TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/22 G307 2227793-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.06.2020
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Entscheidungsdatum

22.06.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §66 Abs1
FPG §70 Abs3
VwGVG §27 Abs1
VwGVG §28

Spruch

G307 2227793-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA.: Ungarn, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.12.2019, Zahl XXXX zu Recht erkannt:

A)       Der Beschwerde wird stattgegeben und der bekämpfte Bescheid gemäß § 27 Abs. 1 iVm § 28 VwGVG a u f g e h o b e n .

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Schreiben des Amtes der XXXX Landesregierung, Magistratsabteilung 35 (im Folgenden: MA 35) vom 23.08.2018 wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom Wegfall der Voraussetzungen für einen unionsrechtlichen Aufenthalt der Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) in Österreich in Kenntnis gesetzt und gleichzeitig um Überprüfung der Möglichkeit zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ersucht.

2. Mit Schreiben vom 07.10.2019 setzte das BFA die BF über die Einleitung eines Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme in Kenntnis und wurde zur dahingehenden Stellungnahme binnen zwei Wochen ab Erhalt dieses Schreibens aufgefordert.

3. Hierauf antwortete die BF am 14.10.2019.

4. Am 04.12.2019 fand eine niederschriftliche Einvernahme der BF vor dem BFA statt.

5. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid des BFA, der BF persönlich zugestellt am 23.12.2019, wurde diese gemäß § 66 Abs. 1 aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihr gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung eingeräumt (Spruchpunkt II.).

6. Gegen diesen Bescheid erhob die BF Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG).

Darin wurde die Behebung des Bescheides und die Bestätigung, dass ihr ein Daueraufenthaltsrecht zukonmme, beantragt.

7. Die Beschwerde und der dazugehörige Verwaltungsakt wurden vom BFA dem BVwG am 10.05.2020 vorgelegt und langten dort am 15.05.2020 ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die BF führt die im Spruch angegebene Identität (Name und Geburtsdatum), ist ungarische Staatsbürgerin, geschieden und führt keine Beziehung.

Die BF ist im Herkunftsstaat in einem Kinderheim aufgewachsen und halten sich deren Mutter und Stiefschwester in Ungarn auf. Die BF hält jedoch nur Kontakt zu ihrer Stiefschwester und erfolgte ihre Scheidung von ihrem Ehemann am XXXX .2016 aufgrund erlebter Gewalt und Belästigungen durch denselben. Die BF war 2011 das letzte Mal in Ungarn und hat de facto keinen wesentlichen Bezug zu ihrem Herkunftsstaat mehr. Der Lebensmittelpunkt der BF liegt in Österreich.

1.2. Die BF ist seit 16.08.2011 mit einer Unterbrechung von 12.12.2011 bis 17.01.2012 durchgehend mit Wohnsitz in Österreich gemeldet. Sie hält sich somit seit beinahe 9 Jahren permanent im Bundesgebiet auf.

1.3. Die BF war im Jahr 2012, 9 Monate, im Jahr 2013 8 Monate und im Jahr 2014 12 Tage erwerbstätig. Dazwischen bezog die BF wiederholt Krankengeld sowie erstmals ab 19.11.2013 und letztlich von 20.03.2014 bis 29.05.2020 beinahe durchgehend Leistungen aus der staatlichen Arbeitslosenversicherung. Zuletzt bezog die BF € 761,00 monatlich an Notstandshilfe sowie € 64,00 an Unterhaltsleistungen für ihren Sohn.

1.4. Die BF leidet, beginnend mit 11/2012, bedingt durch ihre seinerzeitige berufliche Tätigkeit an folgenden Krankheiten bzw. Gesundheitsstörungen:

?        Diskusprolaps L4/L5

?        Reizerguss re Kniegelenk

Diese werden medikamentös behandelt.

1.5. Der BF wurde eine eingeschränkte Erwerbsfähigkeit im Ausmaß leichter und vorübergehend mittelschwerer körperlicher Arbeiten attestiert.

1.6. Die BF wohnt mit ihrem Sohn, XXXX , geb. XXXX , ihrer Tochter, XXXX , geb. XXXX und ihrem Schwager im gemeinsamen Haushalt in Österreich, und teilt sich die Miet- sowie Wohnnebenkosten mit ihrer Tochter und ihrem Schwager. Die der BF monatlich anfallenden Fixkosten belaufen sich auf € 260,00. Der Sohn sowie die Tochter der BF sind jeweils im Besitz von Anmeldebescheinigungen.

Der Sohn der BF – er besucht in Österreich die Schule – hält sich seit 2012, die Tochter der BF seit 2017 im Bundesgebiet auf.

1.7. Die BF hat eine Deutschprüfung auf dem Niveau A2 erfolgreich abgelegt und ist strafgerichtlich unbescholten.

1.8. Am 06.05.2013 wurde der BF eine Anmeldebescheidung „Arbeitnehmerin“ ausgestellt und hat die BF am 24.11.2016 einen Antrag auf Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte beantragt, welche ihr bis dato seitens der zuständigen NAG-Behörde noch nicht ausgestellt wurde.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt.

Die BF legte zum Nachweis ihrer Identität einen auf ihren Namen lautenden ungarischen Personalausweis vor, an dessen Echtheit und Richtigkeit keine Zweifel aufgekommen sind.

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zu Identität (Namen, Geburtsdatum), Familienstand, Staatsangehörigkeit, Aufenthalt der Stiefschwester der BF in Ungarn und der aufrechte Kontakt zu dieser sowie zur Beziehungslosigkeit der BF getroffen wurden, ergeben sich diese aus den sich mit den Angaben der BF vor dem BFA deckenden Feststellungen im angefochtenen Bescheid, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde.

Ferner ließen sich die Wohnsitzmeldungen der BF in Österreich durch eine Abfrage im Zentralen Melderegister und die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung sowie die bis dato offene Antragstellung auf Ausstellung einer Daueraufenthaltskarte durch Nachschau im Zentralen Fremdenregister (ZFR) ermitteln. Dem besagten Register kann zudem die erfolgte Ausstellung von Anmeldebescheinigungen an den Sohn und die Tochter der BF entnommen werden.

Der oben ausgeführte Scheidungsgrund lässt sich einer in Vorlage gebrachten Ausfertigung des entsprechenden Scheidungsurteils des BG XXXX , Zahl XXXX , vom XXXX .2016 entnehmen (siehe AS 45f) und konnte die BF den Schulbesuch ihres Sohnes durch die Vorlage von Ablichtungen von Schulzeugnissen (siehe AS 144 und 145) sowie das erfolgreiche Ablegen einer Deutschprüfung auf dem Niveau A2 durch die Vorlage einer Ablichtung einer entsprechenden Bestätigung (ÖSD-Karte) (siehe AS 80) nachweisen. Die Mutterschaft der BF in Bezug auf die oben genannten Kinder beruht auf den diesbezüglichen, im Akt einliegenden Geburtsurkunden (siehe AS 30 und 51), welchen auch die Personalien derselben entnommen werden könnten.

In einem aktuellen Sozialversicherungsauszug scheinen die Erwerbstätigkeiten sowie die Bezüge von Krankengeld und Leistungen aus der staatlichen Arbeitslosenversicherung auf. Die Höhe der zuletzt bezogenen Notstandshilfe folgt wiederum auf in Vorlage gebrachte Kontoauszügen (siehe AS 38).

Die Aufenthaltsdauer der BF in Österreich erschließt sich aus deren konkreten und widerspruchsfrei gebliebenen Angaben sowie den im Zentralen Melderegister ersichtlichen Wohnsitzmeldungen. Die Nichtvornahme von Wohnsitzmeldungen in Österreich von 12.12.2011 bis 17.01.2012 hat die BF eingestanden und gab diese zudem an, dass sie – wie im Scheidungsurteil auch ausgeführt wird – aufgrund von erlebter Gewalt durch ihren Exmann und wiederholter Belästigungen seinerseits, Ungarn im Jahr 2011 verlassen habe und seither nicht wieder zurückgekehrt sei. Die BF sei in einem Kinderheim aufgewachsen, pflege zu ihrer leiblichen Mutter keinerlei Kontakt und halte sich seit 2011 in Österreich auf.

Im Ergebnis, insbesondere da logisch nachvollzogen werden kann, dass die BF nach erlebter Gewalt in der Ehe und darüber hinausgehender weiteren Belästigungen durch den ehemaligen Partner sowie Fehlens tatsächlicher familiärer Bezüge ihrem Herkunftsstaat den Rücken gekehrt hat, können letztlich keine Anhaltspunkte festgestellt werden, welche nahelägten, dass die BF nicht die Wahrheit gesagt hätte, sodass von einem durchgehenden Aufenthalt in Österreich seit August 2011 auszugehen ist. Demzufolge können auch keine wesentlichen Bezüge zum Herkunftsstaat mehr festgestellt werden und war von einem in Österreich gelegenen Lebensmittelpunkt der BF auszugehen.

Darüber hinaus erweist sich der behauptete Bezug von Unterhaltszahlungen aufgrund ihrer gesetzlichen Verankerung als nachvollziehbar. Zudem hat die BF durch Vorlage ihres Mietvertrages und von Kontoauszügen (siehe AS15 und 23f), der Strom- und Gasabrechnung (siehe AS 20ff) ihre monatlichen Fixkosten nachgewiesen. Aufgrund gemeinsamer Haushaltsführung mit ihrer Tochter und ihrem Schwager erweist sich eine behauptete Kostenteilung als jedenfalls schlüssig und die Höhe der oben festgestellten niedrigen Fixkosten damit auch als nachvollziehbar.

In Vorlage gebrachte – teils aktuelle – medizinische Unterlagen, insbesondere eine ärztliche Bestätigung von XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, vom XXXX .2020 bestätigen die oben festgestellten Leiden der BF sowie deren erstmaliges Auftreten, deren Ursprung sowie die medikamentöse Behandlung derselben. Ferner wird der BF in drei im Akt einliegenden Gutachten (siehe AS 84f, 88f und 90f) eine eingeschränkte Erwerbsfähigkeit im oben beschriebenen Umfang attestiert.

Letztlich kann einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich die Unbescholtenheit der BF entnommen werden

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides.:

3.1.1. Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1.       der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2.       die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

3.1.2. Der mit "Ausweisung" betitelte § 66 FPG idgF lautet:

"§ 66. (1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist."

Der mit "Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate" betitelte § 51 NAG lautet:

"§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1.       in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2.       für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3.       als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.

(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er

1.       wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;

2.       sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;

3.       sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder

4.       eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.

(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen.“

Der mit „Aufenthaltsrecht für Angehörige von EWR-Bürgern“ betitelte § 52 NAG lautet:

„§ 52. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§§ 51 und 53a) sind, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1.       Ehegatte oder eingetragener Partner sind;

2.       Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres und darüber hinaus sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;

3.       Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;

4.       Lebenspartner sind, der das Bestehen einer dauerhaften Beziehung nachweist, oder

5.       sonstige Angehörige des EWR-Bürgers sind,

a)       die vom EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat Unterhalt tatsächlich bezogen haben,

b)       die mit dem EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben, oder

c)       bei denen schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege zwingend erforderlich machen.

(2) Der Tod des zusammenführenden EWR-Bürgers, sein nicht bloß vorübergehender Wegzug aus dem Bundesgebiet, die Scheidung oder Aufhebung der Ehe sowie die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft mit ihm berühren nicht das Aufenthaltsrecht seiner Angehörigen gemäß Abs. 1.“

Der mit "Anmeldebescheinigung" betitelte § 53 NAG lautet:

„§ 53. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), haben, wenn sie sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten, dies binnen vier Monaten ab Einreise der Behörde anzuzeigen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen (§§ 51 oder 52) ist von der Behörde auf Antrag eine Anmeldebescheinigung auszustellen.

(2) Zum Nachweis des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sind ein gültiger Personalausweis oder Reisepass sowie folgende Nachweise vorzulegen:

1.       nach § 51 Abs. 1 Z 1: eine Bestätigung des Arbeitgebers oder ein Nachweis der Selbständigkeit;

2.       nach § 51 Abs. 1 Z 2: Nachweise über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz;

3.       nach § 51 Abs. 1 Z 3: Nachweise über die Zulassung zu einer Schule oder Bildungseinrichtung und über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz sowie eine Erklärung oder sonstige Nachweise über ausreichende Existenzmittel;

4.       nach § 52 Abs. 1 Z 1: ein urkundlicher Nachweis des Bestehens der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft;

5.       nach § 52 Abs. 1 Z 2 und 3: ein urkundlicher Nachweis über das Bestehen einer familiären Beziehung sowie bei Kindern ab Vollendung des 21. Lebensjahres und Verwandten des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie ein Nachweis über die tatsächliche Unterhaltsgewährung;

6.       nach § 52 Abs. 1 Z 4: ein Nachweis des Bestehens einer dauerhaften Beziehung mit dem EWR-Bürger;

7.       nach § 52 Abs. 1 Z 5: ein urkundlicher Nachweis einer zuständigen Behörde des Herkunftsstaates der Unterhaltsleistung des EWR-Bürgers oder des Lebens in häuslicher Gemeinschaft oder der Nachweis der schwerwiegenden gesundheitlichen Gründe, die die persönliche Pflege durch den EWR-Bürger zwingend erforderlich machen."

Der mit „Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR-Bürgern“ betitelte § 53a NAG lautet:

„§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von

1.       Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;

2.       Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder

3.       durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.

(3) Abweichend von Abs. 1 erwerben EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie

1.       zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben;

2.       sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben, wobei die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Pension besteht, die ganz oder teilweise zu Lasten eines österreichischen Pensionsversicherungsträgers geht, oder

3.       drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet erwerbstätig und aufhältig waren und anschließend in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig sind, ihren Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten und in der Regel mindestens einmal in der Woche dorthin zurückkehren;

Für den Erwerb des Rechts nach den Z 1 und 2 gelten die Zeiten der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zeiten der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Zeiten gemäß § 51 Abs. 2 sind bei der Berechnung der Fristen zu berücksichtigen. Soweit der Ehegatte oder eingetragene Partner des EWR-Bürgers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder diese nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat, entfallen die Voraussetzungen der Aufenthaltsdauer und der Dauer der Erwerbstätigkeit in Z 1 und 2.

(4) EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 sind, erwerben ebenfalls das Daueraufenthaltsrecht, wenn der zusammenführende EWR-Bürger das Daueraufenthaltsrecht gemäß Abs. 3 vorzeitig erworben hat oder vor seinem Tod erworben hatte, sofern sie bereits bei Entstehung seines Daueraufenthaltsrechtes bei dem EWR-Bürger ihren ständigen Aufenthalt hatten.

(5) Ist der EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 im Laufe seines Erwerbslebens verstorben, bevor er gemäß Abs. 3 das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, so erwerben seine Angehörigen, die selbst EWR-Bürger sind und die zum Zeitpunkt seines Todes bei ihm ihren ständigen Aufenthalt hatten, das Daueraufenthaltsrecht, wenn

1.       sich der EWR-Bürger zum Zeitpunkt seines Todes seit mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet ununterbrochen aufgehalten hat;

2.       der EWR-Bürger infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit verstorben ist, oder

3.       der überlebende Ehegatte oder eingetragene Partner die österreichische Staatsangehörigkeit nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat.“

Der mit „Aufnethaltsrecht für Angehörige von EWR-Bürgern“ betitelte § 52 NAG lautet:

„§ 52. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§§ 51 und 53a) sind, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1.       Ehegatte oder eingetragener Partner sind;

2.       Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres und darüber hinaus sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;

3.       Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;

4.       Lebenspartner sind, der das Bestehen einer dauerhaften Beziehung nachweist, oder

5.       sonstige Angehörige des EWR-Bürgers sind,

a.       die vom EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat Unterhalt tatsächlich bezogen haben,

b.       die mit dem EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben, oder

c.       bei denen schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege zwingend erforderlich machen.

(2) Der Tod des zusammenführenden EWR-Bürgers, sein nicht bloß vorübergehender Wegzug aus dem Bundesgebiet, die Scheidung oder Aufhebung der Ehe sowie die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft mit ihm berühren nicht das Aufenthaltsrecht seiner Angehörigen gemäß Abs. 1.“

Der mit "Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate" betitelte § 55 NAG lautet:

"§ 55. (1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs. 3 und 54 Abs. 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.

(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7.

(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.

(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" quotenfrei zu erteilen.

(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird."

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG idgF lautet wie folgt:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1.         die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2.         das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3.         die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4.         der Grad der Integration,
5.         die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6.         die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7.         Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8.         die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9.         die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“

"Nach § 66 Abs. 2 FrPolG 2005 und § 9 BFA-VG 2014 ist bei Erlassung einer auf § 66 FrPolG 2005 gestützten Ausweisung eine Abwägung des öffentlichen Interesses an der Beendigung des Aufenthalts des EWR-Bürgers mit dessem Interesse an einem Verbleib in Österreich vorzunehmen, bei der insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts im Bundesgebiet, das Alter, der Gesundheitszustand, die familiäre und wirtschaftliche Lage, die soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß der Bindungen zum Heimatstaat sowie die Frage der strafgerichtlichen Unbescholtenheit zu berücksichtigen sind." (VwGH 30.08.2018, Ra 2018/21/0049)

Bei der Beurteilung, ob im Falle der Erlassung einer Rückkehrentscheidung in das durch Art. 8 MRK geschützte Privat- und Familienleben des oder der Fremden eingegriffen wird, ist eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen, die auf alle Umstände des Einzelfalls Bedacht nimmt (Hinweis E vom 28. April 2014, Ra 2014/18/0146-0149, mwN). Maßgeblich sind dabei etwa die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität sowie die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, weiters der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert sowie die Bindungen zum Heimatstaat (Hinweis E vom 22. Juli 2011, 2009/22/0183). (vgl. VwGH 07.09.2016, Ra 2016/19/0168)

Der Begriff "Privatleben" iSd Art 8 MRK folgt einem breiten Konzept, das keiner vollständigen Definition zugänglich ist. Es umfasst die körperliche und seelische Integrität einer Person (EGMR vom 26. März 1985, X und Y, Nr 8978/80, Tz 22; EGMR vom 20. März 2007, Tysiac, Nr 5410/03, Tz 107). Es kann in manchen Fällen auch Gesichtspunkte der körperlichen und gesellschaftlichen Identität des Einzelnen miteinbeziehen (EGMR vom 7. Februar 2002, Mikulic, Nr 53.176/99, Tz 53). Art 8 MRK schützt auch das Recht auf persönliche Entwicklung sowie das Recht zur Begründung und Entwicklung von Beziehungen zu anderen Menschen und zur Außenwelt ohne Eingriffe von außen (EGMR vom 16. Dezember 1992, Niemietz, Nr 13.710/88, Tz 29; EGMR vom 24. Februar 1998, Botta, Nr 21.439/93, Tz 32). (vgl. VwGH 18.10.2016, Ra 2016/03/0066)

3.1.3. Wie dem gegenständlichen Sachverhalt zu entnehmen ist, befindet sich die BF bereits seit rund 9 Jahren, nämlich seit August 2011 durchgehend im Bundesgebiet. Die BF war zwar – gemessen an der gesamten Zeitspanne ihres Aufenthaltes – nur für eine sehr kurze Dauer erwerbstätig. Es darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass diese – wie auch der wiederholte Bezug von Krankengeld und die in Vorlage gebrachten medizinischen Unterlagen samt Gutachten zeigen – durch ihren Gesundheitszustand beeinträchtigt war und ist.

Vor dem Hintergrund der der BF attestierten Erkrankungen und eingeschränkten Erwerbsfähigkeit kann nachvollzogen werden, dass diese mit Problemen bei der Arbeitssuche konfrontiert gewesen ist. Der beinahe durchgehende Bezug von Leistungen aus der staatlichen Arbeitslosenversicherung zeigt zudem auf, dass die BF sich arbeitswillig gezeigt und die notwendigen Auflagen erfüllt hat (siehe §§ 7 und 9 AlVG)

Der VwGH hat in seinem Erkenntnis vom 30.08.2018, Zahl Ra 2018/21/0049 unter anderem erwogen:

………..Dabei wurde zunächst verkannt, dass schon das nachhaltige Bemühen um eine Arbeitsstelle, sofern dieses Bemühen objektiv nicht aussichtslos ist, ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht vermitteln kann (vgl. dazu des Näheren VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0130, Rn. 12, mwN) …………..

………….Diesbezüglich ist allerdings einerseits darauf hinzuweisen, dass für eine solche Beurteilung eine konkrete Prüfung der wirtschaftlichen Situation des Betroffenen vorzunehmen gewesen wäre (vgl. VwGH 30.8.2018, Ra 2018/21/0047, 0048, Rn. 15, mit dem Hinweis auf VwGH 21.12.2017, Ra 2017/21/0132, Rn. 10, mwN)………….

Laut Sozialversicherungsauszug ging die BF von 27.01.2012 bis 17.11.2013 wiederholt, sowie von 20.03.2014 bis 31.03.2014, Erwerbstätigkeiten in Österreich im Gesamtausmaß von 17 ½ Monaten nach. Erstmalig bezog die die BF beginnend mit 19.11.2013 Leistungen aus der staatlichen Arbeitslosenversicherung. Mit Blick auf § 11 Abs. 1 AlVG, welcher bei vom Arbeitnehmer ausgehender Kündigung einen Anspruch auf Auszahlung von Arbeitslosengeld nach einer Wartefrist von 4 Wochen vorschreibt, ist gegenständlich der Schluss zu ziehen, dass die Beschäftigung durch den Arbeitgeber aufgelöst wurde und die BF sich zur Vermittlung einer neuen Beschäftigung beim zuständigen Arbeitsmarktservice angemeldet hat. Demzufolge kam der BF aufgrund einer insgesamt mehr als einjährigen Beschäftigungzeitraums gemäß § 51 Abs. 2 Z 2 NAG weiterhin die Arbeitnehmerinneneigenschaft und damit auch ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Österreich zu.

Selbst wenn man sich dieser Meinung nicht anschließt, kommt der Abs. 2 des § 66 FPG iVm § 9 BFA-VG zum Tragen:

Nach § 66 Abs. 2 FPG und § 9 BFA-VG ist bei Erlassung einer auf § 66 FPG gestützten Ausweisung eine Abwägung des öffentlichen Interesses an der Beendigung des Aufenthalts des EWR-Bürgers mit dessen Interesse an einem Verbleib in Österreich vorzunehmen, bei der insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts im Bundesgebiet, das Alter, der Gesundheitszustand, die familiäre und wirtschaftliche Lage, die soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß der Bindungen zum Heimatstaat sowie die Frage der strafgerichtlichen Unbescholtenheit zu berücksichtigen sind.

Ferner führte der VwGH wiederholt wie folgt aus:

„Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden etwa Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Diese Rechtsprechung zu Art. 8 MRK ist auch für die Erteilung von Aufenthaltstiteln relevant (vgl. E 26. Februar 2015, Ra 2015/22/0025; E 19. November 2014, 2013/22/0270). Auch in Fällen, in denen die Aufenthaltsdauer knapp unter zehn Jahren lag, hat der VwGH eine entsprechende Berücksichtigung dieser langen Aufenthaltsdauer gefordert (vgl. E 16. Dezember 2014, 2012/22/0169; E 9. September 2014, 2013/22/0247; E 30. Juli 2014, 2013/22/0226). Im Fall, dass ein insgesamt mehr als zehnjähriger Inlandsaufenthalt für einige Monate unterbrochen war, legte der VwGH seine Judikatur zum regelmäßigen Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt des Fremden zugrunde (vgl. E 26. März 2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082).“ (vgl. VwGH 08.11.2018, Ra 2016/22/0120)

„Dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, können Ausweisungen ausnahmsweise auch nach über zehn Jahre andauernden Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen werden“ (Vgl. VwGH 10.12.2013, 2012/22/0129)

Die Bestimmung des § 66 Abs. 1 FPG enthält jedoch kein Gebot der Ausweisung, sondern räumt dem BFA Ermessen ein. Gemäß § 66 Abs. 2 FPG sind die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, das Alter des BF, dessen Gesundheitszustand, die familiäre und wirtschaftliche Lage, die soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

Bringt man diese Komponenten auf Seiten der BF vorliegend mit ein, so ergibt sich:

Die BF ging wiederholt – wenn auch nur kurz – Erwerbstätigkeiten in Österreich nach, weist jedoch gesundheitliche Beeinträchtigungen auf, welche sie bei der Arbeitssuche einschränken und diese somit erschweren. Sie befindet sich zudem seit rund 9 Jahren im Bundesgebiet, ist strafrechtlich unbescholten, hat kaum Bindungen mehr zu ihrem Herkunftsstaat, ist der deutschen Sprache zumindest auf dem Niveau A2 mächtig und lebt mit ihrer Tochter, ihrem Sohn und ihrem Schwager im gemeinsamen Haushalt. Es kann letztlich auch nicht gesagt werden, dass die BF die Zeit in Österreich gar nicht zur Integration genutzt hat.

Setzt man diese Fakten in Beziehung zu den hier zum Tragen kommenden Bestimmungen des § 66 Abs. 2 und 3 FPG iVm. § 9 BFA-VG sowie der oben zitierten Judikatur des VwGH, insbesondere jedoch Art 8 EMRK, so erscheint eine Ausweisung der BF als unzulässig.

Im Ergebnis war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Entfall einer mündlichen Verhandlung

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFAVG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat mit Erkenntnis vom 28.05.2014, Zl. Ra 2014/20/0017 und 0018-9, für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung „wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“ unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) vom 12.03.2012, Zl. U 466/11 ua., festgehalten, dass der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen muss. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFAVG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Schließlich ist auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.

Im gegenständlichen Fall ist dem angefochtenen Bescheid ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch die belangte Behörde vorangegangen. Für eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens ergeben sich aus der Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes keinerlei Anhaltspunkte. Vielmehr wurde den Grundsätzen der Amtswegigkeit, der freien Beweiswürdigung, der Erforschung der materiellen Wahrheit und des Parteiengehörs entsprochen. So ist die belangte Behörde ihrer Ermittlungspflicht hinreichend nachgekommen. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt wurde nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung der belangten Behörde festgestellt und es wurde in der Beschwerde auch kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde entgegenstehender oder darüber hinaus gehender Sachverhalt in konkreter und substantiierter Weise behauptet.

Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes konnte im vorliegenden Fall die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beim Bundesverwaltungsgericht gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben, weil der maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde samt Ergänzung geklärt war. Was das Vorbringen des BF in der Beschwerde betrifft, so findet sich in dieser kein neues bzw. kein ausreichend konkretes Tatsachenvorbringen, welches die Durchführung einer mündlichen Verhandlung notwendig gemacht hätte.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Ausweisung Behebung der Entscheidung Interessenabwägung private Interessen Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G307.2227793.1.00

Im RIS seit

21.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

21.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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