Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
BFA-VG 2014 §9Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in den Revisionssachen der 1. A B, und der 2. C D, beide vertreten durch Mag.rer.soc.oec.Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts je vom 13. März 2020, 1. W122 2200184-1/21E und 2. W122 2200080-1/17E, jeweils betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Begründung
1 Die revisionswerbenden Parteien sind Staatsangehörige Afghanistans. Die Erstrevisionswerberin ist die Mutter der Zweitrevisionswerberin. Die Erstrevisionswerberin stellte am 11. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den sie zusammengefasst damit begründete, dass ihr Ehemann vor ein paar Jahren entführt und nach einer Lösegeldzahlung freigelassen worden sei. Da die Bedrohungen nicht aufgehört hätten, habe das Ehepaar das Land verlassen.
2 Am 16. Jänner 2018 stellte die Erstrevisionswerberin für ihre am 9. Jänner 2018 in Österreich geborene Tochter, die Zweitrevisionswerberin, einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei für diese keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht wurden.
3 Mit den Bescheiden je vom vom 30. Mai 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der revisionswerbenden Parteien ab, erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie jeweils eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Rückkehr legte die Behörde jeweils mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
4 Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) wies die dagegen erhobenen Beschwerden mit den angefochtenen Erkenntnissen als unbegründet ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
5 Gegen diese Erkenntnisse erhoben die revisionswerbenden Parteien zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 12. Juni 2020, E 1374-1375/2020-7, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. In der Folge wurden die gegenständlichen Revisionen eingebracht.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Zu ihrer Zulässigkeit bringen die Revisionen zusammengefasst vor, das BVwG sei von der Rechtsprechung abgewichen, weil es keine Recherche im Herkunftsstaat zu den vorgebrachten Fluchtgründen durchgeführt und zur Überprüfung der Angaben der revisionswerbenden Parteien kein Sachverständigengutachten eingeholt habe. Das BVwG habe zudem seiner Entscheidung keine aktuellen Länderberichte zugrunde gelegt. Darüber hinaus sei das BVwG bei der Erlassung der Rückkehrentscheidungen von der Rechtsprechung abgewichen, weil es keine Gesamtabwägung der in § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) angeführten Kriterien für die Beurteilung der Integration vorgenommen, sondern einzelne Integrationsgründe und Umstände herausgegriffen habe. Schließlich habe das BVwG dem Antrag auf Trennung des Verfahrens vom Verfahren des Ehemannes der Erstrevisionswerberin aus unerklärlichen Gründen nicht stattgegeben. Entgegen der Ansicht des BVwG hätte das Familienverfahren getrennt werden müssen, weil über den Ehemann der Erstrevisionswerberin die Untersuchungshaft verhängt worden sei.
10 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revisionen nicht dargetan.
11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unterliegt es der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes, ob weitere amtswegige Erhebungen erforderlich sind. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG läge in diesem Zusammenhang nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 9.7.2019, Ra 2019/01/0155; 28.1.2020, Ra 2019/20/0580; jeweils mwN). Aufgrund welcher konkreten Umstände das BVwG in den vorliegenden Fällen gehalten gewesen wäre, von der Notwendigkeit weiterer amtswegiger Erhebungen auszugehen, wird von den revisionswerbenden Parteien allerdings nicht dargetan. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass ein allgemeines Recht auf eine fallbezogene Überprüfung des Vorbringens eines Asylwerbers durch Recherche im Herkunftsstaat nicht besteht (vgl. VwGH 10.1.2020, Ra 2019/20/0579, mwN).
12 Insofern die revisionswerbenden Parteien rügen, das BVwG habe seiner Entscheidung keine aktuellen Länderberichte zugrunde gelegt, machen sie Verfahrensmängel geltend, deren Relevanz, weshalb also bei Vermeidung dieser Verfahrensmängel in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, bereits in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung dargetan werden muss. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung der Verfahrensfehler als erwiesen ergeben (vgl. VwGH 18.5.2020, Ra 2020/20/0062, mwN). Eine solche Relevanzdarlegung ist der Zulässigkeitsbegründung jedoch nicht zu entnehmen, zumal die Revisionen nicht vorbringen, welche Feststellungen zu treffen gewesen wären, die zu einem anderen Ergebnis hätten führen können.
13 Soweit sich die revisionswerbenden Parteien gegen die Erlassung der Rückkehrentscheidungen wenden, ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist. Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 29.5.2020, Ra 2020/14/0191, mwN).
14 Die Revisionen vermögen mit dem diesbezüglich lediglich allgemein gehaltenen Vorbringen nicht darzulegen, dass das BVwG nicht auf die fallbezogen entscheidungswesentlichen Umstände Bedacht genommen hätte und die in den angefochtenen Erkenntnissen enthaltene Beurteilung nicht anhand der in der Rechtsprechung dargelegten Leitlinien vorgenommen worden wäre.
15 Mit dem in der Zulassungsbegründung ebenfalls bloß pauschal gehaltenen Vorbringen, das Familienverfahren hätte entgegen der Ansicht des BVwG getrennt werden müssen, weil über den Ehemann der Erstrevisionswerberin die Untersuchungshaft verhängt worden sei, wird schon deshalb eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nicht aufgezeigt, weil dazu in den Revisionsgründen nichts mehr ausgeführt wird (vgl. VwGH 25.1.2019, Ra 2018/20/0483; 20.05.2015, Ra 2014/19/0175).
16 Von den revisionswerbenden Parteien werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 27. August 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140383.L00Im RIS seit
12.10.2020Zuletzt aktualisiert am
12.10.2020