TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/20 G311 2229712-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.04.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

20.04.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76

Spruch

G311 2229712-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Eva WENDLER als Einzelrichterin in dem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren zur Überprüfung der Anhaltung in Schubhaft des XXXX auch XXXX auch XXXX alias XXXX auch XXXX auch XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX alias XXXX , StA. Algerien, Zahl: XXXX zu Recht:

A)       Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Forstsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I.       Verfahrensgang und Feststellungen

Am 28.10.2014 stellte der betroffene Fremde (BF) seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Über diesen wurden mit Rechtskraft vom 29.11.2016 negativ entschieden.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX GZ XXXX vom XXXX 2015 wurde er BF wegen der Vergehen nach §§ 241e (3), 127, 130 erster Fall, 229 (1) und 15StGB zu einer Geldstrafe von 360 Tagsätzen zu je 4,00 EUR (1.440,- EUR), für den Fall der Nichteinbringlichkeit 90 Tage Ersatzfreiheitsstrafe bedingt, unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren rechtskräftig verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX 2016, GZ XXXX wurde der BF wegen des Vergehens des Diebstahls nach §§ 127 und 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 2 (zwei) Monaten rechtskräftig verurteilt.

Der am 11.09.2017 gestellte Folgeantrag auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG zurückgewiesen, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Algerien zulässig ist. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.11.2017 zur Zahl I412 2174942-1 abgewiesen, diese Entscheidung ist am 08.11.2017 in Rechtskraft erwachsen.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX 2018 wurde der BF wegen §§ 83 (1), 84 (2), 15 StGB §269 (1), 107, 218 (1a),127, 129, 130 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren unbedingt verurteilt.

Am 15.01.2018 wurde ein Verfahren zur Beschaffung eines Ersatzreisedokumentes mit der Botschaft von Algerien eingeleitet. Am 23.01.2018 fand ein Interview des BF vor der algerischen Botschaft statt. Am 14.06.2018 wurde der BF von der algerischen Botschaft negativ identifiziert und die Zustimmung zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates wurde abgelehnt. Am 31.08.2018 wurde ein Verfahren zur Beschaffung eines Ersatzreisedokumentes mit der Botschaft von Marokko eingeleitet.

In weiterer Folge wurde über den BF mit Rechtskraft vom 19.10.2018 eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG sowie ein Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 3 Z 2 FPG erlassen.

Am 07.11.2019 wurden auch Verfahren bezüglich der Ausstellung eines Heimreisezertifikates mit den Botschaften von Tunesien, Libyen und Ägypten gestartet.

Der BF wurde am 25.11.2019 neuerlich zur möglichen Schubhaftverhängung einvernommen.

Mit Bescheid vom 26.11.2019 wurde gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG über den BF die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet, wobei die Rechtsfolgen nach der Entlassung aus der Strafhaft einzutreten haben. Dieser Bescheid wurde vom BF am 26.11.2019 übernommen. Begründend wurde ausgeführt, dass gegen den BF eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliege, er verfüge über keinen Wohnsitz und keine persönlichen und privaten Bindungen im Bundesgebiet. Er sei strafrechtlich in Erscheinung getreten. Die Fluchtgefahr ergebe sich daraus, dass er mittellos sei und keine privaten und familiären Bindungen zu Österreich habe. Er gelte aufgrund des beschriebenen Verhaltens als nicht vertrauenswürdig und bestehe aufgrund seiner Wohn- und Familiensituation die Gefahr des Untertauchens. Die Schubhaft sei auch verhältnismäßig.

Nach seiner Entlassung aus der Strafhaft am XXXX 11.2019 wurde der BF in Schubhaft genommen. Der BF war von XXXX 08.2016 bis XXXX 10.2016 und XXXX 08.2017 bis XXXX 03.2018 in der Justizanstalt XXXX , von XXXX 03.2018 bis XXXX 11.2019 in der Justizanstalt XXXX inhaftiert.

Er befindet sich seit dem XXXX 11.2019 in Schubhaft. Vom XXXX 12.2019 bis XXXX 12.2019 befand sich der BF in Hungerstreik, welchen er freiwillig beendete.

Am 20.02.2020 fand die Vorführung des BF zum Interview vor der Ägyptischen Botschaft statt. Dabei wurde der BF seitens des ägyptischen Konsul negativ identifiziert. Der Konsul ging aufgrund des Dialektes des BF davon aus, dass er Marokkaner bzw. Algerier sei. Die am 7.11.2019 begonnen Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikats mit Libyen und Tunesien, wurden aufgrund der Auskunft des ägyptischen Konsuls vorerst ausgesetzt.

Hinsichtlich des BF liegen unterschiedliche Angaben zu seinen Geburtsdaten vor: Verständigung der Staatsanwaltschaft XXXX vom 09.01.2017 (geb. XXXX ), Strafregisterauszug vom 16.04.2020 (Aliasidentität geb. XXXX ), GVS-Auszug vom 16.04.2020 (Historische Daten: XXXX ), ZMR und Strafurteil LG Strafsachen XXXX und Beschluss über die Ablehnung der bedingten Entlassung aus der Freiheitsstrafe des LG XXXX (geb. XXXX ). Im IZR sind die im Spruch angeführten Identitäten gespeichert (siehe IZR-Auszug vom XXXX ).

In der niederschriftlichen Einvernahme zur Schubhaft am 25.11.2019 gab er an, er wisse nicht weshalb es zu den verschiedensten Namensfeststellungen (siehe Spruch) gekommen sei. Auf die Frage, ob er willens sei, an der Erwirkung eines Heimreisezertifkates bzw. Identitätsfeststellung mitzuwirken gab er an: „Nein, ich möchte Österreich nicht verlassen“. Freiwillig nach Algerien würde er nicht zurückkehren. Er wisse auch, dass er keine Drogen mehr verkaufen dürfe, um an zu Geld zu kommen. Er könne bei einer namentlich genannten Freundin in XXXX wohnen.

Der BF verfügt über kein Reisedokument.

Einer Mitwirkungspflicht an seiner Identitätsfeststellung kam der BF daher bis dato nicht nur nicht nach, sondern versucht der BF immer wieder seine Herkunft zu verschleiern.

Am 20.02.2020 wurde der BF dem Konsul der ägyptischen Botschaft in Wien vorgeführt. Der ägyptische Konsul gab zu Protokoll, dass der BF aufgrund seines Dialektes Staatsangehöriger von Marokko oder Algerien sein könnte. Die Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates mit Libyen und Tunesien wurden ausgesetzt. Die letzte Urgenz bei der Botschaft Marokkos fand am 15.04.2020 statt.

Der BF hat in Österreich keine maßgebliche familiäre, soziale und berufliche Verankerung. Er verfügt auch nicht über ausreichende finanzielle Mittel zur Sicherung seines Unterhalts und hat auch keinen gesicherten Wohnsitz. Abgesehen von Wohnsitzmeldungen in Justizanstalten und in Polizeianhaltezentren liegen lediglich zwei Obdachlosenmeldungen (27.11.2014 bis 13.04.2015 sowie 02.07.2015 bis 18.09.2015) vor.

II. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen hinsichtlich der Verfahren bezüglich der Anträge auf internationalen Schutz und des fremdenspolizeilichen Verfahrens gründen auf dem aktenkundigen IZR-Auszug vom 16.04.2020 sowie der Einsichtnahme in das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes 06.11.2017 zur Zahl I412 2174942-1.

Weiters holte das Bundesverwaltungsgericht einen Zentralmelderegister-, Strafregister- und GVS-Auszug ein.

Die Feststellungen hinsichtlich des Hungerstreiks gründen auf dem Auszug aus der Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung vom 16.04.2020.

Die Feststellungen bezüglich der Erlangung der Heimreisezertifikate stützen sich auf die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie dessen Auskunft per Email am 21.05.2020.

Die Feststellungen betreffend seine persönlichen Angaben und des Umstandes, dass der BF über kein gültiges Reisedokument verfügt, basieren auf den Angaben des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 25.11.2019.

III. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A.:

Auf Grund des festgestellten Sachverhaltes erweist sich die Fortsetzung der seit XXXX 11.2019 andauernden Schubhaft wegen Vorliegens von Fluchtgefahr weiterhin als erforderlich und die Anhaltung in Schubhaft wegen Überwiegens des öffentlichen Interesses an der Sicherung der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Vergleich zum Recht des betroffenen Fremden auf persönliche Freiheit auch als verhältnismäßig.

Gegenständlich liegt auch eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme, nämlich eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot gemäß § 76 Abs. 3 Z 3 FPG vor.

Der BF verfügt über keine ausreichenden finanziellen Mittel zur Finanzierung seines Unterhaltes und über keinen aufrechten Wohnsitz. Es wurden keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration des BF in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt und bestehen im Bundesgebiet keine feststellbaren familiären Beziehungen. Damit ist auch § 76 Abs. 3 Z 9 FPG erfüllt.

Auch durch die Verwendung von unterschiedlichen Identitäten und durch das Untertauchen hat der BF am Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nicht mitgewirkt bzw. so bislang seine Abschiebung im Sinne des § 76 Abs. 3 Z 1 FPG behindert.

Unter Berücksichtigung dieser nach wie vor vorliegenden Umstände kann von einem verstärkten Sicherungsbedarf ausgegangen werden.

Zudem wurde der BF rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt. Dieses massive strafrechtliche Fehlverhalten ist gemäß § 76 Abs. 2a FPG im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung maßgeblich zu berücksichtigen.

Die Annahme, wonach es sehr wahrscheinlich ist, dass im Fall der Beendigung der Schubhaft und Freilassung letztlich eine Rückführung des weiterhin rückkehrunwilligen BF durch Untertauchen vereitelt oder erschwert werden könnte, erweist sich unter Berücksichtigung des bisherigen Gesamtverhaltens des BF, insbesondere seines strafrechtlichen Fehlverhaltens, der mangelnden Vertrauenswürdigkeit sowie seiner fehlenden sozialen Verankerung in Österreich nach wie vor als begründet. Der BF hat bislang keine Bereitschaft gezeigt hat freiwillig auszureisen und in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren.

Das Verfahren zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates (HRZ) durch die zuständige Auslandsvertretungsbehörde, nämlich gegenständlich die Botschaft von Marokko, ist im Laufen.

Voraussetzung für die Fortsetzung der Schubhaft ist, dass nach wie vor die Aussicht besteht, dass für den BF ein Heimreisezertifikat erlangt werden kann (vgl VwGH 11.05.2017, Ra 2016/21/0144).

Das Verfahren hinsichtlich einer Ausstellung eines Heimreisezertifikates wird seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl effizient und nachhaltig geführt, so wurde erst am 15.04.2020 die Ausstellung eines Heimreisezertifikats bei der Botschaft Marokkos urgiert. Es haben sich keine Umstände ergeben, dass die Durchführbarkeit der Abschiebung innerhalb der Schubhafthöchstdauer von gegenständlich 18 Monaten nicht möglich wäre, die Verhältnismäßigkeit der gegenständlichen Anhaltung zum Entscheidungszeitpunkt nach wie vor gegeben.

Die Anordnung eines gelinderen Mittels gemäß § 77 FPG ist unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des vorliegenden Falles, insbesondere des Vorliegens von verstärkter Fluchtgefahr, nicht geeignet, um den erforderlichen Sicherungszweck (Durchführung der Abschiebung) zu erreichen.

Die in § 80 Abs. 4 Z 1 und Z 2 FPG vorgesehene Höchstdauer der Anhaltung in Schubhaft im Ausmaß von 18 Monaten wurde zum Entscheidungszeitpunkt nicht überschritten.

Sollten die Einschränkungen zur Verhinderung der weiteren Ausbreitung der Corona-Pandemie bei Reisebewegungen jedoch weit über Mai 2020 hinaus verlängert oder gar unbefristet angeordnet werden, wird die Verhältnismäßigkeit der Schubhaft des BF zu hinterfragen sein, zumal dann voraussichtlich nicht mehr von der Möglichkeit einer zeitnahen Abschiebung nach Marokko ausgegangen werden kann.

Die andauernde Schubhaft kann daher – auch unter Berücksichtigung der gesetzlich festgelegten Höchstdauer der Anhaltung – fortgesetzt werden, weshalb gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wie im Spruch angeführt zu entscheiden war.

Entfall der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Fest steht, dass auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu keinem anderen Ergebnis führen würde, ging doch der entscheidungsrelevante Sachverhalt aus der Aktenlage klar hervor, weshalb gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben konnte. Zudem war derzeit zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist zuzulassen, weil die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Auswirkungen der Maßnahmen zur Verhinderung der weiteren Ausbreitung der Corona-Pandemie (COVID-19) auf die Fortsetzung (oder Anordnung) der Schubhaft, insbesondere zu einer allfälligen daraus resultierenden Reduktion der Fluchtgefahr sowie auf die Möglichkeit einer zeitnahen Rückführung fehlt und dies aktuell über den konkreten Einzelfall hinaus für zahlreiche Rechtssachen relevant sein könnte.

Schlagworte

Fluchtgefahr Pandemie Revision zulässig Schubhaft Schubhaftbeschwerde Sicherungsbedarf Verhältnismäßigkeit Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G311.2229712.2.00

Im RIS seit

21.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

21.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten