TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/17 G307 2231621-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.07.2020
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Entscheidungsdatum

17.07.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch

G307 2231621-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA.: Rumänien, vertreten durch Diakonie und Flüchtlingsdienst gemeinnützige Gesellschaft mbH – ARGE Rechtsberatung in 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.03.2020, Zahl XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) wurde anlässlich seiner Verurteilung im Bundesgebiet mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 19.11.2019, über die Einleitung eines Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in Kenntnis gesetzt. Gleichzeitig wurde er zur dahingehenden Stellungnahme binnen zwei Wochen ab Erhalt dieses aufgefordert.

2. Mit per Post am 28.11.2019 beim BFA eingebrachtem Schriftsatz gab der BF eine Stellungnahme dazu ab.

3. Mit dem oben im Spruch genannten Bescheid des BFA, dem BF persönlich zugestellt am 10.04.2020, wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf 3 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), sowie dem BF gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.).

4. Mit per E-Mail am 28.05.2020 beim BFA eingebrachtem Schriftsatz, erhob der BF durch seine Rechtsvertretung (im Folgenden: RV) Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid an das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG).

Darin wurde die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung und ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die angemessene Herabsetzung der Befristung des Aufenthaltsverbotes beantragt.

5. Die gegenständliche Beschwerde sowie die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom BFA dem BVwG am 05.06.2020 vorgelegt.

6. Mit per Telefax am 15.06.2020 beim BVwG eingebrachtem Schreiben wurde die Vollmacht des RV des BF schriftlich nachgereicht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Der BF führt die im Spruch angegebene Identität (Name und Geburtsdatum), ist rumänischer Staatsangehöriger, ledig, gesund und frei von Sorgepflichten.

1.2. Der BF reiste im Jahr 2014 gemeinsam mit seinem Vater, XXXX , geb. XXXX , und seiner Stiefmutter, XXXX , geb. XXXX , beide StA: Rumänien, nach Österreich und hält sich seither durchgehend im Bundesgebiet auf. Der BF ist zudem im Besitz einer Anmeldebescheinigung.

Der Vater des BF ist mit der Stiefmutter des BF seit XXXX .2012 verheiratet.

Der Vater sowie die Stiefmutter des BF, zu welchen der BF ein enges Verhältnis pflegt, halten sich ebenfalls zumindest seit 2014 durchgehend im Bundesgebiet auf, und ist der Vater des BF seit 09.09.2008 sowie die Stiefmutter des BF seit 07.08.2012 im Besitz einer Anmeldebescheinigung. Die Stiefmutter des BF ist seit 01.01.2014 durchgehend erwerbstätig und ging der Vater des BF zuletzt zwischen 20.08.2018 und 26.10.2018 einer Erwerbstätigkeit in Österreich nach.

1.3. Der BF hat in Österreich die Hauptschule und das Polytechnikum besucht sowie von XXXX .2015 bis XXXX .2016 eine Lehre absolviert.

Zwischen 23.04.2018 und 15.02.2019, 12.08.2019 und 13.08.2019 sowie 10.09.2019 bis 11.09.2019 übte der BF in Österreich Beschäftigungen aus und bezog zwischen 25.03.2019 und 10.05.2020 wiederholt Leistungen aus der staatlichen Arbeitslosenversicherung.

Aktuell ist der BF nicht erwerbstägig.

1.4. Mit rechtskräftigem Urteil des LG XXXX , Zl.: XXXX , vom XXXX .2019, wurde der BF wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung gemäß § 107 Abs. 1, teils Abs. 2 erster Fall StGB, und der Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB, sowie des Versuchs der Vergehen der Sachbeschädigung gemäß §§ 15, 125 StGB und des schweren Betruges gemäß §§ 15, 146, 147 Abs. 1 Z 1 StGB, zu einer Freiheitsstrafe von insgesamt 12 Monaten, wovon 10 Monate bedingt nachgesehen wurden, verurteilt.

Der BF wurde im Zuge dieser Verurteilung für schuldig befunden, er habe

A.       in XXXX nachgenannte Personen zu nachstehenden Zeitpunkten gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, und zwar

a.       Ja.P. am XXXX .2019 mit dem Tod, indem er sie mit hochprozentigem Alkohol übergoss und dazu äußerte: „ Du kannst froh sein, wenn du noch lebendig die Wohnung verlässt!“;

b.       Ja.P. am XXXX .2019 mit zumindest einer Verletzung am Körper, indem er ihr per Audio-Nachricht mitteilte: „Wenn i di sig, i box di ins G´sicht, du dreckige Nutte, i zag di, wen du verarscht.“

c.       Ja.P., Je.P. und S.W. am XXXX .2019 mit dem Tod, indem er gegenüber Je.P. über das Telefon der Freundin des Opfers S.W. telefonisch wörtlich betreffend Ja.P. ankündigte: „Wenn i sie sig, dann dresch i sie so. So wüd, i schwör´s auf mei scheiß Leben. I tu ihre neue Brille wos sie jetzt hot, i tu sie waßt eh wie kaputt mochn. Sie soll Handy und Brille daham lossn, wenn sie auf die Straße geht, wal sie waß net, von wo i komm. Von hinten, i box sie so nieder mit dem Gesicht. I schwör auf mei scheiß Leben.“ und weiters sinngemäß erklärte, er werde sie alle wie Schweine aufschlitzen und er werde mit Ja.P. anfangen, wobei es ihm darauf ankam, dass diese Drohung Ja.P. und S.W. zur Kenntnis gelangen,

B.       nachgenannte Personen zu nachstehenden Zeitpunkten vorsätzlich am Körper verletzt, und zwar

a.       H.P. am XXXX . oder XXXX .2019, durch Versetzen eines Stoßes, wodurch dieser eine Treppe hinab stürzte und eine Brustkorbprellung erlitt,

b.       Ja.P. am XXXX .2019 durch Versetzen eines Schlages mit einem unbekannten Gegenstand gegen den Kopf, wodurch sie einen Tinnitus und Kopfschmerzen erlitt,

c.       Ja.P. am XXXX .2019 durch Versetzen eines Schlages gegen den Kopf, wodurch sie schmerzhafte Prellungen sowie den Verdacht einer Fraktur des Kieferköpfchens, sohin im Zweifel eine leichte Verletzung erlitt,

d.       Ja.P. am XXXX .2019 durch Versetzen eines Faustschlages ins Gesicht, wodurch sie ein Hämatom am rechten Auge erlitt, und

e.       O.O. am XXXX .2019, indem er mit einem Holzstück zwei Schläge gegen den Kopf versetzte, wobei es mangels objektivierter Verletzung beim Versuch blieb;

C.       nachstehende fremde Sachen in einem € 5.000,00 nicht übersteigenden Wert vorsätzlich beschädigt, und zwar

a.       am XXXX .2019 durch die zu Punkt B.d. beschriebene Tathandlung die Brille der Ja.P., demnach eine fremde Sache vorsätzlich beschädigt, wodurch ein nicht näher bekannter Schaden entstand,

b.       von XXXX .2019 bis XXXX .2019 in wiederholten Angriffen diverses Mobiliar samt Türe in bzw. zu seiner Wohnung, wodurch dem Vermieter ein Schaden in Höhe € 3.150,00 entstand;

D.       am XXXX .2019 in Leoben mit dem Vorsatz, sich oder Dritte durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, mit der Ausspeisung befasste Justizwachebeame und Verantwortliche der XXXX durch Täuschung über Tatsachen zu einer Handlung, nämlich zur Ausgabe von Waren im Wert von € 88,77, verleitet, die diese ein einem € 5.000,00 nicht übersteigenden Betrag am Vermögen schädigte, indem er unter Vorlage eines unterfertigten und nachträglich verfälschten ZNG-Streifens, mithin unter Benützung einer verfälschten Urkunde, vorgab, er verfüge über zur Einzahlung gebrachte Eigenmittel in Höhe € 107,51, während sein Guthabenstand tatsächlich nur € 0,57 betrug.

Als mildernd wurden dabei die Unbescholtenheit, das Teilgeständnis sowie das Alter unter 21 Jahren, als erschwerend die zahlreichen Vergehen sowie die Tatbegehung in U-Haft gewertet.

Mit weiterem Urteil des LG XXXX , Zahl XXXX , vom XXXX .2020, in Rechtskraft am XXXX .2020, wurde der BF wegen des Vergehens der Nötigung gemäß § 105 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt.

Dem BF wurde darin angelastet, er habe am XXXX .2020 in XXXX , Ja.P. mit Gewalt zu einer Handlung, und zwar dem Eintreten in die Wohnung, genötigt, indem er ihren am Hals geknoteten Schal an beiden Enden packte, zu- und sie so ins Wohnzimmer zog.

Als mildernd wurde dabei das Geständnis sowie das Alter unter 21 Jahren, als erschwerend eine einschlägige Vorstrafe, die Tatbegehung während offener Probezeit und der rasche Rückfall gewertet.

Es wird festgestellt, dass der BF die seinen Verurteilungen zugrunde liegenden Straftaten begangen und die angeführten Verhaltensweisen gesetzt hat.

Der BF wurde von XXXX .2019 bis XXXX .2019 in einer Justizanstalt in Österreich angehalten und gegen ihn am XXXX .2020 ein Betretungsverbot für die Wohnung der Lebensgefährtin, XXXX , in XXXX sowie einen Umkreis um die besagte Wohnung von 100 Metern ausgesprochen. Dem lag der Umstand zugrunde, dass die Lebensgefährtin des BF Anzeige gegen den BF erstattet hat, zumal dieser am Abend zuvor laut ihren Angaben Gewalt gegen dieselbe geübt, welche diese am Körper verletzt haben soll. Der BF wurde zudem auf freiem Fuße angezeigt. Eine Verurteilung des BF wegen des besagten Vorfalles liegt bis dato keine vor.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:

2.2.1. Die strafgerichtliche Verurteilung des BF in Österreich, die näheren Ausführungen zu den begangen Straftaten sowie die Feststellung, dass der BF diese begangen hat, beruhen auf dem Amtswissen des erkennenden Gerichts (Einsicht in das Strafregister der Republik Österreich) durch Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich sowie einer Ausfertigung der oben jeweils zitierten Strafurteile des LG XXXX .

Der Ausspruch eines Betretungsverbotes samt der diesbezüglichen Gründe und die erfolgte Anzeige des BF auf freiem Fuß ergeben sich aus einem Bericht der LPD XXXX , Zahl XXXX , vom XXXX .2020 (siehe OZ 6) und ließ sich durch Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich ermitteln, dass eine entsprechende Verurteilung bis dato nicht erfolgt ist.

Familienstatus, Gesundheitszustand sowie das Freisein von Sorgepflichten beruhen auf dem fehlenden Vorbringen eines diesen Feststellungen wiedersprechenden Sachverhaltes seitens des BF. Weder hat er angeführt, verheiratet zu sein und Sorgepflichten zu haben, noch das Bestehen einer Erkrankung behauptet.

Durch Abfrage des Zentralen Melderegisters (ZMR) konnte das Datum der Eheschließung des Vaters und der Stiefmutter des BF sowie deren Aufenthalt in Österreich ermittelt werden. Anhand des Inhaltes der jeweiligen Sozialversicherungsauszüge der Genannten wie durch Abfrage des ZMR wurden der Besitz von Anmeldebescheinigungen und die oben genannten Erwerbstätigkeiten des Vaters und der Stiefmutter des BF zu Tage gefördert. Ferner konnten auch die Erwerbstätigkeiten des BF, der Beginn einer Lehre, die aktuelle Erwerbslosigkeit sowie der wiederholte Bezug von Leistungen aus der staatlichen Arbeitslosenversicherung seinem Sozialversicherungsauszug entnommen werden.

Die Anhaltung des BF in einer Justizanstalt ist ebenfalls aus dem ZMR ersichtlich.

Die sonstigen, oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Feststellungen im angefochtenen Bescheid, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht substantiiert entgegengetreten wurde.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde:

Die Beschwerde wurde rechtzeitig eingebracht, weil – vermittelt durch die Fristenhemmungen des Verwaltungsgerichtlichen Covid-19-Begleitgesetzes (vgl. §§ 1 Abs. 1 iVm. 6 Abs. 1 COVID-19-VwBG) – die Rechtsmittelfrist für die gegenständliche Rechtssache mit Ablauf des 30.04.2020 neu zu laufen begann und somit erst mit Ablauf des 29.05.2020 geendet hätte. Die Einbringung der Beschwerde am 28.05.2020 erwies sich somit als rechtzeitig.

3.2. Zur Stattgabe der Beschwerde:

3.2.1. Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, jener der die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Abs. 4 Z 8 leg cit als EWR-Bürger, jener Fremder, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist.

Der BF als Staatsangehöriger von Rumänien ist sohin EWR-Bürger iSd. § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

3.2.2. Der mit „Ausweisung“ betitelte § 66 FGP lautet:

„§ 66. (1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)“

Der mit „Aufenthaltsverbot“ betitelte § 67 FPG lautet:

„§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere

1.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

2.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);

3.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

4.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.

(Anm.: Abs. 5 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)“

Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“

Der mit „Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate“ betitelte § 51 NAG lautet:

„§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1.       in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2.       für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3.       als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.

(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er

1.       wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;

2.       sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;

3.       sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder

4.       eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.

(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen.“

Der mit „Aufenthaltsrecht für Angehörige von EWR-Bürgern“ betitelte § 52 NAG lautet:

„§ 52. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§§ 51 und 53a) sind, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1.       Ehegatte oder eingetragener Partner sind;

2.       Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres und darüber hinaus sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;

3.       Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;

4.       Lebenspartner sind, der das Bestehen einer dauerhaften Beziehung nachweist, oder

5.       sonstige Angehörige des EWR-Bürgers sind,

a)       die vom EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat Unterhalt tatsächlich bezogen haben,

b)       die mit dem EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben, oder

c)       bei denen schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege zwingend erforderlich machen.

(2) Der Tod des zusammenführenden EWR-Bürgers, sein nicht bloß vorübergehender Wegzug aus dem Bundesgebiet, die Scheidung oder Aufhebung der Ehe sowie die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft mit ihm berühren nicht das Aufenthaltsrecht seiner Angehörigen gemäß Abs. 1.“

Der mit „Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR-Bürgern“ betitelte § 53a NAG lautet wie folgt:

„§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von

1.       Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;

2.       Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder

3.       durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.

(3) Abweichend von Abs. 1 erwerben EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie

1.       zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben;

2.       sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben, wobei die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Pension besteht, die ganz oder teilweise zu Lasten eines österreichischen Pensionsversicherungsträgers geht, oder

3.       drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet erwerbstätig und aufhältig waren und anschließend in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig sind, ihren Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten und in der Regel mindestens einmal in der Woche dorthin zurückkehren;

Für den Erwerb des Rechts nach den Z 1 und 2 gelten die Zeiten der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zeiten der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Zeiten gemäß § 51 Abs. 2 sind bei der Berechnung der Fristen zu berücksichtigen. Soweit der Ehegatte oder eingetragene Partner des EWR-Bürgers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder diese nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat, entfallen die Voraussetzungen der Aufenthaltsdauer und der Dauer der Erwerbstätigkeit in Z 1 und 2.

