TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/9 W264 2189457-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.03.2020
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Entscheidungsdatum

09.03.2020

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W264 2189457-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Islamische Republik Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Helmut BLUM, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.2.2018, 1118372407-160815063/BMI-EAST_WEST, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der BF stellte am 24.5.2016 in Griechenland einen Antrag auf internationalen Schutz (Beweis: AS 35 "applied for asylum in Hungary on 24.5.2016" und EURODAC-Treffer HU XXXX vom 24.5.2016 laut Niederschrift über die Erstbefragung, GZ XXXX , Punkt 12).

2. Dennoch reiste der BF unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 10.6.2016 hier in Österreich einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz.

3. Er wurde durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu seinem Fluchtgrunde erstmals befragt und gab der BF an, er spreche auch Paschtu (exzellente Kenntnisse), Englisch (exzellente Kenntnisse), Urdu (Exzellente Kenntnisse) und Arabisch (gut). Als Religion gab er an "Islam, Sunnit". Die Einvernahme wurde in Dari durchgeführt. Auf Seite 2 der Niederschrift über die Erstbefragung, GZ XXXX , ist zur Frage "verstehen Sie den Dolmetscher?" "ja" angekreuzt und ist der letzten Seite zu entnehmen: "die aufgenommene Niederschrift wurde in einer mir für mich verständlichen Sprache rückübersetzt" und ist "nein" zu der Frage "Haben Sie Ergänzungen / Korrekturen zu machen?" angekreuzt und zu der Frage "Haben Sie alles verstanden?" "ja" angekreuzt.

Als Fluchtgrund gab er an wie folgt (Auszug aus der Erstbefragung):

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4. Am 23.1.2018 fand vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA" oder "belangte Behörde") die niederschriftliche Einvernahme statt. Die Einvernahme wurde in der Sprache Dari durchgeführt. Auf die Frage "Haben Sie im Verfahren bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht? Wurden Ihnen diese jeweils rückübersetzt und korrekt protokolliert?" gab er zur Antwort: "Ich habe die Wahrheit gesagt, alles wurde mir korrekt rückübersetzt" (NS BFA S. 3).

Der BF wurde vom BFA zu Beginn seiner Einvernahme informiert, dass falsche Angaben die Glaubwürdigkeit seines Vorbringens beeinträchtigen können. Er wurde darauf aufmerksam gemacht, von sich aus vollständig, detailliert und wahrheitsgemäß zu erzählen (NS BFA S. 5).

Der BF gab als Fluchtgrund an, während seiner Studienzeit an den Universitäten Kabul und Kunduz politisch aktiv gewesen zu sein und "mehrere Seminare gehalten und daran teilgenommen" zu haben. An der Universität habe es Seminare, welche von den Vereinten Nationen abgehalten wurden, gegeben, wo es um Menschen- und Frauenrechte gegangen sei. Er selbst sei "kein besonders religiöser Mensch" und für ihn sei "die Religion nicht wichtig", er habe aktiv an den Seminaren teilgenommen und sich deshalb einige Probleme mit einigen Professoren eingehandelt, insbesondere mit XXXX , welcher Mitglied der islamischen Partei in Afghanistan sei und habe der BF absichtlich schlechte Noten erhalten und sei er schikaniert worden (NS BFA S. 6). Diesem Professor habe es missfallen, dass der BF keinen Bart getragen habe und auch die Kleidung habe ihm missfallen (NS BFA S. 8). Eines Tages habe der BF ein Seminar über Menschenrechte gehalten und habe ihn ein anderer Student als "Spion der Amerikaner" beschimpft. Daraufhin habe sich der BF auf eine Diskussion eingelassen und gefragt "was uns die Religion jemals gebracht hat" (NS BFA S. 6). Nach dem Seminar sei der BF von diesem Studenten und anderen Personen "beschimpft und verprügelt" worden und sei er anschließend auf der Uni "nicht gern gesehen" gewesen, da er kein religiöser Mensch sei, so der BF. Man habe ihn schikaniert und beschimpft als Ungläubigen (NS BFA S. 6).

Eines Tages, als er in Begleitung eines Freundes zum Studentenheim ging, hätten zwei Männern auf Motorrädern auf sie geschossen, wobei der Freund ums Leben gekommen sei. Die Polizei habe den BF befragt und er habe sich ein oder zwei Tage nicht mehr aus dem Studentenheim getraut. Er sei dann zu seinem Vater gegangen und habe dieser gesagt, der BF müsse aus Afghanistan fliehen. Von einem Mitbewohner und von seinem Vater habe sich der BF Geld für die Flucht ausgeborgt. Während seiner Zeit zuhause habe er auch Drohanrufe bekommen, wo man ihm gesagt hätte, dass "dieser Vorfall Gottes Strafe" sei (NS BFA S. 6). Dieser Art habe es zwei Drohanrufe gegeben (NS BFA S. 9).

Sein Sozialleben beschrieb er als "normales Leben, ganz gut, besser als andere" (NS BFA S. 10). Die afghanische Bevölkerung bezeichnete er als "zurückgeblieben und sehr konservativ" (NS BFA S. 10).

Die Niederschrift wurde dem BF rückübersetzt und gab er daraufhin an, dass alles richtig und vollständig ist und alles richtig wiedergegeben wurde" (NS BFA S. 11). Es trägt die Niederschrift auf S. 12 sowie jede Einzelseite der Niederschrift die Unterschrift des BF.

5. Dem Fremdakt des BFA liegen folgende Dokumente bzw Kopien von folgenden Dokumenten ein:

* Ersuchen des AMS Oberösterreich über Aufenthaltsrecht wegen Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung

* Beschäftigungsmeldung des AMS betreffend Dienstverhältnis bei XXXX GmbH, 1.9.2017 bis 31.8.2021

* Bericht der LPD Oberösterreich PI XXXX vom 18.10.2016, XXXX , über IS Verdacht bei Asylwerbern in XXXX

* Empfehlungsschreiben des GF der XXXX GmbH, XXXX , vom 10.1.2018, wonach der BF ein ausgezeichneter Mechatronik-Lehrling sei und die Wahrscheinlichkeit sehr hoch sei, den BF nach Lehrabschluss weiter im Unternehmen zu beschäftigen, da er großes Potential als Mechatroniker habe und auch aufgrund seiner Fremdsprachenkenntnisse international einsetzbar sei

* Schreiben der Bürgermeisterin der Gemeinde XXXX , XXXX , vom 12.1.2018, wonach der BF als Dolmetsch, Begleiter für Arztbesuche ehrenamtlich tätig war

* Bestätigung der CARITAS, Sozialpäd. XXXX , undatiert, über die erfolgreichen Deutschprüfungen A2 und B1 und über ehrenamtliche Tätigkeiten des BF, welcher laut der Bestätigung schon viele Freunde habe

* 4 Kopien von Fotos, eines davon in einer Kirche vor dem Hochaltar mit einem davor befindlichen Chor

* Prüfungszeugnis A1 - Fit für Österreich vom 18.2.2017

* Zeugnis des ÖIF vom 6.3.2017 über Deutsch A1 (363 Punkte von 400 Punkten erreicht)

* Prüfungszeugnis Deutsch-Test für Österreich vom 20.5.2017 "bestanden", Gesamtergebnis B1

* Urkunde über Teilnahme an Gitarre-Kurs vom 21.6.2017

* Teilnahmebestätigung über "Dolmetschen von und für MigrantInnen", ausgestellt von CARITAS

* Lehrvertrag zwischen dem BF und XXXX GmbH vom 10.8.2017 im Lehrberuf "Mechatroniker, Hauptmodul: Fertigungstechnik"

* Einberufung in Berufsschule XXXX vom 20.11.2017

* Stellungnahme zum LIB Afghanistan vom 26.1.2018

* Übersetzung der vorgelegten Tazkira

* Empfehlungsschreiben der XXXX vom 13.3.2018, wonach der BF bei ihr wohnt, als Familienmitglied angesehen werde und beim Mozart-Requiem mitsang und im Kinderchor mitwirkte

* Teilnahmebestätigung über ein 2tägiges Lehrlings-Training der XXXX GmbH und XXXX Consulting zum Thema "Teamarbeit: Gemeinsam erreichen wir mehr!"

6. Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist und die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung beträgt.

7. Am 14.12.2018 langte das mit 12.2.2018 datierte Schreiben des BF beim BFA ein, worin er Folgendes mitteilte:

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8. Dagegen wurde mit Schriftsatz des Rechtsberaters ARGE Rechtsberatung Volkshilfe Flüchtlings- und Migrantinnenbetreuung GmbH vom 13.3.2018 das Rechtsmittel der Beschwerde erhoben und darin Anträge gestellt und näher begründet, womit der Bescheid des BFA bekämpft wird.

9. Der Fremdakt langte beim Bundesverwaltungsgericht am 16.3.2018 ein.

10. Am 6.12.2018 wurde die öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt.

Auszug aus der Verhandlungsschrift:

(Anm: "*" bedeutet, dass der BF ohne vorherige Übersetzung die Antwort in deutscher Sprache gab)

"Der BF bringt vor er habe 3 Jahre lang an der Universität Kabul Islamisches Recht studiert.

BF wird aufgefordert den Namen, die Volksgruppenzugehörigkeit, das Religionsbekenntnis und die Heimatprovinz auf ein Blatt Papier zu schreiben und wird dies als Beilage ./C zur Verhandlungsschrift genommen.

R: In welchem Land und in welcher Provinz leben Ihre Eltern und wie heißen die?

BF:*) Ich habe Eltern und einen Bruder. Sie alle leben in - der große Bruder lebt alleine - in Kunduz.

R: Wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt zu diesen und über welches Medium?

BF*) Sehr schwer, aufgrund des nicht immer funktionierenden Handy-Netzes, aber ich habe Kontakt.

R: In welchem Land und in welcher Provinz leben, Ihre Onkel, Tanten und wie heißen die?

BF: *) Die Familie meiner Mutter und meines Vaters war sehr groß. Mein Vater hat sieben Halbschwestern und zwei richtige Schwestern. Sie leben in Kunduz. Von meinen Onkeln (Halbbrüder des Vaters) lebt noch einer in Kunduz.

R: Wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt zu diesen und über welches Medium?

BF:*) Ich habe keine Kontakt zu dem Onkel oder die Tanten.

R: Haben Sie vor Ihrer Einreise nach Österreich eine Schule besucht? Wie lange?

BF: Ich habe an der Uni Kabul drei Jahre Recht studiert.

R: Haben Sie vor Ihrer Einreise nach Österreich Berufserfahrung erlangt? Wie viele Jahre?

BF: Wenn ich frei hatte, habe ich meinem Vater geholfen. Mein Vater hatte ein Geschäft.

R: Wo lebt Ihr Vater jetzt?

BF*) Er lebt in Kunduz und hat noch ein Geschäft für Schneiderbedarf.

Befragt wie es dem Vater mit dem Geschäft finanziell geht, gibt der BF an: Es ist eine große Familie, es geht, ich sage nicht sehr gut, aber es geht.

Die R fordert BF auf, nun in Ruhe in freier Erzählung nochmals die Gründe, warum das Herkunftsland verlassen und ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, von sich aus vollständig und wahrheitsgemäß zu erzählen. Lassen Sie nichts weg! Nehmen Sie sich Zeit und erzählen Sie ganz konkret und mit Details. Falsche Angaben beeinträchtigen die Glaubwürdigkeit Ihres Fluchtberichts. Sie haben nun die Möglichkeit von sich aus alles zu erzählen, ohne auf Fragen von mir warten zu müssen.

BF führt aus wie folgt: Wie ich bereits gesagt habe, bin ich in einer muslimischen Familie geboren. Ich war ca. 6 Jahre alt, als ich AFG verlassen habe und nach Pakistan gegangen bin. Meine ganze Familie ging nach Pakistan. Es herrschte damals in AFG Krieg. Ca. 9 bis 10 Jahre sind wir in Pakistan geblieben. Die pakistanische Regierung hat sich entschieden, dass die Afghanen Pakistan verlassen und zurück nach AFG gehen müssen. Die ganze Familie ist zurück nach AFG, nach Kunduz gegangen. Wir haben dort von Neuem angefangen zu leben. Ich habe unterschiedliche Kurse in Pakistan besucht. Diese Kurse habe ich in Kunduz weitergeführt, ebenso wie die Schule. Ich habe die Aufnahmeprüfung für die Uni geschafft. Ich war an der Uni in Kunduz. Diese habe ich für zwei Jahre besucht. Die Sicherheitslage hat sich in Kunduz drastisch verändert. Deswegen konnte ich nicht länger dort die Uni besuchen, so wie ich es wollte. Ich habe den Wechsel an die Uni in Kabul mit großen Schwierigkeiten geschafft. Ich habe die Uni in Kabul dann normal weiter besucht. Ich war sehr aktiv und hatte eigene Ideen. Meine Ideen waren anderes, als die der Mehrheit in AFG. Ich habe immer wieder viele unterschiedliche Fragen an meine Professoren der UNI gehabt.

R: Welche Fragen waren das?

BF: Ich habe immer wieder über das Islamische Recht, die Scharia Fragen gestellt, ich wollte wissen, warum die Sachen so sind, wie sie sind. Es gibt viele internationale Gesetze, die in AFG nicht geduldet werden.

Auf Befragen welche Gesetze der BF meint, bringt er vor in deutscher Sprache: zB Frauen dürfen nicht Richter sein."

Auf Befragen welche "internationalen Gesetze

" der BF meint*): Es gab dort viele internationale NGOs die für die Entwicklung der jüngeren Generationen zuständig waren., z.B. Human Rights, UNAMA und auch viele NGOs waren von einem einzelnen Land.

R: Haben Sie sich persönlich mit Frauenrechten beschäftigt?

BF*) Ja genau.

Weiter in Dari:

Es gab auch andere internationale Rechte, die überall gültig sind, aber in AFG nicht. Z.B., dass alle Menschen die gleichen Rechte haben sollen. Diesbezüglich habe ich sehr viele Fragen gehabt.

R: Woher haben Sie gewusst, dass es solche internationalen Rechte gibt?

BF*) Ich war immer sehr aktiv. Ich habe sogar Papiere ausgeteilt, und diese Informationen verbreitet, weil ich wollte, dass die jungen Leute das von AFG wissen, sondern auch von "draußen". Die Papiere habe ich nicht "selbst erstellt". Sie waren von NGO¿s.

Befragt von welchen NGO¿s die Papiere waren, gibt der BF an: Sie waren etwa von US-Aid, das ist von Amerika, eine amerikanische NGO für die Hilfe für AFG.

Auf Befragen ob ich mit Personen von US-Aid persönlich zu tun hatte: Das waren Leute, die für die US-Aid Vorort angestellt waren. Es gibt auch afghanische Aktivisten.

R: Wie sind Sie mit diesen Leuten in Berührung gekommen?

BF: Ich war nicht religiös und selbst sehr aktiv. Deswegen wurde ich auch von manchen Menschen sehr schlecht behandelt. Meine Schwester XXXX ist verheiratet. Es geht ihr aber bei der Schwiegerfamilie nicht gut. Sie ist ein Jahr älter als ich. Meine Schwester kann nur einmal pro Jahr zu den Eltern nach Hause kommen. Sie lebt auch in Kunduz, aber weiter weg. Die Schwiegerfamilie behandelt meine Schwester nicht gut, z.B. sie darf kein Handy haben. Deswegen wollte ich immer über die Rechte der Unterdrückten reden. Ein Beispiel war meine Schwester, weil sie keine Grundrechte hatte.

Auf Befragen was ich unter "Grundrechte" verstehe: Ein Mensch ist frei geboren und sollte seine Freiheit haben, also Freiheit. Meine Schwester hat bei dieser Familie gar keine Freiheit.

Auf Befragen ob ich mit meinem Vater einmal darüber gesprochen habe: Viel zu viel, mit meiner ganzen Familie. Zu den Grundrechten gehört auch, dass man seinen Lebenspartner selbst aussuchen darf. Bei uns ist das anders gelaufen. Als meine Schwester und ihr jetziger Ehemann noch Kinder waren, hat meine Mutter mit meiner Tante mütterlicherseits ausgemacht, dass die beiden heiraten sollen. Meine Schwester ist eine intelligente Frau, sie hat die Schule besucht. Ihr Mann ist Analphabet. Er ist in AFG aufgewachsen und verhält sich auch so.

[Der BF hinterlässt einen gemütserregten Eindruck, seit dem zuletzt vorgebrachten Satz]

Der BF bittet um eine kurze Unterbrechung.

R: Haben Sie an der Universität auch selbst Seminare abgehalten als Vortragender?

BF: Selbst nicht. Aber ich habe mit den Personen, die ich kannte immer darüber geredet.

R: Welche Personen waren das zum Bsp?

BF: Ich habe meist mit einem Freund namens XXXX diesbezüglich gesprochen. Er war aus einer sehr gebildeten Familie. Sein Vater hat auch auf der Universität an der technischen Fakultät unterrichtet.

R: Wie war das Verhältnis zu diesem Vater von XXXX ?

BF: Ich hab gewusst, dass er auch an der Uni unterrichtet, aber eine konkrete Beziehung hatte ich nicht zu ihm. Er hat Physik unterrichtet. Wir hatten nichts miteinander zu tun.

R: Wie war das Verhältnis zu Ihren Professoren während Ihres Studiums?

BF: Ich kann Ihnen sagen, dass meine Beziehung zu denen sehr schlecht war. Meine Beziehung war zu einem Professor, der Philosophie unterrichtete, sehr gut. Er hieß - weiter auf deutsch: - ich habe den Namen vergessen.

Befragt ob dieser Professor etwas mit der Flucht des BF zu tun hat, gibt er an: Nein, er war ein guter Mensch.

R: Wer war dann ein so schlechter Mensch, dass Sie veranlasst wurden AFG zu verlassen?

BF: Ich hatte eine ganz schlechte Beziehung zu einem Professor, der Arabisch unterrichtet hat. Ich habe ja schon zu Beginn erwähnt, dass ich neben Dari und Paschto und Urdu auch Arabisch und auch Englisch spreche. Arabisch kann ich nicht so gut sprechen, aber ich kann es lesen und verstehen.

Die Rechtsbücher waren in Arabisch, in Dari auch. Alle Bücher, die von "Hadis" handelten, das ist von der Wertigkeit her wie der Koran zu sehen und 90% von "Hadis" wirkt auf unser Recht. Der Professor, der Arabisch unterrichtet hat, hieß XXXX und war Mitglied bei Hezbe Islam und er war ein großer religiöser Führer von Jamat Tabliq Afghanistan, die missionieren.

R: Haben Sie gewusst, dass der Professor missionierte?

BF*: Ja ja, jeder weiß.

R: Was hat der Professor zu Ihnen gesagt, wenn Sie mit ihm gesprochen haben?

BF*: Er war der unfreundlichste Mensch an der Universität und war sauer, wenn man Fragen gestellt hat. Zum Beispiel viele Mitglieder seiner Familie waren in Haft, weil sie Mitglieder unterschiedlicher terroristischer Gruppierungen waren. Er sprach immer wieder darüber, wie eine islamische Regierung sein soll. Als er darüber gesprochen hat, wie eine islamische Regierung aussehen soll, habe ich Fragen gestellt: zB warum wird einem Dieb die Hand abgehackt? Was ist die Idee dahinter? Warum soll das so sein? Er hat immer wieder über die islamischen Gesetze so gesprochen, dass wir keine Fragen stellen dürfen. Die Gesetze sind einfach so und wir müssen es akzeptieren. Auch wenn es nicht logisch erscheint, müsse man die Gesetze befolgen, weil sie von Gott sind.

R: War er damit einverstanden, dass Sie andere Ansichten hatten als er?

BF: Seine Reaktion war immer sehr schlecht. Ich habe keine logische Antwort bekommen. Er hat mir gesagt ich solle aufpassen.

R: Warum aufpassen?

BF*: keine Ahnung ob ich wegen den Noten aufpassen sollte oder so. Aber ich hatte ziemliche Angst vor ihm, er war groß in der Fakultät. Alle haben ihn respektiert.

R: Was ist dann passiert, sodass Sie aus AFG weggegangen sind?

BF: da ich immer wieder solche Fragen gestellt habe, war ich allen sehr unangenehm. Meine Kleidungsart war für die alle ein Störelement. Sie waren dagegen. (Weiter auf Deutsch): ich hatte zum Bsp Jeans an. Die anderen hatten afgh. Kleidung.

R: Was ist dann wirklich konkret passiert, dass Sie weggegangen sind?

BF: Wir waren einmal bei einer Konferenz und waren dort viele junge Leute in meinem Alter. Die Konferenz war an der Uni in Kabul. Ich habe dort eine Rede gehalten.

Nachgefragt über welches Thema, gebe ich an: über Frauenrechte und die islamische Scharia. Das war ein oder zwei Monate kurz vor meiner Flucht.

R: Versetzen Sie sich zurück auf die Konferenz: Was ist Ihnen aus Ihrer Rede noch erinnerlich?

BF: Hauptthema war die Beziehung in der Familie, der Umgang miteinander in der Familie.

R: Das ist jetzt ein Überbegriff: Erinnern Sie sich zurück. Was waren Ihre Argumente? Was haben Sie dort gesagt?

BF: Ich habe über Frauenrechte gesprochen, weil es für mich sehr wichtig war. Das war das interessanteste Thema.

Aufgefordert aus dieser Rede zu erzählen: Ich habe über Rechte in der Familie gesprochen, z.B. welche Rechte eine Frau in der Familie hat, welche Rechte ein Mann in der Familie hat.

R: Welche Rechte hat eine Frau?

BF: Meiner Meinung nach, man soll keine Unterschiede e zwischen Mann und Frau machen. Beide sollen als Mensch gleiche Rechte haben. Ein interessantes Thema war Scheidung. Frauen dürfen keine Scheidung beantragen, sondern nur die Männer dürfen sie beantragen. Weiter zu den Frauenrechte: Dass Frauen sich ihre Lebenspartner selbst aussuchen dürfen. Sie müssen gleiche Arbeitsrechte habe, wie die Männer, dass sie das Recht auf Bildung haben, so wie Männer. Das sind die Grundrechte, die Frauen haben müssen. In AFG ist das nicht so. Frauen haben nicht die gleichen Rechte wie Männern, sondern viel weniger. Die NGO¿s wollten die Familien über die Rechte informieren, und ich auch. In AFG dürfen die Frauen nicht ohne männliche Begleitung das Haus verlassen, oder ohne die Erlaubnis des Mannes. Wir haben auch darüber gesprochen, wie es sein soll.

R: Haben Sie auch zur Scharia gesprochen?

BF: Ja. In Form von Fragen und Antworten. Es wurde diskutiert. Manche Leute, die anwesend waren, haben das islamische Recht verteidigt.

R: Ich will wissen, was Sie gesagt haben.

BF*: Ich will ja jetzt zum Punkt kommen.

Weiter auf Dari: Sie haben über islamisches Recht gesprochen. Sie haben versucht das islamische Recht zu verteidigen. Ich habe beispielsweise die unterschiedliche Bestrafung, die es im Islam gibt, genannt. Ich habe gesagt, wenn eine Frau etwas macht und gesteinigt wird, wenn man etwas stielt wird einem die Hand abgehackt. Die Homosexuellen werden an eine Wand gestellt und diese wird zum Einsturz gebracht. Ich wollte wissen, wie kann man so etwas verteidigen. In AFG ist es leider so*) wenn man eine Kleinigkeit über die Religion sagt, nämlich dagegenredet, dann gilt man automatisch als ungläubig. Aber schon wegen Kleinigkeit.

Z.B. wenn die sagen, das etwas haram ist und ich sage, dass es halal ist, dann werde ich als Ungläubiger angesehen.

Man muss nicht extra austreten aus dem Islam.

Ich bin in meine Familie geboren und die ganzen Leute, die zu 100% religiös sind - 100 % der Afghanen sind sehr religiös - und wenn man etwas nicht Religiöses tut, dann ist man für dies ein schlechter Mensch.

Z.B. wenn die Gebetsstunde war, bin ich weggegangen, habe mich versteckt und war auch nicht in der Moschee. Auch mein Vater sagte mir immer, du musst tun und machen was die Leute wollen, was werden die Leute sonst über die Familie und mich sagen, nämlich über den Vater, ich war ja der Sohn des Vaters.

Ich habe mich vielmals versteckt. Er hat mich dann getestet, ob ich beten war. Ich habe es bejaht und er hat mich gefragt, welche Sure wir gelesen haben.

Wenn jemand in AFG nicht religiös ist, seinen religiösen Verpflichtungen nicht nachkommt, hat er automatisch keine Freunde, ist nicht beleibt in Gesellschaft und Familie. Er wird schlecht behandelt. Wenn man etwas gegen die Religion sagt, wird man sofort angegriffen. Als Beispiel führe ich Farhonda an, die auf offener Straße von mehreren Menschen getötet wurde. Die Menschen haben nur gehört, aber nicht gesehen, dass Frau Farhonda etwas gegen die Religion gemacht hat, nämlich den Koran angezündet hat. Sie sind alle auf sie losgegangen. Man darf dort nicht frei über eigene Ideen reden und sich frei äußern.

R: Was hat Ihr Vater gemacht, als er darauf kam, dass Sie nicht beim Beten waren, obwohl Sie dies gesagt hatten?

BF: Spätestens ab dem 10. Lebensjahr muss man beten und die Moschee besuchen. Da ich dies nicht tat, wurde ich mehrmals vom Vater geschlagen. Ihm war sehr wichtig, was die anderen über uns dachten.

R: Was waren die Gründe, warum Sie aus AFG weggegangen sind?

BF: Nachdem die Konferenz zu Ende war, kam es zum Streit. Die Leute, die gegen meine Ideen waren, gingen auf mich los. Nur weil meine Ideen gegen den Islam waren, wurde ich von den Studenten geschlagen. Ich bin nach Hause gegangen. Ein paar Tage bin ich nicht in die UNI gegangen. Dann habe ich wieder meinen normalen Studienbetrieb aufgenommen. Ich bin aber von der Einstellung her so geblieben wie ich war. Mein Leben und die Fragen an der UNI sind so weitergegangen. Ich habe weiterhin solche Fragen gestellt. Eines Tages ist es zwischen mir und dem zuvor genannten Professor XXXX zu einer Diskussion gekommen. Für manche Studenten war der Professor der beliebteste Professor. Sie hatten die gleichen Ideen wie er und haben die Ideen auch verteidigt. XXXX verbot mir weitere Fragen zu stellen.

R:; Hat die Universität Sie nie ausgeschlossen?

BF: Nein.

R: Auf Befragen an wie vielen UNIs ich eingeschrieben war: Auf jener in Kunduz und auf jener in Kabul.

Auf befragen, wie es dazu kam, dass er dachte, jetzt flüchten zu müssen, gibt der BF an: Nach der Diskussion mit XXXX war ich eines nachts auf dem Weg zum Studentenheim. Mein Freund und ich waren unterwegs. Wir haben noch etwas eingekauft. Ich habe eine Schießerei, ganz in der Nähe wahrgenommen. Ich habe mich auf den Boden gelegt. Das war für mich normal, es passiert immer wieder dort. Ich habe im 5. Bezirk in Kabul gelebt. Der 5. Bezirk gehört zu einem der unsichersten Bezirks Kabuls. Ich bin aufgestanden und habe bemerkt, dass mein Freund auf dem Boden liegt und blutete. Er war tot. Danach ist die Polizei gekommen. Wir wurden gefragt, was passiert ist. Ca. eine halbe Stunde wurden die Anwesenden befragt, was passiert ist.

Auf Befragen, wie viele Personen befragt wurden: Am Anfang als wir unterwegs waren, habe ich nicht bemerkt, wie viele Personen da waren. Als die Polizei da war, waren ex ca. 10 bis 15 Personen. Die Zeugen haben ausgesagt, dass zwei Männer auf einem Motorrad kamen und sie waren verantwortlich, dass mein Freund getötet wurde.

Auf Befragen, ob die Polizei gegen die Männer auf dem Motorrad ermittelt hat, gebe ich an: die Polizei ist gekommen. Die Leute auf dem Motorrad sind geflüchtet. Ich weiß nicht, ob sie von der Polizei erwischt wurden. Als ich in Griechenland war, habe ich von einem Freund erfahren, dass einer der beiden erwischt wurde.

R: Und daraufhin sind sie aus AFG weggegangen?

BF: Ja.

R: Ist sonst noch etwas passiert, dass Sie sagen, auch das war ein Grund, warum Sie aus AFG weggegangen sind?

BF: Der Hauptgrund, warum ich AFG war meine Erzählung. Außerdem kann ich nicht in einer Gesellschaft wie AFG leben. Wenn ich mich dort äußern möchte und meine Ideen darlegen möchte, werden sie mich umbringen.

R: Wie war Ihr Verhältnis zu der Familie Ihrer Schwester?

BF: Sehr schlecht, sie haben mich gehasst, weil ich meine Schwester verteidigt habe. Sie ist nur einmal pro Jahr zu uns gekommen. Sie hat mir Verletzungen am Rücken gezeigt und ich war gegen ihre Rückkehr zu dieser Familie. Inzwischen hat sie drei Kinder. Damals waren es zwei. Sie sagte immer wieder, dass sie nicht mehr zurückkehren möchte, zu ihrer Schwiegerfamilie. Sie ist wegen der Kinder zurückgegangen. Ihr Mann war kein korrekter Mensch. Er hatte immer eine Waffe bei sich. Er war auch Tadschike.

