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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen Staatsangehörigen von Kamerun; mangelnde Begründung der mündlich verkündeten Entscheidung, keine ausreichende Auseinandersetzung mit UNHCR-Richtlinien zur Homosexualität sowie mangelhafte Beweiswürdigung und -erhebungSpruch
I. Dem Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita bis d ZPO wird stattgegeben.
II. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl Nr 390/1973, verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
III. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist ein im Jahr 1990 geborener kamerunischer Staatsangehöriger protestantischen Glaubens. Er stellte nach Einreise ins Bundesgebiet am 27. März 2019 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er dahin begründete, er werde in Kamerun auf Grund seiner Homosexualität verfolgt. Er habe auf Grund des gewaltsamen Todes einer ebenfalls homosexuellen Bekannten eine Demonstration organisiert und sei anlässlich dieser festgenommen sowie von der Polizei gefoltert worden.
2. Mit Bescheid vom 21. Juni 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch eines subsidiär Schutzberechtigten ab. Es erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und sprach aus, dass die Abschiebung nach Kamerun zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. Begründend führte die Behörde aus, dass die Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers konstruiert sei, insbesondere sei er nicht homosexuell.
3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit mündlich am 9. Jänner 2020 verkündetem, in der Niederschrift nicht begründetem und schriftlich am 14. Februar 2020 ausgefertigtem Erkenntnis als unbegründet ab. Betreffend den vorgebrachten Fluchtgrund der Verfolgung wegen Homosexualität führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die behauptete Homosexualität des Beschwerdeführers nicht habe festgestellt werden können. Nicht nur habe der Beschwerdeführer eine leibliche Tochter gemeinsam mit einer Frau, sondern seien seine Angaben, befragt nach den Gefühlen, die die Erkenntnis der eigenen Homosexualität ausgelöst hätte, oberflächlich und unkonkret gewesen; so habe er nur ausgesagt, er habe sich geschämt, weil er nicht gewusst habe, was mit ihm los sei. Es sei demgegenüber zu erwarten, dass dieser wesentliche Punkt der Persönlichkeitsentwicklung detaillierter geschildert werden könne. Es sei nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer die Person, mit der er momentan eine intime Beziehung unterhalte, nicht als Zeugen zum Beweis seiner Homosexualität angeboten habe. Dass der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben in Kamerun mehrere Beziehungen zu Männern geführt habe, ohne sich verstecken zu müssen, könne nur bedeuten, dass er dort entweder deshalb nicht verfolgt werde oder nicht homosexuell sei. Auch die Festnahme durch die Polizei sowie die Umstände betreffend die Ausreise des Beschwerdeführers seien nicht glaubhaft. Hingegen stellte das Bundesverwaltungsgericht (disloziert) fest, dass die beim Beschwerdeführer vorfindlichen Deformierungen der Füße mit den von ihm vorgebrachten Folterhandlungen vereinbar seien.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
2.1. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
2.2. Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
3.1. Ein mündlich verkündetes Erkenntnis, dessen wesentliche Begründung nicht aus der Niederschrift der mündlichen Verhandlung hervorgeht, ist mangels Gelegenheit zur nachprüfenden Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof schon aus diesem Grund mit Willkür belastet (vgl VfSlg 20.267/2018); dies trotz Vorliegens der schriftlichen Ausfertigung dann, wenn das mündlich verkündete Erkenntnis – wie hier – überhaupt nicht begründet ist (vgl VfGH 13.12.2019, E2855/2019).
3.2. Wie der Verfassungsgerichtshof zudem unlängst ausgesprochen hat, ist bei der Beurteilung von Anträgen auf internationalen Schutz den Berichten des UNHCR und des EASO besondere Beachtung zu schenken (vgl jüngst VfGH 12.12.2019, E2692/2019 und 12.12.2019, E3369/2019). Dies gilt auch für die vom UNHCR herausgegebenen
"Guidelines on International Protection No. 9: Claims to Refugee Status based on Sexual Orientation and/or Gender Identity within the context of Article 1A(2) of the 1951 Convention and/or its 1967 Protocol relating to the Status of Refugees" vom 23. Oktober 2012 (kurz: SOGI-Richtlinien). Aus diesen Richtlinien geht hervor, dass die Tatsache, leibliche Kinder zu haben und eine heterosexuelle Beziehung zu führen, für sich genommen noch nicht gegen die behauptete Homosexualität eines Antragstellers spricht, weil dies durch Schuld- und Schamgefühle und den sozialen Druck, nur anerkannte Beziehungsformen zu leben, motiviert sein kann (S 3, 9) und dass diese Schamgefühle dazu führen, dass Antragsteller nur schwer Auskunft über ihre Sexualität und damit ihren Fluchtgrund geben können (S 3).
3.3. Mit diesen Faktoren hat sich das Bundesverwaltungsgericht nicht ausreichend auseinandergesetzt. In diesem Lichte erweist sich die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichtes als nicht nachvollziehbar. Schon gemäß dessen eigener Rechtsprechung schließen etwa das Führen einer Beziehung mit gegengeschlechtlichen Personen oder das Vorhandensein leiblicher Kinder eine behauptete Homosexualität nicht aus (vgl nur etwa BVwG 9.11.2015, W124 2109551-1; 3.10.2017, W234 1438636-1; 9.11.2017, W237 1419272-1; 6.9.2018, W257 2190250-1).
3.4. Überdies hat das Bundesverwaltungsgericht es unterlassen, sich mit den vorgelegten Beweismitteln auseinanderzusetzen, so insbesondere, aber nicht nur, mit dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Haftentlassungsschein des Zentralgefängnisses von Yaoundé vom 22. März 2017. Aus diesem geht hervor, dass der Beschwerdeführer wegen "homosexueller Praktiken und Störungen der öffentlichen Ordnung" angehalten worden war. In der Beweiswürdigung fehlt ein Eingehen auf dieses Beweismittel. Für den Verfassungsgerichtshof ist nicht nachvollziehbar, warum das Bundesverwaltungsgericht diese Urkunde trotz des Vorbringens des Beschwerdeführers, ihres eindeutigen Inhalts und ihrer Erörterung in der mündlichen Verhandlung nicht für erheblich gehalten hat.
3.5. Unschlüssig ist das angefochtene Erkenntnis, wenn das Bundesverwaltungsgericht zwar feststellt, dass sich der Knochenumbau der Füße des Beschwerdeführers gemäß ärztlichem Gutachten gut mit den von ihm vorgebrachten Folterhandlungen (Schläge auf die Fußsohlen, sog Falanga) vereinbaren lasse, in der Beweiswürdigung dies allerdings mit keinem Wort erwähnt und die Erzählung von der Folter durch die Polizei für unglaubwürdig hält.
3.6. Völlig verkennt das Bundesverwaltungsgericht seine Ermittlungspflicht, wenn es dem Beschwerdeführer vorhält, dass er eine bestimmte Person als Zeugen zum Beweis seiner Homosexualität nicht angeboten habe, anstatt diese Person selbst als Zeugen zu laden und einzuvernehmen, wenn das Bundesverwaltungsgericht deren Aussage für entscheidungserheblich hält.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, da der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita bis d ZPO genießt.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:E902.2020Zuletzt aktualisiert am
03.06.2022