(4) EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 sind, erwerben ebenfalls das Daueraufenthaltsrecht, wenn der zusammenführende EWR-Bürger das Daueraufenthaltsrecht gemäß Abs. 3 vorzeitig erworben hat oder vor seinem Tod erworben hatte, sofern sie bereits bei Entstehung seines Daueraufenthaltsrechtes bei dem EWR-Bürger ihren ständigen Aufenthalt hatten.

(5) Ist der EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 im Laufe seines Erwerbslebens verstorben, bevor er gemäß Abs. 3 das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, so erwerben seine Angehörigen, die selbst EWR-Bürger sind und die zum Zeitpunkt seines Todes bei ihm ihren ständigen Aufenthalt hatten, das Daueraufenthaltsrecht, wenn

1.       sich der EWR-Bürger zum Zeitpunkt seines Todes seit mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet ununterbrochen aufgehalten hat;

2.       der EWR-Bürger infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit verstorben ist, oder

3.       der überlebende Ehegatte oder eingetragene Partner die österreichische Staatsangehörigkeit nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat.“

Der mit „Ausreiseverpflichtung und Durchsetzungsaufschub“ betitelte § 70 FPG lautet:

„§ 70. (1) Die Ausweisung und das Aufenthaltsverbot werden spätestens mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar; der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige hat dann unverzüglich auszureisen. Der Eintritt der Durchsetzbarkeit ist für die Dauer eines Freiheitsentzuges aufgeschoben, auf den wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung erkannt wurde.

(Anm.: Abs. 2 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)

(3) EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen ist bei der Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.

(4) Der Durchsetzungsaufschub ist zu widerrufen, wenn

1.       nachträglich Tatsachen bekannt werden, die dessen Versagung gerechtfertigt hätten;

2.       die Gründe für die Erteilung weggefallen sind oder

3.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige während seines weiteren Aufenthaltes im Bundesgebiet ein Verhalten setzt, das die sofortige Ausreise aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gebietet.“

3.2.3. Der Beschwerde gegen den Bescheid des BFA war aus folgenden Gründen stattzugeben:

Der BF hält sich seit 2014 durchgehend in Österreich auf und ist im Besitz einer Anmeldebescheinigung. Sein Vater sowie seine Stiefmutter, welche beide ebenfalls seit 2008 bzw. 2012 über Anmeldbescheinigungen verfügen und zudem wiederholt Erwerbstätigkeiten in Österreich nachgegangen sind, halten sich ebenfalls – zumindest seit 2014 – im Bundesgebiet auf. Die Stiefmutter des BF, welche ebenfalls EWR-Bürgerin und mit dem Vater des BF seit XXXX .2012 verheiratet ist, ist zudem seit 01.01.2014 durchgehend erwerbstätig, und kam bzw. kommt ihr jedenfalls mit der Aufnahme von Erwerbstätigkeiten ein eigenständiges unionsrechtliches Aufenthaltsrecht gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 NAG in Österreich zu. Dem Vater des BF wiederum kam ebenfalls aufgrund seiner Erwerbstätigkeiten in Österreich als EWR-Bürger ein eigenständiges unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Österreich zu, welches – unbeschadet eines bis dahin allfällig bereits erworbenen unionsrechtlichen Daueraufenthaltsrechts – nach Aufgabe der Erwerbstätigkeit jedenfalls aufgrund seiner Ehe mit einer unionsrechtlich Aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgerin gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 NAG weiterhin Bestand hatte.

Dem BF als EWR-Bürger und Sohn eines zum Aufenthalt in Österreich berechtigten EWR-Bürgers kam sohin ebenfalls ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht iSd. § 52 Abs. 1 Z 2 NAG in Österreich zu, und hat er aufgrund seines 5 Jahre übersteigenden durchgehend rechtmäßigen Aufenthaltes in Österreich zudem mittlerweile das unionsrechtliche Daueraufenthaltsrecht iSd. § 53a NAG erworben. Demzufolge erweist sich der Aufenthalt des BF als durchgehend rechtmäßig und kommt bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Ausspruches eines Aufenthaltsverbotes somit der Prüfungsmaßstab des § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG zur Anwendung (siehe VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0205).

Gegen den BF als grundsätzlich unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 Abs. 1 FPG iVm. § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG nur zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet schwerwiegend gefährdet wäre., wobei die Gefährdung tatsächlich, erheblich und gegenwärtig vorliegen muss. (vgl. VwGH 13.12.2012, 2012/21/0181). Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

„Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. - noch zu § 86 FPG in der Fassung vor dem FrÄG 2011, der Vorgängerbestimmung des § 67 FPG - etwa die hg. Erkenntnisse vom 26. September 2007, Zl. 2007/21/0197, und vom 21. Februar 2013, Zl. 2012/23/0042, mwN).“ (VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0039)

„Hinsichtlich Personen, die das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, ist nicht nur bei der Ausweisung, sondern auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der in § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FrPolG 2005 vorgesehene Gefährdungsmaßstab, der jenem in Art. 28 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie entspricht, heranzuziehen (vgl. VwGH 13.12.2012, 2012/21/0181; VwGH 22.1.2014, 2013/21/0135; VwGH 3.7.2018, Ra 2018/21/0066). Dieser Maßstab liegt im abgestuften System der Gefährdungsprognosen über dem Gefährdungsmaßstab nach dem ersten und zweiten Satz des § 67 Abs. 1 FrPolG 2005. § 53a Abs. 1 NAG 2005 stellt in Bezug auf den Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt auf einen fünf Jahre rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt im Bundesgebiet ab. Auf dieser Grundlage darf nur bei Vorliegen von Gründen iSd § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FrPolG 2005 (schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit) ein Aufenthaltsverbot erlassen werden.“ (vgl. VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0205)

„Für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die das Recht auf Daueraufenthalt genießen, bestimmt aber Art. 28 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie, dass eine Ausweisung nur aus "schwerwiegenden" Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt werden darf, wobei zwar auch hier gemäß Art. 27 Abs. 2 der Richtlinie auf das persönliche Verhalten abzustellen ist, das eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, insgesamt aber ein größeres Ausmaß an Gefährdung verlangt wird. Diese Vorgaben der Unionsbürgerrichtlinie wurden im FrPolG 2005 insofern umgesetzt, als nach dessen § 66 Abs. 1 idF FrÄG 2011 die Ausweisung von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen, die bereits das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, nur dann zulässig ist, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.“ (vgl. VwGH 13.12.2012, 2012/21/0181)

Zudem gilt es festzuhalten, dass die fremdenpolizeilichen Beurteilungen eigenständig und unabhängig von den die des Strafgerichts für die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs betreffenden Erwägungen zu treffen sind (vgl. Erkenntnis des VwGH v. 6.Juli 2010, Zl. 2010/22/0096) und es bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes/Einreiseverbotes in keiner Weise um eine Beurteilung der Schuld des Fremden an seinen Straftaten und auch nicht um eine Bestrafung geht. (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 8. Juli 2004, 2001/21/0119).

3.2.4. Der BF weist unbestritten zwei einschlägige Verurteilungen wegen gefährlicher Drohung, Sachbeschädigung, Körperverletzung und schweren Betruges, sowie Nötigung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten sowie einer bedingten von 4 Monaten in Österreich auf.

Das vom BF teils wiederholt gezeigte und überwiegend von Gewalt geprägte Verhalten stellt jedenfalls eine Gefährdung öffentlicher Interessen dar und kann keinesfalls gebilligt werden (vgl. auch VwGH 22.02.2011, 2010/18/0417: hinsichtlich der Beeinträchtigung öffentlicher Interessen durch Gewalt- und Eigentumsdelikte). Jedoch ist im konkreten Fall das noch junge, unter 21 Jahre gelegene Alter des BF (vgl. VwGH 12.04.2001, 2007/18/0962), sowie der Umstand, dass der BF ausschließlich wegen Vergehen verurteilt wurde und das Strafgericht mit der Verhängung von überwiegend bedingten Freiheitsstrafen (der unbedingte Teil betrug bloß 2 Monate) das Auslangen fand, zu berücksichtigen.

Wenn gegen den BF auch am 20.06.2020 ein Betretungsverbot erlassen wurde, weil er von seiner Lebensgefährtin wegen Gewalttätigkeiten angezeigt wurde, so ist festzuhalten, dass es sich bei dem Rechtsinstitut des Betretungsverbotes lediglich um eine verdachtsbasierte Schutzmaßnahme handelt, die für sich allein eine Beurteilung der Schuld des vermeintlichen Täters nicht zulässt (vgl. VwGH 26.04.2016, Ra 2015/03/0079), und gegenständlich, in Ermangelung einer Verurteilung des BF bis dato dessen Schuld im Hinblick erneut Gewalt gegen seine Lebensgefährtin geübt zu haben, nicht zweifelsfrei feststeht.

Unter Berücksichtigung des mittlerweile langen Zeitraumes, den der BF sich rechtmäßig in Österreich aufhält, welcher zudem 1/3 seines gesamten Lebens ausmacht, der kernfamiliären Anknüpfungspunkte in Österreich und der zu diesen bestehenden engen Bindung sowie der getätigten Integrationsschritte in Form von Schulbesuchen und wiederholten Erwerbstätigkeiten erweist sich nach Abwägung der sich wiederstreitenden Interessen der Ausspruch eines Aufenthaltsverbotes, insbesondere iSd. § 9 BFA-VG iVm. Art 8 EMRK, im konkreten Fall, als nicht zulässig.

Im Ergebnis war der gegenständlichen Beschwerde sohin stattzugeben und der angefochtene Bescheid zu beheben.

3.3. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat in Bezug auf § 41 Abs. 7 AsylG 2005 in der Fassung bis 31.12.2013 unter Berücksichtigung des Art. 47 iVm. Art. 52 der Grundrechte-Charta der Europäischen Union (im Folgenden: GRC) ausgesprochen, dass das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde erklärt erscheint oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen tatsachenwidrig ist, im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC steht, wenn zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden hat, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt wurde. Hat die beschwerdeführende Partei hingegen bestimmte Umstände oder Fragen bereits vor der belangten Behörde releviert oder sind solche erst nachträglich bekannt geworden, ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erforderlich, wenn die von der beschwerdeführenden Partei bereits im Verwaltungsverfahren oder in der Beschwerde aufgeworfenen Fragen – allenfalls mit ergänzenden Erhebungen – nicht aus den Verwaltungsakten beantwortet werden können, und insbesondere, wenn der Sachverhalt zu ergänzen oder die Beweiswürdigung mangelhaft ist (VfGH 14.03.2012, U 466/11-18, U 1836/11-13).

Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat mit Erkenntnis vom 28.05.2014, Zl. Ra 2014/20/0017 und 0018-9, für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung „wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“ unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des VfGH vom 12.03.2012,
Zl. U 466/11 ua., festgehalten, dass der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen muss. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Schließlich ist auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.

Im gegenständlichen Fall ist dem angefochtenen Bescheid ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch die belangte Behörde vorangegangen. Der Sachverhalt wurde nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung der belangten Behörde festgestellt und es wurde in der Beschwerde auch kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde entgegenstehender oder darüber hinaus gehender Sachverhalt in konkreter und substantiierter Weise behauptet.

Es konnte daher die gegenständliche Entscheidung auf Grund der Aktenlage getroffen und von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Aufenthaltsdauer Aufenthaltsverbot Behebung der Entscheidung Interessenabwägung Privat- und Familienleben Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G307.2231621.1.00

Im RIS seit

21.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

21.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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