Entscheidungsdatum
26.05.2020Norm
BFA-VG §22a Abs4Spruch
G307 2230098-3/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht ha durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD im Verfahren zur Überprüfung der Anhaltung des XXXX , geboren am XXXX , StA.: Nigeria in Schubhaft in dem zu Zahl XXXX vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl geführten Verfahren zu Recht erkannt:
A) Es wird gemäß § 22 a Abs 4 BFA-VG festgestellt, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der betroffene Fremde (im Folgenden: BF) stellte am XXXX 2016 in Italien und am XXXX 2017 in Österreich einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes. Beide Verfahren wurden zum Nachteil des BF beendet.
Mit Urteil des Landesgerichts XXXX , Zahl XXXX , in Rechtskraft erwachsen am XXXX 2018 wurde der BF wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften, versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt und schwerer Körperverletzung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt. Nach seiner bedingten Entlassung am XXXX 2018 wurde er am XXXX 2018 nach Italien abgeschoben. Ebenso wurde der BF nach neuerlicher Wiedereinreise am XXXX 2019 nach Italien abgeschoben. Am XXXX 2019 griffen ihn Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes abermals im österreichischen Bundesgebiet auf.
Nach seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) wurde über ihn mit Bescheid vom XXXX 2019 die Schubhaft zum Zweck der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Abschiebung angeordnet, die seit XXXX 2019 im XXXX vollzogen wird.
Im Rahmen der ersten amtswegigen Überprüfung der Anhaltung des BF in Schubhaft stellte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 07.04.2020, G 303 2230098-1/2E, fest, dass im Entscheidungszeitpunkt die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig war, wobei eine Verhandlung gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG entfiel.
Auch mit Erkennntnis desselben Gerichtes vom 29.04.2020, Zahl G314 2230098-2/2E , wurde die weitere Anhaltung des BF in Schubhaft für verhältnismäßig erklärt.
Am 22.05.2020 wurde dem BVwG der gegenständliche Akt vorgelegt, welcher am selben Tag hierorts einlangte.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der BF beherrscht die Sprachen Englisch und Igbo. Er ist volljährig und haftfähig. Er legte bis dato kein Reise- oder Identitätsdokument vor.
Aufgrund seines am 20.12.2017 gestellten Antrags auf Gewährung internationalen Schutzes bezog er bis XXXX 2018 Grundversorgungsleistungen und war als Asylwerber krankenversichert. Am 06.04.2018 wurde er festgenommen und bis zum XXXX 2018 in der Justizanstalt XXXX in Untersuchungs- bzw. Strafhaft angehalten. Mit Bescheid vom 28.04.2018 wurde sein Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes in Ermangelung der Zuständigkeit Österreichs (sondern Italiens) zurückgewiesen.
Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX 2018, XXXX , wurde der BF wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 2a SMG, des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB und der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 1 und Abs 2 StGB zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach seiner bedingten Entlassung wurde er am XXXX 2018 nach Italien abgeschoben. Am XXXX 2019 wurde er neuerlich im Bundesgebiet betreten und am XXXX .2019 wieder nach Italien abgeschoben.
Am XXXX 2019 wurde der BF abermals in Österreich angetroffen, festgenommen und in Schubhaft genommen. Mit dem Bescheid des BFA vom 11.12.2019 wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 5 FPG erlassen, die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Nigeria festgestellt, gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 FPG ein dreijähriges Einreiseverbot erlassen, keine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Der BF erhob dagegen eine Beschwerde an das BVwG, über die noch nicht entschieden wurde. Mit dem Bescheid des BFA vom 04.02.2020 wurde ausgesprochen, dass dem BF kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG erteilt wird.
Am XXXX 2019 wurde ein Ersatzreisedokument (Heimreisezertifikat) für den BF bei der nigerianischen Botschaft in Wien beantragt, dessen Ausstellung am XXXX 2020 und zuletzt am XXXX 2020 (bislang ergebnislos) urgiert wurde.
