Entscheidungsdatum
16.04.2020Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
G310 2226319-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Gaby WALTNER über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Polen, vertreten durch Dr. Tomasz KLIMEK, LL.M., Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 26.09.2019, Zl. XXXX , nach der Beschwerdevorentscheidung vom 19.11.2019 aufgrund des Vorlageantrags vom 05.12.2019 betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots und zu Recht erkannt:
A) Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass es zu lauten hat:
„I. Gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG wird gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
II. Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wird dem Beschwerdeführer ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt.“
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Verfahrensgang:
Nachdem das Bundesamt für Fremdwesen und Asyl (BFA) am XXXX 2019 vom Landesgericht für Strafsachen XXXX davon verständigt wurde, dass der Beschwerdeführer (BF) wegen §§ 84 Abs. 4, 127, 142 Abs. 1, 107 Abs. 1 und 83 Abs. 1 StGB in Untersuchungshaft genommen wurde, erging mit Schreiben vom 18.06.2019 die Aufforderung an den BF, sich zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu äußern und Fragen zu seinem Aufenthalt und seinen Bindungen in Österreich zu beantworten. Er erstattete keine entsprechende Stellungnahme.
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX 2019, XXXX , wurde der BF zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 30 Monaten verurteilt, wobei 20 Monate unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurden.
Nach niederschriftlicher Einvernahme des BF am 24.09.2019 wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gegen die BF gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs. 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit der strafgerichtlichen Verurteilung begründet. Das öffentliche Interesse an Ordnung und Sicherheit überwiege das persönliche Interesse des BF an einem Verbleib in Österreich. Sein Familien- und Privatleben stünde dem Aufenthaltsverbot nicht entgegen.
Dagegen richtet sich die Beschwerde des BF mit den Anträgen, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, den Bescheid zu beheben, in eventu die Dauer des Aufenthaltsverbots herabzusetzen bzw. wird hilfsweise auch einen Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt. Begründet wird die Beschwerde zusammengefasst damit, dass das Ermittlungsverfahren insbesondere im Hinblick auf das Privat- und Familienleben mangelhaft und die Entscheidung unzureichend begründet worden sei. Der BF halte sich seit über sieben Jahren in Österreich auf. Er lebe mit seiner Familie zusammen und sei mangels Selbsterhaltungsfähigkeit auf deren Unterstützung angewiesen. Seit 2018 habe er eine Lebensgefährtin und darüber hinaus zahlreiche Freunde. Es bestehe keine Bindung zu Polen, da seine dortigen Verwandten ein intensives Familien- und Berufsleben haben und sich nicht um den BF kümmern könnten. Er sehe seine Verwandten nur gelegentlich in den Ferien. Auch habe er bereits eine Einstellungszusage. Bezüglich der Straftaten habe der Mittäter des BF vorwiegend die Initiative ergriffen und sei die Tatbegehung unter Alkoholeinfluss erfolgt.
Der BF wurde nach seiner bedingten Entlassung am XXXX 2019 noch am selben Tag in sein Herkunftsland abgeschoben.
Gegen die daraufhin ergangene Beschwerdevorentscheidung vom 18.12.2019, Zl. XXXX , mit welcher das BFA die Beschwerde als unbegründet abgewiesen hat, erstattete der BF fristgerecht einen Vorlageantrag.
Das BFA legte die Beschwerde, den Vorlageantrag und die Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor, wo sie am 10.12.2019 einlangten.
Mit Teilerkenntnis vom 13.12.2019, G310 2226319-1/2Z, wurde der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, als unzulässig zurückgewiesen (Spruchteil A)) und der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt (Spruchteil B)).
Feststellungen:
Der BF wurde am XXXX in der polnischen Stadt XXXX geboren. Er spricht Polnisch und verfügt über Deutsch- und Englischkenntnisse auf unbekanntem Sprachniveau. Er ist ledig und hat keine Kinder. Schulden oder sonstige Verbindlichkeiten bestehen nicht. Seit XXXX 2012 bis zu seiner Inhaftierung verfügte er über eine durchgehende Wohnsitzmeldung im Bundesgebiet. Er lebte in gemeinsamen Haushalt mit seinen Eltern und Geschwistern. Seine Eltern unterstützten ihn finanziell. Am 30.12.2012 wurde dem BF eine Anmeldebescheinigung (Familienangehöriger) ausgestellt. Vor der Einreise nach Österreich hat er in XXXX gelebt. In Polen leben Tanten und Onkel des BF, die er gelegentlich in den Ferien besucht hat.
