TE Vwgh Erkenntnis 1977/10/13 1436/76

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Veröffentlicht am 13.10.1977
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Index

StVO
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §63 Abs3 implizit
VStG §40 Abs1
VStG §41 Abs2
VStG §49 Abs1
VStG §5 Abs1
VStG §51 Abs3 implizit
VwGG §41 Abs1 implizit

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Dolp und die Hofräte Dr. Jurasek, Onder, Dr. Baumgartner und Dr. Närr als Richter, im Beisein des Schriftführers Landesgerichtsrat Dr. Gerhard, über die Beschwerde des M W in W, vertreten durch Dr. Heinrich Waldhof, Rechtsanwalt in Wien I, Reichsratsstraße 13, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 3. Mai 1976, Zl. MA 70-IX/W 191/75/Str., betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Wien Aufwendungen in der Höhe von S 720,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Bundespolizeidirektion Wien - Bezirkspolizeikommissariat Innere Stadt sprach - nachdem eine Strafverfügung derselben Behörde zufolge rechtzeitigen Einspruches des Beschwerdeführers außer Kraft getreten war - mit Straferkenntnis vom 10. Juni 1975 aus, der Beschwerdeführer habe am 20. November 1974 um 23.25 Uhr als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Kraftfahrzeuges in Wien I, Gluckgasse-Lobkowitzplatz, den Rechtsvorrang nicht beachtet und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 3 lit. a in Verbindung mit § 19 Abs. 1 StVO begangen.

Gemäß § 99 Abs. 3 lit. a leg. cit. werde gegen den Beschwerdeführer eine Geldstrafe von S 500,-- (Ersatzarreststrafe 60 Stunden) verhängt. In der Begründung wurde ausgeführt, daß der Sachverhalt durch die auf Grund eigener dienstlicher Wahrnehmungen gemachten Angaben des Meldungslegers erwiesen sei. Zur Rechtfertigung des Beschwerdeführers, der Lenker des anderen Personenkraftwagens habe auf den Vorrang verzichtet, bemerkte die Behörde, daß es sich beim Meldungsleger um ein geschultes Straßenaufsichtsorgan handle, dem ohne weiteres zuzutrauen sei, festzustellen, ob am Tatort zur Tatzeit ein Vorrangverzicht eines anderen Pkw-Lenkers vorgelegen sei. Die vom Beschwerdeführer beantragte Einvernahme dieses Lenkers habe daher außer acht gelassen werden können, weil nicht einzusehen sei, aus welchem Grund ein Irrtum in den Angaben des Meldungslegers vorliegen solle.

Auf Grund der dagegen eingebrachten Berufung des Beschwerdeführers ergänzte die Wiener Landesregierung das Ermittlungsverfahren durch Einholen einer Stellungnahme des Meldungslegers und bestätigte sodann mit Bescheid vom 3. Mai 1976 das erstinstanzliche Straferkenntnis mit der Ergänzung, daß die Tatumschreibung und Übertretungsnorm dahingehend zu lauten habe, daß der Beschwerdeführer am 20. November 1974 um ca. 23.25 Uhr in Wien I, Gluckgasse/Lobkowitzplatz als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Personenkraftwagens insofern den Vorrang verletzt habe, als er als Wartepflichtiger einen von rechts kommenden Fahrzeuglenker zu unvermitteltem Bremsen genötigt habe (um einen Verkehrsunfall zu vermeiden). Er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 3 lit. a in Verbindung mit § 19 Abs. 7 StVO begangen. In der Begründung heißt es unter anderem, der Beschwerdeführer verlange zwar die Einvernahme jenes Lenkers, dem er den Vorrang genommen haben soll, könne aber diesen nicht anführen. Der Meldungsleger habe vorgebracht, daß er durch das Verhalten des Beschwerdeführers auf ihn aufmerksam geworden sei und sich darauf konzentriert habe, dessen Kennzeichen zu notieren. Von einem Verzicht auf den Rechtsvorrang habe der Meldungsleger nichts bemerkt. Es seien somit die Angaben des Organes der Bundespolizeidirektion Wien, das auf Grund seines Diensteides und seiner Bestellung zur wahrheitsgemäßen Angabe von Unzukömmlichkeiten im Straßenverkehr verpflichtet sei und diese allenfalls auch zur Anzeige zu bringen habe, den Angaben des Beschwerdeführers gegenübergestanden, der nicht zur Wahrheit verpflichtet sei. Seine Darstellung entspreche einer immer wiederkehrenden Feststellung, daß Beschuldigte Tatumstände vorbringen, die, wenn sie tatsächlich vorlägen, sie der drohenden Strafverfolgung entziehen würden. Diese Überlegungen habe die belangte Behörde veranlaßt, den Angaben des Meldungslegers folgend, den Sachverhalt als erwiesen anzunehmen. Die Tatumschreibung sei der angewandten Übertretungsnorm anzupassen gewesen. Auf die Einvernahme eines Zeugen hätte nur dann ein verfahrensrechtlicher Anspruch bestanden, wenn dieser Zeuge auch namhaft gemacht worden wäre. Das Ausmaß der ausgesprochenen Strafe sei mit Rücksicht auf die gesetzliche Strafobergrenze und die bewirkte Gefährdung der Verkehrssicherheit sowie die zahlreichen verkehrspolizeilichen Verwaltungsvorstrafen des Beschwerdeführers auch unter Bedachtnahme, daß er derzeit über kein eigenes Einkommen verfüge, als keineswegs zu hoch gegriffen anzusehen, weshalb auch eine Herabsetzung der Geldstrafe nicht in Erwägung gezogen worden sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der beantragt wird, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in seinem Recht auf eine der Rechtsordnung, insbesondere der Straßenverkehrsordnung, entsprechende Beurteilung verletzt. In Ausführung des so bezeichneten Beschwerdepunktes bringt der Beschwerdeführer vor, er habe sich von Anfang an dahingehend verantwortet, daß der Lenker, den er angeblich behindert haben soll, auf seinen Vorrang verzichtet habe. Er habe daher in der Annahme, daß der Meldungsleger in Wahrnehmung seiner Pflicht, Beweise für und gegen den Beschwerdeführer zu erheben, auch das Kennzeichen des beteiligten Fahrzeuges notiert habe, die Ausmittlung und Vernehmung des Lenkers beantragt. Im Verfahren sei aber hervorgekommen, daß der Meldungsleger das Kennzeichen des beteiligten Personenkraftwagens nicht notiert habe. Es widerspreche den rechtsstaatlichen Grundsätzen, daß entgegen der Vorschrift des § 3 StPO die zur Beweissicherung und zur Verteidigung eines Beschuldigten dienenden Umstände nicht erhoben werden, zumal es zumutbar gewesen sei, daß der Meldungsleger das Kennzeichen des beteiligten Kraftfahrzeuges notiert, habe dieser doch den Beschwerdeführer angehalten und daher genügend Zeit gehabt. Auch könne die vorgeschriebene „Beweissicherung“ nicht durch den Hinweis auf Diensteid, Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen Angabe von Unzukömmlichkeiten im Straßenverkehr und Berufung auf die Diensterfahrung ersetzt werden. Im übrigen habe nicht der Beschwerdeführer seine Unschuld, sondern die Behörde „den objektiven und subjektiven Tatbestand“ zu erweisen. Die Feststellung der belangten Behörde, der Meldungsleger habe von einem Verzicht auf den Rechtsvorrang nichts bemerkt, genüge nicht den Erfordernissen des § 45 (1) VStG. Ein von einem Lenker eines Kraftfahrzeuges gegebenes „freundliches Handzeichen“ könne nur durch die Windschutzscheibe bei Sichtkontakt bemerkt werden, nicht aber aus seitlicher Position und insbesondere nicht unbedingt zur Nachtzeit trotz vorhandener Straßenbeleuchtung, welche durch Reflexion bei schräger Sicht auf die Seitenscheibe es möglich mache, daß von seitlichem Standort ein Zeichen nicht wahrgenommen werde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Obgleich der Beschwerdeführer eine Aufhebung des angefochtenen Bescheides auch wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes beantragt, kann der Beschwerde nicht entnommen werden, worin diese Rechtswidrigkeit gelegen sein soll. In Wahrheit bekämpft der Beschwerdeführer, wie auch die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift zutreffend ausführte, mit dem Beschwerdevorbringen die Beweiswürdigung der belangten Behörde.

Es ist dem Beschwerdeführer beizupflichten, daß hinsichtlich der Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens des Beschwerdeführers die Behörde die Beweislast trifft, wobei die Behörde gemäß § 45 Abs. 2 AVG 1950, der gemäß § 24 VStG 1950 auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwenden ist, unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen hat, ob die Tat als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung bedeutet nicht, daß der in der Begründung des Bescheides niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Er schließt eine solche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind (vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. Mai 1974, Slg. Nr. 8619/A). Der Verwaltungsgerichtshof kann nun nicht finden, daß der belangten Behörde in dieser Richtung Fehler unterlaufen wären.

Was nämlich zunächst die Behauptung des Beschwerdeführers anlangt, er habe sich von Anfang dahin verantwortet, daß der beteiligte Lenker auf seinen Vorrang verzichtet hätte, so findet diese Behauptung in der Aktenlage keine Deckung. Unbestritten ist, daß der Meldungsleger den Beschwerdeführer anläßlich der Beanstandung anhielt und ihn aufforderte, die „Fahrzeugpapiere“ (Führerschein und Zulassungschein) vorzuweisen. Unbekämpft bleibt ferner der Hinweis des Meldungslegers in der Anzeige vom 20. November 1974, daß der Beschwerdeführer von der Anzeigeerstattung in Kenntnis gesetzt wurde. Ungeachtet dessen aber hat der Beschwerdeführer weder anläßlich seiner Beanstandung, was doch nahegelegen wäre, noch im Einspruch gegen die Strafverfügung vom 13. Februar 1975, mit dem ihm eine Übertretung des § 19 StVO zur Last gelegt wurde, eine Erwähnung über den angeblichen Vorrangverzicht des beteiligten Kraftfahrzeuglenkers gemacht, sondern erst in der Stellungnahme vom 6. Juni 1975 - also mehr als ein halbes Jahr nach der Beanstandung - eingewendet, der aus der Spiegelgasse kommende Lenker des Kraftfahrzeuges habe auf seinen Vorrang verzichtet. Wenn auch der Beschwerdeführer nicht verpflichtet ist, sich schon dem Meldungsleger gegenüber zu rechtfertigen und es auch nicht erforderlich ist, den Einspruch gegen die Strafverfügung zu begründen, um deren Außerkraft treten zu bewirken, hat bei Ungehorsamsdelikten - der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Übertretung handelt es sich um ein solches - gemäß § 5 Abs. 1 VStG 1950 der Täter zu beweisen, daß ihm die Einhaltung der Verwaltungsvorschrift ohne sein Verschulden unmöglich gewesen ist. Seine Sache ist es, initiativ alles darzulegen, was für seine Entlastung spricht, wie dies auch § 49 Abs. 1 VStG vorsieht, und die zu seiner Entlastung dienlichen Beweismittel so rechtzeitig bekanntzugeben, daß die Behörde auch in die Lage versetzt wird, durch entsprechende Erhebungen und durch die Aufnahme der angebotenen Beweise den maßgebenden Sachverhalt festzustellen. Eine Person, die dies unterläßt, muß auch die sich daraus für sie ergebenden Nachteile gegen sich gelten lassen und kann nicht mit Erfolg im verwaltungsgerichtlichen Verfahren eine mangelhafte Ermittlung des Sachverhaltes einwenden. Der Beschwerdeführer beruft sich in diesem Zusammenhang zu Unrecht auf § 3 StPO, der - wie die belangte Behörde in der Gegenschrift mit Recht bemerkte - für das gerichtliche Verfahren gilt. Einer Berufung auf diese Bestimmung hätte es aber im Beschwerdefall im übrigen gar nicht bedurft. Denn nach § 25 Abs. 2 VStG 1950 sind auch im Verwaltungsstrafverfahren - wie nach § 3 StPO im gerichtlichen Verfahren - die der Entlastung des Beschuldigten dienlichen Umstände in gleicher Weise zu berücksichtigen wie die belastenden. Die belangte Behörde holte im Hinblick auf das Vorbringen des Beschwerdeführers, der den von ihm beantragten Zeugen selbst nicht anzugeben vermochte, eine Stellungnahme des Meldungslegers ein, der aber mitteilte, daß er das Kennzeichen des Fahrzeuges, dessen Vorrang entsprechend seiner Anzeige durch den Beschwerdeführer verletzt worden sei, deswegen nicht aufgenommen wurde, weil seine Aufmerksamkeit durch das Notieren des Kennzeichens des vom Beschwerdeführer gelenkten Fahrzeuges in Anspruch genommen war. Sie war somit offensichtlich um eine Klärung des Sachverhaltes bemüht. Es fällt daher der belangten Behörde nicht zur Last, wenn sie den beantragten Zeugenbeweis nicht durchführte, weil der Zeuge nicht mehr ausgeforscht werden konnte.

Die belangte Behörde durfte sohin von den ihr vorliegenden Angaben des Meldungslegers allein ausgehen, denen die durch nichts bewiesene Verantwortung des Beschwerdeführers gegenüberstand. Wenn sie nun in diesem Zusammenhang ausführte, daß sie den Angaben des Meldungslegers deswegen folgte und die Tat als erwiesen annahm, weil es sich bei dem Meldungsleger um ein Organ einer Behörde handelte, das auf Grund seines Diensteides und seiner Bestellung zur wahrheitsgemäßen Angaben von Unzukömmlichkeiten im Straßenverkehr verpflichtet ist und diese allenfalls auch zur Anzeige zu bringen hat, während der Beschwerdeführer auf Grund seiner verfahrensrechtlichen Stellung nicht zur Wahrheit verpflichtet sei, seine Darstellung vielmehr einer immer wiederkehrenden Feststellung entspreche, daß Beschuldigte Tatumstände vorbringen - wie im Beschwerdefall der Vorrangverzicht des anderen Kraftfahrzeuglenkers - die, wenn sie tatsächlich vorlägen, sie der drohenden Strafverfolgung entziehen würden, so hat sie durchaus schlüssig die Erwägungen für ihre Entscheidung dargetan.

Da somit eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers über die Pauschalierung der Aufwandersätze, BGBl. Nr. 4/1975.

Wien, am 13. Oktober 1977

Schlagworte

Sachverhalt Mitwirkungspflicht Verschweigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1977:1976001436.X00

Im RIS seit

21.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

21.09.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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