TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/14 W272 2213626-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.04.2020
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Entscheidungsdatum

14.04.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §75 Abs24
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §55
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W272 2213626-2/31E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Braunstein als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Mag. EMBACHER Wilfried und Dr. NEUGSCHWENDTNER Thomas gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Burgenland vom 24.01.2019, Zl. XXXX zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gem. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gem. § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetz die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Gem. § 3 Abs. 4 leg cit. AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung für drei Jahre erteilt.

II. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte II. bis VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 01.06.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (in der Folge AsylG).

2. Am 01.06.2016 wurde der BF einer Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen, wobei er zunächst zu seinen persönlichen Verhältnissen angab, dass er am XXXX in Logar, Afghanistan geboren worden sei. Er sei ledig, bekenne sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam und gehöre er der Volksgruppe der Paschtunen an. Seine Muttersprache sei Dari. Er habe in Parwan sechs Jahre die Grundschule, drei Jahre die Hauptschule und drei Jahre eine höhere Schule besucht. In Kabul habe er ein Jahr die Universität besucht. Er habe einen Vater und Mutter, sowie drei Brüder und fünf Schwestern. Als Fluchtgrund gab er an, dass sein Vater und Bruder beim Militär seien. Als er in Kabul studiert habe sei er von unbekannten Personen entführt worden. Nach eineinhalb Tagen sei ihm die Flucht gelungen und er habe seine Heimat verlassen, da die Bedrohungen immer mehr wurden. Er habe Angst um sein Leben.

3. Am 01.06.2018 wurde seitens AMS mitgeteilt, dass der BF eine Beschäftigungsbewilligung für eine Lehrstelle am XXXX für die Dauer von 07.07.2018 - 31.12.2021 ausgestellt bekommen hat.

4. Am 07.01.2019 erfolgte eine Einvernahme des BF vor dem BFA. Hier gab er ergänzend zu den bisherigen persönlichen Daten an. Vater XXXX , ca XXXX , seit Aug/Sep 2016, Mutter XXXX , Alter unbekannt, seit Aug/Sep 2016 , beide in der Türkei. Drei Brüder, XXXX , ca. XXXX , XXXX , ca. XXXX , XXXX , ca XXXX , alle in der Türkei/Istanbul. Fünf Schwestern, XXXX , Alter unbekannt, alle verheiratet in Afghanistan.

Mitvorgelegt wurden:

* 4 Empfehlungsschreiben

* Deutschkursbestätigungen

* Teilnahme wöchentlichen Begegnungscafe

* Bestätigung gemeinnützige Tätigkeit durch Gemeinde Zwischenwasser und Rankweil

* Positiv bestandener Deutsch ÖSD Zertifikat A2

* Zeugnis positive Pflichtschulabschlussprüfung

* Lehrvertrag, Lehrberuf Koch " XXXX "

* Verschiedene Fotos

* Zeitungsartikel "Afghanische Taliban steinigen jungen Mann zu Tode"

* Bestätigung der Tätigkeit des Vaters in der G2 Branch

* Bestätigung des Bruders in der Air Force University Orientation & Basic Course.

* Fotos und Ausweise des Vaters und Bruder als Mitglied der afghanischen Armee

* Schulbestätigung aus Afghanistan

5. Am 08.01.2019 fand eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt. Dabei gab er an, dass er Staatsangehöriger Afghanistans und gesund sei. Er berichtigte die bisherigen Aussagen dahingehend, dass er nie in Kabul, sondern in Kapisa studiert habe. Seine Flucht habe sein Bruder bezahlt. Er habe Wirtschaft studiert und nie gearbeitet. Seine Familie lebe in der Türkei und er habe Kontakt zu ihnen. Er könne nicht in sein Herkunftsland da sein Vater und seine beiden Brüder bei der afghanischen Armee gearbeitet haben. Zu seinem Bruder im Herkunftsland habe er im Jahr 2016 das letzte Mal Kontakt gehabt, zu seiner Familie in der Türkei regelmäßig noch immer. Er lebe von der Lehre und habe keine sonstigen Verwandten in Österreich. Er habe den Deutsch B1 -Kurs abgeschlossen. Mit seinem Heimatland fühle er sich nicht verbunden, da er Schlechtes erfahren habe.

