TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/25 I414 1315287-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.05.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

25.05.2020

Norm

AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs2
BFA-VG §9 Abs2
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §52
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I414 1315287-2/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian EGGER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. NIGERIA, vertreten durch RA Edward W. DAIGNEAULT, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.10.2017, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22.05.2020, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben, der angefochtene Bescheid behoben und XXXX wird gemäß §§ 54, 55 Abs. 2 und 58 Abs. 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste am 10.10.2006 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.09.2007, Zl. XXXX, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Unter einem wies das Bundesasylamt den Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria aus.

Gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde ein.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 20.07.210, XXXX, wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 27 Abs 1 Z 1, achter Fall und 27 Abs 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Höhe von neun Monaten, davon drei Monate unbedingt und sechs Monate bedingt unter Setzung einer Probezeit im Ausmaß von drei Jahren verurteilt.

Mit Verfahrensanordnung des Asylgerichtshofs vom 05.07.2011, Zl. XXXX, wurde das Beschwerdeverfahren eingestellt.

Mit Schreiben vom 19.04.2012 beantragte der Beschwerdeführer die Fortsetzung seines Asylverfahrens.

Mit Verfahrensanordnung des Asylgerichtshofs vom 26.04.2012 wurde das Beschwerdeverfahren fortgesetzt.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 24.04.2013, Zl.XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 27 Abs 1 Z 1, achter Fall und Abs 3 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.02.2014, Zl. XXXX, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Gleichzeitig wurde seine Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet behoben und die Angelegenheit zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

Mit Schriftsatz vom 15.03.2016 teilte der Beschwerdeführer dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit, dass er sich mittlerweile zehn Jahre durchgehend im Bundesgebiet aufhalte und passabel Deutsch spreche. Als Beweis wurde ein Sprachzertifikat einer nichtbestandenen Deutschprüfung Niveau A2 vorgelegt.

Am 25.10.2017 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.10.2017, Zl. XXXX wurde den Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Zugleich erließ die belangte Behörde gegen ihm eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt I.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt II.).

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer mit Urteil vom 24.04.2013 wegen eines Vergehens nach dem Suchtmittelgesetz rechtskräftig zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt worden sei. Außerdem habe sich der Beschwerdeführer dem Asylverfahren entzogen. Zudem seien die Deutschkenntnisse, gemessen an seinem elfjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet, mehr als dürftig.

Mit Schriftsatz vom 04.12.2017 wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Begründend wird im Wesentlichen vorgebracht, dass sich der Beschwerdeführer seit 11 Jahren durchgehend im Bundesgebiet aufhalte und er keine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Er sei letztmalig 2013 für ein Vergehen nach dem Suchtmittelgesetz verurteilt worden. Somit liege die Straftat bereits mehr als 4 Jahre zurück. Dass er die Sprachprüfung nicht bestanden habe, spiele keine Rolle, da es nur auf seine Bemühungen ankomme.

Die belangte Behörde teilte dem Bundesverwaltungsgericht am 06.05.2020 mit, dass sie aus terminlichen Gründen an der Beschwerdeverhandlung nicht teilnehmen werde.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 22.05.2020 in Abwesenheit des Beschwerdeführers eine öffentliche Verhandlung durch. Der Beschwerdeführer blieb der Beschwerdeverhandlung unentschuldigt fern.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der im Verfahrensgang dargestellte Sachverhalt wird als erwiesen festgestellt. Zudem werden nachfolgende weitere Feststellungen getroffen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehörige von Nigeria und somit Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs 4 Z 10 FPG.

Der Beschwerdeführer ist, volljährig, ledig und kinderlos. Sorgepflichten treffen den Beschwerdeführer keine.

Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren Krankheit noch ist er längerfristig pflege- oder rehabilitationsbedürftig und er ist daher auch erwerbstätig.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit rund vierzehn Jahren im Bundesgebiet. Er stellte am 10.10.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.02.2014, Zl. XXXX, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Gleichzeitig wurde seine Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet behoben und die Angelegenheit zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

Mit nunmehr angefochtenem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.10.2017, Zl. XXXX wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Zugleich erließ die belangte Behörde gegen ihm eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

Es konnte nicht festgestellt werden, ob der Beschwerdeführer in Österreich ein Familienleben führt.

Der Beschwerdeführer hat die Deutschprüfung auf A2 Niveau nicht bestanden.

Seinen Aufenthalt in Österreich bestreitet der Beschwerdeführer aus Mitteln der Grundversorgung. Er ging in Österreich zu keinem Zeitpunkt einer legalen Erwerbstätigkeit nach.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXXvom 20.07.210, XXXX, wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 27 Abs 1 Z 1, achter Fall und 27 Abs 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Höhe von neun Monaten, davon drei Monate unbedingt und sechs Monate bedingt unter Setzung einer Probezeit im Ausmaß von drei Jahren verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 24.04.2013, Zl. XXXX, wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 27 Abs 1 Z 1, achter Fall und Abs 3 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und in den bekämpften Bescheid. Außerdem wurden Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und der Grundversorgung (GVS) ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

2.2 Zur Person des Beschwerdeführers:

Da es der Beschwerdeführer vorgezogen hat, der mündlichen Verhandlung unentschuldigt fernzubleiben, konnte seine Einvernahme vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht stattfinden. Der Beschwerdeführer hat sich damit selbst der Möglichkeit auf rechtliches Gehör im Rahmen einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht genommen.

Dies stellt zugleich eine Verletzung seiner Mitwirkungspflicht dar, die zum einen bei der Beweiswürdigung zu Lasten des Beschwerdeführers berücksichtigt wird und die zum anderen dem Beschwerdeführer bei der Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes zur Last fällt, soweit es dem Bundesverwaltungsgericht nicht möglich ist, von sich aus und ohne Mitwirkung der Partei tätig zu werden (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Dezember 2001, Zl. 2000/20/0318).

Dieses prozessuale Verhalten des Beschwerdeführers hindert jedoch das Bundesverwaltungsgericht nicht, die vorliegende Beschwerdesache zu erledigen, weil sie dessen ungeachtet nach der Aktenlage auch ohne Mitwirkung des Beschwerdeführers entscheidungsreif ist.

Die Feststellungen zu den Lebensumständen des Beschwerdeführers ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 25.10.2017.

Da der Beschwerdeführer entweder nicht im Stande oder nicht Willens war, den österreichischen Behörden identitätsbezeugende Dokumente vorzulegen, steht seine Identität nicht fest.

Es wurde keine gesundheitliche Beeinträchtigung vorgebracht, welche nach Berücksichtigung der höchstgerichtlichen Judikatur zur Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Falle einer Rückkehr führen könnten.

Die Feststellung, wonach sich der Beschwerdeführer seit rund vierzehn Jahren im Bundesgebiet aufhält, ergibt sich aus dem unbedenklichen Akteninhalt.

Die Feststellungen zur Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des subsidiär Schutzberechtigten und die Behebung der Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet sowie die Zurückverweisung der Angelegenheit zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ergeben sich aus dem unbedenklichen Akteninhalt.

Die Feststellung zum nunmehr angefochtenem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ergibt sich aus dem unbedenklichen Akteninhalt.

Da der Beschwerdeführer der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 22.05.2020 vor dem Bundesverwaltungsgericht unentschuldigt fern blieb, konnte nicht festgestellt werden, ob er ein Familienleben in Österreich führt.

Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer die Deutschprüfung auf Niveau A2 nicht bestand, ergibt sich aus dem vorgelegten Zeugnis.

Die Feststellungen, wonach der Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt einer legalen Erwerbstätigkeit nachging und er Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung bezieht, ergeben sich aus dem aktuellen Auszug aus der Grundversorgung.

Die strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers ergeben sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister und den vorliegenden Strafurteile im Akt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

Anzuwendende Rechtslage:

Anzuwendende Rechtslage:

Die maßgeblichen Bestimmungen des § 55 AsylG 2005 lauten:

§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen."

Die maßgebliche Bestimmung des § 9 Abs. 2 BFA-Verfahrensgesetz lautet:

"Schutz des Privat- und Familienlebens

§ 9. (2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist."

3.1. Zur Erteilung des Aufenthaltstitels:

Es ist zu prüfen, ob eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG einen zulässigen Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf Achtung des Privat- und Familienlebens in Österreich darstellt (Art. 8 Abs. 1 und 2 EMRK).

Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl. VfSlg. 18.224/2007, 18.135/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

Nach der Rechtsprechung des EGMR garantiert die Konvention Fremden kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z.B. eine Ausweisungsentscheidung) aber in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in dem Gastland zugebracht oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. EGMR 8.3.2008, Nnyanzi v. The United Kingdom, Appl. 21.878/06; 04.10.2001, Fall Adam, Appl. 43.359/98, EuGRZ 2002, 582; 09.10.2003, Fall Slivenko, Appl. 48.321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.06.2005, Fall Sisojeva, Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554).

Bei der Beurteilung der Rechtskonformität von behördlichen Eingriffen ist nach ständiger Rechtsprechung des EGMR, des Verfassungs- und des Verwaltungsgerichtshofes auf die besonderen Umstände des Einzelfalls einzugehen. Die Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme ist (nur) dann gegeben, wenn ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen des Betroffenen auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens im Inland einerseits und dem staatlichen Interesse an der Wahrung der öffentlichen Ordnung andererseits gefunden wird. Der Ermessensspielraum der zuständigen Behörde und die damit verbundene Verpflichtung, allenfalls von einer Aufenthaltsbeendigung Abstand zu nehmen, variiert nach den Umständen des Einzelfalls.

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005, Rn. 11 bis 13; VwGH 23.2.2017, Ra 2016/21/0325, Rn. 9 und 10, sowie VwGH 8.11.2018, Ra 2016/22/0120, Punkte 6.2. und 7.2., jeweils mwN).

Der Beschwerdeführer hat die Zeit seines Aufenthaltes zumindest in Ansätzen genützt um sich in Österreich zu integrieren. So gab er in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 31.10.2017 an, dass er seit ca. einem Jahr in seiner Unterkunft unentgeltlich Reinigungsarbeiten durchführt und bemüht sei die Deutsche Sprache zu erlernen, gleichwohl er die Deutschprüfung Niveau A2 nicht bestanden habe. Ferner sei er Mitglied einer afrikanischen Glaubensgemeinschaft in XXXX

Ein darüberhinausgehendes "besonders zu berücksichtigendes Integrationsverhalten" wird von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bei einem so langen Aufenthalt nicht gefordert (vgl. VwGH 23.2.2017, Ra 2016/21/0325, Rn. 12).

Der Beschwerdeführer wurde zuletzt am 24.04.2013 vom Landesgericht XXXX, Zl. XXXX, wegen das Vergehen des versuchten unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1, achter Fall und Abs 3 Suchtmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 10 (zehn) Monaten rechtskräftig verurteilt. Der Verurteilung liegt zugrunde, dass der Beschwerdeführer am 07.04.2013 in Wien gewerbsmäßig vorschriftswidrig Suchtgift, und zwar drei Kugeln Kokain mit dem Wirkstoff Cocain einer Person durch gewinnbringenden Verkauf überlassen hat.

Zwar ist auch bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt in Verbindung mit dem Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte nicht zwingend vom Überwiegen des persönlichen Interesses auszugehen, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren (vgl. dazu neuerlich etwa VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005, Rn. 16 iVm Rn. 13 bis 15, und VwGH 23.2.2017, Ra 2016/21/0325, Rn. 13, mwN).

Die Verurteilung nach dem Suchtmittelgesetz liegt nunmehr sieben Jahre zurück. Seither hat sich der Beschwerdeführer wohlverhalten. Sohin stellt der Aufenthalt des Beschwerdeführers keine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Darüber hinaus wurde der Beschwerdeführer frühzeitig aus der Strafhaft entlassen. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden würde.

Darüber hinaus befindet sich der Beschwerdeführer seit nunmehr vierzehn Jahren im selben Verfahren. Es wurde zwar das Beschwerdeverfahren vom Asylgerichtshof wegen unbekannten Aufenthalts am 05.07.2011 eingestellt und am 26.04.2012 wieder fortgesetzt. Dieser Umstand ist nach der Aktenlage weder für die Dauer des Asylverfahrens noch des anschließenden Verfahrens vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in nennenswertem Ausmaß ursächlich geworden. Die Verfahrensdauer übersteigt das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtschutzmöglichkeiten entsprechendes Asylverfahren angemessen ist. Es liegt somit ein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthaltes im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" erscheinen zu lassen (vgl. VfSlg 18.499/2008, 19.752/2013; EGMR 04.12.2012, Fall Butt, Appl. 47.017/09, Z 85 f.).

Angesicht der langen Aufenthaltsdauer, seiner Bemühungen eine Deutschprüfung abzulegen, der unentgeltlichen Tätigkeit in seiner Unterkunft und seiner Mitgliedschaft in einer afrikanischen Glaubensgemeinschaft sowie dem Verlust seiner Bindungen an seinen Herkunftsstaat überwiegt das private Interesse des Beschwerdeführers an der Fortführung seines Privatlebens in Österreich das öffentliche Interesse an einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme. Vor diesem Hintergrund ist im Rahmen einer Interessensabwägung gem. § 9 Abs. 2 BFA-VG festzustellen, dass eine Rückkehrentscheidung zum Zeitpunkt der Entscheidung durch das erkennende Gericht auf Dauer unzulässig ist. Es wird nicht verkannt, dass dem Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ein hoher Stellenwert zukommt, doch ist im gegenständlichen Fall aus den eben dargelegten Gründen in einer Gesamtschau und Abwägung aller Umstände das private Interesse an der - nicht nur vorübergehenden - Fortführung des Privatlebens des Beschwerdeführers in Österreich dennoch höher zu bewerten als das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung.

3.2. Zum Aufenthaltstitel:

Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

Nach § 55 Abs. 1 AsylG ist einem im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird. Als Modul 1 der Integrationsvereinbarung gilt der Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung ("Zeugnis zur Integrationsprüfung" auf mindestens Sprachniveau A2);

Da der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 Abs. 1 AsylG zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erfüllt, war dem Beschwerdeführer der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" zu gewähren und spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung Aufenthaltstitel befristete Aufenthaltsberechtigung Integration Interessenabwägung mündliche Verhandlung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I414.1315287.2.00

Im RIS seit

18.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

18.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten