TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/6 W122 2197704-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.05.2020
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Entscheidungsdatum

06.05.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W122 2197704-1/28E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor ERNSTBRUNNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.05.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge kurz "BF"), ein afghanischer Staatsbürger, reiste illegal ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 16.04.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen der am 17.04.2016 erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF an, dass er im Dorf XXXX , im Distrikt XXXX , in der Provinz Kunduz geboren worden sei. Sein Vater sei von den Taliban getötet worden und den Aufenthaltsort seiner Mutter und seiner Schwester kenne er nicht. Er könne seine Tazkira vorlegen. Er habe Afghanistan verlassen, weil sein Dorf, das ausschließlich von Hazara bewohnt werde, von den Taliban überfallen worden sei. Er sei mit seiner Familie über Kabul nach Pakistan geflohen. Er habe Angst vor den Taliban.

3. Ein am 26.06.2016 erstelltes gerichtsmedizinisches Gutachten zur Sachverständigen Volljährigkeitsbeurteilung ergab, dass beim BF die Volljährigkeit anzunehmen sei und sein daraus errechnetes fiktives Geburtsdatum der XXXX sei. Dieses Geburtsdatum legte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge kurz "BFA") mit Verfahrensanordnung vom 10.07.2016 für den BF auch fest.

4. Bei der Einvernahme durch das BFA am 26.03.2018 gab der BF an, gesund sowie ledig und kinderlos zu sein. Er legte ein Konvolut an Integrationsunterlagen sowie eine Austrittsbestätigung aus der islamischen Glaubensgemeinschaft vor. Er sei römisch-katholischer Christ und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Er sei in Afghanistan geboren worden und stamme aus dem Dorf XXXX , im Distrikt XXXX , in der Provinz Kunduz. Sein Vater sei von den Taliban getötet worden und den Aufenthaltsort seiner Mutter und seiner Schwester kenne er nicht. Er spreche Dari und ein wenig Paschtu und habe vier Jahre lang die Grundschule besucht. Sieben Jahre lang habe er Berufserfahrung als Hilfsarbeiter und Bauer gesammelt. Kontakt habe er zu niemandem mehr in Afghanistan, jedoch kenne er sich mit den dortigen Gepflogenheiten gut aus. Seine Tazkira habe er sich vor seiner Ausreise ausstellen lassen. Das Geld für die Schleppung sei aus dem Verkauf eines Grundstückes gekommen. Er habe erst in Österreich einen Asylantrag gestellt, weil ihn kein anderes Land zuvor unterstützt habe und er nicht auf der Straße habe leben wollen.

Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte der BF aus, dass er einerseits dort seine Religion nicht habe frei wählen können und nicht an den Islam glaube, andererseits die Taliban seine Herkunftsregion angegriffen hätten und es keine Alternative zur Flucht gegeben habe.

Er sei nie ein religiöser Mensch gewesen. Seine Mutter habe gewollt, dass er den Koran lese und er sei als Kind auch noch in die Moschee gegangen. Außer seiner Familie habe aber niemand bemerkt, dass er nicht in die Moschee gegangen sei. In seinem Heimatdorf habe er erstmals von seinem Arbeitgeber über das Christentum gehört. Er habe ihm gesagt, dass es im Christentum kein Töten geben würde. Dies habe ihm gefallen, weil sein Vater getötet worden sei und man im Islam in den Jihad ziehen müsse. In Afghanistan habe er sich jedoch nicht weitere Informationen über das Christentum holen können. Dies würde er jetzt in Österreich nachholen wollen und er habe vor, sich auch taufen zu lassen. Aus der islamischen Religionsgemeinschaft ist er nach Rücksprache mit seinem Betreuer ausgetreten. Er habe aber bereits in Afghanistan Interesse am Christentum gehabt, weil er dort erfahren habe, dass Jesus vor Mohammed gekommen sei und er der Sohn Gottes und nicht von Gott gesandt worden sei. Er habe sich nur für das Christentum interessiert, weil er über andere Religionen keine Informationen gehabt habe und er diese daher nicht kenne. Warum er in den zwei Jahren seines Aufenthaltes noch keine weiteren Schritte unternommen habe sein Wissen über das Christentum zu vertiefen, begründete der BF vorwiegend mit Sprachproblemen. Andere Asylwerber würden jedenfalls keine Reaktion zeigen, als sie von seinem Interesse am Christentum erfahren hätten. Er wisse, dass Weihnachten das wichtigste Fest im Christentum sei, weil Jesus an diesem Tag geboren worden sei. Weitere Begriffe, wie die Dreifaltigkeit oder sonstige Feiertage, kenne der BF nicht. Negatives habe er auch noch nicht gehört, aber selbst, wenn es so etwas geben würde, wäre diese Religion noch immer besser als der Islam. Selbst wenn im Islam nicht dezidiert stehe, dass man morden solle, so sei sein Vater dennoch getötet worden und er würde deswegen nicht mehr an diese Religion glauben. Er gehe aber regelmäßig in die Kirche und auch wenn er dort nichts verstehe, so sei er sonntags dort um mit Gott und Jesus sprechen zu können. Einen Kurs werde er erst belegen, aber er halte die Taufe für unabdingbar. Bislang sei dies an seinen Sprachkenntnissen gescheitert oder daran, dass er niemanden gekannt habe. Mit der Taufe werde man von den Sünden bereinigt. Jesus sei vom damaligen König gekreuzigt worden. Wer dies gewesen sei, wisse er nicht. Er sei danach aber zu seinem Vater in den Himmel und auf der Erde warte man auf seine Rückkehr. Im Christentum gebe es kein Töten und Jesus sei vor Mohammad dagewesen. Er wisse, dass es im Christentum Evangelisten und Römisch-Katholische gebe. Er sei römisch-katholisch aufgrund eines ihm bekannten Paters. Er habe auch seit zwei bis drei Monaten eine Bibel. Die zehn Gebote kenne er nicht, weil er nicht viele Informationen habe und auf die Kurse warte. In Afghanistan sei es schwer gewesen Informationen über das Christentum zu erhalten. Es wäre auch sehr gefährlich gewesen, wenn er gegen den Islam aufgetreten wäre.

Ein sonntägiger Gottesdienst würde so ablaufen, dass man der Predigt zuhöre und danach Amen sage. Er gehe mit den Iranern aus dem Flüchtlingsheim in die Kirche. Die Hostie habe er noch nie genommen. Der Höhepunkt des Gottesdienstes sei das Sonntagsgebet. Wie dies genau heiße, wisse er nicht. Er würde erst seit ein bis zwei Monaten in die Kirche gehen und sei etwa sieben oder acht Mal bei einem Gottesdienst gewesen. Den Inhalt der Predigt habe er jedoch nicht verstanden. Den Glauben praktiziere er im Alltag noch nicht, weil er auf den Beginn der Kurse warte. Die Bibel habe er erst vor kurzem zu lesen begonnen. Sie sei auf Farsi und dies könne er nicht so gut. Dass er erst jetzt damit begonnen habe, begründete er damit, dass er niemanden gekannt habe, der ihm eine Bibel besorgen habe können.

Sein Heimatdorf habe etwa 100 Häuser gehabt und er sei mehr als zwei Jahre vor seiner Ausreise nicht mehr in die Kirche gegangen. Er sei nicht zum Gang in die Moschee gezwungen worden, aber er habe Angst gehabt, weil er dort nicht hingegangen sei. Seine Familie sei auf ihn sauer gewesen, weil er den Islam nicht mehr praktiziert habe, jedoch habe er immer an verschiedenen Orten gearbeitet, sodass es im Dorf nicht aufgefallen sei, dass er nicht in die Moschee gegangen sei. Als die Taliban gekommen seien, habe er das Dorf verlassen müssen. Diese hätten ihn sonst auch getötet, weil er Hazara sei. Auch die Schiiten hätten sie umgebracht. In Afghanistan habe nur seine Familie gewusst, dass er nicht mehr an den Islam glaube. Bei einer künftigen Rückkehr könne er aber seinen Glauben nicht mehr ausleben. Er sei Christ, habe aber noch nicht viele Informationen darüber.

Die Taliban hätten einen Angriff durchgeführt, der aber nicht gezielt auf seine Familie oder gegen seine Person gegangen sei. Er sei über Kabul und Pakistan in den Iran geflohen. An der Grenze zum Iran habe er seine Familie verloren. Bezüglich der Frage, warum er bei der Erstbefragung das bereits in Afghanistan bestehende Interesse am Christentum nicht erwähnt habe, führte er aus, dass er nicht danach gefragt worden sei. Auf der Tazkira stehe Schiit, weil ihm diese sonst nicht ausgefertigt worden wäre. Außerdem habe er die Religion bei der Erstbefragung nicht erwähnt, weil er nicht gewusst habe, dass es hier Religionsfreiheit gebe. Auf Festhalten, dass dies unglaubwürdig sei, antwortete der BF, dass die Behörde diese Daten von der Tazkira einfach übernommen habe und der Dolmetscher ein Paschtune gewesen sei. In Afghanistan sei er nie persönlich bedroht worden. Da sein Vater aber getötet worden sei, habe auch er Angst gehabt, dass ihm dies passieren könne. Er sei in Afghanistan weder vorbestraft noch werde er von den Behörden gesucht. Wegen seiner Religion und seiner Volksgruppenzugehörigkeit habe es Probleme gegeben. Einmal sei er von der Polizei bedroht worden. Diese habe ihm gesagt, dass hier für Hazara kein Platz sei. Daraufhin habe man den BF aufmerksam gemacht, dass dies lediglich Diskriminierungen seien, woraufhin der BF mit einer Gegenfrage geantwortet habe. Er sei nie politisch verfolgt und auch nie wegen seiner Rasse oder Religion verfolgt worden. Im Falle einer Rückkehr habe er aber Angst, dass er aufgrund seines Religionswechsels getötet werde. Er wolle nicht gezwungen werden, bis ans Ende seines Lebens ein Moslem zu sein. Wenn er die Moschee nicht mehr besuche, dann falle es in Afghanistan auf, dass er nicht mehr Moslem sei. Wenn er in Afghanistan nicht mehr am sozialen Leben teilnehme, falle dies auf, egal in welchen Landesteil er in Zukunft ziehe oder er damals - anstatt auszureisen - gegangen wäre. Über die Sicherheitslage in seinem Herkunftsstaat wisse er Bescheid.

In Österreich habe er gemeinnützig gearbeitet und Deutschkurse bis zum Niveau A2 besucht. Er lebe von der Grundversorgung, wolle aber gerne in der Baubranche arbeiten. Eine Schule habe er hier bis dato noch nicht besucht und er sei auch kein Mitglied in Vereinen. Er habe in Österreich weder Verwandte noch Bekannte, die er bereits in seinem Heimatland gekannt habe.

5. Mit Bescheid vom 08.05.2018 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.). Weiters wurde gegen den BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.). Begründend wurde festgehalten, dass die Zuwendung zum Christentum nicht glaubwürdig sei, weil der BF diesbezüglich bei der Erstbefragung nichts erwähnt habe und er sich auch in der Einvernahme in der freien Erzählung nur dahingehend geäußert habe, dass er seine Religion nicht frei habe wählen dürfen und er nicht an den Islam geglaubt habe. In weiterer Folge habe sich der Eindruck verstärkt, dass er sich nicht tatsächlich mit dem Glauben auseinandergesetzt habe, sondern das Christentum lediglich ausgewählt habe, um dadurch bessere Chancen zu haben, um einen Aufenthaltstitel in Österreich erlangen zu können. Er habe nur oberflächliches Wissen über das Christentum darlegen können und vermeinte, dass er auf die Kurse warte, die ihm dieses Wissen vermitteln würden. Warum er sich zwei Jahre lang nicht darum gekümmert habe, habe er nicht nachvollziehbar begründen können. Da der BF auch bei der sonstigen Befragung als unglaubwürdig erschienen sei, sei die Behörde zum Schluss gekommen, dass er bloß "asylzweckbezogen" agiere. Eine Rückkehr sei dem BF daher zumutbar und mit Kabul stehe ihm eine innerstaatliche Fluchtalternative offen. Bezüglich der Rückkehrentscheidung würden die öffentlichen Interessen überwiegen.

6. Mit Verfahrensanordnung vom 09.05.2018 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt. Ebenso wurde mit Verfahrensanordnung vom 09.05.2018 ein Rückkehrberatungsgespräch gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG angeordnet.

7. Gegen den Bescheid des BFA richtete sich die am 06.06.2018 beim BFA eingelangte und mit diesem Datum fristgerecht erhobene Beschwerde. In dieser wurde festgehalten, dass der BF glaubwürdig vorgebracht habe, dass er sich vom Islam abgewandt habe und diesem daher aufgrund von Apostasie in seinem Herkunftsland eine Verfolgung von staatlicher Seite drohe. Die belangte Behörde habe es unterlassen, aufgrund des Abfalls vom Islam ausreichende Ermittlungen zu tätigen, weil sie sich ausschließlich auf das Christentum bezogen habe. Eine Rückkehr in seine Heimatprovinz sei jedenfalls wegen der Taliban nicht möglich und auch die Lage in Kabul sei instabil. Dem BF müsse daher jedoch, aufgrund der in Afghanistan vorherrschenden Sicherheitslage und seiner persönlichen Umstände, der Status eines subsidiär Schutzberechtigten gewährt werden. In Bezug auf die Rückkehrentscheidung würden die öffentlichen Interessen im Vergleich zu den privaten Interessen des Beschwerdeführers nicht überwiegen.

8. Die gegenständliche Beschwerde und der bezugshabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge kurz "BVwG") am 07.06.2018 vom BFA vorgelegt.

9. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 21.02.2019 im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF, ebenso wie seine bevollmächtige Vertretung und eine Vertrauensperson persönlich teilnahmen. Ein Vertreter der belangten Behörde blieb, mit Schreiben vom 18.01.2019 entschuldigt, der Verhandlung fern.

Eingangs gab der BF an, gesund zu sein und legte ein Konvolut an Unterlagen vor. Er sei seit 2017 Christ und plane im Juni 2019 getauft zu werden. Er gehe jeden Sonntag zum Gebet. Er betete daraufhin das Vater Unser auf Farsi, wobei der Dolmetscher anmerkte, dass dies auswendig gelernt erscheine. Für ihn sei die Religion Freiheit. Im Islam gebe es Streit, Kämpfe und Blutvergießen, im Christentum hingegen Liebe, sogar gegenüber den Feinden. Dass der Islam auch das Paradies prophezeie, akzeptiere er nicht, weil dieser zum Jihad aufrufe. Er habe bereits in Afghanistan Interesse am Christentum gehabt, jedoch habe er erst 2017 in Österreich zu seinem Glauben gefunden. In Afghanistan habe ihm sein Arbeitgeber in der Landwirtschaft darüber erzählt. Dieser sei Christ gewesen, habe seinen Glauben jedoch nicht öffentlich ausgelebt. Dieser habe dem BF dies auch erst mitgeteilt, nachdem der BF ihm gesagt habe, dass er den Islam nicht akzeptiere. Sein damaliger Arbeitgeber habe nicht an den Islam geglaubt, weil sich die Muslime untereinander bekämpfen würden. Dies sehe der BF genauso, weil sein Vater umgebracht worden sei. Gefragt, ob er für den Islam wäre, wenn es das Töten nicht gebe, vermeinte er, dass er im Christentum die Erlösung sehe. Moslems würden nicht in Frieden miteinander leben können. Religiöse Gründe, warum er den Propheten Mohammed ablehne, habe der BF nicht angeben können. Er lehne den Islam ab, weil Moslems seinen Vater getötet hätten. Es stehe im Koran, dass das Krieg führen für Moslems Pflicht sei und die Moslems würden an den Koran glauben. Religiosität bedeute für ihn, dass jemand an nichts glaube. Er sei ein religiöser Mensch nach christlicher Auffassung, weil er es lese. Er trage seinen Glauben im Herzen, könne dies aber nicht genau rüberbringen.

Durch den Tod seines Vaters habe er sich für das Christentum interessiert, weil es dort kein Umbringen und keinen Jihad gebe. Er habe Informationen über das Christentum bekommen und Kontakte geknüpft. Die Dreifaltigkeit bestehe aus Vater, Sohn und dem Heiligen Geist. Gott habe sich über den Heiligen Geist zu Jesus weitergeleitet und Jesus sei wegen der Sünden der Menschen geopfert worden.

Ein Gottesdienst beginne mit einem Gebet, danach werde aus dem Buch gelesen. Der Pfarrer halte eine Rede und es finde die Eucharistie statt. Das Bekenntnis werde aufgesagt und danach gebe es Wein und Brot. Beim letzten Abendmahl habe Jesus den Aposteln gesagt, dass sie das Brot als seinen Körper und den Wein als sein Blut nehmen sollen. Am nächsten Tag sei er gekreuzigt worden und dann drei Tage später in den Himmel aufgestiegen. Jesus habe sich für die Sünden der Menschen geopfert. Danach versuchte der BF auf Nachfrage die zehn Gebote aufzusagen und die Bergpredigt zu erklären. Die Sakramente kenne er noch nicht, weil diese im Taufkurs noch nicht vorgekommen seien. Er selbst sehe sich von seinen Sünden erlöst und nicht mehr als Sünder.

In Afghanistan könne er sein jetziges Leben nicht mehr ausführen. Er könne seine Religion nicht versteckt ausüben. Sein Umfeld würde bald davon erfahren. Er könne sich aber vorstellen, nicht jeden Sonntag in die Kirche zu gehen, weil diese nicht verpflichtend sei.

Zu Verwandten oder Freunden in Afghanistan habe er keinen Kontakt mehr. Er habe seine Familie an der iranisch-pakistanischen Grenze verloren. Er habe weder Telefonnummern oder Mailadressen von anderen Verwandten seiner Familie. Eine Kontaktaufnahme scheitere auch daran, dass die meisten Afghanen Analphabeten seien. Er sei unpolitisch und sinne auch nicht nach Rache. Er gehe jeden Sonntag in die Kirche und sei kein aggressiver Mensch. Die Polizei in Österreich führe die Gesetze richtig aus. Da er in Afghanistan niemanden mehr habe, würde er dort arbeiten müssen, dann würden es die Leute über die Arbeit erfahren, dass er nicht mehr an religiösen Feierlichkeiten des Islams teilnehme. Wenn er nicht mehr in die Moschee gehen würde, würde es jeder erfahren, dass er kein Moslem mehr sei. Dies gelte auch für das Umfeld in einer afghanischen Großstadt. Er wisse, dass die Iraner in seiner Unterkunft in die katholische Kirche gehen würden, er selbst gehe in die protestantische Kirche ein paar Gassen weiter. Von anderen Leuten habe er keine Informationen. Bei einer Rückkehr in eine afghanische Stadt würde er keine Behausung und keine Familie haben. Er sei auch kein Moslem mehr, was auch Probleme nach sich ziehen würde. Er wolle nicht wieder als ein gezwungener Moslem leben. Er wolle Jesus Christus niemals verleugnen und denke, dass er nicht so tun würde, als wäre er ein Moslem. Daher liefe er auch Gefahr seitens der Moslems getötet zu werden.

Er sei anfangs in der katholischen Kirche gewesen, dann aber in protestantische Kirche gegangen, wo er unterrichtet werde. Er habe einige Informationen über diese Kirche erhalten. Es gebe dort keinen Unterscheid zwischen Gläubigen und Geistlichen und der Glaube an das Heilige Buch sei anders. Die rechtsfreundliche Vertretung meinte, dass der BF glaubwürdig habe darlegen können, dass ihn die zwei wesentlichen Eckpfeiler des Christentums, Nächstenliebe und Vergebung, zu diesem Glauben gebracht hätten. Der erkennende Richter erbat um die Vorlegung des Taufzeugnisses, sofern die gegenständliche Entscheidung bis dahin noch nicht ergangen sei.

10. Mit Schreiben vom 13.06.2019 legte die rechtsfreundliche Vertretung des BF eine Taufbestätigung, ein Taufzeugnis und Lichtbilder der Taufe des BF vor.

11. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 22.01.2020 im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF, ebenso wie seine bevollmächtige Vertretung und zwei Zeuginnen persönlich teilnahmen. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm, mit Schreiben vom 11.12.2019 entschuldigt, nicht an dieser teil.

Der BF führte aus, dass er das Weihnachtsfest nicht in seiner Kirche gefeiert habe. Er habe nur eine Kerze von der Kirche bekommen und diese dann für Jesus Christus angezündet. Er sei am 24.12. zu einem Freund gegangen, habe dort gegessen und getrunken und eine Kerze angezündet. Er habe auch in die Kirche gehen wollen, jedoch sei er zu spät gekommen und alles sei bereits vorbei gewesen. Er sei im Dezember an jedem Sonntag in der Kirche gewesen. Warum am 06.01. die Geschäfte geschlossen hätten, habe der BF nicht darlegen können. Auf Nachfrage führte er an, dass Jesus in Nazareth gelebt habe und er dorthin verzogen sei. Warum um diese Zeit verkleidete Kinder auf den Straßen seien, begründete der BF dahingehend, dass diese für die Feier von Jesus Christus Schokolade und Süßigkeiten sammeln würden. Es werde dabei die Geburt Jesu nachgestellt. Auf die Frage, was am 08.12. gefeiert werde, antwortete der BF, dass er sich daran nicht erinnern könne. Zu Pfingsten, 50 Tage nach der Auferstehung, werde das Herabkommen des Heiligen Geistes gefeiert. Auf die Frage eine Bibelstelle zu erläutern, gab der BF eine Geschichte wieder, in der ein Vater seinem Sohn verziehen habe, und vermeint, dass Gott wie unser Vater sei und unsere Sünden verzeihe. Der BF erzählte noch auf Nachfrage, dass es in dieser Geschichte einen zweiten Sohn gegeben habe. Für diesen werde keine Feier veranstaltet, weil dieser nicht verloren gewesen sei. Seine Lieblingsstellen in der Bibel seien die Erschaffung des Menschen und die Wiederkehr eines verlorenen Schafes. Als Christ habe er die Begriffe Liebe und Nächstenliebe kennengelernt. Er sei liebender und erbarmender geworden als er es als Moslem gewesen sei. Im Christentum habe er das gute Verhalten zueinander gesehen. Daraufhin hielt der Richter fest, dass der BF seine Verhaltensänderung nicht durch das Christentum habe erklären können. Daraufhin führte der BF als konkretes Beispiel an, dass er jemandem, der ihm Böses antue, nichts entgegen tue und er diesem sogar verzeihen würde. Er habe als Moslem den Zwang erlebt, den er im Christentum nicht habe. Seit 2017 sei er ein religiöser Mensch, wobei dies für ihn bedeute, dass jeder Mensch seinen eigenen Glauben für sich habe. Er sei immer noch der Meinung, dass alle Moslems verpflichtet seien Krieg zu führen. Dies sei ihm in Afghanistan so gesagt worden. Es gebe keine Freiheit im Islam. Er sehe sich als Mitglied der Kirche und als Teil des Leibes von Jesus Christus, dem Sohn Gottes. In Afghanistan wisse niemand davon, jedoch würde er nicht mehr in eine Moschee gehen. Er lehne den Islam ab und akzeptiere islamische Feiern nicht. Als Christ müsse er nun in die Kirche gehen. Aus der protestantischen Kirche habe er gelernt, dass der Glaube an das Heilige Buch wichtig sei und jeder seine Auslegung für sich herausholen könne.

Danach erfolgte die Befragung der ersten Zeugin. Diese gab an, den BF letzten Sonntag in der Kirche gesehen zu haben. Zu Weihnachten habe sie den BF nicht gesehen, aber da wären viele Gottesdienste gewesen und sie habe nicht an allen teilgenommen. Ob er jeden Sonntag in die Kirche komme, könne sie nicht sagen, weil sie selbst nicht jeden Sonntag in der Kirche sei. Der BF habe sich im Jänner 2018 in der Gemeinde angemeldet, um einen Taufkurs zu besuchen. Der BF habe sich dann dabei sehr mit der Frage der Schuld und Vergebung auseinander gesetzt, sowohl unter den Menschen als auch zwischen den Menschen und Gott. Er müsse nicht fünfmal täglich beten und die Gnade Gottes werde ihm ohne Gegenleistung geschenkt. Er schätze jedenfalls die Freiheit in der protestantischen Kirche. Er glaube auch an Gott und das Abendmahl sei ihm wichtig geworden. Er fühle sich als Teil der Gemeinschaft. Mit der Freiheit der Kirche meine er wohl, dass ihm die Gebete und die Zeiten dafür nicht vorgeschrieben würden. Er beschäftige sich mit der Bibel und der Frage, ob es einen Gott oder drei Götter (Vater, Sohn, Heiliger Geist) im Christentum gebe. Bei der Glaubensausübung sei er sehr präsent, ansonsten seinem Naturell entsprechend aber eher zurückhaltend.

Die zweite Zeugin gab an, dass sie ehrenamtlich schon mehrere Kurse für Konvertiten betreut habe und daher auch schon öfters in Kontakt mit den Behörden gestanden sei. Sie könne über den BF sagen, dass sich dieser sehr mit der Frage Schuld und Vergebung auseinandergesetzt habe und was er tun müsse, um ins Paradies zu kommen. Hierbei schätze er insbesondere die Freiheit, weil er aus einer Religion entstamme, die viel auf Zwänge aufbaue. Er wisse, dass ihm vergeben werde, wenn er schuldig werde. Mit dieser Freiheit meine der BF aber nicht das mitteleuropäische Leben, sondern, dass er an Gott glaube und die Grundlage der Liebe Gottes der christliche Glaube sei. Dies könne man nicht am Nichtwissen einzelner Feiertage oder Sprachschwierigkeiten festmachen. Der 6.Jänner habe in der Kirchengeschichte außerdem fast keine Bedeutung. Daraufhin wird der BF gefragt, ob er das Gespräch zwischen dem erkennende Richter und der zweiten Zeugin widergeben können, wobei der erkennende Richter den Eindruck gewonnen hat, dass der BF das Gespräch nicht verstanden habe. Sie vermeinte, dass der BF ruhiger geworden sei und er den Umgang mit Meinungsverschiedenheiten gelernt habe. Seitens des erkennenden Richters aufgefordert, eine diesbezügliche Erinnerung beim BF hervorzurufen, gab dieser - nach mehrmaligen Erklärungsversuchen an, dass er, wenn er Streit habe und geschlagen werde, nichts machen würde. Dies sei in Afghanistan nicht so gewesen. Mittlerweile würde er die andere Seite hinhalten, weil er nur Gutes tue. Wenn er mit der Chefin eine Meinungsverschiedenheit habe, dann könne er auch zu seiner Meinung stehen. Zuletzt habe sie mit dem BF über Vergebung und Freiheit gesprochen. Er sei ein Suchender und sei wie Martin Luther, der auf der Suche danach gewesen sei, wie er zu Gott komme. Der BF habe dadurch einen Zugang, dass er ins Paradies komme, weil er an Jesus Christus glaube. Dies habe er für sich selbst als seinen Taufspruch ausgewählt. Er verstehe dies, weil er wisse, dass es etwas Besonderes sei, wenn eine Jungfrau ein Kind zur Welt bringe. Der BF vermittle den Eindruck, dass er durch die Religion seinen Frieden gefunden habe. Die Trinität sei jedenfalls im Taufkurs nicht von ihr vorgetragen worden, weshalb der BF darlegt habe, dass die Religion für ihn mehr als nur Schlagworte seien. Die rechtsfreundliche Vertretung vermeinte, dass der BF gezeigt habe, dass er aus innerer Überzeugung konvertiert sei und dies auch nach außen hin zeige. Dies müsse jedenfalls dahingehend berücksichtigt werden, dass sich der BF vom Islam abgewandt habe und ihm im Falle seiner Rückkehr eine asylrechtlich relevante Verfolgung drohen würde.

In seiner Freizeit besuche der BF auch Kurse und betreibe Sport. Sein Freundeskreis bestehe aus Österreichern, Iranern und Afghanen. Er besuche weder Schulen noch sei er in Vereinen aktiv. Er spreche Deutsch auf dem Niveau A2. In Afghanistan sei er Hilfsarbeiter in der Landwirtschaft gewesen. In Österreich habe er nicht gearbeitet. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan würde sein Leben aber wegen der Abänderung seiner Religion jedoch in Gefahr seien. Er habe zwar in Afghanistan seine Mitmenschen schon gerngehabt, jedoch sei die Liebe durch das Christentum durch das Gute tun und das Erbarmen eine andere Liebe, die er im Islam oder in Afghanistan noch nicht gesehen habe. Er habe in seiner Unterkunft mit Zimmerkollegen über die Religion gesprochen und diesen mitgeteilt, dass sie sich für einen Kurs im Jahr 2020 anmelden könnten. Jedoch sei der Kontakt durch einen Zimmerwechsel abgebrochen. Seiner Familie gehe es gut. Sie halte sich im Iran auf und der Mann seiner Schwester komme für diese auf. Der Tod seines Vaters sei für ihn das auslösende Ereignis gewesen, denn er sei Moslem gewesen und sei von Moslems getötet worden. Seither habe er den Islam abgelehnt. Da er sich in der katholischen Kirche nicht so wohl gefühlt habe, habe er die protestantische Kirche angeschrieben. Dort könne man den Glauben freier interpretieren. Er könne das Glaubensbekenntnis aufsagen, denn dies sei für ihn der Grundsatz der christlichen Religion. Jesus sei nach seinem Tod in den Himmel aufgestiegen und habe sich auf die rechte Seite Gottes gesetzt.

Danach erfolgte der Schluss der mündlichen Verhandlung und zugleich erfolgte eine mündliche Verkündung des die Beschwerde vollabweisenden Erkenntnisses. Die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom 22.01.2020 wurde dem BFA samt Hinweis auf die mündliche Verkündung übermittelt.

12. Die rechtsfreundliche Vertretung des BF beantragte fristgerecht am 22.01.2020 beim Bundesverwaltungsgericht die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.

13. Der BF legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

* Afghanische Tazkira (Kopie)

* Zahlreiche Kursbestätigungen (Deutschkurse Niveau A1.2/A2.1 und A2, Integrationskurse)

* Teilnahme an einem Workshop des Roten Kreuzes

* Zertifikat über eine Sprachprüfung Deutsch A1, ÖSD-Zertifikat A2

* Bestätigungen über die Durchführung gemeinnütziger Tätigkeiten

* Bestätigung der Christuskirche

* Referenzschreiben

* Austrittsbestätigung aus der islamischen Glaubensgemeinschaft

* Lichtbilder aus Afghanistan

* Anmeldung zum Taufunterricht

* Taufbestätigung, Taufzeugnis sowie Lichtbilder der Taufe des BF

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest.

1.1. Zum sozialen Hintergrund des BF:

Der BF führt den Namen XXXX , ist am XXXX geboren, ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und wurde als Moslem schiitischer Glaubensrichtung erzogen. Der BF wurde am 09.06.2019 getauft und ist somit zum christlichen Glauben konvertiert. Die Muttersprache des BF ist Dari. Er ist im erwerbsfähigen Alter und gesund.

Der BF wurde nach seinen Angaben in der Provinz Kunduz geboren. Im Jahr 2015 ist der BF mit seiner Familie wegen der allgemeinen Sicherheitslage nach Pakistan gegangen. Davor hat er vier Jahre lang in Afghanistan die Schule besucht. Daneben hat er auch Arbeitserfahrung als Arbeiter in der Landwirtschaft gesammelt. Nachdem er Afghanistan Ende 2015 verließ, kam er über Pakistan, den Iran und die Türkei nach Europa, wo er am 16.04.2016 in Österreich gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Der BF ist ledig und hat keine Kinder. Es wird festgestellt, dass die Familie des BF im Iran aufhältig ist.

Der BF ist in seinem Heimatland auch nicht vorbestraft, hatte keine Probleme mit Behörden und war politisch nicht aktiv. Die Herkunftsregion seiner Familie ist die Provinz Kunduz. Der BF ist in Österreich strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten und unbescholten.

Der BF ist nach seiner Ausreise aus Afghanistan über Pakistan, den Iran und die Türkei nach Europa gereist, wo er schließlich in Österreich, das er seinem Befinden nach für gut und sicher erachtete, seinen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

Der BF stellte am 16.04.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Seinen Antrag auf internationalen Schutz begründet der BF im Wesentlichen damit, dass sein Dorf, das ausschließlich von Hazara bewohnt werde, von den Taliban überfallen worden sei. Er sei mit seiner Familie über Kabul nach Pakistan geflohen. Er habe Angst vor den Taliban.

In Zuge des Verfahrens vor dem BFA gab der BF an, dass er vom Islam abgefallen sei und er bereits in Afghanistan Interesse am christlichen Glauben gehabt habe. Dieses Interesse wolle er hier vertiefen. Er sei aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten und wolle sich taufen lassen. Im Beschwerdeverfahren konvertierte der BF schließlich zum Christentum, jedoch bloß formell aus asyltaktischen Gründen.

Festgestellt wird, dass der BF als Moslem erzogen wurde und in Österreich Interesse am Christentum gefunden hat. Der BF besucht in Österreich die Kirche und liest in der Bibel. Er besuchte einen Taufvorbereitungskurs und hat sich am 09.06.2019 taufen lassen.

Es wird festgestellt, dass der christliche Glaube kein wesentlicher Bestandteil der Identität des BF geworden ist.

Es wird festgestellt, dass der BF seinem derzeitigen Interesse für den christlichen Glauben im Falle der Rückkehr nach Afghanistan nicht weiter nachkommen würde.

Es wird festgestellt, dass der BF sein derzeitiges Interesse für den christlichen Glauben im Falle der Rückkehr nach Afghanistan nicht nach außen zur Schau tragen würde.

Es wird festgestellt, dass die afghanischen Behörden und/oder das persönliche Umfeld des BF in Afghanistan nicht von dessen Interesse für das Christentum und seiner Distanzierung vom Islam bei einer Rückkehr in sein Heimatland Kenntnis erlangen würden.

Es wird festgestellt, dass der BF im Falle der Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seines Interesses für den christlichen Glauben und seiner Abkehr vom Islam keiner psychischen oder physischen Gewalt ausgesetzt ist.

Es wird festgestellt, dass der BF nicht aus innerer Überzeugung die christlichen Werte verinnerlicht hat und er sich nicht aus innerer Überzeugung vom Islam abgewandt hat.

Ebenso wird festgestellt, dass der BF nicht aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit einer Verfolgung von asylrelevantem Ausmaß ausgesetzt ist.

Festgestellt wird, dass der BF in Afghanistan keiner landesweiten Verfolgung ausgesetzt ist.

Es kann festgestellt werden, dass der BF keiner konkreten Verfolgung oder Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt ist oder eine solche, im Falle seiner Rückkehr, zu befürchten hätte.

1.3. Zur Situation im Fall einer Rückkehr des BF:

Im Falle einer Verbringung des BF in seinen Herkunftsstaat droht diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (in der Folge EMRK), oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.

Aufgrund seiner Angaben konnte die Provinz Kunduz als Herkunftsregion des BF ausgemacht werden. Aufgrund der volatilen Sicherheitslage in dieser, ist eine Rückkehr in diese Provinz dem BF nicht zumutbar. Dem BF steht jedenfalls eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in der Stadt Herat und in der Stadt Mazar-e Sharif zur Verfügung, auch wenn der BF noch nie in Mazar-e Sharif oder Herat gelebt hat. Der BF kann sowohl Mazar-e Sharif als auch Herat von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des BF nach Mazar-e Sharif oder Herat ausschließen, konnten nicht festgestellt werden. Der BF leidet an keiner ernsthaften Krankheit, welche ein Rückkehrhindernis darstellen. Es bestehen keine Zweifel an der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit des BF. Der BF ist gesund.

Der BF liefe im Falle einer Rückkehr nach Mazar-e Sharif oder Herat nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er ist in der Lage, in Mazar-e Sharif oder Herat eine einfache Unterkunft zu finden bzw. am Erwerbsleben teilzunehmen. Zudem verfügt der BF über eine profunde Schulbildung und Arbeitserfahrung als Hilfsarbeiter in der Landwirtschaft.

Der BF hat die Möglichkeit finanzielle Unterstützung in Form einer Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Der BF wurde im Verfahren über die Rückkehrunterstützungen und Reintegrationsmaßnahmen in Kenntnis gesetzt.

In diesem Zusammenhang kann festgestellt werden, dass der BF bei einer Rückkehr nach Mazar-e Sharif oder Herat beim Aufbau einer Existenzgrundlage von Familienangehörigen nicht unterstützt wird. Eine Unterstützung durch den Schwager, der seine Familie im Iran versorgt, ist aber nicht auszuschließen. Der BF hat aber auf jeden Fall die Möglichkeit Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.

Der BF verfügt über ein überdurchschnittliches Maß an Anpassungs- und Selbsterhaltungsfähigkeit.

Der BF ist mit den kulturellen Gepflogenheiten und der Sprache seines Herkunftsstaates vertraut, weil er in Afghanistan geboren wurde und er in einem afghanisch geprägten Umfeld aufgewachsen ist.

1.4. Zum Leben in Österreich:

Der BF hält sich seit April 2016 in Österreich auf.

Der BF hat keine weiteren Familienangehörigen in Österreich.

Der BF pflegt in Österreich freundschaftliche Beziehungen zu Österreichern und Afghanen. Darüber hinaus konnten keine weiteren substanziellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens (wie z.B. Beziehungen, Lebensgemeinschaften) festgestellt werden.

Der BF ist kein Mitglied von politischen Parteien und war auch sonst nicht politisch aktiv. Neben den erwähnten Freundschaften ist der BF kein Mitglied von Vereinen.

Der BF besuchte zahlreiche Integrations- und Sprachkurse und kann diesbezüglich auch Teilnahmebestätigungen und Zertifikate vorweisen. Er ist daher jedenfalls in der Lage auf elementarer Ebene in einfachen, routinemäßigen Situationen des Alltags- und Berufslebens auf Deutsch zu kommunizieren. Er ist in seiner Freizeit jedoch nicht nachhaltig an einer Weiterbildung interessiert und war bisher in Österreich, abgesehen von der sporadischen Durchführung gemeinnütziger Tätigkeiten, nicht erwerbstätig. Er ist strafrechtlich unbescholten und lebt von der Grundversorgung und ist in Österreich nicht selbsterhaltungsfähig.

1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.5.1. Politische Lage:

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.4.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.5.2019). Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 - mit Ausnahme der Provinz Ghazni - Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14. November 2019 erwartet (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Provinz Kandahar musste die Stimmabgabe wegen eines Attentats auf den Provinzpolizeichef um eine Woche verschoben werden und in der Provinz Ghazni wurde die Wahl wegen politischer Proteste, welche die Wählerregistrierung beeinträchtigten, nicht durchgeführt (s.o.). Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen. Durch Wahl bezogene Gewalt kamen 56 Personen ums Leben und 379 wurden verletzt. Mindestens zehn Kandidaten kamen im Vorfeld der Wahl bei Angriffen ums Leben, wobei die jeweiligen Motive der Angreifer unklar waren (USDOS 13.3.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004, USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).

Die Hezb-e Islami wird von Gulbuddin Hekmatyar, einem ehemaligen Warlord, der zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird, geleitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem Friedensschluss und Präsident Ghani sicherte den Mitgliedern der Hezb-e Islami Immunität zu. Hekmatyar kehrte 2016 aus dem Exil nach Afghanistan zurück und kündigte im Jänner 2019 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 an (CNA 19.1.2019).

Im Februar 2018 hat Präsident Ghani in einem Plan für Friedensgespräche mit den Taliban diesen die Anerkennung als politische Partei in Aussicht gestellt (DP 16.6.2018). Bedingung dafür ist, dass die Taliban Afghanistans Verfassung und einen Waffenstillstand akzeptieren (NZZ 27.1.2019). Die Taliban reagierten nicht offiziell auf den Vorschlag (DP 16.6.2018; s. folgender Abschnitt, Anm.).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.8.2019) - bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 8.9.2019) - mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als "Marionette" des Westens betrachten - auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.8.2019; vgl. NZZ 12.8.2019; DZ 8.9.2019).

Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, MS 28.1.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigten Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.5.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehreren Warlords, statt (Qantara 12.2.2019; vgl. TN 31.5.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.5.2019).

1.5.2. Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind ste

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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