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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
BAO §250 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision der W OEG in O, vertreten durch die Hosp, Hegen Rechtsanwaltspartnerschaft in 5020 Salzburg, Hellbrunner Straße 9a, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 17. Februar 2020, Zl. RV/6100654/2019, betreffend Abrechnung gemäß § 216 BAO,
Spruch
1. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird, soweit sie sich gegen den ersten Spruchpunkt des angefochtenen Erkenntnisses (Überrechnung des Guthabens vom Abgabenkonto des Gesellschafters auf jenes der Revisionswerberin) wendet, zurückgewiesen.
2. zu Recht erkannt:
Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Eingabe vom 23. September 2015 beantragte die revisionswerbende OEG, einen Betrag in Höhe von ca. 130.000 €, der von HW, einem Gesellschafter der OEG, für Umsatzsteuer 2006 und 2007 der OEG überwiesen worden sei, auf das persönliche Abgabenkonto des Gesellschafters zu „überweisen“. Die Umsatzsteuerbescheide 2006 und 2007 betreffend die OEG seien nicht rechtswirksam zugestellt worden, weshalb auf ihrem Abgabenkonto ein Guthaben in dieser Höhe bestehen müsse.
2 Nach Ergehen eines Erkenntnisses des Bundesfinanzgerichtes in einem parallelen Verfahren wurde dieser Antrag als solcher auf Abrechnung nach § 216 BAO gewertet.
3 Mit Bescheid vom 29. Mai 2019 wies das Finanzamt den Antrag vom 23. September 2015 betreffend die Verbuchung der Zahllasten aus den Umsatzsteuerbescheiden für 2006 und 2007 als verspätet zurück (erster Spruchpunkt). Es sprach aus, dass die Überrechnung des Guthabens in Höhe von ca. 130.000 € vom persönlichen Abgabenkonto des HW auf das Abgabenkonto der OEG am 31. Juli bzw. 1. August 2012 aufgrund eines Antrages des HW bzw. der damaligen steuerlichen Vertretung erfolgt sei und daher rechtmäßig sei (zweiter Spruchpunkt). Weiters sprach es aus, dass die Verrechnung des Betrages in Höhe von ca. 130.000 € am 1. August 2012 mit dem Rückstand am Abgabenkonto der OEG in gleicher Höhe erfolgt und richtig und rechtmäßig sei, da die Verbuchung der Gebarung hinsichtlich des entstandenen Rückstandes ebenfalls richtig erfolgt sei (dritter Spruchpunkt).
4 Begründend führte das Finanzamt insbesondere aus, ein Antrag nach § 216 BAO sei nur innerhalb von fünf Jahren nach Ablauf des Jahres zulässig, in dem die betreffende Verbuchung erfolgt sei oder hätte erfolgen müssen. Die Verbuchung der Zahllasten aus den Umsatzsteuerbescheiden für 2006 und 2007 (10. März 2008 und 16. September 2009) sei außerhalb dieser Frist erfolgt, sodass der Antrag für diese Buchungsvorgänge als verspätet zu werten sei. Eine antragsgemäße Durchführung einer Überrechnung eines Guthabens könne nicht rechtswidrig oder unrichtig sein. Die Verrechnung sei sodann mit dem Rückstand am Abgabenkonto der OEG erfolgt; der Rückstand sei aus den Zahllasten betreffend Umsatzsteuer für 2006 und 2007 entstanden. Im Übrigen seien die Umsatzsteuerbescheide für 2006 und 2007 rechtswirksam und rechtskräftig. Die Bescheide seien bekämpft worden, wobei der unabhängige Finanzsenat die rechtswirksame Zustellung der Bescheide angenommen habe. Dagegen erhobene Beschwerden an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, seien erfolglos geblieben (VwGH 25.4.2013, 2012/15/0161; VfGH 16.9.2013, B 896/2013; VwGH 24.10.2013, 2013/15/0260). Selbst dann, wenn es sich betreffend Umsatzsteuer 2006 und 2007 um Nichtbescheide gehandelt haben sollte, sei zu beachten, dass die Tilgung einer Abgabenschuld nicht die bescheidmäßige Festsetzung der Abgabe voraussetze (Hinweis auf VwGH 88/17/0075).
5 Die Revisionswerberin erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht - nach Beschwerdevorentscheidung des Finanzamts und Vorlageantrag - der Beschwerde teilweise Folge und änderte den Spruch des Bescheides dahin ab, dass dieser laute:
„Über den Antrag vom 23.9.2015 auf Abrechnungsbescheid gemäß § 216 Bundesabgabenordnung (BAO) wird entschieden:
Die Überrechnung des Guthabens iHv EUR 133.194,60 vom Abgabenkonto des [HW] auf das Abgabenkonto der [revisionswerbenden Partei] am 31.7.2012 bzw 1.8.2012 erfolgte antragsgemäß und daher rechtmäßig.
Die Verrechnung des Betrages von EUR 133.194,60 erfolgte am 1.8.2012 mit dem Rückstand am Abgabenkonto der [revisionswerbenden Partei] in gleicher Höhe und ist richtig und rechtmäßig, da die Verbuchung der Gebarung hinsichtlich des entstandenen Rückstandes ebenfalls richtig erfolgte.
Soweit der Antrag gemäß § 216 BAO die Rechtmäßigkeit der Zustellung der Umsatzsteuerbescheide 2006 und 2007 und damit die Rechtmäßigkeit der Festsetzung bekämpft, wird er als unzulässig zurückgewiesen.“
7 Das Bundesfinanzgericht sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
8 Begründend führte das Bundesfinanzgericht-soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - aus, ein Streit über die Richtigkeit der Gebarung auf dem Abgabenkonto sei im Verfahren nach § 216 BAO nur insoweit auszutragen, als nicht bereits bescheidmäßig über die Verrechnung abgesprochen sei.
9 Grund für die Übertragung eines Guthabens vom Abgabenkonto des HW auf das Konto der Revisionswerberin sei ein entsprechender Antrag des HW (vertreten durch einen Steuerberater) an das Finanzamt gewesen. Nach den Unterlagen, die dem Bundesfinanzgericht vorlägen, sei diese Übertragung antragsgemäß durchgeführt worden und nicht zu beanstanden. Die Zahllast (der Revisionswerberin) habe sich aus der Umsatzsteuer 2006 und 2007 sowie Nebengebühren zusammengesetzt. Eine Überzahlung liege nicht vor.
10 Dass kein entsprechender Antrag auf Übertragung bzw. Überrechnung gestellt worden sei, werde auch weder von der Revisionswerberin noch von HW behauptet. Begründet werde der Antrag damit, dass keine Abgabenschuld auf dem Konto der Revisionswerberin bestanden habe, weil ihr die Umsatzsteuerbescheide für 2006 und 2007 nicht rechtswirksam zugestellt worden seien.
11 Zur Frage, ob die Wirksamkeit der Umsatzsteuerbescheide 2006 und 2007 überhaupt strittig sein könne, sei darauf hinzuweisen, dass die beiden Umsatzsteuerbescheide angefochten worden seien. Der unabhängige Finanzsenat habe in seiner Entscheidung vom 12. Juli 2013 ausdrücklich dargelegt, dass die mit 16. September 2009 ergangenen Umsatzsteuerbescheide der Jahre 2006 und 2007 rechtswirksam zugestellt worden seien und daher rechtlich existent seien. Sowohl der Verfassungsgerichtshof als auch der Verwaltungsgerichtshof hätten die Behandlung einer dagegen erhobenen Beschwerde abgelehnt. Über die Frage der Wirksamkeit dieser Bescheide könne weder neuerlich bescheidmäßig abgesprochen werden noch bleibe Raum für Meinungsverschiedenheiten. Der vorliegende Antrag auf Erlassung eines Abrechnungsbescheides - soweit darin Feststellungen zur Wirksamkeit der Umsatzsteuerbescheide für 2006 und 2007 beantragt würden - entbehre daher der gesetzlichen Grundlage und sei als unzulässig zurückzuweisen (Hinweis auf VwGH 12.11.1997, 96/16/0285).
12 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision.
13 Zur Zulässigkeit wird geltend gemacht, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab. Das Bundesfinanzgericht stütze seine Entscheidung auf überholte Judikatur zu § 216 BAO in dessen Stammfassung. Im Erkenntnis vom 30. März 2017, Ra 2016/16/0032, habe der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass mit einem Abrechnungsbescheid insbesondere auch die Frage beantwortet werden könne, ob die aus einem Abgabenbescheid resultierende Verbuchung deshalb rechtswidrig gewesen sei, weil der Abgabenbescheid gar nicht wirksam erlassen worden sei.
14 Nach Einleitung des Vorverfahrens hat das Finanzamt eine Revisionsbeantwortung eingebracht.
15 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
16 Soweit trennbare Absprüche vorliegen, ist die Zulässigkeit einer dagegen erhobenen Revision getrennt zu prüfen. Weist eine angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichtes mehrere trennbare Spruchpunkte auf, so kommt auch eine teilweise Zurückweisung der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof in Betracht (vgl. z.B. VwGH 19.2.2018, Ra 2015/12/0008, mwN). Eine Trennbarkeit von Absprüchen ist dann gegeben, wenn jeder Teil für sich allein ohne einen inneren Zusammenhang mit anderen Teilen einem gesonderten Abspruch zugänglich ist (vgl. VwGH 12.9.2018, Ra 2015/08/0032, mwN). In Fällen jedoch, in denen ein Abspruch notwendige Grundlage („Vorstufe“) für die weiteren in der Entscheidung enthaltenen Aussprüche darstellt, liegt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Trennbarkeit der Spruchpunkte nicht vor (vgl. VwGH 21.5.2019, Ro 2019/19/0006, mwN).
17 Das angefochtene Erkenntnis betrifft drei verschiedene Buchungsvorgänge: Verbuchung der Lastschriften aus den Umsatzsteuerbescheiden 2006 und 2007 (erster Spruchpunkt des Bescheides des Finanzamtes; dritter Spruchpunkt der angefochtenen Entscheidung); Überrechnung des Guthabens vom persönlichen Abgabenkonto des Gesellschafters auf jenes der Revisionswerberin (zweiter Spruchpunkt des Bescheides; erster Spruchpunkt der angefochtenen Entscheidung); sowie die Verrechnung der Gutschrift (aus der Überrechnung des Guthabens) mit dem (aus der Belastung mit Umsatzsteuer 2006 und 2007 resultierenden) Rückstand auf dem Abgabenkonto der Revisionswerberin (dritter Spruchpunkt des Bescheides; zweiter Spruchpunkt der angefochtenen Entscheidung). Während die zuletzt angesprochene Verrechnung in einem untrennbaren Zusammenhang mit der Belastung des Abgabenkontos der Revisionswerberin betreffend Umsatzsteuer 2006 und 2007 ist (die Verrechnung setzt einen Rückstand am Abgabenkonto voraus), ist die Überrechnung des Guthabens vom persönlichen Abgabenkonto des Gesellschafters davon unabhängig (eine derartige Überrechnung ist unabhängig davon zulässig und rechtmäßig, ob auf dem Abgabenkonto, auf das die Überrechnung vorgenommen wird, ein Rückstand besteht oder nicht).
18 Betreffend die Überrechnung des Guthabens werden im Rahmen des Zulässigkeitsvorbringens keine Umstände geltend gemacht, die die Zulässigkeit der Revision begründen würden. Die Überrechnung erfolgte - auch nach dem Vorbringen in der Revision - über (wirksamen) Antrag dieses Gesellschafters („über dessen Veranlassung“; § 215 Abs. 4 BAO). In diesem Umfang war die Revision daher - in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat - gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
19 Betreffend den dritten Spruchpunkt - und den davon nicht trennbaren zweiten Spruchpunkt - des angefochtenen Erkenntnisses ist die Revision hingegen zulässig.
20 Mit seinem dritten Spruchpunkt wies das Bundesfinanzgericht den Antrag auf Abrechnung aus dem Grund zurück, dass „über die Rechtmäßigkeit der Zustellung der Umsatzsteuerbescheide 2006 und 2007 und damit die Rechtmäßigkeit der Festsetzung“ nicht (neuerlich) entschieden werden könne. Das Finanzamt hatte hingegen den Antrag auf Abrechnung zu diesem Punkt wegen Verspätung zurückgewiesen. Wenn die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde einen Antrag zurückgewiesen hat, ist Sache des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit dieser Zurückweisung. Liegt der in erster Instanz angenommene Zurückweisungsgrund (Verspätung) nicht vor, so hat das Verwaltungsgericht den Zurückweisungsbescheid ersatzlos mit der Konsequenz zu beheben, dass die Behörde über den Antrag unter Abstandnahme von dem zunächst gebrauchten Zurückweisungsgrund zu entscheiden hat (VwGH 3.4.2019, Ro 2017/15/0046, mwN).
21 Das angefochtene Erkenntnis war daher betreffend die zweiten (Verrechnung mit dem Rückstand) und dritten (betreffend Umsatzsteuer 2006 und 2007) Spruchpunkte gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
22 Von der von der revisionswerbenden Partei beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.
23 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 27. August 2020
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020150035.L00Im RIS seit
26.02.2021Zuletzt aktualisiert am
26.02.2021