TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/17 G307 2216413-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.07.2020
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Entscheidungsdatum

17.07.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
VwGVG §8a

Spruch

G307 2216413-1/2E

G307 2216413-2/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX , StA.: Deutschland, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 26.08.2019, Zahl XXXX ,

A) zu Recht erkannt:

1.       Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

2.       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

B) beschlossen:

Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird als unzulässig zurückgewiesen.

C)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit am 28.01.2019 dem Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) zugestelltem Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), wurde dieser anlässlich seiner Verurteilung im Bundesgebiet über den in Aussicht genommenen Ausspruch eines Aufenthaltsverbotes in Kenntnis gesetzt. Gleichzeitig wurde er zur dahingehenden Stellungnahme binnen 10 Tagen ab Erhalt dieses Schreibens aufgefordert.

2. Mit beim BFA eingebrachten Schreiben vom 21.02.2019 und 13.03.2019 gab der BF eine Stellungnahme dazu ab und brachte diverse Unterlagen in Vorlage.

3. Mit dem oben im Spruch genannten Bescheid des BFA, dem BF persönlich zugestellt am 27.08.2019, wurde gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG gegen diesen ein auf 6 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und dem BF gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.).

4. Mit per Telefax am 20.09.2019 beim BFA eingebrachtem Schriftsatz erhob der BF durch seine Rechtsvertretung (im Folgenden: RV) Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid an das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG).

Darin wurden neben der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung, jeweils in eventu die Behebung des Bescheides, die Behebung des Aufenthaltsverbotes, die Reduktion der Dauer des Aufenthaltsverbotes sowie die Zurückverweisung der Rechtsache zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde, beantragt.

5. Die gegenständliche Beschwerde und der zugehörige Verwaltungsakt wurden dem BVwG vom BFA vorgelegt, wo sie am 24.10.2019 einlangten.

6. Am 22.10.2019 brachte der BF durch seinen RV eine Stellungnahme seines Onkels in Vorlage.

7. Mit beim BVwG am 15.03.2019 eingelangtem Schreiben des LVwG XXXX , Gz. XXXX , vom selben Tag, wurde ein Verfahrenshilfeantrag des BF mit Bezug auf das gegenständliche Beschwerdeverfahren, gemäß § 6 AVG weitergeleitet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF führt die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und ist Staatsangehöriger der Republik Deutschland, verheiratet und kinderlos.

Der BF wurde in Österreich geboren und hält sich, abgesehen von einer wenige Monate andauernden Unterbrechung, durchgehend im Bundesgebiet auf, wo er die Schule besuchte und den Beruf des Großhandelskaufmannes sowie des Versicherungsagenten erlernt hat.

Zudem absolvierte der BF von 2010 bis 2011 die Abendschule (Bundesrealgymnasium für Berufstätige in Wien) und war im Schuljahr 2019/20 erneut an der besagten Schule inskribiert. Darüber hinaus hat der BF einen Kurs am BFI zum Thema „ XXXX “ absolviert.

Der BF hat am XXXX .2017 die russische Staatsangehörige XXXX , geb. XXXX , geheiratet. Die Ehefrau des BF hält sich seit 14.11.2018 in Österreich auf, hat am 11.01.2019 einen – bis dato nicht erledigten – Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte „Angehörige eines EWR-Bürgers“ gestellt und geht seit 01.01.2019 Erwerbstätigkeiten in Österreich nach.

Die Eltern des BF sind bereits verstorben, jedoch halten sich eine Schwester, ein Onkel, ein Cousin und eine Tante des BF in Österreich auf. Das Bestehen von Bezugspunkten in Deutschland konnte nicht festgestellt werden.

Beginnend mit 22.10.1999 ging der BF, wiederholt unterbrochen durch Bezugszeiten von Leistungen aus der staatlichen Arbeitslosenversicherung, Erwerbstätigkeiten in Österreich nach. Der BF ist gesund und arbeitsfähig, jedoch seit 25.11.2017 ohne Beschäftigung.

Der BF wird seit XXXX .2017 in Justizanstalten in Österreich angehalten und fällt das rechnerische Strafende auf den XXXX .2022.

Der BF weißt folgende strafgerichtliche Verurteilungen im Bundesgebiet auf:

1.       LG XXXX zu XXXX , vom XXXX .2013, RK XXXX .2014, wegen § 223 (1) StGB, § 228 (1) StGB, §§ 146, 147 (1) Z 1 StGB und § 223 (2 ) StGB, zu einer Geldstrafe von 300 Tagsätzen zu je € 4,00 (gesamt € 1.200,00) wovon 150 Tagsätze bedingt nachgesehen wurden.

Mit Urteil des LG XXXX u XXXX , vom XXXX .2017, wurde der bedingt nachgesehene Teil der Geldstrafe widerrufen.

2.       LG XXXX zu XXXX , vom XXXX , RK XXXX .2017, wegen des Verbrechens des gewerbsmäßige schweren Betruges gemäß §§ 146, 147 (2), 148 2. Fall StGB und des Vergehens der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen gemäß §§ 159 (1), 159 (2), 159 (5) Z 3, 159 (5) Z 4 iVm. § 161 StGB, zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von 3 Jahren unter Bedachtnahme auf das Amtsgericht XXXX , Zl. XXXX , vom XXXX .2015.

Der BF wurde für schuldig befunden, er habe in XXXX , XXXX und anderen Orten

I.       mit dem Vorsatz, durch das Verhalten der Getäuschten sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, seine Opfer durch Täuschung über Tatsachen zu Handlungen verleitet, welche diese oder andere in einem € 5.000,00 übersteigenden Wert von ca. € 233.989,58 am Vermögen schädigten, wobei er die einzelnen Betrugshandlungen und auch die Betrugshandlungen mit jeweils mehr als € 5.000,00 Schaden in der Absicht beging, sich durch deren wiederkehrende Begehung durch eine längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen, und zwar

a.       von XXXX .2013 bis XXXX .2013 in insgesamt 4 Angriffen, gegenüber 3 Opfern im Ausmaß von € 77.000,00 durch die Vorgabe, sie beteiligten sich an dem durch den BF im Rahmen einer GmbH betriebenen Unternehmen als stille Gesellschafter, ihre jeweiligen Einlagen zurückerstattet und über diese jährlich 15 % vom Reingewinn der GmbH erhalten;

b.       durch die Vorgabe, ein rückzahlungswilliger und rückzahlungsfähiger Darlehensnehmer zu sein, von XXXX .2013 bis XXXX .2014, gegenüber 4 Opfern in insgesamt 4 Angriffen, im Ausmaß von € 81.103,70;

c.       von XXXX .2013 bis XXXX .2014 in insgesamt 14 Angriffen, Verfügungsberechtigte einer Versicherung durch die Vorgabe, namentlich genannte Personen hätten über seine Vermittlung hin Lebensversicherungen abgeschlossen und würden auch die diesbezüglichen Prämien leisten wollen und können, zur Auszahlung von Provisionen an den BF und zum Inkasso der Versicherungsprämien bei den Versicherungsnehmern verleitet, wodurch die Versicherung in einem Betrag von € 73.946,05 und die Versicherungsnehmer in einem Betrag von ca. € 1.940,42 am Vermögen geschädigt wurden.

II.      in der Zeit von XXXX .2013 bis XXXX .2017 grob fahrlässig (§ 6 Abs. 3 StGB) als leitender Angestellter, nämlich als Geschäftsführer einer GmbH, deren Zahlungsunfähigkeit herbeigeführt und in Kenntnis deren Zahlungsunfähigkeit die Befriedigung wenigstens eines ihrer Gläubiger dadurch vereitelt, dass er nach § 159 Abs. 5 StGB kridaträchtig handelte und dadurch einen Befriedigungsausfall ihrer Gläubiger von € 437.783,25 herbeiführte, indem er entgegen den Grundsätzen ordentlichen Wirtschaftens

a.       übermäßigen, mit den Vermögensverhältnissen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der besagten GmbH in auffallenden Widerspruch stehenden Aufwand trieb, obwohl das Unternehmen fast ausschließlich über Fremdkapital finanziert wurde, und zwar, indem er

i.       am XXXX .2013 vier Filialen zum Preis von € 70.000,00 netto ankaufte;

ii.      am XXXX .2013 drei weitere Filialen zum Preis von € 60.000,00 netto ankaufte;

iii.    im September 2013 Umbauten zu Kosten von € 49.000,00 netto durchführte, und

iv.      im Oktober 2014 eine Firma um € 25.000,- netto ankaufte;

b.       Geschäftsbücher oder geschäftliche Aufzeichnungen zu führen unterließ oder nur so führte, dass ein zeitnaher Überblick über die wahre Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der GmbH erheblich erschwert war.

Als mildernd wurden dabei das teilweise Geständnis, die teilweise (minimale) Schadensgutmachung, sowie der Umstand, dass die Taten teilweise vor der letzten Verurteilung erfolgten, als erschwerend die einschlägige Vorstrafe, der rasche Rückfall, das Zusammentreffen eines Verbrechens mit zwei Vergehen, die Begehung der Taten über einen längeren Zeitraum hindurch, die Tatwiederholung, die teilweise Tatbegehung während eines bereits anhängigen Strafverfahrens, die mehreren Tatbegehungsweisen und die mehreren kridaträchtigen Handlungen in Bezug auf den Schuldspruch zu Punkt II. a. und b. sowie die rund 46fache Überschreitung der Wertgrenzen des § 147 Abs. 2 StGB, gewertet.

3.       LG Innsbruck zu XXXX , vom XXXX .2018, RK XXXX .2018, wegen des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betruges gemäß §§ 146, 147 (2), 148 2. Fall StGB und des Vergehens der Fälschung eines Beweismittels gemäß § 293 (2) StGB, zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren.

Dem BF wurde darin angelastet, er habe

I.       in XXXX und an anderen Orten mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, nachgenannte Personen durch Täuschung über Tatsachen zu Handlungen verleitet, die diese oder einen anderen in einem € 5.000,- nicht jedoch € 300.000,00 übersteigenden Betrag am Vermögen schädigten, und zwar,

a.       von XXXX .2014 bis XXXX .2014 in insgesamt 5 Angriffen, gewerbsmäßig S.F. durch die Vorgabe, er sei ein rückzahlungsfähiger und -williger Darlehensnehmer zur Hingabe von Darlehen, wodurch dieser im Gesamtausmaß von € 137.000,00 am Vermögen geschädigt wurde;

b.       am XXXX .2016 G.C. und Ö.A. als Verfügungsberechtigte einer KG durch die Vorgabe, er sei ein rückzahlungsfähiger und -williger Darlehensnehmer, zur Gewährung eines Darlehens von € 2.000,00;

c.       um den XXXX .2017 die H.D. durch die Vorgabe, er werde diese nur in Einvernehmen nutzen, zur Übergabe ihrer Kreditkarte samt PIN-Code, mit der er von XXXX .2017 bis XXXX .2017 ohne Einvernehmen mit der Geschädigten Zahlungen in einem nicht exakt feststellbaren Gesamtausmaß für den Eigenbedarf leistete;

d.       am XXXX .2016 den G.T. als Geschäftsführer einer GmbH durch die wahrheitswidrige Behauptung, für jedes abgeschlossene Telefongespräch zu Terminisierungen mit Fitnessstudios einen Betrag von € 2,90 zu erhalten, zum Abschluss eines Vertrages mit der besagten GmbH, wodurch diese mit einem Gesamtbetrag von € 1.300,02 am Vermögen geschädigt wurde;

II.      am XXXX .2018 in XXXX eine inhaltlich falsche Erklärung der Zeugin H.D. mit dem wahrheitswidrigen Inhalt, wonach Zahlungen mit ihrer Kreditkarte im Einvernehmen mit ihr stattgefunden hätten und die diesbezüglichen Angaben des Angeklagten richtig seien, mithin ein falsches Beweismittel im Verfahren des LG XXXX gebraucht, indem er diese inhaltlich falsche Erklärung gemeinsam mit dem Anklageeinspruch vorlegte.

Als mildernd wurde dabei der Umstand, dass die Taten teilweise im Verhältnis der §§ 31, 40 StGB zum Urteil des LG XXXX vom XXXX .2017 stehen, als erschwerend die einschlägige Vorstrafenbelastung, das Zusammentreffen von einem Verbrechen mit einem Vergehen, die Tatwiederholungen beim Betrug, die teilweise Tatbegehung während eines anhängigen Verfahrens sowie die Ausnützung des geistigen Zustandes des Opfers S.F., gewertet.

Es wird festgestellt, dass der BF die beschriebenen Straftaten begangen und die angeführten Verhaltensweisen gesetzt hat.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zu Identität (Namen und Geburtsdatum), Staatsangehörigkeit, Kinderlosigkeit, Geburt in Österreich, Schulbesuch und Berufsausbildung im Bundesgebiet sowie den familiären Anknüpfungspunkten des BF in Österreich getroffen wurden, beruhen diese auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde.

Durch die Vorlage einer Heiratsurkunde (siehe G307 2216413-2 (im Folgenden GZ 2) AS 651) vermochte der BF seine Eheschließung mit der oben genannten russischen Staatsangehörigen zu belegen. Zudem wird der BF im Zentralen Melderegister (ZMR) sowie laut dem Inhalt seines Sozialversicherungsauszuges als verheiratet geführt. Den jeweiligen Sozialversicherungsauszügen können zudem die Erwerbstätigkeiten des BF und dessen Ehefrau sowie der wiederholte Bezug von Arbeitslosengeld durch den BF entnommen werden. Den den BF und seine Frau betreffenden ZMR-Auszügen wiederum können die Anhaltungen des BF in Justizanstalten sowie der Beginn des Aufenthaltes der Ehefrau des BF in Österreich entnommen werden. Das rechnerische Strafende des BF wiederum ergibt sich aus einem Auszug aus der Vollzugsdateninformation der Justizanstalt XXXX (siehe GZ 2 Oz 9)

Durch Abfrage des Zentralen Fremdenregisters (ZFR) konnte ferner der von der Frau des BF gestellte und noch offene Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte, ermittelt werden.

Die Berufsausbildungen, der Besuch der Abendschule sowie die Absolvierung des oben genannten Kurses am BFI konnte der BF durch die Vorlage entsprechender Bestätigungen belegen (siehe GZ 2 AS 309 ff).

Die strafgerichtlichen Verurteilungen des BF samt Entscheidungsgründen und Strafbemessung sowie die Feststellung, dass der BF die beschriebenen Straftaten begangen hat, beruhen auf einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich sowie auf Ausfertigungen der oben zitierten Strafurteile des LG XXXX , und des Berufungsurteils des OLG XXXX ,
Zl. XXXX , vom XXXX .2017.

Der intakte Gesundheitszustand sowie die Erwerbsfähigkeit des BF beruhen auf dem fehlenden Vorbringen dem widerstreitender Sachverhalte seitens des BF.

Letztlich folgt die Nichtfeststellbarkeit von Bezugspunkten zu Deutschland dem widerspruchsfrei gebliebenen Vorbringen des BF, welche zudem durch den Umstand der Geburt des BF und dessen durchgehenden Aufenthalt in Österreich untermauert wird.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zur Stattgabe der Beschwerde:

3.1.1. Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, jener der die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Abs. 4 Z 8 leg cit als EWR-Bürger, jener Fremder, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist.

Der BF als Staatsangehöriger von Deutschland ist sohin EWR-Bürger iSd. § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

3.1.2. Der mit „Aufenthaltsverbot“ betitelte § 67 FPG lautet:

„§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere

1.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

2.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);

3.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

4.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.

(Anm.: Abs. 5 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)“

Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“

Der mit „Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate“ betitelte § 51 NAG lautet:

„§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1.       in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2.       für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3.       als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.

(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er

1.       wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;

2.       sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;

3.       sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder

4.       eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.
(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen.“.

Der mit „Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR-Bürgern“ betitelte § 53a NAG lautet wie folgt:

„§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von

1.       Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;

2.       Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder

3.       durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.

(3) Abweichend von Abs. 1 erwerben EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie

1.       zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben;

2.       sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben, wobei die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Pension besteht, die ganz oder teilweise zu Lasten eines österreichischen Pensionsversicherungsträgers geht, oder

3.       drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet erwerbstätig und aufhältig waren und anschließend in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig sind, ihren Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten und in der Regel mindestens einmal in der Woche dorthin zurückkehren;

Für den Erwerb des Rechts nach den Z 1 und 2 gelten die Zeiten der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zeiten der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Zeiten gemäß § 51 Abs. 2 sind bei der Berechnung der Fristen zu berücksichtigen. Soweit der Ehegatte oder eingetragene Partner des EWR-Bürgers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder diese nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat, entfallen die Voraussetzungen der Aufenthaltsdauer und der Dauer der Erwerbstätigkeit in Z 1 und 2.

(4) EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 sind, erwerben ebenfalls das Daueraufenthaltsrecht, wenn der zusammenführende EWR-Bürger das Daueraufenthaltsrecht gemäß Abs. 3 vorzeitig erworben hat oder vor seinem Tod erworben hatte, sofern sie bereits bei Entstehung seines Daueraufenthaltsrechtes bei dem EWR-Bürger ihren ständigen Aufenthalt hatten.

(5) Ist der EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 im Laufe seines Erwerbslebens verstorben, bevor er gemäß Abs. 3 das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, so erwerben seine Angehörigen, die selbst EWR-Bürger sind und die zum Zeitpunkt seines Todes bei ihm ihren ständigen Aufenthalt hatten, das Daueraufenthaltsrecht, wenn

1.       sich der EWR-Bürger zum Zeitpunkt seines Todes seit mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet ununterbrochen aufgehalten hat;

2.       der EWR-Bürger infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit verstorben ist, oder

3.       der überlebende Ehegatte oder eingetragene Partner die österreichische Staatsangehörigkeit nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat.“

3.1.3. Der Beschwerde gegen den Bescheid des BFA war aus folgenden Gründen stattzugeben:

Der BF ist in Österreich geboren, hält sich seither durgehend und aufgrund seiner Unionsbürgerschaft zudem rechtmäßig in Österreich auf. Da der BF vom Zeitpunkt der Entscheidung der belangten Behörde zurückgerechnet mehr als 10 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig ist (vgl. EuGH 16.01.2014, C-400/12), bzw. sich zum Zeitpunkt seiner ersten Verurteilung bereits seit 32 Jahren und mittlerweile bereits seit mehr als 38 Jahren durchgehenden in Österreich aufhielt bzw. aufhält (vgl. EuGH 17.04.2018, C-316/16 und C-424/16, Rn. 71: hinsichtlich der Beachtlichkeit eines 10-jährigen durchgehenden Aufenthaltes vor der/den entscheidungsrelevanten Verurteilungen/Inhaftierungen), ist vor dem Hintergrund seiner besonderen Verbundenheit zu Österreich (er wuchs hier auf; vgl. EuGH 17.04.2018, C-316/16 und C-424/16, Rn. 72), von keinem Sachverhalt auszugehen, welcher eine Aussetzung der durchgehenden Aufenthaltsdauer nahelegt.

Aufgrund der in den letzten 10 Jahren gelegenen Verurteilungen und aktuell anhaltenden Inhaftierung des BF ist kein einer Aufenthaltsunterbrechung gleichzusetzender Integrationsabbruch im Sinne der Judikatur des EuGH (vgl. EuGH 16.01.2014. C-400/12) eingetreten. Demzufolge ist der Tatbestand eines 10 Jahre übersteigenden durchgehenden Aufenthalts in Österreich gemäß Art 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen (Freizügigkeitsrichtlinie) iVm. § 67 Abs. 1 5. Satz NAG seitens des BF erfüllt.

Da vom BF, der aufgrund seiner deutschen Staatsangehörigkeit in den persönlichen Anwendungsbereich von § 67 FPG fällt somit die Voraussetzung eines durchgehenden rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet seit mehr als 10 Jahren erfüllt ist, kommt für diesen der Prüfungsmaßstab des § 67 Abs. 1 5. Satz FPG für Unionsbürger zu Anwendung.

3.1.4. „Mit § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG soll nämlich Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38 EG ("Freizügigkeitsrichtlinie" ; siehe § 2 Abs. 4 Z 18 FPG) umgesetzt werden, wozu der Gerichtshof der Europäischen Union bereits judizierte, dass hierauf gestützte Maßnahmen auf "außergewöhnliche Umstände" begrenzt sein sollten; es sei vorausgesetzt, dass die vom Betroffenen ausgehende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit einen "besonders hohen Schweregrad" aufweise, was etwa bei bandenmäßigem Handeln mit Betäubungsmitteln der Fall sein könne (siehe VwGH 24.1.2019, Ra 2018/21/0248, Rn 6, mit dem Hinweis auf EuGH (Große Kammer) 23.11.2010, Tsakouridis, C-145/09, insbesondere Rn. 40, 41 und 49 ff, und daran anknüpfend EuGH (Große Kammer) 22.5.2012, P.I., C-348/09, Rn. 19 und 20 sowie Rn. 28, wo überdies - im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, der zu einer siebeneinhalbjährigen Freiheitsstrafe geführt hatte - darauf hingewiesen wurde, dass es "besonders schwerwiegender Merkmale" bedarf und VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).

„Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. - noch zu § 86 FPG in der Fassung vor dem FrÄG 2011, der Vorgängerbestimmung des § 67 FPG - etwa die hg. Erkenntnisse vom 26. September 2007, Zl 2007/21/0197, und vom 21. Februar 2013, Zl. 2012/23/0042, mwN).“ (VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0039)

Zudem gilt es festzuhalten, dass die fremdenpolizeilichen Beurteilungen eigenständig und unabhängig von den die des Strafgerichts für die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs betreffenden Erwägungen zu treffen sind (vgl. Erkenntnis des VwGH v. 6.Juli 2010, Zl. 2010/22/0096) und es bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes/Einreiseverbotes in keiner Weise um eine Beurteilung der Schuld des Fremden an seinen Straftaten und auch nicht um eine Bestrafung geht. (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 8. Juli 2004, 2001/21/0119).

Die Bestimmungen der § 67 Abs. 1 und 2 FrPolG 2005 und § 66 Abs. 1 FrPolG 2005, beide idF FrÄG 2011, sind vor dem Hintergrund der unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2004/38/EG - Freizügigkeitsrichtlinie, deren Umsetzung sie dienen, zu verstehen. Demnach sind sie in ihrem Zusammenspiel dahin auszulegen, dass hinsichtlich Personen, die das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, nicht nur bei der Ausweisung, sondern auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der in § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 vorgesehene Gefährdungsmaßstab, der jenem in Art. 28 Abs. 2 der genannten Richtlinie entspricht, heranzuziehen ist (Hinweis E 13. Dezember 2012, 2012/21/0181; E 12. März 2013, 2012/18/0228). Dieser Maßstab liegt im abgestuften System der Gefährdungsprognosen über dem Gefährdungsmaßstab nach dem ersten und zweiten Satz des § 67 Abs. 1 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011. (vgl. VwGH 22.01.2014, 2013/21/0135)

3.1.5. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihres Briefverkehrs.

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit ein Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, wie sie eine Ausweisung eines Fremden darstellt, kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob die Ausweisung einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt:

Die Zulässigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, insbesondere die gegenständlichen Rückkehrentscheidung, setzt nach § 9 Abs. 1 BFA-VG unter dem dort genannten Gesichtspunkt eines Eingriffs in das Privat- und/oder Familienleben voraus, dass ihre Erlassung zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (vgl. VwGH vom 12.11.2015, Zl. Ra 2015/21/0101).

Wie der Verfassungsgerichtshof (VfGH) bereits in zwei Erkenntnissen vom 29.09.2007,
Zl. B 328/07 und Zl. B 1150/07, dargelegt hat, sind die Behörden stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art. 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In den zitierten Entscheidungen wurden vom VfGH auch unterschiedliche – in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) fallbezogen entwickelte – Kriterien aufgezeigt, die in jedem Einzelfall bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht:

•        die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 16.09.2004, Ghiban, Zl. 11103/03, NVwZ 2005, 1046),

•        das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567; 20.06.2002, Al-Nashif, Zl. 50963/99, ÖJZ 2003, 344; 22.04.1997, X, Y und Z, Zl. 21830/93, ÖJZ 1998, 271) und dessen Intensität (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00),

•        die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

•        den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR 04.10.2001, Adam, Zl. 43359/98, EuGRZ 2002, 582; 09.10.2003, Slivenko, Zl. 48321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.06.2005, Sisojeva, Zl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 05.07.2005, Zl. 2004/21/0124; 11.10.2005, Zl. 2002/21/0124),

•        die Bindungen zum Heimatstaat,

•        die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (vgl. zB EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 11.04.2006, Useinov, Zl. 61292/00), sowie

•        auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 05.09.2000, Solomon, Zl. 44328/98; 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sind die Staaten im Hinblick auf das internationale Recht und ihre vertraglichen Verpflichtungen befugt, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu überwachen (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80 ua, EuGRZ 1985, 567; 21.10.1997, Boujlifa, Zl. 25404/94; 18.10.2006, Üner, Zl. 46410/99; 23.06.2008 [GK], Maslov, 1638/03; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07). Die EMRK garantiert Ausländern kein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Einbürgerung in einem bestimmten Staat (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09).

Hinsichtlich der Rechtfertigung eines Eingriffs in die nach Art. 8 EMRK garantierten Rechte muss der Staat ein Gleichgewicht zwischen den Interessen des Einzelnen und jenen der Gesellschaft schaffen, wobei er in beiden Fällen einen gewissen Ermessensspielraum hat. Art. 8 EMRK begründet keine generelle Verpflichtung für den Staat, Einwanderer in seinem Territorium zu akzeptieren und Familienzusammenführungen zuzulassen. Jedoch hängt in Fällen, die sowohl Familienleben als auch Einwanderung betreffen, die staatliche Verpflichtung, Familienangehörigen von ihm Staat Ansässigen Aufenthalt zu gewähren, von der jeweiligen Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse ab. Von Bedeutung sind dabei das Ausmaß des Eingriffs in das Familienleben, der Umfang der Beziehungen zum Konventionsstaat, weiters ob im Ursprungsstaat unüberwindbare Hindernisse für das Familienleben bestehen, sowie ob Gründe der Einwanderungskontrolle oder Erwägungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung für eine Ausweisung sprechen. War ein Fortbestehen des Familienlebens im Gastland bereits bei dessen Begründung wegen des fremdenrechtlichen Status einer der betroffenen Personen ungewiss und dies den Familienmitgliedern bewusst, kann eine Ausweisung nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten (EGMR 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07, mwN; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09; 03.11.2011, Arvelo Aponte, Zl. 28770/05; 14.02.2012, Antwi u.a., Zl. 26940/10).

„Bei Beurteilung der Frage, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 zur Aufrechterhaltung des Privat- und/oder Familienlebens iSd Art. 8 MRK geboten ist bzw. ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 MRK geschützten Rechte darstellt, ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG 2014 genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG 2014 ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. E 12. November 2015, Ra 2015/21/0101).“ (vgl. VwGH 08.11.2018, Ra 2016/22/0120)

Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden etwa Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Diese Rechtsprechung zu Art. 8 MRK ist auch für die Erteilung von Aufenthaltstiteln relevant (vgl. E 26. Februar 2015, Ra 2015/22/0025; E 19. November 2014, 2013/22/0270). Auch in Fällen, in denen die Aufenthaltsdauer knapp unter zehn Jahren lag, hat der VwGH eine entsprechende Berücksichtigung dieser langen Aufenthaltsdauer gefordert (vgl. E 16. Dezember 2014, 2012/22/0169; E 9. September 2014, 2013/22/0247; E 30. Juli 2014, 2013/22/0226). Im Fall, dass ein insgesamt mehr als zehnjähriger Inlandsaufenthalt für einige Monate unterbrochen war, legte der VwGH seine Judikatur zum regelmäßigen Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt des Fremden zugrunde (vgl. E 26. März 2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082). (Vgl. VwGH 08.11.2018, Ra 2016/22/0120

Im Fall, dass ein insgesamt mehr als zehnjähriger Inlandsaufenthalt für einige Monate unterbrochen war, legte der VwGH seine Judikatur zum regelmäßigen Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt des Fremden zugrunde (vgl. E 26. März 2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082). (Vgl. VwGH 08.11.2018, Ra 2016/22/0120

„Nach § 66 Abs. 2 FrPolG 2005 und § 9 BFA-VG 2014 ist bei Erlassung einer auf § 66 FrPolG 2005 gestützten Ausweisung eine Abwägung des öffentlichen Interesses an der Beendigung des Aufenthalts des EWR-Bürgers mit dessen Interesse an einem Verbleib in Österreich vorzunehmen, bei der insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts im Bundesgebiet, das Alter, der Gesundheitszustand, die familiäre und wirtschaftliche Lage, die soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß der Bindungen zum Heimatstaat sowie die Frage der strafgerichtlichen Unbescholtenheit zu berücksichtigen sind“ (VwGH 30.08.2018, Ra 2018/21/0049).

„Es trifft zwar zu, dass im Rahmen einer Interessenabwägung nach Art. 8 MRK bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt eines Fremden in der Regel von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen ist (vgl. VwGH 1.2.2019, Ra 2019/01/0027, mwN). Diese Rechtsprechung betraf allerdings nur Konstellationen, in denen sich aus dem Verhalten des Fremden - abgesehen vom unrechtmäßigen Verbleib in Österreich - sonst keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ergab. Die "Zehn-Jahres-Grenze" spielte in der bisherigen Judikatur nur dann eine Rolle, wenn einem Fremden kein - massives - strafrechtliches Fehlverhalten vorzuwerfen war (vgl. VwGH 10.11.2015, Ro 2015/19/0001, mwN; VwGH 28.02.2019, Ra 2018/01/0409).

„Zur Aufhebung des § 9 Abs. 4 BFA-VG 2014 durch das FrÄG 2018 hielt der Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien (RV 189 BlgNR 26. GP 27 f) ausdrücklich fest, dass sich § 9 Abs. 4 Z 1 BFA-VG 2014 "lediglich als Konkretisierung bzw. Klarstellung dessen, was sich unter Berücksichtigung der höchstgerichtlichen Judikatur ohnehin bereits aus Abs. 1 iVm Abs. 2 ergibt", erweist. Ungeachtet des Außerkrafttretens des § 9 Abs. 4 BFA-VG 2014 sind die Wertungen dieser ehemaligen Aufenthaltsverfestigungstatbestände im Rahmen der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG 2014 weiter beachtlich (vgl. VwGH 16.5.2019, Ra 2019/21/0121; VwGH 25.9.2018, Ra 2018/21/0152), ohne dass es aber einer ins Detail gehenden Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Anwendung des ehemaligen § 9 Abs. 4 BFA-VG 2014 bedarf (siehe VwGH 25.9.2018, Ra 2018/21/0152). Es ist also weiterhin darauf Bedacht zu nehmen, dass für die Fälle des bisherigen § 9 Abs. 4 BFA-VG 2014 allgemein unterstellt wurde, dass die Interessenabwägung - trotz einer vom Fremden ausgehenden Gefährdung - regelmäßig zu seinen Gunsten auszugehen hat und eine aufenthaltsbeendende Maßnahme in diesen Konstellationen grundsätzlich nicht erlassen werden darf. Durch die Aufhebung dieser Bestimmung wollte der Gesetzgeber erkennbar nur bei Begehung besonders verwerflicher Straftaten und einer daraus abzuleitenden spezifischen Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen einen fallbezogenen Spielraum einräumen (vgl. RV 189 BlgNR 26. GP 27, wo von "gravierender Straffälligkeit" bzw. "schwerer Straffälligkeit" gesprochen wird). Dazu zählen jedenfalls die schon bisher in § 9 Abs. 4 Z 1 BFA-VG 2014 normierten Ausnahmen bei Erfüllung der Einreiseverbotstatbestände nach § 53 Abs. 3 Z 6, 7 und 8 FrPolG 2005, aber auch andere Formen gravierender Straffälligkeit (siehe VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0232, betreffend Vergewaltigung; VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0207, betreffend grenzüberschreitenden Kokainschmuggel).“ (19.12.2019, Ra 2019/21/0238)

„Gemäß ihrem Einleitungssatz bezieht sich die Bestimmung des § 9 Abs 4 BFA-VG 2014 idF FrÄG 2015 lediglich auf Drittstaatsangehörige, also auf Fremde, die nicht EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind (§ 2 Abs. 1 Z 20b AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 2 BFA-VG 2014). Demzufolge wird dann auch als einzige aufenthaltsbeendende Maßnahme, die in den Fällen der Z 1 und 2 nicht erlassen werden darf, eine Rückkehrentscheidung angesprochen. Dessen ungeachtet kann es aber zur Vermeidung von sonst nicht auflösbaren Wertungswidersprüchen nicht zweifelhaft sein, dass § 9 Abs. 4 BFA-VG 2014 über seinen Wortlaut hinaus - entsprechend modifiziert verstanden - auch jenen Personenkreis umfasst, gegen den eine Ausweisung nach § 66 FrPolG 2005 oder ein Aufenthaltsverbot nach § 67 FrPolG 2005 in Betracht käme (also EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige; vgl. E 9. November 2011, 2011/22/0264). § 9 Abs. 4 BFA-VG 2014 normiert demnach allgemein, wann trotz einer von einem Fremden ausgehenden Gefährdung eine aufenthaltsbeendende Maßnahme keinesfalls erlassen werden darf. In der Fassung des FrÄG 2015 stellt diese Bestimmung den - vorläufigen - Schlusspunkt einer Entwicklung dar, die durch den Wechsel zwischen absolut und relativ gefassten Aufenthaltsverfestigungstatbeständen (relativ in dem Sinn, dass es ergänzend noch darauf ankommt, dass dem Fremden keine spezifischen Gefährdungen anzulasten sind) gekennzeichnet ist.“ (vgl. VwGH 30.06.2016, Ra 2016/21/0050)

3.1.6. Gegen den BF als grundsätzlich unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots sohin gemäß § 67 Abs. 1 5. Satz FPG nur zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

Der BF wurde in Österreich geboren und ist im Bundesgebiet aufgewachsen. Er hält sich seit nunmehr über 38 Jahren durchgehend, rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Der BF ist sohin – iSd. § 9 Abs. 4 Z 2 BFA-VG 2014 idF. FRÄG 2015 – im Bundesgebiet aufgewachsen und langjährig rechtmäßig in Österreich niedergelassen. Zudem ist unter Berücksichtigung der ersten Verurteilung des BF im Jahr 2013 davon auszugehen, dass diesem bereits davor die österreichische Staatsbürgerschaft gemäß 10 StbG verliehen hätte werden können und sohin auch der Alt-Tatbestand iSd. 9 Abs. 4 Z 1 BFA-VG 2014 idF. FRÄG 2015 als gegeben angesehen werden kann (vgl. VwGH 29.05.2018, Ra 2018/21/0067.) Laut oben zitierter Judikatur des VwGH (vgl. VwGH 17.12.2019, Ra 2019/21/0238) sind diese Belange ungeachtet der mittlerweile erfolgten Aufhebung der besagten Bestimmung insofern weiterhin zu berücksichtigen, als bei deren Vorliegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nur bei gegebener besonderer Gefährdung öffentlicher Interessen erlassen werden dürfen.

Eine Aufenthaltsbeendigung in Bezug auf den BF erweist sich gegenständlich sohin nur dann dem Grunde nach als zulässig, wenn eine außergewöhnliche Gefährdung iSd. § 67 Abs. 1 5. Satz FPG bzw. gemäß der oben zitierten Judikatur vorliegt.

3.1.6. Der BF wurde unbestritten zuletzt wegen des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betruges sowie des Vergehens der Fälschung eines Beweismittels zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt.

Das vom BF gezeigte Verhalten lässt vor dem Hintergrund der wiederholt – durch zwei einschlägige Vorverurteilungen – aufgezeigten Neigung zur eigenen Bereicherung auf kriminelle Handlungen zurückzugreifen, eine fehlende Verbundenheit zu gültigen Rechtsnormen und das Vorliegen einer gewissen kriminellen Energie beim BF erkennen.

Erschwerend kommt hinzu, dass der BF seine Betrügereien mehrfach gewerbsmäßig betrieben hat und sein kriminelles Verhalten sohin auf Nachhaltigkeit ausgerichtet war. Ferner konnte der BF bislang trotz bereits erfahrener strafgerichtlicher Sanktionen und Benefizien der bedingten Strafnachsicht, nicht von Rückfällen in kriminelle Verhaltensmuster abgehalten werden.

Es steht somit außer Zweifel, dass das vom BF gezeigte Verhalten ein Fehlen einer Verbundenheit zu rechtsstaatlich geschützten Werten sowie Interessen und Rechten andere erkennen lässt und eine schwerwiegende Beeinträchtigung öffentlicher Interessen darstellt.

So hat der VwGH wiederholt festgehalten, dass ein großes öffentliches Interesse an der Verhinderung von Eigentums- und Gewaltdelikten (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0474) vorherrscht.

Das Verwaltungsgericht verkennt nicht, dass das Verhalten des BF, insbesondere im Hinblick auf die wiederholten gewerbsmäßig schweren Betrugshandlungen und die Schadenssummen, schwer wiegt und öffentliche Interessen nicht nur im geringen Ausmaß beeinträchtigt hat. Dennoch, trotz zu attestierender schwerwiegender Gefährdung öffentlicher Interessen, erreicht das Verhalten des BF nicht das gegenständlich geforderte Maß der besonderen Schwere im Sinne einer nachhaltigen und maßgeblichen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit iSd. § 67 Abs. 1 5. Satz bzw. der oben zitierten Judikatur (siehe insbesondere VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0238). Weder hat der BF ein Delikt iSd. § 53 Abs. 3 Z 6,7 und 8 FPG verwirklicht, noch kann in dem vom BF gesetzten Verhalten ein mit beispielsweise grenzüberschreitendem bandenmäßigen Suchtmittelhandel vergleichbarer, die öffentliche Sicherheit schwerwiegend gefährdender Sachverhalt erkannt werden.

Unbeschadet dessen gilt es ferner zu berücksichtigen, dass der BF in Österreich geboren und aufgewachsen ist, keinen Bezug zu seinem Herkunftsstaat aufweist und seine Familie sowie seine Frau in Österreich aufhältig sind. Des Weiteren hat der BF in Österreich die Schule besucht und zwei Berufe erlernt, ist Erwerbstätigkeiten im Bundesgebiet nachgegangen und hat darüber hinaus weitere Anstrengen im Bereich seiner Fort- und Weiterbildung getätigt.

Nach Beurteilung des vom BF gezeigten Verhaltens und der sich daraus ergebenden Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen sowie nach erfolgter Abwägung sich wiederstreitender öffentlicher und privater Interessen iSd. Art 8 EMRK, kommt das erkennenden Gericht letztlich zum Schluss, dass sich die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes im konkreten Fall als nicht zulässig erweist.

Demzufolge war der Beschwerde stattzugeben und der angefochtene Bescheid aufzuheben.

3.2. Zur Zurückweisung der Verfahrenshilfe (Spruchteil B):

Der mit „Verfahrenshilfe“ betitelte § 8a VwGVG lautet wie folgt:

„§ 8a. (1) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, ist einer Partei Verfahrenshilfe zu bewilligen, soweit dies auf Grund des Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, oder des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389, geboten ist, die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Juristischen Personen ist Verfahrenshilfe sinngemäß mit der Maßgabe zu bewilligen, dass an die Stelle des Bestreitens der Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts das Aufbringen der zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel durch die Partei oder die an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten tritt.

(2) Soweit in diesem Paragraphen nicht anderes bestimmt ist, sind die Voraussetzungen und die Wirkungen der Bewilligung der Verfahrenshilfe nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung – ZPO, RGBl. Nr. 113/1895, zu beurteilen. Die Bewilligung der Verfahrenshilfe schließt das Recht ein, dass der Partei ohne weiteres Begehren zur Abfassung und Einbringung der Beschwerde, des Vorlageantrags, des Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder zur Vertretung bei der Verhandlung ein Rechtsanwalt beigegeben wird.

(3) Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ist schriftlich zu stellen. Er ist bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht einzubringen. Für Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG ist der Antrag unmittelbar beim Verwaltungsgericht einzubringen.

(4) Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe kann ab Erlassung des Bescheides bzw. ab dem Zeitpunkt, in dem der Betroffene Kenntnis von der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erlangt hat, gestellt werden. Wird die Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer Säumnisbeschwerde beantragt, kann dieser Antrag erst nach Ablauf der Entscheidungsfrist gestellt werden. Sobald eine Partei Säumnisbeschwerde erhoben hat, kann der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe auch von den anderen Parteien gestellt werden.

(5) In dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ist die Rechtssache bestimmt zu bezeichnen, für die die Bewilligung der Verfahrenshilfe begehrt wird.

(6) Die Behörde hat dem Verwaltungsgericht den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe und die Akten des Verfahrens unverzüglich vorzulegen. Hat das Verwaltungsgericht die Bewilligung der Verfahrenshilfe beschlossen, so hat es den Ausschuss der zuständigen Rechtsanwaltskammer zu benachrichtigen, damit der Ausschuss einen Rechtsanwalt zum Vertreter bestelle. Dabei hat der Ausschuss Wünschen der Partei zur Auswahl der Person des Vertreters im Einvernehmen mit dem namhaft gemachten Rechtsanwalt nach Möglichkeit zu entsprechen.

(7) Hat die Partei innerhalb der Beschwerdefrist die Bewilligung der Verfahrenshilfe beantragt, so beginnt für sie die Beschwerdefrist mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Beschluss

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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