Entscheidungsdatum
26.03.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W204 2138973-1/45E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER über die Beschwerde von XXXX H XXXX , geb. am XXXX .1986, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Dr. Mario Züger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.10.2016, Zl. 1068280908 - 150496823, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX H XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX H XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Die Spruchpunkte II. bis IV. des angefochtenen Bescheides werden gemäß § 28 Abs. 1, 2 VwGVG ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste in das Bundesgebiet ein und stellte am 12.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
I.2. Am selben Tag wurde der BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Niederösterreich niederschriftlich erstbefragt. Nach den Gründen befragt, die den BF bewogen, seine Heimat zu verlassen, gab er an, er sei aufgrund seiner Arbeit als Dolmetscher für die US-Armee von den Taliban bedroht worden.
I.3. Am 23.05.2016 wurde der BF von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu unter anderem zu seinem Gesundheitszustand, seiner Identität, seinen Lebensumständen in Afghanistan, seinen Familienangehörigen und seinen Lebensumständen in Österreich befragt. Nach den Gründen befragt, die den BF bewogen, seine Heimat zu verlassen, gab er an, er habe als Dolmetscher für die Armee der US-Amerikaner gearbeitet und sei dabei 2014 bei einem Einsatz in seinem Heimatdorf eingesetzt worden, bei dem drei vermeintliche Taliban festgenommen worden seien. Er sei erkannt und ihm sei deswegen gedroht worden, er werde umgebracht, sollte er noch einmal ins Heimatdorf kommen. Bereits 2011 habe es telefonische Drohungen seitens der Taliban gegeben.
I.4. Am 04.10.2016 langte eine Stellungnahme des BF zu den ihm übermittelten Länderinformationen ein, in der er auf die schlechte Sicherheitslage verwies.
I.5. Mit Bescheid vom 13.10.2016, dem BF am 18.10.2016 zugestellt, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).
Begründend führte die Behörde aus, dass es dem BF nicht gelungen sei, seine Aussage glaubhaft zu machen, weswegen ihm der Status eines Asylberechtigten nicht gewährt werden könne. Aus dem Vorbringen des BF und der allgemeinen Situation lasse sich bei einer Rückkehr nach Afghanistan auch keine unmenschliche Behandlung oder eine im gesamten Herkunftsstaat vorliegende extreme Gefährdungslage erkennen. Gemäß § 57 AsylG sei auch eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nicht zu erteilen, da die Voraussetzungen nicht vorlägen. Die Interessensabwägung nach Art. 8 EMRK ergebe ein Überwiegen der öffentlichen Interessen, weswegen die Rückkehrentscheidung zulässig sei.
I.6. Mit Verfahrensanordnung vom 17.10.2016 wurde dem BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.
I.7. Mit Schriftsatz vom 28.10.2016 erhob der BF Beschwerde im vollen Umfang wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften. Er beantragte, den angefochtenen Bescheid zu beheben und ihm den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen; in eventu den angefochtenen Bescheid zu beheben und zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines neuen Bescheids an das BFA zurückzuverweisen; in eventu dem BF den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Staat Afghanistan zuzuerkennen; in eventu festzustellen, dass die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei und ihm einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG zu erteilen und festzustellen, dass die Abschiebung nach Afghanistan unzulässig sei sowie jedenfalls eine mündliche Verhandlung durchzuführen.
Begründend wurde insbesondere der Beweiswürdigung des BFA entgegengetreten. Das Vorbringen des BF sei glaubhaft und er werde aufgrund seiner ehemaligen Berufstätigkeit verfolgt. Unabhängig davon sei ihm aufgrund der schlechten Sicherheitslage, zu der das BFA mangelhafte Feststellungen getroffen habe, jedenfalls der Status des subsidiär Schutzberechtigten zu gewähren.
I.8. Die Beschwerde und der Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 07.11.2016 vorgelegt.
I.9. Am 16.01.2017 langten Unterstützungsschreiben und Integrationsnachweise ein.
I.10. Am 17.01.2017 wurde der Akt der erkennenden Gerichtsabteilung neu zugewiesen.
I.11. Am 26.09.2017 legte der BF weitere Unterstützungsschreiben vor.
I.12. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 21.12.2017 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der der BF sowie der im Rubrum genannte Rechtsvertreter teilnahmen. Das BFA verzichtete mit Schreiben vom 30.10.2017 auf die Teilnahme an der Verhandlung. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde der BF im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu u.a. zu seiner Identität und Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, zu seinem Gesundheitszustand, seinen Familienangehörigen, seinen Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen sowie zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich ausführlich befragt.
I.13. Am 19.01.2018, am 22.01.2018, am 25.01.2018, am 29.01.2018, am 30.01.2018, am 02.02.2018 und am 05.02.2018 langten beim Bundesverwaltungsgericht Schreiben behaupteter ehemaliger Arbeitskollegen des BF ein, wonach dieser bis 2014 als Dolmetscher tätig gewesen sei.
I.14. Nach mehrmaligen Fristverlängerungen nahm der BF am 16.02.2018 entsprechend einem Ansuchen in der Beschwerdeverhandlung Stellung zu seinen Fluchtgründen. Dieser Stellungnahme waren die Schreiben der behaupteten ehemaligen Arbeitskollegen gesammelt beigelegt, wie auch ein Schreiben des Dorfvorstehers des Heimatdorfs des BF. Weiters wurden die zeugenschaftliche Einvernahme eines früheren Kollegen des BF, eine Vor-Ort-Recherche im Heimatort des BF und eine Anfrage an das Red Cross Afghanistan in der Provinz Laghman beantragt.
I.15. Am 21.07.2018 nahm der BF zu den zuvor übermittelten aktuellen Länderinformationen Stellung und führte aus, aus diesen ergebe sich klar, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative für den BF nicht in Frage komme. Selbst für Personen ohne spezifisches Gefährdungsprofil stelle Kabul aufgrund der Sicherheitslage keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative dar, wozu ein Gutachten aus einem deutschen Verfahren vorgelegt wurde.
Zudem wurde zur privaten Situation des BF ausgeführt, dass er eine österreichische Staatsbürgerin heiraten werde. Es sei daher von einem Überwiegen der privaten Interessen auszugehen, weil der BF aufgrund der Unterhaltspflicht seiner - baldigen - Ehefrau keine Belastung für den öffentlichen Haushalt darstelle. Zudem bestehe eine mündliche Einstellungszusage. Die Rückkehrentscheidung sei daher auf Dauer für unzulässig zu erklären und dem BF ein Aufenthaltstitel zu erteilen.
I.16. Am 17.10.2018 legte der BF die Heiratsurkunde, Fotos der Eheschließung und einen Mietvertrag über die Anmietung eines Zimmers und die Mitbenützung der zum gemeinsamen Gebrauch der Mieter bestimmten Einrichtungen der Wohnung, von WC und Dusche vor und führte aus, aufgrund seiner privaten Situation sei eine Rückkehrentscheidung unzulässig.
I.17. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.12.2018, W204 2138973-1/36E, wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde insbesondere ausgeführt, der BF habe eine Tätigkeit als Dolmetscher nur bis zum Jahr 2012 und eine Bedrohung lediglich aus dem Jahr 2011 glaubhaft gemacht. Die weitere Tätigkeit sowie eine Bedrohung im Jahr 2014 seien von ihm dagegen nicht glaubhaft gemacht worden. Aufgrund der langen Zeitspanne, in der der BF nach seiner Tätigkeit unbehelligt in Afghanistan leben konnte, sei daher keine aktuelle asylrelevante Verfolgung gegeben. Darüber hinaus wäre die Bedrohung selbst bei Wahrunterstellung einer Verfolgung im Jahr 2014 nicht aktuell, weil auch aus den vom BF selbst vorgelegten Länderberichten hervorgehe, dass sich die Bedrohungen der Taliban gegen aktive Dolmetscher richteten, während jene, die ihre Tätigkeit einstellten, keine Bedrohungen mehr erwarten müssten. Ebenso betreffe diese Gefährdung nur jene Gegenden, die die Taliban beherrschten, während in von der Regierung kontrollierten Gebieten eine derartige Gefahr nicht bestehe. Es stehe dem BF daher selbst bei Wahrunterstellung aufgrund der Einstellung seiner Tätigkeit eine innerstaatliche Fluchtalternative in von der Regierung kontrollierten Gebieten offen. Weiters wurde näher begründet ausgeführt, dass ihm auch kein subsidiärer Schutz zuzuerkennen sei und trotz der mittlerweile erfolgten Heirat mit einer österreichischen Staatsbürgerin eine Rückkehrentscheidung aufgrund des Überwiegens der öffentlichen Interessen zulässig sei.
I.18. Mit Erkenntnis vom 25.02.2020, E 315/2019-12, hob der Verfassungsgerichtshof diese Entscheidung auf, weil der BF in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden sei. Begründend wurde ausgeführt, dass die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, die Bedrohungen richteten sich nur gegen aktive Dolmetscher ebenso wenig Deckung in den im Gerichtsakt vorhandenen Länderberichten finde, wie die weitere Annahme, in von der Regierung kontrollierten Gebieten bestehe keine Gefährdung. Das Bundesverwaltungsgericht habe die Entscheidung mit Willkür belastet, indem es die als glaubhaft festgestellte Tätigkeit als Dolmetscher für die US-Armee bis 2011 nicht mit den im Gerichtsakt ersichtlichen Länderberichten in Beziehung gesetzt habe.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:
- Einsicht in den den BF betreffenden und dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, insbesondere in die Befragungsprotokolle;
- Befragung des BF im Rahmen einer öffentlich mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 21.12.2017;
- Einsicht in die in das Verfahren eingeführten Länderberichte zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat und in die vom BF vorgelegten Unterlagen;
- Einsicht in das ZMR, das Strafregister und das Grundversorgungssystem.
II.1. Feststellungen:
II.1.1. Zum BF und seinen Fluchtgründen:
Der BF wurde in Kabul geboren und wuchs im Dorf XXXX in der Provinz Laghman auf. Er ist Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und der sunnitischen Glaubensgemeinschaft. Er ist volljährig, seine Identität steht nicht fest.
Der BF besuchte in Afghanistan, Laghman, zwölf Jahre lang die Schule. Seine Muttersprache ist Paschtu. Er beherrscht zudem Dari und Englisch in Wort und Schrift. Außerdem spricht er Urdu. Der Vater des BF ist Universitätsprofessor in N XXXX . Seine Familie lebt weiterhin in ihrer Heimatprovinz, wo sie ein Haus besitzt. Der Bruder und ein Onkel des BF leben und arbeiten in Kabul.
Der BF war bis 2012 als Dolmetscher für die amerikanische Armee tätig. Aufgrund dieser Tätigkeit wurde er 2011 von den Taliban telefonisch bedroht. Der BF wurde daraufhin, nachdem er diese Bedrohung seinem Arbeitgeber mitteilte, versetzt. Auch wechselte der BF seine Telefonnummer, wodurch die Bedrohungen aufhörten.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Jahr 2014 bei einem Einsatz in seinem Heimatdorf eingesetzt und dabei von den Dorfbewohnern erkannt und in weiterer Folge von den Taliban gesucht wurde. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF in Afghanistan nach dem Jahr 2011 persönlich bedroht und verfolgt worden ist. Vielmehr konnte er nach Beendigung seiner Tätigkeit im Jahr 2012 bis zu seiner Ausreise unbehelligt in Afghanistan leben und auch seine Familie im Heimatdorf besuchen.
Dem BF droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seiner ehemaligen Tätigkeit als Dolmetscher bei der US-Armee bis 2012 im gesamten Staatsgebiet Afghanistans von den Taliban physische und/oder psychische Gewalt, vor der ihn der Staat nicht schützen könnte.
Der BF leidet an einer Reizblase, was in Afghanistan bereits behandelt worden ist. Ansonsten ist er gesund und arbeitsfähig. Er befindet sich aktuell nicht in ärztlicher Behandlung und nimmt derzeit keine Medikamente.
Der BF geht in Österreich keiner Erwerbstätigkeit nach. Er beschäftigte sich bei der Stadt XXXX und beim Österreichischen Roten Kreuz gemeinnützig. Er hat im Bundesgebiet an Deutschkursen teilgenommen und verfügt über gute Deutschkenntnisse, die zumindest das Niveau A2 umfassen. Der BF hat die Pflichtschulabschluss-Prüfung als Externist an der NMS XXXX bestanden.
Der BF ist seit 12.10.2018 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet, seit 30.10.2018 lebt er mit dieser im gemeinsamen Haushalt. Sie haben ein Zimmer in einer Wohnung gemietet und können WC, Dusche und andere gemeinschaftliche Einrichtungen der Wohnung mitbenützen. Zu den Familienangehörigen seiner Ehefrau besteht ein gutes Verhältnis. Der BF schloss mehrere Freundschaften mit Österreichern.
Der BF ist strafrechtlich unbescholten. Er bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.
II.1.2. Zur Situation im Herkunftsland:
Zivilisten, die mit den internationalen Streitkräften verbunden sind oder diese vermeintliche unterstützen
Regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) haben Berichten zufolge afghanische Zivilisten, die für die internationalen Streitkräfte als Fahrer, Dolmetscher oder in anderen zivilen Funktionen arbeiten, bedroht und angegriffen. Aus Berichten geht auch hervor, dass regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) ehemalige Mitarbeiter der internationalen Streitkräfte und der Regierung angreifen (UNHCR Richtlinien vom 19.04.2016, S. 43; UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018, S. 49).
Auszug aus der Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Provinz Laghman: Gefahr durch Taliban für ehemalige ISAF-Mitarbeiter bzw Personen, die mit sonstigen US-Organisationen kooperiert haben, Verfolgung auch in anderen Provinzen bzw. höheres Sicherheitsrisiko? [a-10322-1]
Im August 2015 wurde berichtet, dass ein ehemaliger für das britische Militär tätiger Dolmetscher in seinem Zuhause in der Provinz Helmand getötet wurde, nachdem er von den Taliban als Spion bezeichnet worden war. [...]
Die britische Tageszeitung The Telegraph berichtet in einer Reportage vom September 2015 über eine Gruppe von ehemaligen afghanischen Dolmetschern, die für die Nato in Afghanistan tätig gewesen seien, dass diese nach eigenen Angaben Drohungen von den Taliban erhalten hätten, da sie für "den Feind" gearbeitet hätten. Wie The Telegraph bemerkt, hätten Tausende Afghanen als Dolmetscher für ausländische Truppen gearbeitet, und viele von ihnen würden auch lange nach Beendigung ihrer Tätigkeit ständig bedroht".
Taliban: Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel - die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB 13.11.2019, S. 26; S. 29).
Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB 13.11.2019, S. 27).
Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB 13.11.2019, S. 27).
Sicherheitsbehörden:
Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF - Afghan National Defense and Security Forces) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police) (LIB 13.11.2019, S. 249).
Die Afghanische Nationalarmee (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Das Verteidigungsministerium hat die Stärke der ANA mit 227.374 autorisiert (LIB 13.11.2019, S. 250). Die Afghan National Police (ANP) gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA (LIB 13.11.2019, S. 250). Die Afghan Local Police (ALP) wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB 13.11.2019, S. 251).
II.2. Beweiswürdigung
II.2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und dem Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts.
II.2.2. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit sowie zur Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit des BF, dessen Volljährigkeit und seiner Heimatprovinz stützen sich auf dessen eigenen mehrfach getätigten, glaubhaften Angaben im Rahmen des Verfahrens (AS 1, 51f, S. 5f VP). Ebenso beruhen die Feststellungen zu seiner Schulbildung, seinen Sprachkenntnissen und seinen Familienverhältnissen auf den glaubhaften Angaben des BF (AS 1, 5, 53f, S. 5-8 VP). Die Identität des BF kann mangels Vorlage unbedenklicher Dokumente nicht festgestellt werden.
II.2.3. Dem Vorbringen des BF, er sei Dolmetscher bei der US-Armee gewesen, kann nur teilweise gefolgt werden. So konnte aufgrund der vorgelegten Fotos und Bestätigungen der US-Armee (AS 351ff) eine Tätigkeit des BF als Dolmetscher für die US-Armee nur bis 2012 festgestellt werden. Aufgrund der diesbezüglich gleichbleibenden, konkreten, detaillierten, widerspruchsfreien, plausiblen und damit glaubhaften Angaben des BF (AS 56, 60f, S. 14f VP) konnte deshalb auch eine ihn persönlich betreffende Bedrohung aus dem Jahr 2011 ebenso festgestellt werden, wie dass diese durch Versetzung und den bloßen Wechsel seiner Telefonnummer abgewendet werden konnte. Zwar verkennt das Bundesverwaltungsgericht nicht, dass derartige Beweismittel im Heimatland leicht zu beschaffen sind und diesen nur eine geringe Beweiskraft zukommen kann. Jedoch hat der BF seine damalige Tätigkeit und die Vorfälle des Jahres 2011 durchaus glaubwürdig und detailliert vorgetragen. Seine Angaben, wie er bzw sein Dienstgeber reagierten und welche Maßnahmen getroffen worden sind, sind nachvollziehbar und plausibel und erwiesen sich als wirkungsvoll.
Im Gegensatz zum glaubhaften Vorbringen zum Jahr 2011 ist es dem BF jedoch nicht gelungen, eine Tätigkeit als Dolmetscher bis 2014 und den damit zusammenhängenden angeblichen Vorfall in seinem Heimatdorf, der ihn zur Flucht gezwungen haben soll, plausibel und nachvollziehbar zu schildern. So konnte der BF keine näheren und genauen Angaben tätigen sowie nicht schlüssig darlegen, weshalb er im Unterschied zu den weiter zurückliegenden Jahren weder Unterlagen noch Dienstausweise oder auch nur Bankauszüge über das auf sein Bankkonto überwiesene Gehalt vorlegen konnte. Auch sein Aussageverhalten in der Beschwerdeverhandlung vermittelte nicht den Eindruck, dass er tatsächlich über das Jahr 2012 hinaus als Dolmetscher tätig war. Hingegen legte er glaubhaft die damals entstandenen gesundheitlichen Probleme, die ihm bei der Arbeit hinderlich waren, dar und er bestätigte auch, dass zu dieser Zeit aufgrund des geplanten Nato-Rückzugs zahlreiche kleine Basen in den Distrikten geschlossen wurden. All dies legt nahe, dass der BF bereits Anfang 2012 seine Tätigkeit als Dolmetscher beendet hat.
Gegen eine Tätigkeit des BF über das Jahr 2012 hinaus spricht auch der Umstand, dass er unterschiedliche Angaben zu seinem angeblichen Einsatzort machte. Vor dem BFA gab er nämlich noch an, er sei hauptsächlich an der Hauptbasis " XXXX " beim Flughafen XXXX stationiert gewesen (AS 58), während er in der Beschwerdeverhandlung auf diesbezügliche Nachfrage explizit verneinte, dort stationiert gewesen zu sein (S. 17 VP). Darüber hinaus war er auch in der Beschwerdeverhandlung nicht imstande, den genauen Namen seiner Basis zu nennen (S. 16 VP), obwohl er dort drei Jahre lang gedient haben will. Auch seine Erklärung, das sei der Name eines Soldaten und kein Wort, das er gelernt habe und wissen müsse, überzeugt nicht. Auffällig ist auch, dass er den Namen in weiterer Folge nicht annähernd richtig niederschreiben konnte (vgl. Beilage 1 zum VP), obwohl er dort wie ausgeführt jahrelang stationiert gewesen sein soll und er nicht zuletzt ja gerade als Dolmetscher dort gearbeitet haben will. Es konnte daher nur eine Tätigkeit des BF bis 2012 festgestellt werden.
Auch die im Beschwerdeverfahren vorgelegten Bestätigungen angeblicher ehemaliger Arbeitskollegen beziehungsweise Arbeitgeber vermögen an dieser Einschätzung nichts zu ändern. Abgesehen davon, dass nämlich die Identität des BF mangels Vorlage von geeigneten Dokumenten nicht festgestellt werden konnte, solche Schreiben bekanntlich leicht beschafft werden können und diesen Schreiben insgesamt nur eine verminderte Beweiskraft zukommt, bleibt die Identität der angeblichen Kollegen ebenso völlig ungeklärt. Folglich kann es sich dabei auch um bloße Gefälligkeitsschreiben handeln. Weitere Ermittlungen konnten jedoch unterbleiben, weil selbst die vorgelegten Ausweise der angeblichen Kollegen längstens im Jahr 2013 ausgelaufen sind, sodass nicht klar ist, wie diese Personen den Aufenthalt des BF an genannter Militärbasis im Jahr 2014 bestätigen können sollten. Das betrifft auch den vom BF beantragten Zeugen, der nach dessen eigenen Angaben nur bis 2013 Dolmetscher war und den BF ebenfalls zuletzt 2013 auf einem Stützpunkt gesehen haben will. Selbst wenn der BF 2013 daher von diesem Zeugen auf einem Stützpunkt gesehen worden sein sollte, so ist daraus für den BF noch nichts gewonnen. Der angebliche, die Bedrohung auslösende Vorfall soll ja erst Ende 2014 stattgefunden haben. Darüber könnte der beantragte Zeuge jedoch nichts aussagen, weshalb dessen Befragung unterbleiben konnte.
Auch das vorgelegte Schreiben eines angeblichen ehemaligen Vorgesetzten des BF ist nicht geeignet, das Vorbringen des BF glaubhaft zu machen. Bereits die E-Mail-Adresse lautet anders, als im Schreiben selbst angeführt, und zudem ist der Name in der E-Mail-Adresse falsch wiedergegeben. Das Schreiben stammt damit nicht aus einer offiziellen Quelle der US-Armee und hat schon deshalb keine Beweiskraft. Dieses Schreiben weist aber auch einen völlig anderen Briefkopf auf als alle anderen vom BF vorgelegten Schreiben der US-Armee. Darin wird statt vom "Department of the Army" vom "Department of Defence" (richtig wäre überdies Defense) gesprochen. Bereits aufgrund dieses Rechtschreibfehlers - das neben dem auffälligen Briefkopf verwendete Emblem führt hingegen wiederum richtig "Department of Defense" an - wäre dieses Schreiben als fingiertes Schreiben zu beurteilen. Selbst dieses Schreiben könnte aber keine aufrechte Beschäftigung zu Jahresende 2014 belegen, weil es sich nur auf einen Zeitraum bis Februar 2014 bezieht.
Es ist darüber hinaus kein Grund ersichtlich, warum der BF dieses Schreiben von Dezember 2017 über eine Arbeitstätigkeit von Februar 2013 bis Februar 2014 nicht bereits früher erhalten haben sollte, zumal er behauptete, er habe derartige Schreiben immer automatisch erhalten, wenn seine Arbeit bei einem Team beendet gewesen sei (S. 10 VP). Da in diesem Schreiben von einer Einsatztätigkeit bis Februar 2014 berichtet wird, hätte der BF über diese Bestätigung also bereits weit früher verfügen müssen. Er hätte diese daher auch im Verfahren schon mit den anderen Beweismitteln vorlegen können. Auch die dem BFA vorgelegten Schreiben weisen einen Abstand von rund einem Jahr auf. Warum jedoch dem BFA keine Schreiben aus den Jahren 2013 und 2014 vorgelegt werden konnten, ist nicht erklärlich. Auch die vorgelegten Fotos sind zeitlich nicht einordenbar, sodass auch diese keine Feststellung stützen können, wie lange der BF bei der Armee gedient hat. Lediglich der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die vorgelegten Dienstausweise auf zwar ähnliche, aber dennoch andere Namen lauten als jenen, den der BF in Österreich führt und der in den Schreiben der Armee erwähnt wird (AS 351).
Gegen den angeblichen Vorfall Ende 2014 spricht weiter der Umstand, dass der BF nicht in der Lage war, einen ungefähren Zeitpunkt zu nennen, wann dieser stattgefunden haben soll. Er sprach stets nur davon, dass es September oder Dezember gewesen sei (AS 59, S. 8f, 13 VP). Auch wenn nicht verkannt wird, dass in Afghanistan Daten nicht eine so bedeutende Rolle, wie in Europa spielen, so wäre beim BF doch zu erwarten gewesen, dass er ein genaues Datum oder zumindest den Monat des Vorfalls nennen könnte. Da es sich beim BF mit 12 Jahren Schulbildung und weiterer Ausbildung um einen sehr gebildeten jungen Mann handelt, der mehrere Jahre lang bei der US-Armee als Dolmetscher tätig war, ist nämlich davon auszugehen, dass er im Stande sein müsste, zumindest den Monat des Vorfalls genau zu benennen. Abgesehen davon sind diese Daten auch mit dem angeblichen Ausreisedatum nicht in Einklang zu bringen (siehe Vorhalt S. 6 VP).
Insbesondere ist auch das Verhalten des BF nach dem angeblichen Vorfall vor allem im Vergleich zu jenem von 2011 nicht nachvollziehbar. Während er nämlich im Jahr 2011 seinen Vorgesetzten davon erzählte und binnen zwei Wochen von diesen auch tatsächlich versetzt wurde, verließ er 2014 den Stützpunkt mehr oder weniger überstürzt, obwohl ihm angeboten worden sei, er könne mehrere Monate in der Basis bleiben. Statt dieses Angebot anzunehmen und sich während dieser Monate um ein Visum für die Vereinigten Staaten oder eine sonstige Ausreisemöglichkeit zu bemühen, verließ er die Basis und nahm den für ihn angeblich gefährlichen Weg nach Kabul auf sich, wo er sich bei seinem Bruder versteckt haben will. Bei einem gebildeten Mann wie dem BF wäre jedoch zu erwarten, dass er sich zumindest kurzzeitig weiterhin unter den Schutz der US-Amerikaner stellt und dann seine weiteren Möglichkeiten auslotet, anstatt sich selbst zu gefährden; dies umso mehr, als ihm bereits einmal innerhalb kurzer Zeit von den US-Amerikanern erfolgreich geholfen wurde, er auch um das amerikanische Einreise- und Aufnahmeprogramm wusste und sich sein Dienstgeber für ihn verantwortlich fühlte. Auch seine Erklärung, er habe nach der ersten Drohung 2011 noch gehofft, er könne zumindest sicher in seinem Heimatdorf leben, während er das nach dem Manöver 2014 in seinem Heimatdorf nicht mehr könne (S. 18, 20 VP), überzeugt nicht. Nach seiner Aussage wären die Mehrheit der Dorfbewohner Taliban (AS 62), weswegen es ihm auch damals nicht möglich gewesen sein müsste, im Heimatdorf zu leben, da die Taliban auch damals bereits gewusst hätten, dass er für die Amerikaner tätig war. Dennoch hat er aber wiederholt und ohne von jeglichen Problemen zu berichten - zuletzt zwei oder drei Monate vor der Ausreise - seine Eltern besucht, weshalb nicht von einer landesweiten Gefährdung für ihn auszugehen ist.
Insgesamt ist daher der Aussage des BF zum Vorfall 2014 aufgrund der unplausiblen, oberflächlichen Schilderung, die auch auf Nachfrage nicht konkretisiert werden konnte, in Verbindung mit dem persönlichen Eindruck des BF während der Beschwerdeverhandlung die Glaubhaftigkeit abzusprechen. Vor diesem Hintergrund vermochte auch die vom BF vorgelegte "Bestätigung" des Dorfvorstehers das Bundesverwaltungsgericht nicht von der Glaubhaftigkeit seiner Fluchtgeschichte zu überzeugen, zumal solche Bestätigungen der Dorfältesten dem notorischen Amtswissen nach bekannter Weise leicht zu fälschen sind oder aus Gefälligkeit ausgestellt werden. Auch die weiteren beantragten Recherchen konnten daher vor diesem Hintergrund unterbleiben. Selbst wenn diese Berichte einen Einsatz im Heimatdorf des BF im Dezember 2014 bestätigten, käme diesen Berichten darüber hinaus aufgrund der nicht feststehenden Identität des BF auch keine absolute Beweiskraft zu.
Auch wenn der BF daher lediglich im Jahr 2011 einen Drohanruf erhielt, als er überdies in einer anderen Provinz stationiert war, wo er danach nicht mehr arbeitete, er seine Tätigkeit als Dolmetscher im Jahr 2012 einstellte und danach bis zur Ausreise jahrelang völlig unbehelligt in Afghanistan leben und seine Familie trotz dortiger Taliban-Präsenz im Heimatort besuchen konnte und auch seine Eltern nach wie vor unbehelligt im Heimatort leben können, obwohl auf diese laut den vom BF selbst ins Verfahren eingeführten Länderberichten massiver Druck ausgeübt werden würde, und obwohl Teile seiner Familie (Bruder und Onkel) zudem unbehelligt in Kabul leben und arbeiten, folgt nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs in seinem für den BF ergangenen Erkenntnis aus den lediglich allgemeinen Berichten, die im Gegensatz zu den oben angeführten Umständen nicht konkret auf den BF Bezug nehmen, dass der BF trotz Beendigung seiner Dolmetscher-Tätigkeit im Jahr 2012 überall in Afghanistan nach wie vor einer aktuellen Gefahr einer Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt wäre und keine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist. Aufgrund der weiteren allgemeinen Länderberichte war auch festzustellen, dass der Staat gegen diese vom Verfassungsgerichtshof festgestellten Bedrohungshandlungen nicht schutzfähig beziehungsweise -willig ist.
II.2.4. Die Feststellungen zum Leben des BF in Österreich und seiner Heirat stützen sich auf seine diesbezüglichen Aussagen sowie die diese stützenden Beweismittel, an denen kein Grund zu zweifeln besteht. Die gemeinsame Wohnsitznahme und Feststellung zur Wohnsituation ergeben sich aus einem aktuellen Melderegisterauszug in Verbindung mit dem vorgelegten Mietvertrag.
Dass der BF Leistungen aus der Grundversorgung bezieht, konnte aufgrund des aktuellen Auszugs aus dem Grundversorgungssystem festgestellt werden, dass er strafrechtlich unbescholten ist aufgrund eines aktuellen Strafregisterauszugs.
Auch die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF basieren auf dessen Aussage (S. 4 VP) und dem im Akt einliegenden Befund (AS 89). Außer der Reizblase machte der BF keine weiteren Krankheiten, insbesondere keine chronischen geltend. Dass er trotzdem arbeitsfähig ist, zeigt sich bereits daran, dass er in Österreich auch gemeinnützige Tätigkeiten leistete und dies zudem selbst angibt.
II.2.5. Die Länderfeststellungen gründen auf den jeweils angeführten Länderberichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Diese wurden dem BF durch das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Ladung zur mündlichen Verhandlung zur Kenntnis gebracht beziehungsweise teils von ihm selbst eingebracht und mit diesem in der Beschwerdeverhandlung erörtert. Die getroffenen Länderfeststellungen enthalten eine Vielzahl von Berichten, legen damit ein ausgewogenes Bild betreffend die allgemeine Situation in Afghanistan dar und beziehen sich zudem auch auf die persönlichen Umstände des BF. Zum aktualisierten Länderinformationsblatt vom 13.11.2019 war dem BF kein Parteiengehör zu gewähren, weil einerseits seinem Antrag stattzugeben war und diese im Wesentlichen mit der Vorversion des Länderinformationsblattes übereinstimmen und für das individuelle Vorbringen des BF keine entscheidungswesentlichen Veränderungen enthält und ihm zur Vorversion darüber hinaus bereits eine Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben wurde. Es sind im Verfahren keine Gründe hervorgekommen, aus denen sich Zweifel an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen ergeben würden, vielmehr hat der Rechtsvertreter in seiner Stellungnahme diese Berichte bestätigt und in seiner Argumentation auf diese verwiesen, weshalb diese der vorliegenden Entscheidung zugrunde gelegt werden konnten.
III. Rechtliche Beurteilung:
III.1. Gemäß § 3 BFA-G obliegt dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Vollziehung des BFA-VG (Z 1), die Vollziehung des Asylgesetzes 2005 (Z 2), die Vollziehung des 7., 8. und 11. Hauptstückes des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (Z 3), und die Vollziehung des Grundversorgungsgesetzes - Bund 2005 (Z 4).
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, was im gegenständlichen Verfahren nicht der Fall ist.
III.2. Zu Spruchpunkt A)
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung". Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. zB. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011).
Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, 95/01/0454, 09.04.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse, sondern erfordert eine Prognose (vgl. VwGH 16.02.2000, 99/01/0397). Verfolgungshandlungen die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318).
Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 15.03.2001, 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (vgl. VwGH 16.06.1994, 94/19/0183).
Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheid-/Erkenntniserlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem festgestellten Sachverhalt nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs, an die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 87 Abs. 2 VfGG gebunden ist, vor dem Hintergrund der oben festgestellten Berichtslage zur allgemeinen politischen und menschenrechtlichen Situation in Afghanistan entgegen der Ansicht der belangten Behörde, dass der BF Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ist.
Wie im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt, ist es dem BF gelungen, glaubhaft zu machen bis 2012 (und nicht wie vom Verfassungsgerichtshof unter 2.5. ausgeführt bis 2011) Dolmetscher der US-Armee gewesen zu sein. Der Verfassungsgerichtshof folgert aus den vom Bundesverwaltungsgericht und vom BF ins Verfahren eingebrachten Länderberichten, dass der BF aufgrund dieser Tätigkeit einer Bedrohung ausgesetzt ist, die auch nach wie vor aktuell ist, obwohl der BF lediglich 2011 ein einziges Mal telefonisch bedroht worden ist, er sich dem erfolgreich durch Wechsel des Dienstortes und des Telefons entzog und er danach - jedoch nicht deswegen - 2012 überhaupt seine Dolmetschertätigkeit beendete, problemlos im Heimatland lebte, seine Familie im Heimatort besuchen konnte und er seitdem keinen Bedrohungen ausgesetzt war. Dem BF wird nach den allgemeinen Länderberichten damit von den Taliban eine politisch oder religiöse oppositionelle Gesinnung unterstellt und er wird deswegen von den Taliban verfolgt, woran der erforderliche Anknüpfungspunkt an einen Konventionsgrund liegt (VwGH 19.04.2016, Ra 2015/01/0079, 15.03.2016, Ra 2015/01/0069, 13.10.2015, Ra 2014/01/0243, 10.12.2014, Ra 2014/18/0103 bis 0106; siehe auch VfGH 13.12.2017, E 2497/2016).
Dabei handelt es sich zwar nicht um eine staatliche Verfolgung, nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt jedoch auch einer von Privatpersonen beziehungsweise privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 18.11.2019, Ra 2019/18/0362). Zum gegenwärtigen Zeitpunkt bestehen in Afghanistan weder ein funktionierender Polizei- noch ein funktionierender Justizapparat. Für den BF ist damit nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er vor den Drohungen der Taliban ausreichend geschützt wird. Die ihm im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan bedrohende Situation ist in ihrer Gesamtheit von asylrelevanter Intensität. Der Verfassungsgerichtshof führte auch aus, dass sich aus den Berichten ergebe, dass diese Bedrohung im gesamten Staatsgebiet Afghanistans bestehe, weswegen der BF auch nicht auf eine innerstaatliche Fluchtalternative verwiesen werden kann.
Aufgrund der Ermittlungsergebnisse ist daher davon auszugehen, dass der BF in seinem Herkunftsstaat Eingriffe asylrelevanter Intensität mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat, weswegen er sich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der GFK außerhalb Afghanistans befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Ein Endigungs- oder Ausschlussgrund im Sinne der Art. 1 Abschnitt C oder F GFK ist nicht hervorgekommen. Der Beschwerde ist daher stattzugeben und dem BF gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen; dies ist gemäß § 3 Abs. 5 AsylG mit der Feststellung zu verbinden, dass dem BF damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Da der BF seinen Antrag vor dem 15.11.2015 stellte, findet § 3 Abs. 4 AsylG, wonach die Aufenthaltsberechtigung drei Jahre gilt, auf den BF keine Anwendung (§ 75 Abs. 24 AsylG).
Aufgrund der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und der damit verbundenen Aufenthaltsberechtigung liegen die Voraussetzungen für die weiteren Spruchpunkte des angefochtenen Bescheids nicht mehr vor, diese waren daher ersatzlos zu beheben.
III.3. Zum Unterbleiben einer (weiteren) mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn dieser Bestimmung "geklärt erscheint" folgende Kriterien beachtlich:
Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht muss die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (zB VwGH 21.01.2020, Ra 2020/14/0011).
Vor diesem Hintergrund konnte eine weitere mündliche Verhandlung unterbleiben, weil die Ermittlungsergebnisse nach wie vor die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen und das Bundesverwaltungsgericht an die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs nach § 87 Abs. 2 VfGG gebunden ist. Darüber hinaus wurde dem Antrag des BF stattgegeben und hat das BFA auf eine Verhandlung verzichtet.
III.4. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A) wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar. Bei Gefahrenprognosen im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG und bei Interessenabwägungen nach Art. 8 EMRK handelt es sich letztlich um einzelfallbezogene Beurteilungen, die im Allgemeinen nicht revisibel sind (z.B. VwGH 18.03.2016, Ra 2015/01/0255; 12.10.2016, Ra 2016/18/0039).
Schlagworte
Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Behebung der Entscheidung Ersatzentscheidung ersatzlose Teilbehebung Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit Kassation mündliche Verhandlung politische Gesinnung private Verfolgung Rückkehrentscheidung Schutzunfähigkeit des Staates Spruchpunktbehebung staatlicher Schutz unterstellte politische Gesinnung Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete FurchtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W204.2138973.1.00Im RIS seit
18.09.2020Zuletzt aktualisiert am
18.09.2020