Entscheidungsdatum
10.03.2020Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W116 2196743-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Mario DRAGONI als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Staatenlose Palästinenserin, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.04.2018, Zl. 1127799700-170816130, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß Art. 12 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 2011/95/EU, ABl. Nr. L 337 vom 20.12.2011 S. 9, der Status einer Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1.1. Die Beschwerdeführerin, eine staatenlose Palästinenserin und sunnitische Muslimin, stellte nach illegaler Einreise am 12.07.2017 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung gab sie zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass sie aus Angst vor dem Krieg in Syrien geflohen sei und mit ihrem in Österreich lebenden Mann zusammenleben möchte. Sie hätten vor rund zwei Jahren in XXXX geheiratet. Ihr Mann sei damals nicht anwesend gewesen, sie hätten mit Hilfe eines Stellvertreters geheiratet. Bei einer Rückkehr in ihre Heimat hätte sie Angst vor dem Krieg in Syrien und der unsicheren Lage. Ihre Eltern sowie drei Brüder und sechs Schwestern würden nach wie vor in Syrien leben, ein weiterer Bruder in Deutschland und ein Bruder im Bundesgebiet.
Zur Klärung der Identität wurde bei der Beschwerdeführerin ein gültiger syrischer Reisepass für palästinensische Flüchtlinge, ausgestellt vom XXXX am XXXX , sichergestellt.
1.2. Einer im Akt aufliegenden Stellungnahme des BFA gemäß § 35 AsylG 2005 vom 26.01.2017 ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin bei der österreichischen Botschaft in Damaskus einen Einreiseantrag gemäß § 35 AsylG 2005 gestellt und der Antrag sich auf XXXX als Bezugsperson in Österreich bezogen habe. Sie habe vorgebracht, die Ehefrau der Bezugsperson in Österreich zu sein und zum Nachweis ein Gerichtsurteil (ausgestellt am XXXX vom XXXX ) vorgelegt, aus dem hervorgeht, dass sie die Bezugsperson am XXXX traditionell geheiratet habe, diese Heirat gerichtlich anerkannt wurde und die Eheschließung standesamtlich eingetragen sei. Die Bezugsperson sei bei der Gerichtsverhandlung nicht anwesend gewesen. Darüber hinaus habe sie folgende Unterlagen vorgelegt:
- eine syrische Heiratsurkunde, aus der hervorgeht, dass sie die Bezugsperson am XXXX geheiratet habe und die Eheschließung am XXXX standesamtlich registriert worden sei;
- eine syrische Scheidungsurkunde (ausgestellt am XXXX in Damaskus) aus der hervorgeht, dass die Ehe der Bezugsperson mit einer namentlich genannten anderen Frau am XXXX geschieden, und diese Scheidung am XXXX gerichtlich bestätigt und am XXXX standesamtlich registriert worden sei;
- ein Auszug aus dem Familienregister für Palästinenser in Syrien (ausgestellt am XXXX von der syrischen Generalkommission für arabisch-palästinensische Flüchtlinge), aus dem hervorgeht, dass die Beschwerdeführerin und die Bezugsperson unter der Familienkartennummer XXXX registriert seien;
- ein Auszug aus dem Familienregister für Palästinenser in Syrien (ausgestellt am XXXX von der syrischen Generalkommission für arabisch-palästinensische Flüchtlinge), aus dem hervorgeht, dass die Beschwerdeführerin und die Bezugsperson sowie deren erste Ehefrau unter der Familienkartennummer XXXX registriert seien, die erste Ehe jedoch am XXXX geschieden worden sei;
- ein syrisches Familienbuch ( XXXX , ausgestellt am XXXX ), aus dem hervorgeht, dass die Beschwerdeführerin und die Bezugsperson sowie deren erste Ehefrau gemeinsam registriert seien. Bei der ersten Ehefrau finde sich ein handschriftlicher Vermerk, dass die Ehe mit der Bezugsperson am XXXX geschieden worden sei. Auf der Kopie des Familienbuches finde sich wiederum ein handschriftlicher Vermerk, dass die Beschwerdeführerin bei ihrer ersten Vorsprache bei der österreichischen Botschaft in Damaskus eine Heiratsbestätigung vorgelegt habe, auf der die Bezugsperson mit zwei Ehefrauen ausgewiesen worden sei. Die Beschwerdeführerin sei darauf hingewiesen worden, dass Mehrfachehen nach österreichischem Recht nicht zulässig seien. Daraufhin sei die Beschwerdeführerin am Folgetag neuerlich bei der österreichischen Botschaft vorstellig geworden und habe eine neue Heiratsbestätigung vorgelegt, in der sie als alleinige Ehefrau ausgewiesen wurde.
- ein syrisches Reisedokument ( XXXX , ausgestellt am XXXX in Pals-Center);
- einen syrischen Personenstandsregisterauszug (ausgestellt am XXXX von der syrischen Generalkommission für arabisch-palästinensische Flüchtlinge).
Der im gegenständlichen Fall zuständige Dokumentenberater habe massive Zweifel am Vorbringen der Beschwerdeführerin geäußert. Dabei seien zwar nicht die Echtheit der vorgelegten Dokumente bezweifelt worden, aber es bestehe der Verdacht, dass einige davon durch Bestechung erlangt worden seien. Konkret seien die Scheidung der Bezugsperson von seiner ersten Ehefrau und die damit im Zusammenhang stehenden Dokumente nicht nachvollziehbar. Dem würden auch die Aussagen der Bezugsperson in seinem Asylverfahren widersprechen, wobei er immer nur den Namen seiner ersten Ehefrau angegeben und entsprechende Unterlagen vorgelegt habe.
Das BFA ging daher mit entsprechender Begründung davon aus, dass die behauptete Ehe mit der Bezugsperson nicht vorliege, da diese gegen den ordre-public- Grundsatz verstoße (Doppelehe) und die Eigenschaft als Familienangehöriger im Sinn von § 35 AsylG nicht bestehe.
1.3. Am 13.03.2018 wurde die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die arabische Sprache und in Anwesenheit ihres Ehegatten niederschriftlich einvernommen. Dabei gab sie an, dass sie staatenlose Palästinenserin sei. Sie habe in XXXX gelebt und sei unter den Schutz der UNRWA gestanden und habe auch eine UNRWA ID-Karte gehabt; diese sei jedoch bei ihren Eltern. Sie hätten nur Sachleistungen erhalten, manchmal monatlich, manchmal auch alle zwei bis drei Monate. Ihre Familie habe die Leistungen seit Beginn des Krieges durchgehend bezogen. Ob ihre Eltern derzeit noch Leistungen beziehen würden, könne sie nicht angeben. Sie wisse von ihrer Familie derzeit gar nichts. Aufgrund der ständigen Bombardierungen und mangels Empfang könne sie diese nicht erreichen. Auf die Frage, warum sie den Schutz der UNRWA nicht mehr in Anspruch nehme, antwortete sie, dass sie das Land verlassen habe, um mit ihrem Mann zu leben. Außerdem habe es in ihrer Heimat ständig Bombardierungen gegeben. Dort würden Kinder und Zivilisten sterben. Frauen würden verkauft werden und es gebe keine Sicherheit mehr. Auf Hinweis, dass der Wegzug aus einem Einsatzgebiet von UNRWA aus vom Betroffenen nicht zu kontrollierenden und von seinem Willen unabhängigen Gründen erfolgen müsse, die ihn dazu zwingen würden, dieses Gebiet zu verlassen und den von UNRWA gewährten Beistand aufzugeben, erwiderte sie, dass ihr Leben dort in Gefahr gewesen sei und dass es für Frauen keine Sicherheit mehr gebe. Auf Nachfrage nannte sie die Personalien ihres Mannes, das Datum ihrer Eheschließung nach islamischen Recht und gab an, dass dieser bereits den Status eines Asylberechtigten erlangt habe. Zu ihren Familienangehörigen gab sie an, dass ihre Eltern, zwei Brüder und ihre sechs Schwestern nach wie vor in Syrien leben würden. Sie hätten sich in Syrien niemals politisch oder religiös betätigt. Zu ihren Fluchtgründen brachte sie vor, dass in ihrem Stadtteil ständig Leute sterben und Frauen verkauft würden. Darüber hinaus würde es andauernd Bombardierungen geben. Sie selbst sei einmal vom IS (Islamischer Staat) entführt worden bzw. hätte man versucht, sie zu entführen. Das sei vor rund zwei Jahren passiert.
1.4. Ihrem im Bundesgebiet lebenden Ehemann, ebenfalls ein staatenloser Palästinenser, wurde mit Bescheid des BFA vom 03.05.2016 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Zur Ehe mit der Beschwerdeführerin befragt gab er im Wesentlichen an, dass sie im Jahr XXXX geheiratet und dann eine Zeit lang gemeinsam in Damaskus gewohnt hätten. Drei Monate vor seiner Ausreise im XXXX hätten sie gemeinsam in XXXX gewohnt. Seine erste Ehefrau wohne in Damaskus.
2. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl:
2.1. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.04.2018, am 30.04.2018 durch Hinterlegung zugestellt, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde der Beschwerdeführerin der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 25.04.2019 erteilt (Spruchpunkt III.).
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in Syrien, stellte die Identität der Beschwerdeführerin nicht fest und begründete im angefochtenen Bescheid die abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass es der Beschwerdeführerin vor der belangten Behörde letztlich nicht gelungen sei, ein fundiertes und substantiiertes Vorbringen rund um etwaige Fluchtgründe im Herkunftsland darzulegen. Darüber hinaus sei es zu einer Steigerung des Fluchtvorbringens gekommen. Zu ihrem Familienstand habe sie bei der diplomatischen Vertretung (ÖB Beirut) zweimal unterschiedliche Angaben gemacht und ihr Ehegatte habe sowohl bei seiner Erstbefragung, als auch im Rahmen der Einvernahme seine erste Frau als Ehegattin angegeben. Außerdem seien sämtliche Dokumente, die ihre Eheschließung belegen sollen, lange nach der Ausreise ihres Ehegatten aus Syrien abgefasst worden. Sie sei trotz abermaliger Erläuterungen, wonach für die Nachvollziehbarkeit ihres Fluchtgrundes konkretere Angaben nötig seien, auf keine Einzelheiten zum Ablauf der Verfolgung eingegangen, sondern sei kontinuierlich den Fragen ausgewichen oder habe lediglich das bereits Gesagte wiederholt. Und auf Vorhalt der gängigen Rechtsprechung zum UNRWA-Schutz habe sie lediglich lapidar angegeben, dass es keinen Schutz geben würde und dass sie zu ihrem Mann habe wollen. Dem sei entschieden entgegenzutreten, zumal ihr Vater und neun ihrer Geschwister nach wie vor in Syrien leben würden. Sie sei sohin in Syrien keiner konkreten individuellen Verfolgung ausgesetzt gewesen bzw. habe keine asylrelevanten Gründe für das Verlassen ihres Heimatstaates glaubhaft darlegen können. Das Bundesamt würde dabei die prekäre allgemeine Sicherheits- und die schwierige und angespannte Lage im palästinensischen Gebiet keineswegs verkennen, einer diesbezüglichen Sorge sei jedoch mit der Zuerkennung von subsidiärem Schutz ohnehin Rechnung getragen worden.
2.2. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 26.04.2018 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.
2.3. Gegen Spruchpunkt I. des oben genannten Bescheides wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, welche am 28.05.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte. In dieser wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführerin einerseits aus politischen Gründen, aber auch wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, nämlich aufgrund ihrer Herkunft und als Frau, aber auch als staatenlose Palästinenserin eine Verfolgung drohen würde. Sie sei bei UNRWA registriert gewesen sei, habe aber keinen Schutz mehr erhalten können. Als Palästinenserin sei sie im Fadenkreuz des syrischen Regimes, zumal aufgrund der Unterstützung der syrischen Opposition durch Gruppen wie die Hamas eine Art Generalverdacht gegen Palästinenser in Syrien bestehen würde. Wie den auszugsweise angeführten Länderberichten nämlich zu entnehmen sei, würden die syrischen Sicherheitsbehörden ganze Familien politisch missliebiger Personen unter Generalverdacht stellen. Besonders aufgrund bereits bestehender Vorwürfe gegen andere Mitglieder ihrer Familie sei sie gefährdet. Außerdem würde sie auch eine geschlechtsspezifische Verfolgung befürchten. Sie wäre in Syrien nicht nur massiven Einschnitten in ihre fundamentalen Menschenrechte ausgesetzt, sondern müsste auch mit der ständigen, realistischen Angst vor Folter, Ermordung und sexualisierter Gewalt, sowohl durch die Islamisten, wie auch durch Angehörige der syrischen Streitkräfte rechnen. Weiters hätte auch eine Asylrelevanz in der mangelnden Schutzfähigkeit der syrischen Behörden erkannt werden müssen, da durch den fortschreitenden Verfall staatlicher Strukturen eine derartige Verfolgungsgefahr auch in Hinblick auf eine Verfolgung durch Private zu erkennen gewesen wäre. Nach der ständigen Judikatur würde nämlich auch einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung Asylrelevanz zukommen, wenn der Staat nicht gewillt oder in der Lage sei, diese zu unterbinden. Eine asylrelevante Verfolgungsgefahr hätte ferner aus dem Machtzuwachs diverser radikalislamistischer Rebellengruppierungen erkannt werden müssen, insbesondere da die Beschwerdeführerin schon alleine durch ihre Flucht ins Ausland von sämtlichen Konfliktparteien als Verräterin angesehen würde. Schließlich sei sie ein palästinensischer Flüchtling, der in Syrien unter dem Schutz des UNRWA gestanden habe. Dieser Schutz habe ihr jedoch nicht mehr gewährt werden können, da aufgrund des Bürgerkriegs eine angemessene Unterstützung und ein Schutz nicht mehr möglich und ihre persönliche Situation besonders prekär gewesen sei. Schon aus diesem Grund hätte ihr Asyl gewährt werden müssen. Außerdem seien die deutschen Verwaltungsgerichte mittlerweile zurecht zur Ansicht gelangt, dass syrischen Flüchtlingen schon alleine durch ihre Flucht und einen längeren Aufenthalt im Ausland vom syrischen Regime eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde und sie im Falle einer Rückkehr in asylrelevanter Weise bedroht würden. Auch wenn die auszugsweise zitierte deutsche Judikatur nicht bindend sei, sei die dortige Argumentation durchaus stichhaltig und basiere auf denselben Länderberichten, wie die Entscheidungen österreichischer Behörden und Gerichte zur Anerkennung syrischer Flüchtlinge. Ihr Vorbringen würde der Wahrheit entsprechen, sei glaubwürdig, gründlich substantiiert, in sich konsistent und durch die Länderberichte belegt. Es drohe ihr in ihrer Heimat eine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention.
2.4. Mit Schreiben vom 27.09.2018 wurde seitens des rechtsfreundlichen Vertreters der Beschwerdeführerin im Rahmen einer Urkundenvorlage jeweils eine Kopie des positiven Asylbescheides ihres Ehegatten, ihrer Heiratsurkunde, der österreichischen Geburtsurkunde und der Aufenthaltsberechtigungskarte ihrer Tochter und der Urkunde über die Eintragung der Eheschließung vorgelegt.
3. Das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht:
Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 30.05.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Entscheidungswesentlicher Sachverhalt:
Auf Grundlage des Antrages auf internationalen Schutz vom 12.07.2017, der Einvernahmen der Beschwerdeführerin durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, sowie der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin:
Die Beschwerdeführerin stammt aus XXXX in Syrien, ist staatenlose Palästinenserin und bekennt sich zum sunnitischen Islam. Ihre Identität steht fest. Sie war in Syrien als palästinensischer Flüchtling anerkannt und bei UNRWA registriert. Sie ist in Österreich unbescholten. Festgestellt wird, dass die Heimatgegend der Beschwerdeführerin unter der Kontrolle der syrischen Armee steht.
Sie hat im XXXX Syrien illegal in Richtung Türkei verlassen und ist nach einem mehrwöchigen Aufenthalt nach Griechenland weitergereist, wo sie sich mehrere Monate aufgehalten hat. Danach ist sie über unbekannte Länder illegal nach Österreich gereist und hat am 12.07.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat.
Sie hat ihre Heimat in erster Linie wegen der dort herrschenden Bürgerkriegssituation und den damit für sie verbundenen Gefahren verlassen und aus diesen Gründen vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auch bereits subsidiären Schutz erhalten. Darüber hinaus wollte sie mit ihrem bereits im Bundesgebiet aufhältigen Mann, den sie in seiner Abwesenheit mit Hilfe eines Stellvertreters geheiratet hat, zusammenleben. Ein Familienverfahren nach §°34 AsylG 2005 liegt schon allein wegen der von der österreichischen Rechtsordnung nicht anerkannten Stellvertreterhochzeit nicht vor.
Ihre Eltern, zwei Brüder und sechs Schwestern leben noch in der Heimat. Ein Bruder lebt als anerkannter Flüchtling im Bundesgebiet. Die Beschwerdeführerin hat am 02.08.2018 im Bundesgebiet eine Tochter zur Welt gebracht.
Die Beschwerdeführerin ist strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:
"Politische Lage
Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat (USDOS 13.3.2019). Die Verfassungsreform von 2012 lockerte die Regelungen bezüglich der politischen Partizipation anderer Parteien. In der Praxis unterhält die Regierung jedoch noch immer einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat zur Überwachung von Oppositionsbewegungen, die sich zu ernstzunehmenden Konkurrenten zur Regierung Assads entwickeln könnten (FH 1.2018).
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Baath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weit verbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 10.8.2016).
Es gibt weiterhin Landesteile, in denen die syrische Regierung effektiv keine Kontrolle ausübt. Diese werden entweder durch Teile der Opposition, kurdische Einheiten, ausländische Staaten oder auch durch terroristische Gruppierungen kontrolliert (AA 13.11.2018; vgl. MPG 2018).
Am 13.4.2016 fanden in Syrien Parlamentswahlen statt. Das Parlament wird im Vier-Jahres-Rhythmus gewählt, und so waren dies bereits die zweiten Parlamentswahlen, welche in Kriegszeiten stattfanden (Reuters 13.4.2016; vgl. France24 17.4.2017). Die in Syrien regierende Baath-Partei gewann gemeinsam mit ihren Verbündeten unter dem Namen der Koalition der "Nationalen Einheit" 200 der 250 Parlamentssitze. Die syrische Opposition bezeichnete auch diese Wahl, welche erneut nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten stattfand, als "Farce". Die Vereinten Nationen gaben an, die Wahl nicht anzuerkennen (France24 17.4.2016).
Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte (SHRC 24.1.2019). Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position. Seit der Machtergreifung Assads haben weder Vater noch Sohn politische Opposition geduldet. Jegliche Versuche eine politische Alternative zu schaffen wurden sofort unterbunden, auch mit Gewalt (USCIRF 26.4.2017). 2014 wurden Präsidentschaftswahlen abgehalten, welche zur Wiederwahl von Präsident Assad führten (USDOS 13.3.2019), wodurch dieser für weitere 7 Jahre im Amt bestätigt wurde (WKO 11.2018). Die Präsidentschaftswahl wurde nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten abgehalten. Sie wurde von der EU und den USA als undemokratisch kritisiert, die syrische Opposition sprach von einer "Farce" (Haaretz 4.6.2014).
Mitte September 2018 wurden in den von der syrischen Regierung kontrollierten Gebieten zum ersten Mal seit 2011 wieder Kommunalwahlen abgehalten (IFK 10.2018; vgl. WKO 11.2018). Der Sieg von Assads Baath Partei galt als wenig überraschend. Geflohene und IDPs waren von der Wahl ausgeschlossen (WKO 11.2018).
Mit russischer und iranischer Unterstützung hat die syrische Regierung mittlerweile wieder große Landesteile von bewaffneten oppositionellen Gruppierungen zurückerobert. Trotz der großen Gebietsgewinne durch das Regime besteht die Fragmentierung des Landes in Gebiete, in denen die territoriale Kontrolle von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt wird, weiter fort (AA 13.11.2018).
Die Provinz Idlib im Norden Syriens an der Grenze zur Türkei wird derzeit noch von diversen Rebellengruppierungen kontrolliert (MPG 2018). Im Norden bzw. Nordosten Syriens gibt es Gebiete, welche unter kurdischer Kontrolle stehen (SWP 7.2018). Die Partei der Demokratischen Union (PYD) ist die politisch und militärisch stärkste Kraft der syrischen Kurden. Sie gilt als syrischer Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) (KAS 4.12.2018b). 2011 soll es zu einem Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der PKK, deren Mitglieder die PYD gründeten, gekommen sein. Die PYD, ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), hielt die kurdische Bevölkerung in den Anfängen des Konfliktes davon ab, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine "zweite Front" in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Baath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrin, Ain al-Arab (Kobane) und die Jazira von PYD und YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (BFA 8.2017). Im März 2016 wurde in dem Gebiet, das zuvor unter dem Namen "Rojava" bekannt war, die Democratic Federation of Northern Syria ausgerufen, die sich über Teile der Provinzen Hassakah, Raqqa und Aleppo und auch über Afrin erstreckte (SWP 7.2018; vgl. KAS 4.12.2018b). Afrin im Nordwesten Syriens ist territorial nicht mit den beiden anderen Kantonen Jazira und Kobane verbunden und steht seit März 2018 unter türkischer Besatzung (KAS 4.12.2018b; vgl. MPG 2018).
Die syrischen Kurden unter Führung der PYD beanspruchen in den Selbstverwaltungskantonen ein Gesellschaftsprojekt aufzubauen, das nicht von islamistischen, sondern von basisdemokratischen Ideen, von Geschlechtergerechtigkeit, Ökologie und Inklusion von Minderheiten geleitet ist. Während Befürworter das syrisch-kurdische Gesellschaftsprojekt als Chance für eine künftige demokratische Struktur Syriens sehen, betrachten Kritiker es als realitätsfremd und autoritär. Das Ziel der PYD ist nicht die Gründung eines kurdischen Staates in Syrien, sondern die Autonomie der kurdischen Kantone als Bestandteil eines neuen, demokratischen und dezentralen Syrien (KAS 4.12.2018a). Die PYD hat sich in den kurdisch kontrollierten Gebieten als die mächtigste politische Partei im sogenannten Kurdischen Nationalrat etabliert, ähnlich der hegemonialen Rolle der Baath-Partei in der Nationalen Front (BS 2018). Ihr militärischer Arm, die YPG sind zudem die dominierende Kraft innerhalb des von den USA unterstützten Militärbündnisses Syrian Democratic Forces (SDF). Der Krieg gegen den IS forderte zahlreiche Opfer und löste eine Flüchtlingswelle in die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete aus. Die syrischen Kurden stehen zwischen mehreren Fronten und können sich auf keinen stabilen strategischen Partner verlassen. Diese schwierige Situation führt auch dazu, dass die Kurden wieder vermehrt das Gespräch mit der syrischen Zentralregierung suchen (KAS 4.12.2018b).
Die syrische Regierung erkennt die kurdische Enklave oder Wahlen, die in diesem Gebiet durchgeführt werden, nicht an (USDOS 13.3.2019). Die zwischen der Kurdischen Selbstverwaltung (dominiert von der PYD) und Vertretern der syrischen Regierung im Sommer 2018 und Anfang 2019 geführten Gespräche brachten auf Grund unvereinbarer Positionen betreffend die Einräumung einer (verfassungsgemäß festzuschreibenden) Autonomie, insbesondere für die kurdisch kontrollierten Gebiete sowie hinsichtlich der Eingliederung/Kontrolle der SDF, keine Ergebnisse (ÖB 7.2019). Im Zuge einer türkischen Militäroffensive, die im Oktober 2019 gestartet wurde, kam es jedoch zu einer Einigung zwischen beiden Seiten, da die kurdischen Sicherheitskräfte die syrische Zentralregierung um Unterstützung in der Verteidigung der kurdisch kontrollierten Gebiete baten. Die syrische Regierung ist daraufhin in mehrere Grenzstädte eingerückt (DS 15.10.2019).
Quellen:
- AA - Deutsches Auswärtiges Amt (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598_1542722823_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-syrien-stand-november-2018-13-11-2018.pdf, Zugriff 10.12.2018
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report - Syria, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Syria.pdf, Zugriff 12.12.2018
- BFA - Eva Savelsberg: Der Aufstieg der kurdischen PYD im syrischen Bürgerkrieg (2011 bis 2017) in BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 13.12.2018
- DS - Der Standard (15.10.2019): "Schmerzhafter Kompromiss" für Kurden in Nordsyrien, USA verhängen Sanktionen, https://www.derstandard.at/story/2000109839161/erdogan-kuendigt-ausweitung-der-offensive-in-syrien-an, Zugriff 16.10.2019
- DSO - Der Spiegel Online (10.8.2016): Die Fakten zum Krieg in Syrien, https://www.spiegel.de/politik/ausland/krieg-in-syrien-alle-wichtigen-fakten-erklaert-endlich-verstaendlich-a-1057039.html#sponfakt=1, Zugriff 9.4.2019
- FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Syria, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/syria, Zugriff 10.12.2018
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- Haaretz (4.6.2014): Landslide Win for Assad in Syria's Presidential Elections, http://www.haaretz.com/middle-east-news/1.597052, Zugriff 10.12.2018
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- WKO - Wirtschaftskammer Österreich - Außenwirtschaftscenter Amman (11.2018): Außenwirtschaft: Update Syrien, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/syrien-wirtschaftsbericht.pdf, Zugriff 1.3.2019
Sicherheitslage
Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention des Iran in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018a). Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die syrische Regierung ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der "wichtigsten" Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer lebt (Reuters 13.4.2016).
Am Beginn des Jahres 2019 sind noch drei größere Gebiete außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung: die Provinz Idlib und angrenzende Gebiete im Westen der Provinz Aleppo und Norden der Provinz Hama; die Gebiete im Norden und Osten Syriens, die unter Kontrolle der kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) stehen; außerdem die Konfliktschutzzone (de-confliction zone) bei Tanf in Homs bzw. in der Nähe des Rukban Flüchtlingslagers (UNHRC 31.1.2019).
Trotz weitreichender militärischer Erfolge des syrischen Regimes und seiner Unterstützer sind Teile Syriens noch immer von Kampfhandlungen betroffen, allen voran die Provinzen Idlib, Teile Aleppos, Raqqas und Deir ez-Zours (AA 13.11.2018).
Laut UNMAS (United Nations Mine Action Service) sind 43% der besiedelten Gebiete Syriens mit Mienen und Fundmunition kontaminiert (AA 13.11.2018). Es kommt immer wieder zu Zwischenfällen mit derartigen Hinterlassenschaften des bewaffneten Konfliktes zum Beispiel im Osten der Stadt Aleppo, Ost-Ghouta und im Osten Hamas (DIS/DRC 2.2019).
Der sogenannte Islamische Staat (IS) kontrollierte im Sommer 2014 große Teile Syriens und des Irak (FAZ 10.3.2019). Ende März 2019 wurde mit Baghuz die letzte Bastion des IS von den oppositionellen "Syrian Democratic Forces" erobert. Der IS ist zwar zerschlagen, verfügt aber noch immer über militärische Einheiten, die sich in den Wüstengebieten Syriens und des Irak versteckt halten (DZO 24.3.2019). Schläferzellen des IS sind sowohl im Irak als auch in Syrien weiterhin aktiv (FAZ 10.3.2019). Gegenwärtig sollen im Untergrund mehr als 20.000 IS-Kämpfer auf eine Gelegenheit zur Rückkehr warten (FAZ 22.3.2019).
US-Präsident Donald Trump kündigte im Dezember 2018 an, alle 2.000 US-Soldaten aus Syrien abziehen zu wollen (Qantara 28.2.2019). Nachdem Trump Anfang Oktober 2019 erneut ankündigte, die US-amerikanischen Truppen aus der syrisch-türkischen Grenzregion abzuziehen, startete die Türkei am 9. Oktober 2019 eine Luft- und Bodenoffensive im Nordosten Syriens (CNN 11.10.2019). Durch den Abzug der US-Streitkräfte aus Nordsyrien und die türkische Offensive und damit einhergehende Schwächung der kurdischen Sicherheitskräfte wird ein Wiedererstarken des IS befürchtet (DS 13.10.2019, DS 17.10.2019).
Die NGO Syrian Network for Human Rights (SNHR) versucht die Zahlen ziviler Todesopfer zu erfassen, für die einzelnen Monate des Jahres 2018 finden sich deren Daten in der unten befindlichen Grafik. Getötete Kämpfer werden in dem Bericht nicht berücksichtigt. Betont wird außerdem, dass die Organisation in vielen Fällen Vorkommnisse nicht dokumentieren konnte, besonders im Fall von "Massakern", bei denen Städte und Dörfer komplett abgeriegelt wurden. Die hohe Zahl solcher Berichte lässt darauf schließen, dass die eigentlichen Zahlen ziviler Opfer weit höher als die unten angegebenen sind (SNHR 1.1.2019).Die türkischen Militäroperationen
Seit August 2016 ist die Türkei im Rahmen der "Operation Euphrates Shield" in Syrien aktiv. Die Operation wurde gestartet, um sowohl gegen den IS als auch gegen die kurdischen Einheiten, die entlang der syrisch-türkischen Grenze aktiv sind, vorzugehen. Seitdem haben türkische Einheiten mit verbündeten syrischen Einheiten, die hauptsächlich aus gegenüber dem syrischen Regime oppositionell eingestellten Arabern und Turkmenen bestehen, den IS bekämpft. Es gab jedoch auch Zusammenstöße mit kurdisch geführten Einheiten. Im März 2017 wurde Operation Euphrates Shield für erfolgreich beendet erklärt, es wurden jedoch keine Informationen bekannt gegeben, wann oder ob die türkischen Einheiten sich zurückziehen würden. Im Oktober 2017 gab der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan eine neue Operation in der syrischen Provinz Idlib bekannt, deren Ziel es ist die Ausbreitung von kurdischen und al-Qaida-Einheiten entlang der türkischen Grenze zu verhindern (CRS 13.10.2017 und BBC News 13.10.2017).
Der türkische Präsident Erdogan verschärfte Ende Dezember 2017 seinen Ton gegenüber dem syrischen Präsidenten. Die Türkei forderte lange, dass Assad nicht an der Macht bleiben dürfe, konzentrierte sich aktuell aber mehr auf die Bedrohung durch bewaffnete Islamisten und die kurdischen Kämpfer, die sie als mit der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verbündet sieht. Trotz der Differenzen mit Russland und dem Iran hat die Türkei mit den beiden Staaten an einer politischen Lösung für Syrien gearbeitet. Nun nannte Erdogan Assad einen Terroristen und sagte, dass der Friedensprozess in Syrien nicht mit Assad an der Macht fortgesetzt werden könnte (Reuters 27.12.2017). Im Januar 2018 drohte der türkische Präsident mit einer Militäroperation in Afrin, einem der drei selbsternannten autonomen Kantone unter der Kontrolle kurdischer Einheiten und deren Verbündeten. Die kurdischen und türkischen Einheiten haben einander des gegenseitigen Beschusses beschuldigt (DS 17.1.2018; vgl. ISW 16.1.2018). Wenig später, am 20.1.2018 begann eine Offensive der Türkei gegen die kurdisch kontrollierte Stadt Afrin. Erdogan kündigte außerdem an, auch Manbij angreifen zu wollen (Standard 20.1.2018; vgl. Zeit 23.1.2018). Die "Operation Olivenzweig" begann mit Artillerie- und Luftangriffen auf Stellungen der YPG in der Region Afrin, denen eine Bodenoffensive folgte (Presse 24.1.2018). Als Motiv für den türkischen Einmarsch im Grenzgebiet haben mehrere arabische Medien die lang erklärte Absicht Ankaras herausgestrichen, eine etwa 30 Kilometer tiefe Sicherheitszone einzurichten und dort bis zu 3,5 Millionen syrische Flüchtlinge anzusiedeln (Standard 22.1.2018).
- AA - Deutsches Auswärtiges Amt (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598_1542722823_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-syrien-stand-november-2018-13-11-2018.pdf, Zugriff 10.12.2018
- CNN (11.10.2019): Everything you need to know about Turkey's military offensive in Syria, https://edition.cnn.com/2019/10/07/middleeast/six-questions-syria-us-intl/index.html, Zugriff 15.10.2019
- DIS/DRC - Danish Immigration Service / Danish Refugee Council (2.2019): Security Situation in Damascus Province and Issues Regarding Return to Syria, https://nyidanmark.dk/-/media/Files/US/Landerapporter/Syrien_FFM_rapport_2019_Final_31012019.pdf?la=da&hash=A4D0089B4FB64FC6E812AF6240757FC0097849AC, Zugriff 27.2.2019
- DS - Der Standard (13.10.2019): Hunderte IS-Angehörige aus Lager im Norden Syriens geflohen, https://www.derstandard.at/story/2000109807141/usa-werfen-tuerkischer-armee-beschuss-von-us-truppen-in-syrien, Zugriff 16.10.2019
- DS - Der Standard (17.10.2019): USA zerstören nach Nordsyrien-Abzug Waffenlager in Zementfabrik aus der Luft, https://www.derstandard.at/story/2000110026710/usa-zerstoeren-nach-abzug-waffenlager-in-zementfabrik-aus-der-luft, Zugriff 18.10.2019
- DZO - Die Zeit Online (24.3.2019): Kurden warnen vor Wiederaufstieg des IS, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-03/syrien-islamischer-staat-terrormiliz-kalifat-wiederaufstieg, Zugriff 25.3.2019
- FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (10.3.2019): Die letzte Schlacht gegen den "Islamischen Staat" hat begonnen, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/kurden-beginnen-angriff-auf-letzte-is-bastion-in-syrien-16082097.html, Zugriff 12.3.2019
- FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (22.3.2019): Sieg über Terrormiliz : Warum der IS weiter gefährlich bleibt, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/warum-der-is-weiter-gefaehrlich-bleibt-16103411.html, Zugriff 25.3.2019
- FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (23.3.2019): IS-Führer Al-Bagdadi bleibt verschwunden, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-03/irak-islamischer-staat-abu-bakr-al-bagdadi, Zugriff 25.3.2019
- ISW - Institute for the Study of War (25.7.2019): Syria Situation Report: July 10 - 23, 2019, http://www.understandingwar.org/backgrounder/syria-situation-report-0, Zugriff 4.9.2019
- KAS - Konrad Adenauer Stiftung [Nils Wörmer] (4.12.2018a): Assads afghanische Söldner, https://www.kas.de/web/die-politische-meinung/artikel/detail/-/content/assads-afghanische-soldner, Zugriff 15.1.2019
- Liveuamap - Live Universal Awareness Map (16.10.2019): Map of Syrian Civil War, https://syria.liveuamap.com/en/time/16.10.2019, Zugriff 17.10.2019
- Qantara (28.2.2019): Das Ende des "Islamischen Staates" - Neues Kapitel im Syrien-Konflikt, https://de.qantara.de/inhalt/das-ende-des-islamischen-staats-neues-kapitel-im-syrien-konflikt, Zugriff 12.3.2019
- Reuters (13.4.2016): Assad holds parliamentary election as Syrian peace talks resume, http://https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-syria-idUSKCN0XA2C5, Zugriff 10.12.2018
- SNHR - Syrian Network for Human Rights (1.1.2019): Documenting the Death of 6,964 Civilians in Syria in 2018, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Documenting_the_Death_of_6964_Civilians_in_Syria_in_2018_en.pdf, Zugriff 13.3.2019
- SNHR - Syrian Network for Human Rights (1.9.2019): 267 Civilians, Including One Media Worker and Five Medical and Civil Defense Personnel, Documented Killed in Syria in August 2019, http://sn4hr.org/wp-content/pdf/english/267_civilians_were_killed_in_Syria_in_August_2019_en.pdf, Zugriff 4.9.2019
- UNHRC - United Nations Human Rights Council (31.1.2019): Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic [A/HRC/40/70], https://www.ohchr.org/Documents/HRBodies/HRCouncil/CoISyria/A_HRC_40_70.pdf, Zugriff 11.3.2019-
Versöhnungsabkommen
Die sogenannten Versöhnungsabkommen sind Vereinbarungen, die ein Gebiet, das zuvor unter der Kontrolle einer oppositionellen Gruppierung stand, offiziell wieder unter die Kontrolle des Regimes bringen (BFA 8.2017). Der Abschluss der sogenannten "Reconciliation Agreements" folgt in der Regel einem Muster, das mit realer Versöhnung wenig gemeinsam hat (ÖB 7.2019). Die Regierung bietet, meist nach schwerem Beschuss oder Belagerung, ein Versöhnungsabkommen an, das an verschiedene Bedingungen geknüpft ist. Diese Bedingungen unterscheiden sich von Abkommen zu Abkommen (BFA 8.2017). Zivilisten bzw. Kämpfer können in den Gebieten bleiben oder jene, die sich nicht den Bedingungen der Vereinbarung unterwerfen wollen, können mit ihren Familien nach Idlib oder in andere von der Opposition kontrollierte Gebiete evakuiert werden (FIS 14.12.2018). Die übrigen Personen können 6 Monate lang eine Amnestie nutzen und können sich in dieser Zeit stellen, um den Militärdienst abzuleisten (AA 13.11.2018, FIS 14.12.2018). Die Wehrpflicht war bisher meist ein zentraler Bestandteil der Versöhnungsabkommen (AA 13.11.2018). Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt werden, sondern stattdessen bei der örtlichen Polizei eingesetzt werden, oder dass sich Personen verpflichten müssen, der Regierung z.B. für Spionage zur Verfügung zu stehen (BFA 8.2017).
Im Rahmen von Versöhnungsvereinbarungen gemachte Garantien der Regierung, gegenüber Individuen oder Gemeinschaften, werden jedoch nicht eingehalten (EIP 6.2019; vgl. AA 13.11.2018, FIS 14.12.2018). Glaubhafte Berichte von Organisationen aus zuletzt zurückeroberten Gebieten wie Dara'a im südlichen Syrien und Ost-Ghouta nahe Damaskus sprechen von Verhaftungen sowie Zwangsrekrutierungen ehemaliger Oppositionskämpfer binnen kurzer Zeit (AA 13.11.2018; vgl. ÖB 7.2019). Berichten zufolge sind Personen in Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien oft zurückhaltend über die Situation in diesen Gebieten zu berichten (USDOS 13.3.2019).
Quellen:
- AA - Deutsches Auswärtiges Amt (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598_1542722823_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-syrien-stand-november-2018-13-11-2018.pdf, Zugriff 10.12.2018
- BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 13.12.2018
- EIP - European Institute of Peace (6.2019): Refugee return in Syria: Dangers, security risks and information scarcity, https://www.fln.dk/-/media/FLN/Materiale/Baggrundsmateriale/2019/06/19/07/03/Syri1040.pdf, Zugriff 4.7.2019
- FIS - Finnish Immigration Service (14.12.2018): Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Syria_Fact-finding+mission+to+Beirut+and+Damascus%2C+April+2018.pdf, Zugriff 1.2.2019
- ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus (7.2019): Asylländerbericht Syrien 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2014213/SYRI_ÖB+Bericht_2019_07.pdf, Zugriff 19.8.2019
- USDOS - United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2004226.html, Zugriff 19.3.2019-
Südsyrien
Mit 19. Juni 2018 startete die syrische Regierung eine Offensive zur Rückeroberung der Provinzen Quneitra und Dara'a im Süden Syriens. In der Provinzhauptstadt Dara'a waren 2011 die ersten Proteste gegen das Assad-Regime ausgebrochen. Im Juli 2017 wurde dort eine sogenannte Deeskalationszone eingerichtet (DS 5.7.2018). Die beiden Provinzen wurden durch die Regierung zurückerobert und Ende Juli 2018 wurden auch die letzten Dörfer, die sich noch unter Kontrolle einer mit dem sogenannten Islamischen Staat (IS) in Verbindung stehenden Gruppierung befanden, erobert. Die meisten dieser Städte und Dörfer kapitulierten unter sogenannten Versöhnungsabkommen, wobei Kämpfern und Zivilisten die Möglichkeit gegeben wurde, in von oppositionellen Gruppen kontrollierte Gebiete im Norden Syriens zu ziehen (TG 31.7.2018). In al-Suweida im Süden Syriens wurde im Juli 2018 ein Terroranschlag durch den IS verübt, bei dem fast 250 Menschen getötet wurden, die meisten von ihnen Drusen (ORF 31.7.2018). Daraufhin starteten regierungstreue Milizen eine erneute Offensive, um den IS aus der Gegend zu vertreiben. Durch Siege und Evakuierungen konnten die regierungstreuen Einheiten ihre Kontrolle festigen (UNHRC 31.1.2019). Insbesondere in der Region Dara'a kommt es immer wieder zu lokal begrenzten Auseinandersetzungen zwischen der syrischen Armee und Angehörigen von Rebellengruppen, mit denen "Versöhnungsabkommen" geschlossen wurden. Auch der IS ist in der Region aktiv; Ende Juli kam es zu einem Selbstmordanschlag auf eine Einheit der syrischen Armee, der mehrere Tote forderte (ÖB 7.2019).
In Dara'a kam es außerdem einer internationalen Sicherheitsorganisation zufolge zu zahlreichen zivilen Opfern durch Blindgänger, daher führen dort Einheiten der syrischen Regierung Entminungen durch (DIS/DRC 2.2019).
Mit der Rückeroberung der Gebiete in Südsyrien erlangte die syrische Regierung außerdem die Kontrolle über die syrisch-jordanische Grenze zurück (ISW 15.7.2018).
Quellen:
- DIS/DRC - Danish Immigration Service / Danish Refugee Council (2.2019): Security Situation in Damascus Province and Issues Regarding Return to Syria, https://nyidanmark.dk/-/media/Files/US/Landerapporter/Syrien_FFM_rapport_2019_Final_31012019.pdf?la=da&hash=A4D0089B4FB64FC6E812AF6240757FC0097849AC, Zugriff 27.2.2019
- DS - Der Standard [Harrer, Gudrun] (5.7.2018): Assad wird wieder zum Nachbar Israels, https://derstandard.at/2000082904700/Assad-wird-wieder-zum-Nachbarn-Israels, Zugriff 7.3.2019
- ISW - Institute for the Study of War (15.7.2018): Syria Situation Report: June 29 - July 12, 2018, http://iswresearch.blogspot.com/2018/07/syria-situation-report-june-29-july-12.html, Zugriff 7.3.2019
- ORF - Österreichischer Rundfunk (31.7.2018): Syrische Drusen zwischen den Fronten, https://religion.orf.at/stories/2927453/, Zugriff 11.3.2019
- ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus (7.2019): Asylländerbericht Syrien 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2014213/SYRI_ÖB+Bericht_2019_07.pdf, Zugriff 19.8.2019
- TG - The Guardian (31.7.2018): Syrian government forces seal victory in southern territories, https://www.theguardian.com/world/2018/jul/31/syrian-government-forces-seal-victory-in-southern-territories, Zugriff 7.3.2019
- UNHRC - United Nations Human Rights Council (31.1.2019): Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic [A/HRC/40/70], https://www.ohchr.org/Documents/HRBodies/HRCouncil/CoISyria/A_HRC_40_70.pdf, Zugriff 11.3.2019
Allgemeine Menschenrechtslage
Schätzungen besagen, dass etwa eine halbe Million Menschen im syrischen Bürgerkrieg getötet wurden (BS 2018).
Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Ein Dekret von 2011 erlaubt die Bildung anderer politischer Parteien, jedoch nicht auf Basis von Religion, Stammeszugehörigkeit oder regionalen Interessen. Die Regierung erlaubt nur regierungsnahen Gruppen offizielle Parteien zu gründen und zeigt wenig Toleranz gegenüber anderen politischen Parteien, auch jenen, die mit ihr verbündet sind. Parteien wie das Communist Union Movement, die Communist Action Party und die Arab Social Union werden schikaniert. Gesetze, welche die Mitgliedschaft in illegalen Organisationen verbieten, wurden auch verwendet um Hunderte Mitglieder von Menschenrechts- und Studentenorganisationen zu verhaften. Es gibt auch zahlreiche Berichte zu anderen Formen der Belästigung von Menschenrechtsaktivisten, Oppositionellen oder Personen, die als oppositionell wahrgenommen werden, von Reiseverboten, Enteignung und Überwachung bis hin zu willkürlichen Festnahmen, "Verschwindenlassen" und Folter (USDOS 13.3.2019).
Es sind zahllose Fälle bekannt, bei denen Personen für als regierungsfeindlich angesehene Tätigkeiten ihrer Verwandten inhaftiert und gefoltert werden, darunter sollen auch Fälle sein, bei denen die gesuchten Personen ins Ausland geflüchtet sind (AA 13.11.2018). Frauen mit familiären Verbindungen zu Oppositionskämpfern werden z.B. als Vergeltung oder zur Informationsgewinnung festgenommen. Außerdem werden Personen festgenommen, die Kontakte zu Verwandten oder Freunden unterhalten, die in oppositionell kontrollierten Gebieten leben (UNHRC 31.1.2019).
Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind keine Neuerung der letzten Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits zuvor gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien (SHRC 24.1.2019).
Russland, der Iran und die Türkei haben im Zusammenhang mit den Astana-Verhandlungen wiederholt zugesagt, sich um die Missstände bezüglich willkürlicher Verhaftungen und Verschwindenlassen zu kümmern. Im Dezember 2017 gründeten sie eine Arbeitsgruppe zu Inhaftierungen und Entführungen im syrischen Konflikt, es waren bisher jedoch nur geringe Fortschritte zu verzeichnen (HRW 17.1.2019).
Weitere schwere Menschenrechtsverletzungen, derer das Regime und seine Verbündeten beschuldigt werden, sind willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten, darunter auch der Einsatz von chemischen Waffen; Massaker und Vergewaltigungen als Kriegstaktik; Einsatz von Kindersoldaten sowie übermäßige Einschränkungen der Bewegungs-, Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit, inklusive Zensur. Die Regierung überwacht die Kommunikation im Internet, inklusive E-Mails, greift in Internet- und Telefondienste ein und blockiert diese. Die Regierung setzt ausgereifte Technologien und Hunderte von Computerspezialisten für Überwachungszwecke ein (USDOS 13.3.2019).
Orte, die im Laufe der vergangenen Jahre wieder unter die Kontrolle der Regierung gelangt sind, erlebten organisierte und systematische Plünderungen durch die bewaffneten Einheiten der Regierung (SHRC 24.1.2019). Berichten zufolge sind Personen in Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien oft zurückhaltend über die Situation in diesen Gebieten zu berichten (USDOS 13.3.2019).
Bewaffnete terroristische Gruppierungen, wie die mit al-Qaida in Verbindung stehende Gruppe Hay'at Tahrir al-Sham (HTS), sind für weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen wie Massaker, Beschuss, Entführung, unrechtmäßige Inhaftierung, Folter, Tötung und Zwangsvertreibung auf Basis der Konfession Betroffener, verantwortlich. Der sogenannte Islamische Staat (IS) agiert(e) mit Brutalität gegenüber Bewohnern des von ihm kontrollierten Territoriums. Ihm werden u.a. vorgeworfen: außergerichtliche Hinrichtungen und Verhaftungen, Haft unter unmenschlichen Bedingungen, Folter, Verschwindenlassen und Anwendung von Körperstrafen. Frauen erleb(t)en in vom IS gehaltenen Gebieten willkürliche und schwere Bestrafungen, inklusive Hinrichtung durch Steinigung (USDOS 13.3.2019). Sexuelle Versklavung und Zwangsverheiratung sind zentrale Elemente der Ideologie des IS. Mädchen und Frauen wurden zur Heirat mit Kämpfern gezwungen. Frauen und Mädchen, die Minderheiten angehören, wurden sexuell versklavt, zwangsverheiratet und anderen Formen sexueller Gewalt ausgesetzt (USDOS 20.6.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Im Bezug auf Kampfhandlungen wird dem IS der Einsatz von Kindersoldaten sowie von Zivilisten als menschliche Schutzschilde vorgeworfen. Außerhalb der (ehemals) kontrollierten Gebiete verübte der IS Entführungen und Anschläge (USDOS 13.3.2019).
Auch die oppositionellen bewaffneten Gruppen der Syrian Democratic Forces (SDF) werden für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht, darunter die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG). Es gibt Berichte über Verschwindenlassen von Gegnern der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) und deren Familien, unrechtmäßige Verhaftungen, Folter von politischen Gegnern, sowie vereinzelte Berichte über Festnahmen von Journalisten, Mitgliedern von Menschenrechtsorganisationen und Oppositionsparteien und Personen, die sich weigerten mit den kurdischen Gruppen zu kooperieren (USDOS 13.3.2019; vgl. HRW 10.9.2018). Familienmitglieder von gesuchten Aktivisten, darunter auch Verwandte von Mitgliedern des IS, sollen von den SDF in den von ihnen kontrollierten Gebieten gefangen genommen worden sein, um Informationen zu erhalten oder um Druck auszuüben. Weiters gibt es Berichte über vermehrte Verhaftungen von Männern für versuchte Wehrdienstverweigerung und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit in den befreiten Gebieten (USDOS 13.3.2019).
Berichten zufolge kam es 2017 auch zur Vertreibung von arabischen Bewohnern aus Gegenden, die durch kurdische Einheiten vom IS befreit worden waren (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 13.11.2018).
Die YPG gehört seit 2014 zu den vom VN-Generalsekretär gelisteten Konfliktparteien, die Kindersoldaten einsetzen und Kinderrechte verletzen (AA 13.11.2018). Nach Berichten zu Rekrutierungen von Kindern, auch unter Zwang, durch die SDF, verabschiedeten diese ein Verbot der Rekrutierung und Verwendung von Personen unter 18 Jahren zum Kampf. Verboten sind, unter Androhung von Strafen für die Befehlshaber, auch Hilfsdienste wie Ausspähen, Wach- und Versorgungsdienste. Die kurdischen Gruppen erklärten ihre volle Unterstützung der Anordnung. Im Dezember 2018 wurden 56 Unter-18-Jährige ihren Eltern übergeben (USDOS 13.3.2019).
Die menschenrechtliche Situation in den kurdisch kontrollierten Gebieten stellt sich insgesamt deutlich weniger gravierend dar, als in den Gebieten, die sich unter Kontrolle des syrischen Regimes oder islamistischer bis jihadistischer Gruppen befinden (AA 13.11.2018).
Ein Charakteristikum des Bürgerkriegs in Syrien ist, dass in ganz Syrien bestimmte Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen bzw. zugeschriebenen politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen werden oder ihnen auf andere Weise Schaden zugefügt wird. Diese Zuschreibung basiert oft nur auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in oder Herkunft aus einem bestimmten Gebiet, das als "regierungsfreundlich" oder "regierungsfeindlich" gilt (UNHCR 11.2015).
Quellen:
- AA - Deutsches Auswärtiges Amt (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598_1542722823_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-syrien-stand-november-2018-13-11-2018.pdf, Zugriff 10.12.2018
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report - Syria, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/1427445/488327_en.pdf, Zugriff 20.2.2019
- HRW - Human Rights Watch (10.9.2018): Syria: Kurdish-led Administration Jails Rivals, https://www.hrw.org/news/2018/09/10/syria-kurdish-led-administration-jails-rivals, Zugriff 9.1.2018
- HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): Annual report on the human rights situation in 2018 - Syrian Arab Republic, https://www.ecoi.net/en/document/2002172.html, Zugriff 29.1.2019
- SHRC - Syrian Human Rights Committee (24.1.2019): The 17th Annual Report on Human Rights in Syria 2018, http://www.shrc.org/en/wp-content/uploads/2019/01/English_Web.pdf, Zugriff 31.1.2019
- UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (11.2015): International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Syrian Arab Republic Update IV, http://www.refworld.org/pdfid/5641ef894.pdf, Zugriff 27.3.2019
- UNHRC - United Nations Human Rights Council (31.1.2019): Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic [A/HRC/40/70], https://www.ohchr.org/Documents/HRBodies/HRCouncil/CoISyria/A_HRC_40_70.pdf, Zugriff 11.3.2019
- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Syria, https://www.ecoi.net/en/document/1430098.html, Zugriff 12.12.2018
- USDOS - United States Department of State (20.6.2019): Trafficking in Persons Report 2019 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2010916.html, Zugriff 21.6.2019
- USDOS - United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2004226.html, Zugriff 19.3.2019
Frauen
Frauen in Syrien haben eine relativ lange Historie der Emanzipation. Vor dem Konflikt war Syrien eines der vergleichsweise fortschrittlicheren Länder der Arabischen Welt in Bezug auf Frauenrechte (BFA 8.2017). Dennoch werden Frauen - teilweise aufgrund der Interpretationen der religiösen Gesetze - von verschiedenen Teilen des Familien- und Strafrechts und der Gesetze zu Personenstand, Arbeit, Erbschaft, Pensionierung, sozialer Sicherheit und Staatsbürgerschaft, diskriminiert (USDOS 13.3.2019).
Die Situation von Frauen verschlechterte sich durch den andauernden Konflikt dramatisch. Da Frauen immer wieder Opfer unterschiedlicher Gewalthandlungen der verschiedenen Konfliktparteien werden, zögern Familien, Frauen und Mädchen das Verlassen des Hauses zu erlauben. Sie nehmen diese aus der Schule, was zur Minderung der Rolle von Frauen und zu ihrer Isolation in der Gesellschaft führt (BFA 8.2017). Vor dem Konflikt nahmen 13% der Frauen am Arbeitsmarkt teil, verglichen mit 73% der Männer. Die Teilhabe sowohl von Männern als auch Frauen am Arbeitsmarkt hat durch Gewalt und Unsicherheit abgenommen. Zuletzt ist in einigen Gebieten, wie in Damaskus, Raqqa und Dara'a, die Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt gezwungenermaßen wieder gestiegen, da viele Männer ihre Familien derzeit nicht unterstützen können (USDOS 13.3.2019).
Außerhalb der Gebiete, die unter der Kontrolle des Regimes stehen, unterscheiden sich die Bedingungen für Frauen sehr stark voneinander. Sie reichen von sexueller Versklavung und erdrückenden Kleidungsvorschriften in Gebieten unter Kontrolle von Extremisten einerseits, bis hin zu formaler Gleichberechtigung in den Gebieten unter Kontrolle der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD), wo Regierungssitze immer von einer Frau und einem Mann besetzt sind (FH 1.2018). In jenen oppositionellen Gebieten, welche von radikal-islamistischen Gruppen kontrolliert werden, sind Frauen besonders eingeschränkt. Es ist schwer für sie, für einfache Erledigungen das Haus zu verlassen. Die Situation hängt jedoch von der Region ab (BFA 8.2017).
Extremistische Gruppierungen wie der sogenannte Islamische Staat (IS) oder Hay'at Tahrir al-Sham (HTS) setzen Frauen in den von ihnen kontrollierten Gebieten diskriminierenden Beschränkungen aus. Solche Beschränkungen sind z.B. strikte Kleidervorschriften, Einschränkungen bei der Teilnahme am öffentlichen Leben, bei der Bewegungsfreiheit und beim Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt (USDOS 13.3.2019, MRG 5.2018). Generell wird die Lage junger unverheirateter Frauen in Syrien allgemein, im Speziellen jedoch in den von radikal-islamistischen Gruppierungen kontrollierten Gebieten, als prekär bezeichnet (BFA 8.2017).
Palästinensische Flüchtlinge
Rechtlicher Status der palästinensischen Flüchtlinge in Syrien und das Mandat der UNRWA
Die United Nations Relief and Works Agency for Palestin