Als Fluchtgrund gab er an, dass sein Vater und zwei Brüder beim afghanischen Militär gearbeitet haben. Weiters habe er ein Verhältnis mit einem bekannten Mujahedin gehabt. Als dieser sie bei einem Treffen erwischt habe, habe dieser ihn töten wollen. Er flüchtete zu einem Freund und dieser habe ihn nach Kabul gebracht. Bei ihm zuhause wären der Vater mit seinen fünf Söhnen und ca. 15 weitere bewaffneten Personen gekommen und hätten ihn wegen dieser unerlaubten Beziehung steinigen wollen. Die Dorfbewohner und der Imam haben seiner Familie Zeit gegeben ihn auszuhändigen. Er sei fünf Tage bei seinem Onkel in Kabul gewesen, danach jedoch nach Mazar-e Sharif. Auch dort haben ihn Leute gefunden. Dies sei ihm von seinem Bruder mitgeteilt worden. Er sei zurück nach Kabul und sein Bruder sagte ihm, dass er Afghanistan verlassen müsse. Er habe sich ein Visum und einen Reisepass besorgt und sei in den Iran geflogen. Seine Familie habe auch wegen der Gefahr Afghanistan verlassen müssen. Das Mädchen sei gesteinigt worden. Er habe Angst ebenfalls gesteinigt zu werden. Er sei Mitglied der kommunistischen Partei.

Vorgelegt wurden:

* Afghanischer Reisepass, inkl. Visa für Islamische Republik von Iran

5. Mit Bescheid vom 24.01.2019 wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen und dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde der Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Ferner wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Unter Spruchpunkt VI. wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zusammengefasst aus, dass der BF in Afghanistan keiner begründeten Furch vor einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt war bzw. gegenwärtig ist. Es ist ihm möglich und zumutbar nach Afghanistan zurückzukehren. Das öffentliche Interesse an der Rückkehr des BF sei höher als das vorgebrachte Privatinteresse des BF am Verbleib in Österreich. Der BF sei nicht glaubwürdig gewesen, zumal er bei der Erstbefragung nichts von dem Verhältnis mit dem Mädchen und der Verfolgung durch deren Familie erzählt habe. Auch sei es nicht glaubwürdig, dass der BF sich über fast ein Jahr mit dem Mädchen getroffen habe und nun einmal unvorsichtig gewesen sei und nicht aufgepasst habe. Auch, dass der Vater ihn gleich töten wollte, obwohl sich der BF nur verabschiedet habe, sei nicht nachvollziehbar. Weiters gab der BF an, dass er gehört habe, dass das Mädchen geschlagen wurde, dann jedoch, dass der Freund es erzählte. Der BF habe widersprüchliche Aussagen. Auch unter der theoretischen Annahme des Wahrheitsgehaltes der von ihm behaupteten Verfolgung beziehungsweise Bedrohung sei nicht nachvollziehbar, warum der BF nicht etwa in Mazar-e-Sharif, Herat oder Kabul vor diesen Bedrohungen sicher sein sollte. Kabul habe etwa 3,5 Millionen Einwohne rund Mazar-e Sharif sei sicher und der BF habe dort auch zwei Monate ohne Probleme leben können. Aufgrund seines persönlichen Umstandes (jung, gesund, arbeitsfähig, Ortskenntnisse und Schulausbildung) würde der BF daher nicht in eine existenzielle Notlage geraten. Weiters gebe es auch eine Re-Integrationsberatung sowie Re-Integrationsunterstützung durch IOM vor Ort in Kabul würde ihn die Ansiedelung möglich sein. Im Verfahren seien keine Ansatzpunkte hervorgetreten, die die Vermutung einer besonderen Bindung an Österreich rechtfertigen, zumal der Aufenthalt des BF immer durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrages vorübergehend legalisiert wurde. Daher sei eine Rückkehrentscheidung zulässig. Auch spreche keine Sachverhalte gegen die Abschiebung nach Afghanistan.

6. Mit Schriftsatz vom 20.02.2019 erhob der BF fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde. Der BF brachte vor, dass sich die Behörde keineswegs damit auseinandersetzte, dass der BF vorbrachte aufgrund der Tätigkeit des Vaters und seiner Brüder beim Militär, verfolgt zu werden. Es gibt hierzu keinerlei Stellungnahme. Weiters habe die Einvernahme über Video stattgefunden und so wurde keine Unmittelbarkeit wahrgenommen und es kam zu zahlreichen Missverständnissen. Dies mach daher das Ermittlungsverfahren mangelhaft. Die Behörde beschäftigte sich zu wenig mit den vorgelegten Urkunden und der Verfolgung aufgrund eines außerehelichen Geschlechtsverkehr und der Folgen dieser Zina, welche aus den Länderberichten ersichtlich ist, dass der BF als Ungläubiger gelten wird und er einer Verfolgung durch Steinigung zu erwarten hat. Weiters habe sich die Behörde zu wenig mit der innerstaatlichen Fluchtalternative auseinandergesetzt, den ansonsten hätte sie berücksichtigen müssen, dass es in den genannten Städten zu einer extrem hohen Anzahl an Binnenvertriebenen gekommen ist, die Anzahl der Anschläge sich erhöhten und aufgrund dieser extremen Belastung es dem BF nicht möglich ist, ein Leben ohne Härte zu führen, da es einen Mangel an Trinkwasser, Hygiene und Unterbringung gibt und daher eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zumutbar ist. Der BF legte einzelne Berichte der Anschläge vor. Die Behörde habe es auch unterlassen bei Zweifeln an der Glaubwürdigkeit den BF durch Nachfragen seine Aussagen bestätigen oder ausschließen zu lassen. Auch waren die Länderfeststellungen unvollständig und veraltet. Es mangelte an ausführlichen Länderberichten zu den Folgen, der außerehelichen Beziehung (Zina). Weiters wurden nicht berücksichtigt, dass der BF als Rückkehrer aus Europa nach Afghanistan zurückkehren müsste und daher ihm besonderes Misstrauen entgegengebracht wird. Auch hier sei er laut Bericht von Amnesty International vom Oktober 2017 stark gefährdet, Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu werden. Zur Religionszugehörigkeit und Volksgruppenzugehörigkeit fehlen ebenfalls entsprechende Ausführungen. Insgesamt sei daher der Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet und dem BF wäre Asyl aufgrund seiner außerehelichen Beziehung, Sohn eines Regierungsmitarbeiters und Rückkehrer aus Österreich zu gewähren. Da ihm eine talibanfeindliche politische Gesinnung unterstellt wird. Alternativ sei ihm subsidiärer Schutz aufgrund der mangelnden Sicherheit und keiner sinnvollen innerstaatlichen Fluchtalternative zuzuerkennen. Aufgrund der Interessensabwägung sei in eventu eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig zu erklären und eine Abschiebung nach Afghanistan unzulässig. Weiters wird die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

7. Am 21.10.2019 erfolgte ein Parteiengehör an die Parteien bezüglich der beabsichtigten Bestellung des XXXX als Sachverständiger für den Fachbereich Afghanistan. Seitens der Parteien wurde kein Einwand eingebracht.

8. Mit Beschluss W272 2213636-2/6Z vom 08.11.2019 wurde Dr. XXXX zum Sachverständigen für das Fachgebiet Afghanistan bestellt.

9. Am 25.11.2019 langte die Zurücklegung der Vollmacht für die DIAKONIE und VOLKSHILFE ein.

10. Am 13.12.2019 langte zum vom Gericht vorab versendete Länderinformationsblatt zur Staatendokumentation - Afghanistan eine Stellungnahme ein. In welcher auf den außerehelichen Geschlechtsverkehr des BF und des dadurch unislamischen Verhalten des BF hingewiesen wird. Weiters, dass die Familie Mitglied der Kommunistischen Partei sei und der BF kein praktizierender Moslem sei. Es wurde hierbei auf die Verfolgung von Personen die vom Islam abgefallen sind hingewiesen und die Gefahr der Verfolgung. Weiters darauf, dass der Vater und Bruder Mitglied der afghanischen Armee sind und hier gem. der UNHCR - Richtlinie zu Afghanistan von einer Verfolgung von Familienmitgliedern auszugehen ist. Auch hat der BF weitere Integrationsmaßnahmen in Österreich durchgeführt.

Vorgelegt wurden:

* Teilnahmebestätigung "Flüchtlinge & WIR" vom 19.11.2019

* Unterstützungsschreiben " XXXX "

* Bestätigung Markus Sila vom 01.12.2019

* Unterstützungsschreiben und Empfehlungsschreiben

* Fotos Arbeit und Privat

11. Am 19.12.2019 erfolgte eine mündliche Verhandlung vor dem BVwG, in welchem weitere Bilder zur Tätigkeit des Vaters und des Bruders beim Militär vorgelegt wurden.

12. Am 01.02.2020 langte das Gutachten des bestellten Gutachters ein und wurden den Parteien zur Abgabe einer Stellungnahme übermittelt.

13. Zum Beweis dafür, dass der Vater des BF und die Brüder Militärangehörige sind und waren und eine sehr hohe Position in der afghanischen Armee bekleideten und der BF daher als Familienmitglied in Afghanistan aus politischen Gründen und aus religiösen Gründen verfolgt wird, wurden weitere am 17.02.2020 durch den BF Urkunden vorgelegt.

* Air Force University XXXX ;

* - Anerkennungsschreiben Pensionierung XXXX ;

* - Bankkarte Pension XXXX ;

* - Bescheinigung Ministerium XXXX ;

* - Bestätigung Militäreinsatz Kandhar XXXX ;

* - Bestätigung Militärtraining XXXX ;

* - Bestätigung Schwur XXXX ;

* - Militärausweis XXXX ;

* - Militärausweis XXXX ;

* - Passierschein XXXX ;

* - Pensionskarte M. XXXX ;

* - Zertifikat afghanisch demokratische Republik XXXX ;

* - Zertifikat Computerkurs XXXX ;

* - Zertifikat Computerlehrgang XXXX ;

* - Zertifikat Flugtechniker XXXX ;

* - Zertifikat XXXX Ausbilderseminar.

Die Urkunden wurden den BFA zur Abgabe einer Stellungnahme übermittelt.

14. Am 06.03.2020 langte von der Behörde eine Stellungnahme zum Gutachten des Sachverständigen ein. Die Behörde teilte mit, dass nicht darauf beharrt wird, mit den Vater des BF Verbindung aufzunehmen. Weiters wird keine mündliche Verhandlung beantragt. Die Behörde stellte den Antrag, aufgrund des GU-Ergebnisses die Beschwerde abzuweisen.

15. Am 20.03.2020 erfolgte die Mitteilung, dass der BF ein Lehrverhältnis eingegangen ist.

16. Ein ergänzendes Gutachten des SV wurden den Parteien zur Abgabe einer Stellungnahme übermittelt. Die Behörde verweist darauf, dass auch aus den SV-Gutachten erkennbar ist, dass die Fluchtgeschichte bezüglich des Verhältnisses der Tochter nunmehr weitgehend ausgetauscht ist mit der Gefahr einer Verfolgung aufgrund der Tätigkeit des Vaters und seines Bruders in der afghanischen Armee. Es wird jedoch, weiterhin die Aktualität der Verfolgung bezweifelt, zumal der BF auch während der Tätigkeit des Vaters in Afghanistan leben konnte. Der Beschwerdevertreter bringt vor, dass der SV das Vorbringen des BF bezüglich der Tätigkeit und Position des Vaters bestätigt. Die Annahme des Sachverständigen bezüglich der Konflikte mit dem Vater des Mädchens beruhen auf Erfahrungswerte, nicht jedoch auf standardisierte Verhalten, weshalb Abweichungen nicht auszuschließen sind. Das System der Blutrache ist in Afghanistan bestätigt, ebenso steht fest, dass vor- oder außereheliche Beziehungen auch in Afghanistan vorkommen. Bezüglich der Verbreitung des Coronavirus, in Zusammenhang mit der Gewährung des Status auf subsidiären Schutz, beantragt der Beschwerdevertreter die Gewährung eines Parteiengehörs zur aktuellen Länderfeststellung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister und Strafregister werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan und gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und ist sunnitischer Moslem. Der Beschwerdeführer ist in der Provinz Logar im Bezirk Mohammad Agha im Dorf XXXX am XXXX geboren. Er hat 12 Jahre die Schule besucht und danach die Wirtschaftsuniversität in Kapisa besucht. Der BF spricht Dari und kennt die afghanische Kultur. Sein Vater war Offizier in der afghanischen Armee und zwei seiner Brüder haben ebenfalls Dienst in der afghanischen Armee versehen. Der Bruder des BF arbeitete im Bereich des Geheimdienstes. Ein Bruder arbeitet noch bei der afghanischen Armee im Bereich der Luftwaffe. Der BF lebte mit seiner Mutter und einem Bruder und einer Schwester. Seine anderen Schwestern waren verheiratet. Sein Vater, seine Mutter, eine Schwester und seine Brüder leben nunmehr in der Türkei.

Der BF hat keinen Kontakt zu seinem Vater und keine Angehörigen oder Kontakte in Afghanistan.

Der BF ist ledig und hat keine Obsorgeverpflichtungen. Der BF ist grundsätzlich seinem Alter entsprechend entwickelt, gesund und arbeitsfähig.

Der BF ist in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft, war dort nie inhaftiert, war kein Mitglied einer politischen Partei oder sonstigen Gruppierung, er hat sich nicht politisch betätigt und hatte keine Probleme mit staatlichen Einrichtungen oder Behörden im Herkunftsland.

Er besuchte in Österreich einzelne Deutsch- und Integrationskurse. Er hat die Prüfung A2, sowie den Pflichtschulabschluss positiv absolviert. Der BF ist unbescholten und absolviert zurzeit eine Lehre. Der BF hat in Österreich Kontakt mit österreichischen Staatsbürger.

Der Beschwerdeführer reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 01.06.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Zu den Fluchtgründen des BF und zur Situation des BF im Falle der Rückkehr in sein Herkunftsland:

Das vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen bezüglich des außerehelichen Geschlechtsverkehres kann nicht festgestellt werden. Nicht als Sachverhalt zugrunde gelegt werden sämtliche Angaben des Beschwerdeführers zu dieser behaupteten Bedrohungssituation in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan.

Der Vater des BF war jedoch beim Geheimdienst der afghanischen Armee tätig und damit für die Ausbildung weitere Angehörigen der afghanischen Armee, auch war er damit verantwortlich für die Verfolgung von Taliban. Der Vater war auch Mitglied der kommunistischen Partei. Der Bruder des BF ist noch immer bei der afghanischen Armee, wenngleich als Unteroffizier, tätig. Die Taliban verfolgen Armeeangehörige, insbesondere von hochrangigen Mitgliedern, wie Offiziere. Der BF wäre daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie des Vaters von den Taliban verfolgt. Da ihm die Taliban eine politische Gesinnung bzw. Einstellung unterstellen, welche gegen die Taliban gerichtet ist.

