TE Vwgh Beschluss 2020/8/31 Ra 2020/19/0116

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Veröffentlicht am 31.08.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §9 Abs1
BFA-VG 2014 §9 Abs2
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §34 Abs1

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2020/19/0117
Ra 2020/19/0118

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in den Revisionssachen 1.) des T I R, 2.) der H S und 3.) der K I R, alle vertreten durch Mag. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Februar 2020, Zlen. 1.) W195 2215120-1/11E, 2.) W195 2215121-1/10E und 3.) W195 2215119-1/11E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1        Die Revisionswerber sind Staatsangehörige der Volksrepublik Bangladesch. Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind die Eltern der nachgeborenen Drittrevisionswerberin. Die Revisionswerber stellten am 30. Mai 2018 Anträge auf internationalen Schutz. Zu ihren Fluchtgründen gaben sie an, die Zweitrevisionswerberin sei wegen ihrer Tätigkeit für eine Nichtregierungsorganisation, in deren Rahmen sie sowohl im Jahr 2011 als auch im Jahr 2013 jeweils eine Kinderhochzeit verhindert habe, von muslimischen Fundamentalisten bedroht worden. Der Erstrevisionswerber sei im Zusammenhang mit dem Betrieb seines Geschäftes zur Leistung von Schutzgeld gezwungen worden.

2        Mit Bescheiden vom 18. Jänner 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die Anträge der Revisionswerber zur Gänze ab, erteilte ihnen jeweils keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei, und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG jeweils nicht zulässig sei.

4        In seiner Begründung stellte das BVwG unter anderem fest, die Zweitrevisionswerberin habe bei einer Nichtregierungsorganisation an der Aufklärung und Verhinderung von „Verkaufshochzeiten“ von Minderjährigen gearbeitet. Bei zwei derartigen Veranstaltungen, zuletzt am 10. September 2013, sei die Zweitrevisionswerberin attackiert worden, staatliche Autoritäten, nämlich die Bürgermeister, hätten sie aber unterstützt und sie habe Urteile der Dorfgerichte zu ihren Gunsten erreicht. Am 28. November 2013 habe die Zweitrevisionswerberin ihre Arbeit bei der Nichtregierungsorganisation freiwillig beendet. Am 21. Juni 2015 sei die Zweitrevisionswerberin legal in das Bundesgebiet eingereist, um zu studieren. Am 7. Mai 2018 sei rechtskräftig entschieden worden, dass der Antrag der Zweitrevisionswerberin auf Erteilung eines Aufenthaltstitels mangels Studienerfolges abgewiesen werde.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Die Revision macht zu ihrer Zulässigkeit zunächst geltend, das BVwG habe in Verkennung näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur möglichen Relevanz auch länger zurückliegender Ereignisse für die Beurteilung des Vorliegens einer Verfolgungsgefahr unterlassen, die für eine adäquate Bewertung der von den Revisionswerbern vorgebrachten, bis zur Ausreise wiederholt erfolgten Umzüge im Herkunftsstaat notwendigen Feststellungen zu treffen.

9        Das BVwG traf die Feststellung, die Revisionswerber hätten öfters ihren Wohnsitz in Bangladesch gewechselt, wobei sie in manchen Ortschaften ein Gefühl der Unsicherheit gehabt hätten, verfolgt zu werden, in manchen Städten dieses Gefühl aber nicht gegeben gewesen sei. Vor dem Hintergrund des vom BVwG festgestellten und aus den Verwaltungsakten ersichtlichen Umstandes, dass die Zweitrevisionswerberin im Jahr 2015 mit einem von der österreichischen Botschaft in Neu Delhi ausgestellten Studentenvisum zum Zweck der Aufnahme eines Studiums in das Bundesgebiet einreiste, verabsäumen es die Revisionen darzutun, welche Feststellungen das BVwG zu den wiederholten Wechseln des Wohnortes jenseits deren Konstatierung hätte treffen müssen. Die Auffassung des BVwG, wonach eine Kontinuität zwischen fluchtauslösendem Ereignis und Ausreise bzw. Antragstellung bereits infolge der auf den Zweck der Aufnahme eines Studiums gegründeten Einreise nicht bestehe, begegnet schon deshalb keinen Einwänden, weil die Revisionswerber zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens ein substantiiertes Vorbringen zur Frage dieser Kontinuität erstatteten.

10       Die Revisionen halten ferner die Beweiswürdigung des BVwG insofern für unschlüssig, als der Zweitrevisionswerberin unterstellt worden sei, vor dem BFA und dem BVwG voneinander abweichende Angaben zu jener Nichtregierungsorganisation gemacht zu haben, für welche sie nach den Feststellungen tätig gewesen sei. Insbesondere habe die Zweitrevisionswerberin die Nichtregierungsorganisation in keinem Verfahrensstadium als Homosexuellen- und Transgenderorganisation bezeichnet. Darüber hinaus sei die Beweiswürdigung infolge unklarer Formulierungen dort unschlüssig, wo der Zweitrevisionswerberin vorgehalten werde, es sei weder plausibel, dass sie alleine eine Zwangsverehelichung von Minderjährigen verhindert hätte, noch, dass sie angesichts der Bedrohung durch „radikale Mullahs“ nicht sogleich nach dem letzten fluchtauslösenden Ereignis die Flucht angetreten habe.

11       Als Rechtsinstanz ist der Verwaltungsgerichtshof zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung in Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht im Einzelfall die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 13.2.2020, Ra 2019/19/0292, mwN).

12       Den Revisionen gelingt es nicht aufzuzeigen, dass das BVwG die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte.

Das BVwG stützte seine Beweiswürdigung im vorliegenden Fall auf den persönlichen Eindruck der Revisionswerber in der durchgeführten mündlichen Verhandlung und erachtete das erstattete Vorbringen auf Grund teilweise fehlender Plausibilität sowie eines mangelnden zeitlichen Konnexes zwischen den behaupteten fluchtauslösenden Ereignissen und der Ausreise bzw. Antragstellung als nicht glaubhaft. Zudem stützte es seine Erwägungen darauf, dass die Revisionswerber den Antrag auf internationalen Schutz erst stellten, nachdem der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltstitel wegen nicht ausreichenden Studienerfolgs rechtskräftig abgewiesen wurde und die Zweitrevisionswerberin ausgesagt hatte, nach Österreich gekommen zu sein, um hier zu studieren und „danach ein gutes Leben zu führen“. Die Revisionen, die sich lediglich gegen einzelne - und entgegen ihrer expliziten Behauptung nicht gegen alle tragenden - beweiswürdigenden Erwägungen des BVwG wenden, zeigen nicht auf, dass die Beweiswürdigung des BVwG insgesamt als unvertretbar zu werten wäre bzw. sich die weiteren Erwägungen als nicht tragfähig erweisen würden.

13       Soweit die Revisionen des Weiteren rügen, das BVwG habe dadurch Parteivorbringen ignoriert, dass zum einen der Angabe der Zweitrevisionswerberin, wonach sie von ihrer Schwiegermutter erfahren habe, dass die Leute immer noch nach ihr suchten, und den dazu vorgelegten Dokumenten begründungslos jeder Beweiswert abgesprochen wurde und zum anderen der Hinweis auf die häufig prekäre Stellung weiblicher Mitglieder von nach offiziellen Quellen unbehelligten Organisationen im Herkunftsstaat unberücksichtigt gelassen habe, macht sie Ermittlungs- und Begründungsmängel geltend.

14       Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden (vgl. VwGH 9.1.2020, Ra 2019/19/0506, mwN). Dies ist den Revisionen jedoch nicht gelungen.

15       Soweit sich die Revisionen auch in diesem Zusammenhang gegen die Beweiswürdigung wenden, ist ihnen auch hier zu entgegnen, dass diese nicht unvertretbar ist.

16       Schließlich machen die Revisionen zu ihrer Zulässigkeit geltend, das BVwG sei dadurch von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinsichtlich der Überprüfung der Zulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung abgewichen, weil es nicht alle relevanten Aspekte in die Abwägung nach Art. 8 EMRK einbezogen habe. Bereits die rechtliche Bewertung der Dauer des Aufenthaltes als relativ kurz sei unrichtig. Das BVwG habe auch nicht nach der Art des Aufenthaltes differenziert. Zudem habe der vom BVwG festgestellte Umstand, dass die Zweitrevisionswerberin im Bundesgebiet Erwerbstätigkeiten ausgeübt habe, keinen Eingang in die Abwägung gefunden, es sei für die Beurteilung der Deutschkenntnisse die erfolgreiche Absolvierung eines B1-Kurses und es seien mehrere Beweismittel zu privaten Anknüpfungspunkten der Revisionswerber nicht berücksichtigt worden. Auch habe das BVwG in Bezug auf die Drittrevisionswerberin das Kindeswohl außer Acht gelassen.

17       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG (vgl. etwa VwGH 2.7.2020, Ra 2020/19/0192 mwN).

18       Das BVwG hat, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, für die Interessenabwägung maßgebliche Umstände betreffend den Eingriff in das Recht auf Privatleben festgestellt und ist zu dem Schluss gelangt, dass die öffentlichen Interessen an einer Außerlandesbringung die privaten Interessen der Revisionswerber an einem Verbleib im Inland überwiegen. Den Revisionen gelingt es nicht darzulegen, dass diese Interessenabwägung unvertretbar erfolgt wäre. Ob die einzelfallbezogene Abwägung, welche zu einem zumindest vertretbaren Ergebnis gelangt ist, in jeder Hinsicht zutrifft, stellt keine grundsätzliche Rechtsfrage dar (vgl. VwGH 5.3.2020, Ra 2019/19/0524).

19       Insofern die Revisionen zutreffend rügen, dass nicht sämtliche Aspekte bei der Interessenabwägung gewürdigt wurden, fehlt diesem Vorbringen die Relevanz. Auch unter Einbeziehung der in den Revisionen zusätzlich vorgebrachten Umstände, wie etwa eine Einstellungszusage, Erwerbstätigkeiten, Besuch eines B1-Kurses, Unterstützungsschreiben eines Österreichers, Kursanmeldung für eine Taxischule, vermögen die Revisionen nicht aufzuzeigen, dass die Beurteilung des BVwG im Ergebnis unzutreffend wäre. Angesichts dessen, dass die Aufenthaltsdauer in Österreich weniger als fünf Jahre beträgt - auch wenn diese teilweise auf befristeten Aufenthaltstiteln beruhte - vermögen die Revisionen fallbezogen nicht darzulegen, dass ein derart außergewöhnliches Ausmaß an Integration vorliegt, das nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes in solchen Fällen ein Überwiegen der privaten Interessen über die öffentlichen Interessen bewirken würde (vgl. etwa VwGH 30.6.2020, Ra 2020/20/0207).

20       Soweit die Revisionen monieren, es sei das Kindeswohl der Drittrevisionswerberin bei der Interessenabwägung nicht berücksichtigt worden, bringen sie nicht vor, welche konkreten Umstände dazu führen würden, dass die privaten Interessen der Drittrevisionswerberin, die sich in einem anpassungsfähigen Alter befindet und gemeinsam mit ihren Eltern in ihr Herkunftsland zurückkehren wird, die öffentlichen Interessen überwiegen würden (vgl. zur Rückkehr von Kindern im anpassungsfähigen Alter im Familienverband etwa VwGH 28.5.2020, Ra 2020/21/0139). Insofern fehlt auch diesem Vorbringen die Relevanz.

21       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 31. August 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190116.L00

Im RIS seit

12.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

12.10.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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