TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/2 W105 2143366-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.03.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

02.03.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W105 2143366-1/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Harald BENDA als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.12.2016, Zl. 1092101307-151606198/Wr. Neustadt, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.01.2020 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der nunmehrige Beschwerdeführer beantragte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 21.10.2015 die Gewährung internationalen Schutzes.

2. Am 23.10.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung statt. Hiebei gab der Antragsteller zentral zu Protokoll, sich vor seiner Antragstellung in Österreich bereits über ein Jahr in Norwegen sowie acht Monate in Griechenland und zwei bis drei Monate in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten zu haben. Überdies sei er bereits in Italien, Frankreich und Dänemark gewesen. So sei es in Norwegen eine Zurückschiebung gewesen; in Deutschland habe er nicht bleiben wollen, weil er Angst gehabt habe, dass man ihn nach Afghanistan zurückschiebe und von Griechenland sei er freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt, weil seine Feinde tot seien und er keinen Asylgrund gehabt habe. Für den Fall seiner Rückkehr befürchte er, dass die Kinder seiner Feinde nun groß geworden seien und würden sie sich rächen, weshalb sein Leben dort in Gefahr sei. Er sei mit seinem Schwiegervater einmal im Gebirge bei einem Treffpunkt gewesen und habe es eine Schießerei gegeben. Sein Schwiegervater habe eine Person erschossen und werde er seither verfolgt, weil er an dieser Schießerei beteiligt gewesen sei. Drum sei er in den Iran gegangen und habe dort illegal gelebt.

3. Am 05.07.2016 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl. Hiebei gab der Antragsteller zentral zu Protokoll, er habe in seinem Herkunftsdorf ursprünglich ein Jahr lang ein Lebensmittelgeschäft betrieben und sei er vor etwa 13 Jahren (gerechnet vom Zeitpunkt der Einvernahme im Juli 2016) nach Europa geflüchtet, wo er dann zwei Jahre aufhältig gewesen sei. Er sei dann wieder nach Afghanistan zurückgekehrt und habe als Bauer gearbeitet. Inhaltlich bezog sich der Antragsteller zentral darauf, dass er seinen Schwiegervater auf dem Motorrad mitgenommen habe und ihn zu einem Telefon habe transportieren sollen. Bei einer Anhaltung habe sein Schwiegervater einen heranfahrenden Motorradfahrer erschossen. In der Folge habe er sich mit dem Schwiegervater nach Pakistan begeben und hätten sich dort ihre Wege getrennt. Der Schlepper habe ihn sodann in den Iran gebracht, wo er sich zehn Monate lang aufgehalten habe und sei er dann nach Europa geflüchtet.

4. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit dem im Spruch genannten Bescheid bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten in Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 24/2016, und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan in Spruchpunkt II. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg.cit. ab. Weiters erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 leg.cit., erließ ihm gegenüber gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 leg.cit. iVm § 9 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 25/2016, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016 und stellte gemäß § 52 Abs. 9 leg.cit. fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 leg.cit. zulässig sei (Spruchpunkt III.). Schließlich sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 leg.cit. die Frist für die freiwillige Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. Die Beschwerde begründete der Antragsteller zentral damit, dass er den ihm vorgehaltenen Widersprüchen insofern entgegentrete, als ihm der Beweggrund für den Mordversuch des Schwiegervaters an diesem Mann (namentlich genannt) nicht bekannt sei. Sein Schwiegervater habe ihm nicht geantwortet auf die Frage warum dieser auf den Mann geschossen habe. Auch andere Familienmitglieder oder Dorfbewohner wüssten nichts über die Hintergründe der Tat. Wo sich der Schwiegervater derzeit aufhalte, sei dem Antragsteller überdies nicht bekannt. Bei dem Opfer handle es sich um einen Abteilungsleiter des Bezirkes und handle es sich um einen einflussreichen Mann, der mit der Regierung zusammenarbeite. Aufgrund der in Afghanistan üblichen Blutrache sei der Beschwerdeführer daher gefährdet von der Familie des Opfers aus Rache getötet zu werden. Eines der Kinder sei überdies zum Zeitpunkt, als der Beschwerdeführer Afghanistan verlassen habe, bereits 15 Jahre alt gewesen. Im Falle des Beschwerdeführers liege jedenfalls keine Schutzwilligkeit oder -fähigkeit des Staates Afghanistan vor.

Mit Schriftsatz vom 08.06.2018 ergänzte der Antragsteller seine Beschwerde dahingehend, dass er ausführte, dass seine Ehefrau sowie die minderjährigen Kinder etwa im März 2018 von Pakistan nach Kabul zurückgekehrt seien, da die Tochter in Pakistan keine Möglichkeit gehabt habe, in die Schule zu gehen, was ihr nun aber in Kabul möglich sei. Die beiden Söhne des Attentatsopfers seien drei Mal zur Ehefrau des Beschwerdeführers gekommen und hätten sie aufgefordert, dessen Aufenthaltsort bekannt zu geben. Die Frau des Beschwerdeführers habe danach drei Mal die Adresse in Kabul gewechselt. Beim letzten Besuch hätten die Feinde der Ehegattin gedroht, dass sie die Kinder des Beschwerdeführers töten würden, wenn er selbst nicht bald auftauchen sollte.

Mit Schriftsatz vom 09.12.2019 nahm der Antragsteller die Möglichkeit einer Stellungnahme nach rechtlichem Gehör in Anspruch und verwies er hierin zentral darauf, dass einerseits Taliban die Möglichkeit hätten, Personen ausfindig zu machen sowie verwies er auf die allgemeine schlechte Sicherheitslage und auf das Vorliegen von Blutfehden und führte die sich daraus ergebenden Konsequenzen von Racheakten ins Treffen. Im Weiteren verwies er auf ein auszugsweise dargestelltes Gutachten in Bezug auf 2018 zur Allgemeinen Situation und Rückkehrsituation in Afghanistan.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 28.01.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, die sich wie folgt darstellt:

Beginn der Befragung

R: Gibt es schriftliche Unterlagen, die Sie vorab vorlegen möchten?

BFV legt vor: Ein Konvolut an Unterlagen zum Stand der Integration. Die Kopien werden zum Akt genommen.

R: Haben Sie bereits Sprachkurse absolviert bzw. Zertifikate erworben?

BF: Ich habe nur A1 abgeschlossen. Ich habe auch die Prüfung abgelegt, aber das Zertifikat habe ich verloren. Aus meinem Flüchtlingspension bin ich dann in einer Privatunterkunft gegangen und da habe ich es verloren.

R: Bei welcher Einrichtung haben Sie den Kurs und das Zertifikat gemacht?

BF: Beim XXXX in XXXX .

R: Vorab möchte ich Sie fragen, ob die beiden Einvernahmeprotokolle Ihnen zur Kenntnis gebracht wurden?

BF: Ja, bei beiden.

R: Haben Sie den Dolmetsch jeweils gut verstanden?

BF: Ja, dort wo ich es nicht verstanden habe, wurde es mir wiederholt.

R: Wann haben Sie sich erstmalig in Europa aufgehalten?

BF: Ich kann mich nicht genau erinnern. Entweder war es Ende 2006 oder Anfang 2007.

R: Wie lange etwa haben Sie sich in Europa aufgehalten?

BF: Bis Ende 2009.

R: Wo waren Sie?

BF: In Deutschland und Norwegen.

R: Wurden Sie zum vormaligen Zeitpunkt nach Griechenland überstellt?

BF: Ja.

R: Wie gut sprechen Sie schon Deutsch?

BF: Ich habe Probleme mit der Grammatik. Ich verstehe schon viel, aber beim Sprechen tue ich mir noch schwer.

R: Haben Sie in Deutschland schon Deutsch gelernt?

BF: Nein.

R: Waren Sie dort Asylwerber?

BF: Deutschland hat mich gezwungen, dass ich Asylwerber werde.

R: Warum haben Sie das erste Mal Afghanistan überhaupt verlassen?

BF: Mein Vater und mein Bruder führten ein Geschäft. Sie haben dann mit einem Polizisten Probleme bekommen. Worauf mein Bruder dann festgenommen worden ist. Ich bin dann statt meinem Bruder im Geschäft gewesen.

R: Das ist keine Antwort auf meine Frage.

BF: Weil ich mit dem Polizisten dann auch Probleme bekam und er mich im Geschäft geschubst hat. Ich viel auf einem Glastisch, wo ich mich dann an der rechten Hand und auch am linken Zeigefinger. Es ist mir nichts übergeblieben, als zu fliehen.

R: Wann bzw. unter welchen Umständen sind Sie dann wieder nach Afghanistan zurückgekehrt?

BF: Ich bin von Norwegen nach Griechenland abgeschoben worden. Ich blieb dort ca. acht, neun Monate. Mein Problem hat sich dann in Afghanistan gelöst. Es war dann alles wieder in Ordnung und ich bin freiwillig nach Hause gefahren.

R: Zu welcher Volksgruppe gehören Sie?

BF: Ich bin Said Hazara und Shiit.

R: Gilt für Sie der Paschtuwali?

Anmerkung: Aufgrund des anfänglichen Unverständnisses wird der Begriff erklärt.

BF: Nein.

R: Erzählen Sie über Ihr Leben in Afghanistan nach Ihrer Rückkehr?

BF: Das genaue Datum weiß ich nicht mehr, wann ich zurückkehrte. Ich glaube, es war Ende 2009 oder Anfang 2010. Ich bin mit dem Flugzeug über Katar und Dubai nach Kabul geflogen. Bin dann von Kabul nach Ghazni, das ist meine Herkunftsprovinz, in den Distrikt Karabakh zu meinen beiden Schwestern gegangen.

R: Was haben Sie dort gearbeitet?

BF: In der Landwirtschaft.

R: Wann haben Sie dann neuerlich Afghanistan verlassen?

BF: Das war das Jahr 1393 (D= 2014).

R: Wie lange waren Sie im Iran?

BF: Ca. ein Jahr.

R: Warum sind Sie aus dem Iran weitergereist?

