TE Vwgh Beschluss 2020/8/21 Ra 2020/18/0146

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Veröffentlicht am 21.08.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §9 Abs1
B-VG Art133 Abs4
MRK Art2
MRK Art3
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des A H, vertreten durch Dr. Peter Birgmayer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rabensteig 1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. März 2020, I408 2225599-1/10E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein 22-jähriger Kurde und irakischer Staatsangehöriger aus dem kurdischen Autonomiegebiet, reiste nach eigenen Angaben im August 2015 in das Bundesgebiet ein und beantragte internationalen Schutz.

2        Mit Bescheid vom 8. Juli 2016 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) dem Revisionswerber den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung, die in der Folge mehrfach (zuletzt mit Bescheid des BFA vom 8. Mai 2018) verlängert wurde.

3        Mit Bescheid des BFA vom 23. Oktober 2019 wurde dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) aberkannt. Gleichzeitig wies das BFA einen Antrag des Revisionswerbers auf weitere Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß
§ 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

4        Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

5        Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, deren Zulässigkeit ausschließlich damit begründet wird, dass das BVwG in Bezug auf die Rückkehrentscheidung von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen sei. Aufgrund der Umstände des Einzelfalls (der Revisionswerber sei seit zumindest fünf Jahren in Österreich, er lebe in engster Verbindung und in ständigem Kontakt mit seinem Bruder, er beherrsche die deutsche Sprache so, dass dem Verfahrenshelfer ein Gespräch mit ihm ohne Verständigungsschwierigkeiten möglich gewesen sei; er habe einige Freunde in Österreich, jedoch keine Bindung zu seinem Heimatstaat mehr, und er sei nachweislich strafrechtlich unbescholten bzw. habe nie gegen die öffentliche Ordnung verstoßen) sei der Eingriff in seine durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte nicht notwendig und unverhältnismäßig. Hinzu komme, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu fehle, ob die COVID-19-Krise die Verhältnisse im jeweils betroffenen Land, gegenständlich im Irak, soweit ändere bzw. die Lebenssituation soweit gefährde, dass durch eine Einreise eine reale Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK gegeben sei.

6        Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG aber nur im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

8        Die Revision wendet sich in der Zulassungsbegründung zunächst gegen die vom BVwG im Zusammenhang mit der Rückkehrentscheidung vorgenommene Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK. Dazu erkennt der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK im Allgemeinen, wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde, nicht mit Revision angefochten werden kann (vgl. etwa VwGH 18.5.2020, Ra 2020/18/0136, mwN).

9        Das BVwG hat die Rückkehrentscheidung in gegenständlichen Fall zusammengefasst wie folgt begründet:

„Zunächst ist festzuhalten, dass ein großes öffentliches Interesse an einem geordneten Fremdenwesen besteht. Das verlangt von Fremden grundsätzlich, dass sie nach negativer Erledigung ihres Antrags auf internationalen Schutz das Bundesgebiet wieder verlassen ... Dass der [Revisionswerber] strafrechtlich unbescholten ist, vermag weder sein persönliches Interesse am Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen ... Liegt - wie im gegenständlichen Fall - eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vor, so wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig erwartet, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären ... Im gegenständlichen Fall ... lebt [der Revisionswerber] mit seinem Bruder in einer Mietwohnung. ... Zwischen [ihnen] besteht zwar ein gemeinsamer Wohnsitz aber kein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis. Hinzu kommt, dass bei beiden Brüdern seitens der belangten Behörde ein Aberkennungsverfahren in Bezug auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzes eingeleitet wurde und beide von einer Rückkehrentscheidung betroffen sind ... Eine besondere Aufenthaltsverfestigung ist dem [Revisionswerber während der Zeit seines Aufenthalts in Österreich von knapp fünf Jahren] nicht gelungen. Trotz seines 3 1/2-jährigen rechtmäßigen Aufenthalts, in dem ihm ein Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt offenstand, ist er weiterhin von staatlicher Unterstützung (Arbeitslosengeld, Sozialhilfe) abhängig. Abgesehen von einer dreimonatigen Beschäftigung als Arbeiter 2019 hat er in Österreich ... nie über ein eigenes Erwerbseinkommen verfügt. Er hat nur Kurse und Deutschkurse besucht und 2019 ein B1-Zertifikat erhalten. Sein persönliches Umfeld ist geprägt von der Nähe zu seinem Bruder und es haben sich nur wenige persönliche Kontakte zu Österreichern sowie zum gesellschaftlichen Leben im Land ergeben. Er hat einen Freundeskreis von Österreichern und Nichtösterreichern und seit 2019 eine syrische Freundin, besonders hervorzuhebende Aktivitäten bei Vereinen und sonstigen Organisationen sind nicht hervorgekommen. Im Ergebnis hat sich der [Revisionswerber] in den beinahe fünf Jahren seines Aufenthalts in Österreich kaum integriert und die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten aus dem seit Juli 2016 als rechtmäßig erklärten Aufenthalt nicht in einem Ausmaß genutzt, dass von einer außergewöhnlichen Integration gesprochen werden kann.“

10       Mit dieser Begründung hat das BVwG den Leitlinien der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung entsprochen. Die Revision vermag dem nichts Stichhaltiges entgegenzusetzen.

11       Soweit die Revision geltend macht, es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zum rechtlichen Umgang mit der COVID-19-Pandemie, ist ihr zu entgegnen, dass der Verwaltungsgerichtshof seine Rechtsprechung zu § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (bzw. bei drohender Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK) auch für die aktuell in Diskussion stehende Corona-Pandemie nutzbar gemacht hat (vgl. etwa VwGH 3.7.2020, Ra 2020/14/0255). Es trifft daher nicht zu, dass keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu dieser Rechtsfrage vorliegt. Dass und aus welchen Gründen dem Revisionswerber bei Rückkehr in den Herkunftsstaat - entgegen den Annahmen des BVwG - eine reale Gefahr der Verletzung seiner durch Art. 2 oder 3 EMRK geschützten Rechte drohen könnte, legt die Revision nicht konkret dar.

12       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 21. August 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180146.L00

Im RIS seit

28.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.09.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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