Weiter Verfolgungsgründe sind nicht vorgebracht worden und auch nicht von amts wegen hervorgekommen. Eine Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Paschtunen bzw. der Religionszugehörigkeit zu den sunnitischen Moslems ist nicht hervorgekommen. Der BF ist nicht vom Glauben abgefallen.

1.3. Zum Herkunftsstaat:

Das BVwG trifft folgende Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat unter Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Gesamtaktualisierung am 13.11.2019:

Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.4.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.5.2019). Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Abb. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle 2015-2018 in ganz Afghanistan gemäß Berichten des UN-Generalsekretärs (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UN-Daten (UNGASC 7.3.2016; UNGASC 3.3.2017; UNGASC 28.2.2018; UNGASC 28.2.2019))

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Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Folgender Tabelle kann die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Jahr im Zeitraum 2016-2018, sowie bis einschließlich August des Jahres 2019 entnommen werden:

Tab. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.))

 

2016

2017

2018

2019

Jänner

2111

2203

2588

2118

Februar

2225

2062

2377

1809

März

2157

2533

2626

2168

April

2310

2441

2894

2326

Mai

2734

2508

2802

2394

Juni

2345

2245

2164

2386

Juli

2398

2804

2554

2794

August

2829

2850

2234

2443

September

2493

2548

2389

-

Oktober

2607

2725

2682

-

November

2348

2488

2086

-

Dezember

2281

2459

2097

-

insgesamt

28.838

29.866

29.493

18.438

Abb. 2: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.))

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Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433. Die folgende Grafik der Staatendokumentation schlüsselt die sicherheitsrelevanten Vorfälle anhand ihrer Vorfallarten und nach Quartalen auf (BFA Staatendokumentation 4.11.2019):

Abb. 3: Sicherheitsrelevante Vorfälle nach Quartalen und Vorfallsarten im Zeitraum 1.1.2018-30.9.2019 (Global Incident Map, Darstellung der Staatendokumentation; BFA Staatendokumentation 4.11.2019)

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Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

Tab. 2: Zivile Opfer im Zeitverlauf 1.1.2009-30.9.2019 nach UNAMA (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UNAMA-Daten (UNAMA 24.2.2019; UNAMA 17.10.2019))

Jahr

Tote

Verletzte

Insgesamt

2009

2.412

3.557

5.969

2010

2.794

4.368

7.162

2011

3.133

4.709

7.842

2012

2.769

4.821

7.590

2013

2.969

5.669

8.638

2014

3.701

6.834

10.535

2015

3.565

7.470

11.035

2016

3.527

7.925

11.452

2017

3.440

7.019

10.459

2018

3.804

7.189

10.993

2019*

2.563*

5.676*

8.239*

Insgesamt

32114

59561

91675

* 2019: Erste drei Quartale 2019 (1.1.-30.9.2019)

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019):

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) - Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub - Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).

Berichten zufolge, besteht der ISKP in Pakistan hauptsächlich aus ehemaligen Teherik-e Taliban Mitgliedern, die vor der pakistanischen Armee und ihrer militärischen Operationen in der FATA geflohen sind (CRS 12.2.2019 ;vgl. CTC 12.2018). Dem Islamischen Staat ist es gelungen, seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan dadurch zu stärken, dass er Partnerschaften mit regionalen militanten Gruppen einging. Seit 2014 haben sich dem Islamischen Staat mehrere Gruppen in Afghanistan angeschlossen, z.B. Teherik-e Taliban Pakistan (TTP)-Fraktionen oder das Islamic Movement of Uzbekistan (IMU), während andere ohne formelle Zugehörigkeitserklärung mit IS-Gruppierungen zusammengearbeitet haben, z.B. die Jundullah-Fraktion von TTP oder Lashkar-e Islam (CTC 12.2018).

Der islamische Staat hat eine Präsenz im Osten des Landes, in

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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