BF: Es war nicht meine Entscheidung. Mein Schwiegervater hat es beschlossen und er hat mir befohlen, dass ich Reisen soll.

R: Das heißt, er hat Ihnen befohlen, dass Sie vom Iran nach Europa reisen sollen?

BF: Ja.

R: Wie kommt es, dass gerade Ihr Schwiegervater eine solche Autorität darstellte. Ist es doch eher geläufig, dass der Vater, der Großvater und allenfalls der Onkel vs einen jungen Mann etwas befehlen kann?

BF: Ich habe leider einen Vater, noch einen Großvater. Ich habe auch keinen Onkel vs.

R: Ich habe einiges über Ihre Kultur schon gelernt. Nämlich beispielsweise, dass bei einer Eheschließung die Frau von einer Familie in den Familienband der anderen Familie wechselt, so auch in deren Entscheidungsgewalt, weshalb es grundsätzlich nicht plausibel erscheint, dass für Sie gerade der Schwiegervater eine Autorität darstellt in Afghanistan. Können Sie das erklären?

BF: Mein Schwiegervater hat mich soweit gehabt, dass ich gezwungen war, auf ihn zu hören.

R: Warum?

BF: Mein Schwiegervater hat auf eine Person erschossen, ich war dabei. Wir sind auch gemeinsam aus Afghanistan geflohen. Wir sind zuerst nach Pakistan gereist.

R: Was hat der Schwiegervater für eine Macht, dass er Ihnen empfehlen kann, nach Europa zu reisen?

BF: Dieser Vorfall, was sich in Afghanistan ereignete. Ich wollte nicht aus Afghanistan fliehen oder verlassen. Mein Schwiegervater sagte mir, wenn ich mit ihm Afghanistan nicht verlassen würde, würden die Kinder von dem verstorbenen Mann, mich auch töten, weil ich auch mitbeteiligt war. Der Schwiegervater sagte mir, ich habe ihn getötet und du bist auch der Mörder.

Dieser Mann ist getötet worden. Als er angeschossen worden ist, hat er drei oder vier Kugel abbekommen. Er ist dann ins Spital gebracht worden und ist dann im Spital gestorben. Ich möchte, sagen, dass ich nicht dabei war. Ich habe es nur gehört.

R: Von wem haben Sie das gehört?

BF: Von meiner Schwägerin, die Schwester meiner Frau.

R: Wer von der Familie Ihrer Frau lebt noch in Afghanistan?

BF: Niemand.

R: Können Sie das im Detail erklären?

BF: Ich habe im 3. Monat im Jahr 1391 (D=2012) geheiratet. Entschuldigung es ist falsch, ich habe 1390 (D= Mai oder Juni 2011) geheiratet.

R: Gehen wir zurück vor die erste Ausreise. Da gab es ein Problem mit der Polizei, wie war das genau und wie war das dann genau mit Ihrer Ausreise?

BF: Als er meinen Bruder ins Gefängnis gebracht hat, hat der Polizist von meinem Vater Geld verlangt. Ich war zu diesem Zeitpunkt sehr jung. Ich habe nicht vieles verstanden. Mein Vater schickte mich nach Kandahar. Ich bin dann über Nimroz in den Iran gereist. Als ich im Iran aufhältig war, einige Zeit später erfuhr ich, dass mein Vater und Bruder getötet worden ist. Zu diesem Zeitpunkt gab es keine Handys. Die Nachricht habe ich von Leuten, die aus Afghanistan in den Iran gekommen sind.

R: Woher kam das Geld, für Ihre Reise nach Europa?

BF: Meine Schwestern haben das Geschäft verkauft. Wir hatten Grundstücke, die auch verkauft worden sind. Wir hatten drei Jirib (Größenangabe - Vergleich wie ein Fußballspielfeld). Es wurde auch verkauft.

R: Nach Europa geht man doch in erster Linie um Geld zu verdienen und nicht vorrangig um sicher zu sein. Da hätten Sie ja im Iran blieben können.

BF: Ich konnte nicht im Iran blieben, da es sehr nah in Afghanistan ist. Ich hatte Angst, dass sie mich töten.

R: Sie haben Angst, dass dieser Polizist Sie im Iran verfolgen würde?

BF: Ja, dieser Polizist hatte auch Brüder.

R: In welchem Jahr sind Sie erstmalig aus Afghanistan weg, wie lange haben Sie sich in Europa aufgehalten und wann sind Sie wieder zurückgekehrt?

BF: Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern. Laut afghanischen Kalender kann ich mich nicht mehr erinnern, aber nach unserem Kalender war das Ende 2006, Anfang 2007.

R: Wie lange waren Sie dann in Europa?

BF: Zweieinhalb bis drei Jahre. Bis Ende 2009.

R: Wo hält sich Ihre Ehefrau auf?

BF: In Pakistan.

R: Seit wann ist sie dort?

BF: Als ich in den Iran geflohen bin, ca. fünf Monate später ist sie mit ihrer Mutter nach Pakistan gereist.

R: Sie haben bei der Einvernahme im Jahre 2016 unteranderem davon gesprochen, dass sich noch Verwandte Ihrer Frau noch in Afghanistan aufhalten würden. Was sagen Sie dazu?

