TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/28 W201 1438082-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.02.2020
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Entscheidungsdatum

28.02.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W201 1438082-2/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Angela SCHIDLOF als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA: Afghanistan, vertreten durch HERRMANN Roland c/o Caritas, 1090 Wien, Marianneng. 11, gegen den Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, Zl: 830961803-2713470/BMI-BFA_OOE_RD vom 08.01.2016, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.03.2019 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird hinsichtlich des Spruchpunktes I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 AsylG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Herr XXXX (in der Folge Beschwerdeführer), StA Afghanistan, stellte am 07.07.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz, nachdem er am Flughafen Wien beim Versuch der Weiterreise nach Kanada mit einem gefälschten japanischen Reisepass angetroffen wurde. Dazu befragt, gab er an, er wolle nach Kanada um dort zu arneitwn und ein besseres Leben zu haben. Als Fluchtgrund für seinen Asylantrag in Österreich gab er an, dass sein Schwiegervater ihm unterstellt habe, dass er während eines Aufenthaltes in Griechenland Christ geworden sei und auch seine Ehefrau, zum Christentum bekehren wolle. Weiters habe es mit dem Schwiegervater Streit um Geld gegeben, das der BF dem Schwiegervater geliehen habe und dieser nicht zurückzahlen habe wollen. Auch die Taliban hätten von der Anschuldigung der Konversion erfahren und er habe Afghanistan erneut verlassen müssen.

Aus dem Verwaltungsakt geht hervor, dass der Beschwerdeführer im Jahr 2003 nach Griechenland ausgereist war. Er reiste dann weiter nach Deutschland, wurde jedoch wieder nach Griechenland abgeschoben. 2010 kehrte er freiwillig wieder nach Afghanistan zurück.

2. Mit Bescheid vom 16.09.2013 wies das damalige BAA den Antrag auf internationalen Schutz ab. Ebenso wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen.

3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.

4. Das BVwG verwies mit Beschluss W113 1438082-1 vom 27.03.2014 das Beschwerdeverfahren zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück.

5. Mit Bescheid vom 08.01.2016, wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion OÖ (in der Folge die belangte Behörde) unter Spruchpunkt I. den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG, BGBl I Nr. 100/2005 idgF ab.

Unter Spruchpunkt II. wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

Unter Spruchpunkt III. wurde eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 08.01.2017 erteilt.

6. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Spruchpunkt I. des Bescheides fristgerecht Beschwerde.

7. Am 11.03.2019 fand eine mündliche Verhandlung vor dem BVwG statt. Im Rahmen dieser Verhandlung gab der BF an, er sei das erste Mal 2003 aus Afghanistan ausgereist und über Griechenland, wo seine Fingerabdrücke abgenommen worden seien, nach Deutschland weitergereist. Im Jahr 2010 sei er freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt. Am 05.07.2013 sei er auf dem Weg nach Kanada am Flughafen in Wien mit einem falschen Pass aufgegriffen worden. Der Weiterflug nach Kanada wäre am 07.07.2013 gegangen.

Bezüglich seines Fluchtgrundes führte er aus, einerseits würden die Hazara generell von den Taliban verfolgt und ermordet. Andererseits sei er am 29.11.2012 aus dem Bezirk XXXX ausgereist, da er Probleme mit seinem sehr wohlhabenden Exschwiegervater gehabt habe. Dieser sei Dorfvorsteher und habe gute Kontakte zu den Taliban. Der Schwiegervater habe ihn beschuldigt er missioniere für das Christentum und dürfe nicht mehr mit seiner Ehefrau leben. Der Schwiegervater habe in Abwesenheit des BF dessen Ehefrau nach Hause geholt und auch den gesamten Hausrat mitgenommen.

Er habe dem Schwiegervater 10.000 Euro geborgt, die dieser nicht habe zurückzahlen wollen. Daher habe es Streit mit dem Schwiegervater gegeben und dieser habe, um ihn loszuwerden, die vorgenannten Beschuldigungen ausgesprochen. In XXXX , seinem ersten Zufluchtsort nach dem Zerwürfnis mit dem Schwiegervater habe er vor fünf Zeugen handschriftlich, einseitig die Scheidung von seiner Ehefrau ausgesprochen.

8. Am 03.09.2019 erging über Anfrage des BVwG eine Expertise des länderkundigen Experten, Dr. RASULY. Diese lautet auszugsweise:

"Zu den Fluchtvorbringen des BF:

Der BF sei 2003 das erste Mal aus Angst vor den Feinden seines Vaters nach Griechenland gereist, da sie ihn auch verfolgt hätten. Er gibt an, dass sein Vater ein Kommandant von Hezb-e Wahdat gewesen sei und er sei 1998 gefallen bzw. getötet worden. Seine Gruppe (= Kämpfer, SV) seien von den Taliban im Hinterhalt erwischt und getötet worden.

Diese Angaben des BF zum Tod seines Vaters entsprechen der Tatsache, dass zum Todeszeitpunkt seines Vaters, den der BF mit 1998 angibt, ein Krieg zwischen den Hazara und Taliban tobte. Die Taliban wollten, während ihres Eroberungszuges der Städte Afghanistans, beginnend mit Oktober 1994, über Qarabagh die Kerngebiete von Hazara, Hazarajat, einnehmen. Die Mehrheit der Hazara, Bevölkerung und Parteien, sammelten ihre Kräfte und versuchten, in Qarabagh die Taliban vor ihren weiteren Vormarsch in Hazarajat zu verhindern. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Vater des BF als Kämpfer in diesem Krieg gefallen sein könnte, diese Feststellung von mir beruht auf den Angaben des BF, dass er angibt, dass die Gruppe seines Vaters im Hinterhalt von den Taliban getötet worden wäre.

Zu Hezb-e Wahdat:

Hezb-e Wahdat-e Islami Afghanistan, die islamische Einheitspartei Afghanistans. Sie ist 1989 als Zusammenschluss von der Mehrheit der Hazaraparteien, die gegen die sowjetische Armee in Afghanistan kämpften, entstanden. Seit dieser Zeit ist die Hezb-e Wahdat die führende politisch-militärische Partei der Hazara. Die Hezb-e Wahdat ist seit Ankunft der internationalen Truppen an der staatlichen Macht beteiligt und ihre Kommandanten kontrollieren ihre Herkunftsregionen. Da der Druck der Taliban in ganz Afghanistan zugenommen hat, sind die kleineren Hazara-Enklaven, die nicht im Herrschaftsbereich der Hazara-Kommandanten liegen, geraten sie unter die Herrschaft der Taliban, wenn die Taliban diesen Regionen einnehmen.

Zusammenarbeit der Hazara mit den Taliban:

Die Angaben des BF, dass 50% der Hazara mit den Taliban zusammenarbeiten würden, stimmen nicht mit der Wirklichkeit Afghanistans überein. Die Hazara wurden von den Taliban während ihrer Herrschaft bis Mitte 2001 schwer verfolgt und tausende Hazara wurden in Mazar-e Sharif, vor allem in den Jahren 1997 und 1998 getötet. Die Taliban gingen zu dieser Zeit sehr rassistisch gegen die Hazara vor.

Auch seit ihrer Wiederbetätigung der Taliban, seit 2007, werden die Hazara auf den Hauptstraßen mehr als die Mitglieder anderer Ethnien von den Taliban schikaniert. Es ist mehrmals vorgekommen, dass die Taliban dutzende Hazara auf ihrem Reiseweg im Westen entführt und mehrere davon getötet und auch nach Süden entführt haben. Aber sie können die Hazara-Gebiete nicht einfach angreifen, weil die Hazara Parteien und Kommandanten sehr gut ausgerüstet sind. Sie sind in den Sicherheitsministerien des Staates effektiv vertreten, sodass sie sehr bald sich organisieren und die Taliban zurückschlagen.

Es ist darauf hinzuweisen, dass die Hazara nicht die einzigen Zielscheibe der Taliban sind, sondern sie greifen auch paschtunische Stammesgebiete, Tajiken-Regionen und auch die Wohngebiete der Usbeken an. Am 30. August 2019 haben die Taliban die Stadt Kunduz wiederholt eingenommen und dutzende Menschen vor allem Tajiken und Usbeken getötet, bis aus Kabul militärische Verstärkung gesendet wurde und die Taliban konnten dadurch aus der Stadt vertrieben werden. In der Stadt Kunduz wohnen hauptsächlich Tajiken, Usbeken und Paschtunen, aber auch ein kleine Minderheit der Hazara.

Zur Feindschaft seines Vaters:

In den Kriegsjahren bis Ende 2001 haben die Kämpfer der Kriegsparteien Feindschaften provoziert. Die Feindschaften machen sich gelegentlich dadurch bemerkbar, wenn ein ehemaliger Krieger oder Familienmitglieder bestimme Personen angreifen und behaupten, von diesen früher angegriffen und geschädigt worden zu sein. Die meisten Kommandanten und ihre Krieger haben zwar an den Fronten gekämpft, aber sie haben nicht alle Privatfeindschaften hinterlassen.

Aus den Angaben des BF kann ich entnehmen, dass der Vater des BF an der Front gekämpft hat und im Krieg gegen die Taliban gefallen ist. Diese Feststellung von mir beruht auf den Angaben des BF, dass die Gruppe seines Vaters nach seinem Tode von den Taliban im Hinterhalt getötet worden wäre. Aber der Vater des BF kann innerhalb der Hazara-Gemeinschaft keine Feindschaften hinterlassen haben, sonst konnte der BF nicht nach Ende des Taliban-Regimes bis 2003 in seinem Dorf und Distrikt verbleiben. Wenn eine Todfeindschaft bestanden hätte, konnte der BF 2010 nicht aus Griechenland nach Afghanistan zu seinem Dorf zurückkehren und dort heiraten.

Wenn es eine Todfeindschaft zwischen seinem Vater und anderen Personen in der Region gegeben hätte, konnte der BF sich nicht öffentlich sich betätigen. Der BF war LKW Fahrer, er war in Kabul und hat eine Heiratsurkunde besorgt. Er hat in seinem Dorf die Tochter eines Dorfvorstehers geheiratet.

Eine Hochzeit in Afghanistan mit der Tochter eines Dorfvorstehers ist auf alle Fälle eine öffentliche Zeremonie.

Zum Streit des BF mit Schwiegervater wegen Geld und Scheidungsfrage:

Der BF behauptet in XXXX in Anwesenheit von 6 Personen die Scheidung von seiner Frau ausgesprochen zu haben. Das hätte er aus Liebe zu seiner Frau gemacht, damit sie wieder heiraten kann.

In Wahrheit hat der BF seine Frau verstoßen. Das trifft die Frau hart und sie verliert ihren Beschützer, Brotbringer und islamisch und traditionell legitimen Ehemann. Außerdem ist es für die Frau eine große Schande, dass ihr Ehemann sie aus der Ferne ohne Gründe verstößt und ihre Ehre aufs Spiel setzt. Diese Angaben des BF entsprechen nicht mit der Wirklichkeit der afghanischen Gesellschaft überein. Ein Mann, der seine Frau liebt und dessen Frau rege Beziehung zu ihrer Kernfamilie hat, wird nicht ständig wegen des Geldes mit dem Schwiegervater streiten.

Wenn sein Schwiegervater Dorfvorsteher ist, dann wird dieser nicht leichtfertig seinen Schwiegersohn in Verruf bringen und seinen Schwiegersohn bei der Regierung und den Taliban verleumden und ihn als Christ bezeichnen.

Außerdem kann er nicht ohne Beweise seinen Schwiegersohn bei den Taliban und der Regierung als Christ verleumden, wenn der BF, wie er angegeben hat, am gesellschaftlichen Leben öffentlich teilgenommen hat und als frommer Muslim bekannt war. Nach seinen Angaben hat er in Afghanistan gebetet und er sei nicht in Griechenland Christ geworden. Ein Dorfvorsteher kann keine Schande sich erlauben, dass er seine Tochter mit einem Christen verheiratet hätte. Die Taliban hätten auch den Schwiegervater bestraft, dass er seine Tochter mit einem Christen verheiratet.

Ein Dorfvorsteher verheiratet seine Tochter nicht mit einem unbekannten Mann der gerade aus dem Ausland gekommen ist, sondern er kennt seinen zukünftigen Schwiegersohn und seine Familie.

Fragen der Frau Richterin, Mag. Schidlof:

1) Handelt es sich bei der Heimatregion des BF um ein Taliban-Gebiet?

2) Wie ist die Stellung eines Ortsvorstehers in Afgh?

3) Der BF gibt an, unter den Taliban befänden sich 50%Hazara. Entspricht das der Realität in Afgh.? Arbeiten Taliban tatsächlich mit Hazara zusammen?

4)Stimmen die Angaben des BF bezüglich seines Schwiegervaters? Ist dieser tatsächlich Ortsvorsteher im Heimatdorf des BF?

5) Der Vater des BF ( XXXX ) soll dessen Angaben zufolge Kommandant einer Hazara-Partei namens Hezb-e Wahdat-e Islami gewesen sein und im Jahre 1998 getötet worden sein. Entspricht dies der Realität?

6) ist die Hezb-e Wahdat-e Islami heute noch existent? Handelt es sich tatsächlich um eine Hazarapartei?

7) Entspricht es der afgh. Realität, dass die Ausstellung einer Heiratsurkunde ausschließlich in Kabul erfolgen kann? Wie erfolgt für gewöhnlich die Registrierung eine Eheschließung in Afgh.? Ist die Angabe eines Wohnsitzes in Kabul für die Ausstellung einer Heiratsurkunde notwendig, auch wenn der tatsächliche Wohnort wo anders liegt?

Antwort auf die Fragen der Frau Richterin:

Zu Frage 1:

Nachdem in Qarabagh die Paschtunen die relative Mehrheit haben, haben die Taliban leichten Zugang auch in Hazara-Dörfer in Qarabagh. In den letzten Jahren haben die Taliban ihre Herrschaft in nicht-paschtunische Regionen auch ausgeweitet und es ist nicht ausgeschlossen, dass das Dorf des BF für die Taliban erreicht ist, wenn sie beabsichtigen, es unter ihre Kontrolle zu bringen. Im November 2018 haben die Taliban ein Herrschaftsgebiet der Hezb-e Wahdat, nämlich Jaghori attackiert und für einige Tage Teile davon unter ihre Kontrolle gebracht.

Die Hezb-e Wahdat konnte die Bevölkerung mobilisieren und aus Kabul Verstärkung holen und die Taliban aus Jaghori hinaustreiben. Trotzdem sind die Taliban in den paschtunischen Gebieten von Jaghori und Qarabagh anwesend und können jederzeit die Hazara-Dörfer angreifen, die von der Zentrale von Jaghori und Qarabagh entfernt liegen.

Zu Frage 2:

Ein Dorfvorsteher wird aufgrund seiner Leistungen für die Bevölkerung von der Bevölkerung bestimmt bzw. er ist ein reicher und einflussreicher Mann oder Kommandant, der mit seinem Reichtum und Einfluss oder als Kommandant das Dorf vertritt.

Ein Dorfvorsteher ist für die Organisierung der Dorfangelegenheiten im inneren, wie die Regelung der Wasserverteilung in der Landwirtschaft, Konfliktlösung und Vermeidung sowie Veranstaltung von Zeremonien, wie Hochzeiten und Todeszeremonien usw. zuständig. Außerdem vertritt der Dorfvorsteher das Dorf nach außen z.B. vor der Behörde, aber auch vor den Taliban. Der Dorfvorsteher wird von der Behörde als Vertreter des Dorfes offiziell anerkannt und seine Worte werden von der Behörde ernst genommen.

Aber es wird in vielen Dörfern kein Dorfvorsteher gewählt. In diesen Fällen werden diese Dörfer von ihren einflussreichen Männern oder von ehemaligen Kommandanten oder gebildeten Männern, die das Vertrauen der Bevölkerung genießen, nach außen vertreten.

Zu Frage 3:

Diese Angaben des BF entsprechen nicht der Realität der Hazara-Gesellschaft in Afghanistan. 100% sind die Hazara gegen die Taliban eingestellt. Aber aufgrund der internen Konflikte der Hazara-Kommandanten haben sich einige Abtrünnige Kommandanten der Hazaras, vor allem in Daikundi, mit den Taliban verbündet, aber ihre Gruppen selber geführt und sich in den Taliban aufgelöst. Der Grund dafür war und ist, dass diese Kommandanten nicht von ihnen gewünschte Regierungsposten in ihren Provinzen bekommen haben.

Zu Frage 4:

Wenn sein Schwiegervater der Dorfvorsteher ist, dann wird dieser nicht leichtfertig seinen Schwiegersohn in Verruf bringen und ihn bei der Regierung und Taliban schwer verleumden und ihn als Christ bezeichnen. Außerdem kann er nicht ohne Beweise seinen Schwiegersohn bei den Taliban und der Regierung als Christ verleumden, wenn der BF, wie er angegeben hat, am gesellschaftlichen Leben öffentlich teilgenommen hat und als frommer Muslim bekannt war. Ein Dorfvorsteher kann keine Schande sich erlauben, dass er seine Tochter mit einem Christen verheiratet hätte. Die Taliban hätten auch den Schwiegervater bestraft, dass er seine Tochter mit einem Christen verheiratet.

Ein Dorfvorsteher verheiratet seine Tochter nicht mit einem unbekannten Mann der gerade aus dem Ausland gekommen ist, sondern er kennt seinen zukünftigen Schwiegersohn und seine Familie.

Zu Frage 5:

Im Jahre 1998 tobte ein Krieg zwischen Hezb-e Wahdat und den Taliban in der Region Qarabagh in Ghazni. Bei diesen Kriegen sind tausende Hazara-Kämpfer und ihre Kommandanten getötet worden. Sie haben mehr als zwei Jahre die Stellung verteidigt und die Taliban daran gehindert, nach Jaghori, nach Bamiyan und anderen Gebieten von Hazarajat einzumarschieren. Erst 1998 ist den Taliban gelungen, mit Hilfe eines Hazara-Kommandanten, mit dem Namen Waseq, nach Jaghori einzumarschieren. Daher ist es nicht ausgeschlossen, dass der Vater des BF in diesem Krieg gefallen sein könnte.

Zu Frage 6:

Hezb-e Wahdat-e Islami Afghanistan als Einheitspartei der Ethnie Hazara ist staatstragende Partei und drittstärkste Kraft in der Regierung Afghanistans. Der zweite Stellvertreter-Präsident des Landes ist ein Vertreter der Hezb-e Wahdat.

Zu Frage 7:

Heiratsurkunden können in jedem Gericht auf Distrikts-Ebene, in Provinzhauptstädten und in den zweiten Gerichtsinstanzen ausgestellt werden, wenn die Eheleute staatliche Heiratsurkunden benötigen.

Im Allgemeinen gilt der Brief des Vorbeters oder eines anderen Geistlichen, der bei der Hochzeit die Ehe schließt und diesen Vertragsbrief zwischen den Eheleuten verfasst.

Man muss nicht aus Ghazni oder Kunduz nach Kabul fahren, um eine Heiratsurkunde zu beantragen. Wenn aber die Leute eine Heiratsurkunde benötigen, mit der sie ihre Frauen ins Ausland mitnehmen, dann müssen sie ihre Heiratsurkunden, die sie in ihren Heimatregionen erworben haben, in Kabul bei der Berufungsinstanz bzw. beim Höchstgericht vorlegen, damit sie eine fürs Ausland bestimmte Heiratsurkunde erhalten. Hierfür brauchen die Eheleute keine Andresse in Kabul angeben, um heiraten zu können, sondern erreichbar zu sein. Sonst werden ihre Andressen in ihren Heimatregionen vom Höchstgericht erfragt bzw. in der Heiratsurkunde eingetragen."

9. Dem Beschwerdeführer wurde die Möglichkeit eingeräumt, eine Stellungnahme zur Expertise abzugeben.

10. Am 25.09.2019 gab die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers bekannt, dass dieser für seine Rechtsvertretung nicht erreichbar sei, er befinde sich mutmaßlich im Ausland. Es werde um Fristerstreckung ersucht.

11. Am 18.11.2019 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers ein. Die Ausführungen in der Expertise des Dr. RASULY seien spekulativ, unzulässig, verallgemeinernd und apodiktisch.

12. Dem Beschwerdeführer wurde am 20.11.2019 das aktualisierte LIB Afghanistan vom 13.11.2019 übermittelt.

13. Der Beschwerdeführer gab am 10.12.2019 eine Stellungnahme zum LIB 2019 ab. Das vollständige LIB mit 366 Seiten enthalte eine Menge unüberschaubare und über Strecken irrelevante Informationen, sodass es nicht möglich sei, vom Recht auf Parteiengehör Gebrauch zu machen. Soweit nach einer groben Lektüre des LIB ersichtlich sei, enthalte dies keine dem Vorbringen des Beschwerdeführers widerstreitendenden Informationen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist schiitischer Moslem. Der Beschwerdeführer war verheiratet, im Jahr 2011 beendete er die Ehe. Im Dezember 2018 hat er seine zweite Frau in Pakistan geheiratet. Seine zweite Frau lebt noch immer in der Provinz XXXX in Pakistan.

Er stammt ursprünglich aus der Provinz Ghazni.

Der Beschwerdeführer hat 10 Jahre eine Schule besucht und stammt aus einer wohlhabenden Familie. Er hat als LKW-Fahrer und Schweißer gearbeitet. 2003 reiste er nach Griechenland und dann weiter nach Deutschland. Er wurde dann wieder nach Griechenland abgeschoben und reiste 2010 freiwillig zurück nach Afghanistan. Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Der Beschwerdeführer spricht Dari, Englisch und Deutsch.

1.2. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer ist seit seiner Antragstellung im Jahr 2013 durchgehend im Bundesgebiet aufhältig. Er wurde am Flughafen Wien Schwechat mit einem gefälschten japanischen Reisepass angetroffen als er nach Kanada weiterreisen wollte. Der Beschwerdeführer lebt von der Grundversorgung. Zum Zeitpunkt der Erkenntniserlassung war er strafrechtlich unbescholten.

1.3. Zum Fluchtgrund des Beschwerdeführers:

Die vom Beschwerdeführer behauptete Verfolgung durch den Staat oder die Taliban aufgrund der Bezichtigung der Konversion zum christlichen Glauben durch seinen Ex-Schwiegervater konnte nicht festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer war selber nie politisch tätig und gehörte keiner politischen Partei an. Auch eine Verfolgung wegen der angeblichen Feindschaft seines verstorbenen Vaters konnte nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan weder vorbestraft noch war er inhaftiert.

Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan nicht aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt.

1.4. Zur Situation in Afghanistan:

Zur Lage im Herkunftsstaat wird auf die aktuellen Länderfeststellungen Afghanistan in der Fassung 13.11.2019 verwiesen:

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Folgender Tabelle kann die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Jahr im Zeitraum 2016-2018, sowie bis einschließlich August des Jahres 2019 entnommen werden:

Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433. Die folgende Grafik der Staatendokumentation schlüsselt die sicherheitsrelevanten Vorfälle anhand ihrer Vorfallarten und nach Quartalen auf (BFA Staatendokumentation 4.11.2019):

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018

Die afghanische Regierung bemühte sich Wahllokale zu sichern, was mehr als 4 Millionen afghanischen Bürgern ermöglichte zu wählen (UNAMA 11.2018). Und auch die Vorkehrungen der ANDSF zur Sicherung der Wahllokale ermöglichten eine Wahl, die weniger gewalttätig war als jede andere Wahl der letzten zehn Jahre (USDOS 12.2018). Die Taliban hatten im Vorfeld öffentlich verkündet, die für Oktober 2018 geplanten Parlamentswahlen stören zu wollen. Ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl 2014 warnten sie Bürger davor, sich für die Wahl zu registrieren, verhängten "Geldbußen" und/oder beschlagnahmten Tazkiras und bedrohten Personen, die an der Durchführung der Wahl beteiligt waren (UNAMA 11.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Von Beginn der Wählerregistrierung (14.4.2018) bis Ende des Jahres 2018, wurden 1.007 Opfer (226 Tote, 781 Verletzte) sowie 310 Entführungen aufgrund der Wahl verzeichnet (UNAMA 24.2.2019). Am Wahltag (20.10.2018) verifizierte UNAMA 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) durch Wahl bedingte Gewalt. Die höchste Anzahl an zivilen Opfern an einem Wahltag seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNAMA im Jahr 2009 (UNAMA 11.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019):

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) - Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub - Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).

Berichten zufolge, besteht der ISKP in Pakistan hauptsächlich aus ehemaligen Teherik-e Taliban Mitgliedern, die vor der pakistanischen Armee und ihrer militärischen Operationen in der FATA geflohen sind (CRS 12.2.2019 ;vgl. CTC 12.2018). Dem Islamischen Staat ist es gelungen, seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan dadurch zu stärken, dass er Partnerschaften mit regionalen militanten Gruppen einging. Seit 2014 haben sich dem Islamischen Staat mehrere Gruppen in Afghanistan angeschlossen, z.B. Teherik-e Taliban Pakistan (TTP)-Fraktionen oder das Islamic Movement of Uzbekistan (IMU), während andere ohne formelle Zugehörigkeitserklärung mit IS-Gruppierungen zusammengearbeitet haben, z.B. die Jundullah-Fraktion von TTP oder Lashkar-e Islam (CTC 12.2018).

Der islamische Staat hat eine Präsenz im Osten des Landes, insbesondere in der Provinz Nangarhar, die an Pakistan angrenzt (CRS 12.2.2019 ;vgl. CTC 12.2018). In dieser sind vor allem bestimmte südliche Distrikte von Nangarhar betroffen (AAN 27.9.2016; vgl. REU 23.11.2017; AAN 23.9.2017; AAN 19.2.2019), wo sie mit den Taliban um die Kontrolle kämpfen (RFE/RL 30.10.2017; vgl. AAN 19.2.2019). Im Jahr 2018 erlitt der ISKP militärische Rückschläge sowie Gebietsverluste und einen weiteren Abgang von Führungspersönlichkeiten. Einerseits konnten die Regierungskräfte die Kontrolle über ehemalige IS-Gebiete erlangen, andererseits schwächten auch die Taliban die Kontrolle des ISKP in Gebieten in Nangarhar (UNSC 13.6.2019; vgl. CSR 12.2.2019). Aufgrund der militärischen Niederlagen war der ISKP dazu gezwungen, die Anzahl seiner Angriffe zu reduzieren. Die Gruppierung versuchte die Provinzen Paktia und Logar im Südosten einzunehmen, war aber schlussendlich erfolglos (UNSC 31.7.2019). Im Norden Afghanistans versuchten sie ebenfalls Fuß zu fassen. Im August 2018 erfuhr diese Gruppierung Niederlagen, wenngleich sie dennoch als Bedrohung in dieser Region wahrgenommen wird (CSR 12.2.2019). Berichte über die Präsenz des ISKP könnten jedoch übertrieben sein, da Warnungen vor dem Islamischen Staat laut einem Afghanistan-Experten "ein nützliches Fundraising-Tool" sind: so kann die afghanische Regierung dafür sorgen, dass Afghanistan im Bewusstsein des Westens bleibt und die Auslandshilfe nicht völlig versiegt (NAT 12.1.2017). Die Präsenz des ISKP konzentrierte sich auf die Provinzen Kunar und Nangarhar. Außerhalb von Ostafghanistan ist es dem ISKP nicht möglich, eine organisierte oder offene Präsenz aufrechtzuerhalten (UNSC 13.6.2019).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit (CSR 12.2.2019; vgl. UNAMA 24.2.2019; AAN 24.2.2019; CTC 12.2018; UNGASC 7.12.2018; UNAMA 10.2018). Im Jahr 2018 war der ISKP für ein Fünftel aller zivilen Opfer verantwortlich, obwohl er über eine kleinere Kampftruppe als die Taliban verfügt (AAN 24.2.2019). Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt (UNAMA 24.2.2019), nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab (UNAMA 30.7.2019).

Der ISKP verurteilt die Taliban als "Abtrünnige", die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CRS 12.2.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.8.2019; vgl. AP 19.8.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.8.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (WP 19.8.2019).

Al-Qaida und ihr verbundene Gruppierungen

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont (UNSC 15.1.2019). Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv (UNSC 13.6.2019).

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder (UNSC 13.6.2019).

Im Rahmen der Friedensgespräche mit US-Vertretern haben die Taliban angeblich im Jänner 2019 zugestimmt, internationale Terrorgruppen wie Al-Qaida aus Afghanistan zu verbannen (TEL 24.1.2019).

Kabul

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans (PAJ o.D.) und grenzt an Parwan und Kapisa im Norden, Laghman im Osten, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden sowie Wardak im Westen. Provinzhauptstadt ist Kabul-Stadt (NPS o.D.). Die Provinz besteht aus den folgenden Distrikten: Bagrami, Chahar Asyab, Dehsabz, Estalef, Farza, Guldara, Kabul, Kalakan, Khak-e-Jabar, Mir Bacha Kot, Musahi, Paghman, Qara Bagh, Shakar Dara und Surubi/Surobi/Sarobi (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

Laut dem UNODC Opium Survey 2018 verzeichnete die Provinz Kabul 2018 eine Zunahme der Schlafmohnanbaufläche um 11% gegenüber 2017. Der Schlafmohnanbau beschränkte sich auf das Uzbin-Tal im Distrikt Surubi (UNODC/MCN 11.2018).

Kabul-Stadt - Geographie und Demographie

Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Es ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 5.029.850 Personen für den Zeitraum 2019-20 (CSO 2019). Die Bevölkerungszahl ist jedoch umstritten. Einige Quellen behaupten, dass sie fast 6 Millionen beträgt (AAN 19.3.2019). Laut einem Bericht, expandierte die Stadt, die vor 2001 zwölf Stadtteile - auch Police Distrikts (USIP 4.2017), PDs oder Nahia genannt (AAN 19.3.2019) - zählte, aufgrund ihres signifikanten demographischen Wachstums und ihrer horizontalen Expansion auf 22 PDs (USIP 4.2017). Die afghanische zentrale Statistikorganisation (Central Statistics Organization, CSO) schätzt die Bevölkerung der Provinz Kabul für den Zeitraum 2019-20 auf 5.029.850 Personen (CSO 2019). Sie besteht aus Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).

Hauptstraßen verbinden die afghanische Hauptstadt mit dem Rest des Landes (UNOCHA 4.2014). In Kabul-Stadt gibt es einen Flughafen, der mit internationalen und nationalen Passagierflügen bedient wird (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).

Die Stadt besteht aus drei konzentrischen Kreisen: Der erste umfasst Shahr-e Kohna, die Altstadt, Shahr-e Naw, die neue Stadt, sowie Shash Darak und Wazir Akbar Khan, wo sich viele ausländische Botschaften, ausländische Organisationen und Büros befinden. Der zweite Kreis besteht aus Stadtvierteln, die zwischen den 1950er und 1980er Jahren für die wachsende städtische Bevölkerung gebaut wurden, wie Taimani, Qala-e Fatullah, Karte Se, Karte Chahar, Karte Naw und die Microraions (sowjetische Wohngebiete). Schließlich wird der dritte Kreis, der nach 2001 entstanden ist, hauptsächlich von den "jüngsten Einwanderern" (USIP 4.2017) (afghanische Einwanderer aus den Provinzen) bevölkert (AAN 19.3.2019), mit Ausnahme einiger hochkarätiger Wohnanlagen für VIPs (USIP 4.2017).

Was die ethnische Verteilung der Stadtbevölkerung betrifft, so ist Kabul Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt, je nach der geografischen Lage ihrer Heimatprovinzen: Dies gilt für die Altstadt ebenso wie für weiter entfernte Stadtviertel, und sie wird in den ungeplanten Gebieten immer deutlicher (Noori 11.2010). In den zuletzt besiedelten Gebieten sind die Bewohner vor allem auf Qawmi-Netzwerke angewiesen, um Schutz und Arbeitsplätze zu finden sowie ihre Siedlungsbedingungen gemeinsam zu verbessern. Andererseits ist in den zentralen Bereichen der Stadt die Mobilität der Bewohner höher und Wohnsitzwechsel sind häufiger. Dies hat eine disruptive Wirkung auf die sozialen Netzwerke, die sich in der oft gehörten Beschwerde manifestiert, dass man "seine Nachbarn nicht mehr kenne" (AAN 19.3.2019).

Nichtsdestotrotz, ist in den Stadtvierteln, die von neu eingewanderten Menschen mit gleichem regionalen oder ethnischen Hintergrund dicht besiedelt sind, eine Art "Dorfgesellschaft" entstanden, deren Bewohner sich kennen und direktere Verbindungen zu ihrer Herkunftsregion haben als zum Zentrum Kabuls (USIP 4.2017). Einige Beispiele für die ethnische Verteilung der Kabuler Bevölkerung sind die folgenden: Hazara haben sich hauptsächlich im westlichen Viertel Chandawal in der Innenstadt von Kabul und in Dasht-e-Barchi sowie in Karte Se am Stadtrand niedergelassen; Tadschiken bevölkern Payan Chawk, Bala Chawk und Ali Mordan in der Altstadt und nördliche Teile der Peripherie wie Khairkhana; Paschtunen sind vor allem im östlichen Teil der Innenstadt Kabuls, Bala Hisar und weiter östlich und südlich der Peripherie wie in Karte Naw und Binihisar (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017), aber auch in den westlichen Stadtteilen Kota-e-Sangi und Bazaar-e-Company (auch Company) ansässig (Noori 11.2010); Hindus und Sikhs leben im Herzen der Stadt in der Hindu-Gozar-Straße (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018).

Aufgrund eben dieser öffentlichkeitswirksamer Angriffe auf Kabul-Stadt kündigte die afghanische Regierung bereits im August 2017 die Entwicklung eines neuen Sicherheitsplans für Kabul an (AAN 25.9.2017). So wurde unter anderem das Green Village errichtet, ein stark gesichertes Gelände im Osten der Stadt, in dem unter anderem, Hilfsorganisationen und internationale Organisationen (RFERL 2.9.2019; vgl. FAZ 2.9.2019) sowie ein Wohngelände für Ausländer untergebracht sind (FAZ 2.9.2019). Die Anlage wird stark von afghanischen Sicherheitskräften und privaten Sicherheitsmännern gesichert (AJ 3.9.2019). Die Green Zone hingegen ist ein separater Teil, der nicht unweit des Green Villages liegt. Die Green Zone ist ein stark gesicherter Teil Kabuls, in dem sich mehrere Botschaften befinden - so z.B. auch die US-amerikanische Botschaft und andere britische Einrichtungen (RFERL 2.9.2019).

In Bezug auf die Anwesenheit von staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Kabul mit Ausnahme des Distrikts Surubi im Verantwortungsbereich der 111. ANA Capital Division, die unter der Leitung von türkischen Truppen und mit Kontingenten anderer Nationen der NATO-Mission Train, Advise and Assist Command - Capital (TAAC-C) untersteht. Der Distrikt Surubi fällt in die Zuständigkeit des 201. ANA Corps (USDOD 6.2019). Darüber hinaus wurde eine spezielle Krisenreaktionseinheit (Crisis Response Unit) innerhalb der afghanischen Polizei, um Angriffe zu verhindern und auf Anschläge zu reagieren (LI 5.9.2018).

Im Distrikt Surubi wird von der Präsenz von Taliban-Kämpfern berichtet (TN 26.3.2019; vgl. SAS 26.3.2019). Aufgrund seiner Nähe zur Stadt Kabul und zum Salang-Pass hat der Distrikt große strategische Bedeutung (WOR 10.9.2018).

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 1.866 zivile Opfer (596 Tote und 1.270 Verletzte) in der Provinz Kabul. Dies entspricht einer Zunahme von 2% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) und gezielten Tötungen (UNAMA 24.2.2019).

Die afghanischen Sicherheitskräfte führten insbesondere im Distrikt Surubi militärische Operationen aus der Luft und am Boden durch, bei denen Aufständische getötet wurden (KP 27.3.2019; vgl. TN 26.3.2019, SAS 26.3.2019, TN 23.10.2018,. KP 23.10.2018, KP 9.7.2018). Dabei kam es unter anderem zu zivilen Opfern (TN 26.3.2019; vgl. SAS 26.3.2019). Außerdem führten NDS-Einheiten Operationen in und um Kabul-Stadt durch (TN 7.8.2019; vgl. PAJ 7.7.2019, TN 9.6.2019, PAJ 28.5.2019). Dabei wurden unter anderem Aufständische getötet (TN 7.8.2019) und verhaftet (TN 7.8.2019; PAJ 7.7.2019; vgl TN 9.6.2019, PAJ 28.5.2019), sowie Waffen und Sprengsätze konfisziert (TN 9.6.2019; vgl. PAJ 28.5.2019).

IDPs - Binnenvertriebene

UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 35 konfliktbedingt aus dem Distrikt Surubi vertriebene Personen, die alle in der Provinz Logar Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA keine durch gewaltsamen Konflikt aus der Provinz Kabul vertriebene Personen (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 9.422 Vertriebene, welche in die Provinz Kabul kamen, die meisten davon in den Distrikt Kabul (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 2.580 Vertriebene in die Provinz Kabul, alle in den Distrikt Kabul. Sie stammten aus Kapisa, Kunar, Nangarhar wie auch Logar, Ghazni, Baghlan und Wardak (UNOCHA 18.8.2019).

Bis zu zwei Drittel aller Afghanen, die außerhalb ihrer Provinz vertrieben wurden, bewegen sich in Richtung der fünf Regionalhauptstädte (NRC 30.1.2019) und Kabuls Wachstum war besonders umfangreich. Die Gesamtzahl der Binnenvertriebenen in Kabul ist nicht bekannt. Die Bewegung in und innerhalb der Stadt fluktuiert und viele kehren regelmäßig in friedlicheren Zeiten in ihr Herkunftsgebiet zurück (Metcalfe et al. 6.2012; vgl. AAN 19.3.2019). Im September 2018 schätzte der afghanische Minister für Flüchtlinge und Repatriierung die Gesamtzahl der Binnenvertriebenen in Kabul auf 70.000 bis 80.000 Menschen (TN 21.9.2018).

Balkh

Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar-e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan (UNOCHA 13.4.2014; vgl. GADM 2018). Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Balkh, Char Bolak, Char Kent, Chimtal, Dawlat Abad, Dehdadi, Kaldar, Kishindeh, Khulm, Marmul, Mazar-e Sharif, Nahri Shahi, Sholgara, Shortepa und Zari (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019-20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif (CSO 2019). Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).

Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum (SH 16.1.2017). Die Autobahn, welche zum usbekischen Grenzübergang Hairatan-Termiz führt, zweigt ca. 40 km östlich von Mazar-e Sharif von der Ringstraße ab. (TD 5.12.2017). In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen (BFA Staatendokumentation 25.3.2019). Im Januar 2019 wurde ein Luftkorridor für Warentransporte eröffnet, der Mazar-e Sharif und Europa über die Türkei verbindet (PAJ 9.1.2019).

Laut dem Opium Survey von UNODC für das Jahr 2018 belegt Balkh den 7. Platz unter den zehn größten Schlafmohn produzierenden Provinzen Afghanistans. Aufgrund der Dürre sank der Mohnanbau in der Provinz 2018 um 30% gegenüber 2017 (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Balkh zählt zu den relativ stabilen (TN 1.9.2019) und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten (AN 6.5.2019). Die vergleichsweise ruhige Sicherheitslage war vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Kriegsherrn und späteren Gouverneurs von Balkh, Atta Mohammed Noor, zurückzuführen (RFE/RL o.D.; RFE/RL 23.3.2018). In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete (TN 22.8.2019). Einem UN-Bericht zufolge, gibt es eine Gruppe von rund 50 Kämpfern in der Provinz Balkh, welche mit dem Islamischen Staat (IS) sympathisiert (UNSC 1.2.2019). Bei einer Militäroperation im Februar 2019 wurden unter anderem in Balkh IS-Kämpfer getötet (BAMF 11.2.2019).

Das Hauptquartier des 209. ANA Shaheen Corps befindet sich im Distrikt Dehdadi (TN 22.4.2018). Es ist für die Sicherheit in den Provinzen Balkh, Jawzjan, Faryab, Sar-e-Pul und Samangan zuständig und untersteht der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N), welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019). Deutsche Bundeswehrsoldaten sind in Camp Marmal in Mazar-e Sharif stationiert (TS 22.9.2018).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Der folgenden Tabelle kann die Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle bzw. Todesopfer für die Provinz Balkh gemäß ACLED und Globalincidentmap (GIM) für das Jahr 2018 und die ersten drei Quartale 2019 entnommen werden (Quellenbeschreibung s. Disclaimer, hervorgehoben: Distrikt der Provinzhauptstadt):

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, ge

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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