TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/12 W148 2160861-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.05.2020
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Entscheidungsdatum

12.05.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W148 2160861-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. KEZNICKL als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vom 06.06.2017 gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.05.2017, Zl. XXXX , in einer Angelegenheit nach dem Asylrecht zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 des Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

III. In Erledigung der Beschwerde werden Spruchpunkte II. bis IV. ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

I.1. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) hat nach schlepperunterstützter Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 22.12.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) gestellt.

2. Am 22.12.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt, bei der er zu seinem Fluchtgrund befragt vorbrachte, dass er Afghanistan wegen der Taliban und der wirtschaftlichen Schwäche verlassen habe. Bei einer Rückkehr befürchte er, dass er bei den Taliban mitkämpfen müsse, ansonsten werde er getötet.

3. Bei seiner Einvernahme am 19.04.2017 gab der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Außenstelle Wien (in Folge: BFA), im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi an, dass seine bisherigen Angaben im Verfahren der Wahrheit entsprächen.

Der BF führte zu seinen Fluchtgründen aus, dass sein Bruder, der sich nun in Österreich befinde so wie sein Vater, bei den Sicherheitsbehörden beschäftigt gewesen sei. Im Jahr 2014 habe sein Bruder mit einer Person namens XXXX , einer von den Taliban, Probleme bekommen, deshalb habe dieser Afghanistan verlassen und sei nach Österreich gekommen. Ein paar Monate später seien die Taliban in ihr Haus gekommen. Diese Leute hätten immer den Namen seines Bruders gerufen, sie hätten seinen Bruder gewollt. Seine Mutter habe die Tür nicht geöffnet. Nach ca. einer halben Stunde hätten sie Schüsse gehört, sie hätten die Scheiben des Autos seines Bruders getroffen. Nach diesem Vorfall habe seine Mutter dem BF verboten zur Schule zu gehen, sie habe Angst um ihn gehabt. Diese Taliban seien gefährliche und rachsüchtige Personen, weshalb seine Familie beschlossen habe, den BF außer Landes zu bringen.

4. Das BFA hat mit Bescheid vom 17.05.2017, Zl. XXXX , den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2500 (AsylG) idgF (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA- VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.) und dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz begründete das BFA im Wesentlichen damit, dass er keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen habe können. Es habe nicht festgestellt werden können, dass er einer Gefährdung oder Verfolgung im Herkunftsland ausgesetzt gewesen sei, sei oder wäre. Zuletzt kam das BFA zu dem Schluss, dass die Rückkehrentscheidung zulässig sei.

5. Mit Verfahrensanordnung wurde dem BF ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

6. Gegen den oben genannten Bescheid richtet sich die beim BFA fristgerecht eingelangte Beschwerde des BF an das Bundesverwaltungsgericht. Dem BF drohe, aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie - zumindest im Zuge des Durchschlagens der Verfolgung auf den BF im Rahmen der Sippenhaftung - Verfolgung durch den Warlord XXXX und seine Angehörigen. Es wurde die Beweiswürdigung des Bescheids der belangten Behörde in Beschwer gezogen. Es wurde auf Länderberichte und Risikoprofile der UNHCR-Richtlinien verwiesen.

7. Mit Stellungnahme vom 23.04.20120 teilte die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH mit, dass die Vertretungs- und Zustellvollmacht mit selben Tag zurückgelegt worden sei. Am 28.04.2020 erfolgte eine Urkundenvorlage des BF (Konvolut) an das BVwG.

8. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 05.05.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF (trotz Auflösung der Vollmacht per 23.04.2020) im Beisein einer Rechtsvertretung persönlich teilnahm. Die belangte Behörde verzichtete auf die Durchführung und die Teilnahme an der Verhandlung. Der BF wurde ausführlich zu seinem Fluchtvorbingen und den sonstigen Umständen befragt. Der BF legte eine Teilnahmebestätigung vor. Durch den erkennenden Richter wurde das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019 in das Verfahren eingebracht. Der BF gab eine schriftliche Stellungnahme samt schriftlicher Äußerung von F. Stahlmann vom 27.03.2020 ab.

I.2. Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens (Sachverhalt)

Das Bundesverwaltungsgericht geht auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgebenden Sachverhalt aus:

a) Zur Person und zum Vorbringen des BF

1. Der Name des BF ist XXXX , er wurde am XXXX in der Stadt XXXX in der Provinz Kunduz (Afghanistan) geboren. Er ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan. Weiters ist er Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF ist Dari, außerdem spricht er noch ein wenig Paschtu und Deutsch. Die Feststellungen zur Identität des BF gelten ausschließlich für die Identifizierung seiner Person im Asylverfahren.

2. Der BF ist in der Stadt XXXX in der Provinz Kunduz geboren. Er ist im Kleinkindalter mit seiner Familie in die Stadt XXXX , im XXXX der Provinz XXXX gezogen, wo er bis zu seiner Ausreise gelebt hat. Er hat bis zur achten Klasse die Schule besucht. Er hat keine Berufsausbildung. Sein Vater ist für seinen Lebensunterhalt aufgekommen.

3. In Afghanistan lebt ein Onkel mütterlicherseits in der Provinz Kunduz. Die Eltern, drei seiner Brüder und seine Schwester leben im Iran, zu ihnen steht der BF in Kontakt. Sein Bruder, XXXX , lebt als subsidiär Schutzberechtigter in Österreich. Sein Cousin lebt mit ihm im gemeinsamen Haushalt.

4. Der BF hat im November 2015 Afghanistan verlassen und ist über den Iran, die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien bis nach Österreich gereist, wo er am 22.12.2015 den gegenständlichen Antrag gestellt.

5. Beim BF wurde eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Er steht seit September 2019 in fachärztlicher Behandlung, nimmt Medikamente und steht auf der Warteliste für einen Therapieplatz.

Er ist arbeitsfähig.

6. Der BF ist strafrechtlich unbescholten.

7. Einer der Brüder des BF, XXXX , war als Oberstleutnant für den afghanischen Inlandsgeheimdienst (National Directorate of Security) tätig und leitete in der Provinz XXXX , die Dienstelle im XXXX Bereich. Zu dessen Aufgabenbereichen zählten Entführungen, Anschläge und terroristische Aktivitäten. Der Vater des BF und ein anderer Bruder namens XXXX waren auch für die Sicherheitsbehörden tätig. Nachdem XXXX mehrere Waffenlieferungen eines lokalen Warlords namens XXXX abfangen und sicherstellen konnte, begannen Bedrohungen gegen den Bruder des BF und seine Familie. Bei diesem Warlord handelt es sich, um den führenden Drogen- und Waffenhändler in der Provinz XXXX , mit Verbindungen zu den Taliban und auch zur Regierung, die das Vorgehen der Sicherheitsbehörden gegen diesen verunmöglichen. XXXX meldete die Drohungen gegen seine Person seinem unmittelbaren Vorgesetzten, bis auf die Ermahnung vorsichtig zu sein und sich immer in Begleitung aufzuhalten, konnte ihm dieser aber keinen Schutz anbieten. Das Elternhaus des BF grenzte unmittelbar an die Dienststelle. Da sich die Drohungen durch den Warlord zuletzt häuften und sich der Bruder XXXX zusehends unsicher fühlte, entschloss sich XXXX zur Flucht und gelangte nach Österreich. Nach dessen Flucht hörten die Bedrohungen gegen den BF und seine Familie jedoch nicht auf. Im März 2015 erschienen die Gefolgsleute des Warlords vor dem Elternhaus des BF und suchten nach dessen geflohenen Bruder. Die Mutter des BF verweigerte ihnen den Zutritt, woraufhin die Gefolgsleute das Fahrzeug von XXXX beschossen. Danach verboten die Eltern des BF ihren Kindern das Haus zu verlassen. Der Warlord befand sich ab Juni 2015 zwecks der Behandlung einer Krankheit in Indien. Aus Angst vor zukünftigen Racheakten des Warlords gegen seine Kinder entschloss sich der Vater des BF seine Kinder zu deren Schutz nacheinander außer Landes zu bringen. Zuerst verließ der BF im November 2015 Afghanistan. Zwei seiner Brüder gingen einen Monat später in den Iran. In seinem Herkunftsstaat verblieben somit sein Vater und XXXX , die beide für die Sicherheitsbehörden arbeiteten sowie seine Mutter, mit den drei minderjährigen Geschwistern. Am XXXX verübte der Warlord dann einen weiteren Angriff auf das private Fahrzeug XXXX , bei dem dieser schwer verletzt und ein weiterer Bruder des BF (der zweitjüngste) getötet wurde. Sein Vater meldete diesen Angriff dem Sicherheitskommando der Provinz XXXX , der diesen urkundlich Vorfall bestätigte. XXXX erlag später seinen schweren Verletzungen. Daraufhin flüchteten im Juli 2017 auch die Eltern und die beiden jüngsten Geschwister des BF in den Iran.

Der BF ist aus der Furcht von dem Feind seines Bruders XXXX , der ein einflussreicher Warlord ist, getötet zu werden aus Afghanistan geflohen. Dies aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie seines Bruders, der wegen der Beschlagnahmung von Waffenlieferungen des Warlords bedroht und verfolgt wurde. Eine innerstaatliche Fluchtalternative ist im gegenständlichen Fall ausgeschlossen. Zudem wären hinsichtlich dieser Verfolgungshandlung die zuständigen afghanischen Behörden nicht schutzfähig.

b) Zur Lage im Herkunftsstaat

Das Bundesverwaltungsgericht trifft folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019):

1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019:

Allgemeine Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil, nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (LIB 13.11.2019, S. 18). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (LIB 13.11.2019, S. 18-19).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten. Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau (LIB 13.11.2019, S. 19). Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (LIB 13.11.2019, S. 23)

Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (LIB 13.11.2019, S. 24).

Sowohl im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen. Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt, zwischen 1.12.2018 und 15.5.2019 waren es 6 HPAs (LIB 13.11.2019, S. 25).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB 13.11.2019, S. 26).

Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel (LIB 13.11.2019, S. 26).

Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB 13.11.2019, S. 27).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB 13.11.2019, S. 27).

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (LIB 13.11.2019, S. 27). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000, bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern. Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen (LIB 13.11.2019, S. 28).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit. Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt, nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab (LIB 13.11.2019, S. 29).

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen (LIB 13.11.2019, S. 29).

Kabul

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans (PAJ o.D.) und grenzt an Parwan und Kapisa im Norden, Laghman im Osten, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden sowie Wardak im Westen. Provinzhauptstadt ist Kabul-Stadt (NPS o.D.). Die Provinz besteht aus den folgenden Distrikten: Bagrami, Chahar Asyab, Dehsabz, Estalef, Farza, Guldara, Kabul, Kalakan, Khak-e-Jabar, Mir Bacha Kot, Musahi, Paghman, Qara Bagh, Shakar Dara und Surubi/Surobi/Sarobi (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

Kabul-Stadt - Geographie und Demographie

Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Es ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 5.029.850 Personen für den Zeitraum 2019-20 (CSO 2019). Die Bevölkerungszahl ist jedoch umstritten. Einige Quellen behaupten, dass sie fast 6 Millionen beträgt (AAN 19.3.2019). Laut einem Bericht, expandierte die Stadt, die vor 2001 zwölf Stadtteile - auch Police Distrikts (USIP 4.2017), PDs oder Nahia genannt (AAN 19.3.2019) - zählte, aufgrund ihres signifikanten demographischen Wachstums und ihrer horizontalen Expansion auf 22 PDs (USIP 4.2017). Die afghanische zentrale Statistikorganisation (Central Statistics Organization, CSO) schätzt die Bevölkerung der Provinz Kabul für den Zeitraum 2019-20 auf 5.029.850 Personen (CSO 2019). Sie besteht aus Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).

Hauptstraßen verbinden die afghanische Hauptstadt mit dem Rest des Landes (UNOCHA 4.2014). In Kabul-Stadt gibt es einen Flughafen, der mit internationalen und nationalen Passagierflügen bedient wird (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).

Die Stadt besteht aus drei konzentrischen Kreisen: Der erste umfasst Shahr-e Kohna, die Altstadt, Shahr-e Naw, die neue Stadt, sowie Shash Darak und Wazir Akbar Khan, wo sich viele ausländische Botschaften, ausländische Organisationen und Büros befinden. Der zweite Kreis besteht aus Stadtvierteln, die zwischen den 1950er und 1980er Jahren für die wachsende städtische Bevölkerung gebaut wurden, wie Taimani, Qala-e Fatullah, Karte Se, Karte Chahar, Karte Naw und die Microraions (sowjetische Wohngebiete). Schließlich wird der dritte Kreis, der nach 2001 entstanden ist, hauptsächlich von den "jüngsten Einwanderern" (USIP 4.2017) (afghanische Einwanderer aus den Provinzen) bevölkert (AAN 19.3.2019), mit Ausnahme einiger hochkarätiger Wohnanlagen für VIPs (USIP 4.2017).

Was die ethnische Verteilung der Stadtbevölkerung betrifft, so ist Kabul Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt, je nach der geografischen Lage ihrer Heimatprovinzen: Dies gilt für die Altstadt ebenso wie für weiter entfernte Stadtviertel, und sie wird in den ungeplanten Gebieten immer deutlicher (Noori 11.2010). In den zuletzt besiedelten Gebieten sind die Bewohner vor allem auf Qawmi-Netzwerke angewiesen, um Schutz und Arbeitsplätze zu finden sowie ihre Siedlungsbedingungen gemeinsam zu verbessern. Andererseits ist in den zentralen Bereichen der Stadt die Mobilität der Bewohner höher und Wohnsitzwechsel sind häufiger. Dies hat eine disruptive Wirkung auf die sozialen Netzwerke, die sich in der oft gehörten Beschwerde manifestiert, dass man "seine Nachbarn nicht mehr kenne" (AAN 19.3.2019).

Nichtsdestotrotz, ist in den Stadtvierteln, die von neu eingewanderten Menschen mit gleichem regionalen oder ethnischen Hintergrund dicht besiedelt sind, eine Art "Dorfgesellschaft" entstanden, deren Bewohner sich kennen und direktere Verbindungen zu ihrer Herkunftsregion haben als zum Zentrum Kabuls (USIP 4.2017). Einige Beispiele für die ethnische Verteilung der Kabuler Bevölkerung sind die folgenden: Hazara haben sich hauptsächlich im westlichen Viertel Chandawal in der Innenstadt von Kabul und in Dasht-e-Barchi sowie in Karte Se am Stadtrand niedergelassen; Tadschiken bevölkern Payan Chawk, Bala Chawk und Ali Mordan in der Altstadt und nördliche Teile der Peripherie wie Khairkhana; Paschtunen sind vor allem im östlichen Teil der Innenstadt Kabuls, Bala Hisar und weiter östlich und südlich der Peripherie wie in Karte Naw und Binihisar (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017), aber auch in den westlichen Stadtteilen Kota-e-Sangi und Bazaar-e-Company (auch Company) ansässig (Noori 11.2010); Hindus und Sikhs leben im Herzen der Stadt in der Hindu-Gozar-Straße (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018).

Aufgrund eben dieser öffentlichkeitswirksamer Angriffe auf Kabul-Stadt kündigte die afghanische Regierung bereits im August 2017 die Entwicklung eines neuen Sicherheitsplans für Kabul an (AAN 25.9.2017). So wurde unter anderem das Green Village errichtet, ein stark gesichertes Gelände im Osten der Stadt, in dem unter anderem, Hilfsorganisationen und internationale Organisationen (RFERL 2.9.2019; vgl. FAZ 2.9.2019) sowie ein Wohngelände für Ausländer untergebracht sind (FAZ 2.9.2019). Die Anlage wird stark von afghanischen Sicherheitskräften und privaten Sicherheitsmännern gesichert (AJ 3.9.2019). Die Green Zone hingegen ist ein separater Teil, der nicht unweit des Green Villages liegt. Die Green Zone ist ein stark gesicherter Teil Kabuls, in dem sich mehrere Botschaften befinden - so z.B. auch die US-amerikanische Botschaft und andere britische Einrichtungen (RFERL 2.9.2019).

In Bezug auf die Anwesenheit von staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Kabul mit Ausnahme des Distrikts Surubi im Verantwortungsbereich der 111. ANA Capital Division, die unter der Leitung von türkischen Truppen und mit Kontingenten anderer Nationen der NATO-Mission Train, Advise and Assist Command - Capital (TAAC-C) untersteht. Der Distrikt Surubi fällt in die Zuständigkeit des 201. ANA Corps (USDOD 6.2019). Darüber hinaus wurde eine spezielle Krisenreaktionseinheit (Crisis Response Unit) innerhalb der afghanischen Polizei, um Angriffe zu verhindern und auf Anschläge zu reagieren (LI 5.9.2018).

Im Distrikt Surubi wird von der Präsenz von Taliban-Kämpfern berichtet (TN 26.3.2019; vgl. SAS 26.3.2019). Aufgrund seiner Nähe zur Stadt Kabul und zum Salang-Pass hat der Distrikt große strategische Bedeutung (WOR 10.9.2018).

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 1.866 zivile Opfer (596 Tote und 1.270 Verletzte) in der Provinz Kabul. Dies entspricht einer Zunahme von 2% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) und gezielten Tötungen (UNAMA 24.2.2019).

Die afghanischen Sicherheitskräfte führten insbesondere im Distrikt Surubi militärische Operationen aus der Luft und am Boden durch, bei denen Aufständische getötet wurden (KP 27.3.2019; vgl. TN 26.3.2019, SAS 26.3.2019, TN 23.10.2018,. KP 23.10.2018, KP 9.7.2018). Dabei kam es unter anderem zu zivilen Opfern (TN 26.3.2019; vgl. SAS 26.3.2019). Außerdem führten NDS-Einheiten Operationen in und um Kabul-Stadt durch (TN 7.8.2019; vgl. PAJ 7.7.2019, TN 9.6.2019, PAJ 28.5.2019). Dabei wurden unter anderem Aufständische getötet (TN 7.8.2019) und verhaftet (TN 7.8.2019; PAJ 7.7.2019; vgl TN 9.6.2019, PAJ 28.5.2019), sowie Waffen und Sprengsätze konfisziert (TN 9.6.2019; vgl. PAJ 28.5.2019).

Herat

Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt eine internationale Grenze mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Weiters grenzt Herat an die Provinzen Badghis im Nordosten, Ghor im Osten und Farah im Süden. Herat ist in 16 Distrikte unterteilt. Zudem bestehen vier weitere "temporäre" Distrikte. Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt. Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans (LIB 13.11.2019, S. 105).

Die CSO schätzt die Bevölkerung der Provinz für den Zeitraum 2019-20 auf 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt. Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert. Der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 besonders gestiegen, da viele aus dem Iran rückgeführt oder aus den Provinzen Zentralafghanistans vertrieben wurden. Der Grad an ethnischer Segregation ist in Herat heute ausgeprägt (LIB 13.11.2019, S. 107).

Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden. Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt (LIB 13.11.2019, S. 106).

Laut UNODC Opium Survey 2018 gehörte Herat 2018 nicht zu den zehn wichtigsten Schlafmohn anbauenden Provinzen Afghanistans. 2018 sank der Schlafmohnanbau in Herat im Vergleich zu 2017 um 46%. Die wichtigsten Anbaugebiete für Schlafmohn waren im Jahr 2018 die Distrikte Kushk und Shindand (LIB 13.11.2019, S. 106).

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban (LIB 13.11.2019, S. 106).

Auch im Vergleich zu Kabul gilt Herat-Stadt einem Mitarbeiter von IOM-Kabul zufolge zwar als sicherere Stadt, doch gleichzeitig wird ein Anstieg der Gesetzlosigkeit und Kriminalität verzeichnet: Raubüberfälle nahmen zu und ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen wurde beispielsweise überfallen und ausgeraubt. Entführungen finden gelegentlich statt, wenn auch in Herat nicht in solch einem Ausmaß wie in Kabul (LIB 13.11.2019, S. 106).

Der Distrikt mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen ist der an Farah angrenzende Distrikt Shindand, wo die Taliban zahlreiche Gebiete kontrollieren. Wegen der großen US-Basis, die in Shindand noch immer operativ ist, kontrollieren die Taliban jedoch nicht den gesamten Distrikt. Aufgrund der ganz Afghanistan betreffenden territorialen Expansion der Taliban in den vergangenen Jahren sah sich jedoch auch die Provinz Herat zunehmend von Kampfhandlungen betroffen. Dennoch ist das Ausmaß der Gewalt im Vergleich zu einigen Gebieten des Ostens, Südostens, Südens und Nordens Afghanistans deutlich niedriger (LIB 13.11.2019, S. 106-107). 2017 und 2018 hat der IS bzw. ISKP Berichten zufolge drei Selbstmordanschläge in Herat-Stadt durchgeführt (LIB 13.11.2019, S. 107).

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat. Dies entspricht einem Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (LIB 13.11.2019, S. 108).

In der Provinz Herat kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen. Unter anderem kam es dabei auch zu Luftangriffen durch die afghanischen Sicherheitskräfte (LIB 13.11.2019, S. 108). Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften. Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (LIB 13.11.2019, S. 109). Auf der Autobahn zwischen Kabul und Herat sowie Herat und Farah werden Reisende immer wieder von Taliban angehalten; diese fordern von Händlern und anderen Reisenden Schutzgelder (LIB 13.11.2019, S. 109).

Balkh

Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar-e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan. Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif (LIB 13.11.2019, S. 61).

Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019-20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif. Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird (LIB 13.11.2019, S. 61).

Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum. Die Autobahn, welche zum usbekischen Grenzübergang Hairatan-Termiz führt, zweigt ca. 40 km östlich von Mazar-e Sharif von der Ringstraße ab. In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen. Im Januar 2019 wurde ein Luftkorridor für Warentransporte eröffnet, der Mazar-e Sharif und Europa über die Türkei verbindet (LIB 13.11.2019, S. 61).

Laut dem Opium Survey von UNODC für das Jahr 2018 belegt Balkh den 7. Platz unter den zehn größten Schlafmohn produzierenden Provinzen Afghanistans. Aufgrund der Dürre sank der Mohnanbau in der Provinz 2018 um 30% gegenüber 2017 (LIB 13.11.2019, S. 61).

Balkh zählt zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten. Die vergleichsweise ruhige Sicherheitslage war vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Kriegsherrn und späteren Gouverneurs von Balkh, Atta Mohammed Noor, zurückzuführen. In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete. Einem UN-Bericht zufolge, gibt es eine Gruppe von rund 50 Kämpfern in der Provinz Balkh, welche mit dem Islamischen Staat (IS) sympathisiert. Bei einer Militäroperation im Februar 2019 wurden unter anderem in Balkh IS-Kämpfer getötet. Deutsche Bundeswehrsoldaten sind in Camp Marmal in Mazar-e Sharif stationiert (LIB 13.11.2019, S. 62).

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen. Hinsichtlich der nördlichen Region, zu denen UNAMA auch die Provinz Balkh zählt, konnte in den ersten 6 Monaten ein allgemeiner Anstieg ziviler Opfer verzeichnet werden (LIB 13.11.2019, S. 63).

Berichten zufolge, errichten die Taliban auf wichtigen Verbindungsstraßen, die unterschiedliche Provinzen miteinander verbinden, immer wieder Kontrollpunkte. Dadurch wird das Pendeln für Regierungsangestellte erschwert. Insbesondere der Abschnitt zwischen den Provinzen Balkh und Jawjzan ist von dieser Unsicherheit betroffen (LIB 13.11.2019, S. 63).

Takhar

Die Provinz Takhar liegt im Nordosten Afghanistans (UNOCHA 4.2014t; vgl. PAJ o.D.t) und grenzt im Norden an Tadschikistan (UNOCHA 4.2014t). Nach Schätzungen der tadschikischen Behörden umfasst die 1.360 Kilometer lange Grenze Afghanistans zu Tadschikistan mindestens 300 Kilometer, die nicht von afghanischen Regierungstruppen kontrolliert werden (RFE/RL 22.11.2018). Die Nachbarprovinzen sind im Osten Badakhshan, im Süden und Südwesten Panjshir und Baghlan und im Westen Kunduz (UNOCHA 4.2014t). Die Provinz ist in folgende Distrikte unterteilt: Baharak, Bangi, Chahab, Chal, Darqad, Dasht-e-Qala, Eshkamesh, Farkhar, Hazar Sumuch, Kalafgan, Khwaja Bahawuddin, Khwaja Ghar, Namak Ab, Rustaq, der Provinzhauptstadt Taluqan (Taloqan), Warsaj und Yangi Qala (IEC 2018t; vgl. CSO 2019, UNOCHA 4.2014t, PAJ o.D.t).

Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) schätzte die Bevölkerung von Takhar für den Zeitraum 2019-20 auf 1.073.319 Personen (CSO 2019). Sie besteht hauptsächlich aus Usbeken, Tadschiken, Paschtunen, Hazara (PAJ o.D.t; vgl. NPS o.D.t, OPr 1.2.2017t), Gujari, Pashai und Arabern (OPr 1.2.2017t).

Eine Autobahn von Kunduz über Takhar nach Badakhshan führt durch die Distrikte Kalafgan, Taloqan und Bangi (UNOCHA 4.2014t; vgl. MoPW 16.10.2015; TD 5.12.2017).

Laut dem UNODC Opium Survey 2018 war Takhar von 2008 bis 2017 schlafmohnfrei. Im Jahr 2018 verlor die Provinz ihren schlafmohnfreien Status, da in den Distrikten Rustaq, Kalafgan und Farkhar 251 Hektar Schlafmohn angebaut worden waren (UNODC/MCN 11.2018). Drogenschmuggelrouten nach Zentralasien führen durch einige Distrikte der Provinz Takhar (AAN 29.7.2017; vgl. RFE/RL 22.11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Die ansonsten relativ friedliche nördliche Region hatte in den letzten Jahren mit Gewalt zu kämpfen, nachdem die afghanischen Sicherheitskräfte Aufständische aus den südlichen und östlichen Regionen verdrängten (XI 4.8.2019; vgl. AJ 27.8.2018). So zählt auch Takhar zu den volatilen Provinzen in Nordafghanistan - Aufständische der Taliban und anderer Gruppierungen sind in einer Anzahl von Distrikten aktiv (AMNA 14.7.2019; AN 14.7.2019).

Kleine Ansammlungen des Islamischen Staates sind in der Provinz Takhar zu finden (NAT 8.8.2019; vgl. RFE/RL 22.11.2018); auch operiert die Islamic Jihad Union (IJU) (AAN 7.9.2018) sowie die Jabha-ye Qariha, der militärische Flügel von Jundullah, in der Provinz (AAN 26.2.2019). Die Stärke der Islamic Jihad Group in Takhar, die auch in Badakhshan aktiv ist, wird in ganz Afghanistan auf 50 Mann geschätzt und die Gruppe wird von den Taliban kontrolliert (UNSC 13.6.2019). Im Juli 2018 wurde auch über die Präsenz des Islamic Movement of Uzbekistan (IMU) in Takhar berichtet (UNSC 27.7.2018; vgl. RFE/RL 22.11.2018). Ebenso sollen Schmuggler und Kriminelle entlang der tadschikischen Grenze aktiv sein (AJ 27.8.2018; vgl. PF 15.5.2019; RFE/RL 22.11.2018).

In Bezug auf die Anwesenheit von staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Takhar in der Verantwortung des 217. ANA-Korps, das unter der Führung deutscher Streitkräfte der NATO-Mission Train Advise Assist Command-North (TAAC-N) untersteht (USDOD 6.2019).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Für das Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 113 zivile Opfer (26 Tote und 87 Verletzte) in der Provinz Takhar. Dies entspricht einer Steigerung von 15% gegenüber 2017. Die Hauptursachen für Vorfälle waren Bodenkämpfe gefolgt von IEDs und Drohungen, Einschüchterungen und Drangsalen (UNAMA 24.2.2019).

Im April 2019 wurde die Sicherheitsoperation Khalid durch die afghanische Regierung verabschiedet, die sich auf die südlichen Regionen, Nangarhar im Osten, Farah im Westen, sowie Kunduz, Takhar und Baghlan im Nordosten, Ghazni im Südosten und Balkh im Norden konzentrierte (UNGASC 14.6.2019). In der Provinz werden regelmäßig Sicherheitsoperationen ausgeführt, bei denen Aufständische getötet werden (z.B. AT 24.8.2019; XI 13.7.2019; KP 6.7.2019; XI 20.6.2019; KP 13.6.2019; CD 20.4.2019).

Immer wieder kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Aufständischen und afghanischen Sicherheitskräften, bei denen es zu Todesopfern auf beiden Seiten kommt (z.B. AN 14.7.2019; DS 13.6.2019; RFE/RL 7.5.2019; BB 13.1.2019; PAJ 10.1.2019; 1TV 6.9.2018; AN 28.6.2018). Bei manchen sicherheitsrelevanten Vorfällen kamen Zivilisten zu Schaden (z.B. PAJ 12.2.2019; PAJ 13.8.2018; KP 20.8.2018; BN 20.8.2018).

Die Taliban griffen im Rahmen der Parlamentswahlen im Oktober 2018 wahlrelevante Ziele an (UNAMA 24.2.2019; PAJ 13.10.2018; PAJ 6.6.2018).

Erreichbarkeit von Städten in Afghanistan:

Beachtenswert ist die Vollendung der "Ring Road", welche Zentrum und Peripherie des Landes sowie die Peripherie mit den Nachbarländern verbindet (LIB 13.11.2019, S. 229). Die Ring Road, auch bekannt als Highway One, ist eine Straße, die das Landesinnere ringförmig umgibt. Die afghanische Ring Road ist Teil eines Autobahnprojekts. Sie verbindet außerdem Kabul mit den vier bedeutendsten Provinzhauptstädten Herat, Kandahar City, Jalalabad und Mazar-e Sharif (LIB 13.11.2019, S. 230-231).

In Afghanistan gibt es insgesamt vier internationale Flughäfen; alle vier werden für militärische und zivile Flugdienste genutzt. Trotz jahrelanger Konflikte verzeichnet die afghanische Luftfahrtindustrie einen Anstieg in der Zahl ihrer wettbewerbsfähigen Flugrouten. Daraus folgt ein erleichterter Zugang zu Flügen für die afghanische Bevölkerung. Die heimischen Flugdienste sehen sich mit einer wachsenden Konkurrenz durch verschiedene Flugunternehmen konfrontiert. Flugrouten wie Kabul - Herat und Kabul - Kandahar, die früher ausschließlich von Ariana Afghan Airlines angeboten wurden, werden nun auch von internationalen Fluggesellschaften abgedeckt (LIB 13.11.2019, S. 236).

Der Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul ist ein internationaler Flughafen. Er liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul. Mehrere internationale Airlines fliegen nach Kabu- (LIB 13.11.2019, S. 237).

Im Jahr 2013 wurde der internationale Maulana Jalaluddin Balkhi Flughafen in Mazar-e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh, eröffnet. Folgende internationale Airline fliegt nach Maza-e Sharif: Turkish Airlines aus Istanbul. Innerstaatlich gehen Flüge von und nach Mazar-e Sharif (durch Kam Air bzw. Ariana Afghan Airlines) zu den Flughäfen von Kabul und Maimana (LIB 13.11.2019, S. 237).

Der internationale Flughafen Herat befindet sich 10 km von der Provinzhauptstadt Herat entfernt. Der Flughafen wird u.a. von den Sicherheitskräften der ISAF benutzt, die einen Stützpunkt neben dem Flughafen haben. 2011 wurde ein neues Terminal mit Finanzierung der italienischen Regierung errichtet. Innerstaatlich gehen Flüge von und nach Herat (durch Kam Air bzw. Ariana Afghan Airlines) zu den Flughäfen nach Kabul, Farah und Chighcheran (LIB 13.11.2019, S. 238).

Religionsfreiheit:

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt. Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus; in Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist. Im Laufe des Untersuchungsjahres 2018 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen aufgrund von Blasphemie oder Apostasie. Auch im Berichtszeitraum davor gab es keine Berichte zur staatlichen Strafverfolgung von Apostasie und Blasphemie (LIB 13.11.2019, S. 277).

Konvertiten vom Islam zu anderen Religionen berichteten, dass sie weiterhin vor Bestrafung durch Regierung sowie Repressalien durch Familie und Gesellschaft fürchteten. Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen. Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist, sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (LIB 13.11.2019, S. 277).

Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung. Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung. Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen. Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe (LIB 13.11.2019, S. 278).

Relevante ethnische Minderheiten:

In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 35 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht. Schätzungen zufolge, sind: 40 bis 42% Pashtunen, 27 bis 30% Tadschiken, 9 bis 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen (LIB 13.11.2019, S. 287).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (LIB 13.11.2019, S. 287-288).

Tadschiken

Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan (MRG o.D.b; vgl. RFERL 9.8.2019) und hat einen deutlichen politischen Einfluss im Land (MRG o.D.b). Sie machen etwa 27 bis 30% der afghanischen Bevölkerung aus (GIZ 4.2019; vgl. CIA 2012). Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan (Provinzen Badakhshan, Takhar, Baghlan, Parwan, Kapisa und Kabul) bilden Tadschiken in weiten Teilen des Landes ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten. In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit (GIZ 4.2019).

Als rein sesshaftes Volk kennen die Tadschiken im Gegensatz zu den Paschtunen keine Stammesorganisation (GIZ 4.2019; vgl. MRG o.D.b). Aus historischer Perspektive identifizierten sich dari-persisch sprechende Personen in Afghanistan nach sehr unterschiedlichen Kriterien, etwa durch das Siedlungsgebiet oder der Herkunftsregion. Dementsprechend nannten sie sich zum Beispiel kaboli (aus Kabul), herati (aus Herat), mazari (aus Mazar-e Scharif), panjsheri (aus Panjsher) oder badakhshi (aus Badakhshan). Sie konnten auch nach ihrer Lebensweise benannt werden. Der Name tajik (Tadschike) bezeichnete ursprünglich traditionell sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession (BFA 7.2016; vgl. GIZ 4.2019, MRG o.D.b). Heute werden unter dem Terminus tajik "Tadschike" fast alle dari/persisch sprechenden Personen Afghanistans, mit Ausnahme der Hazara, zusammengefasst (BFA 7.2016).

Tadschiken dominierten die "Nordallianz", eine politisch-militärische Koalition, welche die Taliban bekämpfte und nach dem Fall der Taliban die international anerkannte Regierung Afghanistans bildete. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien, die dominierendste davon ist die Jamiat-e Islami, vertreten (MRG o.D.b). Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (BI 29.9.2017).

Gesellschaftsstrukturen:

Das Familienleben gilt als Schnittstelle für Fürsorge und Schutz. Armut, schlechte Familiendynamik und der Verlust wichtiger Familienmitglieder können das familiäre Umfeld für Kinder stark beeinflussen. Die afghanische Gesellschaft ist patriarchal (ältere Männer treffen die Entscheidungen), patrilinear (ein Kind gehört der Familie des Vaters an) und patrilokal (ein Mädchen zieht nach der Heirat in den Haushalt des Mannes). Die wichtigste soziale und ökonomische Einheit ist die erweiterte Familie, wobei soziale Veränderungen, welche mit Vertreibung und Verstädterung verbunden sind, den Einfluss der Familie etwas zurückgedrängt haben. Zuhause und Familie sind private Bereiche. Das Familienleben findet hinter schützenden Mauern statt, welche allerdings auch familiäre Probleme vor der Öffentlichkeit verbergen (Ventevogel et al. 2013).

Sicherheitsbehörden

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF - Afghan National Defense and Security Forces) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte (CIA 13.5.2019).

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan's Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die ANA untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig, ihre primäre Aufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Aufständischen innerhalb Afghanistans. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul (USDOS 13.3.2019). Die afghanischen Sicherheitskräfte werden teilweise von US-amerikanische bzw. Koalitionskräfte unterstützt (USDOD 12.2018).

Die autorisierte Truppenstärke der ANDSF wird mit 352.000 beziffert (USDOD 6.2019; vgl. SIGAR 30.7.2019): dies beinhaltet 227.374 Mitglieder der ANA und 124.626 Mitglieder der ANP. Die ALP zählt mit einer Stärke von 30.000 Leuten als eigenständige Einheit (USDOD 6.2019). Die zugewiesene (tatsächliche) Truppenstärke der ANDSF soll jedoch nur 272.465 betragen. Die Truppenstärke ist somit seit dem Beginn der RS-Mission im Jänner 2015 stetig gesunken. Der Rückgang an Personal wird allerdings auf die Einführung eines neuen Systems zur Gehaltsauszahlung zurückgeführt, welches die Zahlung von Gehältern an nichtexistierende Soldaten verhindern soll (SIGAR 30.7.2019; NYT 12.8.2019).

Die Anzahl der in der ANDSF dienenden Frauen hat sich erhöht. Nichtsdestotrotz bestehen nach wie vor strukturelle und kulturelle Herausforderungen, um Frauen in die ANDSF und die afghanische Gesellschaft zu integrieren (USDOD 6.2019). Mit Stand April 2019 waren 5.462 Frauen in den ANDSF - 500 mehr als im Quartal davor und 900 mehr zum Vergleichszeitraum des Vorjahres (SIGAR 30.7.2019). Sowohl bei der ANA als auch bei der ANP glich die Rate der Rekrutierungen die Ausfallsrate aus (USDOD 6.2019).

Afghanische Nationalarmee (ANA)

Die ANA ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen (USDOS 13.3.2019). Das Verteidigungsministerium hat die Stärke der ANA mit 227.374 autorisiert (USDOD 6.2019). Das Combined Security Transition Command-Afghanistan (CSTC-A), ein US-geführtes Kommando, nennt eine Truppenstärke von 180.869. 1.812 Frauen dienen in der ANA und 86 weitere in der AAF (SIGAR 30.7.2019). Die monatliche Ausfallsquote, die im zweiten Quartal 2019 durchschnittlich bei 2,6% lag (SIGAR 30.7.2019), ist nach wie vor ein Problem in der ANA (USDOD 12.2019).

Afghan National Police (ANP) und Afghan Local Police (ALP)

Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA (USDOD 6.2019; vgl. SIGAR 30.7.2019), jedoch ist es nach wie vor das Langzeitziel der ANP, sich in einen traditionellen Polizeiapparat zu verwandeln (USDOD 12.2018).

Dem Innenministerium (MoI) unterstehen die vier Teileinheiten der ANP: Afghanische Uniformierte Polizei (AUP), Polizei für Öffentliche Sicherheit (PSP, beinhaltet Teile der ehemaligen Afghanischen Polizei für Nationale Zivile Ordnung, ANCOP), Afghan Border Police (ABP), Kriminalpolizei (AACP), Afghan Local Police (ALP), und Afghan Public Protection Force (APPF). Das Innenministerium beaufsichtigt darüber hinaus drei Spezialeinheiten des Polizeigeneralkommandanten (GCPSU), sowie die Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA) (USDOD 12.2018). Der autorisierte Personalstand der ANP beträgt 124,626 (USDOD 6.2019), CSTC-A meldet dagegen eine Truppenstärke von 91.596. 3.650 Frauen dienen in der ANP (SIGAR 30.7.2019).

Im Gegensatz zur ANA bietet die ANP keine finanziellen Anreize für die Fortführung des Dienstes - eine mögliche Erklärung dafür, warum die ANA die ANP-Verbleibquoten übertrifft. Durch den Law and Order Trust Fund for Afghanistan (LOTFA), der die Mehrheit der ANP-Gehälter finanziert, wird ermöglicht die ANP-Gehälter an die steigenden Lebenshaltungskosten anzupassen (USDOD 12.2019).)

Die ALP wird ausschließlich durch die USA finanziert (USDOD 6.2019) und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (USDOD 6.2019; vgl. SIGAR 30.7.2019). Die Mitglieder werden von Dorfältesten oder lokalen Anführern zum Schutz ihrer Gemeinschaften vor Angriffen Aufständischer ausgewählt (SIGAR 30.7.219; vgl. USDOD 6.2019). Die ALP untersteht dem Innenministerium, der Personalstand wird jedoch nicht den ANDSF zugerechnet (SIGAR 30.4.2019). Die Stärke der ALP, deren Mitglieder auch als "Guardians" bezeichnet werden, auf rund 30.000 Mann stark geschätzt (USDOD 6.2019; vgl. SIGAR 30.7.2019; vgl.) - davon waren rund 23.500 voll ausgebildet (SIGAR 30.7.2019).

Korruption

Mit einer Bewertung von 16 Punkten (von 100 möglichen Punkten - 0= highly corrupt und 100 = very clean), belegt Afghanistan, auf dem Korruptionswahrnehmungsindex für 2018 von Transparency International, von 180 untersuchten Ländern den 172. Platz, was eine Verbesserung um fünf Ränge im Vergleich zum Jahr davor darstellt (TI 29.1.2019; vgl. TI 21.2.2018). Einer Umfrage aus dem Jahr 2018 zufolge betrachten 81,5% der befragten 15.000 Afghaninnen und Afghanen die Korruption als ein Hauptproblem des Landes, was eine leichte Verbesserung im Vergleich zur Umfrage ein Jahr zuvor darstellt (83,7%) (AF 4.12.2018).

Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für öffentliche Korruption vor. Die Regierung setzt dieses Gesetz jedoch nicht effektiv um. Einerseits wird von öffentlich Bediensteten berichtet, die regelmäßig und ungestraft in korrupte Praktiken involviert sind. Andererseits gibt es Korruptionsfälle, die erfolgreich vor Gericht gebracht wurden. Berichte deuten an, dass Korruption innerhalb der Gesellschaft endemisch ist - Geldflüsse von Militär, internationalen Gebern und aus dem Drogenhandel verstärken das Problem. Zahlreiche staatliche Infrastrukturprojekte der letzten 15 Jahre wurden auf Basis von Günstlingswirtschaft vergeben (USDOS 13.3.2019).

Innerhalb des afghanischen Staatshaushaltes werden insbesondere folgende Hauptquellen von Korruption genannt: Korruption bei der Beschaffung von Gütern, Korruption bei den Staatseinnahmen - vor allem durch die Zollabteilungen des Finanzministeriums - und Korruption bei der Vergabe von Staatsaufträgen. Darüber hinaus kommt es auch zu Korruption bei der Bereitstellung von Leistungen des Staates. Eine Quelle berichtet, dass zur Ausstellung einer Tazkira oder eines Führerscheins, aber auch bei der Bezahlung von Steuern und Abgaben Bestechungsgelder fällig werden (Najimi 2018).

Auch im Justizsystem ist Korruption weit verbreitet (USDOS 13.3.2019; vgl. AA 2.9.2019), insbesondere im Strafrecht und bei der Anordnung von Haftentlassungen (USDOS 13.3.2019). Trotz der sensiblen Sicherheitslage berichtet der Oberste Gerichtshof von einigen Fortschritten bei der Implementierung des Reformplans im Gerichtswesen. Der Oberste Gerichtshof berichtete auch von einer besseren Koordinierung innerhalb des Justizsektors (u.a. Justiz- und Innenministerium, Staatsanwaltschaft, etc.) (UNAMA 5.2019).

Es wird auch von illegaler Aneignung von Land durch staatliche und private Akteure berichtet. In den meisten Fällen haben Unternehmen illegal Grundstücksnachweise von korrupten Beamten erhalten und diese dann an nichtsahnende Interessenten verkauft, welche später strafverfolgt wurden. In anderen Berichten wird angedeutet, Regierungsbeamte hätten Land ohne Kompensation konfisziert, mit der Intention, dieses gegen Verträge oder politische Gefälligkeiten einzutauschen. Es gibt Berichte über Provinzregierungen, die ebenso illegal Land ohne Gerichtsverfahren oder Kompensation konfiszierten, um öffentliche Gebäude/Anlagen zu bauen (USDOS 13.3.2019).

Korruption findet in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens statt (AA 2.9.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Berichten zufolge gehen Beamte oft ungestraft korrupten Praktiken nach (USDOS 13.3.2019). Es kam jedoch in den vergangenen Jahren zu leichten Verbesserungen bei der Wahrnehmung der Rechenschaftspflicht in der öffentlichen Verwaltung (USDOS 13.3.2019; vgl. TI 8.3.2018, UNAMA 5.2019) - auch aufgrund von Bemühungen der internationalen Gemeinschaft und ihrer afghanischen Pendants, Institutionen in den letzten 17 Jahren wieder zu errichten (UNAMA 5.2019).

Im September 2018 übermittelte Präsident Ghani einen Gesetzesvorschlag für ein neues Anti-Korruptionsgesetz ans Parlament. Dadurch soll das im Juni 2016 per Dekret eingerichtete Anti-Corruption Justice Center (ACJC), eine unabhängige Korruptionsbekämpfungsbehörde, die für die strafrechtliche Verfolgung von Korruptionsfällen auf hoher Ebene zuständig ist, auch gesetzlich verankert werden. Im Jahr 2018 schien die Arbeit der ACJC stillzustehen, obwohl die Zahl der Ermittler deutlich erhöht wurde (USDOS 13.3.2019). Im April 2019 veröffentlichte das ACJC die folgende Bilanz: die Organisation verhängte Strafen gegen mindestens 67 hochrangige Beamte aufgrund der Beteiligung an korrupten Praktiken - darunter 16 Generäle der Armee oder Polizei sowie sieben Stellvertreter unterschiedlicher Organisationen (TN 22.4.2019). Im Zeitraum 1.12.2018-1.3.2019 wurden mehr als 30 hochrangige, der Korruption beschuldigte Personen, strafverfolgt, wobei die Verurteilungsrate bei 94% lag. Unter den Verurteilten befanden sich vier Oberste, ein stellvertretender Finanzminister, ein Bürgermeister, mehrere Polizeichefs und ein Mitglied eines Provinzialrates (USDOD 6.2019).

Alternative Rechtsprechungssysteme

Das formelle Justizsystem ist in urbanen Zentren stärker ausgeprägt (USDOS 13.3.2019) und zeigt im ländlichen Raum eine mangelnde Präsenz (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 4.2.2019). In den Großstädten entschieden die Gerichte in Strafverfahren auch weiterhin im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben. Zivilrechtsfälle werden oft durch informelle Systeme wie beispielsweise staatliche Mediation über das Huquq-Büro des Justizministeriums oder durch Verhandlungen zwischen den Streitparteien beigelegt. Nachdem das formelle Rechtssystem in ländlichen Gebieten oft nicht vorhanden ist (USDOS 13.3.2019), nutzen Bewohner des ländlichen Raumes lokale Rechtsschlichtungsmechanismen wie Schuras (beratschlagende Versammlungen, normalerweise von Männern, die von der Gemeinde nominiert werden) und Jirgas häufiger als die städtische Bevölkerung (AF 4.12.2018; vgl. USDOS 13.3.2019; vgl. FH 4.2.2019). Diese verwenden eine Mischung aus Varianten des staatlichen Rechts und der Scharia (islamisches Recht) (FH 4.2.2019). Es kommt insbesondere in paschtunischen Siedlungsräumen weiter auch zu traditionellen Formen privater Strafjustiz, bis hin zu Blutfehden (AA 2.9.2019).

Informelle Justizmechanismen werden von vielen Personen auch wegen ihrer schnelleren und meist weniger kostenintensiven Tätigkeit bevorzugt (AF 4.12.2018). Der Großteil der Bevölkerung hat unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen, sozialen oder religiösen Gruppe kein Vertrauen in die afghanischen Sicherheitskräfte und die Justizorgane. Sie werden als korrupt und zum Teil auch gefährlich wahrgenommen, weshalb ihre Hilfe in Notfällen oft nicht in Anspruch genommen wird (AA 2.9.2019; vgl. AF 4.12.2018). In entlegenen Gebieten Afghanistans macht es die zunehmende Kontrolle der Taliban der afghanischen Regierung beinahe unmöglich, Gerichte in Distrikten zu betreiben, in welchen die Taliban stark präsent sind (DW 15.3.2017).

Die Taliban haben ihr eigenes Rechtswesen in den Gebieten unter ihrer Kontrolle eingerichtet (FH 4.2.2019). Die Parallelregierung der Taliban ist bei einigen Afghanen beliebt. So berichteten Bewohner in Logar über das Gerichtssystem der Gruppierung, dass es eine bessere, schnellere und weniger korrupte Justiz bietet als staatliche Gerichte. In zunehmendem Maße wenden sich Menschen an die Taliban, um Eigentums- und Familienstreitigkeiten beizulegen, da Richter und Staatsanwälte oft Bestechungsgelder verlangen (CBC 24.12.2018). Zusätzlich berichten Betroffene in Einzelfällen von unterschiedlichen Erfahrungen mit dem Parallelsystem der Taliban; wie -z.B. im Falle eines Landdisputes in Helmand, in denen beide Seiten vor dem Taliban-Gericht angehört wurden und erst danach eine Entscheidung getroffen wurde (DW 15.3.2017).

Viele Talibankommandanten sprechen willkürliche Bestrafungen ohne Berücksichtigung des Taliban'schen Rechtssystems aus (FH 4.2.2019). Jedoch gibt es höchstwahrscheinlich Bestrafungen für diese Kommandanten, wenn die Anführer davon erfahren. Die Taliban haben nur geringe Möglichkeiten, willkürliche Bestrafungen zu verhindern, jedoch ein System der Bestrafung, wenn diese Dinge bekannt werden (ODI 6.2018).

Auch andere nicht-staatliche Gruppen setzen ein paralleles, auf der Scharia basierendes Rechtssystem um. Bestrafungen beinhalten Exekution und Verstümmelung (USDOS 13.3.2019; vgl. AA 2.9.2019, DW 15.3.2017).

Jedoch besteht bei der Nutzung informeller Justizmechanismen oft keine Wahlfreiheit. Viele Frauen, die Gewaltverbrechen an die staatlichen Behörden melden wollen, werden gezwungen, die informellen Systeme zu nutzen. Dies führt häufig dazu, dass die Täter ungestraft bleiben und die Frauen weiterhin Gefahren ausgesetzt sind (AF 4.12.2018).

In der Gesellschaft der Paschtunen wird das Pashtunwali zur Regelung aller gesellschaftlichen und internen Angelegenheiten der Gemeinschaft als zentrale Autorität herangezogen, so wie sie sich in den Vorschriften des Pashtunwali manifestiert. Dieses sind die Folgenden: Melmastiya (Gastfreundschaft), Nang (Ehre), Nanawatai (Abbitte leisten), Ghairat (Würde) usw. Die gesellschaftlichen Institutionen wie die Jirga (Ältestenversammlung zur Lösung von Streitigkeiten), Maraka (Ältestenrat zur Lösung kleinerer Probleme) usw. stellen demokratische Strukturen dar. Desgleichen gibt es für Rechtsangelegenheiten eine Justiz in Form der Jirga (alternative Streitbeilegung), Tigah (Waffenruhe), Nogha (Strafzahlung) usw.. Auch eine Exekutive ist vorgesehen in Form der Lashkar (Bürgermiliz), Tsalwashtees (Friedenskräfte), Cheegha (Aufruf zum Handeln) und Ähnliches (BFA 7.2016).

II. Beweiswürdigung:

Der Beweiswürdigung liegen folgende maßgebende Erwägungen zugrunde:

II.1. Zum Verfahrensgang

Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des vorliegenden Gerichtsakts des Bundesverwaltungsgerichts.

Beweise wurden aufgenommen durch Einsicht in den Verwaltungsakt und in den Verwaltungs- und Gerichtsakt des Erstverfahrens, Einvernahme des BF als Partei und durch Einsicht in die folgenden Urkunden:

* Erkenntnis des BVwG vom 08.04.2016 (Zl. W191 2114803-1/3E)

* Diverse Fotos zum Fluchtvorbringen des BF (OZ 8)

* Anzeige des Vaters des BF bei dem Sicherheitskommando der Provinz XXXX (OZ 8)

* Zwei Bestätigungen des Krankenhauses über die Behandlung des Bruders des BF XXXX (OZ 8)

* Arztbrief vom 30.04.2020

* Bestätigung von XXXX vom 27.03.2020

* Bestätigung über die Beschäftigung bei der XXXX Ges.m.b.H vom 01.05.2020

II.2. Zur Person und zum Vorbringen des Beschwerd

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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