TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/29 I403 2221198-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.04.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

29.04.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9 Abs1
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §52
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I403 2221198-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Algerien, vertreten durch: Mag. Dr. Bernhard ROSENKRANZ, Plainstr. 23, 5020 Salzburg, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.06.2019, Zl. XXXX, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I., II. und III. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. wird stattgegeben und festgestellt, dass die Rückkehrentscheidung gegen XXXX gemäß § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-Verfahrensgesetz auf Dauer unzulässig ist. XXXX wird gemäß §§ 54, 55 Abs. 2 und 58 Abs. 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin stellte am 06.02.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz und gab an, dass sie mit einem in Österreich aufenthaltsberechtigten algerischen Staatsbürger verheiratet sei. Ihre Eltern seien mit dieser Ehe nicht einverstanden und hätten sie mit ihrem Cousin verheiraten wollen. Am 04.03.2019 wurde sie niederschriftlich durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einvernommen. Sie führte näher aus, ihren Ehemann im August 2017 über das Internet kennengelernt zu haben; er sei dann mehrmals nach Algerien gereist. Ihre Familie sei aber gegen die Eheschließung gewesen, weil sie selbst der Volksgruppe der Amazigh angehöre und ihr Ehemann Araber sei. Sie hätte ihren Cousin heiraten sollen. Ihr Bruder habe ihr dann bei der Flucht geholfen. Die Beschwerdeführerin gab an, schwanger zu sein. Im Rahmen einer weiteren niederschriftlichen Einvernahme durch das BFA am 19.03.2019 wurde die Frage einer Abschiebung nach Spanien erörtert. Aufgrund der Risikoschwangerschaft der Beschwerdeführerin wurde das Verfahren aber am 09.04.2019 in Österreich zugelassen.

Im Rahmen einer weiteren Einvernahme durch das BFA am 15.05.2019 erklärte die Beschwerdeführerin, dass ihr Ehemann mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet gewesen sei und aus dieser Beziehung eine Tochter habe. Sie gab an, zu niemandem aus ihrer Familie mehr Kontakt zu haben; auch der Kontakt zu dem Bruder, der ihr bei der Ausreise geholfen habe, sei abgebrochen, weil der Vater dies verhindere. Sie habe die Ehre der Familie verletzt und ihre Familie würde sie im Falle einer Rückkehr töten.

Mit Bescheid vom 17.06.2019 wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz wurde - aufgrund der Schwangerschaft der Beschwerdeführerin - eine Rückkehrentscheidung vorübergehend für unzulässig erklärt (Spruchpunkt IV). Es wurde festgestellt, dass die Beschwerdeführerin nicht von ihrer Familie bedroht werde, dass sie sich bei der Familie ihres Gatten in Oran oder in einem Frauenhaus niederlassen könne und dass es ihrem Ehemann freistehe, sie nach Algerien zu begleiten und sich ebenfalls dort niederzulassen. Er könne sie jedenfalls besuchen und sie finanziell unterstützen. Die Beschwerdeführerin habe unter Umgehung des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes einen Asylantrag gestellt. Nach Ablauf des Mutterschutzes bestehe kein Rückkehrhindernis mehr.

Dagegen wurde am 03.07.2019 Beschwerde erhoben und erklärt, dass die Beschwerdeführerin der sozialen Gruppe von berberischen Frauen angehöre, die sich einer vom Vater geplanten Eheschließung widersetzt hätten und deswegen von der Familie ausgeschlossen worden seien. Ihr sei daher der Flüchtlingsstatus, in eventu der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zu gewähren bzw. die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären. Die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung wurde beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Beschwerdeführerin und ihrem Privat- und Familienleben:

Die unbescholtene Beschwerdeführerin stammt aus Tizi Ouzou in Algerien, wo sie die Schule besuchte und als Schneiderin arbeitete. Ihre Identität steht fest, sie gehört der Volksgruppe der Amazigh an und ist muslimischen Glaubens. Die Beschwerdeführerin ist gesund.

Ihre Eltern und ihre vier Brüder und drei Schwestern leben in Algerien. Abgesehen von einer Schwester, die in Algier lebt, wohnen alle in Tizi Ouzou. Die Beschwerdeführerin gibt an, zu niemandem aus ihrer Familie Kontakt zu haben.

Drei Brüder und eine Schwester ihres Ehemannes leben in Oran. Die zwei jüngeren Brüder studieren und leben im Haus der verstorbenen Eltern, der älteste Bruder, den die Beschwerdeführerin in Algerien kennengelernt hatte, und die Schwester ihres Ehemannes sind verheiratet und führen eigene Haushalte. Der Ehemann der Beschwerdeführerin hat ein gutes Verhältnis zu seiner Familie und steht mit ihr in Kontakt.

Die Beschwerdeführerin lernte ihren jetzigen Ehemann im Jahr 2017 über das Internet kennen. Sie war bereits im April 2018 für 15 Tage in die EU eingereist, dies mit einem Visum, ausgestellt am 21.03.2018 von der spanischen Botschaft in Algerien. Unmittelbar zuvor, vom 11. bis 16. März 2018, war der jetzige Ehemann der Beschwerdeführerin in Algerien gewesen.

Die Beschwerdeführerin verließ gemeinsam mit ihrem (zu diesem Zeitpunkt zukünftigen) Ehemann Algerien am 11.11.2018 und reiste mit einem Visum (ausgestellt am 08.08.2018 von der spanischen Botschaft in Algerien) über Spanien nach Österreich ein, wo sie sich seit dem 15.11.2018 aufhält. Am 28.01.2019 heiratete sie ihren Ehemann, einen algerischen Staatsbürger, der in Österreich aufenthaltsberechtigt ist ("Daueraufenthalt EU"). Die Beschwerdeführerin stellte am 06.02.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der unbescholtene Ehemann der Beschwerdeführerin ist seit April 2011 in einem Logistikunternehmen tätig, sie ist bei ihm mitversichert. Er hat eine Tochter aus einer früheren Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin und lebt seit fünfzehn Jahren im Bundesgebiet.

Am 09.08.2019 wurden die beiden Söhne der Beschwerdeführerin geboren, die in Österreich aufenthaltsberechtigt sind. Einer der Söhne wurde mit einer Spalte des harten Gaumens und einer Lippenspalte geboren.

Eine Fortsetzung des gemeinsamen Familienlebens in Algerien ist nicht möglich.

1.2. Zu einer Gefährdung der Beschwerdeführerin in Algerien:

Die Beschwerdeführerin hat Algerien nicht aus Angst vor einer Zwangsverheiratung verlassen, sie ist auch nicht in Gefahr, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von ihrer Familie wegen ihrer in Österreich erfolgten Eheschließung verfolgt zu werden. Sie könnte sich bei einer Rückkehr nach Algerien bei ihrer Familie in Tizi Ouzou oder, wenn diese mit ihrer Eheschließung nicht einverstanden gewesen sein sollte (was aber nicht als gleichbedeutend mit einer Verfolgungsgefahr anzusehen ist), bei der Familie ihres Ehemannes in Oran niederlassen. Sie würde, ebenso wie ihre beiden Söhne, falls sie von diesen begleitet würde, zudem von ihrem Ehemann unterstützt werden. Von einer existenziellen Bedrohung ist daher für die gesunde Beschwerdeführerin nicht auszugehen.

1.3. Zur Situation in Algerien:

Auf Basis des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation vom 14.06.2019, zuletzt aktualisiert am 20.03.2020, ist zur Lage in Algerien, soweit entscheidungsrelevant, festzustellen:

Sicherheitsbehörden

Die staatlichen Sicherheitskräfte lassen sich unterteilen in nationale Polizei, Gendarmerie, Armee und Zoll (GIZ 12.2016a). Die dem Innenministerium unterstehende nationale Polizei DGSN wurde in den 90er Jahren von ihrem damaligen Präsidenten, Ali Tounsi, stark ausgebaut und personell erweitert, und zwar von 100.000 auf 200.000 Personen, darunter zahlreiche Frauen (GIZ 12.2016a). Ihre Aufgaben liegen in der Gewährleistung der örtlichen Sicherheit (GIZ 12.2016a; vgl. USDOS 11.3.2020). Der Gendarmerie Nationale gehören ca. 130.000 Personen an, die die Sicherheit auf überregionaler (außerstädtischer) Ebene gewährleisten sollen (USDOS 11.3.2020). Sie untersteht dem Verteidigungsministerium (GIZ 12.2016a).

Die Gendarmerie Locale wurde in den 90er Jahre als eine Art Bürgerwehr eingerichtet, um den Kampf gegen den Terrorismus in den ländlichen Gebieten lokal zielgerichteter führen zu können. Sie umfasst etwa 60.000 Personen. Die Armee ANP (Armée Nationale Populaire) hat seit der Unabhängigkeit eine dominante Stellung inne und besetzt in Staat und Gesellschaft Schlüsselpositionen. Sie zählt allein an Bodentruppen ca. 120.000 Personen und wurde und wird im Kampf gegen den Terrorismus eingesetzt. Die Armee verfügt über besondere Ressourcen, wie .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 12 von 30

hochqualifizierte Militärkrankenhäuser und soziale Einrichtungen. Die Zollbehörden nehmen in einem außenhandelsorientierten Land wie Algerien eine wichtige Funktion wahr. Da in Algerien gewaltige Import- und Exportvolumina umgesetzt werden, ist die Anfälligkeit für Korruption hoch (GIZ 12.2016a).

Straffreiheit bleibt ein Problem (USDOS 11.3.2020). Übergriffe und Rechtsverletzungen der Sicherheitsbehörden werden entweder nicht verfolgt oder werden nicht Gegenstand öffentlich gemachter Verfahren (ÖB 11.2019). Das Strafgesetz enthält Bestimmungen zur Untersuchung von Missbrauch und Korruption und die Regierung veröffentlicht Informationen bzgl. disziplinärer oder rechtlicher Maßnahmen gegen Mitglieder der Sicherheitskräfte (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2016a): Algerien - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/algerien/geschichte-staat/, Zugriff 29.5.2019

- ÖB - Österreichische Botschaft Algier (11.2019): Asylländerbericht Algerien.

- USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Algeria, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ALGERIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020

Allgemeine Menschenrechtslage

Staatliche Repressionen, die allein wegen Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe erfolgen, sind in Algerien nicht feststellbar (AA 25.6.2019). Algerien ist den wichtigsten internationalen Menschenrechtsabkommen beigetreten. Laut Verfassung werden die Grundrechte gewährleistet. Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen haben seit Ende der 1990er Jahre abgenommen, bestehen jedoch grundsätzlich fort (AA 17.4.2019). Meinungs- und Versammlungsfreiheit werden eingeschränkt (USDOS 11.3.2020; vgl. BS 2018, AI 18.2.2020) und die Unabhängigkeit der Justiz ist mangelhaft. Weitere bedeutende Menschenrechtsprobleme sind übermäßige Gewaltanwendung durch die Polizei, inklusive Foltervorwürfe (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 18.2.2020), sowie die Einschränkung der Möglichkeit der Bürger, ihre Regierung zu wählen. Weitverbreitete Korruption begleitet Berichte über eingeschränkte Transparenz bei der Regierungsführung. Straffreiheit bleibt ein Problem (USDOS 11.3.2020).

Obwohl die Verfassung Meinungs- und Pressefreiheit gewährleistet, schränkt die Regierung diese Rechte ein (USDOS 11.3.2020; vgl. HRW 14.1.2020, BS 2018). NGOs kritisieren diese Einschränkungen. Bürger können die Regierung nicht ungehindert kritisieren. Es drohen Belästigungen und Verhaftungen; Bürger sind somit bei der Äußerung von Kritik zurückhaltend (USDOS 11.3.2020). Alle Medienanbieter, auch privat, stehen unter Beobachtung (USDOS 11.3.2020).

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit werden Demonstrationen regelmäßig nicht genehmigt bzw. in Algier komplett verboten (AA 25.6.2019; vgl. USDOS 11.3.2020, HRW 14.1.2020). Ergebnis ist, dass die Möglichkeiten politischer Tätigkeit weiterhin eng begrenzt sind. Oppositionelle politische Aktivisten beklagen, aufgrund von Anti-Terrorismus-Gesetzen und solchen zur Begrenzung der Versammlungsfreiheit oder Vergehen gegen "Würde des Staates und die Staatssicherheit" festgenommen zu werden (ÖB 11.2019). Oppositionelle Gruppierungen haben zudem oft Schwierigkeiten, Genehmigungen für Veranstaltungen in geschlossenen Räumen zu erhalten (AA 25.6.2019).

Algerien erlebte ab Februar 2019 die größten und nachhaltigsten Anti-Regierungsdemonstrationen seit seiner Unabhängigkeit 1962. Jeden Freitag überfluten Algerier die Straßen in der Hauptstadt Algier und anderswo. Als Reaktion auf die anhaltenden Proteste, zerstreuten die Behörden friedliche Demonstrationen, hielten willkürlich Protestierende fest, blockierten von politischen und Menschenrechtsgruppen organisierte Treffen und inhaftierten Kritiker (HRW 14.1.2020; vgl. AI 18.2.2020). Die Sicherheitskräfte haben verschärfte Kontrollen an den Zufahrtsstraßen nach Algier eingerichtet, um die Teilnehmerzahlen in der Hauptstadt zu senken (AA 25.6.2019).

Das Gesetz garantiert der Regierung weitreichende Möglichkeiten zur Überwachung und Einflussnahme auf die täglichen Aktivitäten von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Das Innenministerium muss der Gründung zivilgesellschaftlicher Organisationen zustimmen, bevor diese gesetzlich zugelassen werden (USDOS 11.3.2020).

Das im Jahr 2012 verabschiedete Gesetz über Vereinigungen erleichterte auch die Gründung von politischen Parteien (BS 2018), wofür wie bei anderen Vereinigungen eine Genehmigung des Innenministeriums nötig ist. Politische Parteien auf Basis von Religion, Ethnie, Geschlecht, Sprache oder Region sind verboten. Es gibt jedoch islamistisch ausgerichtete Parteien, v.a. jene der Grünen Allianz (USDOS 11.3.202013.3.2019). Seit Verabschiedung des Parteigesetzes 2012 nahm die Anzahl der Parteien deutlich zu. Dies führte jedoch auch zu einer Zersplitterung der Opposition (BS 2018). Oppositionsparteien können sich grundsätzlich ungehindert betätigen, soweit sie zugelassen sind, und haben Zugang zu privaten und - in sehr viel geringerem Umfang - staatlichen Medien. Jedoch haben einzelne Parteien kritisiert, dass ihnen teils die Ausrichtung von Versammlungen erschwert wird und sie Bedrohungen und Einschüchterungen ausgesetzt sind (AA 25.6.2019).

Die CNDH als staatliche Menschenrechtsorganisation (Ombudsstelle) hat eine konsultative und beratende Rolle für die Regierung. Sie veröffentlicht jährlich Berichte zur Menschenrechtslage im Land (USDOS 11.3.2020). Zahlreiche Einzelfälle zeigen, dass die Funktion einer echten Ombudsstelle gegenüber der Verwaltung fehlt (ÖB 11.2019).

Verschiedene nationale Menschenrechtsgruppen operieren und können ihre Ergebnisse publizieren. Sie sind jedoch in unterschiedlichem Ausmaß Einschränkungen durch die Regierung ausgesetzt. Gesetzlich ist es allen zivilen Organisationen vorgeschrieben, sich bei der Regierung zu registrieren. Dennoch operieren einige Organisationen ohne Registrierung und werden seitens der Regierung toleriert (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (25.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014264/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_25.06.2019.pdf, Zugriff 27.11.2019

- AA - Auswärtiges Amt (17.4.2019): Algerien - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/algerien-node/-/222160, Zugriff 31.5.2019

- AI - Amnesty International (18.2.2020): Algeria 2019, https://www.amnesty.org/en/countries/middle-east-and-north-africa/algeria/report-algeria/, Zugriff 26.2.2020

- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Algeria Country Report, https://www.bti-project.org/de/berichte/laenderberichte/detail/itc/DZA/, Zugriff 31.5.2019

- HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Algeria, https://www.hrw.org/world-report/2020/country-chapters/algeria, Zugriff 15.1.2020

- ÖB - Österreichische Botschaft Algier (11.2019): Asylländerbericht Algerien.

- USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Algeria, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ALGERIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020

Frauen

Die Verfassung garantiert die Gleichstellung der Geschlechter (FH 4.3.2020), aber Frauen sind nach wie vor sowohl rechtlichen als auch gesellschaftlichen Diskriminierungen ausgesetzt. Viele Frauen verdienen weniger als Männer in ähnlichen Positionen und es gibt nur wenige Frauen in Führungspositionen von Unternehmen (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 3.2019; AA 25.6.2019). Die Verfassung verbietet Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts und die Regierung setzt dies auch in der Praxis um. Frauen sind weiterhin rechtlicher (im Familienrecht) und sozialer Diskriminierung ausgesetzt (HRW 14.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020; AA 25.6.2019).

Insbesondere in den unteren sozialen Schichten führen Scheidungen, Scheidungsfolgen und das diskriminierende Erbrecht (der Pflichtteil weiblicher Abkömmlinge ist im Vergleich zu dem der männlichen Miterben halbiert) häufig zu Mittellosigkeit und gesellschaftlicher Marginalisierung von Frauen. In Algier und anderen großen Städten des Nordens spielen Frauen gleichwohl eine maßgebliche Rolle in allen gesellschaftlichen Zusammenhängen. Der Regierung gehören aktuell fünf Ministerinnen an. Die Mehrheit der Frauen bleibt jedoch fest in patriarchalische Strukturen eingebunden. Eine Novelle des Familiengesetzbuchs ("Code de la famille"), die die Situation vor allem geschiedener Frauen verbessert, wurde 2005 von der Nationalversammlung verabschiedet. Obwohl dadurch wesentliche Defizite des auf der Scharia fußenden Familienrechts, wie die Tutelle (lebenslange Vormundschaft durch den Vater oder ein anderes männliches Familienmitglied; Zustimmung des Vormunds zu allen wesentlichen Entscheidungen) oder ein eingeschränktes Scheidungsrecht, abgemildert worden sind, wirken traditionell-religiöse Regelungen vor allem der sunnitisch-malikitischen Rechtstraditionen des Landes faktisch in vieler Weise fort (AA 25.6.2019).

Vergewaltigung ist strafbar. Das Strafmaß beträgt fünf bis zehn Jahre und die Behörden setzen das Gesetz üblicherweise durch. Der Straftatbestand der innerehelichen Vergewaltigung existiert gesetzlich nicht (USDOS 11.3.2020). Der Straftatbestand der Vergewaltigung bezieht sich auf Sachverhalte außerhalb der Ehe (AA 25.6.2019). Viele Frauen zeigen Fälle von Vergewaltigung aufgrund von gesellschaftlichem und familiärem Druck nicht an (USDOS 11.3.2020). Das Strafgesetzbuch definiert Vergewaltigung nicht, bezeichnet sie jedoch als Angriff auf die Ehre. Während das algerische Gesetz zur Bekämpfung häuslicher Gewalt aus dem Jahr 2015 einige Formen häuslicher Gewalt kriminalisierte, enthielt es Schlupflöcher, die es ermöglichen, Verurteilungen fallen zu lassen oder die Strafen zu verringern, wenn die Opfer ihre Täter begnadigen (HRW 14.1.2020; vgl. AI 18.2.2020).

Sieben Monate nach der Annahme durch die Nationalversammlung stimmte auch der Senat im Dezember 2015 einer Gesetzesvorlage "zum Schutz der Frauen" vor häuslicher Gewalt zu. Es handelt sich jedoch um eine abgemilderte Fassung - das Opfer kann durch Erklärung jederzeit das Strafverfahren beenden und riskiert daher, unter Druck gesetzt zu werden. Dennoch ist das neue Gesetz entsprechend den Äußerungen von NGOs und Zivilgesellschaft als bewusstseinsbildender Fortschritt zu sehen, der die Rechtswirklichkeit nicht unbeeinflusst lassen sollte. Dem Vernehmen nach gibt es landesweit nur eine Einrichtung, die mit einem Frauenhaus verglichen werden kann und die in Algier durch die Organisation "S.O.S. femmes en détresse" betrieben wird (AA 25.6.2019). Es gibt Aufnahmezentren (centres d'accueil), an die sich Frauen in Notfällen wenden können (ÖB 11.2019). Es gibt keine Erkenntnisse zu weiblicher Genitalverstümmelung (AA 25.6.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (25.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014264/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_25.06.2019.pdf, Zugriff 27.11.2019

- AI - Amnesty International (18.2.2020): Algeria 2019, https://www.amnesty.org/en/countries/middle-east-and-north-africa/algeria/report-algeria/, Zugriff 26.2.2020

- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Algeria, https://freedomhouse.org/country/algeria/freedom-world/2020, Zugriff 4.3.2020

- HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Algeria, https://www.hrw.org/world-report/2020/country-chapters/algeria, Zugriff 15.1.2020

- ÖB - Österreichische Botschaft Algier (11.2019): Asylländerbericht Algerien.

- USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Algeria, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ALGERIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020

Kinder

Es besteht eine allgemeine Schulpflicht für Kinder und Jugendliche und Bildung ist bis zum Universitätsabschluss kostenlos (AA 25.6.2019; vgl. SOS o.D.). Die Schulpflicht besteht bis zum Alter von 16 Jahren (SOS o.D). Dennoch gibt es vermehrt Schulabbrüche (AA 25.6.2019; vgl. SOS o.D.), die ihre Ursache in der prekären finanziellen Situation der Familien haben. Nach offiziellen Angaben werden zwar nahezu alle Kinder eingeschult, zeitweilige Kinderarbeit (speziell in den Schulferien) als Straßenverkäufer oder in der Landwirtschaft kommt jedoch vor. Als Fortschritt anzuerkennen ist das 2015 in Kraft getretene Gesetz zum Schutz der Kindheit, das einen Rechtsrahmen verstärkter staatlicher Fürsorge vorgibt und in Folge dessen eine nationale Beauftragte für Schutz und Förderung der Kindheit eingesetzt wurde. Bislang sind mit Blick auf Themen wie Gewalt gegen Kinder (in Elternhaus, Schule und Gesellschaft) und deren Versorgung (einschließlich Recht auf Bildung und Gesundheit und sonstigen rechtlichen Schutz) immer noch Defizite zu konstatieren. Neue Strafnormen des Strafgesetzbuchs stellen neben Kindesentführungen u.a. die Vergewaltigung von Kindern, Inzest, Kinderprostitution und Kinderpornographie unter Strafe, mit teils drastischen Strafrahmen (AA 25.6.2019).

Das gesetzliche Mindestalter für eine Heirat ist 19 Jahre für Männer und Frauen. Unabhängig vom Geschlecht dürfen Minderjährige mit elterlicher Zustimmung heiraten. Gegen ihren Willen dürfen Minderjährige laut Gesetz nicht verheiratet werden. Das Mindestalter für einvernehmlichen Geschlechtsverkehr ist 16 Jahre. Das Gesetz sieht eine Freiheitsstrafe von 10 bis 20 Jahren für Vergewaltigungen vor, wenn das Opfer minderjährig ist (USDOS 11.3.2020).

Zurzeit gibt es in Algerien ein SOS-Kinderdorf, eine SOS-Jugendeinrichtung, einen SOS-Kindergarten und vier SOS-Sozialzentren. SOS-Kinderdorf setzt sich für den Schutz und die Unterstützung der Kinder und Jugendlichen des Landes ein. In Algerien leben ca. 550.000 Waisenkinder, die ein oder beide Elternteile verloren haben. Waisenkinder sind besonders stark von Ausbeutung jeglicher Art bedroht (SOS o.D.).

Kindesmissbrauch ist illegal. Das Gesetz verbietet die Anstiftung zur Prostitution und sieht Freiheitsstrafen zwischen 10 und 20 Jahren vor (USDOS 11.3.2020). Kindesmissbrauch ist in Algerien nach wie vor ein weit verbreitetes Problem (SOS o.D.; vgl. USDOS 11.3.2020). Viele Fälle werden nicht gemeldet und die gegen Kindesmissbrauch verabschiedeten Gesetze haben bislang nur in sehr wenigen Fällen zu einer strafrechtlichen Verfolgung geführt. Die meisten Kinder, die Zwangsarbeit verrichten, gehen nicht zur Schule und erhalten daher keine Grundausbildung (SOS o.D.).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (25.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014264/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_25.06.2019.pdf, Zugriff 27.11.2019

- SOS - SOS-Kinderdorf (o.D.): Algerien, http://www.sos-kinderdorf.at/sos-kinderdorf-erleben/wo-wir-arbeiten/international/wo-wir-helfen/afrika/algerien, Zugriff 27.11.2019

- USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Algeria, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ALGERIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020

Grundversorgung

Algeriens Wirtschaft hängt stark vom Export von Erdöl und Erdgas ab. Dank anhaltend hoher Öl- und Gaspreise konnte Algerien über Jahre hinweg ein kontinuierliches Wachstum von durchschnittlich 3% verzeichnen. Die weiteren Prognosen mussten jedoch aufgrund des Preisverfalls bei Öl und Gas bereits nach unten korrigiert werden (GIZ 12.2016b).

Algerien leistet sich aus Gründen der sozialen und politischen Stabilität ein für die Möglichkeiten des Landes aufwendiges Sozialsystem, das aus den Öl- und Gasexporten finanziert wird. Algerien ist eines der wenigen Länder, die in den letzten 20 Jahren eine Reduktion der Armutsquote von 25% auf 5% erreicht hat. Schulbesuch und Gesundheitsfürsorge sind kostenlos. Energie, Wasser und Grundnahrungsmittel werden stark subventioniert. Ein Menschenrecht auf Wohnraum wird anerkannt. Für Bedürftige wird Wohnraum kostenlos zur Verfügung gestellt. Missbräuchliche Verwendung ist häufig (ÖB 11.2019).

Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist bislang durch umfassende Importe gewährleistet. Insbesondere im Vorfeld religiöser Feste, wie auch im gesamten Monat Ramadan, kommt es allerdings immer wieder zu substanziellen Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln. Für Grundnahrungsmittel wie Weizenmehl, Zucker und Speiseöl gelten Preisdeckelungen und Steuersenkungen. Im Bereich der Sozialfürsorge kommt, neben geringfügigen staatlichen Transferleistungen, vornehmlich der Familien-, im Süden des Landes auch der Stammesverband, für die Versorgung alter Menschen, Behinderter oder chronisch Kranker auf. In den Großstädten des Nordens existieren "Selbsthilfegruppen" in Form von Vereinen, die sich um spezielle Einzelfälle (etwa die Einschulung behinderter Kinder) kümmern. Teilweise fördert das Solidaritätsministerium solche Initiativen mit Grundbeträgen (AA 25.6.2019).

Die Arbeitslosigkeit liegt Stand 2018 bei 12%, die Jugendarbeitslosigkeit (15-24-jährige) bei 30% (WKO 10.2019). Das staatliche Arbeitsamt Agence national d'emploi / ANEM (http://www.anem.dz/) bietet Dienste an, es existieren auch private Jobvermittlungsagenturen (z.B. http://www.tancib.com/index.php?page=apropos). Seit Februar 2011 stehen jungen Menschen Starthilfekredite offen, wobei keine Daten darüber vorliegen, ob diese Mittel ausgeschöpft wurden. Die Regierung anerkennt die Problematik der hohen Akademikerarbeitslosigkeit. Grundsätzlich ist anzumerken, dass allen staatlichen Genehmigungen/Unterstützungen eine (nicht immer deklarierte) sicherheitspolitische Überprüfung vorausgeht, und dass Arbeitsplätze oft aufgrund von Interventionen besetzt werden. Der offiziell erfasste Wirtschaftssektor ist von staatlichen Betrieben dominiert (ÖB 11.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (25.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014264/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_25.06.2019.pdf, Zugriff 27.11.2019

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2016b): Algerien - Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/algerien/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 3.5.2019

- ÖB - Österreichische Botschaft Algier (11.2019): Asylländerbericht Algerien.

- WKO - Wirtschaftskammer Österreich (10.2019): Länderprofil Algerien, https://wko.at/statistik/laenderprofile/lp-algerien.pdf, Zugriff 18.3.2020

Medizinische Versorgung

Grundsätzlich ist medizinische Versorgung in Algerien allgemein zugänglich und kostenfrei. Der Standard in öffentlichen Krankenhäusern entspricht nicht europäischem Niveau (ÖB 11.2019; vgl. AA 25.6.2019) Krankenhäuser, in denen schwierigere Operationen durchgeführt werden können, existieren in jeder größeren Stadt; besser ausgestattete Krankenhäuser gibt es an den medizinischen Fakultäten von Algier, Oran, Annaba und Constantine. Häufig auftretende chronische Krankheiten wie Diabetes, Krebs, Tuberkulose, Herz- und Kreislaufbeschwerden, Geschlechtskrankheiten und psychische Erkrankungen können auch in anderen staatlichen medizinischen Einrichtungen behandelt werden. AIDS-Patienten werden in sechs Zentren behandelt (AA 25.6.2019).

Grundsätzlich meiden Algerier nach Möglichkeit die Krankenhäuser und bemühen sich, Kranke so schnell wie möglich in häusliche Pflege übernehmen zu können. Oft greift man zu Bestechung, um ein Intensivbett zu bekommen oder zu behalten. Ohne ständige familiäre Betreuung im Krankenhaus ist eine adäquate Pflege nicht gesichert. Die Müttersterblichkeit und Komplikationen bei Geburten sind aufgrund von Nachlässigkeiten in der Geburtshilfe hoch. Mit Frankreich besteht ein Sozialabkommen aus den 1960er-Jahren, das vorsieht, dass komplizierte medizinische Fälle in Frankreich behandelt werden können. Dieses Abkommen ist seit einiger Zeit überlastet. Nicht alle Betroffenen können es in Anspruch nehmen. Auch mit Belgien besteht ein entsprechendes Abkommen (ÖB 11.2019).

Es sind Privatspitäler, v.a. in Algier, entstanden, die nach europäischem Standard bezahlt werden müssen. Der Sicherheitssektor kann auf ein eigenes Netz von Militärspitälern zurückgreifen. Immer wieder wird darauf aufmerksam gemacht, dass sich in Algerien ausgebildete Ärzte in Frankreich und Deutschland niederlassen, was zu einem Ärztemangel in Algerien führt. Die Versorgung im Landesinneren mit fachärztlicher Expertise ist nicht sichergestellt. Augenkrankheiten sind im Süden häufig. Algerien greift für die Versorgung im Landesinneren auf kubanische Ärzte zurück, z.B. die im April 2013 neu eröffnete Augenklinik in Bechar. Tumorpatienten können medizinisch nicht nach westlichem Standard betreut werden. Schwierig ist die Situation von Alzheimer- und Demenzpatienten und von Behinderten (ÖB 11.2019).

Krankenversichert ist nur, wer einer angemeldeten Arbeit nachgeht. Die staatliche medizinische Betreuung in Krankenhäusern steht auch Nichtversicherten beinahe kostenfrei zur Verfügung, allerdings sind Pflege und die Verpflegung nicht sichergestellt, Medikamente werden nicht bereitgestellt, schwierige medizinische Eingriffe sind nicht möglich (ÖB 11.2019).

In der gesetzlichen Sozialversicherung sind Angestellte, Beamte, Arbeiter oder Rentner sowie deren Ehegatten und Kinder bis zum Abschluss der Schul- oder Hochschulausbildung obligatorisch versichert. Die Sozial- und Krankenversicherung ermöglicht grundsätzlich in staatlichen Krankenhäusern eine kostenlose, in privaten Einrichtungen eine kostenrückerstattungsfähige ärztliche Behandlung. Immer häufiger ist jedoch ein Eigenanteil zu übernehmen. Die höheren Kosten bei Behandlung in privaten Kliniken werden nicht oder nur zu geringerem Teil übernommen. Algerier, die nach jahrelanger Abwesenheit aus dem Ausland zurückgeführt werden, sind nicht mehr gesetzlich sozialversichert und müssen daher sämtliche Kosten selbst übernehmen, sofern sie nicht als Kinder oder Ehegatten von Versicherten erneut bei der Versicherung eingeschrieben werden oder selbst einer versicherungspflichtigen Arbeit nachgehen (AA 25.6.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (25.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014264/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_25.06.2019.pdf, Zugriff 27.11.2019

- ÖB - Österreichische Botschaft Algier (11.2019): Asylländerbericht Algerien.

Rückkehr

Die illegale Ausreise, d.h. die Ausreise ohne gültige Papiere bzw. ohne eine Registrierung der Ausreise per Stempel und Ausreisekarte am Grenzposten, ist gesetzlich verboten (Art. 175 bis 1. algerisches Strafgesetzbuch, Gesetz 09-01 vom 25.2.2009, kundgemacht am 8.3.2009) (ÖB 11.2019; vgl. AA 25.6.2019). Das Gesetz sieht ein Strafmaß von zwei bis sechs Monaten und / oder eine Strafe zwischen 20.000 DA bis 60.000 DA vor (ÖB 11.2019)

Rückkehrer, die ohne gültige Papiere das Land verlassen haben, werden mitunter zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Für illegale Bootsflüchtlinge ("harraga") sieht das Gesetz Haftstrafen von drei bis zu fünf Jahren und zusätzliche Geldstrafen vor. In der Praxis werden zumeist Bewährungsstrafen verhängt (AA 25.6.2019).

Eine behördliche Rückkehrhilfe ist ho. nicht bekannt. Ebenso sind der Botschaft keine NGOs bekannt, die Unterstützung leisten. Bekannt ist, dass Familien zurückkehrende Familienmitglieder wieder aufnehmen und unterstützen. Viel bekannter hingegen sind Fälle, in denen Familien Mitglieder mit beträchtlichen Geldmitteln bei der illegalen Ausreise unterstützen. Sollten Rückkehrer auf familiäre Netze zurückgreifen können, würde man annehmen, dass sie diese insbesondere für eine Unterkunft nützen. Die Botschaft kennt auch Fälle von finanzieller Rückkehrhilfe (EUR 1.000-2.000) durch Frankreich, für Personen, die freiwillig aus Frankreich ausgereist sind. Algerien erklärt sich bei Treffen mit div. EU-Staatenvertretern immer wieder dazu bereit, Rückkehrer aufzunehmen, sofern zweifelsfrei feststehe, dass es sich um algerische Staatsangehörige handle. Nachfragen bei EU-Botschaften und Pressemeldungen bestätigen, dass Algerien bei Rückübernahmen kooperiert. Zwischen Algerien und einzelnen EU-Mitgliedsstaaten bestehen bilaterale Rückübernahmeabkommen (ÖB 11.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (25.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014264/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_25.06.2019.pdf, Zugriff 27.11.2019

- ÖB - Österreichische Botschaft Algier (11.2019): Asylländerbericht Algerien.

1.4. Zur Situation einer alleinstehenden Frau ohne Familienanschluss in Algerien:

Die folgenden Quellen thematisieren Probleme alleinstehender Frauen hinsichtlich der Wohnungssuche und der Erwerbstätigkeit:

Auf der Website von TV5Monde, einem internationalen französischsprachigen Fernsehsender, findet sich ein Artikel vom März 2016 über das Wohnen alleinstehender Frauen in Algerien. Laut einem Frauenmagazin namens Dziriya habe das algerische Statistikamt im Jahr 2016 Zahlen veröffentlicht, laut denen von den insgesamt 18 Millionen Algerierinnen elf Millionen unverheiratet seien. 50 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter seien ledig. 200.000 Frauen würden jedes Jahr zu dieser Anzahl hinzukommen. Dziriya kommentiert dazu, dass aufgrund von Traditionen und religiösen Erwägungen die algerische Gesellschaft die Ehelosigkeit nicht toleriere und dabei die Ehelosigkeit von Frauen am meisten diskutiert werde. Nacéra Merah, eine Soziologin und Feministin, habe in einem Interview mit der unabhängigen französischsprachigen Zeitung El Watan 2013 angegeben, dass das Phänomen einer alleinstehenden Frau, die eine Wohnung für sich alleine suche, relativ neu sei. Heute, so TV5Monde, würden Unterkünfte primär an Familien mit Kindern vergeben. Frauen würden daher nach staatlichen Angeboten für Erwerbstätige suchen, die allerdings teurer als Sozialwohnungen seien. Frauen in Führungspositionen, die Kredite aufnehmen könnten, würden leichter über den Privatsektor eine Wohnung erwerben. Was geschiedene Frauen angehe, so mache es die moralische Missbilligung, die ihnen entgegengebracht werde, noch schwerer, eine Mietwohnung zu finden.

Die algerische Frauenzeitschrift Inty veröffentlicht im März 2016 einen Artikel über Frauen, die ledig sind und in der Hauptstadt Algiers alleine wohnen. Laut Inty seien alleinstehende Frauen, die nicht mit ihrer Familie zusammenleben würden, auf Wohnungssuche in Algerien mit erhöhten Mieten, geringem Wohnungsangebot, Diskriminierung und gefährlichen Nachbarn konfrontiert. Eine junge Algerierin namens Tina gibt an, ihre Wohnung nie in ihrem Namen gemietet zu haben, es sei ihr Vater gewesen, der den Mietvertrag unterschrieben habe. Tina, die bald 30 werde, sei weiterhin gezwungen, zu lügen, um in Algiers eine Wohnung zu mieten. Laut Inty würden mehr und mehr Algerierinnen der Tradition den Rücken kehren, die vorschreibe, dass ein Mädchen die Familie bis zu seiner Heirat nicht verlassen dürfe. Sie würden alleine oder mit anderen Frauen zusammenwohnen, meist aus beruflichen Gründen. Was die Wohnungssuche anlange, so hätten alleinstehende Frauen deutlich weniger Chancen als eine Familie oder ein verheiratetes Paar. Wenn eine Frau bereits ihre Eltern davon überzeugt habe, sie alleine oder mit anderen Frauen wohnen zu lassen, müsse sie des Weiteren Immobilienagenturen, den Vermieter und die Nachbarschaft überzeugen. Nesrine, die bereits seit zwei Jahren in einer Wohngemeinschaft in Algiers lebe, habe erzählt, dass bereits die Wohnanzeigen einen "Filter" enthalten würden. In den Anzeigen werde erklärt, dass nur Familien und keine alleinstehenden Personen erwünscht seien. Am Ende würden dann nur die teuersten Wohnungen übrig bleiben. Lotfi Ramdani, Gründer einer Immobilienwebsite, habe erwähnt, dass generell die Wohnungsanzeigen nicht explizit erklären würden, dass alleinstehende Frauen unerwünscht seien. Doch wenn man den Makler anrufe, dann erfinde dieser Ausreden oder sage in selteneren Fällen klar, dass alleinstehende Personen nicht in Betracht kämen. Wohnungsbesichtigungen, würden laut Nesrine zu einer Art Verhör, bei dem der Vermieter herausfinden wolle, ob die Frau "zuverlässig" sei. Man hab Nesrine gefragt, was sie beruflich mache, zu welcher Zeit sie heimkomme und wen sie kenne. Und man habe ihr klargemacht, dass die Nachbarn das Viertel überwachen würden. Am Anfang habe sie sich dadurch sicherer gefühlt, bis sie herausgefunden habe, dass die Nachbarn in Wirklichkeit sie überwachen würden und sie sich im Zentrum aller Aufmerksamkeit befinde. Laut Lotfi Ramdani sehe der Großteil der algerischen Gesellschaft die Wohngemeinschaft von Frauen als westliches Phänomen und mehr als eine Imitation eines fremden Lebensstils als eine Notwendigkeit an. Manche würden fälschlicherweise den Umstand, fernab von seiner Familie zu leben, als Wunsch deuten, ein ausschweifendes Leben zu führen und sich zu prostituieren. Die Vermieter würden bei Frauen als potentielle Mieter befürchten, dass diese schwierig seien und Probleme bereiten, feiern und sich laut verhalten würden. Eine einzelne Frau habe dabei, so Ramdani, noch mehr Schwierigkeiten, eine Wohnung zu finden, als eine Gruppe von alleinstehenden Frauen. Ramdani fährt fort, dass Frauen unter 30 Jahren mit mehr Schwierigkeiten konfrontiert seien als Frauen über 30. Das Problem liege hier nicht bei den Immobilienagenturen sondern bei den Eigentümern. Die Agenturen müssten sich nach den Vorgaben und Kriterien richten, die die Eigentümer ihnen stellen würden.

Jedoch, so Inty weiters, beschränke sich das Wohnungsproblem einer alleinstehenden Frau nicht nur auf die Wohnungssuche. Sobald man einmal eingezogen sei, gebe es neue Ärgernisse. Tina beschreibe aufdringliche, intolerante, bis hin zu aggressiven Nachbarn. Gerüchte, das Werfen von Steinen und Beleidigungen hätten Tina das Wohnen in einer ihrer vorigen Wohnungen bald unerträglich gemacht. Jedoch habe sie bereits im Voraus bezahlen müssen und habe so nicht umziehen können, da die Miete nicht rückerstattet worden wäre. Bei einer ihrer vorigen Wohnungen, die sie gemietet habe, habe ein Nachbar gemeint, dass sie und ihre Mitbewohnerin einen schlechten Einfluss auf seine Tochter ausüben würden, da sie unkonventionelle Arbeitszeiten hätten und spät nach Hause kommen würden. Eines Nachts um vier Uhr habe er, ein Messer in der Hand, an die Tür geklopft, die beiden hätten ihm nicht geöffnet. Der Nachbar habe sich im Folgenden darum bemüht, alle Nachbarn dazu zu bringen, eine Petition zu unterschrieben, um die beiden Frauen aus dem Gebäude hinauszuwerfen. Nesrine erzählt, dass ihr bei ihrer letzten Wohnung ein obdachloser Mann, der illegal im Stiegenhaus gewohnt habe, zusammen mit anderen Personen aus der Nachbarschaft ihr und ihren zwei Mitbewohnerin das Leben schwer gemacht habe. Der Mann habe über das Kommen und Gehen der drei Frauen entschieden. Sie hätten sich beim Concierge beschwert, der aber dem Mann Recht gegeben habe, der illegal das Erdgeschoss besetze. Der Concierge sei verärgert gewesen, wenn die Frauen einmal ein wenig spät nach Hause gekommen seien. Manchmal habe er sich geweigert, die Tür des Gebäudes zu öffnen. Schließlich habe er die Nachbarschaft gegen die Frauen aufgebracht, indem er sie als "leichte Mädchen" dargestellt habe. Einmal habe er sogar die Polizei gerufen.

Der oben bereits erwähnte, 2013 in der Zeitung El Watan erschienene Artikel zitiert die Aussage von Saliha, einer 51-jährigen aus der Stadt Oran zum Thema Erwerbstätigkeit als Alleinstehende. Laut Saliha sei die Ehelosigkeit nicht einfach für eine Frau und ihr berufliches Leben. Sie sei in der von ihr als chauvinistisch beschriebenen algerischen Gesellschaft täglich aller Arten von ungefälligen Bemerkungen ausgesetzt, zum einen von verheirateten Kolleginnen, die ihr Missgunst entgegenbringen würden, zum anderen von männlichen Kollegen, die gegenüber unverheirateten Frauen verbal entgleisen und teilweise vulgäre Kommentare verlautbaren würden. Saliha sei schließlich dazu übergegangen, anzugeben, dass sie verlobt sei, und habe einen Ring getragen. Die 30-jährige Farida sehe das anders und meine, dass sich ihre Ehelosigkeit nicht auf ihr berufliches Leben auswirke. Sie habe teilweise zwar mit chauvinistischen Kollegen zu tun, jedoch habe man sie, da sie selbstbewusst auftrete, in Ruhe gelassen.

Quelle:

ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zu Algerien: Situation einer alleinstehenden Frau ohne Familienanschluss; Informationen zu Arbeit und Unterkunft [a-10290], 9. August 2017

https://www.ecoi.net/de/dokument/1410121.html (Zugriff am 28. April 2020)

1.5. Zur Covid-19-Pandemie:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Österreich gibt es mit Stand 28.04.2020, 08:00 Uhr, 15.286 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen und 569 Todesfälle (https://coronavirus.datenfakten.at/; Zugriff am 28.04.2020); in Algerien wurden 3.517 Infektionen und 432 Todesopfer bestätigt (Stand: 27.04.2020, Information des algerischen Gesundheitsministeriums, abrufbar unter http://www.sante.gov.dz/coronavirus/coronavirus-2019/82-documentation/624-point-de-situation-de-l-epidemie-de-coronavirus-covid-19-au-27-avril-2020.html, Zugriff am 28.04.2020).

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten, Immunschwächen, etc.) auf.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person der Beschwerdeführerin und zu ihrem Privat- und Familienleben:

Die Feststellungen zu ihrer Herkunft, zu ihrer Ausbildung und beruflichen Tätigkeit, zu ihrer Familie und zu der ihres Ehemannes sowie zu ihrem Reiseweg ergeben sich aus den Angaben der Beschwerdeführerin in der Erstbefragung am 06.02.2019 und in der Befragung durch das BFA am 15.05.2019.

Die Eheschließung ergibt sich aus der im Akt einliegenden Kopie der Heiratsurkunde, ihre Identität und die Visaaustellung aus der im Akt einliegenden Kopie ihres Reisepasses (ausgestellt am 02.02.2017) und die Aufenthaltsberechtigung ihres Ehemannes aus der im Akt einliegenden Kopie der Aufenthaltsberechtigungskarte "Daueraufenthalt-EU", ausgestellt bis zum 05.08.2020.

Die Berufstätigkeit ihres Ehemannes ergibt sich aus entsprechenden Bestätigungen des Arbeitsgebers vom 31.12.2016 und vom 15.01.2020, die Mitversicherung durch ein Schreiben der Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau vom 07.05.2019.

Die Feststellung zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin ergibt sich daraus, dass (abgesehen von der Zeit während ihrer Schwangerschaft) keine gesundheitlichen Einschränkungen vorgebracht wurden.

Die Geburt ihrer beiden Kinder und deren Aufenthaltsbewilligung ergibt sich durch die Vorlage der Aufenthaltsberechtigungen "Rot-Weiß-Rot-Karte plus" mit Stellungnahme vom 22.04.2020. Die Fehlbildung bei der Lippe und dem Gaumen eines Sohnes ergibt sich durch den Entlassungsbrief des Krankenhauses nach der Geburt. In der Stellungnahme vom 22.04.2020 wurde auf die Notwendigkeit einer weiteren medizinischen Behandlung des Sohnes verwiesen.

Eine Fortsetzung des Familienlebens in Algerien erscheint nicht möglich, da der Ehemann der Beschwerdeführerin über einen Daueraufenthaltstitel verfügt und sich bereits nachhaltig in Österreich integriert hat. Er ist seit fünfzehn Jahren in Österreich und seit neun Jahren bei dem gleichen Unternehmen (bzw. dessen Rechtsnachfolger) beschäftigt und hat eine in Österreich lebende Tochter. Ihm ist es nicht zumutbar, sein Leben hier aufzugeben.

2.2. Zum Fluchtvorbringen:

Die Beschwerdeführerin gab an, dass ihre Familie nicht mit ihrem Ehemann einverstanden gewesen sei und gewollt habe, dass sie ihren Cousin heirate. Sie fürchte bei einer Rückkehr um ihr Leben (Erstbefragung am 06.02.2019).

In der Einvernahme durch die belangte Behörde am 04.03.2019 erklärte die Beschwerdeführerin, dass sie ihren Ehemann seit August 2017 kenne; sie habe ihn über das Internet kennengelernt. 2018 sei ihr Mann fünfmal nach Algerien gekommen und habe sie getroffen. Der Vater der Beschwerdeführerin sei aber gegen eine Eheschließung gewesen, weil ihr Ehemann zur arabischen Volksgruppe gehöre und sie selbst zu den Amazigh. Ihr Vater habe sie dann mit einem Cousin verheiraten wollen. Ihr Bruder habe sie bei der Visumsbeschaffung und Ausreise unterstützt.

In einer weiteren Einvernahme durch die belangte Behörde am 15.05.2019 wiederholte die Beschwerdeführerin, dass ihr Mann bei ihrem ältesten Bruder um ihre Hand angehalten habe, dass ihr Vater dann allerdings darauf bestanden habe, sie mit ihrem Cousin zu verheiraten. Es sei auch als Schande angesehen worden, dass sie einen Araber habe heiraten wollen; sie sei daraufhin eingesperrt und kontrolliert worden. Ihr jüngerer Bruder habe dann gemeinsam mit ihr die Flucht organisiert und sie ins Elternhaus ihres Mannes nach Oran gebracht. Zwei Tage später sei sie dann mit ihrem Ehemann nach Spanien geflogen. Ihr jüngerer Bruder, mit dem sie bis Jänner 2019 Kontakt gehabt habe, habe ihr erzählt, dass ihre Eltern sie gesucht hätten, selbst in Oran. Der Kontakt sei dann aber abgebrochen, da ihr Vater ihm das Mobiltelefon weggenommen habe. Ihr Vater sei vor seiner Pensionierung beim Militär gewesen und sehr mächtig.

Die belangte Behörde stellte im angefochtenen Bescheid fest, dass es nicht glaubwürdig sei, dass die Beschwerdeführerin von ihrer Familie mit ihrem Cousin hätte verheiratet werden sollen und dass sie bei einer Rückkehr von ihrer Familie bedroht wäre. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich diesbezüglich den Erwägungen der belangten Behörde an. So wäre es bei einer konkreten Furcht vor ihrem Vater und vor einer Zwangsehe anzunehmen gewesen, dass die Beschwerdeführerin möglichst rasch die Flucht ergreift, etwa indem sie sich zur Familie ihres zukünftigen Ehemannes nach Oran gerettet hätte - dass sie stattdessen ein Visum bei der spanischen Botschaft in Algier beantragt und erst nach positiver Bearbeitung desselben das Elternhaus verlässt, spricht gegen eine Bedrohungssituation. Zudem weist die belangte Behörde auch zu Recht darauf hin, dass das am 08.08.2018 ausgestellte Visum bereits am 15.09.2018 zur Einreise in den Schengenraum berechtigte - die Beschwerdeführerin verließ ihr Elternhaus aber erst am 09.11.2018, um zum Elternhaus ihres zukünftigen Mannes nach Oran zu fahren. Wenn sie tatsächlich Angst vor ihrem Vater und einer erzwungenen Eheschließung hätte haben müssen (dass die Hochzeit für Ende 2018 geplant war, erfuhr sie ihren Angaben nach erst später von ihrem jüngeren Bruder), wäre anzunehmen gewesen, dass sie das Haus früher verlassen und nicht monatelang gewartet hätte. Wenn dazu in der Beschwerde ausgeführt wird, dass es nachvollziehbar erscheine, dass zwischen der Ablehnung des Heiratsantrages und der geplanten Eheschließung mit dem Cousin ausreichend Zeit verstreiche und "keine Zeitnot" bestanden habe, so dass die Beschwerdeführerin in Ruhe auf die Ankunft ihres Ehemannes habe warten können, gibt dies nicht das Bild eines Bedrohungsszenarios wieder und erklärt dies zudem nicht, warum der jetzige Ehemann der Beschwerdeführerin sich Monate Zeit ließ, ehe er die Beschwerdeführerin im November abholte (es sei nochmals daran erinnert, dass das Visum Anfang August ausgestellt worden war und somit zu diesem Zeitpunkt nach der Darstellung der Beschwerdeführerin die Zwangsehe bereits angedroht worden sein musste).

Wenn die Beschwerdeführerin tatsächlich, wie von ihr behauptet, von ihrem Vater im Haus eingesperrt worden wäre ("Ich durfte das Haus nicht verlassen, nicht einkaufen gehen, kein Arztbesuch ohne Begleitung."), stellt sich zudem die Frage, wie es ihr möglich war, ein Visum zu organisieren. Sie gab am 15.05.2019 zwar an, dass sie gemeinsam mit ihrem jüngeren Bruder das Visum besorgt habe, da es ihr als Frau nicht möglich gewesen sei, alleine 200 Kilometer zu fahren (Anmerkung: Algiers liegt etwa 100 km von Tizi Ouzou entfernt), doch steht eine stundenlange Abwesenheit, selbst wenn es ihr erlaubt gewesen sein sollte, mit ihrem Bruder hinauszugehen, im Widerspruch zur behaupteten Kontaktsperre und zum Eingesperrtsein der Beschwerdeführerin.

Der belangten Behörde ist auch zuzustimmen, dass es wenig plausibel ist, dass der Vater der Beschwerdeführerin den Kontakt zwischen ihr und ihrem jüngeren Bruder erst im Jänner 2019 unterbunden und ihm auch erst dann Probleme gemacht habe. Wenn die Beschwerdeführerin verschwunden gewesen wäre, nachdem ihr Bruder sie in das 500 km entfernte Oran gebracht hatte, wäre der Familie ein Konnex zwischen der Abwesenheit des Bruders und ihrem Verschwinden zweifelsohne aufgefallen, vor allem nachdem die Beschwerdeführerin ihre enge Beziehung mit ihrem jüngeren Bruder immer wieder betonte.

Ob die Familie der Beschwerdeführerin nun mit ihrer Eheschließung einverstanden war oder nicht, kann gegenständlich nicht abschließend festgestellt werden, ist aber auch nicht entscheidungsrelevant, da, wie soeben ausgeführt, jedenfalls nicht glaubhaft ist, dass die Beschwerdeführerin von ihrer Familie bedroht worden ist oder zu einer Eheschließung mit ihrem Cousin hätte gezwungen werden sollen.

Die belangte Behörde stellte zudem zu Recht fest, dass die Rechte von Frauen in Algerien in den letzten Jahren verbessert wurden und dass von einer generellen Schutzfähigkeit und -willigkeit der algerischen Behörden auszugehen sei.

Die belangte Behörde stellte weiters fest, dass es der Beschwerdeführerin, die keine staatliche Verfolgung geltend macht, selbst bei einer Wahrunterstellung ihres Vorbringens möglich gewesen wäre, sich dem Einflussbereich ihres Vaters zu entziehen und an einem anderen Ort in Algerien, etwa bei der Familie ihres Mannes, zu leben. Soweit sie am 15.05.2019 auf entsprechende Rückfragen erklärte, dass ihre Familie den Bruder ihres Ehemannes aufgesucht und angeschrien habe und wissen habe wollen, wo ihr Ehemann sich aufhalte, wäre dies, auch bei Wahrunterstellung, keine intensive Verfolgungshandlung. Wenn ihre Familie tatsächlich das Verhalten der Beschwerdeführerin als Schande empfunden hätte und auch zu Mitteln wie zu Ehrenmorden greifen würde, wäre wohl auch davon auszugehen, dass die Familie ihres Ehemannes mehr Probleme bekommen hätte.

Im Übrigen ist auch darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdeführerin bereits im April 2018 in die Europäische Union geflogen war, wie sich aus den Stempeln in ihrem Pass und ihren Aussagen (Einvernahme am 04.03.2019: "Ich war einmal mit meinem jüngeren Bruder in Spanien."; Einvernahme am 15.05.2019: "Ich war einmal kurz in Spanien, aber nur kurz, ich habe ein Visum erhalten. Dann bin ich wieder nach Algerien zurück.") ergibt; dies legt einerseits nahe, dass ihre Familie nicht derart traditionell ist, wie von ihr geschildert, andererseits, dass die Beschwerdeführerin ihren zukünftigen Ehemann vielleicht bereits im April 2018 in Europa getroffen hatte - was wohl das Einverständnis ihrer Familie voraussetzen würde. Dazu passt auch, dass sich aus dem (mit der Stellungnahme vom 22.04.2020 in Kopie vorgelegten) Reisepass des Ehemannes ergibt, dass sich dieser unmittelbar vor der Beantragung des Visums in Algerien aufgehalten hatte.

Gegen eine "Flucht" aus Algerien spricht im Übrigen auch, dass die Beschwerdeführerin Mitte November 2018 nach Österreich kam, aber erst im Februar 2019 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Dies begründete sie am 04.03.2019 damit, dass ihr Visum noch gültig gewesen sei und ihr Ehemann versucht habe, einen Aufenthaltstitel aufgrund der Eheschließung zu bekommen. Damit gab die Beschwerdeführerin zu Protokoll, dass sie eigentlich einen Aufenthalt nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz angestrebt hatte und der Antrag auf internationalen Schutz nur als "Notlösung" betrachtet wurde. Der Erwägung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, dass die späte Antragstellung gegen eine tatsächliche Verfolgung spricht, ist zu folgen. Soweit in der Beschwerde argumentiert wird, dass man zwischen verschiedenen Anträgen wählen könne und die Beschwerdeführerin keinen Asylantrag gestellt hätte, wenn sie lediglich einen Aufenthaltstitel nach dem NAG angestrebt hätte, wird dies dadurch konterkariert, dass in der Beschwerde selbst davon gesprochen wird, dass es der Beschwerdeführerin nicht möglich gewesen sei, einen solchen Aufenthaltstitel nach dem NAG zu erlangen. Auch in einer schriftlichen Stellungnahme des rechtsfreundlichen Vertreters vom 22.04.2020 wurde nochmals erklärt, dass sich der Ehemann der Beschwerdeführerin nach den Voraussetzungen für eine Niederlassungsbewilligung erkundigt habe, dass diese aber nicht gegeben gewesen seien.

Zusammengefasst teilt das Bundesverwaltungsgericht die wesentlichen Erwägungen im angefochtenen Bescheid zur Frage einer Verfolgung der Beschwerdeführerin; die belangte Behörde hielt dazu zu Recht fest, dass der von der Beschwerdeführerin gestellte Antrag offenkundig nur dazu diene, sich ein Aufenthaltsrecht in jenem Staat zu verschaffen, in dem ihr Ehemann lebt. Der belangten Behörde ist auch darin zuzustimmen, dass der internationale Flüchtlingsschutz nicht das hierfür geeignete Instrument ist.

2.3. Zu ihren Rückkehrbefürchtungen:

Im angefochtenen Bescheid wurde zudem festgehalten, dass bei der Beschwerdeführerin kein besonderes Rückkehrhindernis besteht. Sie ist gesund und erwerbsfähig und verfügt über familiären Anschluss. Selbst wenn man davon ausginge, dass sie keine gute Beziehung mehr zu ihrer eigenen Familie haben sollte, könnte sie sich noch immer an die Familie ihres Ehemannes wenden.

Die Beschwerdeführerin würde nicht als alleinstehende Frau, sondern als verheiratete Frau nach Algerien zurückkehren. Auch wenn die Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihren Kindern nach Algerien zurückkehren würde, um von dort aus einen Aufenthaltstitel nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zu beantragen, wäre davon auszugehen, dass ihr Ehemann und sein Familienverband für sie und ihre beiden Kinder sorgen würden.

Die Beschwerdeführerin gehört auch keiner der Risikogruppen an, die durch die Covid-19-Pandemie besonders betroffen wären und droht ihr daher auch unter diesem Aspekt keine besondere Gefahr.

2.4. Zu den Länderfeststellungen:

Zu den im angefochtenen Bescheid zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Algerien ausgewählten Quellen wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nicht-staatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Die Beschwerdeführerin trat den Quellen und deren Kernaussagen im Beschwerdeverfahren auch nicht entgegen, brachte allerdings in der Beschwerde eine Anfragebeantwortung der norwegischen Landinfo vom 30.10.2013 zu außerehelichen sexuellen Beziehungen ein. Der Beschwerde beigelegt war die norwegische Version und nur einige Sätze waren in Übersetzung durch "Google Dolmetscher" wiedergegeben. Nach Aufforderung des Bundesverwaltungsgerichtes die Beilage in deutscher Sprache vorzulegen, erfolgte dies mit einer Stellungnahme des Rechtsvertreters vom 22.04.2020, wobei auch hier die Übersetzung durch Google erfolgte, was die Verständlichkeit des Textes negativ beeinflusst. Diesem Text ist allerdings zu entnehmen, dass es in Algerien zwar häufig Gewalt gegen Frauen gibt, dass Ehrenmorde an Frauen, die Schande über die Familie gebracht haben, aber keine "Kulturpraxis" in Algerien, sondern selten seien. Für das Vorbringen der Beschwerdeführerin ist damit nichts gewonnen.

In der Beschwerde wurde auch die oben wiedergegebene Anfragebeantwortung von ACCORD vom August 2017 zur Lage alleinstehender Frauen bei der Arbeits- und Wohnungssuche in Algerien zitiert. Allerdings wurde dabei vom Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin verkannt, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um keine alleinstehende Frau handelt, sondern um eine verheiratete Frau, die bei der Familie ihres Ehemannes Unterkunft nehmen könnte.

Soweit in der Beschwerde Ausschnitte des nicht mehr aktuellen Länderinformationsblattes aus zwei Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes (I402 1419369-1 und I418 2148138-1) zitiert werden, ist dem entgegenzuhalten, dass der angefochtene Bescheid sich auf ein aktualisiertes Länderinformationsblatt stützt und die angesprochenen Entscheidungen kein Schutzbedürfnis der Beschwerdeführerin nahelegen (ein Erkenntnis betrifft einen Mann, ein anderes die Bestätigung der Abweisung eines Asylantrages einer Frau, die Furcht vor Zwangsverheiratung vorgebracht hatte).

Die Wiedergabe einer "Operational Guidance Note" zu Libyen in der Beschwerde entbehrt jeglichen Bezugs zum gegenständlichen Fall und wird daher nicht berücksichtigt.

In der Beschwerde wurden zudem (ohne korrekte Quellenangabe) Ausschnitte des USDOS Berichts zur Lage der Menschenrechte für das Jahr 2016 und ein Human Rights Watch Report aus dem Jahr 2016 zitiert, die aber keinen konkreten Bezug zum gegenständlichen Fall haben; zudem werden aktualisiertere Versionen dieser Quellen ohnehin für die Erstellung des Länderinformationsblattes verwendet.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten