Entscheidungsdatum
08.05.2020Norm
BFA-VG §22a Abs4Spruch
G307 2228446-2/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD in dem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren zur Überprüfung der Anhaltung in Schubhaft des XXXX , geb. am XXXX 1996, StA.: Indien, zu Recht erkannt:
A)
Es wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und, dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), Regionaldirektion Steiermark – Außenstelle Graz, vom XXXX 2020, vom Betroffenen Fremden (im Folgenden: BF) persönlich übernommen am XXXX 2020 um 14:15 Uhr, wurde gegenüber diesem gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm. § 57 AVG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung angeordnet.
2. Mit dem am 10.02.2020 beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) eingebrachten und mit 10.02.2020 datierten Schriftsatz erhob der BF durch seine bevollmächtigte Rechtsvertretung (im Folgenden: RV) Beschwerde gegen den im Spruch angeführten Schubhaftbescheid.
3. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 14.02.2020 in der Außenstelle Graz eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in deren Zuge unter anderem die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und festgestellt wurde, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen.
Da vom BF eine schriftliche Ausfertigung dieses Erkenntnisses begehrt wurde, wurde diese am 03.03.2020 erstellt und dem BF übermittelt.
4. Am 06.05.2020 erfolgte die erste Aktenvorlage von Seiten des BFA an das BVwG zwecks amtswegiger Prüfung, ob die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig sei.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der BF führt die im Spruch angegebene Identität (Namen und Geburtsdatum) und ist indischer Staatsangehöriger. Der BF besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist somit Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG. Identitätsdokumente wurden nicht vorgelegt.
1.2. Der BF wurde am XXXX 2020, um 10.45 Uhr, in XXXX von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes einer Personenkontrolle unterzogen und am selben Tag um 11:15 Uhr festgenommen. Der BF reiste mit dem Flugzeug von XXXX nach Armenien, hielt sich dort rund 1,5 Monate auf und begab sich anschließend mittels Flugzeug über Moskau und Serbien schlepperunterstützt unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich. Der BF wollte nach Italien weiterreisen, um sich dort bei einem Bekannten aufzuhalten.
1.3. Der BF ist ledig und keinen Sorgepflichten ausgesetzt.
1.4. Der BF stellte am XXXX 2016 in Indien einen Antrag auf Ausstellung eines Touristenvisums, welcher am XXXX 2016 von der deutschen Botschaft in XXXX negativ beschieden wurde.
1.5. Mit Bescheid des BFA vom XXXX 2020, wurde gegen den BF die Schubhaft verhängt, welche derzeit im XXXX vollzogen wird.
1.6. Mit Bescheid des BFA vom 17.01.2020, zahl XXXX wurde dem BF kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG erteilt, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen, die Abshciebung nach Indien gemäß § 46 FPG für zulässig erklärt, die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG aberkannt und gegen den BF ein auf die Dauer von 2 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Dagegen erhob der BF Beschwerde, welcher mit Erkenntnis des BVwG vom 19.02.2020, Zahl W124 2228533-1/4E stattgegeben und der bekämpfte Bescheid gemäß § 28 Abs. 1 und 5 VwGVG ersatzlos behoben wurde.
Am 17.01.2020 stellte der BF auch einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes, welcher mit Bescheid des Bundesamtes vom 03.03.2020, zahl XXXX abgeiwesen wurde. Dagegen erhob der BF Beschwerde an das BVwG. Dieses Verfahren ist noch nicht abgeschlossen, wobei der Beschwerde von Seiten des Verwaltungsgerichtes bis dato keine aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde.
1.7. Der BF verfügt über keine hinreichenden finanziellen Mittel zur Sicherung seines Lebensunterhaltes, hat in Österreich keine familiären oder sonstigen gesellschaftlichen Anknüpfungspunkte, ging im Bundesgebiet bis dato keiner legalen Beschäftigung nach, konnte keine private, gesicherte Unterkunft nachweisen, ist der deutschen Sprache nicht mächtig und strafrechtlich unbescholten.
1.8. Wäre der BF nicht von der Polizei betreten worden, hätte er sich nach Wien begeben, um dort einen nicht näher bekannten Sikh-Tempel aufzusuchen. Es konnte nicht festgestellt werden, dass er BF rückkehrwillig ist.
1.9. Am XXXX 2020 leitete das Bundesamt ein Verfahren zur Erlassung eines Heimreisezertifikats (HRZ) mit Indien ein.
2. Beweiswürdigung:
Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt den vorgelegten Verwaltungsakten der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.
Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vorliegenden Aktes durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:
Die im Spruch angegebene Identität (Namen und Geburtsdatum), die angeführte Staatsangehörigkeit sowie der Nichtbesitz der österreichischen Staatsbürgerschaft beruhen auf den vom Bundesamt im Mandatsbescheid getroffenen Feststellungen, denen vom BF bisher nicht entgegengetreten wurde. Auch wird die Identität des BF durch den seitens des Bundesministeriums für Inneres eingeholten Auszug aus der Visadatenbank bestätigt. In dieser Datenbank liegt der BF samt Reispassdaten und Lichtbild auf Grund seiner Visaantragstellung im Jahr 2016 ein. Die Feststellungen hinsichtlich der Einreise und des Aufenthaltes des BF im Bundesgebiet, seiner allseitigen Verhältnisse, der beabsichtigten Weiterreise nach Italien, zum fehlenden Besitz von Identitätsurkunden sowie zu den dem BF betreffenden asyl- und fremdenrechtlichen Entscheidungen, beruhen auf den Feststellungen im Schubhaftbescheid der belangten Behörde, den Angaben des BF im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX 2020 sowie den Angaben im Zuge der mündlichen Schubhaftverhandlung am 14.02.2020. Der BF hat über Befragen in dieser Verhandlung sämtliche in der Niederschrift vom XXXX 2020 gemachten Angaben bestätigt.
Der BF lieferte keinen Beweis hiefür, dass er in einer privaten, gesicherten Unterkunft unterkommen könnte.
Dass der BF bis dato keine Beschäftigung ausgeübt hat, folgt dem Inhalt des auf seinen Namen lautenden Sozialversicherungsdatenauszuges, die strafrechtliche Unbescholtenheit dem Amtswissen des BVwG durch Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich.
Es ist deshalb nicht glaubhaft, der BF habe ursprünglich keine Absicht gehabt, nach Italien weiterreisen zu wollen, sondern nach Österreich gekommen zu sein, um hier einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes zu stellen. Er stellte nämlich erst am XXXX 2020, somit zwei Tage nach seiner Festnahme, einen Tag nach Verhängung der Schubhaft sowie nach Erlassung einer Rückkehrentscheidung den Asylantrag. In seiner Einvernahme am XXXX 2020 gab er an, mit den Behörden seines Herkunftsstaates keine Probleme zu haben, zu einem Freund nach Italien zu wollen und berichtete über einen Nachbarschaftsstreit in dem sein Onkel involviert sei. Diese Angaben, mit Ausnahme der beabsichtigten Weiterreise nach Italien, bestätigte der BF auch im Zuge seiner Befragung in der Verhandlung. Es überzeugt auch nicht, wenn der BF über Befragen in der Verhandlung angibt, in Armenien keinen Asylantrag gestellt zu haben, weil man dort kein Asyl bekomme und in Serbien keinen Asylantrag gestellt zu haben, weil dort viele Flüchtlinge aus Afghanistan aufhältig seien, vor denen er sich fürchte.
Die beabsichtigte Weiterreise nach XXXX , für den Fall, dass er nicht angehalten worden wäre, bestätigte der BF in der mündlichen Verhandlung am 14.02.2020. Somit kann davon ausgegangen werden, dass er den Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes nur gestellt hat, um seine Abschiebung zu verzögern bzw. zu verhindern. Dies ergibt sich auch aus dem Inhalt des vom Bundesamt am 18.01.2020 erstellten Aktenvermerks.
Die Einleitung des HRZ-Verfahrens mit Indien ist der Aktenvorlage wie dem auf den Namen des BF lautenden Auszuges aus dem Zentralen Fremdenregisters zu entnehmen.
Dass der BF nicht gewillt ist, aus eigenem Antrieb nach Indien zurückzukehren, hat er zuletzt in der Schubhaftverhandlung am 14.02.2020 vorgebracht. Ferner hat er zu Beginn seines Aufenthaltes in Österreich seine Identität verschleiert, indem er einen falschen Namen und ein falsches Geburtsdatum angegeben hat. Dass er dies deshalb getan hat, weil er damals unter Druck gestanden sei, stellt keine Rechtfertigung hiefür dar (siehe VH-Schrift vom 14.02.2020, Seite 4).
3. Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchpunkt A)
3.1. Zuständigkeit:
Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ betitelte § 22a Abs. 4 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, idF BGBl. I Nr. 70/2015, lautet:
„§ 22a. (...)
(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.
(...).“
Seit Vorlage des Verwaltungsaktes beim BVwG am 03.04.2020 gilt die gegenständliche Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen BF als eingebracht. Das BVwG hat nunmehr zu prüfen, ob zum Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist, und dies gegebenenfalls festzustellen.
3.2. Relevante Rechtsvorschriften und Judikatur:
Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG),
lautet:
„§ 76. (...).
(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1. (...),
2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
(...).
(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.“
Als „Fluchtgefahr“ nach Art. 2 lit. n Dublin-VO gilt das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven – vom nationalen Gesetzgeber – gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zur Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragsteller, ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte. Die in diesem Sinne gesetzlich festgelegten Kriterien des Vorliegens von Fluchtgefahr finden sich in § 76 Abs. 3 FPG.
Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist oder wenn die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-VO vorliegen (§ 76 Abs. 2 FPG). Dabei ist das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).
Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).
Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).
Der mit „Dauer der Schubhaft“ betitelte § 80 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG),
lautet:
„§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.
(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich
1. drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;
2. sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.
(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrechterhalten werden.
(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil
1. die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,
2. eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,
3. der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder
4. die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,
kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.
(5) Abweichend von Abs. 2 und vorbehaltlich der Dublin-Verordnung darf die Schubhaft, sofern sie gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, angeordnet wurde, bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von 10 Monaten nicht überschreiten. Wird die Schubhaft über diesen Zeitpunkt hinaus aufrechterhalten oder nach diesem Zeitpunkt neuerlich angeordnet, ist die Dauer der bis dahin vollzogenen Schubhaft auf die Dauer gemäß Abs. 2 oder 4 anzurechnen.
(…)
(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.
(...).“
3.3. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich:
Der BF ist indischer Staatsbürger, demnach Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG.
Gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG darf die Schubhaft nur dann angeordnet werden, wenn dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist.
Bei der Prüfung, ob Sicherungsbedarf gegeben ist, ist nach § 76 Abs. 2a FPG im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.
Fest steht, dass der BF nunmehr seit XXXX 2020 durchgehend in Schubhaft angehalten wird.
Am 06.05.2020 erfolgte beim BVwG die verfahrensgegenständliche Aktenvorlage durch das BFA zwecks Prüfung gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft zum Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig sei.
Das Verhalten des BF ist folgenden Tatbeständen des § 76 Abs. 3 zu subsumieren:
? Am XXXX 2020 stellte der BF einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes. Zum damaligen Zeitpunkt bestand gegen diesen eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung, auch wenn diese danach vom BVwG aufgehoben wurde. Dadurch ist § 76 Abs. 3 Z. 5 FPG erfüllt.
? Da der BF in Österreich keine Familienangehörigen oder sonstige Bezugspersonen, keinen ordentlichen Wohnsitz bzw. niemanden hat, bei dem er längerfristig Unterkunft nehmen könnte, er ferner bis dato keiner Beschäftigung nachging und auch nur über € 218,00 verfügt, ist nicht von der gesicherten Existenz eines Wohnsitzes wie einer Sicherung seines Lebensunterhalts in Österreich auszugehen; nachweislich regelmäßige legale Erwerbseinkünfte zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes bzw. Finanzierung seines illegalen Aufenthaltes in Österreich hat der BF ebenso nicht; in Gesamtbetrachtung ist somit § 76 Abs. 3 Z. 9 FPG erfüllt.
? Da der BF nach Italien weiterreisen wollte, ist auch der Tatbestand des § 76 Abs. 3 Z 6 lit c) FPG gegeben.
Vom BF geht somit jedenfalls eine erhebliche Fluchtgefahr iSv § 76 Abs. 3 FPG aus. Daher überwiegt das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des BF.
Die weitere Anhaltung des BF in Schubhaft wird daher iSd § 76 Abs. 2 FPG für verhältnismäßig erachtet.
An der indischen Staatsbürgerschaft des BF bestehen keine Zweifel, sodass auch dahingehend mit keinem Hindernis zu rechnen ist.
Das BFA geht, wie mit verfahrensgegenständlicher Aktenvorlage mitgeteilt, davon aus, dass die Überstellung des Fremden nach Indien innerhalb zumutbarer Frist möglich sein wird und die Durchführung der Überstellung absehbar ist. Die absehbare Dauer der Schubhaft erweist sich aus aktueller Sicht daher nicht als unverhältnismäßig.
Der BF befindet sich nunmehr seit XXXX 2020 in Schubhaft. Die in § 80 Abs. 2 Z 2 FPG normierte, höchstzulässige Schubhaftdauer ist momentan (noch) nicht überschritten und ist vorliegend mit der Erlangung eines HRZ innerhalb der in § 80 FPG angeführten Frist auszugehen.
Ergänzend sei erwähnt, dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft auch in der aktuellen Situation im Zusammenhang mit dem Corona-Virus (COVID-19) als verhältnismäßig einzustufen ist. Entsprechend der medialen Berichterstattung werden zwar aktuell die Reisebewegungen weltweit und aus Österreich vermehrt eingeschränkt. Jedoch handelt es sich bei den derzeitigen Restriktionen um zeitlich begrenzte Maßnahmen. Dies bedeutet, dass im vorliegenden Fall eine Abschiebung zwar vorübergehend nicht möglich ist, jedoch in den kommenden Wochen möglich sein wird. Mit Blick auf die höchstzulässige Schubhaftdauer iSd § 80 FPG zeigt sich, dass die voraussichtliche Anhaltung in Schubhaft (in Hinblick auf einen realistischen Abschiebetermin) damit ohnehin deutlich länger andauert, als die Aufrechterhaltung der aktuellen Pandemie-Restriktionen gegenwärtig zu erwarten ist.
Folglich wird spruchgemäß festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft zum Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.
3.4. Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Fest steht, dass auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu keinem anderen Ergebnis führen würde, war doch der entscheidungsrelevante Sachverhalt aus der Aktenlage klar ersichtlich, weshalb gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben konnte.
Ergänzend wird erwähnt, dass wegen der aktuellen Corona-Infektionen von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen wurde.
Zu Spruchpunkt B) – Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Fluchtgefahr Interessenabwägung öffentliche Interessen Schubhaft Schubhaftbeschwerde Sicherungsbedarf Verhältnismäßigkeit VoraussetzungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G307.2228446.2.00Im RIS seit
21.09.2020Zuletzt aktualisiert am
21.09.2020