Er besuchte vier Jahre lang in Chicago, USA, die Volksschule. Danach kehrte seine Familie nach Polen zurück, wo der BF zwei Jahre die Grundschule besuchte. Nach der Einreise nach Österreich besuchte er in XXXX zwei Jahre die Hauptschule und ein Jahr die Handelsschule, die er in Form der Abendschule weiterbesuchte. Er verfügt über keine Berufsausbildung und ging bislang nur kurzfristigen Beschäftigungen nach. Am 31.05.2017 war der BF bei einem Telemarketingunternehmen geringfügig angestellt. Von 01.06.2017 bis 07.06.2017 war er bei diesem Unternehmen als freier Dienstnehmer beschäftigt. Es folgte eine Beschäftigung als Arbeiter von 23.08.2018 bis 15.10.2018 bei einem in XXXX ansässigem Unternehmen. Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Eine mit 24.04.2019 datierte Einstellungszusage liegt vor.
Am XXXX 2019 wurde der BF verhaftet; in der Folge wurde er in den Justizanstalten XXXX und XXXX in Untersuchungs- bzw. Strafhaft angehalten.
Der BF weist in Österreich eine strafgerichtliche Verurteilung auf. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX 2019, XXXX , wurde er zusammen mit einer anderen männlichen Person teils alleine, teils im bewussten und gewolltem Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB), wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB, des Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 2 erster Satz StGB, des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB und des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten verurteilt, wobei 20 Monate unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden. Dabei entfiel gemäß §§ 19 Abs. 1 iVm 5 Z 4 JGG das Mindestmaß und stand somit ein Strafrahmen von bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe zur Verfügung.
Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF erstens zusammen mit dem der anderen männlichen Person am XXXX 2019 einer weiteren männlichen Person dessen Mobiltelefon im Wert von EUR 800,00 sowie eine Geldbörse im Wert von EUR 50,00 samst Bargeld in der Höhe von EUR 25,00 mit dem Vorsatz weggenommen bzw. abgenötigt hat, sich oder Dritte durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, in dem der Mittäter der Person einen oder mehrere Faustschläge versetzte, wodurch diese Person eine Gehirnerschütterung, eine Prellung der Lendenwirbelsäule sowie beider Schläfenbeine mit Abschürfungen erlitt, und der BF die Sachen an sich nahm. Zweitens hat er am XXXX 2019 wiederum zusammen mit dem Mittäter, dem Verfügungsberechtigten eines Lokales eine halbe Flasche Malibu mit dem Vorsatz weggenommen bzw. abgenötigt hat, sich oder Dritte durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem der Mittäter dem Kellner des Lokales zunächst einen Faustschlag versetzte, wodurch dieser zu Sturz kam, der BF und der Mittäter mehrfach auf ihn einschlugen und eintraten, der Mittäter den Kellner mit den Worten „Was hast du in der Kassa“ sinngemäß aufforderte, das in der Kassa erliegende Bargeld zu übergeben, es jedoch dem Kellner schlussendlich gelang, sich in den Lagerraum einzusperren und der BF samt Mittäter mit der Flasche Malibu die Flucht ergriffen, wobei der Kellner durch die Schläge und Tritte einen Bruch der vorderen Kieferhöhle, eine Glaskörperabhebung bei einer Augapfelprellung sowie eine Prellung des Kopfes, der Nase und eine Abschürfung am rechten Auge, sohin eine an sich schwere Körperverletzung erlitt. Drittens hat er zusammen mit dem Mittäter am XXXX 2019 eine männliche Person am Körper verletzt, indem sie der Person Schläge versetzten, wobei der Mittäter ein Messer in der Hand hielt und der Person einen Kniestoß gegen den Kopf versetzte, wodurch diese Peron eine Prellung der Nase erlitt. Viertens hat der BF zusammen mit dem Mittäter, ebenfalls am XXXX 2019, eine andere männliche Person gefährlich mit der Zufügung zumindest einer Verletzung am Körper bedroht, um diese in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem der Mittäter mit einem Messer Stichbewegungen in ihre Richtung andeutete und der BF Wurfbewegungen mit einem Aschenbecher in ihre Richtung andeutete. Dass bei diesen Straftaten überwiegend der Mittäter die Initiative ergriffen hat, geht aus dem Strafurteil nicht hervor.
Bei der Strafbemessung wirkte sich das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen erschwerend aus. Aufgrund der mehrfachen Tatbegehung und der Tatsache, dass die Übergriffe massiv waren, war schon aus spezialpräventiven Gründen ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe unbedingt zu verhängen. Mildernd wurden der bisher ordentliche Lebenswandel und die Begehung der Taten nach Vollendung des achtzehnten, jedoch vor Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres gewertet.
Den Mittäter lernte der BF in einem Fitnessclub kennen, wo beide Mitglieder waren. Er beteuert, die Taten unter Alkoholeinfluss begangen zu haben, es habe sich dabei um nichts Geplantes gehandelt. Während der Strafhaft wurde der BF zweimal pro Woche von seinen Eltern besucht.
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei sich aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG. Entscheidungswesentliche Widersprüche bestehen nicht.
Die Feststellungen zur Identität des BF, seinem schulischen und beruflichen Werdegang sowie zu seinen persönlichen Verhältnissen beruhen auf den in Kopie im Akt aufliegenden polnischen Reisepass des BF, dem Versicherungsdatenauszug den entsprechenden Angaben im Strafurteil, in der Beschwerde und der Einvernahme.
Polnischkenntnisse ergeben sich aus seiner Herkunft und seinem Schulbesuch in Polen. Auch wurde die Einvernahme vor dem BFA wie auch die Verhandlung vor dem Landesgericht für Strafsachen XXXX unter Beiziehung von Dolmetschern für die polnische Sprache durchgeführt. Aufgrund seines Aufenthaltes samt Schulbesuchen in Österreich und den USA ist es plausibel, dass der BF über Kenntnisse der deutschen und englischen Sprache verfügt.
Die Anmeldebescheinigung ist im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) dokumentiert; die Wohnsitzmeldungen im Zentralen Melderegister (ZMR).
Es sind keine Indizien für gesundheitliche Beeinträchtigungen aktenkundig. Da der BF bereits erwerbstätig war und eine Einstellungszusage vorliegt, ist (auch angesichts seines Alters) von seiner Erwerbsfähigkeit auszugehen.
Die strafgerichtliche Verurteilung des BF wird anhand des Strafregisters sowie Strafurteils festgestellt. Es gibt keine Anhaltspunkte für weitere strafrechtliche Verurteilungen der BF oder andere Verstöße gegen die öffentliche Ordnung. Die Verbüßung der Haftstrafe ergibt sich aus dem Strafregister in Zusammenschau mit den Wohnsitzmeldungen in den Justizanstalten. Dass er während dem Strafvollzug regelmäßig von seinen Eltern besucht wurde, ergibt sich aus seinen Angaben vor dem BFA.
Seine Abschiebung nach Polen basiert auf dem Bericht der LPD XXXX , vom 28.10.2019, GZ. XXXX .
Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids:
Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den BF als unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger (§ 2 Abs. 4 Z 8 FPG) zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahme nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch den Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs. 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (so etwa bei einer Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren), kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs. 3 FPG sogar unbefristet erlassen werden.
Bei Unionsbürgern, die nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Daueraufenthaltsrecht iSd § 53a NAG und Art 16 Freizügigkeitsrichtlinie (§ 2 Abs. 4 Z 8 FPG) erworben haben, ist nicht nur bei der Ausweisung, sondern auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots der in Art 28 Abs. 2 Freizügigkeitsrichtlinie und § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG vorgesehene Maßstab – der im abgestuften System der Gefährdungsprognosen zwischen jenen nach dem ersten und dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FPG angesiedelt ist – heranzuziehen. Gegen Personen, die das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, darf daher nur bei einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit ein Aufenthaltsverbot erlassen werden (siehe z.B. VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0205).
Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des oder der Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. VwGH 24.01.2019, Ra 2018/21/0234).
Da der BF durch seinen mehr als fünfjährigen rechtmäßigen Aufenthalt bereits das Recht auf Daueraufenthalt erworben hatte, ist der in § 66 Abs 1 letzter Satzteil FPG vorgesehene Gefährdungsmaßstab ("schwerwiegende Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit") anzuwenden.
Aufgrund des persönlichen Verhaltens des BF liegt hier eine derartige schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit vor. Bei dem vom BF zuletzt begangenen Straftaten handelt es sich jedenfalls um ein auf dem Gebiet des Fremdenwesen schwer verpöntes Verhalten (vgl. VwGH 04.09.2008, AW 2008/18/0340; 22.11.2012, 2011/23/0332; 22.02.2017, Ra 2017/19/0043: hinsichtlich des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung von Gewaltdelikten, der mit Gewalt verbundenen Eigentumskriminalität sowie der Gewalt- und Eigentumskriminalität), welches nicht nur auf eine hohe Bereitschaft der Negierung österreichscher Gesetze, gesellschaftlicher Regeln und Rechter Dritter hinweist. Vielmehr weist die Bereitwilligkeit des BF seinen Willen durch Gewalt gegen Sachen und Personen durchsetzen zu wollen und dabei nicht einmal von der Verletzung von Menschen zurückzuschrecken, auf eine hohe kriminelle Energie sowie eine beachtliche Herabsetzung der inneren Hemmschwelle des BF hin. Obwohl dem BF bewusst war, dass er unter Alkoholeinfluss zur Begehung strafbarer Handlungen neigt, hat er davon dennoch nicht Abstand genommen und kam es nach der ersten Tatbegehung zu weiteren Straftaten innerhalb kurzer Zeit, wobei die Übergriffe massiv waren, wie dem Strafurteil zu entnehmen ist.
Trotz der bereits begonnenen Auseinandersetzung mit seinen Taten wird der BF den Wegfall der durch die strafgerichtliche Verurteilung indizierten Gefährlichkeit erst durch einen längeren Zeitraum des Wohlverhaltens in Freiheit nach der Haftentlassung unter Beweis stellen müssen. Aktuell kann ihm, obwohl er zum ersten Mal straffällig wurde, daher trotz einer momentan privat, familiär und beruflich stabilen Situation (gemeinsamer Haushalt mit seinen seit Jahren in Österreich niedergelassenen Eltern, Einstellungszusage) noch keine positive Zukunftsprognose attestiert werden. Der BF wird den Wegfall der durch seine strafgerichtliche Verurteilung indizierten Gefährlichkeit erst durch einen längeren Zeitraum des Wohlverhaltens in Freiheit nach dem Vollzug der Strafe unter Beweis stellen müssen. Ein Gesinnungswandel eines Straftäters ist grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. VwGH 26.06.2019, Ra 2019/21/0118). Das gegen die BF erlassene Aufenthaltsverbot ist zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, zur Verhinderung von strafbaren Handlungen und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer dringend geboten, zumal seit der Haftentlassung noch nicht viel Zeit vergangen ist.
Das Aufenthaltsverbot greift in das Privat- und Familienleben des BF ein. Daher ist eine einzelfallbezogene gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit seinen gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Dabei sind sein rechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet seit 2012, die Beziehung zu seinen ebenfalls seit vielen Jahren im Bundesgebiet aufhältigen Eltern und Geschwistern, mit denen vor der Inhaftierung ein gemeinsamer Haushalt bestand, und die Kontakte zu in Österreich lebenden Bekannten und Freunden sowie zu seiner Lebensgefährtin zu berücksichtigen, wobei diese Kontakte haftbedingt nur eingeschränkt möglich waren. Für den BF sprechen auch die in Österreich absolvierte Schulausbildung sowie die Versuche sich am Arbeitsmarkt zu integrieren, was sich nicht zuletzt an der vorgelegten Einstellungszusage zeigt.
Dem aus diesem Umständen resultierenden erheblichen familiären und privaten Interesse des BF an einem Verbleib in Österreich stehen jedoch das Fehlen der strafgerichtlichen Unbescholtenheit und das große öffentliche Interesse an der Verhinderung strafbarer Handlungen, insbesondere von Gewalt- und Vermögensdelikten, gegenüber. Der gesunde und arbeitsfähige BF hat in Polen Tanten und Onkel, die er in den Ferien gelegentlich besucht hat; eine völlige Entfremdung von seinem Herkunftsstaat ist auch angesichts des Umstands, dass er dort prägende Jahre seiner Kindheit verbrachte und zwei Jahre lang die Schule besuchte, nicht nachvollziehbar, zumal davon auszugehen ist, dass er die dort übliche Sprache beherrscht. Daher ist nicht davon auszugehen, dass der BF gar keine Bindungen iSd § 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG mehr zu seinem Heimatstaat hat, sodass es ihm trotz der langen Abwesenheit ohne größere Probleme gelingen wird, dort wieder Fuß zu fassen, zumal auch Besuche und die finanzielle Unterstützung durch seine in Österreich lebenden Bezugspersonen möglich sind. Außerdem können die privaten und familiären Kontakte des BF in Österreich auch durch diverse Kommunikationsmittel (Telefon, Internet etc.) gepflegt werden. Der mit der Erlassung des Aufenthaltsverbots verbundene Eingriff in sein Familien- und Privatleben ist daher grundsätzlich verhältnismäßig.
Das vom BFA mit der Dauer von fünf Jahren festgesetzte Aufenthaltsverbot ist jedoch unverhältnismäßig lange, zumal das Strafgericht den Strafrahmen bei weitem nicht ausgeschöpft hat, dem nunmehrigen Erstvollzug eine erhöhte spezialpräventive Wirkung zu attestieren ist und der BF sich einsichtig und reumütig zeigt. Die Dauer des Aufenthaltsverbots ist daher, auch in Anbetracht der dreijährigen Probezeit, auf drei Jahre zu reduzieren. Ein auf diese Zeitspanne befristetes Aufenthaltsverbot ist notwendig, aber auch ausreichend, um der von ihm ausgehenden schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit wirksam zu begegnen. Durch die Reduktion der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbots wird auch den starken privaten und familiären Bindungen des BF im Inland ausreichend Rechnung getragen, zumal bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbots nach § 67 Abs. 4 FPG insbesondere auf die privaten und familiären Verhältnisse Bedacht zu nehmen ist (siehe VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075). Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist insoweit - in teilweiser Stattgebung der Beschwerde - abzuändern.
Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids:
Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.
Dafür genügt es nicht, auf eine - die Aufenthaltsbeendigung als solche rechtfertigende - Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Fremden zu verweisen, sondern es ist darüber hinaus darzutun, warum die Aufenthaltsbeendigung sofort - ohne Aufschub und unabhängig vom Ergebnis des Beschwerdeverfahrens - zu erfolgen hat. Dazu ist es nicht ausreichend, jene Überlegungen ins Treffen zu führen, die schon bei der Entscheidung über die Verhängung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme selbst maßgeblich gewesen sind. Dies gilt sinngemäß auch für die unter den (im Wesentlichen) inhaltsgleichen Voraussetzungen gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG 2014 mögliche Aberkennung der aufschiebenden Wirkung in Bezug auf die Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot. Es bedarf daher einer über die Erwägungen für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes nach § 67 FrPolG 2005 hinausgehenden besonderen Begründung, weshalb die Annahme gerechtfertigt ist, der weitere Aufenthalt des Fremden während der Dauer des Beschwerdeverfahrens gefährde die öffentliche Ordnung oder Sicherheit derart, dass die sofortige Ausreise bzw. Abschiebung des Fremden schon nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides -ohne Aufschub und unabhängig vom Ergebnis des Beschwerdeverfahrens - erforderlich ist (VwGH 16.01.2020, Ra 2019/21/0360).
Solche besonderen Umstände sind hier angesichts der sozialen Verankerung des BF im Bundesgebiet nicht erkennbar. Dem BF ist daher in Abänderung von Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen.
Da der relevante Sachverhalt aus der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt erscheint und auch bei einem positiven Eindruck vom BF bei einer mündlichen Verhandlung keine weitere Herabsetzung oder gar ein Entfall des Aufenthaltsverbots möglich wäre, unterbleibt die beantragte Beschwerdeverhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG. Von deren Durchführung ist keine weitere Klärung der Angelegenheit zu erwarten, zumal das BVwG ohnedies von den Behauptungen des BF zu seinen familiären, privaten und beruflichen Anknüpfungen im Inland ausgeht, sodass kein klärungsbedürftiges Tatsachenvorbringen erstattet wurde.
Zu Spruchteil B):
Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose, die Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG und die Bemessung der Dauer eines Aufenthaltsverbots sind im Allgemeinen nicht revisibel (siehe VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284, 01.03.2018, Ra 2018/19/0014 und 10.07.2019, Ra 2019/19/0186). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs. 4 B-VG zu lösen war.
Schlagworte
Aufenthaltsverbot Befristung Herabsetzung Interessenabwägung Milderungsgründe Privat- und Familienleben strafgerichtliche Verurteilung VerhältnismäßigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G310.2226319.1.00Im RIS seit
21.09.2020Zuletzt aktualisiert am
21.09.2020