TE Bvwg Beschluss 2020/6/25 G310 2232080-1

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Veröffentlicht am 25.06.2020
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Entscheidungsdatum

25.06.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

G310 2232080-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Mag. Gaby WALTNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Serbien, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.06.2020, Zl. XXXX , beschlossen:

A)       In Erledigung der Beschwerde wird der Bescheid zur Gänze aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


BEGRÜNDUNG:

Verfahrensgang und Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer (BF) ist Staatsangehöriger von Serbien, wo sich auch sein Lebensmittelpunkt befindet. Er spricht Serbisch. Der BF verfügt über einen am XXXX .2011 ausgestellten gültigen serbischen Reisepass. Er ist geschieden und hat keine Kinder. Der BF ist gesund und arbeitsfähig. In Serbien lebt er ihn einer Mietwohnung in Belgrad. Seine Eltern besitzen in Serbien ein Haus. Auch seine jüngere Schwester lebt in Serbien. Abgesehen von einem weitschichtigen Cousin und einem Freund aus der Kindheit bestehen keine sozialen Anknüpfungspunkte in Österreich. Weitere Verwandte leben in Deutschland. Zu diesen besteht kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis.

Der BF hat in Serbien acht Jahre die Grundschule besucht und danach eine mittlere Schule für Maschinentechnik abgeschlossen. Es folgte das Studium der Maschinentechnik, welches der BF nach zwei Jahren abgebrochen hat. Danach führte er ein Taxiunternehmen und war zuletzt in der Baubranche beschäftigt.

Im Informationsverbundsystem Zentrales Melderegister ist kein Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels gespeichert. Laut dem Zentralen Melderegister liegen abgesehen von seinem Aufenthalt in der Justizanstalt XXXX vom XXXX .2020 bis XXXX .2020 und im Polizeianhaltezentrum XXXX vom XXXX .2020 bis zu seiner Abschiebung keine Wohnsitzmeldungen des BF im Bundesgebiet vor. Im Sozialversicherungsdatenauszug sind keine Beschäftigungszeiten des BF dokumentiert.

Laut Einreisestempel ist der BF zuletzt am XXXX .2020 in das Gebiet der Schengenstaaten eingereist. Bis zu seiner Verhaftung war er ohne Wohnsitzmeldung bei einer Freundin in Wien aufhältig.

Am 02.02.2020 wurde der BF im Bundesgebiet festgenommen. Am 05.02.2020 wurde über ihn die Untersuchungshaft verhängt.

Mit dem Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 10.02.2020 wurde der BF aufgefordert, sich zur beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbots zu äußern. Vom BF wurde keine Stellungnahme abgegeben.

In Österreich wurde der BF einmal strafrechtlich verurteilt, wobei das Strafurteil nicht im Akt aufliegt. Laut Strafregister wurde der BF mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX .2020, XXXX , wegen des (versuchten) Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Satz SMG, § 15 StGB, ausgehend von einem Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe, zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten verurteilt, wobei 12 Monate unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurden.

Es folgte eine niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem BFA am 04.06.2020.

Mit Mandatsbescheid des BFA vom XXXX .2020, XXXX , wurde über den BF gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Sicherung der Abschiebung angeordnet.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde dem BF ein Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 ASylG nicht erteilt (Spruchpunkt I.), gegen ihn gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II.), die Zulässigkeit der Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Serbien gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt (Spruchpunkt III.), gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise festgesetzt (Spruchpunkt IV.), einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 und 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.) und gegen den BF gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 und 2 FPG ein siebenjähriges Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.). Begründend wurde die strafrechtliche Verurteilung angeführt. Auch würden weder eine soziale oder berufliche Integration noch ein schützenswertes Familien- oder Privatleben vorliegen.

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben mit dem Antrag, das Einreiseverbot ersatzlos zu beheben und den Eventualanträgen, das Einreiseverbot auf eine angemessene Dauer herabzusetzen bzw. den Bescheid zur Gänze zu beheben und zur neuerlichen Durchführung eines Verfahrens und Erlassung einer neuen Entscheidung an das BFA zurückzuverweisen. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass sich der BF zwar gesetzwidrig verhalten habe, jedoch gehe von ihm keine derartige Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit aus, die ein Einreiseverbot in der Dauer von sieben Jahren rechtfertigen würde.

Der BF wurde am XXXX .2020 nach Serbien abgeschoben. Einer zuvor beantragten freiwilligen Rückkehr wurde seitens des BFA nicht zugestimmt.

Das BFA legte die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor, wo sie am 18.06.2020 einlangten

Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Sachverhalt ergibt sich aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des Gerichtsakts des BVwG. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen nicht vor.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden grundsätzlich gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder dessen Feststellung durch das Gericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2). Wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, hat das Gericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Behörde zurückverweisen. Diese ist dann an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Gericht ausgegangen ist.

Von der Möglichkeit einer Zurückverweisung kann nur bei besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren2 § 28 VwGVG Anm 13). Solche krassen Ermittlungsmängel liegen hier vor.

Dabei ist von folgender rechtlicher Beurteilung auszugehen: Bei der im Verfahren betreffend Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot zu treffenden Gefährdungsprognose muss eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung vorgenommen werden. Dabei ist auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl VwGH 21.06.2018, Ra 2016/22/0101). Die überdies gebotene Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (VwGH 05.12.2018, Ra 2018/20/0371).

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen hier die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung durch das Gericht nicht vor, weil es weder zu einer Kostenersparnis noch zu einer Verfahrensbeschleunigung führt, wenn das BVwG die notwendigen Erhebungen selbst vornimmt, zumal zu den tragenden Sachverhaltselementen überhaupt keine Ermittlungsergebnisse vorliegen. So wurden zum Fehlverhalten des BF, das zur strafgerichtlichen Verurteilung führte, keine Ermittlungen vorgenommen.

Zur Beurteilung der Voraussetzungen für ein Einreiseverbot gemäß § 53 FPG, insbesondere zum Vorliegen einer Wiederholungsgefahr, sind Ermittlungen darüber notwendig, welche konkreten Taten der Verurteilung des BF zugrunde lagen und welche Strafzumessungsgründe für die verhängten Sanktionen ausschlaggebend waren. Dies ist insbesondere für die Erstellung einer entsprechenden Gefährdungsprognose relevant. Seitens des BFA wurde im angefochtenen Bescheid nicht nachvollziehbar dargelegt, weswegen gegen den BF, welcher erstmals zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt wurde und der Strafrahmen bei weitem nicht ausgenützt wurde, die Erlassung eines siebenjährigen Einreiseverbots erforderlich erscheint.

So hat das BFA verabsäumt, das im angefochtenen Bescheid angeführte Urteil einzuholen, um nachvollziehbar darlegen zu können, welcher konkreter Taten der BF rechtskräftig für schuldig erkannt wurde und welche Erschwerungs- und Milderungsgründe für die Sanktionen maßgeblich waren. Nur so lässt sich verlässlich beurteilen, inwieweit die Art und Schwere der verübten Taten sich negativ auf das Persönlichkeitsbild des BF auswirken, um schlussendlich eine gesamtheitliche nachvollziehbare Gefährdungsprognose erstellen zu können. Dafür ist es nämlich nicht ausreichend, wenn lediglich das Gericht, die Urteilsdaten, die maßgeblichen Strafbestimmungen und die verhängte Strafe angeführt werden (vgl. VwGH 19.05.2015, Ra 2015/21/0001; 19.05.2015, Ra 2014/21/0057, mwN).

Das BFA wird sich im fortgesetzten Verfahren mit den konkreten Straftaten des BF und in diesem Zusammenhang die erforderlichen Ermittlungsschritte vorzunehmen haben, um anschließend auf dieser erweiterten Grundlage eine mangelfrei begründete Sachentscheidung zu treffen.

Die noch fehlenden Ermittlungen erreichen einen Umfang, der trotz der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungskompetenz des BVwG eine Behebung und Zurückverweisung erlaubt. Angesichts der vorliegenden groben Ermittlungsmängel kommt die vom BF primär angestrebte meritorische Entscheidung durch das Gericht nicht in Betracht.

Der angefochtene Bescheid ist somit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen.

Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben und zurückzuverweisen ist.

Die Revision war wegen der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung über die Anwendung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG, die keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs. 4 B-VG begründet, nicht zuzulassen (siehe z.B. VwGH 08.11.2018, Ra 2018/22/0232).

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Urkunde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G310.2232080.1.00

Im RIS seit

21.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

21.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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