BF: Damals habe ich das gesagt?

R: Ja.

BF: Ja, damals waren Verwandte dort aufhältig. Meine Frau ist einmal von Pakistan nach Kabul zurückgereist, weil sie konnte die Sachen vom Haus nicht bei einer Reise mitnehmen. Zu diesem Zeitpunkt, als meine Frau in Kabul aufhältig war, hat sie mir die Tazkira übers Internet geschickt und damals waren die Verwandten noch in Afghanistan.

R: Das heißt, Familienangehörige Ihrer Ehefrau, also Familienangehörige des Täters des Schwiegervaters haben sich nach der Tat eine längere Zeit hinweg in Afghanistan aufgehalten?

BF: Ja.

R: Wann haben Sie erfahren, dass das Opfer nicht verstorben war?

BF: Als wir Afghanistan verlassen haben und nach Pakistan gereist sind, sind wir zu meiner Schwägerin gegangen. Das ist die älteste Schwester meiner Frau. Der Mann von meiner Schwägerin war in Kabul Lehrer und über ihm haben wir es erfahren.

R: Der ist nach wie vor in Kabul?

BF: Wegen seinem Beruf als Lehrer ist er das ganze Jahr in Kabul, in den Schulferien ist er in Pakistan.

R: Warum sind Sie nicht in Pakistan geblieben?

BF: Mein Schwiegervater hat mir gesagt, dass hier mein Leben auch nicht sicher ist, ich bin in Gefahr.

R: Was wissen Sie, über die Hintergründe des Mordanschlages? Wer ist das?

BF: Ich weiß es bis heute nicht, aus welchem Grund er erschossen worden ist. Ich war immer zu Hause mit meinem Leben beschäftigt. Dieser Mann war zuständig für die Jirga im Distrikt.

R: Welche Motivation hat Ihr Schwiegervater, auf ihn zu schießen?

BF: Das weiß ich nicht.

R: Wie lange waren Sie gemeinsam mit Ihrem Schwiegervater im Iran aufhältig?

BF: Ich war gar nicht mit meinem Schwiegervater im Iran. Ich war mit dem Freund von Schwiegervater im Iran.

R: Sie sind mit Ihrem Schwiegervater nach Pakistan, dann hat er einen Schlepper organisiert, der Sie in den Iran gebracht hat?

BF: ja.

R: Dann waren Sie etwa 10 Monate im Iran und haben dort gearbeitet?

BF: Ja.

R: Waren Sie im Iran irgendeiner Verfolgung ausgesetzt?

BF: In dieser Firma, wo ich gearbeitet habe. Es war die Firma des Freundes meines Schwiegervaters. Da durfte ich niemals hinaus.

R: Haben Sie zu keiner Zeit versucht - in dieser nicht so guten Situation für Sie - von Ihrem Schwiegervater über die Hintergründe zu erfahren? Das ist völlig unplausibel.

BF: Wenn ich nachgefragt habe, hat er immer gesagt, dass es mich nichts angeht.

R: Ihre zweimalige Ausreise Richtung Europa zeigt vielmehr einen Wunsch nach einer Veränderung und nach einer Verbesserung der Lebenssituation, dass Sie für beide Ausreisemotive keine dichte und schlüssige Motivation aufzuzeigen vermochten.

Die Vertreterin spricht kurz mit ihrem Mandanten.

BFV: Der BF ersucht zum Themenkreis Asyl fortzusetzen.

R: Zurück zu dem Attentat: Was können Sie mir darüber genau berichten?

BF: Es war Sommer. Wir haben ganz normal unsere landwirtschaftliche Tätigkeit geführt. Da das Wetter so heiß war, haben wir meistens so gegen 11:00 Uhr oder 11:30 Uhr mit der Arbeit aufgehört, weil es so heiß war und blieben bis 15:30 Uhr oder 16:00 Uhr zu Hause. Wir haben gegessen und geschlafen und haben abgewartet bis es ein bisschen kühler wird, um die Arbeit fortzusetzen. Ich habe zu Hause geschlafen, als mein Schwiegervater zu mir nach Hause gekommen ist. Er hat gesagt, komm begleite mich auf dem Berg, damit ich telefonieren kann. Da wir keinen Empfang hatten, gab es ein kleines Dorf namens XXXX . Das war neben einem Berg, wo man einen besseren Empfang hatte. Nur in diesem Dorf hat es für ein Mobiltelefon Empfang gegeben. Wir kamen im Dorf XXXX an. Es gab eine Straße, wo wir Richtung Berg fuhren. Als wir oben am Berg ankamen... Ich bin auf dem Motorrad gefahren und mein Schwiegervater ist hinter mir gesessen. Er hat gesagt, ich soll anhalten. Das war oben am Berg. Ich bin neben dem Moped gestanden und mein Schwiegervater auch und wir haben uns herumgeschaut. Ich sah von oben, dass ein Moped Richtung uns runter fährt. Als er näher kam, hat mein Schwiegervater gesagt, lass uns weiterfahren. Als ich wegfahren wollte, war das andere Moped so nah, ich meine damit ganz nah, als mein Schwiegervater dann auf ihn geschossen hat. Er fiel zu Boden. Er war alleine. Ich habe dann Angst bekommen und blieb mit dem Moped stehen. Mein Schwiegervater hielt die Waffe an meinem Hals und sagte mir, ich soll weiterfahren und nicht stehen bleiben. Ich habe gesagt, was passiert ist. Daraufhin sagte er, ich habe ihn erschossen, es darf uns niemand sehen, fahr weiter. Ich fuhr dann weiter hinauf in das Dorf XXXX . Als wir in der Nähe von XXXX ankamen, versteckten wir unser Moped. Im Dorf XXXX haben wir uns dann einen PKW genommen und sind nach Ghazni gefahren.

R: Erster Vorhalt: Vor dem BFA klingen Ihre Ausführungen ein wenig anders. Es wird aus AS 155, zweiter Absatz vorgelesen.

BF: Ich weiß nicht, ob in Afghanistan bei der Behörde ein Festnetz, Telefon noch gibt. Das kann ich nicht sagen. Ich weiß jedoch, dass ganz Afghanistan mittlerweile Mobiltelefone hat und bei meiner Einvernahme vor dem BFA meinte ich auch ein Mobiltelefon, sowie ich es heute erzählte. Bei meiner Einvernahme vor dem BFA hat es vielleicht meine Dolmetscherin falsch übersetzt oder sie hat mich falsch verstanden.

R: Zweiter Vorhalt: Es wird aus AS 155, ab Zeile 7 vorgelesen.

BF: Er sagt, wir müssten von XXXX die Straße hinauffahren. Wir sind aber noch vor dem Berg XXXX stehengeblieben.

R: Sie haben auch vor dem BFA mit keiner Silbe erwähnt, dass Ihr Schwiegervater Sie unmittelbar selbst mit der Waffe bedroht hat. Was sagen Sie dazu?

BF: Ich habe das gesagt.

R: Haben Sie das Opfer gekannt?

BF: Ja.

R: Wer war das?

BF: Es war XXXX .

R: Woher kannten Sie den? Von wo war er?

BF: Er lebte in unserer Wohngegend, aber nicht in unserem Dorf. Er hat immer bei den Koranlesungen teilgenommen.

R: Sie haben vor dem BFA gesagt, dass er vom Dorf war. Heute sagen Sie, er war nicht aus dem Dorf. Was sagen Sie dazu?

BF: Es gehört auch zu unserem Wohndorf, aber 10 Minuten zu Fuß entfernt.

R: Ich informiere Sie, über die Voraussetzungen, über die Gründe von Asyl. Wo würden Sie sich einreihen?

BF: Dieser Mann der getötet worden ist, hat zwei Söhne die beim Militär arbeiten.

R: War dieser Mann auch ein Landwirt, so wie Sie?

BF: Er war Jirga und auch Jiratu. Er war zuständig für den Distrikt.

R: Sie haben in Ihrer Beschwerde ausgeführt, dass die Kinder dieses Mannes, und haben sie das erst später erfahren, zum Zeitpunkt Ihrer Ausreise erst 15 Jahre alt gewesen sein. Also können diese nicht beim Militär gewesen sein. Was sagen Sie dazu?

BF: Ja, die waren beim Militär. In Afghanistan ist es so, dass 12- oder 13-Jährige zum Militär gehen und ich habe es auch gesehen.

BFV: Keine Fragen.

R: Ich verweise auf die aktualisierte Information des Länderinformationsblatt mit 13.11.2019 und wird eine Frist von zwei Wochen zur Einbringung allfälliger Stellungnahme geboten.

R: Haben Sie in Österreich familiäre Bindungen?

BF: Nein. Meine Frau ist in Pakistan.

R: Hatten Sie in Österreich die Möglichkeit einer Erwerbstätigkeit nachzugehen?

BF: Nein. Ich habe beim Roten Kreuz ehrenamtlich gearbeitet.

R: Möchten Sie aus Stand der Integration, aus Eigenem noch etwas sagen?

BF: Nein.

BFV: Keine Stellungnahme.

R: Die Dolmetscherin wird Ihnen jetzt die gesamte Verhandlungsschrift rückübersetzen. Bitte passen Sie gut auf, ob alle Ihre Angaben korrekt protokolliert wurden. Sollten Sie einen Fehler bemerken oder sonst einen Einwand haben, sagen Sie das bitte.

BF: Ich bitte um eine Rückübersetzung.

Die vorläufige Fassung der bisherigen Niederschrift wird durch die D dem BF rückübersetzt.

Keine Einwendungen.

Ende der Befragung.

Im Rahmen der Beschwerdeverhandlung wurde der Antragsteller auf die aktualisierte Version des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation vom November 2019 verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Antragsteller ist Staatsangehöriger von Afghanistan, zugehörig vom Volk der Hazara und schiitischen Glaubens.

Der Antragsteller verfügt über eine sechsjährige Grundschulbildung und stammt aus der Provinz Ghazni. Der Antragsteller hat sich in den Jahren 2007 bis 2009 in Norwegen, Deutschland, Dänemark und Griechenland aufgehalten. Der Antragsteller arbeitete vor seiner letztmaligen Ausreise und Antragstellung in Österreich in Afghanistan in der Landwirtschaft. Der Antragsteller hat sich nach seiner letztmaligen Ausreise aus Afghanistan im Jahr 2014 etwa ein Jahr lang im Iran aufgehalten. Die seitens des Antragstellers im Verfahren relevierten Umstände im Herkunftsstaat, die seiner Darstellung nach zu seiner letztmaligen Ausreise geführt haben, können nicht als gesicherter Sachverhalt festgestellt werden.

Der Antragsteller hat in Österreich Anstrengungen zum Spracherwerb unternommen sowie hat er teilweise ehrenamtlich gearbeitet. Der Antragsteller hat einen Werte- und Orientierungskurs sowie einen Erste-Hilfe-Grundkurs absolviert.

Der Antragsteller verfügt im österreichischen Bundesgebiet über keinerlei verwandtschaftliche oder sonstige enge Bindungen.

Der Antragsteller leidet an keinen schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen und ist der Antragsteller arbeitsfähig.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation 13.11.2019 (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel, die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss, als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung. Die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen als auch regierungsfeindliche Elemente bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: Die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte, die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren, und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran, ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit, dies insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registrierten die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert, wobei auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen - ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle, bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion, weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: Bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurde, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018

Die afghanische Regierung bemühte sich, Wahllokale zu sichern, was mehr als 4 Millionen afghanischen Bürgern ermöglichte zu wählen (UNAMA 11.2018). Und auch die Vorkehrungen der ANDSF zur Sicherung der Wahllokale ermöglichten eine Wahl, die weniger gewalttätig war als jede andere Wahl der letzten zehn Jahre (USDOS 12.2018). Die Taliban hatten im Vorfeld öffentlich verkündet, die für Oktober 2018 geplanten Parlamentswahlen stören zu wollen. Ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl 2014 warnten sie Bürger davor, sich für die Wahl zu registrieren, verhängten "Geldbußen" und/oder beschlagnahmten Tazkiras und bedrohten Personen, die an der Durchführung der Wahl beteiligt waren (UNAMA 11.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Von Beginn der Wählerregistrierung (14.4.2018) bis Ende des Jahres 2018, wurden 1.007 Opfer (226 Tote, 781 Verletzte) sowie 310 Entführungen aufgrund der Wahl verzeichnet (UNAMA 24.2.2019). Am Wahltag (20.10.2018) verifizierte UNAMA 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) durch durch die Wahl bedingte Gewalt, die höchste Anzahl an zivilen Opfern an einem Wahltag seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNAMA im Jahr 2009 (UNAMA 11.2018).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer. 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für diese beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019).

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) - seine Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub - Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) - Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: Professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger in acht Provinzen betreiben (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und eine wichtige Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015 als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018) bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).

Berichten zufolge besteht der ISKP in Pakistan hauptsächlich aus ehemaligen Teherik-e Taliban Mitgliedern, die vor der pakistanischen Armee und ihren militärischen Operationen in der FATA geflohen sind (CRS 12.2.2019;vgl. CTC 12.2018). Dem Islamischen Staat ist es gelungen, seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan dadurch zu stärken, dass er Partnerschaften mit regionalen militanten Gruppen einging. Seit 2014 haben sich dem Islamischen Staat mehrere Gruppen in Afghanistan angeschlossen, z.B. Teherik-e Taliban Pakistan (TTP)-Fraktionen oder das Islamic Movement of Uzbekistan (IMU), während andere ohne formelle Zugehörigkeitserklärung mit IS-Gruppierungen zusammengearbeitet haben, z.B. die Jundullah-Fraktion von TTP oder Lashkar-e Islam (CTC 12.2018).

Der islamische Staat hat eine Präsenz im Osten des Landes, insbesondere in der Provinz Nangarhar, die an Pakistan angrenzt (CRS 12.2.2019;vgl. CTC 12.2018). In dieser sind vor allem bestimmte südliche Distrikte von Nangarhar betroffen (AAN 27.9.2016; vgl. REU 23.11.2017; AAN 23.9.2017; AAN 19.2.2019), wo sie mit den Taliban um die Kontrolle kämpfen (RFE/RL 30.10.2017; vgl. AAN 19.2.2019). Im Jahr 2018 erlitt der ISKP militärische Rückschläge sowie Gebietsverluste und einen weiteren Abgang von Führungspersönlichkeiten. Einerseits konnten die Regierungskräfte die Kontrolle über ehemalige IS-Gebiete erlangen, andererseits schwächten auch die Taliban die Kontrolle des ISKP in Gebieten in Nangarhar (UNSC 13.6.2019; vgl. CSR 12.2.2019). Aufgrund der militärischen Niederlagen war der ISKP dazu gezwungen, die Anzahl seiner Angriffe zu reduzieren. Die Gruppierung versuchte, die Provinzen Paktia und Logar im Südosten einzunehmen, war aber schlussendlich erfolglos (UNSC 31.7.2019). Im Norden Afghanistans versuchten sie ebenfalls Fuß zu fassen. Im August 2018 erfuhr diese Gruppierung Niederlagen, wenngleich sie dennoch als Bedrohung in dieser Region wahrgenommen wird (CSR 12.2.2019). Berichte über die Präsenz des ISKP könnten jedoch übertrieben sein, da Warnungen vor dem Islamischen Staat laut einem Afghanistan-Experten "ein nützliches Fundraising-Tool" sind: So kann die afghanische Regierung dafür sorgen, dass Afghanistan im Bewusstsein des Westens bleibt und die Auslandshilfe nicht völlig versiegt (NAT 12.1.2017). Die Präsenz des ISKP konzentrierte sich auf die Provinzen Kunar und Nangarhar. Außerhalb von Ostafghanistan ist es dem ISKP nicht möglich, eine organisierte oder offene Präsenz aufrechtzuerhalten (UNSC 13.6.2019).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit (CSR 12.2.2019; vgl. UNAMA 24.2.2019; AAN 24.2.2019; CTC 12.2018; UNGASC 7.12.2018; UNAMA 10.2018). Im Jahr 2018 war der ISKP für ein Fünftel aller zivilen Opfer verantwortlich, obwohl er über eine kleinere Kampftruppe als die Taliban verfügt (AAN 24.2.2019). Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt (UNAMA 24.2.2019), nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab (UNAMA 30.7.2019).

Der ISKP verurteilt die Taliban als "Abtrünnige", die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CRS 12.2.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.8.2019; vgl. AP 19.8.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.8.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (WP 19.8.2019).

Al-Qaida und ihr verbundene Gruppierungen

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont (UNSC 15.1.2019). Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist Al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und Al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv (UNSC 13.6.2019).

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht, die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren Al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder (UNSC 13.6.2019).

Im Rahmen der Friedensgespräche mit US-Vertretern haben die Taliban angeblich im Jänner 2019 zugestimmt, internationale Terrorgruppen wie Al-Qaida aus Afghanistan zu verbannen (TEL 24.1.2019).

Sicherheitsbehörden

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF - Afghan National Defense and Security Forces) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte (CIA 13.5.2019).

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan's Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die ANA untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig, ihre primäre Aufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Aufständischen innerhalb Afghanistans. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul (USDOS 13.3.2019). Die afghanischen Sicherheitskräfte werden teilweise von US-amerikanischen bzw. Koalitionskräften unterstützt (USDOD 12.2018).

Die autorisierte Truppenstärke der ANDSF wird mit 352.000 beziffert (USDOD 6.2019; vgl. SIGAR 30.7.2019). Dies beinhaltet 227.374 Mitglieder der ANA und 124.626 Mitglieder der ANP. Die ALP zählt mit einer Stärke von 30.000 Leuten als eigenständige Einheit (USDOD 6.2019). Die zugewiesene (tatsächliche) Truppenstärke der ANDSF soll jedoch nur 272.465 betragen. Die Truppenstärke ist somit seit dem Beginn der RS-Mission im Jänner 2015 stetig gesunken. Der Rückgang an Personal wird allerdings auf die Einführung eines neuen Systems zur Gehaltsauszahlung zurückgeführt, welches die Zahlung von Gehältern an nichtexistierende Soldaten verhindern soll (SIGAR 30.7.2019; NYT 12.8.2019).

Die Anzahl der in der ANDSF dienenden Frauen hat sich erhöht. Nichtsdestotrotz bestehen nach wie vor strukturelle und kulturelle Herausforderungen, um Frauen in die ANDSF und die afghanische Gesellschaft zu integrieren (USDOD 6.2019). Mit Stand April 2019 waren 5.462 Frauen in den ANDSF, 500 mehr als im Quartal davor und 900 mehr zum Vergleichszeitraum des Vorjahres (SIGAR 30.7.2019). Sowohl bei der ANA als auch bei der ANP glich die Rate der Rekrutierungen die Ausfallsrate aus (USDOD 6.2019).

Afghanische Nationalarmee (ANA)

Die ANA ist für die externe Sicherheit verantwortlich. Dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen (USDOS 13.3.2019). Das Verteidigungsministerium hat die Stärke der ANA mit 227.374 autorisiert (USDOD 6.2019). Das Combined Security Transition Command-Afghanistan (CSTC-A), ein US-geführtes Kommando, nennt eine Truppenstärke von 180.869. 1.812 Frauen dienen in der ANA und 86 weitere in der AAF (SIGAR 30.7.2019). Die monatliche Ausfallsquote, die im zweiten Quartal 2019 durchschnittlich bei 2,6% lag (SIGAR 30.7.2019), ist nach wie vor ein Problem in der ANA (USDOD 12.2019).

Afghan National Police (ANP) und Afghan Local Police (ALP)

Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA (USDOD 6.2019; vgl. SIGAR 30.7.2019), jedoch ist es nach wie vor das Langzeitziel der ANP, sich in einen traditionellen Polizeiapparat zu verwandeln (USDOD 12.2018).

Dem Innenministerium (MoI) unterstehen die vier Teileinheiten der ANP: Afghanische Uniformierte Polizei (AUP), Polizei für Öffentliche Sicherheit (PSP, beinhaltet Teile der ehemaligen Afghanischen Polizei für Nationale Zivile Ordnung, ANCOP), Afghan Border Police (ABP), Kriminalpolizei (AACP), Afghan Local Police (ALP) und Afghan Public Protection Force (APPF). Das Innenministerium beaufsichtigt darüber hinaus drei Spezialeinheiten des Polizeigeneralkommandanten (GCPSU) sowie die Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA) (USDOD 12.2018). Der autorisierte Personalstand der ANP beträgt 124,626 (USDOD 6.2019), CSTC-A meldet dagegen eine Truppenstärke von 91.596. 3.650 Frauen dienen in der ANP (SIGAR 30.7.2019).

Im Gegensatz zur ANA bietet die ANP keine finanziellen Anreize für die Fortführung des Dienstes - eine mögliche Erklärung dafür, warum die ANA die ANP-Verbleibquoten übertrifft. Durch den Law and Order Trust Fund for Afghanistan (LOTFA), der die Mehrheit der ANP-Gehälter finanziert, wird ermöglicht, die ANP-Gehälter an die steigenden Lebenshaltungskosten anzupassen (USDOD 12.2019).

Die ALP wird ausschließlich durch die USA finanziert (USDOD 6.2019) und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (USDOD 6.2019; vgl. SIGAR 30.7.2019). Die Mitglieder werden von Dorfältesten oder lokalen Anführern zum Schutz ihrer Gemeinschaften vor Angriffen Aufständischer ausgewählt (SIGAR 30.7.219; vgl. USDOD 6.2019). Die ALP untersteht dem Innenministerium, der Personalstand wird jedoch nicht den ANDSF zugerechnet (SIGAR 30.4.2019). Die Stärke der ALP, deren Mitglieder auch als "Guardians" bezeichnet werden, wird auf rund 30.000 Mann stark geschätzt (USDOD 6.2019; vgl. SIGAR 30.7.2019; vgl.) - davon waren rund 23.500 voll ausgebildet (SIGAR 30.7.2019).

Resolute Support Mission

Die Resolute Support Mission ist eine von der NATO geführte Mission, die mit 1.1.2015 ins Leben gerufen wurde. Hauptsächlich konzentriert sie sich auf Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsaktivitäten auf ministerieller und Behördenebene sowie in höheren Rängen der Armee und Polizei. Die Personalstärke der Resolute Support Mission beträgt 16.000 Mann (durch 39 NATO-Mitglieder und andere Partner). Das Hauptquartier befindet sich in Kabul/Bagram mit vier weiteren Niederlassungen in Mazar-e-Sharif im Norden, Herat im Westen, Kandahar im Süden und Laghman im Osten (NATO 18.7.2018).

Sicherheitslage in den einzelnen Provinzen

Kabul

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans (PAJ o.D.) und grenzt an Parwan und Kapisa im Norden, Laghman im Osten, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden sowie Wardak im Westen. Provinzhauptstadt ist Kabul-Stadt (NPS o.D.). Die Provinz besteht aus den folgenden Distrikten: Bagrami, Chahar Asyab, Dehsabz, Estalef, Farza, Guldara, Kabul, Kalakan, Khak-e-Jabar, Mir Bacha Kot, Musahi, Paghman, Qara Bagh, Shakar Dara und Surubi/Surobi/Sarobi (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

Laut dem UNODC Opium Survey 2018 verzeichnete die Provinz Kabul 2018 eine Zunahme der Schlafmohnanbaufläche um 11% gegenüber 2017. Der Schlafmohnanbau beschränkte sich auf das Uzbin-Tal im Distrikt Surubi (UNODC/MCN 11.2018).

Kabul-Stadt - Geographie und Demographie

Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Es ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 5.029.850 Personen für den Zeitraum 2019-2020 (CSO 2019). Die Bevölkerungszahl ist jedoch umstritten. Einige Quellen behaupten, dass sie fast 6 Millionen beträgt (AAN 19.3.2019). Laut einem Bericht expandierte die Stadt, die vor 2001 zwölf Stadtteile - auch Police Distrikts (USIP 4.2017), PDs oder Nahia genannt (AAN 19.3.2019) - zählte, aufgrund ihres signifikanten demographischen Wachstums und ihrer horizontalen Expansion auf 22 PDs (USIP 4.2017). Die afghanische zentrale Statistikorganisation (Central Statistics Organization, CSO) schätzt die Bevölkerung der Provinz Kabul für den Zeitraum 2019-2020 auf 5.029.850 Personen (CSO 2019). Sie besteht aus Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).

Hauptstraßen verbinden die afghanische Hauptstadt mit dem Rest des Landes (UNOCHA 4.2014). In Kabul-Stadt gibt es einen Flughafen, der mit internationalen und nationalen Passagierflügen bedient wird (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).

Die Stadt besteht aus drei konzentrischen Kreisen: Der erste umfasst Shahr-e Kohna, die A

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten