TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/24 W154 2138388-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.03.2020
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Entscheidungsdatum

24.03.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

W154 2138388-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. KRACHER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.9.2016, Zl. 1038936500 - 140084579, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 8.11.2019 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste in das Bundesgebiet ein und stellte am 20.10.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Er wurde am selben Tag niederschriftlich im Rahmen einer Erstbefragung einvernommen und gab eingangs an, aus der Provinz Paktia zu stammen, der Volksgruppe der Paschtunen und dem moslemischen Glauben anzugehören sowie ledig und Analphabet zu sein.

Zu seinem Fluchtgrund brachte er vor, in seinem Heimatort habe es nur Taliban gegeben. Man habe kaum zu Schule oder zur Arbeit gehen können, weil jene gewollt hätten, dass die Leute mit ihnen kämpfen. Einen weiteren Fluchtgrund gebe es nicht.

Laut Aktenvermerk des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) vom 24.10.2014 hat der Beschwerdeführer bekannt gegeben, 18 Jahre alt zu sein und sein genaues Geburtsdatum nicht zu kennen.

Nachdem der Beschwerdeführer bis zum 28.10.2014 in Österreich gemeldet war, stellte er am 5.1.2015 einen Asylantrag in Deutschland. In weiterer Folge wurde dieser seitens des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge als unzulässig abgelehnt und eine Abschiebung nach Österreich angeordnet. Seit dem 28.9.2015 ist der Beschwerdeführer wieder im Bundesgebiet gemeldet.

Am 20.4.2016 langte beim Bundesamt die afghanische Geburtsurkunde (Tazkira) des Beschwerdeführers ein, nach der dieser vier Jahre älter als zuletzt angegeben ist.

Am 20.7.2016 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt niederschriftlich einvernommen und erklärte, aus dem Gebiet von Shwak in der Provinz Paktia zu stammen, der Volksgruppe der Paschtunen anzugehören und sunnitischer Moslem zu sein. Vor dreieinhalb Jahren habe er traditionell geheiratet und auch ein Kind, einen Sohn. Die Gattin lebe, so wie seine drei Brüder, bei seinen Eltern im eigenen Haus in Paktia. Zudem würden ihr die Schwiegereltern helfen, der in Kabul lebende Onkel mütterlicherseits des Beschwerdeführers und seine drei Onkel väterlicherseits unterstützten sie finanziell von Deutschland aus. In Paktia wohne noch eine verheiratete Schwester, eine weitere verheiratete Schwester in Kabul. Dass er bei der Erstbefragung ein falsches Alter und auch angegeben habe, ledig zu sein, rechtfertigte er damit, der Schlepper hätte es ihm geraten.

Geboren und aufgewachsen sei der Beschwerdeführer in Paktia. Er habe weder eine Schul- noch eine Berufsausbildung, sondern seit der Kindheit am Bau und auf dem Feld gearbeitet. Das Geld habe zum Leben gereicht.

Insgesamt sei er im Jahr 2015 elfeinhalb Monate in Deutschland gewesen.

Zu seinem Fluchtgrund brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, es habe Schwierigkeiten mit den Taliban im Dorf gegeben, sie hätten lange Bärte tragen müssen. Auch wäre die Polizei zu ihnen gekommen, habe ihnen vorgeworfen, Taliban zu sein, und sie geschlagen. Ca. 50% der Jungen im Ort hätten dieselben Probleme wie er gehabt, ca. 10% seien gezwungen worden, zu den Taliban zu gehen. Ungefähr die Hälfte seines Cricketteams wäre verschwunden, ein paar seien weggegangen, ein paar mit den Taliban mit. Diese hätten immer auf dem Bazar oder in der Moschee versucht, die Leute zu motivieren, mit ihnen mit- oder in den Dschihad zu gehen. Die Einwohner hätten auch nicht in Ruhe im Wald Holz holen können, weil die Taliban immer ihre Taschen durchsucht und sie, wenn sich auf dem Handy oder der Speicherkarte ein Lied befunden habe, geschlagen hätten. Wenn man einen Kranken vom Ort zum Arzt bringen wolle, würde einem die Polizei vorwerfen, ein Taliban zu sein. Sie seien geschlagen und mies behandelt worden. Bei der Rückkehr vom Distriktszentrum hätten sie die Taliban schlecht behandelt und gesagt, sie seien für die Behörden. Dies seien alle Fluchtgründe. Da er der Betreuer oder Chef des Hauses sei, hätte die Familie entschieden, dass er Afghanistan verlassen müsse.

Direkt bedroht sei er selbst nicht worden, aber man habe sie immer wieder motiviert, mit ihnen zu gehen, und zwar ca. ein- bis zweimal wöchentlich. Persönlich hätten die Taliban nichts zu ihm gesagt, aber z.B. Cricketspiele abgesagt und eine Rede gehalten. Sie hätten gefragt, wieso die Leute sie nicht unterstützten und mit ihnen gingen. Geschlagen worden sei er jedoch nur von der Polizei. Die Taliban hätten nachts mit der Polizei gekämpft, am Morgen seien sie zum Bazar gegangen und von den Polizisten geschlagen worden, die ihnen wegen ihrer langen Bärte vorgeworfen hätten, Taliban zu sein. Ihm selbst sei dies nur einmal passiert, seinen Freunden jedoch öfters.

Nachgefragt, ob ihm die Taliban etwas angedroht hätten, wenn er nicht mit ihnen ginge, verneinte der Beschwerdeführer dies ausdrücklich. Sie hätten ihnen aber das Leben schwierig gemacht, z.B. seien Leute zu ihnen nach Hause gekommen und hätten Essen gefordert. Es wären keine Personen aus dem Dorf ermordet worden, weil sie sich nicht den Taliban angeschlossen hätten, aber Freunde, die mit ihnen gegangen wären, wären bei Kämpfen ums Leben gekommen.

Seinen langen Bart habe sich der Beschwerdeführer in Kabul abrasiert. Sein dort lebender Onkel arbeite in einer Bohrstation, die Wasser an die Oberfläche befördere. Er wohne in einem Mietshaus, habe eine gute Arbeit und ein gutes Leben und sei froh, dass es in Kabul Sicherheit gebe. Er selbst sei deshalb nicht nach Kabul gezogen, weil er kein Geld gehabt habe, um zu überleben, ein Haus zu mieten oder für ein Smartphone.

Bei einer Rückkehr fürchte er um seine Sicherheit. Wenn man ins Distriktszentrum gehe, könne am Straßenrand eine Bombe explodieren.

Im Bundesgebiet habe er zwei Vertrauenspersonen, die er in einem Treffpunkt für Asylwerber mit den Ortsbewohnern kennengelernt habe, erhalte Geld vom Sozialamt und besuche zweimal wöchentlich den A1-Kurs. Er habe in der Asylunterkunft als Küchenhilfe gearbeitet, für ca. 2 bis 3 Euro die Stunde. Zweimal in der Woche spiele er Fuß- und Volleyball, habe österreichische Freunde und gehe mit seiner Vertrauensperson spazieren. Zudem habe er eine Karte für Freiwilligenarbeit vorgelegt, immer wieder junge und alte Menschen eingeladen und für sie gekocht. Auch habe er z.B. Leute zum Arzt gebracht und beim Tragen geholfen. Laut Vertrauensperson habe er bei diesem Projekt etwas länger als zwei Monate mitgemacht.

Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid des Bundesamtes wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG wurde ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde festgelegt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen betrage (Spruchpunkt IV.).

Dagegen richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde.

Am 15.11.2017 langten beim Bundesverwaltungsgericht ein ÖIF-Prüfungszeugnis A1 sowie die Teilnahmebestätigung an einem ÖIF-Werte- und Orientierungskurs, und am 23.5.2018 je ein Unterstützungsschreiben eines Gemeindeamtes und eines Tourismusvereines, in denen auch diverse ehrenamtliche Tätigkeiten des Beschwerdeführers angeführt wurden, ein. Am 13.9.2018 folgte ein weiteres Unterstützungsschreiben und am 12.8.2019 ein Empfehlungsschreiben des Gemeindeamtes.

Am 4.11.2019 wurden ergänzend das ÖIF-Zeugnis zur Integrationsprüfung A2, eine entsprechende Kursteinahmebestätigung, eine Anmeldebestätigung bei einer Volkshochschule für den Deutschkurs B1, ein Aktenvermerk der Gemeinde über den Besuch der Fahrschule sowie diverse Empfehlungsschreiben übermittelt.

Am 8.11.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt als Verfahrenspartei entschuldigt nicht teilnahm.

Dabei erklärte der Beschwerdeführer im Wesentlichen, in Paktia geboren und ca. 26 oder 27 Jahre alt zu sein, laut Dolmetscher entspricht das in der vorgelegten Tazkira angeführte Geburtsjahr XXXX . Bis zu seiner Ausreise im Jahr 2014 habe der Beschwerdeführer immer im Heimatdorf gelebt und weder einen bestimmten Beruf erlernt noch die Schule besucht, sondern auf der Baustelle gearbeitet und aus den Bergen Holz herbeigetragen.

Er habe mit seinen Eltern, den drei Brüdern, seiner Frau und seinem Kind im familieneigenen Haus, einem Lehmhaus, gewohnt. Darüber hinaus habe er auch zwei verheiratete Schwestern, die eine lebe in Kabul und die andere im Heimatort, eine weitere Schwester sei verstorben.

Seine Frau und sein Kind wären seit ca. 6 Monaten bei ihrem Vater, dem Schwiegervater des Beschwerdeführers in Gardez. Einer seiner Brüder sei vor ca. 6 Monaten ein Anhänger der Taliban geworden und seine Gattin habe den Beschwerdeführer diesbezüglich informiert, woraufhin er ihr geraten habe, lieber bei ihrem Vater zu bleiben. Auch sein Vater habe bejaht, dass der Bruder ein Taleb geworden wäre.

Die Brüder und die Eltern lebten nach wie vor im Heimatdorf, eine Schwester in Kabul und die zweite in Paktia bei ihrer Familie. In seiner Ortschaft funktionierten die Handys sehr schlecht. Manchmal wenn die Möglichkeit bestehe, dass sein Vater bei seinem Schwiegervater sei, riefen sie an. In Kabul lebe noch ein Onkel mütterlicherseits.

Seine beim Bundesamt geltend gemachten Fluchtgründe blieben aufrecht, wenn er zurückkehren müsse, würden sie ihn an dem Tag erwischen und umbringen. Die Sicherheitslage habe sich dort drastisch verschlechtert.

Konkret würden ihn die Taliban umbringen. weil sie sehr oft versucht hätten, dass er sich ihnen anschließe. Viele seiner Freunde hätten sich den Taliban angeschlossen und wären dann ums Leben gekommen sind. Die Taliban hätten sich sehr bemüht und ihn immer wieder gefragt, warum er nicht am Heiligen Krieg teilnehmen wolle und sich ihnen nicht freiwillig anschließe. Der Beschwerdeführer sei sehr gut vernetzt gewesen, habe viele gute Freunde und sie hätten durch ihn auch seine Freunde für sich gewinnen wollen. Er selbst hätte jedoch niemanden töten und auch selbst nicht getötet werden wollen. Die Taliban wären sehr gut vernetzt und würden ihn im Falle einer Rückkehr am Flughafen erwischen und umbringen. Sie hätten es geschafft, seinen Bruder zu überzeugen und ihn auf ihre Seite zu ziehen. Sie hätten ihn einer Art Gehirnwäsche unterzogen. Die Beiden seien Analphabeten gewesen und die Taliban hätten absichtlich solche Leute wie seinen Bruder und den Beschwerdeführer gesucht.

Die Taliban hätten mehrmals persönlich mit ihm geredet, als er zur Moschee oder zur Arbeit unterwegs gewesen sei, und immer wieder gefragt, warum er nicht an dem Heiligen Krieg teilnehmen wolle, warum er sich ihnen nicht freiwillig anschließe und warum er die Taliban nicht möge. Wenn er sich ihnen anschließe, würde es den sicheren Tod bedeuten. Sie hätten das mehrmals thematisiert und gefragt, ob er kein Moslem sei und wenn er ein Moslem wäre, wäre er verpflichtet, am Krieg teilzunehmen. Sie hätten erklärt, wenn er das ablehne, würden sie ihn umbringen.

Wo sich sein Bruder, der den Taliban angehöre, gegenwärtig aufhalte, wisse der Beschwerdeführer nicht.

Die finanzielle Situation seiner Familie könne man mittelmäßig nennen. Er habe drei Onkel väterlicherseits in Deutschland, die ihr finanziell helfen und die Familie habe auch ein Grundstück und könne aus den Bergen auch etwas Holz nehmen.

Der Beschwerdeführer leide an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung.

Teilweise auf Deutsch erklärte der Beschwerdeführer zu seiner Integration in Österreich, er habe Deutschkurse besucht und den A1 und A2 Kurs mit Prüfung positiv abgeschlossen. Im Moment besuche er den B1 Kurs, Teil 1 des Kurses habe er bereits absolviert, derzeit sei er im zweiten Teil, laut der Lehrerin könne er ca. im Jänner 2020 zur Prüfung antreten.

Er habe viele österreichische Freunde. Männer und Frauen. Seit ca. 6 Monaten wohne er in einer privaten Wohnung. Es handle sich dabei um einen Gemeindebau und eine Kleinwohnung, bestehend aus einem Zimmer und einem Badezimmer, wofür er 200 ? Miete im Monat zahle.

Seine ehrenamtliche Arbeit habe er schon vor vier Jahren begonnen. Als er nach Österreich gekommen sei, habe er in der Flüchtlingsunterkunft gewohnt in der Küche mitgearbeitet, und pro Stunde 1 ? bis 2 verdient. Weiters sei er für einen Tourismusverein tätig gewesen. Bei der Flüchtlingswelle habe er 2016 auch freiwillig für die Polizei gearbeitet, und denjenigen, die Medikamente gebraucht hätten, welche gebracht, oder einfach Sachen transportiert. Zum Großteil sei er aber ehrenamtlich als Dolmetscher bei der Polizei tätig gewesen.

Nach seinem Umzug im Herbst 2015 habe er angefangen, freiwillig für die Gemeinde zu arbeiten und zwar im Garten und auf der Straße, als Maler und dergleichen. Für die Kirche in der Nachbargemeinde habe er auch Gartenarbeiten und Reinigungstätigkeiten durchgeführt. In einem Kulturverein habe er Getränke für seine österreichischen Freunde getragen, geholfen die Tonanlage zu transportieren und auch Reinigungstätigkeiten verrichtet. Über seine Tätigkeiten in den Gemeinden wurden Bestätigungen vorgelegt. Darüber hinaus legte der Beschwerdeführer eine Aufforderung zur Bewerbung im Frühjahr 2020 bei einer Baufirma vom 6.11.2019 vor, bei welcher ihn der Bürgermeister empfohlen habe. Auch habe er regelmäßige Treffen und Kontakte mit Leuten aus der Region.

Weiter vorgelegt wurden das Zeugnis zur Integrationsprüfung A2 Modul 1 vom 18.5.2019 sowie einige Empfehlungsschreiben.

Der Beschwerdeführer habe sich 2019 für die Führerscheinprüfung angemeldet, die Abendkurse bereits absolviert und zurzeit lerne er die Onlinefragen für die Prüfung. Im Dezember habe ich den Erste-Hilfe-Kurs besucht.

Seinen Unterhalt finanziere er sich teils von seiner ehrenamtlichen Arbeit, für die er 110 ? von der Gemeinde bekomme, und ein Teil sei von der Grundversorgung. Die Fahrschule finanziere er aus seinen Ersparnissen daraus. Er habe 2017 den Kurs "Mein Leben in Österreich" absolviert.

Seitens der erkennenden Richterin vorgelegt wurden die allgemeine Feststellungen der Staatendokumentation zu Afghanistan samt zweier ACCORD-Berichte über die Sicherheitslage in Afghanistan sowie die Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom Oktober 2019 und eine Stellungnahmefrist von zwei Wochen eingeräumt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört zur Volksgruppe der Paschtunen und dem sunnitischen Glauben an. Er wurde in Paktia geboren, wo er bis zu seiner Ausreise mit Eltern und Geschwistern sowie zuletzt auch mit seiner Gattin und dem minderjährigen Sohn im familieneigenen Haus lebte.

Er reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 20.10.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Jahr 2015 hielt er sich in Deutschland auf und war vom 28.10.2014 bis zum 28.9.2014 nicht in Österreich gemeldet. Insgesamt ist er im Jahr 2015 nach eigenen Angaben elfeinhalb Monate in Deutschland gewesen.

Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft machen, in Afghanistan ernsthaft von Verfolgung bedroht zu sein.

Beim volljährigen Beschwerdeführer handelt es sich um einen gesunden und leistungsfähigen Mann. Er wuchs in Afghanistan auf, wurde dort sozialisiert, erwirtschaftete für sich und seine Familie den Unterhalt, z.B. als Bauarbeiter, und beherrscht eine Landessprache (Paschtu) auf muttersprachlichem Niveau. Zudem besuchte der Beschwerdeführer im Bundesgebiet die Fahrschule und den Erste-hilfe-Kurs und sammelte bei ehrenamtlichen Tätigkeiten weitere Erfahrungen. Seine Frau und sein minderjähriges Kind wohnen beim Schwiegervater in Paktia und die Familie sorgt für ihren Unterhalt. Der Beschwerdeführer hat drei Onkel väterlicherseits in Deutschland, die ihr finanziell helfen und die Familie besitzt zudem ein Grundstück und hat Zugang zum Holz in den Bergen. Die Brüder und die Eltern leben nach wie vor im Heimatdorf, eine Schwester in Kabul und die zweite in Paktia bei ihrer Familie. in Kabul wohnt zudem noch ein Onkel mütterlicherseits. Die finanzielle Situation seiner Familie ist laut Angaben des Beschwerdeführers mittelmäßig. Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation des Beschwerdeführers ist deshalb in einer Gesamtbetrachtung nicht zu erkennen, dass er im Fall seiner Abschiebung und Ansiedelung in Herat oder in der Stadt Mazar-e Sharif, in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen würde, eine Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden.

In Österreich hat der Beschwerdeführer weder familiäre Beziehungen noch eine Partnerschaft.

Der Beschwerdeführer besuchte Deutsch- und Wertekurse bis zum Niveau B1 und erlangte ÖIF-Zeugnisse auf dem Niveau A1 und A2 (Integrationsprüfung), besuchte die Fahrschule und einen Erste-Hilfe-Kurs. Zudem spielte Fußball und Volleyball, hat österreichische Freunde und konnte diverse Unterstützungserklärungen vorlegen, die auch seine soziale Integration bestätigen. Er verrichtete zahlreiche ehrenamtliche Tätigkeiten und verdient zurzeit dafür ? 110 von der Gemeinde, ansonsten finanziert er sich seinen Unterhalt aus der Grundversorgung. Er lebt in einer Gemeindewohnung für ? 200 Miete monatlich und konnte eine Aufforderung zur Bewerbung im Frühjahr 2020 bei einer Baufirma vorlegen.

Zur Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers

Politische Ereignisse: Friedensgespräche. Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung. Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban. Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi. die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments. Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete. die Taliban hätten kein Interesse daran. Teil der aktuellen Regierung zu sein. und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel. einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an. betonte aber dennoch. dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen. um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil. was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen. das für Mitte April 2019 in Katar geplant war. zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban

beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der

Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019). Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).

Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).

Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).

Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).

Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019)

US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).

Rückkehr

Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (BAMF 20.5.2019).

Quellen:

- - 1 TV NEWS (30.5.2019): At least six killed in suicide blast near military academy in

Kabul, http://www.1tvnews.af/en/news/afghanistan/38366-breaking-blast-rocks-

kabul, Zugriff 3.6.2019

- AAN - Afghanistan Analysts Network (17.5.2019): The Results of Afghanistan's 2018

Parliamentary Elections: A new, but incomplete Wolesi Jirga,

https://www.afghanistan-analysts.org/the-results-of-afghanistans-2018-parliamentary-

elections-a-new-but-incomplete-wolesi-jirga/. Zugriff 22.5.2019

- AJ - Al Jazeera (30.5.2019): Suicide bomber targets Afghan military training centre in

Kabul, https://www.aljazeera.com/news/2019/05/suicide-bomber-targets-afghan-

military-training-centre-kabul-190530082719388.html. Zugriff 3.6.2019

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (3.6.2019): Briefing Notes, Afghanistan, per E-Mail

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (3.6.2019): Briefing Notes, Afghanistan, per E-Mail

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (20.5.2019): Briefing Notes, Afghanistan, per E-Mail

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (6.5.2019): Briefing Notes, Afghanistan, per E-Mail

- BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation (13.2.2019): Kabul Police Districts Map, liegt im Archiv der Staatendokumentation auf

- Heise (16.5.2019): Afghanistan: Wie viel Macht hat der Präsident?,

https://www.heise.de/tp/features/Afghanistan-Wie-viel-Macht-hat-der-Praesident-

4422023.html, Zugriff 3.6.2019

- IEC - Independent Electoral Commission via Facebook (14.5.2019): Press

Declaration 24/2/1398,

https://www.facebook.com/AfghanistanIEC/posts/2361637283896572? tn =-R,

Zugriff 4.6.2019

- IEC - Independent Electoral Commission (15.5.2019): Kabul - Wolesi Jirga Final Results, http://www.iec.org.af/results/en/home/finalresult_by_province/1/2. Zugriff

4.6.2019

- LWJ - Long War Journal (2.6.2019): Islamic State bombs bus, security personnel in western Kabul, https://www.longwarjournal.org/archives/2019/06/islamic-state-bombs- bus-security-personnel-in-western-kabul.php. Zugriff 3.6.2019

- Newsweek (21.5.2019): Russia Spy Chief warns 5,000 ISIS Foreign Fighters

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Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2018

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter

Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).

Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen,konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018).

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 4.436 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. 42% der zivilen Opfer (4.627 Opfer; 1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22% und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26% aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16% der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (UNAMA 24.2.2019).

Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31% der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3% im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und

Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48% gegenüber 2017; 4.125 Opfer insgesamt, davon 1.404 Tote und 2.721 Verletzte). Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an: Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren u.a. Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für 1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61% und die Zahl der Todesopfer erreichte 82%. 9% aller zivilen Opfer

wurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009 (UNAMA 24.2.2019).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer (2.243 Tote und 4.737 Verletzte) verantwortlich. Das entspricht 63% der gesamten zivilen Opfer. 37% davon werden den Taliban, 20% dem ISKP und 6% unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden vermehrt Anschläge gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, meist durch Talibankämpfer, da in Schulen Registrierungs- und Wahlzentren untergebracht waren. Der ISKP attackierte und bedrohte Bildungseinrichtungen als Reaktion auf militärische Operationen afghanischer und internationaler Streitkräfte. UNAMA berichtet auch über anhaltende Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, welche Auswirkungen auf einen Großteil der zivilen Bevölkerung haben. Trotzdem die Taliban nach eigenen Angaben Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen haben, attackierten diese weiterhin Zivilisten, zivile Einrichtungen und regierungsfreundliche Gruppierungen in Zivilgebieten (UNAMA 24.2.2019).

Ungefähr 24% der zivilen Opfer (2.612, davon 1.185 Tote und 1.427 Verletzte), werden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 14% den afghanischen

Sicherheitskräften, 6% den internationalen Streitkräften und 4% unbestimmten regierungsfreundlichen Gruppierungen. Die Steigerung um 4% gegenüber dem Vorjahr geht auf Luftangriffe der internationalen Streitkräfte und Fahndungsaktionen der afghanischen Sicherheitskräfte und regierungsfreundlicher Gruppierungen zurück (UNAMA 24.2.2019).

Die verbleibenden 13% der verzeichneten zivilen Opfer wurden im Kreuzfeuer während Zusammenstößen am Boden (10%), durch Beschuss aus Pakistan (1%) und durch die Explosion von Blindgängern verursacht (UNAMA 24.2.2019).

Quellen:

- BFA Staatendokumentation (20.02.2019a): kartografische Darstellung der

sicherheitsrelevanten Vorfälle Jänner-Dezember 2018, liegt im Archiv der Staatendokumentation vor

- BFA Staatendokumentation (20.02.2019b): grafische Darstellung der

sicherheitsrelevanten Vorfälle Q1 bis Q4, liegt im Archiv der Staatendokumentation vor

- SIGAR - Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (30.1.2019): Quarterly Report to the United States Congress, https://www.sigar.mil/pdf/quarterlyreports/2019-01-30qr.pdf. Zugriff 20.2.2019

- UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (24.2.2019): Afghanistan, Protection of civilians in armed conflict, Annual report 2018, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/afghanistan_protection_of_civilians_a

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- UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (11.2018): Afghanistan, Protection of civilians in armed conflict, Special report: 2018 elections violence, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/special_report_on_2018_elections_vi

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- UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (10.10.2018): Quarterly report on the protection of civilians in armed conflict: 1 January to 30 September 2018,

https://unama.unmissions.org/sites/default/files/unama_protection_of_civilians_in_ar

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- UNGASC - United Nations General Assembly Security Council (7.12.2018): The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, Report of the Secretary General, https://undocs.org/S/2018/1092. Zugriff 20.2.2019

Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vgl. AAN o.D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 20.4.2018, USDOS 15.8.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.1.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.2.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.4.2018; vgl. USDOS 15.8.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20. Oktober 2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.4.2018; vgl. AAN 22.1.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.8.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o.D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 6.5.2018).

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 6.5.2018).

Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 3.5.2017). Am 4.5.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 4.5.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.3.2018).

Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 6.5.2018).

Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 11.10.2017).

Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.5.2017).

Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 15.1.2016; vgl. AB 29.5.2017).

Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 21.8.2017).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Am 28. Februar 2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.3.2018; vgl. TS 28.2.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 7.3.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.3.2018; vgl. TD 7.3.2018, NZZ 28.2.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.4.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").

Am 19.5.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.5.2018).

Am 7.6.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.6.2018 - 20.6.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich am 4.6.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 7.6.2018, RFL/RL 5.6.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 5.6.2018). Die Taliban selbst gingen am 9.6.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.6.2018; vgl. TH 10.6.2018, Tolonews 9.6.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (5.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/1434081.html, Zugriff 4.6.2018

- AA - Auswärtiges Amt (9.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1253781/4598_1478857553_3-deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-afghanistan-19-10-2016.pdf, Zugriff 23.4.2018

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- AAN - Afghanistan Analysts Network (12.4.2018): Afghanistan Election Conundrum (6): Another new date for elections, https://www.afghanistan-analysts.org/afghanistan-election-conundrum-6-another-new-date-for-elections/, Zugriff 16.4.2018

- AAN - Afghanistan Analysts Network (25.11.2017): A Matter of Regisration: Factional tensions in Hezb-e Islami, https://www.afghanistan-analysts.org/a-matter-of-registration-factional-tensions-in-hezb-e-islami/, Zugriff 16.4.2018

- AAN - Afghanistan Analysts Network (11.10.2017): Mehwar-e Mardom-e Afghanistan: New opposition group with an ambiguous link to Karzai, https://www.afghanistan-analysts.org/mehwar-e-mardom-e-afghanistan-new-opposition-group-with-an-ambiguous-link-to-karzai/, Zugriff 28.5.2018

- AAN - Afghanistan An

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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