R: Haben Sie je mit der Schwester über Ihre Ideen gesprochen? Wie das Leben aus Ihrer Sicht sein sollte?

BF: Wir haben die gleichen Ideen gehabt. Sie war sehr fleißig und intelligent.

R: Lebt Ihre Familie noch in dem Haus, wo Sie lebten als Sie weggegangen sind?

BF: Ja.

R: Haben Sie nun alle Ihre Fluchtgründe vorgebracht oder gibt es noch etwas von dem Sie sagen: Das war auch ein Grund, warum ich Afghanistan verlassen musste?

BF: Das war alles ein Grund, warum ich AFG verlassen habe. Für mich steht die Menschlichkeit im Vordergrund, seit ich in Ö bin, viel mehr als vorher. Ich lehne den Islam komplett ab. Ich bin ganz ohne Religion.

BF fährt fort in Deutsch: Ich habe viele Freunde und lasse mich mit XXXX ansprechen. Ich will nicht, dass sie XXXX nennen. Ich nenne mich XXXX , weil meine beiden Vornamen auch religiösen Ursprungs sind.

Es gibt Leute, die in eine andere Religion eintreten. Das ist für mich unangenehm. Der Glaube heißt, dass jemand an etwas glaubt. Vielleicht glaube die gar nicht so, sondern machen das einfach in Ö. Ich glaube Religion ist eine Geschichte aus alter Zeit, die eher zu den alten Leuten gepasst hat, weil es früher viel Grausamkeit gab, vielleicht war es durch die Religion etwas besser. Aber die Religion passt jetzt nicht in unsere Gesellschaft, das ist meine Meinung.

In AFG gehen 300.000 Leute jedes Jahr an die Uni. Z.B. die Fakultät für Journalismus kann jährlich nur 200 Leute nehmen. Der BF berichtet, dass es in AFG ein System gibt, wie jenes des Numerus clausus in Deutschland und gibt er an, dann hätte er vielleicht auch do gedacht wie andere Leute. Das einzig Spannende war Rechtsphilosophie und Internationales Recht. Aber das wurde in geringerem Ausmaß unterrichtet, als die nicht für mich so spannenden Fächer. Mit den anderen Fächern, die nicht so spannend waren, meine ich jene, wo wir in Hadis unterrichtet wurden. Auch die arabische Grammatik war nicht so interessant. Ich kann in Arabisch lesen und schreiben.

Aus meiner Sicht, so der BF, wird die Religion im asiatischen Raum von manchen Menschen verwendet, um Kriege zu führen und andere zu benutzen. Bei uns war in den letzten 40 bis 50 Jahren Krieg. Es ist dadurch Armut entstanden, deshalb sind die Menschen dort nicht ausgebildet. Es sind sehr viele Menschen durch den Krieg Halbwaise geworden, weil der Vater getötet wurde. Die gehen dann als Kinder zur Moschee um Essen zu bekommen. Dort wird ihnen vom Mullah gesagt, dass wir zwar jetzt ein nicht gutes Leben haben, aber ein besseres Leben kommen wird. Ich glaube ohne Religion gäbe es weniger Kriege.

R: Haben Sie selbst den Koran gelesen?

BF*): Ja, natürlich, das habe ich schon gesagt, der Koran ist eine Rechtsgrundlage bei uns. Den muss man lernen.

R: Was steht im Koran?

BF*) Im Koran steht viel Geschichte, aus der alten Zeit. Und auch das Gott gesagt hätte, in dieser Zeit damals, dieses oder jenes muss so sein. Es steht Frauen dürfen nicht ohne Erlaubnis des Mannes draußen sein. Kämpfen Sie bis es keine schlechten Sachen mehr in der Welt gibt. Als schlechte Sachen gelten, z.B. Ungläubige. Schlecht ist man auch, wenn man Alkohol trinkt, oder etwas sagt oder macht, das nicht in die Religion passt. Ich beabsichtige darüber ein Buch zu schreiben.

R: Steht im Koran auch etwas über Jesus Christus?

BF: Ja, es steht, dass Jesus Christus ein Prophet Gottes war und im Himmel lebt.

R: Wie wird im Koran das Wort für Himmel beschrieben?

BF: Im Koran steht, es gibt sieben Himmel. Samawat.

Der Koran ist in Arabisch geschrieben und darf nicht als Koran bezeichnet werden, wenn er etwa in Dari übersetzt wurde. Ich habe gehört jemand hat den Koran in Dari übersetzt und hinten Koran draufgeschrieben. Er wurde verfolgt. Das war in AFG.

D: Das war ein berühmter Moderator im afghanischen Fernsehen, der in den Niederlanden gelebt hat. Er hat den Koran mit Hilfe eines Mullahs übersetzt und wollte, dass die Leute schwarz auf weiß lesen können, was darinnen steht. Sie wurden verhaftet, vor ca. 5 oder 6 Jahren von der afghanischen Regierung. Es gab sehr viele Proteste in AFG von Personen die für die Verhaftung waren. Laut islamischen Recht, darf der Koran nicht ausschließlich in einer anderen Sprache wiedergegeben werden, sondern muss bei einer allfälligen Übersetzung jeder Absatz zusätzlich in Arabisch wiedergegeben werden. Im Ausland fanden sehr viele Demonstrationen gegen diese Verhaftung statt, es fanden ausländische Interventionen zugunsten der Verhaftenden statt.

R: Wurden Sie in Afghanistan aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit jemals bedroht oder verfolgt?

BF:*) Nein.

R: Wurden Sie in Afghanistan aufgrund Ihrer Religionszugehörigkeit jemals bedroht oder verfolgt?

BF*) Ja schon. Nicht deswegen, weil ich Muslim war Ich hatte meine eigene Meinung

R: Waren Sie in Afghanistan einmal Mitglied einer Partei oder sonst politisch tätig?

BF*) Ich war nicht in einer politischen Partei tätig. Aber ich habe mich für viele Parteien interessiert, z.B. für eine Partei von der man sagt, sie sei kommunistisch, ein Überbleibsel von den Kommunisten und die sind sehr, sehr, sehr gegen die Mujaheddin, die gegen die Russen gekämpft haben. Die haben auch eine freie Meinung heißt die Partei Hambastagie Mi li. Viele dieser Anhänger sind aus im Ausland.

R: hatten Sie ein Parteibuch von denen, wusste jemand, dass Sie sich dafür interessieren?

BF: Ich war nicht offiziell Mitglied. Die Familie wusste, dass ich mich dafür interessiere und Freunde wussten es.

R: Waren Sie in Afghanistan jemals in Haft?

BF: Nein.

R: Sind Sie in Afghanistan vorbestraft oder werden Sie mit einer staatlichen Fahndungsmaßnahme wie Haftbefehl, Strafanzeige, Steckbrief gesucht?

BF: Nein.

R: Hatten Sie in Afghanistan jemals Probleme mit Behörden, der Polizei oder einem Gericht?

BF*) Nein, gar nicht.

R: Nahmen Sie in Afghanistan an bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen aktiv teil?

BF: Nein.

R: Wurden Sie in Afghanistan jemals von irgendjemandem bedroht oder verfolgt (Blutfehde, Racheakte oder dergleichen)?

BF: Nein.

R: Wurden Sie in Afghanistan jemals bedroht oder verfolgt, weil Sie für Frauenrechte eintreten?

BF Ja.

R: Von wem?

BF*) Von allen, von Studenten. Weil Frauenrechte gegen das islamische Recht verstoßen. das Islamische ist unsere Kultur und Frauenrechte verstoßen gegen unsere Kultur.

Waren Sie schon einmal in Herat, Mazar-e Sharif ?

BF: Ich war noch nicht in einem dieser beiden Orte.

Ist in Afghanistan irgendeinmal irgendein Mensch zu Ihnen gekommen und hat sie bedroht oder verfolgt?

BF: Ja. Der Grund war, der ich heute erzählt habe.

R: Was befürchten Sie für Ihr Leben, wenn Sie nach Afghanistan zurückkehren müssten?

BF: Wenn ich wieder nach AFG zurückkehre, werden sie mich töten. Ich gelte dort sicher als Spion der gegen die islamische und afghanische Kultur arbeitet. Ich komme aus dem Ausland zurück.

R: Wenn Sie nach AFG zurückkehren, würden Sie sagen, es ist besser meine Meinung nicht zu sagen, sondern lasse nach außen nicht erkennen, dass ich eine andere Einstellung habe als die anderen?

BF: Niemals. Deswegen bin ich geflüchtet. Obwohl mein Leben in Gefahr war, habe ich meine Meinung nicht geändert. Auch wenn ich zurückgehen würde, würde ich meine Meinung nicht ändern.

R: Wenn Sie jemand fragen würde, in AFG, wie stehst Du zu Frauenrechten?

BF: Ich werde sagen, was die Frauenrechte sagen, die wirklichen Rechte der Frauen, dass sie auch Menschen sind. Zunächst einmal ich will nicht nach AFG, ich werde genauso sprechen, vielleicht noch schlimmer, weil ich in Ö gewohnt habe, andere Leute gesehen und eine andere Welt erlebt habe.

R: Wenn Sie daran denken, Sie müssten nach AFG zurück, man würde von Ihnen erwarten, dass Sie wieder in die Moschee gehen und glauben, dass alles sehr gut ist. Wie würden Sie sich da innerlich fühlen?

BF: Ich werde nicht in die Moschee gehen

R an RV: Haben Sie Fragen an den BF?

RV: Leben Sie nach den Regeln des Islam in Ö?

BF*) Gar nicht.

RV: Halten Sie die Fastenzeit ein? Gehen Sie in die Moschee?

BF*) Nein, ich gehe nicht in die Moschee. Ich wohne seit zwei Jahren bei Frau XXXX . Sie ist wie ein Mama. Ich faste nicht. Ich mag auch Leute, die fasten nicht. Ich trinke viel zu viel Alkohol.

RV: Waren Sie schon einmal in einer katholischen Kirche?

BF*) Zuerst als ich bei XXXX , sie ist auch Kirchen-Chorleiterin und Kinderchorleiterin in dem Ort wo ich wohne. Ich gehe manchmal mit, Gitarre spielen. Ich spiele Gitarre. Wenn etwas in der Kirche ist, helfe ich XXXX . Ich helfe z.B. beim Aufbau des Equipments (Aufbau der Musikinstrumente). Als ich 8 Monate in Ö war, hat Monika mich gefragt, ob ich in den Kirchenchor kommen will. Für mich wäre es schwer, weil ich die Noten nicht kenne, Musik ist in AFG haram. Daher gibt es keine Musiknoten. Es hat ein großes Projekt in Ried in der Kirche gegeben. Sie hat gefragt, ob ich mitsingen will. Wir hatten einmal pro Woche Chorprobe, dann gab es ein tolles Konzert, Mozart-Messe. Das war sogar im Fernsehen. Ich durfte nicht arbeiten. Ich habe bei der CARITAS gefragt, ob ich übersetzen darf. Jetzt übersetze ich von Englisch in Paschtu, Dari oder Urdu. Ein Dolmetsch-Seminar habe ich besucht.

Ich arbeite als Lehrling seit 1.9.2017."

15. Der BF legte in der Verhandlung folgende Dokumente / Kopien von Dokumenten vor:

* Jahreszeugnis der Berufsschule XXXX vom 18.4.2018, 1. Fachklasse für den Lehrberuf "Mechatronik, Hauptmodul Fertigungstechnik" (drei "Sehr gut", drei "Gut", ein "Befriedigend", zwei "Genügend")

* Unterstützungserklärung der Bewohner der Siedlung des Ortes XXXX vom 20.11.2018 (unterzeichnet von fünf Personen namens XXXX , zwei Personen namens XXXX , zwei Personen namens XXXX und einer Person namens XXXX )

* Hubstaplerführerschein vom 28.9.2018

* Ausbildungsbescheinung für Bediener, ausgestellt von IPAF, XXXX , gültig bis 31.7.2023

* WIFI Kursbesuchsbestätigung "Lehre mit Matura Basiskurs Mathematik" vom 24.10.2018

* Empfehlungsschreiben des Lehrherrn GF XXXX , XXXX GmbH, vom 19.11.2018

* DIN A4-Seite "Gespräch mit XXXX über seine Einstellung zur Religion am 27.11.2018 (Mitschrift)", undatiert, ohne Unterschrift

* DIN-A4-Seite "Argumente für XXXX ", Ing. XXXX , 29.10.2018

* DIN-A4-Seite mit vier Kopien von Farbfotos "Facebook-Postings" XXXX , wo Szenen aus Clubbings, Clubatmosphäre mit Band dargestellt sind

* Kopie des afghanischen Studentenausweises der Universität Kabul, laut BF von dessen Bruder XXXX per WhatsApp übermittelt

* DIN-A4-Seite mit zwei Kopien von Farbfotos, auf welchen der BF mit einer Frau umschlungen dargestellt ist und in der Runde von jungen Menschen beiderlei Geschlechts bei alkoholischen Getränken (große Bier)

16. Am 18.12.2018 langte eine Stellungnahme des Rechtsvertreters ein, womit ein Gutachten des Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte vom 4.7.2018 zum Thema "Beschäftigung von Asylsuchenden in Mangelberufen und Zulässigkeit der Rückkehrentscheidungen" übermittelt wurde.

17. Die Abfrage im unbedenklichen Sozialversicherungsdatenauszug am 9.3.2020 ergab, dass der BF in Österreich seit dem 1.9.2017 bis dato ein aufrechtes Dienstverhältnis bei XXXX GmbH hat.

18. Die Abfrage im unbedenklichen Strafregister der Republik Österreich am 9.3.2020 ergab, dass der BF in Österreich unbescholten ist.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Es werden folgende Feststellungen getroffen und dieser Entscheidung zugrunde gelegt:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest.

1.1. Feststellungen zum Beschwerdeführer und zu seinen Fluchtgründen:

1.1.1. Der BF reiste in Umgehung der Grenzkontrollen unrechtmäßig schlepperunterstützt in das Bundesgebiet ein. Die Identität steht mit für das Verfahren ausreichender Sicherheit fest.

1.1.2. Der BF stellte in Österreich im Juni 2016 den Antrag auf internationalen Schutz.

1.1.3. Der BF ist Staatsbürger der Islamischen Republik Afghanistan aus der Volksgruppe der Tadschiken. Der BF ist in Afghanistan geboren. Der BF wurde in einem von islamischen Werten geprägten familiären Umfeld sozialisiert und nach dem Schulbesuch universitär gebildet.

1.1.4. Der BF ist ledig, war in Österreich bereits ehrenamtlich tätig und ist in einem aufrechten Lehrverhältnis.

1.1.5. Der BF gehörte der Glaubensgemeinschaft der Sunniten an.

1.1.6. Der BF spricht Dari auf muttersprachlichem Niveau. In Österreich hat er Deutschkurse belegt. Der BF spricht weitere Fremdsprachen: Englisch, Urdu, Arabisch und Paschto.

1.1.7. Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.1.8. Der BF ist gesund und nicht lebensbedrohlich krank. Er ist erwerbsfähig.

1.1.9. Der BF bestritt in Österreich den Lebensunterhalt zunächst durch die staatliche Grundversorgung. Der BF ist in Österreich in einem Lehrverhältnis befindlich.

1.1.10. Der BF verfügt nicht über Familienangehörige im Bundesgebiet.

Der BF verfügt über Familienangehörige außerhalb Österreichs.

1.1.11. Der BF konnte eine asylrelevante Verfolgung nach der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft machen. Zudem droht dem Beschwerdeführer im Falle einer Verbringung in seinen Herkunftsstaat Afghanistan ein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK).

Der Beschwerdeführer bekannte sich früher zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islams, folgt aber nunmehr keiner Religion (mehr). Er hat sich aus freier persönlicher Überzeugung und von Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit getragen, von seiner (bisherigen) Religion des Islams abgewendet. Er lehnt den konservativen Islam ab und haben für ihn Religion und Glauben keine Bedeutung. Der Beschwerdeführer fastet nicht, er betet nicht, konsumiert alkoholische Getränke und besucht keine Moschee. Weiters entspricht die Moral- und Wertehaltung des BF nicht dem in Afghanistan vorherrschenden traditionell-konservativen Gesellschaftssystem, da er den Umgang des islamischen Werte- und Rechtssystem mit Menschen(rechten) und Frauen(rechten) bereits in Afghanistan kritisch hinterfragte und ablehnt. Die nunmehrige Lebensweise ist zu einem wesentlichen Bestandteil seiner Identität geworden und er kann sich nicht vorstellen, nach der konservativ-afghanischen Tradition zu leben. Es kann ihm nicht zugemutet werden, seine bereits verinnerlichte liberale Weltanschauung zu unterdrücken. Aufgrund seiner säkularisierten Einstellung zu Religion, zu der Stellung der Frau in der Gesellschaft und zu deren Rechte und zu Menschenrechten im Vergleich zum islamischen Recht, besteht für den BF im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan die Gefahr, Opfer ernsthafter psychischer und physischer Gewalt zu werden.

Dem BF droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seiner Wertehaltung und seiner Abwendung vom islamischen Glauben eine Verfolgung aus religiösen und/oder politischen Gründen und würde er entweder aufgrund seiner säkularisierten Haltung als Person, bei der vermutet wird, dass sie gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung regierungsfeindlicher Kräfte verstoßen zu haben, angesehen (Risikogruppe (6) der UNHCR-Richtlinien vom 19.4.2016) oder als vom Islam abgefallene Person.

Vor dem Hintergrund des aktuellen Länderberichts, wonach es im Laufe des Untersuchungsjahres 2018 keine Berichte über staatliche Verfolgungen aufgrund von Apostasie und Blasphemie gab (USDOS 21.6.2019) und es auch im Berichtszeitraum davor keine Berichte zur staatlichen Strafverfolgung von Apostasie und Blasphemie (USDOS 29.5.2018) gab, besteht aufgrund der gegenüber Religion bestehenden Einstellung des BF eher die Gefahr, dass er dem Risikoprofil (6) unterfällt als im Falle der Rückkehr Bedrohung und / oder Verfolgung wegen Apostasie hinnehmen müsste. Vom afghanischen Staat kann er keinen effektiven Schutz erwarten. Es besteht keine innerstaatliche Fluchtalternative.

Aus dem Länderbericht der Staatendokumentation vom 13.11.2019 idgF:

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). [...]

Religionsfreiheit

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 30.4.2019; vgl. AA 2.9.2019). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus (AA 2.9.2019; vgl. CIA 30.4.2019, USDOS 21.6.2019); in Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan (UP 16.8.2019; vgl. BBC 11.4.2019). Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist (USODS 21.6.2019; vgl. AA 9.11.2016). Im Laufe des Untersuchungsjahres 2018 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen aufgrund von Blasphemie oder Apostasie (USDOS 21.6.2019). Auch im Berichtszeitraum davor gab es keine Berichte zur staatlichen Strafverfolgung von Apostasie und Blasphemie (USDOS 29.5.2018).

Relevante ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 35 Millionen Menschen (CIA 30.4.2019; vgl. CSO 2019). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (BFA 7.2016; vgl. CIA 30.4.2019). Schätzungen zufolge, sind: 40 bis 42% Pashtunen, 27 bis 30% Tadschiken, 9 bis 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen. Weiters leben in Afghanistan eine große Zahl an kleinen und kleinsten Völkern und Stämmen, die Sprachen aus unterschiedlichsten Sprachfamilien sprechen (GIZ 4.2019; vgl. CIA 2012, AA 2.9.2019).

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ?Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet" (BFA 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Artikel 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 2.9.2019). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen zu haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 13.3.2019).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert (AA 2.9.2019). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 13.3.2019).

Tadschiken

Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan (MRG o.D.b; vgl. RFERL 9.8.2019) und hat einen deutlichen politischen Einfluss im Land (MRG o.D.b). Sie machen etwa 27 bis 30% der afghanischen Bevölkerung aus (GIZ 4.2019; vgl. CIA 2012). Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan (Provinzen Badakhshan, Takhar, Baghlan, Parwan, Kapisa und Kabul) bilden Tadschiken in weiten Teilen des Landes ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten. In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit (GIZ 4.2019).

Als rein sesshaftes Volk kennen die Tadschiken im Gegensatz zu den Paschtunen keine Stammesorganisation (GIZ 4.2019; vgl. MRG o.D.b). Aus historischer Perspektive identifizierten sich dari-persisch sprechende Personen in Afghanistan nach sehr unterschiedlichen Kriterien, etwa durch das Siedlungsgebiet oder der Herkunftsregion. Dementsprechend nannten sie sich zum Beispiel kaboli (aus Kabul), herati (aus Herat), mazari (aus Mazar-e Scharif), panjsheri (aus Panjsher) oder badakhshi (aus Badakhshan). Sie konnten auch nach ihrer Lebensweise benannt werden. Der Name tajik (Tadschike) bezeichnete ursprünglich traditionell sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession (BFA 7.2016; vgl. GIZ 4.2019, MRG o.D.b). Heute werden unter dem Terminus tajik "Tadschike" fast alle dari/persisch sprechenden Personen Afghanistans, mit Ausnahme der Hazara, zusammengefasst (BFA 7.2016).

Tadschiken dominierten die "Nordallianz", eine politisch-militärische Koalition, welche die Taliban bekämpfte und nach dem Fall der Taliban die international anerkannte Regierung Afghanistans bildete. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien, die dominierendste davon ist die Jamiat-e Islami, vertreten (MRG o.D.b). Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (BI 29.9.2017).

Auszug aus dem Staatendossier AfPAK Grundlagen der Stammes- und Clanstruktur

Tadschiken

In historischer Perspektive identifizierten sich Sprecher des Dari-Persischen nach sehr unterschiedlichen Kriterien. Das konnte ihr Siedlungsgebiet oder ihre Herkunftsregion sein. Dementsprechend nannten sie sich zum Beispiel kaboli (aus Kabul), herati (aus Herat), mazari (aus Mazar-e Scharif), panjsheri (aus Pandschscher) oder badakhshi (aus Badachschan). Sie konnten auch nach ihrer Lebensweise benannt werden. Dann bezeichnete der Name tajik (Tadschike) sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession. Analog standen die Namen aymaq und elat für persischsprachige halbnomadische Stammesgruppen, ebenfalls sunnitischer Konfession. Persischsprecher konnten auch nach ihrer ethnischen Herkunft zusammengefasst und bezeichnet werden, zum Beispiel als hazara, arab (Araber) oder baloch (siehe unten). Diese Namen sind mit den beschriebenen Bedeutungen heute noch üblich. Das Dari-Persische ist ein Merkmal, das alle diese und andere Gruppen vereint. Trotzdem gab es keinen übergreifenden Namen, mit dem all diese Gruppen nach dem Kriterium der Sprache zusammengefasst worden wären. Das Wort parsiwan ?Persischsprecher', das noch vor 20 oder 30 Jahren viel häufiger zu hören war als heute, könnte als ein solcher übergreifender Gruppenname angesehen werden. Tatsächlich wurde dieser Name aber nie auf alle Sprecher des Dari-Persischen angewandt. Heute wird der Terminus tajik ?Tadschike' als eine Kategorie offeriert, unter der fast alle Dari/Persisch-Sprecher Afghanistans zusammengefasst werden. Vor dem Bürgerkrieg wurde dieser Name als Selbstbezeichnung fast nur von Dari-Sprechern in einigen Berggegenden in Nordost-Afghanistan verwendet. Heute benutzen ihn als Selbstbezeichnung auch Dari-Sprecher in Kabul, Mazar-i Scharif oder Ghazni. Mehr noch: Staatliche Behörden verwenden den Name Tadschike in Bezug auf Dari-Sprecher auch in vielen anderen Gegenden. Nur die Dari-sprachigen Bewohner von Herat scheinen noch einige Schwierigkeiten zu haben, sich selbst als Tadschiken anzusehen; aber wenn es darum geht, ihre ethnische Zugehörigkeit in offiziellen Dokumenten festzulegen wie zum Beispiel bei der Beantragung eines Personalausweises, dann lassen sie sich doch darauf ein, als Tadschike zu gelten. Schließlich kennt die verfassungsgemäße Nomenklatur der ethnischen Gruppen keinen Eintrag herati. Gleichermaßen werden andere Dari-sprachige Gruppen wie Aymaq, Araber oder Dari-sprachige Belutschen in Nord-Afghanistan, ja sogar die Sprecher von Pamirsprachen in der Provinz Badachschan heutzutage offiziell oft als Tadschiken registriert. In den ethnisch dominierten politischen Auseinandersetzungen der Gegenwart erscheint eine Gruppe offensichtlich politisch umso einflussreicher, je mehr Angehörige sie aufweisen kann. Deshalb erfährt die ethnische Bezeichnung Tadschike heute eine politische Favorisierung. Wegen der politisch motivierten Inklusion vieler anderer Gruppen lassen sich die Tadschiken als eine ethnische Gruppe in Status Nascendi ansehen. Es scheint, dass die schiitischen Hazara die einzige Dari-sprachige Gruppe darstellen, auf die der Name Tadschike nicht anwendbar ist.

Frauen

Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (MPI 27.1.2004). Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte von Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte (AA 2.9.2019). Nach wie vor gilt Afghanistan als eines der weltweit gefährlichsten Länder für Frauen (REU 26.6.2018; vgl. AF 13.12.2017).

Während sich die Situation der Frauen seit dem Ende der Taliban-Herrschaft insgesamt ein wenig verbessert hat (BFA 4.2018; vgl. AA 2.9.2019), können sie ihre gesetzlichen Rechte innerhalb der konservativ-islamischen, durch Stammestraditionen geprägten afghanischen Gesellschaft oft nur eingeschränkt verwirklichen. Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebenen Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich. Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder aufgrund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Bewegungsfreiheit (AA 2.9.2019).

Seit dem Fall der Taliban wurden jedoch langsam Fortschritte in dieser Hinsicht erreicht, welche hauptsächlich in urbanen Zentren wie z.B. Herat-Stadt zu sehen sind. Das Stadt-Land-Gefälle und die Sicherheitslage sind zwei Faktoren, welche u.a. in Bezug auf Frauenrechte eine wichtige Rolle spielen. Einem leitenden Mitarbeiter einer in Herat tätigen Frauenrechtsorganisation zufolge kann die Lage der Frau innerhalb der Stadt nicht mit den Lebensbedingungen der Bewohnerinnen ländlicher Teile der Provinz verglichen werden. Daher muss die Lage von Frauen in Bezug auf das jeweilige Gebiet betrachtet werden. Die Lage der Frau stellt sich in ländlichen Gegenden, wo regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv sind und die Sicherheitslage volatil ist, anders dar als z.B. in Herat-Stadt (BFA 13.6.2019).

Die afghanische Regierung wird von den Vereinten Nationen (UN) als ehrlicher und engagierter Partner im Kampf gegen Gewalt an Frauen beschrieben (EASO 12.2017; vgl. BFA 4.2018, UNAMA/OHCHR 5.2018), der sich bemüht Gewalt gegen Frauen - beispielsweise Ermordung, Prügel, Verstümmelung, Kinderheirat und weitere schädliche Praktiken - zu kriminalisieren und Maßnahmen zur Rechenschaftspflicht festzulegen (UNAMA/OHCHR 5.2018). Wenngleich die afghanische Regierung Schritte unternommen hat, um das Wohl der Frauen zu verbessern und geschlechtsspezifische Gewalt zu eliminieren, bleibt die Situation für viele Frauen unverändert, speziell in jenen Regionen wo nach wie vor für Frauen nachteilige Traditionen fortbestehen (BFA 4.2018; vgl. UNAMA 24.12.2017).

Seit dem Fall der Taliban wurden mehrere legislative und institutionelle Fortschritte beim Schutz der Frauenrechte erzielt; als Beispiele wurden der bereits erwähnte Artikel 22 in der afghanischen Verfassung (2004) genannt, sowie auch Artikel 83 und 84, die Maßnahmen für die Teilnahme von Frauen im Ober- und Unterhaus des Parlamentes vorsehen (WILFPFA 7.2019). Die afghanische Regierung hat die erste Phase des nationalen Aktionsplans (NAP) zur Umsetzung der UN-Resolution 1325 (aus dem Jahr 2000) des UN-Sicherheitsrates implementiert; dies führte zu einer stärkeren Vertretung von Frauen in öffentlichen Einrichtungen, wie z.B. dem Hohen Friedensrat. Unter anderem hat die afghanische Regierung das nationale Schwerpunktprogramm Women's Economic Empowerment gestartet. Um Gewalt und Diskriminierung gegen Frauen zu bekämpfen, hat die Regierung in Afghanistan die Position eines stellvertretenden Generalstaatsanwalts geschaffen, der für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und Kinder zuständig ist. Es wurden Kommissionen gegen Belästigung in allen Ministerien eingerichtet. Des Weiteren hat der Oberste Gerichtshof eine spezielle Abteilung geschaffen, um Fälle von Gewalt gegen Frauen zu überprüfen. Darüber hinaus waren in mehr als 20 Provinzen Sondergerichte zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen tätig (UNGA 3.4.2019). So hat die afghanische Regierung unter anderem, gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft verschiedene Projekte zur Reduzierung der Geschlechterungleichheit gestartet. Das "Gender Equality Project" der Vereinten Nationen soll die afghanische Regierung bei der Förderung von Geschlechtergleichheit und Selbstermächtigung von Frauen unterstützen (Najimi 2018).

Im Zuge der Friedensverhandlungen (siehe Abschnitt Fehler! Textmarke nicht definiert.) bekannten

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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