Der BF ist nicht bereit, nach Nigeria auszureisen. Er hat im Bundesgebiet keine relevanten familiären oder sonstigen sozialen Bindungen. Er hat keine Unterkunft und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er ist nicht zum Aufenthalt in Italien berechtigt, sondern wurde vielmehr aufgrund eines von den italienischen Behörden ausgesprochenen Einreise- bzw. Aufenthaltsverbots im Schengener Gebiet von 24.09.2019 bis 24.09.2022 im Schengener Informationssystem ausgeschrieben.
Aufgrund der aktuellen Corona-Pandemie wurden in Nigeria am 26.03.2020 alle Flughäfen und die Landesgrenzen vorübergehend geschlossen (siehe https://de.wikipedia.org/wiki/COVID-19-Pandemie_in_Nigeria; Zugriff am 25.05.2020). Für Nigeria wurde vom Bundesministerium für Europäische und internationale Angelegenheiten die Sicherheitsstufe 6 (Reisewarnung) ausgesprochen; vor allen Reisen nach Nigeria wird aufgrund der raschen Ausbreitung des Coronavirus (COVID-19) gewarnt (siehe https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/nigeria/; Zugriff am 25.05.2020).
Wann Reisen über Österreichs Nachbarländer hinaus wieder möglich sein werden, ist bisher unklar. Reisen innerhalb der EU werden voraussichtlich wieder früher möglich sein Hoffnung gibt es vor allem für Griechenland, im Gespräch ist hier die Quarantänevorschrift für Urlauber aus einigen Ländern - darunter Österreich - aufzuheben. Fernreisen etwa nach Amerika oder Asien dürften aber wohl noch etwas länger nicht möglich sein. Auch der internationale Flugverkehr unterliegt weiterhin starken Einschränkungen - viele Airlines haben ihren Betrieb bis 31. Mai fast komplett eingeschränkt. Die Austrian Airlines hat die Wiederaufnahme des Flugbetriebs für 15. Juni angekündigt. Seit Anfang Mai bietet WizzAir nun wieder vereinzelnd innereuropäische Flüge an, Fluglinien wie Lufthansa, Ryanair & People planen im Juni einen Anstieg ihres Betriebs. Der Flughafen Wien bietet seit 4. Mai die Möglichkeit, einen Covid-19-Test (PCR-Test) am Flughafen zu machen (siehe https://www.oeamtc.at/thema/reiseplanung/coronavirus-uebersicht-36904404, Zugriff am 25.05.2020).
Aufgrund der weltweiten Reisebeschränkungen infolge der Corona Pandemie ist die Nachfrage nach Flugreisen weiterhin gering. Die österreichische Bundesregierung hatte angekündigt, die Grenzen mit Deutschland und eventuell anderen Ländern ab 15. Juni wieder zu öffnen. Austrian Airlines hat sich daher entschieden, die Einstellung des regulären Flugbetriebs um zumindest eine weitere Woche, von 31. Mai bis 07. Juni, zu verlängern. Ein Neustart im Verlauf des Monat Juni wird geprüft. (siehe https://www.traveller-online.at/news/detail/coronavirus-informationen-zu-fluggesellschaften-update.html; Zugriff am 25.05.2020).
Mit der COVID-19-Lockerungsverordnung wird ein Meter Abstand gegenüber Personen an öffentlichen Orten weiter festgelegt. Ausgenommen von dieser Abstandsregel sind Personen, die im gemeinsamen Haushalt leben. In geschlossenen Räumen öffentlicher Orte ist zudem ein Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Auch in Geschäften ist der 1-Meter-Abstand und das Tragen MNS normiert. Pro Kunde muss eine Fläche von 10 m² zur Verfügung stehen (ausgenommen sind ganz kleine Geschäfte). In Massenbeförderungsmitteln kann vom Mindestabstand von einem Meter abgewichen werden, sofern nicht anders möglich (siehe https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Coronavirus---Aktuelle-Maßnahmen.html, Zugriff am 25.05.2020; Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß § 2 Z 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes idF BGBl II Nr. 166/2020).
Trotz dieser Einschränkungen ist es nach wie vor wahrscheinlich, dass in den nächsten Monaten ein Heimreisezertifikat für den BF ausgestellt und seine Abschiebung nach Nigeria durchgeführt werden kann. Bei einer Entlassung aus der Schubhaft würde er voraussichtlich im Inland untertauchen.
2. Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang ergibt sich ohne entscheidungswesentliche Widersprüche aus dem unstrittigen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und der Vorgänger-Gerichtsakten des BVwG.
Name und Staatsangehörigkeit des BF wurden von ihm ohne Widersprüche angegeben. Als Geburtsdatum scheint neben dem XXXX .1999 auch der XXXX 2001 und der XXXX 2002 auf. Da der BF am XXXX 2018 als junger Erwachsener (über 18, aber unter 21 Jahre alt; siehe § 46a JGG) verurteilt wurde und die italienischen Behörden vom Geburtsdatum XXXX 1999 ausgingen, ist jedenfalls von seiner Volljährigkeit auszugehen, wie dies auch im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) festgehalten ist.
Die Sprachkenntnisse des BF wurden anhand seiner Angaben dazu, die aufgrund seiner Herkunft plausibel sind, festgestellt. Bei den Einvernahmen vor dem BFA war eine Kommunikation mit dem beigezogenen Dolmetsch für Englisch ohne Verständigungsprobleme möglich.
Es sind keine Hinweise auf schwerwiegende Erkrankungen des BF, die zu seiner Haftunfähigkeit führen würden, aktenkundig. Bei den Einvernahmen vor dem BFA gab er an, gesund zu sein. Er verneinte das Vorhandensein von Reisedokumenten; es liegt auch kein Ausweis oder Ähnliches vor.
Der Bezug von Grundversorgungsleistungen geht aus dem GVS-Betreuungsinformationssystem hervor, die Krankenversicherung als Asylwerber aus dem Versicherungsdatenauszug.
Die Feststellungen zu den bisherigen, den BF betreffenden Verfahren beim BFA und beim BVwG folgendem Inhalt der entsprechenden Aktenbestandteile und jenem der in den Bescheiden wiedergegebenen Niederschriften. In diesem Zusammenhang liegen keine relevanten Widersprüche vor, zumal die Eintragungen im IZR und im GVS-Betreuungsinformationssystem damit in Einklang zu bringen sind.
Im Bescheid vom 11.12.2019 wurde die Rückkehrentscheidung gegen den BF auf § 52 Abs 5 FPG gestützt. Es gibt jedoch keine weiteren Anhaltspunkte dafür, dass er rechtmäßig in Österreich niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ verfügt. Weder liegen Beweismittel dafür vor noch wird in der Begründung des Bescheids dargelegt, warum diese Bestimmung angewendet wurde. In der Bescheidbegründung wird die Rückkehrentscheidung vielmehr auf den nicht rechtmäßigen Aufenthalt des BF im Bundesgebiet und damit auf § 52 Abs 1 Z 1 FPG gestützt. Es ist daher davon auszugehen, dass § 52 Abs. 5 FPG irrtümlich im Spruch der Entscheidung als Rechtsgrundlage angegeben und dem BF tatsächlich nie ein Aufenthaltstitel erteilt wurde. Dafür spricht letztlich auch, dass im Bescheid vom 04.02.2020 der Ausspruch über die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG (der bei einer Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs 5 FPG nicht notwendig wäre) nachgeholt wurde.
Die Verurteilung des BF leitet sich aus dem Amtswissen des erkennenden Gerichtes durch Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich ab, aus dem sich auch seine bedingte Entlassung ergibt. Die Feststellungen zum Vollzug der Freiheitsstrafe basieren auf der Wohnsitzmeldung des BF in der Justizanstalt Klagenfurt laut dem Zentralen Melderegister (ZMR).
Die fehlende Ausreisebereitschaft des BF ergibt sich aus seine Angaben vor dem BFA („… Ich gehe zurück nach Italien … ich gehe nicht nach Nigeria … Ich möchte nicht nach Nigeria …“). Die Bemühungen zur Erlangung eines Heimreisezertifikats wurden vom BFA schlüssig und im Einklang mit dem vorgelegten Schriftverkehr mit der nigerianischen Botschaft dargelegt.
Es liegen keine Bescheinigungsmittel vor, aus denen sich eine soziale Verankerung oder eine Wohnmöglichkeit des BF in Österreich ableiten lässt, zumal gegen ihn erst vor kurzem eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot erlassen wurde. Mangels eines Aufenthaltsrechts und einer Beschäftigungsbewilligung besteht auch keine legale Erwerbsmöglichkeit, sodass davon auszugehen ist, dass der BF nicht selbsterhaltungsfähig ist, zumal keine wesentlichen Vermögenswerte oder Ersparnisse aktenkundig sind und er anderen gegen Entgelt Suchtgift überließ (vgl. § 27 Abs 2a SMG). Die Ausschreibung des BF im Schengener Informationssystem ist in dem entsprechenden Auszug dokumentiert. Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass er keine Aufenthaltsgenehmigung in Italien hat. Dies korreliert mit einer entsprechenden Mitteilung der italienischen Behörden an das BFA im Dezember 2019.
Die Feststellungen zu den aktuellen Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung der Corona-Pandemie basieren auf übereinstimmenden Medienberichten und den dazu erlassenen Vorschriften. Beispielhaft wird in diesem Zusammenhang auf die angegebenen Websites verlässlicher Stellen verwiesen.
Das BVwG geht davon aus, dass sich der BF bei einer Entlassung aus der Schubhaft dem weiteren Verfahren voraussichtlich durch Untertauchen entzöge. Dies ist angesichts seiner fehlenden Aufenthaltsberechtigung, dem unzulässigen Antrag auf internationalen Schutz und der wiederholten Rückkehr in das Bundesgebiet trotz mehrfacher Abschiebungen nach Italien wahrscheinlich. Da die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie durchwegs vorübergehend bzw. befristet angeordnet wurden, ist davon auszugehen, dass trotzdem zeitnah, also innerhalb der nächsten Monate, ein Ersatzreisedokument für ihn ausgestellt und seine Rückführung nach Nigeria bewerkstelligt werden kann.
3. Rechtliche Beurteilung
Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist gemäß § 22a Abs 4 BFA-VG die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom BVwG zu überprüfen. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das BVwG hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.
An den Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft hat sich seit der letzten gegenständlichen Entscheidung des BVwG am 29.04.2020 nichts geändert. Gegen den BF besteht eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot, zumal einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde und bislang keine Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG erfolgte. In Zusammenschau mit der fehlenden sozialen Verankerung und der mangelnden Rückkehrbereitschaft liegt nach wie vor Fluchtgefahr iSd § 76 Abs 3 Z 3 und 9 FPG vor. Da er - unter anderem wegen einer Übertretung des SMG und Körperverletzung von Beamten während oder wegen der Vollziehung der Aufgaben oder der Erfüllung der Pflichten - strafgerichtlich verurteilt wurde und deshalb mehrere Monate in Strafhaft war, überwiegt unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz seiner persönlichen Freiheit iSd § 76 Abs 2a FPG. Der Zweck der Schubhaft kann auch nicht durch Anwendung eines gelinderen Mittels erreicht werden, zumal der BF kaum finanzielle Mittel zur Sicherung seines Lebensunterhalts hat und keine gesicherte Unterkunftsmöglichkeit besteht.
Die Schubhaftdauer überschreitet sechs Monate noch nicht. Da der BF deshalb nicht abgeschoben werden kann, weil die für seine Einreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt, könnte die Schubhaft gemäß § 80 Abs 4 Z 2 FPG sogar für bis zu 18 Monate aufrechterhalten werden.
Da davon auszugehen ist, dass innerhalb der nächsten Monate eine Identifizierung des BF durch die nigerianische Vertretungsbehörde erfolgen, ein Ersatzreisedokument für ihn ausgestellt und in der Folge seine Rückführung in seinen Herkunftsstaat durchgeführt werden kann, ist die Schubhaft trotz der aktuellen Einschränkungen aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie derzeit noch verhältnismäßig, zumal aufgrund der Straffälligkeit des BF ein besonders großes Interesse an der Aufenthaltsbeendigung besteht.
Da die Beschränkungen für Reisen nach Nigeria vorübergehend angeordnet wurden, kann daraus geschlossen werden, dass diese Maßnahmen bald wieder aufgehoben oder so eingeschränkt werden, dass das bereits beantragte Reisedokument für den BF ausgestellt und seine Abschiebung durchgeführt werden kann. In Österreich werden die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie bereits schrittweise gelockert; die Wiederaufnahme des regulären Flugbetriebs der Austrian Airlines für 15. Juni 2020 wurde in Aussicht genommen. Ein aus den Maßnahmen zur Verhinderung der weiteren Ausbreitung der Corona-Pandemie allenfalls resultierendes Abschiebehindernis ist daher aufgrund der zeitlichen Beschränkung dieser Maßnahmen aus heutiger Sicht noch als vorübergehend anzusehen und wird voraussichtlich in der nächsten Zeit wieder wegfallen, sodass die Schubhaft beim BF verhältnismäßig bleibt. Auch in der Mitteilung der EU-Kommission vom 17.04.2020 „COVID-19: Hinweise zur Umsetzung der einschlägigen EU-Bestimmungen im Bereich der Asyl- und Rückführungsverfahren und zur Neuansiedlung“ (2020/C 126/02) wird vertreten, dass die von den Mitgliedstaaten und Drittländern eingeführten befristeten Beschränkungen zur Verhinderung und Eindämmung der Ausbreitung von COVID-19 nicht so auszulegen sind, als ließen sie automatisch den Schluss zu, in allen Fällen bestünde keine hinreichende Aussicht auf Abschiebung mehr (siehe https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?qid=1587138114770&uri=CELEX:52020XC0417(07); Zugriff am 25.05.2020). Sollten die Maßnahmen, insbesondere die Einschränkungen bei internationalen Reisebewegungen, jedoch weiter verlängert oder gar unbefristet angeordnet werden, wird die Verhältnismäßigkeit der Schubhaft des BF zu hinterfragen sein, zumal dann voraussichtlich nicht mehr von der Möglichkeit einer zeitnahen Abschiebung ausgegangen werden kann.
Eine Verhandlung unterbleibt gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG iVm § 24 Abs 4 VwGVG, weil der für die Schubhaftprüfung relevante Sachverhalt aus der Aktenlage zweifelsfrei geklärt werden konnte.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war und sich das BVwG an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte. So hat sich der VwGH im Beschluss vom 01.04.2020, Ra 2020/21/0116, unter anderem mit den Auswirkungen der aktuellen weltweiten Flugreisebeschränkungen auf die Verhältnismäßigkeit einer weiteren Aufrechterhaltung der Schubhaft auseinandergesetzt und festgehalten, dass die Annahme, es wäre mit einer Aufhebung dieser Maßnahmen binnen weniger Wochen zu rechnen, nicht unvertretbar sei.
Schlagworte
Fluchtgefahr Interessenabwägung öffentliche Interessen Schubhaft Schubhaftbeschwerde Sicherungsbedarf Verhältnismäßigkeit VoraussetzungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G307.2230098.3.00Im RIS seit
21.09.2020Zuletzt aktualisiert am
21.09.2020