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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des M A, vertreten durch Dr. Peter Hauser, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Eberhard-Fugger-Straße 2a, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Jänner 2020, L507 2152587-1/12E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens und Angehöriger der Volksgruppe der Araber aus Diyala, stellte am 29. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er zusammengefasst damit, im Jahr 2007 in einen Schusswechsel zwischen Amerikanern und Angehörigen der Al Qaida geraten und verletzt worden zu sein. Im Jahr 2014 habe der IS den Herkunftsort des Revisionswerbers eingenommen und er habe fliehen müssen. Der Revisionswerber fürchte zudem, von schiitischen Milizen getötet zu werden.
2 Diesen Antrag wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 16. März 2017 zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen ihn, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.
4 Begründend erwog das BVwG, dass es dem Revisionswerber nicht gelungen sei, eine asylrelevante Verfolgung glaubhaft darzutun. Dem Vorbringen, wonach der Revisionswerber im Jahr 2007 beschossen worden sei, mangle es zudem am erforderlichen zeitlichen Konnex zur mehrere Jahre späteren Ausreise. Hilfsweise stehe dem Revisionswerber eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in der Stadt Tikrit oder in sunnitischen Vierteln der Hauptstadt Bagdad zur Verfügung. Zur Nichtgewährung subsidiären Schutzes legte das BVwG dar, dass im Falle einer Rückkehr nach Diyala keine reale Gefahr der Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK zu erkennen sei. Im Rahmen der Rückkehrentscheidung führte das BVwG eine näher begründete Interessenabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG durch und kam zu dem Ergebnis, dass die öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen des Revisionswerbers überwögen.
5 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 26. Juni 2020, E 717/2020-13, die Behandlung der Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 2 B-VG ablehnte und diese gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
6 Die vorliegende außerordentliche Revision zitiert zunächst Rechtsprechung zur Verhandlungspflicht. Sie wendet sich weiters mit näherer Begründung gegen die Beweiswürdigung des BVwG und bringt vor, das BVwG habe verkannt, dass der Familie des Revisionswerbers in Finnland Asyl gewährt worden sei. Zur Frage des Fluchtgrundes hätte eine Einvernahme dieser Familienmitglieder durchgeführt werden müssen. Das BVwG habe sich unzureichend mit der entscheidungsmaßgeblichen Situation im Irak auseinandergesetzt und insbesondere keine Auseinandersetzung mit der Sicherheitslage in der Heimatprovinz vorgenommen. Zudem habe das BVwG hinsichtlich der Rückkehrentscheidung keine ordnungsgemäße Interessenabwägung durchgeführt.
7 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen.
10 Da der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG nur im Rahmen der dafür in der Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG gesondert vorgebrachten Gründe zu überprüfen hat, ist er weder verpflichtet, solche anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision hätten führen können, aufzugreifen. Dementsprechend erfolgt nach der Rechtsprechung die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof ausschließlich anhand des Vorbringens in der Zulassungsbegründung. In der gesonderten Zulassungsbegründung ist konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat (vgl. VwGH 1.7.2020, Ra 2020/14/0170, mwN).
11 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
12 Die Revision zitiert Rechtsprechung zur Rechtsfrage, wann gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint (vgl. dazu grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018). Dem genügt es zu erwidern, dass das BVwG im vorliegenden Fall eine mündliche Verhandlung durchgeführt hat, weshalb insoweit keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen wird.
13 Sofern sich die Revision gegen die Beweiswürdigung des BVwG zum Fluchtvorbringen wendet und darauf verweist, dass Familienmitglieder des Revisionswerbers in Finnland Asyl bekommen hätten, ist darauf hinzuweisen, dass dieses neue Vorbringen im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof unbeachtlich ist (§ 41 VwGG). Wenn die Revision vermeint, diese Familienmitglieder hätten zum Fluchtgrund einvernommen werden müssen, ist zum einen zu erwidern, dass ein entsprechender Beweisantrag nicht gestellt worden ist und zum anderen nicht dargetan wird, aufgrund welcher Umstände das BVwG von Amts wegen von der Erforderlichkeit dieser Beweismittel iSd § 18 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 hätte ausgehen müssen. Die Revision kritisiert zwar die fehlende Auseinandersetzung mit der Sicherheitslage in der Heimatprovinz des Revisionswerbers, bringt aber nicht einmal ansatzweise vor, dass und warum eine solche zu Asyl oder subsidiärem Schutz hätte führen können. Demzufolge gelingt es der Revision nicht, einen relevanten Verfahrensmangel aufzuzeigen, der ihre Zulässigkeit begründen würde.
14 Sofern der Revisionswerber zur vom BVwG hilfsweise angenommenen innerstaatlichen Fluchtalternative lediglich vorbringt, das BVwG habe sich mit der sicheren Erreichbarkeit dieser Orte nicht auseinandergesetzt, zeigt er die Relevanz des behaupteten Verfahrensfehlers nicht auf (zur Notwendigkeit einer Relevanzdarlegung vgl. VwGH 10.6.2020, Ra 2020/18/0068, mwN).
15 Wenn der Revisionswerber schließlich die der Rückkehrentscheidung zu Grunde liegende Interessenabwägung bemängelt, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 18.5.2020, Ra 2020/18/0136, mwN).
16 Das BVwG legte im vorliegenden Fall dar, weshalb es zu dem Ergebnis gelangte, dass die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung die privaten Interessen überwögen. Es erwog dazu, dass der Revisionswerber sich seit Juni 2015 im Bundesgebiet aufhalte, Sprachkenntnisse auf dem Level A1 und soziale Kontakte, aber keine familiären Anknüpfungspunkte oder Anknüpfungspunkte in Form einer legalen Erwerbstätigkeit oder anderer maßgeblicher wirtschaftlicher Interessen im Inland aufweise und er starke Bindungen zum Herkunftsstaat besitze. Dass das BVwG bei der Interessenabwägung von den hg. Leitlinien abgewichen wäre, ist nicht ersichtlich und wird von der Revision auch nicht substantiiert behauptet.
17 Sofern der Revisionswerber im Übrigen die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet, genügt es darauf hinzuweisen, dass diesbezüglich eine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes gemäß Art. 133 Abs. 5 B-VG nicht vorliegt.
18 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 21. August 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180091.L00Im RIS seit
28.09.2020Zuletzt aktualisiert am
28.09.2020