TE Vwgh Beschluss 2020/9/1 Ra 2020/19/0202

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Veröffentlicht am 01.09.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des M A in S, vertreten durch Dr. Claudia Stoitzner, Rechtsanwältin in 1060 Wien, Mariahilferstraße 45/5/36, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. März 2020, W177 2142426-1/15E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 23. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, sein Vater sei Polizist gewesen und von den Taliban getötet worden. Er selbst sei Soldat gewesen und deswegen von den Taliban bedroht und angeschossen worden.

2        Mit Bescheid vom 24. November 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Das BVwG stellte fest, dass der Revisionswerber in Afghanistan keiner landesweiten Verfolgung bzw. einer konkreten Verfolgung und Bedrohung ausgesetzt sei oder eine solche im Falle seiner Rückkehr nicht zu befürchten habe. Eine Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Kapisa sei nicht möglich, weil diese zu den volatilen Provinzen Afghanistans zähle. Dem Revisionswerber stehe jedoch eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e-Sharif und Herat zur Verfügung.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Die Revision bringt in ihrer Zulässigkeitsbegründung vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verfolgungsgefahr von Bediensteten bzw. Angehörigen der Armee sowie der Polizei durch die Taliban und der daraus folgenden Asylrelevanz. Zudem weiche das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, nach welcher bei der Prüfung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen sei, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen seien, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr einer gegen Art. 2 und 3 EMRK verstoßenden Behandlung drohe. Die hierbei anzustellende Gefahrenprognose bedürfe einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren. Das BVwG habe jedoch keinerlei Feststellungen hinsichtlich der Sicherheitslage in dem Herkunftsland des Revisionswerbers in Hinblick auf die Situation von Angehörigen der Armee bzw. der Polizei in Afghanistan durch die Taliban getroffen, um eine mängelfreie Gefährdungsprognose nach Art. 2 und 3 EMRK durchführen zu können. Überdies weiche das Erkenntnis des BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, wonach bei der Überprüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Revisionswerbers erforderlich seien. Die Beantwortung der Frage, ob dem Asylwerber ein Aufenthalt in einem bestimmten Gebiet des Herkunftsstaates zugemutet werden könne, hänge von mehreren Faktoren ab. Dazu müssten die persönlichen Umstände des Betroffenen einschließlich allfälliger Traumata infolge früherer Verfolgung, die Sicherheit, die Achtung der Menschenrechte und die Aussichten auf wirtschaftliches Überleben in diesem Gebiet beurteilt werden. Dies habe das BVwG jedoch unterlassen. Aufgrund des allgemein bekannten Terrornetzwerkes der Taliban sei davon auszugehen, dass dem Revisionswerber eine derartige persönliche Verfolgung auch in den vom BVwG angenommenen Gebieten der innerstaatlichen Fluchtalternativen Herat und Mazar-e Sharif drohen werde.

9        Soweit die Revision vorbringt, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verfolgungsgefahr von Bediensteten bzw. Angehörigen der Armee bzw. Polizei durch die Taliban und der darauf folgenden Asylrelevanz, verabsäumt sie es, konkret und auf den Revisionsfall bezogen darzulegen, welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof noch nicht gelöst hat.

10       Sollte sich die Revision mit diesem Vorbringen gegen die Beweiswürdigung des BVwG wenden wollen, ist darauf zu verweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dieser - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 13.7.2020, Ra 2020/19/0227, mwN).

11       Im vorliegenden Fall ging das BVwG - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - aufgrund der gleichbleibenden und glaubwürdigen Angaben des Revisionswerbers davon aus, dass der Vater des Revisionswerbers als Lokalpolizist tätig gewesen sei und der Revisionswerber eine Ausbildung bei der Armee begonnen habe. Glaubwürdig sei daher auch, dass der Revisionswerber und sein Vater zum damaligen Zeitpunkt Drohungen erhalten hätten und aufgefordert worden seien, ihren Dienst bei den staatlichen Organisationen zu beenden. Den Angaben des Revisionswerbers sei auch zu entnehmen, dass sein Vater bei einem Anschlag getötet worden sei. Dieser Anschlag habe sich jedoch nicht gezielt gegen den Vater des Revisionswerbers, sondern gegen die Sicherheitsbehörden des Landes gerichtet. Ebenfalls glaubwürdig angegeben habe der Revisionswerber, dass er Schussverletzungen erlitten habe, die einen längeren Aufenthalt in einem Krankenhaus nach sich gezogen hätten. Allerdings habe der Revisionswerber nicht glaubhaft machen können, dass es sich hierbei um einen auf seine Person gerichteten Angriff seitens der Taliban gehandelt habe. Hinsichtlich der vom Revisionswerber vorgebrachten Grundstücksstreitigkeiten und der damit zusammenhängenden Entführung ging das BVwG in seiner Beweiswürdigung weiters davon aus, dass sich diese Vorfälle deshalb zugetragen hätten, weil Dorfbewohner mit den Taliban kooperiert und die Taliban diese bei der Unterstützung ihrer privaten Interessen, nämlich der Erlangung der Grundstücke des Revisionswerbers unterstützt hätten. Die Taliban seien somit keineswegs an einer landesweiten Verfolgung des Revisionswerbers aufgrund seiner fünfmonatigen Ausbildungstätigkeit beim Militär interessiert. Bei den vom Revisionswerber geschilderten Problemen handle es sich um regional begrenzte Probleme. Der Revisionswerber habe sich vor seiner Ausreise in Afghanistan frei bewegen können und habe dargelegt, dass er in der Provinz Nangarhar unbehelligt von den Taliban habe leben können.

12       Eine Unvertretbarkeit dieser Beweiswürdigung vermag die Revision nicht aufzuzeigen.

13       Das BVwG traf - gestützt auf diese ausführliche Beweiswürdigung - die Feststellungen, dass der Revisionswerber in Afghanistan keiner landesweiten konkreten Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt sei. Rechtlich folgerte das BVwG, dass eine Rückkehr in die Heimatprovinz nicht möglich wäre, aber dem Revisionswerber eine Ansiedlung in den Städten Herat und Mazar-e Sharif möglich und zumutbar sei.

14       Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, reicht es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 8.6.2020, Ra 2020/19/0155, mwN).

15       Das BVwG hat im vorliegenden Fall Feststellungen zur Sicherheits- und Versorgungslage in den als innerstaatliche Fluchtalternative in Frage kommenden Städten Afghanistans sowie zu den persönlichen Umständen des Revisionswerbers getroffen und hat sich auf dieser Grundlage mit der Frage der bei einer Rückkehr zu erwartenden Lebensumstände des Revisionswerbers auseinandergesetzt. Die Revision vermag vor dem Hintergrund der unbestritten gebliebenen Feststellungen des BVwG, wonach es sich beim Revisionswerber um einen gesunden und arbeitsfähigen Mann mit jahrelanger Berufserfahrung handle, der eine der Landessprachen Afghanistans spreche und zwar keine familiäre Unterstützung, jedoch finanzielle Unterstützung in Form einer Rückkehrhilfe erhalten könne, nicht aufzuzeigen, dass die Beurteilung des BVwG, dem Revisionswerber stehe in den Städten Herat und Mazar-e Sharif eine innerstaatliche Fluchtalternative offen, fallbezogen mit einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Rechtswidrigkeit belastet wäre.

16       In der Revision werden daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 1. September 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190202.L00

Im RIS seit

12.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

12.10.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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