TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/10 G311 2191961-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.06.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

10.06.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch

G311 2191961-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Eva WENDLER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit: Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.03.2018, Zahl XXXX, betreffend Aufenthaltsverbot zu Recht:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, vom 09.03.2018 wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von 18 Monaten befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und ihm gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit der Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.). Begründend wurde im Wesentlichen auf die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers vom Juni 2014 verwiesen.

Der Bescheid wurde dem Beschwerdeführer durch Hinterlegung beim Zustellpostamt am 14.03.2018 zugestellt.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz seiner bevollmächtigten Rechtsvertretung vom 05.04.2018, beim Bundesamt am selben Tag einlangand, fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge den angefochtenen Bescheid zur Gänze beheben; in eventu das Aufenthaltsverbot wesentlich verkürzen; in eventu den Bescheid beheben und das Verfahren an das Bundesamt zurückverweisen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich der Beschwerdeführer zwischen Ende 2014 und August 2017 im Ausland aufgehalten habe. Der Beschwerdeführer sei 2014 zu einer bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren nachgesehenen Freiheitsstrafe von zehn Monaten veurteilt worden. Die bedingte Strafe sei bereits endgültig nachgesehen worden. Das Vorliegen einer vom Beschwerdeführer dennoch ausgehenden gegenwärtigen Gefahr habe das Bundesamt ausschließlich damit begründet, dass die Tilgungsfrist noch nicht abgelaufen sei. Der Ablauf der Tilgungsfrist lasse aber keinerlei Schluss auf das künftige Wohlverhalten des Beschwerdeführers zu. Es habe sich um seine erste und bisher einzige Verurteilung gehandelt. Er sei in Österreich erwerbstätig und mit einer Österreicherin liiert. Eine Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Aufenhalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet liege nicht vor. Eine strafgerichtliche Verurteilung allein vermöge ein Aufenthaltsverbot nicht zu rechtfertigen.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht vom Bundesamt vorgelegt und langten dort am 10.04.2018 ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Vereinigten Königreiches Großbritannien und Nordirland (vgl aktenkundige Kopie des britischen Reisepasses, AS 103).

Es konnte nicht festgestellt werden, wann der Beschwerdeführer konkret erstmals in das Bundesgebiet eingereist ist. Er hielt sich aber spätestens ab September 2011 (vgl Anzeige vom 25.06.2012, AS 5; Niederschrift Bundesamt vom 09.03.2018, AS 101) immer wieder im Bundesgebiet auf.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX.2014, XXXX, rechtskräftig am XXXX.2014, wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung gemäß § 107 Abs. 1 StGB, des Vergehens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs. 1 StGB, des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB sowie des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB zu einer bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Monaten verurteilt. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer am XXXX.2012 seiner damals schwangeren Freundin mit dem Umbringen und damit, er werde ihr mit einem Messer die Augen ausstechen und ihr das Kind aus dem Leib schneiden, gefährlich drohte, sowie dadurch, dass er die Wohnung versperrte und sie am Verlassen der Wohnung hinderte, einer Person die persönliche Freiheit entzog. Weiters verletzte er eine andere Frau am XXXX.2013 durch Versetzen von Faustschlägen, wodurch diese eine Schädelprellung, eine Prellung des linken Unterarms und eine Prellung des linken Oberschenkels erlitt, am XXXX.2017 durch Tritte und Schläge, wodurch diese stürzte und eine Rissquetschwunde am rechten Handballen, Abschürfungen am linken Ellbogen und eine Knieprellung erlitt. Schließlich warf er am XXXX.2013 deren Mobiltelefon zu Boden und beschädigte damit eine fremde Sache. Bei der Strafbemessung wurde als mildernd der bisher ordentliche Lebenswandel, das reumütige Geständnis und die teilweise Schadensgutmachung, als erschwerend hingegen das Zusammentreffen mehrerer Vergehen gewertet (vgl aktenkundiges Urteil, AS 14 ff; Strafkarte, AS 12 f).

Aufgrund des zitierten Urteile des Landesgerichtes wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer die im genannten Urteil festgestellten strafbaren Handlungen begangen und je das umschriebene Verhalten gesetzt hat.

Die bedingte Strafe wurde mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX.2018 endgültig nachgesehen (vgl AS 107 ff). Zum Entscheidungszeitpunkt ist die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers getilgt. Im Strafregister der Republik Österreich scheint keine Verurteilung auf (vgl Strafregisterauszug vom 25.05.2020).

Der Beschwerdeführer meldete seine Wohnsitze im Bundesgebiet nicht durchgehend. Er weist im Zentralen Melderegister nachfolgende Wohnsitzmeldungen auf (vgl Auszug aus dem Zentralen Melderegister vom 25.05.2020):

14.12.2015 bis 09.05.2016 Hauptwohnsitz

31.08.2017-18.06.2018 Hauptwohnsitz

18.06.2018-11.06.2019 Hauptwohnsitz

Trotz Wohnsitzmeldung zwischen 14.12.2015 und 09.05.2016 hielt sich der Beschwerdeführer in dieser Zeit nicht im Bundesgebiet auf, sondern reiste aus dem Bundesgebiet aus und erst im August 2017 wieder in das Bundesgebiet ein (vgl Beschwerdevorbringen, AS 137).

Der Beschwerdeführer weist darüber hinaus die folgenden Sozialversicherungsdaten im Bundesgebiet auf (vgl Sozialversicherungsdatenauszug vom 04.05.2020 und vom 25.05.2020):

09.12.2015-31.12.2015

geringfügig beschäftigter Arbeiter

01.09.2017-31.12.2017

Angestellter

01.01.2018-31.05.2018

Angestellter

28.02.2018-09.04.2018

geringfügig beschäftigter Arbeiter

15.06.2018-12.12.2019

geringfügig beschäftigter Arbeiter

20.06.2018-20.06.2018

geringfügig beschäftigter Arbeiter unter 1 Monat

27.06.2018-27.06.2018

geringfügig beschäftigter Arbeiter unter 1 Monat

05.07.2018-05.07.2018

geringfügig beschäftigter Arbeiter unter 1 Monat

23.07.2018-31.08.2018

Arbeiter

15.10.2018-31.03.2019

geringfügig beschäftigter Arbeiter

08.01.2019-09.05.2019

geringfügig beschäftigter Arbeiter

15.03.2019-07.06.2019

geringfügig beschäftigter Arbeiter

25.06.2019-30.06.2019

geringfügig beschäftigter Arbeiter

01.07.2019-11.07.2019

Arbeiter

20.08.2019-24.08.2019

geringfügig beschäftigter Arbeiter

01.10.2019-31.10.2019

geringfügig beschäftigter Arbeiter

01.11.2019-30.01.2020

Arbeiter

Der Beschwerdeführer verfügte bisher über keine Anmeldebescheinigung im Bundesgebiet (vgl Auszug aus dem Fremdenregister vom 25.05.2020).

Aus einer Beziehung in Österreich hat der Beschwerdeführer eine Tochter, die in Österreich lebt, zu der er aber keinen Kontakt hat. Seine Familienangehörigen, darunter die Mutter, die Schwester, der Bruder, eine Halbschwester und ein Onkel, leben allesamt in Großbritannien (vgl Niederschrift Bundesamt vom 09.03.2018, AS 101; Beschwerdevorbringen, AS 141).

Zum Entscheidungszeitpunkt geht der Beschwerdeführer im Bundesgebiet keiner Beschäftigung nach und ist auch nicht mit einem Wohnsitz gemeldet. Dass sich der Beschwerdeführer daher aktuell im Bundesgebiet aufhält, konnte nicht festgestellt werden.

2. Beweiswürdigung:

Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Zur Person und zum Vorbringen der beschwerdeführenden Partei:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität und zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers getroffen wurden, beruhen diese auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde.

Das genannte strafgerichtliche Urteil und der Beschluss über die endgültige Strafnachsicht sind aktenkundig. Aufgrund eingetretener Tilgung scheint die Verurteilung des Beschwerdeführers

Das Bundesverwaltungsgericht nahm Einsicht in das Fremdenregister, das Strafregister, das Zentrale Melderegister und holte einen Sozialversicherungsdatenauszug ein.

Die übrigen Feststellungen ergeben sich aus den im Verwaltungs- bzw. Gerichtsakt einliegenden Beweismitteln und insbesondere den im gesamten Verfahren vom Beschwerdeführer gemachten eigenen Angaben, welche jeweils in Klammer zitiert und vom Beschwerdeführer zu keiner Zeit bestritten wurden.

Mangels aktueller Wohnsitzmeldung und/oder Sozialversicherung oder sonstiger Hinweise auf einen derzeitigen Aufenthalt im Bundesgebiet konnte gegenständlich nicht festgestellt werden, dass sich der Beschwerdeführer zum Entscheidungszeitpunkt im Bundesgebiet aufhält.

Die familiären und privaten Bindungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sowie in Großbritannien ergeben sich aus den Angaben in der Beschwerde und den unbestrittenen Feststellungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid sowie den Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland.

Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland ist mit Ablauf des 31.01. 2020 aus der Europäischen Union ausgetreten (sog. "BREXIT") und somit kein Mitgliedsstaat der Europäischen Union mehr.

Das Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft, ABl. Nr. C 384-I/01 vom 12.11.2019 S. 1 (im Folgenden: "Austrittsabkommen"), ist mit 01.02.2020 in Kraft getreten. Das Austrittsabkommen regelt in seinem Teil Zwei ("Rechte der Bürger", Art. 9 ff) unter anderem das weitere Aufenthaltsrecht von in Österreich aufhältigen "britischen Staatsangehörigen" (siehe dazu die Begriffsbestimmung in Art. 2 lit. d des Austrittsabkommens) und deren Familienangehörigen. Bis zum Ende des sogenannten "Übergangszeitraums" am 31.12.2020 bleibt der EU-Rechtsbestand weiterhin auf das Vereinigte Königreich anwendbar. Für das (weitere) Aufenthaltsrecht von britischen Staatsangehörigen und deren Familienangehörigen ergeben sich somit bis zum Ende der Übergangsphase keine Änderungen. Dies bedeutet, dass sie weiterhin in Österreich leben, arbeiten und einer Ausbildung nachgehen können (Art. 13 ff). Neu zuziehende Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs müssen innerhalb von vier Monaten eine Anmeldebescheinigung bei der nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zuständigen Behörde beantragen (vgl. Art. 18). Ein Umstieg auf eine Bescheinigung des Daueraufenthaltsrechts ist weiterhin möglich. Drittstaatsangehörige Familienangehörige benötigen eine Aufenthaltskarte und können eine Daueraufenthaltskarte erlangen.

Gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. k des Austrittsabkommens findet auf die Voraussetzung ausreichender Existenzmittel Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38/EG ("Freizügigkeitsrichtlinie", siehe § 2 Abs. 1 Z 19 NAG) Anwendung.

Gemäß Art. 18 Abs. 3 des Austrittsabkommens wird bis zu einer abschließenden Entscheidung der zuständigen Behörden über einen Antrag nach Abs. 1 und bis zum Erlass eines rechtskräftigen Urteils im Falle eines gerichtlichen Rechtsbehelfs, der gegen die Ablehnung eines solchen Antrags durch die zuständigen Verwaltungsbehörden eingelegt wurde, davon ausgegangen, dass alle in diesem Teil vorgesehenen Rechte, auch Art. 21 über Garantien und Rechtsschutz, für den Antragsteller unter den in Art. 20 Abs. 4 vorgesehenen Bedingungen gelten.

Gemäß Art. 21 des Austrittsabkommens gelten für Entscheidungen des Aufnahmestaats, durch die die Aufenthaltsrechte der in Art. 10 genannten Personen beschränkt werden, die in Art. 15 und Kapitel VI der Richtlinie 2004/38/EG vorgesehenen Garantien.

Auch wenn der Beschwerdeführer seit dem Austritt des Vereinigten Königsreichs mit Wirksamkeit ab 01.02.2020 kein Unions- oder EWR-Bürger mehr ist, so ist er im aufenthaltsrechtlichen Sinne bis zum Ende des Übergangszeitraums (bis 31.12.2020) einem Unions- und EWR-Bürger gleichgestellt. Die für Letztere geltenden Bestimmungen über das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten (siehe §§ 51 ff NAG) sind bis dahin auch auf Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland anwendbar.

§ 67 FPG lautet:

"§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere

1. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

2. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);

3. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

4. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.

(Anm.: Abs. 5 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)"

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG lautet wie folgt:

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt."

Da vom Beschwerdeführer, der aufgrund seiner britischen Staatsangehörigkeit und den oben dargestellten Übergangsbestimmungen zum Entscheidungszeitpunkt in den persönlichen Anwendungsbereich von §§ 66 und 67 FPG fällt, die Voraussetzung eines Aufenthalts im Bundesgebiet seit fünf bzw. zehn Jahren nicht erfüllt ist, kommt für diesen der Prüfungsmaßstab des § 67 Abs. 1 Satz 2 FPG zur Anwendung.

Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091 mwN).

Nun ist im Sinne des § 67 FPG das persönliche Verhalten des Betroffenen zu beurteilen und insbesondere auf die durch die konkreten Straftaten bewirkten Eingriffe in die öffentliche Ordnung, die genauen Tatumstände und Begleitumstände der Taten und auch sonstige Besonderheiten Bedacht zu nehmen. Es ist in weiterer Folge abzuwägen, ob das Allgemeininteresse an der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes schwerer wiegt als andere relativierende Momente, wie etwa auch das Familien- und Privatleben des Betroffenen.

Bei der vom Beschwerdeführer zu erstellenden Gefährdungsprognose steht seine strafgerichtliche Verurteilung im Mittelpunkt.

Dazu ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer bereits im Juli 2014 rechtskräftig zu einer auf die Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt wurde. Der Verurteilung lagen vier Vergehen (gefährliche Drohung, Freiheitsentzug, Körperverletzung und Sachbeschädigung) aus den Jahren 2012 und 2013 zugrunde. Die Strafe wurde bereits im Jänner 2018 endgültig nachgesehen und ist inzwischen eine Tilgung eingetreten, sodass der Beschwerdeführer zum Entscheidungszeitpunkt als strafgerichtlich unbescholten gilt.

Wenngleich im Rahmen der zu treffenden Gefährdungsprognose und der Beurteilung des Gesamtverhaltens eines Fremden zur Begründung einer Gefährdung auch das einer bereits getilgten Verurteilung zugrundeliegende Verhalten herangezogen werden darf (vgl diesbezüglich etwa VwGH 22.05.2013, 2013/18/0074, 24.04.2012, 2011/23/0291 mwN), hat hingegen die sich aus dem angefochtenen Bescheid implizit ergebende Auffassung des Bundesamtes, dass eine positive Gefährdungsprognose im Zusammenhang mit einem Aufenthaltsverbot nur dann in Betracht kommt, wenn die diesbezüglich maßgebliche Verurteilung getilgt ist, im Gesetz keine Grundlage (vgl VwGH vom 19.05.2015, Ra 2015/21/0001).

In Anbetracht des Umstandes, dass die der (getilgten) strafgerichtlichen Verurteilung zugrundeliegende letzte Tat vom 18.07.2013 inzwischen beinahe sieben Jahre zurück liegt, sich der Beschwerdeführer nichts mehr zu Schulden hat kommen lassen, sich diesbezüglich somit wohlverhalten hat und dem angefochtenen Bescheid darüber hinausgehend nicht entnommen werden kann, weswegen vom Beschwerdeführer nach wie vor eine gegenwärtige und erhebliche Gefahr ausgehen sollte (vgl dazu auch VwGH vom 19.06.2012, 2012/18/0026), kann seitens des erkennenden Gerichtes nicht erkannt werden, dass vom Beschwerdeführer zum Entscheidungszeitpunkt eine derartige gegenwärtige und erhebliche Gefahr ausginge, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes rechtfertigen könnte.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen, umfangreichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch ist diese Rechtsprechung als uneinheitlich zu bewerten. Vielmehr hat sich das Bundesverwaltungsgericht bei der Beurteilung des gegenständlichen Falles an der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aber auch des Europäischen Gerichtshofes orientiert und diese - soweit erforderlich - auch in der Entscheidungsbegründung zitiert. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der gegenständlich zu lösenden Rechtsfragen liegen nicht vor.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot Behebung der Entscheidung strafrechtliche Verurteilung Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G311.2191961.1.00

Im RIS seit

18.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

18.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten