Entscheidungsdatum
06.04.2020Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W231 2199246-1/34E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Birgit HAVRANEK als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , afghanischer Staatsangehöriger, geb. am XXXX , vertreten durch den Verein Asyl in Not, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.05.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt I wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der BF reiste spätestens am 16.11.2015 in das Bundesgebiet ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
I.2. Bei seiner Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 10.12.2015 gab er an, er sei verheiratet, Hazara und dem schiitischen Islam zugehörig. Seine Angehörigen seien in Pakistan aufhältig, in Kabul habe er eine Schwester. Er sei mit seinem Bruder nach Österreich gekommen. Sein Fluchtgrund sei, dass er in der Afghanischen Armee als Offizier gedient und mit der NATO zusammengearbeitet habe; er sei gegen Al-Kaida, Taliban und Daesh tätig gewesen, aus diesen Gründen und weil er Hazara sei, sei er von den Taliban mit dem Tod bedroht und auch bereits attackiert worden.
I.3. Bei seiner Einvernahme am 07.11.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien (in Folge: BFA) legte der BF zahlreiche Beweismittel, u.a. einen Ausweis der afghanischen Armee im Original, diverse Urkunden über Verdienste für die afghanische Regierung bzw. in Afghanistan absolvierte Ausbildungsmaßnahmen sowie medizinische Befunde vor, weiters diverse Empfehlungsschreiben und Teilnahmebstätigungen (vgl. AS 43; 57ff). Er habe 12 Jahre in Afghanistan im Heimatdorf die Schule besucht, sei dann er bei der Polizei in Qarabagh gewesen, anschließend habe er eine Militärausbildung absolviert. Der BF schilderte sodann ausführlich (AS 46ff) seine Einsatzorte und Aufgaben in diesem Zusammenhang: Zusammengefasst sei er zuerst in der Provinz Paktia stationiert gewesen, dann nach Ghazni versetzt worden, wo er mit der Rückeroberung eines Gebietes beauftragt worden sei. Er habe Erfolge vorwiesen können, dutzende Taliban seien getötet worden, er habe auch einen gefährlichen Taliban-Kommandanten festnehmen können, der aber dann auf Geheiß von übergeordneten Behörden wieder freigelassen wurde. Als der Kommandant freigekommen sei, seien der BF und seine Familie mehrmals telefonisch bedroht worden. Die Taliban hätten Zugriff auf seine Daten und den Auftrag, den BF zu töten. Als 2015 mehrere Hazara von den Taliban in Zabul festgenommen worden seien, habe der BF als Offizier mit hundert Mann erfolgreich die Operation zur Befreiung dieser Menschen geführt. Dafür habe er vom afghanischen Präsidenten einen Verdienstorden erhalten. Als der BF nach Ghazni nach dieser Operation zurückgekommen sei, sei sein Haus angegriffen worden, der BF sei verletzt und ins Krankenhaus gebracht worden. Nach seiner Genesung habe er wieder seinen Dienst angetreten, es sei ein Anschlag auf das Fahrzeug des BF verübt worden und der BF erneut ins Krankenhaus nach Kabul gebracht worden. Auch dort sei er von den Taliban bedroht worden. Dem BF wurden bei der Einvernahme zahlreichen Detailfragen zu seinem Fluchtvorbringen gestellt (AS 47 ff).
I.4. Das BFA wies mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid den Antrag sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für ihre freiwillige Ausreise vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).
Es sei zwar aufgrund der vorgelegten Beweismittel und der Angaben des BF im Rahmen des Verfahrens glaubwürdig, dass der BF in der afghanischen Armee gedient habe, ob der BF allerdings alle Ausbildungen auch tatsächlich absolviert habe, werde in Zweifel gezogen. Es lägen auch Indizien dafür vor, dass der BF seine Identität verschleiern wolle. Es sei völlig unglaubwürdig, dass der BF als "Unterleutnant" eine so hohe Verantwortung gehabt habe. Auch die Aussagen zu den Drohanrufen und Bedrohungen durch die Taliban seien vage und unkonkret, und wiesen Widersprüche auf. Das Fluchtvorbringen sei auch gesteigert. Insgesamt handle es sich um ein fiktives Konstrukt. Eine asylrelevante Verfolgung oder die Gefahr einer solchen habe nicht glaubhaft gemacht werden können, ebenso wenig lägen Gründe vor, die für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz oder eines Aufenthaltstitels sprechen könnten.
I.5. Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht die gegenständliche, zulässige Beschwerde.
I.6. Am 17.07.2019 und am 10.12.2019 Tag fand am Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, in der der BF ausführlich zu den geltend gemachten Fluchtgründen einvernommen wurde und sich die erkennende Richterin einen persönlichen Eindruck vom BF verschaffen konnte. Ein Vertreter des BFA nahm ebenfalls an der Verhandlung teil.
I.7. Am 17.07.2010 wurde das zustände Bundeskriminalamt ersucht, den im Verfahren vorgelegten Ausweis der afghanischen Nationalarmee auf Echtheit zu überprüfen (OZ 6). Laut Untersuchungs-Bericht (OZ 11), konnten unter Berücksichtigung des derzeitigen Kenntnisstandes bei den urkundentechnischen Untersuchungen der behördlichen Eintragungen (Ausfüllschriften / Lichtbild / Stempelabdrucke) keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Verfälschung gefunden werden konnten. Das BKA merkt an, dass dort bereits weitere Dokumente untersucht wurden, die urkundentechnisch dem vorliegenden Dokument gleichzusetzen sind.
I.8. Nach Zustimmung des BF (OZ 19, 20) bestellte das Bundesverwaltungsgericht einen nichtamtlichen Sachverständigen zur Erstellung einer gutachterlichen Stellungnahme, insbesondere zur militärischen Tätigkeit des BF in Afghanistan, die am 11.03.2020 einlangte (OZ 29). Die Parteien wurden vom Ergebnis dieser Beweisaufnahme verständigt (OZ 30); die belangte Behörde verzichtete auf eine Stellungnahme dazu (OZ 31).
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
II.1.1. Der BF ist volljährig, führt den im Spruch genannten Namen, ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist schiitischer Moslem. Die Muttersprache des BF ist Dari.
II.1.2. Der BF wurde in Afghanistan, Ghazni, geboren und ist dort aufgewachsen. Seine Angehörigen (Ehefrau und Kinder, Eltern, Geschwister) halten sich aktuell in Pakistan auf. Der BF ist mit seinem Bruder nach Österreich eingereist, dieser hält sich nunmehr in Italien auf.
Der BF hat in Afghanistan, Ghazni, für 12 Jahre die Schule besuch und trat ca. 2008 in den Polizeidienst ein. Ab ca. 2010 besuchte der BF eine Militärakademie in Kabul. Seinen ersten Militärdienst absolvierte der BF in der Provinz Paktia, ca. 2013 wurde er in die Provinz Ghazni verlegt, wo er exponiert in führender Position im Rahmen militärischen Sondereinsatztruppen gegen die Taliban kämpfte; er nahm auch an Operationen gegen die Taliban in Maidan Shahr und Zabul teil. Der BF wurde im Kampf gegen die Taliban verletzt und leidet auch an einem wiederkehrenden Tumor im Knie. Der BF war bis zu seiner Ausreise 2015 im Militärdienst aktiv und verließ Afghanistan wegen Bedrohung durch die Taliban. Der BF befürchtet, im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan auf Grund seiner Tätigkeit für das afghanische Militär von den Taliban getötet zu werden.
Der BF konnte insgesamt glaubhaft machen, dass er seinen Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung verlassen hat oder nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe seitens der Taliban wegen seiner ihm zumindest unterstellten politischen Gesinnung zu befürchten hätte. Der BF kann nicht in seine Herkunftsprovinz Ghazni zurückkehren; es steht ihm auch in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e-Sharif keine innerstaatliche Fluchtalternative offen; es ist glaubhaft, dass er auch dort von den Taliban gesucht und bedroht würde.
II.1.11. Zur aktuellen Situation in Afghanistan werden folgende Feststellungen getroffen (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019):
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 13.11.2019 - LIB 13.11.2019, S. 12).
Sicherheitslage
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (LIB 13.11.2019, S. 18). Diese ist jedoch regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich (EASO Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89ff; LIB 13.11.2019, S. 18 ff).
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung. Die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, sodass Engpässe entstehen. Dadurch können manchmal auch Kräfte fehlen um Territorium zu halten. Die Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau (LIB 13.11.2019, S. 19).
Für das gesamte Jahr 2018 gab es gegenüber 2017 einen Anstieg in der Gesamtzahl ziviler Opfer und ziviler Todesfälle. Für das erste Halbjahr 2019 wurde eine niedrigere Anzahl ziviler Opfer registrierten, im Juli, August und September lag ein hohes Gewaltniveau vor. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren 2018 am stärksten vom Konflikt betroffen (LIB 13.11.2019, S. 24).
Sowohl im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion, weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele (High Profile Angiffe - HPA) aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Diese Angriffe sind jedoch stetig zurückgegangen. Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt, zwischen 1.12.2018 und 15.5.2019 waren es 6 HPAs (LIB 13.11.2019, S. 25).
Regierungsfeindliche Gruppierungen
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB 13.11.2019, S. 26).
Taliban: Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel - die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB 13.11.2019, S. 26; S. 29).
Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB 13.11.2019, S. 27).
Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB 13.11.2019, S. 27).
Haqani-Netzwerk: Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida. Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt und ist für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich (LIB 13.11.2019, S. 27).
Islamischer Staat (IS/DaesH) - Islamischer Staat Khorasan Provinz: Die Stärke des ISKP variiert zwischen 1.500 und 3.000, bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern bzw. ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Der IS ist seit Sommer 2014 in Afghanistan aktiv. Durch Partnerschaften mit militanten Gruppen konnte der IS seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan stärken. Er ist vor allem im Osten des Landes in der Provinz Nangarhar präsent (LIB 13.11.2019, S. 27f).
Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit. Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt, nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab. Die Taliban und der IS sind verfeindet. Während die Taliban ihre Angriffe überwiegend auf Regierungszeile bzw. Sicherheitskräfte beschränken, zielt der IS darauf ab konfessionelle Gewalt zu fördern und Schiiten anzugreifen (LIB 13.11.2019, S. 29).
Al-Qaida: Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen (LIB 13.11.2019, S. 29).
Sicherheitsbehörden:
Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF - Afghan National Defense and Security Forces) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police) (LIB 13.11.2019, S. 249).
Die Afghanische Nationalarmee (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Das Verteidigungsministerium hat die Stärke der ANA mit 227.374 autorisiert (LIB 13.11.2019, S. 250). Die Afghan National Police (ANP) gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA (LIB 13.11.2019, S. 250). Die Afghan Local Police (ALP) wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB 13.11.2019, S. 251).
Kabul:
Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans und grenzt an Parwan und Kapisa im Norden, Laghman im Osten, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden sowie Wardak im Westen. Provinzhauptstadt ist Kabul-Stadt. Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Es ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 5.029.850 Personen für den Zeitraum 2019-20. Die Bevölkerungszahl ist jedoch umstritten. Einige Quellen behaupten, dass sie fast 6 Millionen beträgt. Die Bevölkerung der Provinz Kabul besteht aus Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus (LIB 13.11.2019, S. 36).
Hauptstraßen verbinden die afghanische Hauptstadt mit dem Rest des Landes. In Kabul-Stadt gibt es einen Flughafen, der mit internationalen und nationalen Passagierflügen bedient wird (LIB 13.11.2019, S. 37).
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Aufgrund eben dieser öffentlichkeitswirksamer Angriffe auf Kabul-Stadt kündigte die afghanische Regierung bereits im August 2017 die Entwicklung eines neuen Sicherheitsplans für Kabul an. So wurde unter anderem das Green Village errichtet, ein stark gesichertes Gelände im Osten der Stadt, in dem unter anderem Hilfsorganisationen und internationale Organisationen sowie ein Wohngelände für Ausländer untergebracht sind. Die Anlage wird stark von afghanischen Sicherheitskräften und privaten Sicherheitsmännern gesichert. Die Green Zone hingegen ist ein separater Teil, der nicht unweit des Green Villages liegt. Die Green Zone ist ein stark gesicherter Teil Kabuls, in dem sich mehrere Botschaften befinden - so z.B. auch die US-amerikanische Botschaft und andere britische Einrichtungen (LIB 13.11.2019, S. 38 f).
Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 1.866 zivile Opfer (596 Tote und 1.270 Verletzte) in der Provinz Kabul. Dies entspricht einer Zunahme von 2% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) und gezielten Tötungen. Die afghanischen Sicherheitskräfte führten insbesondere im Distrikt Surubi militärische Operationen aus der Luft und am Boden durch, bei denen Aufständische getötet wurden. Dabei kam es unter anderem zu zivilen Opfern. Außerdem führten NDS-Einheiten Operationen in und um Kabul-Stadt durch. Dabei wurden unter anderem Aufständische getötet und verhaftet, sowie Waffen und Sprengsätze konfisziert (LIB 13.11.2019, S. 40).
IDPs - Binnenvertriebene: Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA keine durch gewaltsamen Konflikt aus der Provinz Kabul vertriebene Personen. Im Zeitraum 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 9.422 Vertriebene, welche in die Provinz Kabul kamen, die meisten davon in den Distrikt Kabul. Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 2.580 Vertriebene in die Provinz Kabul, alle in den Distrikt Kabul. Sie stammten aus Kapisa, Kunar, Nangarhar wie auch Logar, Ghazni, Baghlan und Wardak. Die Gesamtzahl der Binnenvertriebenen in Kabul ist nicht bekannt. Die Bewegung in und innerhalb der Stadt fluktuiert und viele kehren regelmäßig in friedlicheren Zeiten in ihr Herkunftsgebiet zurück (LIB 13.11.2019, S. 40 f).
Die Wirtschaft der Provinz Kabul hat einen weitgehend städtischen Charakter, wobei die wirtschaftlich aktive Bevölkerung in Beschäftigungsfeldern, wie dem Handel, Dienstleistungen oder einfachen Berufen tätig ist. Kabul-Stadt hat einen hohen Anteil an Lohnarbeitern, während Selbstständigkeit im Vergleich zu den ländlichen Gebieten Afghanistans weniger verbreitet ist. Zu den wichtigsten Arbeitgebern in Kabul gehört der Dienstleistungssektor, darunter auch die öffentliche Verwaltung. Die Gehälter sind in Kabul im Allgemeinen höher als in anderen Provinzen, insbesondere für diejenigen, welche für ausländische Organisationen arbeiten. Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten. Ergebnisse einer Studie ergaben, dass Kabul unter den untersuchten Provinzen den geringsten Anteil an Arbeitsplätzen im Agrarsektor hat, dafür eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Die besten (Arbeits)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul (LIB 13.11.2019, S. 335).
Mazar-e Sharif:
Die Provinzhauptstadt von Balkh ist Mazar-e Sharif. Die Provinz Balkh liegt im Norden Afghanistan und ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Es leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in Mazar-e Sharif (LIB 13.11.2019, S. 61).
Balkh zählt zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten. In den letzten Monaten versuchten Aufständische der Taliban die Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren (LIB 13.11.2019, S. 62). Im Jahr 2018 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh dokumentiert. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (LIB 13.11.2019, S. 63).
Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen. Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) zu erreichen (LIB 13.11.2019, S. 61; S. 336).
In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10 - 15 - teils öffentliche, teils private - Krankenhäuser. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80% öffentlich finanziert sind (LIB 13.11.2019, S. 347).
Herat:
Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und ist eine der größten Provinzen Afghanistans. Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (LIB 13.11.2019, S. 105). Die Provinz verfügt über 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt. Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen (LIB 13.11.2019, S. 106).
Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen erreichbar (LIB 13.11.2019, S. 106).
Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. In der Stadt Herat steigt die Kriminalität und Gesetzlosigkeit (LIB 13.11.2019, S. 106). Im Jahr 2018 gab es mit 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat einen Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen. Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften. Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (LIB 13.11.2019, S. 108 f).
Im Vergleich mit anderen Teilen des Landes weist Herat wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Es gibt Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch im Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt und beschäftigt Tagelöhner sowie kleine Unternehmer (LIB 13.11.2019, S. 336).
Bewegungsfreiheit
Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Die Regierung schränkt die Bewegung der Bürger gelegentlich aus Sicherheitsgründen ein. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB 13.11.2019, S. 327).
Meldewesen
Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB 13.11.2019, S. 328).
Internet und Mobiltelefonie
Der Zugang zum Internet wird von staatlicher Seite nicht eingeschränkt und es gibt keine Berichte zu Überwachung privater Online-Kommunikation ohne rechtliche Genehmigung. 2017 hatten 11,4% der Bevölkerung Zugang zu Internetverbindungen, hauptsächlich in städtischen Gebieten. Mit Stand 2016 war GSM-Netz in Kabul und allen 34 Provinzen verfügbar. Förderungen für den ländlichen Raum haben die Netzabdeckung in abgelegenen Gebieten verbessert und 85% der Bevölkerung leben in Gebieten, die vom GSM-Netz abgedeckt sind.
In Gebieten unter Talibankontrolle werden den Mobilfunkanbietern Vorgaben gemacht, wann das Netzwerk zur Verfügung gestellt werden darf; häufig müssen die Netze nach Einbruch der Dunkelheit abgeschaltet werden. Die Mobilfunkbetreiber kommen den Anweisungen in der Regel nach, da in den vergangenen Jahren teure Infrastruktur zerstört und Ingenieure und Angestellte angegriffen und getötet wurden, wenn Anweisungen der Aufständischen nicht befolgt worden sind. Der regierungsnahe Mobiltelefonanbieter Salam ist in den von Taliban kontrollierten Gebieten gesperrt. Die Taliban kontrollieren Handys nach Salam-SIM-Karten. Sollte man mit einer solchen SIM-Karte erwischt werden, wird die Karte wahrscheinlich zerstört und deren Besitzer geschlagen (LIB 13.11.2019, S. 269).
Allgemeine Menschenrechtslage
Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB 13.11.2019, S. 264).
Korruption:
Die Korruption ist in Afghanistan sehr hoch. Es bestehen zwar strafrechtliche Sanktionen gegen Korruption, diese werden jedoch nicht effektiv umgesetzt. Korruption findet in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens statt, unter anderem in der Justiz, bei der Beschaffung von Gütern, bei Staatseinnahmen und bei der Bereitstellung von Leistungen des Staates (LIB 13.11.2019, S. 254 f).
Medizinische Versorgung:
Der afghanischen Verfassung zufolge hat der Staat kostenlos medizinische Vorsorge, ärztliche Behandlung und medizinische Einrichtungen für alle Bürger zur Verfügung zu stellen. Außerdem fördert der Staat die Errichtung und Ausweitung medizinischer Leistungen und Gesundheitszentren. Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an. Alle Staatsbürger haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt (LIB 13.11.2019, S. 344).
Die Kosten für Medikamente in staatlichen Krankenhäusern weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden (LIB 13.11.2019, S. 345).
Wirtschaft
Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig (LIB 13.11.2019, S. 333).
Am Arbeitsmarkt müssten jährlich 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen, wobei Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen können. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB 13.11.2019, S. 334 f).
In Kabul und im Umland sowie in Städten stehen Häuser und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul-City sind jedoch höher als in den Vororten oder in den anderen Provinzen. Die Lebenshaltungskosten sind für den zentral gelegenen Teil der Stadt Kabul höher als In ländlichen Gebieten (LIB 13.11.2019, S. 359).
Ethnische Minderheiten:
In Afghanistan leben zwischen 32-35 Millionen Menschen. Es sind ca. 40-42% Pashtunen, rund 27-30% Tadschiken, ca. 9-10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB 13.11.2019, S. 287 f).
Religionen:
Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80-89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB 13.11.2019, S. 277).
2. Beweiswürdigung:
II.2.1. Die Feststellungen zur Identität, Staats-, Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit des BF beruhen auf seinen diesbezüglich glaubwürdigen Angaben im Verfahren; substantiierte Zweifel, dass diese nicht den Tatsachen entsprechen, sind nicht hervorgekommen.
Die Feststellungen zu den individuellen Verhältnissen des BF in seinem Herkunftsstaat, insbesondere auch zu seiner Herkunft, seinem Schulbesuch und seiner Berufserfahrung sowie zu seinen familiären Verhältnissen, beruhen auf seinen diesbezüglich ebenfalls glaubwürdigen Angaben im Asylverfahren.
II.2.2. Dass sich die Angehörigen des BF in Pakistan aufhalten, hat der BF ebenfalls von der Erstbefragung weg gleichbleibend berichtet; substantiierte Zweifel, dass diese Angaben nicht den Tatsachen entsprechen, sind nicht hervorgekommen. Der BF ist mit einem Bruder nach Österreich eingereist; dieser ist mittlerweile in Italien aufhältig, was sich aus der Stellungnahme des BF vom 05.02.2020 ergibt; er soll dort den Status eines Asylberechtigten erhalten haben.
II.2.3. Die Feststellung, dass der BF glaubhaft machen konnte, dass er seinen Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung verlassen hat oder nach einer allfälligen Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätte, ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 liegt es am BF, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht. Mit der Glaubhaftmachung ist auch die Pflicht der Verfahrenspartei verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der behaupteten Voraussetzungen spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzung liefern. Insoweit trifft die Partei eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Allgemein gehaltene Behauptungen reichen für eine Glaubhaftmachung nicht aus (vgl. VwGH 17.10.2007, 2006/07/0007).
Das Vorbringen des BF in der mündlichen Verhandlung hinsichtlich seiner Furcht vor Verfolgung im Fall der Rückkehr nach Afghanistan auf Grund seiner Tätigkeit war in ganzheitlicher Würdigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, zunächst insbesondere unter Berücksichtigung des von ihm vorgelegten und vom BKA nicht als verfälscht qualifizierten Dienstausweises der afghanischen Nationalarmee, der zahlreichen vorgelegten sonstigen Dokumente (vgl. Auflistung in der Einvernahme am 07.11.2017, Seite 3/12 und Fotos des BF in militärischer Funktion, vgl. AS 135 ff) als glaubhaft zu beurteilen:
Zunächst ist festzuhalten, dass auch die belangte Behörde davon ausging, dass der BF im afghanischen Militär tätig war. Der BF vermochte auch im gerichtlichen Verfahren glaubhaft zu machen, bei der afghanischen Nationalarmee tätig gewesen zu sein. Darüber hinaus vermochte der BF auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht glaubhaft zu machen, dass er wiederholt bei Einsätzen gegen die Taliban in Afghanistan mitgewirkt hat. Diese Angaben hat der BF bereits im Verfahren vor dem BFA im Wesentlichen übereinstimmend vorgebracht und zahlreiche Detailfragen dazu beantwortet; ebenso wurde er von der erkennenden Richterin dazu ausführlich befragt und konnte ein durchaus nachvollziehbares und lebensnahes Bild seiner Tätigkeit zeichnen. Allfällige, auch von der Behörde im angefochtenen Bescheid dazu aufgezeigte Widersprüche dazu sind aus Sicht der erkennenden Richterin auf die durchaus komplexe Tätigkeit des BF (Tätigkeit bei verschiedenen Operationen in verschiedenen Provinzen über einen durchaus längeren Zeitraum) und die damit zusammenhängende komplexe Fluchtgeschichte des BF zurückzuführen und können das Bild, das der BF von seiner Tätigkeit anschaulich schilderte, insgesamt nicht erschüttern.
Die belangte Behörde bezweifelte aber, dass sich der BF durch die geschilderten Einsätze in einer Art und Weise gegenüber den Taliban sichtbar exponiert hätte, insbesondere da er nur den Rang eines Unteroffiziers gehabt habe. Diesbezüglich ist zunächst auf die durchaus anschaulichen Schilderungen des BF nicht zuletzt in der mündlichen Verhandlung und die Fotos, die den BF im militärischen Einsatz zeigen (insb. AS 135ff), hinzuweisen. Die erkennende Richterin geht auf Basis dieser Beweismittel, die unverkennbar den BF zeigen, davon aus, dass der BF im Rahmen kleinerer Einheiten - abgesehen von seinem formalen militärischen Rang - faktisch nicht nur eine untergeordnete Position im Kampf gegen die Aufständischen innehatte. Die Fotos zeigen den BF durchwegs inmitten kleinerer Kampftruppen, militärisch gut ausgerüstet, in Uniform, mit schweren Waffen, vor Hubschraubern und am Schreibtisch, sodass glaubwürdig ist, dass der BF durchaus höher gestellt war. Auch dass der BF im Kampf Verletzungen davongetragen hat, ist durch diese Fotos gut dokumentiert (zB AS 135, dort wird der BF in Uniform offenkundig verletzt in einem Hubschrauber oder Einsatzfahrzeug transportiert). Nicht zuletzt ist auf die Rechercheergebnisse des vom Gericht beauftragten nichtamtlichen Sachverständigen hinzuweisen, wonach sich zunächst die Angaben des BF zu seiner militärischen Einheit und deren Einsatzgebiet bestätigte. Insbesondere in Ghazni war aufgrund der andauernden Präsenz der Taliban und der damit im Zusammenhang stehenden volatilen Sicherheitslage ein großer Bedarf an Sicherheitseinrichtungen erforderlich und wurden kleinere Einheiten ("Sondereinsatztruppen") eingesetzt, deren Hauptaufgabe schnelle und spontane Einsätze gegen die Taliban waren, wenn diese eine Region einnahmen oder ein Gebiet angriffen. Die Offiziere dieser kleinen Einheiten kamen zwangsläufig an vorderster Front zum Einsatz. Die Einheit des BF war mobil und kämpfte an mehreren Orten gegen die Taliban über längere Zeiträume; der BF war nach diesen Rechercheergebnissen in solchen Einsatztruppen auch in führender Position tätig.
Zwar kann allein aus dem Umstand, dass der BF bei der afghanischen Nationalarmee tätig war, per se eine daraus resultierende Gefährdungslage in ganz Afghanistan nicht erkannt werden, sodass das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative besonders zu prüfen ist. Allerdings hat sich der BF durch die glaubhaft geschilderten Einsätze in mehreren Regionen/Provinzen über einen längeren Zeitraum in führender Position in einer Art und Weise gegenüber den Taliban sichtbar exponiert, dass es als wahrscheinlich zu erachten ist, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan selbst in den Großstädten Afghanistans (Kabul, Herat, Mazar-e-Sharif) einer Verfolgung ausgesetzt wäre. Es ist durchaus glaubwürdig, dass sich der BF durch seine Einsätze und Verdienste im Kampf gegen die Taliban auch über die Grenzen von Ghazni hinaus "einen Namen gemacht" hat, und so bereits in den Focus der Taliban geraten ist und die Taliban landesweit über die Personaldaten des BF verfügen und ihn auch suchen würden.
Der BF hat im Verfahren auch durchaus glaubwürdig dargetan, dass seine Familie aufgrund seiner Tätigkeit und der Furcht vor den Taliban Afghanistan bereits verlassen und sich in Pakistan angesiedelt hat. Der BF hat dabei die Sorge um seine Familie in Pakistan vor dem Gericht auch emotional glaubwürdig zum Ausdruck gebracht. Der BF hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht insgesamt nicht zuletzt glaubwürdig dargetan, nicht nur denkbar in den Fokus der Taliban oder Regierungsgegner geraten zu sein, sondern bereits von ihnen bedroht worden zu sein, auch wenn nicht jeder einzelnen vom BF geschilderten Bedrohungshandlung durch die Taliban Glauben geschenkt wird.
Es ist im konkreten Fall auch maßgeblich wahrscheinlich, dass dem BF auch nach Beendigung der Tätigkeit eine politische Gesinnung unterstellt wird und die Verfolgungsgefahr weiterhin besteht.
II.2.4. Die Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF ergeben sich aus den jeweils darunter angeführten aktuellen Berichten diverser anerkannter staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen bzw. Organisationen und bieten ein in inhaltlicher Hinsicht grundsätzlich übereinstimmendes und ausgewogenes Bild zur Situation in Afghanistan. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation fallrelevant nicht wesentlich geändert haben.
Am 29.11.2019 hat der BF eine Stellungnahme zum aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019, eingebracht und dort bekräftigt, dass der BF aufgrund seiner Tätigkeit für das afghanische Militär landesweit von den Taliban verfolgt würde.
3. Rechtliche Beurteilung:
II.3.1. Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Da in den anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen keine gegenteiligen Bestimmungen enthalten sind, liegt gegenständlich somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Gemäß § 17 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013, sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A)
II.3.2. Zu Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (vgl. VwGH v. 09.03.1999, Zl. 98/01/0370). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH v. 23.09.1998, Zl. 98/01/0224). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet.
Die Verfolgungsgefahr muss auch aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muss. Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass eine Person bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Es ist entscheidend, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen gerechnet werden muss (vgl. aktuell VwGH 03.05.2016, Ra 2015/18/0212, mwN).
Die Gefahr der Verfolgung iSd § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK kann nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (vgl. VwGH 29.04.2015, Ra 2014/20/0151; 17.12.2015, Ra 2015/20/0048).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.10.2009, 2006/01/0793; 23.02.2011, 2011/23/0064) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, 94/18/0263; VwGH 01.02.1995, 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist.
Abgesehen davon, dass einer derartigen nicht vom Staat sondern von Privatpersonen ausgehenden Bedrohung nur dann Asylrelevanz zuzubilligen wäre, wenn solche Übergriffe von staatlichen Stellen geduldet würden (VwGH 10.03.1993, 92/01/1090) bzw. wenn der betreffende Staat nicht in der Lage oder nicht gewillt wäre, diese Verfolgung hintanzuhalten, hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang ausdrücklich klargestellt, dass die Asylgewährung für den Fall einer solchen Bedrohung nur dann in Betracht kommt, wenn diese von Privatpersonen ausgehende Verfolgung auf Konventionsgründe zurückzuführen ist (vgl. VwGH 23.11.2006, 2005/20/0551; 29.06.2006, 2002/20/0167).
Eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat hingegen nur dann asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. etwa VwGH 26.11.2014, Ra 2014/19/0059; 18.11.2015, Ra 2014/18/0162; 19.04.2016, Ra 2015/20/0302, je mwN).
Anträge auf internationalen Schutz sind gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn den Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.
Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).
II.3.3. Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellt wurde, kommt dem Vorbringen des BF zu den behaupteten Fluchtgründen (Verfolgung durch die Taliban aufgrund seiner exponierten Tätigkeit für das afghanische Militär im Kampf gegen die Taliban) Glaubwürdigkeit zu, weshalb eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft ist.
Auch gemäß den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 zählt der BF zu Personen, die ein besonderes asylrelevantes Risikoprofil aufweisen, weil sie tatsächlich (oder vermeintlich) mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich (oder vermeintlich) unterstützen (vgl. III.A.1.).
Dem BF steht auch keine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Kabul, Herat oder Mazar-e-Sharif zur Verfügung: Wie ebenfalls bereits im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, hat sich der BF durch die glaubhaft geschilderten Einsätze in kleinen Sondereinheiten gegen die Aufständischen in mehreren Regionen/Provinzen über einen längeren Zeitraum in führender Position in einer Art und Weise gegenüber den Taliban sichtbar exponiert, dass es als wahrscheinlich zu erachten ist, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan selbst in den Großstädten Afghanistans (Kabul, Herat, Mazar-e-Sharif) einer Verfolgung ausgesetzt wäre. Es ist durchaus glaubwürdig, dass sich der BF durch seine Einsätze und Verdienste im Kampf gegen die Taliban auch über die Grenzen seiner Herkunftsprovinz Ghazni hinaus "einen Namen gemacht" hat, und so bereits in den Focus der Taliban geraten ist und die Taliban landesweit über die Personaldaten des BF verfügen und ihn suchen würden.
Der BF kann vor der Bedrohung durch die Taliban in Afghanistan auch nicht ausreichend geschützt werden, weil die Inanspruchnahme des Schutzes durch den afghanischen Staat vor dieser Bedrohung durch die Taliban angesichts der ineffizienten Schutzmechanismen des afghanischen Staates sowie der instabilen Sicherheitslage nicht gegeben ist.
Hinweise auf die in Artikel 1 Abschnitt C und F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- und Ausschlussgründe sind im Verfahren nicht hervorgekommen.
Im vorliegenden Fall sind somit die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten gegeben.
II.3.4. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass den Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
II.3.5. Gemäß § 3 Abs. 4 iVm § 75 Abs. 24 AsylG 2005 kommt einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu, wenn er einen Antrag auf internationalen Schutz nicht vor dem 15.11.2015 gestellt hat. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz wurden am 16.11.2015, sohin nicht vor dem 15.11.2015, gestellt; dem BF kommt daher eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung zu.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Schlagworte
Asyl auf Zeit Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren befristete Aufenthaltsberechtigung begründete Furcht vor Verfolgung Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative Militärdienst mündliche Verhandlung politische Gesinnung private Verfolgung staatlicher Schutz unterstellte politische Gesinnung Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete FurchtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W231.2199246.1.00Im RIS seit
18.09.2020Zuletzt aktualisiert am
18.09.2020