TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/10 W204 2194056-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.03.2020
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Entscheidungsdatum

10.03.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W204 2194056-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX M XXXX , geb. am XXXX .1999, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH - ARGE Rechtsberatung, gegen Spruchpunkt I. des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.03.2018, Zl. 1106489500 - 160289159/BMI-BFA_SBG_AST_01, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste in das Bundesgebiet ein und stellte am 23.02.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2. Am darauffolgenden Tag wurde der BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Niederösterreich niederschriftlich erstbefragt. Befragt nach seinen Fluchtgründen führte der BF aus, er sei im Iran aufgewachsen und von dort nach Afghanistan abgeschoben worden. Da in Afghanistan Unruhe herrsche und es keine Sicherheit gebe, habe er beschlossen, nach Europa zu flüchten, da er nicht im Iran bleiben dürfe.

I.3. Am 29.11.2017 wurde der BF von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Farsi und einer Vertrauensperson unter anderem zu seinem Gesundheitszustand, seiner Identität, seinen Lebensumständen in Afghanistan, seinen Familienangehörigen und seinen Lebensumständen in Österreich befragt. Nach den Gründen befragt, die den BF bewogen, seine Heimat zu verlassen, gab er an, er habe seit seiner frühen Kindheit im Iran gelebt und sei dort diskriminiert worden. Da er keine Aufenthaltsberechtigung gehabt habe, sei er nach Afghanistan abgeschoben worden. Dort habe er aufgrund der von ihm gesehenen Fernsehberichte unter anderem über den Völkermord an den Hazara große Angst gehabt und sei mithilfe eines Schleppers wieder in den Iran zurückgekehrt. Nach Afghanistan könne er nicht zurück, weil er jetzt keiner Religion mehr angehöre, wobei das von außen niemand merke.

I.4. Mit Bescheid vom 20.03.2018, dem BF am 26.03.2018 zugestellt, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) abgewiesen. Dem BF wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

Soweit verfahrenswesentlich führte das BFA begründend aus, dass sich aus dem Vorbringen des BF keine asylrelevante Verfolgung ergebe, zumal sich dieses auf den Iran beziehe. Der BF bekenne sich nicht zu einer Religion, was sich jedoch nicht nach außen äußere, sodass daraus keine Verfolgung drohe, weshalb keine Asylgewährung erfolgen könne.

I.5. Mit Verfahrensanordnung vom 22.03.2018 wurde dem BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

I.6. Am 23.04.2018 erhob der BF durch seine Vertreterin Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens. Es wurde beantragt, eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen, dem BF den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, in eventu den Bescheid im angefochtenen Umfang ersatzlos zu beheben und zur neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückzuverweisen.

Begründend wurde insbesondere ausgeführt, das BFA habe eine mangelhafte Befragung zur Abkehr vom Islam durchgeführt. Ein längerfristiges Leben in Afghanistan sei für den BF nicht möglich, da die afghanische Gesellschaft unweigerlich seine religiöse Einstellung erfahren würde. Zudem wurden Länderberichte zur Apostasie vorgelegt.

I.7. Die Beschwerde und der Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 30.04.2018 vorgelegt.

I.8. Am 25.07.2018 nahm der BF zu den zuvor übermittelten aktuellen Länderinformationen Stellung und legte weitere Berichte zur Situation von Atheisten und vom Islam abgefallenen Personen vor.

I.9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 13.06.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der der BF und seine Vertreterin teilnahmen. Das BFA verzichtete auf die Teilnahme an der Verhandlung. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde der BF im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Farsi u.a. zu seiner Identität und Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, seinen Familienangehörigen, seinen Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen sowie zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich ausführlich befragt und wurden die mit der Ladung übermittelten Länderberichte erörtert.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

- Einsicht in den den BF betreffenden und dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, insbesondere in die Befragungsprotokolle;

- Befragung des BF im Rahmen einer öffentlich mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 13.06.2019;

- Einsicht in die in das Verfahren eingeführten Länderberichte zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat und in die vom BF vorgelegten Unterlagen;

- Einsicht in das ZMR, das Strafregister und das Grundversorgungssystem.

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Zum BF und seinen Fluchtgründen:

Die Identität des BF steht mangels Vorlage unbedenklicher Identitätsnachweise nicht fest. Der BF ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Hazara an.

Der BF wurde in Afghanistan in M XXXX in XXXX in der Provinz Ghazni geboren. Im Jahr 2001 verließ der BF aufgrund der kriegerischen Handlungen und der allgemeinen Unsicherheit gemeinsam mit seiner Familie Afghanistan und ging in den Iran. Der BF besuchte im Iran gegen Bezahlung fünf Jahre lang eine offizielle iranische Schule, danach besuchte er fünf Jahre lang eine illegale afghanische Schule und danach ein weiteres Jahr wiederum gegen Bezahlung eine offizielle iranische Schule. Der BF kann sowohl auf Dari als auch auf Farsi lesen und schreiben, er spricht Farsi.

Im Jahr 2015 wurde der BF aus dem Iran nach Afghanistan abgeschoben, wo er sich etwa eine Woche lang aufhielt. Die erste Nacht verbrachte er in einer Moschee in Herat, die restliche Zeit in einem Schlepperquartier, wo er die Gebete gemeinsam mit seinem Schlepper verrichtete.

Die Eltern des BF leben nach wie vor im Iran. Sein Vater ist Bauarbeiter und sorgt auch für den Lebensunterhalt der Mutter des BF. Die Eltern haben keine wirtschaftlichen Probleme. Der BF steht in regelmäßigem Kontakt zu seinen Eltern. Im Iran leben weiters ein Onkel mütterlicherseits, der für eine Baufirma als Wächter tätig ist, zwei Tanten mütterlicherseits und eine Tante väterlicherseits. Ein Onkel väterlicherseits lebt in Pakistan.

Der BF wurde in eine schiitische Familie geboren und in diesem Glauben erzogen. Seine Eltern waren streng gläubig, während der BF nur gelegentlich das Gebet verrichtete und nur manchmal die Moschee besuchte. Er hatte deswegen keine Probleme mit seinen Eltern. Auch nach seiner Ankunft in Österreich besuchte der BF die Moschee. Seit einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt, jedenfalls aber vor der Einvernahme des BFA, besucht der BF keine Moschee mehr. Der BF übt seitdem seinen Glauben in Österreich nicht mehr aktiv aus.

Der BF besucht Diskos, trinkt Alkohol und isst Schweinefleisch, weil dies in Österreich kein Problem darstellt. Er ist in Österreich mit in Afghanistan aufgewachsenen Afghanen befreundet und hat mit diesen keine Probleme. Der BF spricht nicht von sich aus über seine Religion und tätigt in Österreich keine Schritte gegen den Islam, so kritisiert er den Islam in Gesprächen nicht und will auch andere Moslems nicht von seiner Weltanschauung überzeugen. Seine Eltern hat der BF nicht von seinem Glaubensabfall informiert.

Der BF ist kein Mitglied der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich. Im Vorbereitungslehrgang für Berufstätige für technische Fachrichtungen für Bautechnik im Schuljahr 2017/18 hat er den Religionsunterricht nicht besucht. Derzeit besucht der BF einen siebensemestrigen Aufbaulehrgang für Berufstätige für Bautechnik an einer HTL, in der er ebenfalls keinen Religionsunterricht besucht.

Der BF würde bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine Schritte setzen, aus denen seine Umgebung schließen könnte, dass der BF den schiitischen Islam nicht mehr praktiziert. Es liegt keine ernsthafte Abwendung vom Islam vor, die sich zu einer inneren Überzeugung und einem maßgeblichen Bestandteil seiner Identität verdichtet hat und weiterhin in Afghanistan von ihm gelebt werden würde. Es ist zu erwarten, dass der BF - selbst wenn er nicht tatsächlich gläubig ist - sich auch in Zukunft wieder an sein Umfeld anpassen und nach außen hin religiöse Handlungen setzen wird, wenn dies aus gesellschaftlichen, moralischen oder religiösen Gründen opportun ist. Es konnte nicht festgestellt werden, dass er sich zu seiner vorgeblichen Konfessionslosigkeit bekennen wird.

Der BF hat im Fall seiner Rückkehr aufgrund seiner persönlichen Eigenschaften, wie seiner Denkweise zum Islam und seinem geringen Interesse am Praktizieren des islamischen Glaubens, keine gegen ihn gerichtete integritätsgefährdende Bedrohung von maßgeblicher Intensität zu befürchten.

Dem BF droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine Verfolgung aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung.

Dem BF wurde durch das BFA mit Bescheid vom 20.03.2018 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. Diese wurde mit Bescheid vom 20.03.2019 um zwei Jahre verlängert.

In Österreich hat der BF den Führerschein der Klasse B erfolgreich bestanden. Er hat in Österreich erfolgreich die Pflichtschulabschlussprüfung bestanden und spricht sehr gut Deutsch. Er hat im Jahr 2017 an einem Theaterworkshop teilgenommen und sich freiwillig engagiert. Er ist Mitglied eines Fußballvereins. Seit 03.12.2018 ist der BF als Verkäufer in einem Bekleidungsunternehmen angestellt und erhält dafür einen monatlichen Bruttolohn in Höhe von ? 824,- zuzüglich einer umsatzabhängigen Provision.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig.

II.1.2. Zur Situation im Herkunftsland:

Allgemeine Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 29.06.2018 mit letzter Kurzinformation vom 26.03.2019 - LIB 26.03.2019, S. 16). Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (LIB 26.03.2019, S. 59).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (LIB 26.03.2019, S.59). Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan; für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712. Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (LIB 26.03.2019, S. 60). Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 4.436 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (LIB 26.03.2019, S. 18). Im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 registrierten die UN 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet (LIB 26.03.2019, S. 16).

Im Berichtszeitraum 1.1.2018 bis 30.9.2018 registrierte die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) 8.050 zivile Opfer (LIB 26.03.2019, S. 32). Die UNAMA registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (LIB 26.03.2019, S. 20).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben (LIB 26.03.2019, S. 62). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 26.03.2019, S. 16).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 26.03.2019, S. 70). Mit Stand 22.10.2018 kontrollierte beziehungsweise beeinflusste die Regierung - laut Angaben der Resolute Support Mission - 53,8% der Distrikte. 33,9% waren umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (LIB 26.03.2019, S. 16).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB 26.03.2019, S. 63).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat IS) verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 26.03.2019, S. 63). Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 26.03.2019, S. 63).

Am Donnerstag, dem 9.8.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt Ghaznis, einer strategisch bedeutenden Provinz, die sich auf der Achse Kabul-Kandahar befindet. Nach fünftägigen Zusammenstößen zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Aufständischen konnten letztere zurückgedrängt werden. Während der Kämpfe kamen ca. 100 Mitglieder der Sicherheitskräfte ums Leben und eine unbekannte Anzahl Zivilisten und Taliban (LIB 26.03.2019, S. 47f).

Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv und zeichnete im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia, auf die Mawoud-Akademie in Dasht-e Barchi/Kabul am 15.08.2018, auf einen Wrestling-Klub im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi am 05.09.2018 sowie auf eine Demonstration gegen die Übergriffe der Taliban in Ghazni und Uruzgan am 12.11.2018 und auf das Kabuler Gefängnis Pul-i-Charkhi am 31.10.2018 verantwortlich (LIB 26.03.2019, S. 17, 29, 37).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, das Personenstands- und Urkundenwesen in Afghanistan ist kaum entwickelt. Die lokalen Gemeinschaften verfügen über zahlreiche Informationen über die Familien in dem Gebiet und die Ältesten haben einen guten Überblick (LIB 26.03.2019, S. 346f).

Zur Provinz Ghazni:

Ghazni ist eine der wichtigsten Zentralprovinzen Afghanistan und liegt 145 km südlich von Kabul Stadt entfernt. Ghazni liegt an der Autobahn Kabul-Kandahar. Laut dem afghanischen Statistikbüro ist Ghazni die Provinz mit der zweithöchsten Bevölkerungszahl, die auf 1.270.319 Bewohner und Bewohnerinnen geschätzt wird (LIB 26.03.2019, S. 123).

Im Februar 2018 wurde verlautbart, dass Ghazni zu den relativ volatilen Provinzen im südöstlichen Teil des Landes zählt. Die Provinz grenzt an unruhige Provinzen des Südens. Die Taliban und Aufständische anderer Gruppierungen sind in gewissen Distrikten aktiv und es kommt zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Aufständischen. Im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) (15.12.2017-15.2.2018) haben regierungsfeindliche Elemente auch weiterhin Druck auf die afghanischen Sicherheitskräfte ausgeübt, indem koordinierte Angriffe auf Kontrollpunkte der afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte unter anderem in der Provinz Ghazni verübt wurden. Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 163 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 353 zivile Opfer in Ghazni (139 getötete Zivilisten und 214 Verletzte) registriert (LIB 26.03.2019, S. 124f).

Ethnische Minderheiten:

In Afghanistan leben mehr als 34.1 Millionen Menschen. Es sind ca. 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken (LIB 26.03.2019, S. 314). Paschtunen sind somit die größte Ethnie Afghanistans (LIB 26.03.2019, S. 319). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten, wo diese mehrheitlich gesprochen werden, eingeräumt (LIB 26.03.2019, S. 315).

Hazara

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azãrajãt) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak, Central Bihsud/Behsood und Hisa-i-AwaI Bihsud. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild; andererseits gehören ethnische Hazara hauptsächlich dem schiitischen Islam an (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten (LIB 26.03.2019, S. 316f).

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (LIB 26.03.2019, S. 317).

Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert; vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet. Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht. Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert (26.03.2019, S. 317).

So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Es existiere in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Hazara beschweren sich über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft. Arbeitsplatzanwerbung erfolgt hauptsächlich über persönliche Netzwerke; Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke (26.03.2019, S. 317).

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf; soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangs-rekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (LIB 26.03.2019, S. 318).

Religionen:

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert. Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (LIB 26.03.2019, S. 304f). Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, enthält keine Definition von Apostasie. Zwischen 2014 und 2016 gab es keine Berichte zu staatlicher Verfolgung wegen Apostasie oder Blasphemie (LIB 26.03.2019, S. 304f, 309).

Schiiten

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 - 15% geschätzt. Zur schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und ein Großteil der ethnischen Hazara. Die meisten Hazara-Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. Afghanische Schiiten und Hazara neigen dazu, weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein als ihre Glaubensbrüder im Iran (LIB 26.03.2019, S. 307f).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen. Obwohl einige schiitische Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demographischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiere; auch vernachlässige die Regierung in mehrheitlich schiitischen Gebieten die Sicherheit (LIB 26.03.2019, S. 307f).

Die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit ist zurückgegangen; dennoch kommt es zu lokalen Diskriminierungsfällen. Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet. In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS (LIB 26.03.2019, S. 307).

Auszug aus der Anfragebeantwortung zu Afghanistan:

Situation von 1) vom Islam abgefallenen Personen (Apostaten), 2) christlichen KonvertitInnen, 3) Personen, die Kritik am Islam äußern, 4) Personen, die sich nicht an die Regeln des Islam halten und 5) Rückkehrern aus Europa (jeweilige rechtliche Lage, staatliche und gesellschaftliche Behandlung, Diskriminierung, staatlicher bzw. rechtlicher Schutz bzw. Schutz durch internationale Organisationen, regionale Unterschiede, Möglichkeiten zur Ausübung des christlichen Glaubens, Veränderungen hinsichtlich der Lage der christlichen Gemeinschaft) [a-10159]:

[...] Laut einem Artikel von BBC News vom Jänner 2014 stelle Konversion bzw. Apostasie in Afghanistan nach islamischem Recht eine Straftat dar, die mit der Todesstrafe bedroht sei. In manchen Fällen würden die Leute jedoch die Sache selbst in die Hand nehmen und einen Apostaten zu Tode prügeln, ohne dass die Angelegenheit vor Gericht gelange: [...]

Weiters bemerkt BBC News, dass für gebürtige Muslime ein Leben in der afghanischen Gesellschaft eventuell möglich sei, ohne dass sie den Islam praktizieren würden oder sogar dann, wenn sie "Apostaten" bzw. "Konvertiten" würden. Solche Personen seien in Sicherheit, solange sie darüber Stillschweigen bewahren würden. Gefährlich werde es dann, wenn öffentlich bekannt werde, dass ein Muslim aufgehört habe, an die Prinzipien des Islam zu glauben. Es gebe kein Mitleid mit Muslimen, die "Verrat an ihrem Glauben" geübt hätten, indem sie zu einer anderen Religion konvertiert seien oder aufgehört hätten, an den einen Gott und an den Propheten Mohammed zu glauben. In den meisten Fällen werde ein Apostat von seiner Familie verstoßen: [...]

4) Personen, die sich nicht an die Regeln des Islam halten

Thomas Ruttig vom Afghanistan Analysts Network (AAN) erläuterte in einem Expertengespräch vom Mai 2016 (veröffentlicht im Juni 2016):

"Obwohl es sicher einzelne Personen gibt, die zum Atheismus tendieren, besucht selbst der stärkste Säkularist trotz allem hin und wieder die Moschee und nimmt an bestimmten Handlungen nach altem islamischen Brauch teil. So sind Dinge, von denen man gemeinhin annimmt, dass man sie nur tun könne, wenn man vom Islam abfällt (wie z.B. Bier trinken) weiterverbreitet, als man denkt: Man kann Bier trinken und dennoch Moslem sein. Aber Atheismus als Bewegung gibt es in Afghanistan eher nicht. [...]

Einfach schon zur Tarnung nimmt man weiter an traditionellen religiösen Handlungen teil. Ein Glaubensübertritt lässt sich recht gut verheimlichen, da es ohnehin viele Muslime gibt, die nicht regelmäßig die Moschee besuchen. D.h. wenn jemand nicht in die Moschee geht, kommt er nicht automatisch dadurch in den Verdacht, etwa zum Christentum übergetreten zu sein. Und zu besonderen Anlässen wie Begräbnissen und Hochzeiten geht ohnehin jeder in die Moschee. Derlei Dinge haben dann nicht mehr unbedingt religiösen Charakter. Dies macht es leichter, einen Übertritt geheim zu halten. Doch wenn ein Glaubensübertritt bekannt wird, habe ich keinen Fall gesehen, bei dem dieser toleriert wurde. Die größten Probleme, die auftreten, sind dann häufig solche mit der Familie bzw. Personen in der Nachbarschaft." (ACCORD, Juni 2016, S. 9)

Der Sozialwissenschaftler Michael Daxner erklärte im Expertengespräch vom Mai 2016:

"Es gab schon immer auch eine säkulare Tradition, wenn auch stets in beschränktem Umfang. Sie wird in der Regel toleriert, solange man bestimmte islamische religiöse Handlungen mitmacht und nicht agitiert. Aber es gibt auch Gegenbeispiele. So ist ein Bekannter von mir, mit dem ich 2003-2005 an hoher staatlicher Position zusammengearbeitet habe, schlichtweg wegen Säkularismus enthoben worden [...]." (ACCORD, Juni 2016, S. 9)

Wie Landinfo in einer Anfragebeantwortung vom August 2014 bemerkt, werde eine Person nicht notwendigerweise als nichtgläubig angesehen, wenn sie nicht an religiösen Handlungen im öffentlichen Raum teilnehme. Auch für strenggläubige Muslime könne es legitime Gründe geben, religiösen Zeremonien fernzubleiben. Ein Vertreter einer örtlichen Menschenrechtsorganisation habe erklärt, dass es Personen im städtischen Raum möglich sei, auf Moscheebesuche oder das Fasten während des Ramadan zu verzichten. Es gebe geografisch bedingte Unterschiede, und solche abweichenden Verhaltensweisen würden im städtischen Raum und in gebildeten Milieus eher toleriert als im ländlichen Raum.

Derselben Quelle zufolge könne es auch Unterschiede je nach ethnischer und religiöser Gruppe geben. So hätten Schiiten mehr Freiheit zu entscheiden, zu welchem Mullah sie gehen möchten und damit auch in Bezug auf die Frage, ob sie in die Moschee gehen wollen und gegebenenfalls in welche Moschee. Bei Sunniten werde in stärkerem Ausmaß erwartet, dass sie zumindest eines der fünf Gebete am Tag in einer Moschee verrichten. Nach Angaben der Quelle sei es zudem in der paschtunischen Kultur üblich, seiner religiösen Zugehörigkeit durch kulturelle Praktiken (Handlungen im Alltag) Ausdruck zu verleihen. Folglich sei es schwieriger, abweichende Haltungen zu verschleiern, und es bestehe eine geringere Toleranz für divergierende Handlungen. Andere Quellen hätten bestätigt, dass es Raum dafür gebe, auf Befolgung religiöser Rituale und Vorschriften zu verzichten, ohne dass dies notwendigerweise Aufmerksamkeit errege. In Gemeinden, wo Abweichungen von religiösen Ritualen und Vorschriften keine Akzeptanz fänden, würden Personen mit abweichenden religiösen Ansichten die Rituale befolgen, um keinen Verdacht zu erregen: [...] (Landinfo, 26. August 2014, S. 4)

II.2. Beweiswürdigung

II.2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und dem Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts.

II.2.2. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit sowie zur Volksgruppenzugehörigkeit des BF legte bereits das BFA seiner Entscheidung aufgrund der glaubhaften Angaben des BF zugrunde. Mangels Bestreitung im Beschwerdeverfahren besteht daran für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund zu zweifeln.

Die Identität des BF kann mangels Vorlage unbedenklicher Dokumente nicht festgestellt werden.

Die weiteren Feststellungen zum BF - zu seiner Geburt in Afghanistan, seinem Aufwachsen im Iran, dem dortigen Schulbesuch, seinen Sprachkenntnissen, der Abschiebung nach Afghanistan, wo er dort wohnte sowie dass er dort mit dem Schlepper betete - beruhen auf den stets gleichbleibenden Angaben des BF (AS 25, 180ff, S. 4 VP). Auch den glaubwürdigen Angaben des BF in der Beschwerdeverhandlung zum Aufenthalt seiner Angehörigen (S. 5f VP) konnte gefolgt und konnten dementsprechende Feststellungen getroffen werden.

II.2.3. Ebenso gab der BF in der Verhandlung an, dass er früher gläubig gewesen sei. Er bezeichnete sich selbst jedoch als nicht streng gläubig und gab auch an, dass er nur gelegentlich in die Moschee gegangen sei und nur manchmal das Gebet verrichtet habe (S. 8 VP). Weiters gab er glaubhaft an, dass seine Eltern sehr gläubig seien (S. 9 VP). Dass der BF deswegen Probleme mit seinen Eltern gehabt hätte, gab er während des gesamten Verfahrens nicht an, sodass eine entsprechende Feststellung erfolgen konnte.

Auch die weiteren Feststellungen, dass der BF in Österreich bis zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitraum die Moschee besuchte, während er derzeit seinen Glauben nicht mehr aktiv ausübt, waren aufgrund der glaubhaften Angaben des BF vor dem Bundesverwaltungsgericht zu treffen (S. 8 VP).

Der BF erzählte auch, dass er Diskos besuche, Alkohol trinke und Schweinefleisch esse. Er gab jedoch ebenfalls an, dass er dies in Österreich mache, weil es eben kein Problem darstelle (S. 10 VP). Er behauptete damit folglich nicht, dass dieses Verhalten auf einer inneren Einstellung beruhe, sondern erklärte sein Verhalten vielmehr mit den allgemeinen gesellschaftlichen Umständen. Alleine aus diesem Umstand kann daher noch nicht gefolgert werden, dass der BF eine religionslose innere Überzeugung hat und deswegen die Regeln des Islams nicht mehr befolgen würde. Vielmehr zeigt sein Verhalten auf, dass der BF sich der ihn umgebenden Gesellschaft angepasst hat, weswegen davon ausgegangen werden kann, dass er dies auch bei einer Rückkehr nach Afghanistan entsprechend wieder tun würde. Dafür spricht auch, dass der BF in Österreich mit in Afghanistan aufgewachsenen Afghanen (teils eng) befreundet ist und mit seinen Landsleuten keine Konflikte hat. Als einziges Problem gab er an, dass sein Mitbewohner mit ihm nicht mehr gesprochen habe (S. 7 VP). Dagegen gab er im weiteren Verlauf der Verhandlung an, dass er einer Muslima mitgeteilt habe, dass er den Ramadan nicht einhalte. Diese sei zwar "schockiert" gewesen, er berichtete jedoch nicht von irgendwelchen diesbezüglichen Konsequenzen oder dem Gespräch folgenden Problemen (S. 10 VP).

Der BF hat auch seine Eltern nicht von einem Glaubensabfall informiert (S. 9 VP). Als Grund dafür gab er an, dass ihre Reaktion zu ungewiss sei (S. 12 VP). Der BF hat jedoch bereits im Iran nur wenig Interesse an seiner Religion gehabt und diese nur gelegentlich ausgeübt, während seine Eltern streng gläubig sind. Der BF handelte somit bereits im Iran gegen die Glaubensüberzeugungen seiner Eltern und hatte mit ihnen dennoch keinerlei Probleme. Die Aussage des BF, die Reaktion seiner Eltern sei zu ungewiss, ist daher vor diesem Hintergrund wenig nachvollziehbar.

Das Verhalten des BF zeigt vielmehr, dass er nicht von sich aus über seinen (angeblich fehlenden) Glauben spricht und er keine entsprechenden Schritte gegen den Islam setzt. Das ergibt sich auch aus der weiteren Aussage des BF, wonach er mit anderen lediglich darüber gesprochen habe. Daraus ergibt sich weder, dass er derartige Gespräche aufgrund seiner Konfessionslosigkeit aktiv sucht, noch, dass er andere von seiner Weltanschauung überzeugen will, wie sich vor allem an seiner Erzählung über den nicht eingehaltenen Ramadan zeigt (S. 10 VP). Das entspricht im Übrigen auch dem persönlichen Eindruck der erkennenden Richterin, wonach es sich beim BF um einen höflichen, zurückhaltenden, eher introvertierten jungen Mann handelt, der nicht von sich aus auf sich und seine Konfessionslosigkeit aufmerksam macht.

Diese Einschätzung entspricht darüber hinaus auch noch der Selbsteinschätzung des BF vor dem BFA. Dort gab er nämlich an, dass man an seinem Lebensstil nicht merken würde, dass er konfessionslos sei (AS 186). Wie sich dies seit der Einvernahme vor dem BFA geändert haben soll, konnte der BF im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht nachvollziehbar darlegen. Vielmehr gab er selbst an, dass sich nur seine Sicht- und Denkweise verändert habe (S. 10 VP), nicht jedoch auch, dass dies an seinem nach außen gezeigten Verhalten sichtbar werden würde. Der BF zählte darüber hinaus auch nur einige Beispiele auf, die ihn am Islam gestört hätten (S. 11 VP), ohne jedoch darlegen zu können, wie sich seine Sicht oder sein Verhalten dazu seit seiner Konfessionslosigkeit geändert haben und wie er seine innere Einstellung nach außen tragen sollte.

Wenn der BF bereits im Bundesgebiet kein Verhalten nach außen setzt, aufgrund dessen von der ihn umgebenden Bevölkerung auf seine Konfessionslosigkeit geschlossen werden könnte, ist erst recht nicht davon auszugehen, dass er Derartiges bei einer Rückkehr nach Afghanistan machen würde. Auch dort war er ja laut seinen Angaben nur wenig gläubig, suchte aber dennoch nach der Abschiebung nach Afghanistan den Schutz der Moschee auf und verrichtete das Gebet gemeinsam mit dem Schlepper. Es ist folglich nicht davon auszugehen, dass der BF bei einer neuerlichen Rückkehr irgendwelche Schritte setzen würde, die ihn der Gefahr einer Verfolgung aussetzen würden, wie etwa, dass er öffentlich den Islam kritisieren würde, weil er Derartiges auch in Österreich nicht tut.

Als einzige Befürchtung gab der BF an, er müsse bei einer Rückkehr mit dem Glauben anderer leben, müsste beten, fasten und könnte keinen Alkohol mehr trinken (S. 10 VP). Auch darin zeigt sich, dass der BF selbst nicht davon ausgeht, dass er den kulturellen Regeln seines Heimatlandes zuwiderhandeln würde, sondern sich vielmehr wieder so verhalten würde, wie er dies vor seiner Ausreise tat. Zudem ergibt sich aus der vom BF selbst ins Verfahren eingebrachten - wenn auch nur auszugsweise zitierten - Anfragebeantwortung, wie auch den Feststellungen zu entnehmen ist, dass für gebürtige Muslime ein Leben in der afghanischen Gesellschaft möglich ist, ohne dass sie den Islam praktizieren oder sogar dann, wenn sie "Apostaten" beziehungsweise "Konvertiten" werden. Solche Personen sind in Sicherheit, solange sie darüber Stillschweigen bewahren. Gefährlich werde es nur dann, wenn öffentlich bekannt werde, dass ein Muslim aufgehört habe, an die Prinzipien des Islam zu glauben. Demnach lasst sich nach der Einschätzung von Thomas Ruttig selbst ein Glaubensübertritt verheimlichen, da es ohnehin viele Muslime gibt, die - wie der BF selbst, als er noch in den Ländern seines Kulturkreises aufhältig war - nicht regelmäßig die Moschee besuchen. Teils haben die Besuche, etwa bei Hochzeiten oder Begräbnissen, auch keinen religiösen Charakter, sondern sie beruhen auf gesellschaftlichen Umständen.

Aus der Anfragebeantwortung ergibt sich weiters, dass eine Person auch nicht notwendigerweise als nichtgläubig angesehen wird, wenn sie nicht an religiösen Handlungen im öffentlichen Raum teilnimmt. Auch für strenggläubige Muslime könne es legitime Gründe geben, religiösen Zeremonien fernzubleiben. Personen im städtischen Raum ist es zudem möglich, auf Moscheebesuche oder das Fasten während des Ramadan zu verzichten. Es gebe geographisch bedingte Unterschiede und abweichende Verhaltensweisen werden im städtischen Raum und in gebildeten Milieus eher toleriert als im ländlichen Raum. Derselben Quelle zufolge gibt es auch Unterschiede je nach ethnischer und religiöser Gruppe. So haben Schiiten im Gegensatz zu Sunniten mehr Freiheit zu entscheiden, zu welchem Mullah sie gehen möchten und damit auch in Bezug auf die Frage, ob sie in die Moschee gehen wollen und gegebenenfalls in welche Moschee.

Auch wenn der BF daher in Afghanistan tatsächlich keine Moschee mehr besuchen sollte und auch dort den Ramadan nicht einhält, ist daher nicht davon auszugehen, dass er deswegen der Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt wäre, zumal er dem schiitischen Islam angehörig war (ist) und daher für ihn von vornherein größere Freiheiten bestehen. Davon ist zwar insbesondere in den Städten auszugehen, auch in seinem Heimatdistrikt in Ghazni gibt es jedoch eine große Hazara-Gemeinschaft, die ebenfalls den Schiiten angehören, sodass auch dort nicht mit einer Verfolgung zu rechnen ist (s. auch BVwG 21.12.2015, W163 1433567-1, 3.1.). Nicht zuletzt ist zudem an dieser Stelle auch auf das Taqiya-Prinzip im schiitischen Islam zu verweisen, das gemäß Amtswissen gerade die Täuschung der Ungläubigen in Bezug auf Religion erlaubt (s. auch BVwG 11.05.2018, W253 2194379-1; 16.09.2019, W204 2165297-3).

Die Länderberichte zeigen weiters auf, dass Nichtgläubige kein Angriffsziel werden, solange sie ihren Glauben nicht äußern und im öffentlichen Raum keine Respektlosigkeit gegenüber dem Islam zeigen. Dass der BF dem Islam feindlich gesinnt ist und er dies auch nach außen tragen würde, erschließt sich aus seinen Äußerungen nicht (wie schon ausgeführt, sprach er weder mit seiner Familie noch mit seinem muslimischen Umfeld über eine allfällige Distanzierung vom Islam beziehungsweise brachte er in diesen Gesprächen auch keine feindliche Gesinnung gegenüber dem Islam zum Ausdruck). Seinen weiteren Aussagen war auch nicht zu entnehmen, dass er über das Nichtpraktizieren der Glaubensregeln hinaus gegen den Islam gerichtete Aktivitäten setzt oder Meinungen verbreitet. Es kann daher auch angenommen werden, dass er etwa Hochzeiten oder Begräbnisse, deren Besuch auf gesellschaftlichen Umständen beruht, besuchen würde und insoweit in der Gesellschaft nicht auffällt.

Auch bei Fortsetzung seines in Österreich gelebten Lebensstils und seinem nachlassenden Interesse am Glauben sowie seiner etwas liberaleren Wertehaltung ist daher nicht zu befürchten, dass der BF in seinem Heimatdistrikt, der mehrheitlich von schiitischen Hazara bewohnt wird und wo daher eine größere religiöse Freiheit als in sunnitischen Gebieten besteht, eine asylrelevante Verfolgung oder unmenschliche Behandlung oder Bestrafung zu erwarten hätte.

Weitere Verfolgungsgründe machte der BF nicht geltend und konnten auch amtswegig nicht festgestellt werden. Insbesondere ergibt sich aus den Länderfeststellungen, dass die Volksgruppe der Hazara keiner Gruppenverfolgung unterliegt.

II.2.4. Dass dem BF subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, ergibt sich aus dem unstrittigen Akteninhalt. Die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde von der Beschwerdevertreterin im Rahmen der Beschwerdeverhandlung vorgebracht und ergibt sich auch aus einem aktuellen Auszug aus dem GVS.

II.2.5. Die Feststellungen zur Lebenssituation des BF in Österreich beruhen auf seinen Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem BFA sowie den vorgelegten Dokumenten, an denen kein Grund zu zweifeln besteht.

II.2.6. Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die dem BF vorgehaltenen Quellen. Da diese für das Vorbringen des BF hinreichend aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

Die Länderfeststellungen wurden vom BF während des Verfahrens nicht bestritten. Soweit ergänzende Berichte zu Apostaten und Konvertiten vorgelegt wurden, wurden diese - soweit von Relevanz - im Erkenntnis berücksichtigt (siehe auch schon II.2.3.). Es sind daher keine Zweifel an der Richtigkeit der verwendeten Informationen hervorgekommen. Die Informationen erweisen sich insbesondere unter Berücksichtigung der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten durch das BFA auch jedenfalls als hinreichend aktuell.

III. Rechtliche Beurteilung:

III.1. Gemäß § 3 BFA-G, BGBl. I 87/2012 idF BGBl. I 70/2015, obliegt dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Vollziehung des BFA-VG (Z 1), die Vollziehung des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100 (Z 2), die Vollziehung des 7., 8. und 11. Hauptstückes des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100 (Z 3), und die Vollziehung des Grundversorgungsgesetzes - Bund 2005, BGBl. I Nr. 100 (Z 4).

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, was im gegenständlichen Verfahren nicht der Fall ist.

III.2. Zu Spruchpunkt A)

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung". Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. zB. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011).

Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, 95/01/0454, 09.04.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse, sondern erfordert eine Prognose (vgl. VwGH 16.02.2000, 99/01/0397). Verfolgungshandlungen die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 15.03.2001, 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (vgl. VwGH 16.06.1994, 94/19/0183).

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheid-/Erkenntniserlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Im gegenständlichen Fall sind nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine "begründete Furcht vor Verfolgung" im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK, nicht gegeben. Dies vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass der BF für seinen Herkunftsstaat keine persönliche und konkrete Verfolgungsgefährdung aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention taxativ aufgezählten Grund glaubhaft geltend gemacht hat.

Auch die vom BF vorgebrachte und grundsätzlich asylrelevante Apostasie (VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0395) kann mangels Glaubhaftmachung der Konfessionslosigkeit als innere Überzeugung und identitätsstiftendes Merkmal, das der BF auch in Afghanistan weiterleben und sichtbar nach außen tragen würde, nicht zur Asylgewährung führen. Es konnte nämlich gerade keine Abwendung des BF vom Islam, die sich zu einer inneren Überzeugung und einem maßgeblichen Bestandteil seiner Identität verdichtet hat und weiterhin in Afghanistan gelebt werden würde, festgestellt werden (VwGH 02.12.2019, Ra 2019/14/0408).

Die sich nur gegen Spruchpunkt I. richtende Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.

III.3. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Schlagworte

Asylantragstellung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Fluchtgründe Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit mündliche Verhandlung religiöse Gründe Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W204.2194056.1.00

Im RIS seit

18.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

18.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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