TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/18 G307 2214591-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.06.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

18.06.2020

Norm

AsylG 2005 §55 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1 Z2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4

Spruch

G307 2214591-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX , StA. Bosnien und Herzegowina, vertreten durch Kocher & Bucher Rechtsanwälte OG in 8010 Graz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.01.2019, Zahl XXXX nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:

A)       Der Beschwerde wird stattgegeben, der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben, festgestellt, dass die Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG dauerhaft unzulässig ist und dem Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 1 Z 1 und Z2 AsylG eine Aufenthaltsberechtigung plus für ein Jahr erteilt.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

1. Am 24.10.2018 stellte der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark (im Folgenden: BFA) einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 Abs. 2 AsylG.

2. Mit Schriftsatz vom 22.10.2018 teilte der BF mit, dass er im gegenständlichen Fall von nun an von der Rechtsanwaltsgemeinschaft Kocher & Bucher in 8010 Graz vertreten werde, erstattete ein ergänzendes Vorbringen zu seinem Antrag und legte mehrere – seine Integration betreffende – Unterlagen vor.

3. Am 12.12.2018 wurde der BF von einem Organ des BFA zu seinem Begehren einvernommen.

4. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid des BFA, dem BF persönlich zugestellt am 16.01.2019, wurde der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK vom 24.10.2018 gemäß § 55 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), gegen den BF gemäß § 10 Abs. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung nach Bosnien-Herzegowina gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.) sowie dem BF gemäß § 55 Abs. 1 und Abs. 1 bis 3 eine 14tägige Frist zur freiwilligen Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt (Spruchpunkt IV.).

5. Gegen diesen Bescheid erhob der BF durch die im Spruch genannte Rechtsvertretung (im Folgenden: RV) mit Schriftsatz vom 11.02.2019, beim BFA eingebracht am 13.02.2019 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin wurde beantragt, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, um sich einen unmittelbaren Eindruck von der Glaubwürdigkeit des BF-Vorbringens verschaffen zu können und in Stattgebung der Beschwerde dem BF gemäß § 55 Asyl iVm § 9 BFA-VG den Aufenthaltsstatus aus Gründen des Art 8 EMRK zuzuerkennen, in eventu den angefochtenen Bescheid aufzuheben und das Verfahren zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

6. Die Beschwerde und der zugehörige Verwaltungsakt wurden vom BFA dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 14.02.2019 vorgelegt und langten dort am 15.02.2019 ein.

7. Am 26.05.2020 fand vor dem BVwG, Außenstelle Graz, eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an welcher der BF und sein sowie eine Vertreterin der belangten Behörde teilnahmen.

8. Am 10.06.2020 langte beim erkennenden Gericht die abschließende Stellungnahme des RV des BF samt den in der mündlichen Verhandlung angeforderten Unterlagen ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF führt die im Spruch angegebene Identität (Name und Geburtsdatum), ist ledig, frei von Obsorgepflichten, Staatsbürger Bosnien-Herzegowinas und somit Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Er hält sich seit Februar 2011 im Bundesgebiet auf und ist seit 21.02.2011 durchgehend in Österreich gemeldet.

Der Grund für die damalige Einreise lag in der Absolvierung der unten erwähnten Ausbildung sowie der Start einer beruflichen (damit zusammenhängenden) Laufbahn.

1.2. Der BF besuchte in seiner Heimat die Grundschule und das Gymnasium, welches seine Eltern finanzierten. In Österreich setzte der BF diese Ausbildung ab dem Jahr 2011 fort. Der BF besuchte seit dem Schuljahr 2013/2014 das Kolleg für Berufstätige für Elektrotechnik an der XXXX in XXXX und schloss dieses am XXXX .2019 mit dem Ausbildungsschwerpunkt „Informationstechnik“ erfolgreich ab.

1.3. Der BF nimmt derzeit in der Wohnung seines Cousins XXXX in der XXXX in XXXX kostenlos Unterkunft. Dort wohnt auch die Frau seines Cousins. Der BF wird finanziell von seiner in XXXX lebenden Tante sowie von seiner Mutter – durch Überweisung von Geldbeträgen aus dem Herkunftsstaat – finanziell unterstützt. Im Schnitt hat der BF zwischen € 100,00 und € 150,00 zur Verfügung, wobei er in Bosnien-Herzegowina krankenversichert ist.

1.4. Der BF besitzt Deutschkenntnisse des Niveaus „A2+“ und konnte der gesamten mündlichen Verhandlung ohne Beiziehung eines Dolmetschers der Sprache „Bosnisch“ folgen.

1.5. Der BF war bei folgenden Arbeitgebern innerhalb folgender Zeitspannen im unten erwähnten Ausmaß beschäftigt:

?        vom 04.07.2011 bis zum 31.08.2012 und 01.09.2012 bis zum 22.09.2012 bei XXXX in XXXX als geringfügig beschäftigter Arbeiter,

?        vom 10.01.2013 bis zum 17.01.2013 bei XXXX in XXXX als vollzeitbeschäftigter Arbeiter,

?        vom 06.03.2013 bis zum 05.07.2013 sowie vom 25.10.2013 bis zum 30.05.2015 bei XXXX in XXXX als geringfügig beschäftigter Arbeiter,

?        vom 23.09.2015 bis zum 31.07.2016 sowie vom 13.09.2016 bis zum 30.09.2016 bei der XXXX in XXXX als geringfügig beschäftigter Arbeiter,

?        vom 17.12.2016 bis zum 18.12.2016 bei der XXXX in XXXX als vollzeitbeschäftigter Arbeiter sowie

?        vom 06.12.2017 bis zum 30.09.2018 bei XXXX bei der XXXX in XXXX als geringfügig beschäftigter Arbeiter.

Der BF verfügt über eine Einstellungszusage der oben angeführten Pizzeria „ XXXX “. Sollte er diese Stelle antreten können, sähe er diese Tätigkeit nur als „Übergangslösung“ an, um Geld verdienen zu können. Sein Ziel ist es, eine seinen schulischen Fachkenntnissen entsprechende Tätigkeit zu finden, in deren Rahmen zu arbeiten, finanziell unabhängig zu sein und sich eine eigene Wohnung leisten zu können.

Bis dato hat der BF keinerlei staatliche Leistungen in Anspruch genommen.

1.6. Der BF ist gesund und arbeitsfähig, hat derzeit kein eigenes Einkommen, per Stichtag 26.05.2020 ein Guthaben von € 2.490,52 auf seinem Konto und weist keine Außenstände aus.

1.7. Der BF ist strafrechtlich unbescholten.

1.8. In Österreich halten sich neben dem besagten Cousin und dessen Frau, zu denen wegen des gemeinsamen Wohnsitzes eine besonders enge Beziehung besteht, noch seine Tante XXXX , geb. am XXXX sowie seine Cousinen XXXX und XXXX auf, mit welchen er vor der aktuellen Unterkunftnahme im Sommer 2013 im gemeinsamen Haushalt gelebt hat. Seine Tante sieht er im Schnitt 5 Mal pro Woche.

Abgesehen davon pflegt der BF mit zahlreichen Freunden, die er von seiner schulischen Ausbildung kennt, enge Kontakte, wie etwa mit XXXX . Zudem zählt XXXX aus Wien zu seinem engsten Freundeskreis.

Das soziale und verwandtschaftliche Umfeld des BF beschreibt diesen als integrationswillig, selbständig, hilfsbereit, freundlich, ehrgeizig, ausdauernd, verlässlich, unternehmenslustig und fleißig.

1.9. Der BF verfügte – beginnend mit 17.02.2011 – über eine vom Amt der XXXX Landesregierung ausgestellte Aufenthaltsberechtigung „Studierender“, welche letztendlich bis zum 30.09.2018 als Aufenthaltsbewilligung „Schüler“ gültig war. Seitdem hatte der BF keine (weiteren) Aufenthaltstitel mehr inne. Seit 30.12.2018 hält er sich rechtswidrig im Bundesgebiet auf.

1.10. In seiner Freizeit beschäftigt sich der BF mehrere Stunden am Tag mit der Erstellung von Webseiten, geht Wandern spielt Basketball oder fährt Rad.

1.11. Der Lebensmittelpunkt des BF liegt in Österreich. Abgesehen vom Kontakt zu seiner Mutter hat der BF keine Beziehungen mehr zu seinem Herkunftsstaat.

2. Beweiswürdigung

2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.

2.2. Der oben festgestellte Sachverhalt beruht auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund des vorliegenden Aktes und der mündlichen Verhandlung durchgeführten Ermittlungsverfahrens und wird in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zu Identität, Staatsbürgerschaft, Familienstand, Freisein von Obsorgepflichten, Verbleib, Existenz und Namen von Verwandten im Bundesgebiet wie der Heimat, Gründe für die und Zeitpunkt der Einreise, aktuellem Wohnort, kostenloser Unterkunft, Freizeitbeschäftigungen, Absichten über die künftige Finanzierung seines Lebensunterhalts, seine berufliche Laufbahn und Schulausbildung in der Heimat getroffen wurden, ergeben sich diese aus dem Inhalt der Stellungnahme vor dem Bundesamt, jenem der Einvernahme vor der belangten Behörde am 12.12.2018, dem Beschwerdeinhalt und der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht. Die Wohnsitzmeldungen – bis auf jene im Sommer 2013 bei seiner Tante – folgen dem Inhalt des auf den Namen des BF lautenden Auszuges aus dem Zentralen Melderegister.

Der BF legte zum Beweis seiner Identität einen auf seinen Namen ausgestellten bosnischen Reisepass vor, an dessen Echtheit und Richtigkeit keine Zweifel aufgekommen sind.

Die in Österreich absolvierte schulische Ausbildung samt dahingehend erfolgreichem Abschluss und Schwerpunktthema sind den Ausführungen des BF in seiner Einvernahme vor dem BFA, jenen in der mündlichen Verhandlung wie dem dort vorgelegten Zeugnis der XXXX zu entnehmen.

Die bisher ausgeübten Beschäftigungen sind aus dem Inhalt des auf den Namen des BF lautenden Sozialversicherungsdatenauszuges ersichtlich.

Der BF hat vor dem BFA wie dem erkennenden Gericht beteuert, gesund zu sein. Angesichts der bisher ausgeübten Tätigkeiten und des Fehlens von Anhaltspunkten für eine Arbeitsunfähigkeit ist davon auszugehen, dass der BF arbeitsfähig ist.

Der BF befindet sich seit mehr als 9 Jahren durchgehend im Bundesgebiet. Vor dem Hintergrund seiner (schulischen) Ausbildung, seinen Erwerbstätigkeiten, den verwandtschaftlichen Beziehungen und seinem Freundeskreis ist davon auszugehen, dass der Lebensmittelpunkt in Österreich liegt. Er hat selbst mehrfach (zuletzt in der mündlichen Verhandlung) betont, lediglich wegen einer Augenoperation und zwecks kurzen Heimatbesuchs bei seiner Mutter im Herkunftsstaat gewesen zu sein.

Die dem BF zugestandenen Eigenschaften und das enge Verhältnis zu seinem Cousin, seinen Cousinen, den ehemaligen Unterkunftgebern und dem vormaligen Arbeitgeber XXXX ergeben sich aus dem Inhalt der auf den AS 49 bis 59 wiedergegebenen Unterstützungsschreiben.

Die aktuelle Einstellungszusage hinsichtlich der Tätigkeit als Zusteller bei der XXXX findet sich auf AS 69 ff und wurde dem Gericht mit Schreiben vom 27.05.2020 bestätigt.

Die bisher besessenen Aufenthaltstitel des BF sind dem Inhalt des auf seinen Namen lautenden Auszuges aus dem zentralen Fremdenregister (ZFR) zu entnehmen.

Dass sich der BF seit Jänner 2019 rechtswidrig im Bundesgebiet aufhält, folgt dem nach Ablauf seiner letzten Aufenthaltstitels weiteren Verbleib im Bundesgebiet.

Die Deutschkenntnisse des Niveaus „A2-plus“ ergeben sich aus der diesbezüglich im Rahmen der ersten Stellungnahme vorgelegten Bestätigung des BF (AS 29).

Die strafrechtliche Unbescholtenheit der BF folgt dem Amtswissen des erkennenden Gerichtes durch Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich.

Der BF hat jüngst in der mündlichen Verhandlung angegeben, er lebe von der finanziellen Unterstützung seiner Tante und Mutter. Dies hat er sowohl in seiner Einvernahme vor der belangten Behörde und vor dem erkennenden Gericht plausibel dargelegt und hiezu den im Akt einliegenden Kontoauszug vom 27.05.2020 vorgelegt, wonach er über ein aktuelles Guthaben von € 2.490,52 verfügt.

Dass der BF keine Außenstände zu begleichen hat, ergibt sich aus der Auskunft des Kreditschutzverbandes 1870 (KSV 1870) vom XXXX .2018 (AS 79 ff).

Dass der BF bis dato keine staatlichen Leistungen bezogen hat, ist aus dem bereits erwähnten Sozialversicherungsdatenauszug ersichtlich und deckt sich mit dem dahingehenden Vorbringen des BF.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zur Stattgabe der Beschwerde:

3.1.1. Der mit „Rückkehrentscheidung“ betitelte § 52 FPG lautet:

„§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich
1.         nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder
2.         nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1.         dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,
2.         dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
3.         ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder
4.         ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1.         nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre,
1a.         nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Einreisetitels entgegengestanden wäre oder eine Voraussetzung gemäß § 31 Abs. 1 wegfällt, die für die erlaubte visumfreie Einreise oder den rechtmäßigen Aufenthalt erforderlich ist,
2.         ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,
3.         ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,
4.         der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder
5.         das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.

Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.

(7) Von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 ist abzusehen, wenn ein Fall des § 45 Abs. 1 vorliegt und ein Rückübernahmeabkommen mit jenem Mitgliedstaat besteht, in den der Drittstaatsangehörige zurückgeschoben werden soll.

(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

(10) Die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 kann auch über andere als in Abs. 9 festgestellte Staaten erfolgen.

(11) Der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung deren Unzulässigkeit gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt wurde, hindert nicht daran, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würde.“

Gemäß § 58 Abs. 13 AsylG begründen Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 stehen der Erlassung und Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht entgegen. Sie können daher in Verfahren nach dem 7. und 8. Hauptstück des FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten. Bei Anträgen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 hat das Bundesamt bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag jedoch mit der Durchführung der einer Rückkehrentscheidung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten, wenn
1.         ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung erst nach einer Antragstellung gemäß § 56 eingeleitet wurde und
2.         die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 wahrscheinlich ist, wofür die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Z 1, 2 und 3 jedenfalls vorzuliegen haben.

Der „Voraussetzungen für den rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet“ betitelte § 31 FPG lautet:

„§ 31. (1) Fremde halten sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf,
1.         wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthalts im Bundesgebiet die Befristungen oder Bedingungen des Einreisetitels oder des visumfreien Aufenthaltes oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben;
2.         wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder auf Grund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind;
3.         wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind bis zu drei Monaten (Artikel 21 SDÜ gilt), sofern sie während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet keiner unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgehen;
4.         solange ihnen ein Aufenthaltsrecht nach dem AsylG 2005 zukommt;
5.         bis zur Entscheidung über einen Verlängerungsantrag (§ 2 Abs. 4 Z 17a), solange der Aufenthalt als Saisonier in den vergangenen zwölf Monaten insgesamt die Dauer von neun Monaten nicht überschreitet;
6.         wenn sie Inhaber eines gültigen Aufenthaltstitels für unternehmensintern transferierte Arbeitnehmer gemäß ICT-Richtlinie eines anderen Mitgliedstaates sind, der das SDÜ nicht vollständig anwendet, und § 18 Abs. 13 AuslBG erfüllen, solange ihr Aufenthalt im Bundesgebiet in den vergangenen 180 Tagen nicht insgesamt die Dauer von 90 Tagen überschreitet und die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 lit. e SGK erfüllt sind;
7.         wenn sie gemäß der Forscher und Studenten-Richtlinie Inhaber eines gültigen Aufenthaltstitels „Forscher“ eines anderen Mitgliedstaates sind und eine Tätigkeit für eine Forschungseinrichtung ausüben, die gemäß § 1 Abs. 2 lit. h AuslBG vom sachlichen Anwendungsbereich des AuslBG ausgenommen ist, oder als deren Familienangehörige Inhaber eines gültigen Aufenthaltstitels eines anderen Mitgliedstaates sind, solange jeweils ihr Aufenthalt im Bundesgebiet in den vergangenen 360 Tagen nicht insgesamt die Dauer von 180 Tagen überschreitet und die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 lit. e SGK erfüllt sind;
8.         wenn sie gemäß der Forscher und Studenten-Richtlinie Inhaber eines gültigen Aufenthaltstitels „Student“ eines anderen Mitgliedstaates sind und an einem Unions- oder multilateralen Programm mit Mobilitätsmaßnahmen teilnehmen oder für sie eine Vereinbarung zwischen zwei oder mehreren Hochschuleinrichtungen besteht, solange ihr Aufenthalt im Bundesgebiet nicht insgesamt die Dauer von 360 Tagen überschreitet und die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 lit. e SGK erfüllt sind, oder
9.         soweit sich dies aus anderen bundesgesetzlichen Vorschriften ergibt.

(1a) Liegt kein Fall des Abs. 1 vor, halten sich Fremde nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf; dies insbesondere, wenn sie
1.         auf Grund eines Rückübernahmeabkommens (§ 19 Abs. 4) oder internationaler Gepflogenheiten rückgenommen werden mussten,
2.         auf Grund einer Durchbeförderungserklärung, sonstiger zwischenstaatlicher Abkommen oder auf Ersuchen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union um Durchbeförderung (§ 45b Abs. 1) oder auf Grund einer Durchlieferungsbewilligung gemäß § 47 ARHG oder § 35 des Bundesgesetzes über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-JZG), BGBl. I Nr. 36/2004, eingereist sind,
3.         geduldet sind (§ 46a) oder
4.         eine Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 erhalten haben.

(Anm.: Abs. 2 und 3 aufgehoben durch Art. 2 Z 48, BGBl. I Nr. 145/2017)

(4) Kinder, die nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, halten sich während der ersten sechs Lebensmonate rechtmäßig im Bundesgebiet auf, sofern die Mutter oder ein anderer Fremder, dem Pflege und Erziehung des Kindes zukommt, rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen ist; dies gilt, solange der Betreffende rechtmäßig niedergelassen bleibt, bei Ableitung vom Vater überdies nur, wenn diesem das Recht zur Pflege und Erziehung allein zukommt. Außerdem sind solche Kinder während der ersten sechs Lebensmonate rechtmäßig aufhältig, sofern und solange deren Pflege und Erziehung einem österreichischen Staatsbürger mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet allein zukommt.“

Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung des Art 20 Schengener Grenzkondex hält sich der BF seit 30.12.2018 rechtswidrig im Bundesgebiet auf (dies ergibt sich durch Hinzuzählung von 90 Tagen zu der am 30.09.2018 geendeten Aufenthaltsberechtigung „Schüler“).

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG idgF lautet:

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden, wenn

1.       ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, eine der Voraussetzungen für die Erlassung eines Einreiseverbotes von mehr als fünf Jahren gemäß § 53 Abs. 3 Z 6, 7 oder 8 FPG liegt vor, oder

2.       er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt."

3.1.2. Der mit „Aufenthaltsberechtigung aus Gründen des Art 8 EMRK betitelte § 55 AsylG lautet:

„§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn
1.         dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und
2.         der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.“

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Der Begriff des Privatlebens iSd Art. 8 EMRK ist weit zu verstehen und umfasst das persönliche und berufliche Umfeld eines Menschen, in dem er mit anderen interagiert. Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR ist die Gesamtheit der sozialen Beziehungen zwischen einem ansässigen Migranten und der Gemeinschaft, in der er lebt, integraler Bestandteil des Begriffs des Privatlebens (EGMR 13.10.2011, 41548/06, Trabelsi/DE; EGMR [GK] 23.06.2008, 1638/03, Maslov/AT). Dazu zählen auch berufliche und geschäftliche Beziehungen. Wie stark das Privatleben ausgeprägt ist, hängt in erster Linie von der Dauer des Aufenthalts ab. Für die Annahme eines in den Schutzbereich von Art. 8 EMRK fallenden Privatlebens ist keine konkrete Mindestaufenthaltsdauer erforderlich. Die bereits in Österreich verbrachte Zeit und die dabei erfolgte Integration ist erst bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachten (vgl. Peyerl/Czech in Abermann ua. (Hrsg), NAG § 11 Rz 38).

3.1.3. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich:

Der BF hat seinen Lebensmittelpunkt im Jahr 2011 nach Österreich verlegt. Er verbringt und verbrachte – abgesehen von einer kurzen Unterbrechung im Jahr 2018, während derer er in Bosnien – Herzegowina eine Augenoperation durchführen hat lassen und tageweisen Besuchen – seine Zeit in Österreich und hat hier enge freundschaftliche Kontakte geknüpft. Abgesehen davon leben mehrere Verwandte der zweiten Linie im Bundesgebiet, wobei er zu seiner Tante, seinem Cousin und dessen Frau wie zwei seiner Cousinen ebenso besonders starke Bindungen hat.

Neben seinem erfolgreich absolvierten XXXX -Kolleg zeigte sich der BF immer wieder bemüht, sein Leben durch die Ausübung von Erwerbstätigkeiten (mit)zufinanzieren. Er fiel der Republik Österreich bis dato in keinster Weise finanziell zur Last. Der BF versucht außerdem, auch in der Freizeit seine schulisch erworbenen Kenntnisse zu erweitern.

Der BF hat seine A2+Kenntnisse der deutschen Sprache gefestigt und konnte der Verhandlung ohne Zuhilfenahme eines Dolmetschers folgen. Sein Integrationswillen manifestiert sich zudem in den vorgelegten Unterstützungserklärungen.

Vor diesem Hintergrund und der immer loseren Bindungen zu seinem Heimatland ist von einer Verlagerung seiner Lebensinteressen nach Österreich auszugehen und seinem Ansinnen zu entnehmen, dass er seit seiner Einreise nicht mehr die Absicht hatte, nach Bosnien-Herzegowina zurückzukehren. Der BF erfüllt die Voraussetzungen sowohl des § 55 Abs. 1 Z 1 (Aufrechterhaltung des Privatlebens) als auch der Z 2 (vorhandene Deutschkenntnisse) und scheitert eine weitere Anstellung als unselbständig Erwerbstätiger derzeit nur am Fehlen einer Aufenthaltsbewilligung. Dass der BF sofort wieder beschäftigt werden könnte folgt, wie bereits erwähnt, der Einstellungszusage der XXXX . In Summe erfüllt der BF nicht nur die die gesetzlichen Voraussetzungen sondern ist ihm ein überdurchschnittlicher Integrationswille zu attestieren.

Der bekämpfte Bescheid war daher – insbesondere unter Heranziehung der vom VwGH unter 3.1.2. geäußerten Rechtsansicht – aufzuheben und spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus Deutschkenntnisse Integration Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G307.2214591.1.00

Im RIS seit

21.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

21.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten