt. Ich habe auch sozusagen weniger Zeit, weil ich in der Arbeit bin.

Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?

Beschwerdeführer: Ich würde mein Leben zurzeit in Österreich als sehr gut bezeichnen, ich arbeite in einer Firma namens XXXX . Ich arbeite in dieser Firma in der Abteilung Drähte, ich biege, breche und knöpfe den Draht.

Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?

Beschwerdeführer: Ja, ich habe einige Freunde die mit mir zusammenarbeiten. Sie sind Freunde und auch Kollegen, weil ich die meiste Zeit mit ihnen verbringe, sind sie genauso meine Freunde.

Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

Beschwerdeführer: Nein, ich bin noch nie bis jetzt bestraft worden. Ich versuche eine positiv nützliche Person für diese Gesellschaft zu sein.

Richter: Schildern Sie den Vorfall, der zu Ihrer Flucht geführt hat!

Beschwerdeführer: Wie ich schon sagte, ich war bei dem XXXX tätig. Das heißt nicht nur ich, sondern jede Person die mit den Ausländern zusammengearbeitet haben waren auf der Liste der Taliban. Ich war wie gesagt nicht nur in einem Ort der Stadt XXXX , sondern überall unterwegs. Ich habe dort für die Leuten Seminare abgehalten, aber ich habe Seminare gehalten für jene Leute, die in der untersten Stufe der Wissenschaft zu bezeichnen sind, fast Analphabeten. Aus diesem Grund bin ich mehrmals von den Rebellen bedroht worden, aber ich habe es ehrlich gesagt nicht für sehr ernst gehalten. Eines Tages, als ich im Bezirk oder Distrikt XXXX war, ist eine Mitarbeiterin mit mir gewesen, genauer gesagt war ich an diesem Tag im Dorf XXXX . Ich habe zu diesem Zeitpunkt ein Seminar für Leute gehalten, als plötzlich die Leute der Taliban aufgetaucht sind und sie haben mir gesagt, dass es mir verboten wäre Seminare zu halten. Deshalb wollten sie sowohl mich, als auch meine Mitarbeiterin mitnehmen. Jene Weißbärtigen, die auch an diesem Tag anwesend gewesen sind haben Gott sei Dank dies verhindern können. Trotzdem haben die Taliban meine Kamera und meinen Laptop mitgenommen. Dann haben sie von meiner Seite etwas ohne meine Erlaubnis geschrieben, unter meiner Identität, aber da ich große Angst gehabt habe, habe ich darunter meine Unterschrift gesetzt. Das heißt, es war ein Versprechen von mir, dass ich dort nicht mehr arbeiten wolle. Dann bin ich wieder nach Hause gefahren und dann habe ich mich mit dem Büro in Verbindung gesetzt und die Geschichte unserem Büro erzählt bzw. weitergegeben. Natürlich haben sie gemeint, dass sie meine Geschichte zur Zentrale schicken würden. Da das XXXX auch mit afghanischen staatlichen Organisationen zusammengearbeitet hat, hat unser Büro der Bezirkshauptmannschaft von XXXX einen Brief geschickt. Als der Brief dort angekommen ist, ist der Inhalt des Briefes von der Seite des ältesten Rats von dort bestätigt worden und sie haben gesagt, dass sie dabei gewesen wären und sie hätten mich praktisch vor den Taliban gerettet. Deshalb bin ich einige Zeit lang meinen Aufgaben nicht nachgegangen. Aus Angst wollte ich einige Zeit lang nicht arbeiten, aber das Büro ist wieder in Kontakt mit mir getreten und sie haben mich offiziell nochmals eingeladen, dass ich weiter dort arbeiten solle. Sie haben mir versprochen, dass sie mich nicht mehr in die Außenbezirke schicken würden. Sie haben mir versprochen, dass ich nur im Zentrum oder in der Stadt XXXX arbeiten würde. Deshalb habe ich wieder mit meiner Arbeit angefangen. Ich habe damals pro Monat 17.400 Afghanis verdient. Nach einiger Zeit würde ich sagen sind die Taliban draufgekommen, dass ich wieder mit diesem XXXX zusammenarbeite. Deshalb habe ich nochmals einen Drohbrief von ihnen bekommen. Ich habe diesen Drohbrief am XXXX bekommen. Nachdem ich diesen Drohbrief bekommen habe, habe ich mehr und intensivere Angst gehabt. Es war genau am XXXX als die Stadt XXXX gefallen ist oder von der anderen Seite gesehen, haben die Taliban es erobert. Zwei Tage vor diesem besagten Datum, an dem die Stadt XXXX gefallen ist, nämlich am XXXX sind meine Eltern, meine Frau und mein Töchterchen nach XXXX gefahren. Sie sind deshalb nach XXXX gefahren, weil die Frau des Bruders meine Tante väterlicherseits verlobt worden ist und meine Familie haben ihnen ein Geschenk mitgebracht. Natürlich haben die Frauen mehr Interesse daran, froh zu diesem Fest zu erscheinen und deswegen bin ich mit meinem Bruder und seiner Frau zu Hause geblieben, die anderen sind nach XXXX gefahren. Es war auch das Opferfest an diesem Tag und bei uns ist es üblich, dass viele Leute einander besuchen. Ein Tag bevor ich meine Heimat verlassen musste hat ein befreundeter Ingenieur mich mit seinem Sohn besucht. Nachdem am XXXX die Stadt XXXX gefallen ist, musste ich die Heimat verlassen. Nachdem die Stadt gefallen ist, die Strecke zwischen Stadt XXXX und XXXX ist eine breite und lange Strecke. Die Strecke zwischen der Stadt XXXX und XXXX war auch wegen den kriegerischen Auseinandersetzungen gesperrt. Die Situation war sehr prekär, mehr als prekär. Aus diesem Grund konnte ich meine Frau und mein Töchterchen nicht mitnehmen, weil sie in XXXX gewesen sind. Wie ich schon sagte, ich wurde mehrmals in der Vergangenheit bedroht worden. Da mein Bruder und seine Frau mit uns waren, haben wir den Ort zusammen verlassen müssen. Letztendlich habe ich Österreich erreicht und bin in Österreich angekommen. Ich muss dazu sagen, es war eine illegale Reise mit dem Auto. Ich muss nochmals betonen, dass zahlenmäßig gesehen die Provinz XXXX an der obersten Stelle steht, wo die Taliban zahlenmäßig überlegen sind. Nachdem die Taliban die Stadt eingenommen haben, natürlich haben sie danach viele schlechte Taten gemacht, Leute getötet oder vergewaltigt. Da ich mit den Ausländern zusammengearbeitet habe, war es für mich sehr gefährlich weiterhin dort zu bleiben und deswegen bin ich auch geflüchtet. Wenn ich mich daran erinnere, ist es mir unangenehm, aber ich muss und wollte es erzählen. Ich meine es persönlich so, dass allgemein niemand auf der Welt seine Heimat, Familie und Mutter verlassen würde, wenn diese Person es nicht müsste. Wegen diesen Gründen habe ich seit längerer Zeit weder meine Frau noch mein Töchterchen gesehen. Natürlich macht mich das manchmal traurig, keine Ahnung von meiner Familie, Frau und Tochter zu haben, weil ich liebte und liebe diese zwei Personen. Wenn ich heute hier alles mache und mich bemühe das ist auch für diese zwei Personen. Natürlich im Exil zu leben ist nicht so leicht, aber trotzdem ist es besser am Leben zu bleiben und für die Zukunft meiner Frau und Tochter was zu machen.

Richter: Sind Sie, abgesehen von dem Vorfall im Dorf, jemals persönlich bedroht oder angegriffen worden?

Beschwerdeführer: Ja, in der Vergangenheit bin ich telefonisch bedroht worden. Ich habe einige Mitarbeiter gehabt, die selbst bedroht worden sind, sie haben mich davor gewarnt und sagten mir, dass ich sicher auf der Liste dieser wäre. Ich solle aufpassen und vorsichtig sein. Die Taliban versuchen soweit es möglich ist, entweder per Brief jemanden zu drohen oder sie kommen einfach und wollen jemanden töten.

Richter: Wodurch sind Sie in Afghanistan bedroht?

Beschwerdeführer: Ich glaube die ganze Welt weiß das, dass in Afghanistan in jeder Provinz die Taliban anwesend sind. Für Leute wie mich sind sie noch gefährlicher als für normale Personen. Alleine deswegen, weil ich vor ihnen geflüchtet bin, mögen sie mich nicht. Außerdem lebe ich in einem europäischen Land und aus Sicht der Taliban bin ich ungläubig (Kafir). Natürlich glauben die Taliban, meiner Meinung nach, niemals an Menschlichkeit und deshalb ist ihnen egal, dass in einer Explosion alte Leute, kleine Kinder oder Frauen sterben. Es spielt für diese Leute keine Rolle. Ich kann es theoretisch auch beweisen, weil von vielen Ländern die Kräfte in Afghanistan anwesend sind, aber sie haben es nicht geschafft diese zu vernichten. Ich muss auch sagen, seit ich geboren bin, bin ich mit dem Lärm der Schüsse und dem Lärm der Raketen oder der Explosionen aufgewachsen. Ich bin seit mehr als vier Jahren hier in Österreich, um ehrlich zu sein, habe ich diese vier Jahre gemerkt, dass ich ein freier Mensch bin und vorher nicht. Ich habe große Achtung vor Menschlichkeit, das kann ich von Afghanistan leider nicht behaupten. Eigentlich wäre das alles von meiner Seite.

Richter: Wie sind Sie nach Österreich gekommen?

Beschwerdeführer: Wir sind von XXXX nach Kabul gefahren. Von Kabul in die Provinz Nimruz und von Nimruz sind wir weiter nach Pakistan gefahren. Von Pakistan dann in den Iran und vom Iran wollten wir in die Türkei fahren, aber leider sind wir sechs Mal von der türkischen Polizei erwischt worden und sie sagten uns, dass wir wieder zu der iranischen Grenze zurückgehen sollen. Dann haben wir wieder versucht in die Türkei zu fahren. Letztendlich haben wir es auch geschafft, obwohl wir sehr müde gewesen sind. Von der Türkei wollten wir weiter nach Griechenland, es waren 40 Leute, aber es gab nur ein kleines Schlauchboot. Als wir über das Wasser Griechenland erreichen wollten, sind auf dem Meer zwei Boote zu uns gekommen. Wir kannten die Leute nicht und wusste nicht, was das für zwei Boote waren. Aus Angst sind alle 40 Leute ins Wasser gesprungen. Von diesen 40 Leuten haben sich einige nicht ins Wasser getraut und manche waren noch im Boot. Jene Personen die noch im Schlauchboot waren, wurden von den anderen zwei Booten mitgenommen, darunter war auch mein Bruder. Ich weiß ehrlich gesagt nicht genau, wie viele Minuten wir im Wasser gewesen sind, aber es hat einige Minuten gedauert, als die Rettungsboote zu uns gekommen sind und uns alle aus dem Wasser gefischt haben. So wurden die Frau meines Bruders und seine Kinder sind so ans Land gebracht worden. Zuerst landeten wir auf der Insel Lesbos und von dieser Insel sind wir weiter nach Athen gefahren. Von Athen nach Mazedonien und von dort aus nach Serbien. Letztendlich bin ich in Österreich angekommen. Seit dieser Zeit lebe ich hier. Ehrlich gesagt geht es mir gut, aber manchmal werde ich Traurig, fast depressiv, wegen meiner Frau und meinem Kind. Ich habe auch Angst, dass man meine Frau meinetwegen tötet. Obwohl sie sehr vorsichtig ist und wenn sie hinausgeht, aus Angst einen Jador trägt. Sie hat natürlich keine Freiheiten dort. Mein Vater war ein Angestellter des Staates. Er hat damals im Landwirtschaftsministerium in der Abteilung Entwicklung und Fortschritte der Dörfer gearbeitet. Nachdem die Taliban gewusst haben, dass ich oder wir nach Europa gegangen sind, haben sie sogar meinen Vater bedroht. Sie sagten meinem Vater, dass sein Sohn, also ich, vor ihnen geflüchtet wäre und aus diesem Grund ist es auch erlaubt gewesen, ihn zu töten. Ich muss sagen, meinetwegen wurden die anderen Familienmitglieder unterdrückt. Deswegen wagt es meine Frau kaum hinauszugehen.

Richter: Wie haben Sie die Reise bezahlt?

Beschwerdeführer: Es ging uns wirtschaftlich gesehen dort sehr gut. Mein Bruder zum Beispiel hat einen Supermarkt gehabt, er hat mit Lebensmittel gehandelt. Mein Vater hat sein Einkommen als Ingenieur verdient. Wir haben auch drei eigene Geschäfte im wirtschaftlichen Bereich in der Stadt XXXX gehabt. Den Schlepper hat mein älterer Bruder XXXX gefunden und deshalb hat der Schlepper nur mit meinem Bruder XXXX Kontakt gehabt. Das Geld hat auch mein Bruder ihm bezahlt. Ich habe am Anfang nicht darüber gefragt und im Laufe der Zeit habe ich von ihm mitbekommen, dass er insgesamt 25.000 USD bezahlt hat.

Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde!

Beschwerdeführer: Ich muss zuerst sagen, dass ich darauf stolz bin, dass ich ein ehrlicher Mensch bin und versuche immer nur die Wahrheit zu sagen. Alles was ich von Afghanistan bis jetzt gesagt habe, deutet 100%ig daraufhin, dass mein Leben in Gefahr gewesen ist. Alles was ich dort erlebt habe und alle Gefahren die dort für mich bestanden haben, hat das BFA nicht geglaubt.

Richter: Was würde passieren, wenn Sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?

Beschwerdeführer: Wenn ich nach Afghanistan fahren müsste oder wenn man mich abschieben würde, bedeutet das für mich den Tod. Ich muss sagen, dass die Taliban jene Organisation ist, die über einen sehr starken Nachrichtendienst verfügt.

[...]

Der Dolmetscher übersetzt den Ehevertrag in Beilage ./2 : Es handelt sich um ein Trauungs-zeugnis, es waren Zeugen anwesend und die auch unterschrieben haben. Namen der Zeugen: XXXX Sohn XXXX , XXXX . Namen der Eheleute: Braut XXXX die Tochter von XXXX und Bräutigam XXXX Sohn von XXXX . XXXX bestätigt, dass man ihn kennt und man kennt auch XXXX Sohn von XXXX , die genannte Braut im Gegenzug von 200.000 Afghani "Mahr" (bedeutet Sicherung für den Fall des Ablebens des Ehemannes) verheiratet wurden. Auf der zweiten Seite wird bestätigt, dass alle Zeugen bestätigt hätten, dass der genannte XXXX zurzeit in Österreich leben würde und die Zeugen für ihn die "Nikha" oder die Trauung zu Stande bringen. Laufnummer XXXX , Dokumentnummer XXXX offizielle "Nikha" oder Trauungszeugnis und Datum der Ausstellung: XXXX , Datum der Eheschließung ist leider vom Stempel des Dokumentes nicht leserlich. Auf dem Stempel steht afghanische islamische Republik Provinz XXXX , mit dem staatlichen Wappen.

Die Rechtsvertreterin hat keine Fragen an den Beschwerdeführer.

Der Beschwerdeführer bringt nichts mehr vor.

Richter: Haben Sie den Dolmetscher gut verstanden?

Beschwerdeführer: Ja."

Die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers legte in der mündlichen Beschwerdeverhandlung eine Bestätigung über die unbefristete Beschäftigung des Beschwerdeführers samt Lohnzetteln und ein Zertifikat über das Bestehen der Prüfung Deutsch B1 vor. Diese Unterlagen wurden in Kopie als Beilage ./1 zum Akt genommen. Weiters legte sie Kopien der Reisepässe der Ehegattin und der Tochter des Beschwerdeführers vor sowie eine Kopie eines Ehevertrags vor, die als Beilage ./2 zum Akt genommen wurden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl und den Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts betreffend den Beschwerdeführer, insbesondere durch Einsicht in die vorgelegten Dokumente und Integrationsunterlagen, sowie durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die ins Verfahren eingeführten Länderberichte.

1. Feststellungen

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers und seinem Leben in Afghanistan

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, ist im Entscheidungszeitpunkt volljährig und Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan. Er gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und ist der sunnitischen Glaubensgemeinsamt zugehörig. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari, er spricht aber auch etwas Paschtu und Deutsch auf Niveau B1. Der Beschwerdeführer kann diese Sprachen sowohl lesen als auch schreiben. Er ist verheiratet und Vater einer minderjährigen Tochter.

Der Beschwerdeführer wurde in der Stadt XXXX in Afghanistan geboren und wuchs dort im familieneigenen Haus mit seinen Eltern, drei Brüdern und einer Schwester im afghanischen Familienverband auf. Später lebten auch seine Gattin, seine Tochter und die Gattin seines Bruders samt deren Kindern im selben Haushalt. Der Beschwerdeführer lebte an keinem anderen Ort in Afghanistan.

Er besuchte in Afghanistan zwölf Jahre die Schule und schloss diese im Jahr XXXX ab. Danach besuchte der Beschwerdeführer bis ungefähr XXXX die pädagogische Akademie in XXXX , die er mit dem akademischen Grad Bachelor abschloss. Anschließend besuchte der Beschwerdeführer eine Abend-Universität und studierte dort bis zu seiner Ausreise Dari-Literatur auf Lehramt. Im Jahr XXXX arbeitete der Beschwerdeführer neben seinem Studium als Hygiene-Promoter beim XXXX

Der Beschwerdeführer steht in Kontakt mit seiner Kernfamilie, die nach wie vor im familieneigenen Haus in der Stadt XXXX lebt. In Österreich lebt ein Bruder des Beschwerdeführers, dessen Ex-Frau und deren gemeinsame Kinder.

1.2 Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Der Beschwerdeführer gelangte im November XXXX in das österreichische Bundesgebiet und stellte am XXXX gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Beschwerdeführer besuchte in Österreich mehrere Deutsch- und Basisbildungs- bzw. Integrationskurse. Zuletzt legte der Beschwerdeführer eine Prüfung zu seinen Deutschkenntnissen auf Niveau B1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen ab und erwarb ein ÖSD-Zertifikat Deutsch Österreich B1. Der Beschwerdeführer ist seit XXXX berufstätig und arbeitet bei der XXXX als Eisenbieger. Er bezieht keine Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.

In Österreich halten sich ein Bruder des Beschwerdeführers, XXXX , dessen Ex-Gattin, XXXX , sowie deren gemeinsame sieben Kinder auf. Weitere Verwandten oder sonstige wichtige Bezugspersonen des Beschwerdeführers leben nicht in Österreich. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich noch gibt es in Österreich geborene Kinder des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer ist im Wesentlichen gesund und in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.3 Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer stellte am XXXX gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz und begründete diesen in weiterer Folge mit Verfolgung durch die Taliban wegen unterstellter politischer Gesinnung sowie mit Verfolgung als Rückkehrer aus dem westlichen Ausland.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung persönlich bedroht oder verfolgt wurde oder eine Verfolgung im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten hätte.

Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer wegen seiner Tätigkeit für die Organisation XXXX als Hygiene-Promoter von den Taliban telefonisch oder mittels Drohbriefes bedroht wurde. Der Beschwerdeführer war lediglich im Jahr XXXX für einige Monate für die Organisation XXXX tätig und beendete seine Tätigkeit im Jahr XXXX . Es ist daher auch nicht anzunehmen, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan Übergriffen, Zwangsrekrutierung oder Verfolgung durch die Taliban, etwa aufgrund unterstellter politischer Gesinnung, ausgesetzt wäre.

Es kann weiter nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan infolge seines Aufenthaltes in Europa als "verwestlicht" wahrgenommen und ihm deshalb eine Verfolgung aufgrund einer ihm unterstellten politischen Gesinnung drohen würde.

1.4 Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers

Es werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat der Beschwerdeführer getroffen:

1.4.1 Staatendokumentation (Stand 13.11.2019, außer wenn anders angegeben)

1.4.1.1 Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.4.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.5.2019). Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 - mit Ausnahme der Provinz Ghazni - Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14. November 2019 erwartet (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Provinz Kandahar musste die Stimmabgabe wegen eines Attentats auf den Provinzpolizeichef um eine Woche verschoben werden und in der Provinz Ghazni wurde die Wahl wegen politischer Proteste, welche die Wählerregistrierung beeinträchtigten, nicht durchgeführt (s.o.). Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen. Durch Wahl bezogene Gewalt kamen 56 Personen ums Leben und 379 wurden verletzt. Mindestens zehn Kandidaten kamen im Vorfeld der Wahl bei Angriffen ums Leben, wobei die jeweiligen Motive der Angreifer unklar waren (USDOS 13.3.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004, USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).

Die Hezb-e Islami wird von Gulbuddin Hekmatyar, einem ehemaligen Warlord, der zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird, geleitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem Friedensschluss und Präsident Ghani sicherte den Mitgliedern der Hezb-e Islami Immunität zu. Hekmatyar kehrte 2016 aus dem Exil nach Afghanistan zurück und kündigte im Jänner 2019 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 an (CNA 19.1.2019).

Im Februar 2018 hat Präsident Ghani in einem Plan für Friedensgespräche mit den Taliban diesen die Anerkennung als politische Partei in Aussicht gestellt (DP 16.6.2018). Bedingung dafür ist, dass die Taliban Afghanistans Verfassung und einen Waffenstillstand akzeptieren (NZZ 27.1.2019). Die Taliban reagierten nicht offiziell auf den Vorschlag (DP 16.6.2018; s. folgender Abschnitt, Anm.).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.8.2019) - bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 8.9.2019) - mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als "Marionette" des Westens betrachten - auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.8.2019; vgl. NZZ 12.8.2019; DZ 8.9.2019).

Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, MS 28.1.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigten Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.5.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehreren Warlords, statt (Qantara 12.2.2019; vgl. TN 31.5.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.5.2019).

1.4.1.2 Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433.

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018

Die afghanische Regierung bemühte sich Wahllokale zu sichern, was mehr als 4 Millionen afghanischen Bürgern ermöglichte zu wählen (UNAMA 11.2018). Und auch die Vorkehrungen der ANDSF zur Sicherung der Wahllokale ermöglichten eine Wahl, die weniger gewalttätig war als jede andere Wahl der letzten zehn Jahre (USDOS 12.2018). Die Taliban hatten im Vorfeld öffentlich verkündet, die für Oktober 2018 geplanten Parlamentswahlen stören zu wollen. Ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl 2014 warnten sie Bürger davor, sich für die Wahl zu registrieren, verhängten "Geldbußen" und/oder beschlagnahmten Tazkiras und bedrohten Personen, die an der Durchführung der Wahl beteiligt waren (UNAMA 11.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Von Beginn der Wählerregistrierung (14.4.2018) bis Ende des Jahres 2018, wurden 1.007 Opfer (226 Tote, 781 Verletzte) sowie 310 Entführungen aufgrund der Wahl verzeichnet (UNAMA 24.2.2019). Am Wahltag (20.10.2018) verifizierte UNAMA 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) durch Wahl bedingte Gewalt. Die höchste Anzahl an zivilen Opfern an einem Wahltag seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNAMA im Jahr 2009 (UNAMA 11.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019):

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) - Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub - Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll 12 Ableg

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten