Entscheidungsdatum
08.06.2020Index
60/02 ArbeitnehmerschutzNorm
ASchG §77a Abs2 Z1Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
gekürzte Ausfertigung
gemäß § 29 Abs. 5 iVm § 50 Abs. 2 VwGVG
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Richterin Dr.in Oswald, LL.M. über die Beschwerde 1) des Herrn Mag. A. B. und 2) der C. GmbH gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den ... Bezirk, vom 29.10.2019, Zl. MBA/..., betreffend Übertretungen der §§ 73 und 78 sowie des § 79 des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (AschG), nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 7.5.2020
zu Recht e r k a n n t:
I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen und das angefochtene Straferkenntnis mit der Maßgabe bestätigt, dass
- vor dem im Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses umschriebenen Tatzeitraum „von 31.10.2016 bis 29.08.2018“ das Wort „zumindest“ entfällt und
- die verletzte Verwaltungsvorschrift und die gesetzliche Grundlage der Strafe lauten wie folgt: „ad 1) § 73 Abs. 1 und 2 iVm § 78 Abs. 1 des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (ASchG), BGBl. Nr. 450/1994 idF BGBl. I Nr. 126/2017, ad 2) § 79 Abs. 1 und 2 iVm § 78 Abs. 2 ASchG, BGBl. Nr. 450/1994 idF BGBl. I Nr. 126/2017, jeweils iVm § 9 Abs. 1 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG), BGBl. Nr. 52/1991 idF , und iVm § 130 Abs. 1 Z 27 erster Strafsatz ASchG, BGBl. Nr. 450/1994 idF BGBl. I Nr. 126/2017“.
II. Gemäß § 52 Abs. 1 und 2 VwGVG hat Herr Mag. A. B. einen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens in der Höhe von € 168,-- (das sind 20 % der verhängten Geldstrafe) zu leisten.
III. Gemäß § 9 Abs. 7 VStG haftet die C. GmbH zusätzlich für die Kosten des Beschwerdeverfahrens zur ungeteilten Hand.
IV. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Abs. 1 VwGG eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.
1. Als erwiesen angenommene Tatsachen:
Der Erstbeschwerdeführer ist seit 8.5.2007 handelsrechtlicher Geschäftsführer der Zweitbeschwerdeführerin. Die Zweitbeschwerdeführerin beschäftigte im Tatzeitraum insgesamt durchschnittlich 49 ArbeitnehmerInnen, zu keinem Zeitpunkt mehr als 53 ArbeitnehmerInnen. Seit 14.6.2016 betreibt die Zweitbeschwerdeführerin die gegenständliche Betriebsstätte in Wien, D.-Straße. In dieser Arbeitsstätte waren im Tatzeitraum durchschnittlich regelmäßig zwei bis vier ArbeitnehmerInnen beschäftigt.
Für die Arbeitsstätte der Zweitbeschwerdeführerin in Wien, D.-Straße wurde im Tatzeitraum weder eine betriebseigene oder externe Sicherheitsfachkraft beschäftigt bzw. bestellt noch ein sicherheitstechnisches Zentrum in Anspruch genommen. Für die Arbeitsstätte der Zweitbeschwerdeführerin in Wien, D.-Straße wurde im Tatzeitraum weder ein betriebseigener oder externer Arbeitsmediziner bestellt bzw. beschäftigt noch ein arbeitsmedizinisches Zentrum in Anspruch genommen.
Die Zweitbeschwerdeführerin verfügte im Tatzeitraum nicht über entsprechend fachkundiges Personal zur Beschäftigung betriebseigener Sicherheitsfachkräfte bzw. Arbeitsmediziner.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Erstbeschwerdeführer über die Fachkenntnisse einer Sicherheitsfachkraft durch Absolvierung einer vom BMASGK anerkannten Fachausbildung verfügt bzw. im Tatzeitraum verfügte.
Am 5.9.2018 meldete sich die Zweitbeschwerdeführerin erstmals bei der AUVA für eine kostenlose Präventionsberatung der in Rede stehenden Arbeitsstätte in Wien, D.-Straße an.
Die AUVA führte am 7.9.2018 erstmals eine sicherheitstechnische Begehung der in Rede stehenden Arbeitsstätte durch.
Die AUVA führte am 4.2.2019 erstmals eine arbeitsmedizinische Begehung der in Rede stehenden Arbeitsstätte durch.
Nach der Kontrolle der in Rede stehenden Arbeitsstätte in Wien, D.-Straße wurde die Zweitbeschwerdeführerin mit Schreiben des Arbeitsinspektorats vom 5.11.2016 aufgefordert, eine Sicherheitsfachkraft und einen Arbeitsmediziner für die in Rede stehende Arbeitsstätte zu bestellen, wobei auch auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines Präventionszentrums hingewiesen wurde. Mit Schreiben vom 7.3.2017 wurde diese Aufforderung seitens des Arbeitsinspektorats urgiert.
2. Zur Beweiswürdigung:
Die Feststellungen gründen sich auf den Akteninhalt und das Vorbringen der Parteien in der mündlichen Verhandlung.
Dass der Erstbeschwerdeführer nicht über die Fachausbildung als Sicherheitsfachkraft gemäß § 74 ASchG verfügt, folgt daraus, dass dieser – trotz Aufforderung des Verwaltungsgerichtes vor und in der mündlichen Verhandlung – keine Ausbildungsnachweise vorlegen konnte und seine rechtsfreundliche Vertreterin diesen Umstand auch in der mündlichen Verhandlung einräumte.
Dass die AUVA seitens der Zweitbeschwerdeführerin erstmals am 5.9.2018 um sicherheitstechnische und arbeitsmedizinische Betreuung und Beratung ersucht wurde, ergibt sich aus dem von der AUVA vorlegten Schriftverkehr und wurde von der rechtsfreundlichen Vertreterin der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Auch aus den von den Beschwerdeführern selbst vorgelegten Begehungsberichten der AUVA ergibt sich, dass es sich bei der sicherheitstechnischen Begehung vom 7.9.2018 und der arbeitsmedizinischen Begehung vom 4.2.2019 jeweils um die erste Begehung der in Rede stehenden Arbeitsstätte handelte.
3. Zur rechtlichen Beurteilung einschließlich Strafbemessung
Die Beschwerdeführer haben somit das objektive Tatbild der ihnen vorgehaltenen Verwaltungsübertretungen jeweils erfüllt: Im Tatzeitraum waren für die in Rede stehende Arbeitsstätte keine Sicherheitsfachkraft und kein Arbeitsmediziner bestellt.
Gemäß § 78 Abs. 1 Z 2 und Abs. 2 Z 2 ASchG kann die sicherheitstechnische und arbeitsmedizinische Betreuung von Arbeitsstätten mit bis zu 50 ArbeitnehmerInnenn durch Inanspruchnahme eines Präventionszentrum nach § 78a ASchG erfolgen, sofern – was im vorliegenden Fall gegeben ist – nicht insgesamt mehr als 250 ArbeitnehmerInnen beschäftigt werden.
Wie festgestellt wurde, hat die Zweitbeschwerdeführerin jedoch im Tatzeitraum (31.10.2016-29.8.2018) kein Präventionszentrum iSd § 78a ASchG in Anspruch genommen: Die erste Anfrage an die AUVA erfolgte am 5.9.2018, somit nach dem im vorliegenden Verfahren maßgeblichen Tatzeitraum. Auch die von den Beschwerdeführern ins Treffen geführten sicherheitstechnischen und arbeitsmedizinischen Begehungen der AUVA am 7.9.2018 und am 4.2.2019 erfolgten nach dem maßgeblichen Tatzeitraum.
Gemäß § 77a Abs. 2 Z 1 ASchG haben in Arbeitsstätten mit 1 bis 10 ArbeitnehmerInnen sicherheitstechnische und arbeitsmedizinische Begehungen jeweils mindestens einmal in zwei Kalenderjahren zu erfolgen. Es konnte im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht festgestellt werden, dass entsprechende Begehungen durch die AUVA oder durch Sicherheitsfachkräfte oder Arbeitsmediziner in den Jahren 2016 und 2017 erfolgt seien. Die erste sicherheitstechnische und die erste arbeitsmedizinische Begehung erfolgten vielmehr nach dem gegenständlichen Tatzeitraum.
Somit wurde im Tatzeitraum 31.10.2016-29.8.2018 weder ein Präventionszentrum in Anspruch genommen noch innerhalb der Intervalle gemäß § 77a Abs. 2 Z 1 ASchG eine Begehung durchgeführt. Selbst wenn man bei den Begehungsintervallen gemäß § 77a Abs. 2 Z 1 ASchG auf den Zeitraum von zwei Jahren ab Eröffnung der Arbeitsstätte abstellte (wenngleich der Gesetzeswortlaut klar von Kalenderjahren spricht), wären im vorliegenden Fall die Intervalle nicht eingehalten worden.
Bei den den Beschwerdeführern angelasteten Verwaltungsübertretungen handelt es sich um Ungehorsamsdelikte im Sinne des § 5 Abs. 1 VStG; zur Strafbarkeit reicht fahrlässiges Verhalten. Aufgrund der Tatumstände ist nicht anzunehmen, dass die Einhaltung der übertretenen Vorschriften eine besondere Aufmerksamkeit erfordert hätte oder dass die Verwirklichung des Tatbestandes aus besonderen Gründen nur schwer hätte vermieden werden können.
Vielmehr war es der Zweitbeschwerdeführerin zumutbar, im Tatzeitraum eine Sicherheitsfachkraft und einen Arbeitsmediziner zu bestellen bzw. ein Präventionszentrum iSd § 78a ASchG in Anspruch zu nehmen. So wurde die Zweitbeschwerdeführerin bereits mit Schreiben des Arbeitsinspektorats vom 8.11.2016 auf diese Verpflichtungen hingewiesen und mit Schreiben des Arbeitsinspektorats vom 7.3.2017 nochmals daran erinnert. Im Schreiben vom 8.11.2016 wurde seitens des Arbeitsinspektorats explizit auch auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines Präventionszentrums gemäß § 78a ASchG hingewiesen. Vor dem Hintergrund der Aufforderungen des Arbeitsinspektorats, den rechtmäßigen Zustand herzustellen, ist von vorsätzlicher Tatbegehung auszugehen (siehe VwGH 25.1.2005, 2004/02/0312).
Dass im September 2018 und im Jänner 2019 jeweils eine sicherheitstechnische und eine arbeitsmedizinische Begehung durch die AUVA in der in Rede stehenden Betriebsstätte stattfand, vermag das Verschulden an der Unterlassung der Bestellung einer Sicherheitsfachkraft und eines Arbeitsmediziners (bzw. der Inanspruchnahme eines Präventionszenrums) im Tatzeitraum 31.10.2016-29.8.2018 nicht zu verringern.
Ein von den Beschwerdeführern vorgebrachter, entschuldigender Rechtsirrtum ist schon in Anbetracht der in der Aufforderung des Arbeitsinspektorats vom 8.11.2016 enthaltenen Angaben zu verneinen. Auch abgesehen davon ist ein Arbeitgeber bei gehöriger Sorgfalt verpflichtet, sich über seine gesetzlichen Verpflichtungen betreffend die sicherheitstechnische und arbeitsmedizinische Betreuung seiner Arbeitsstätten zu informieren.
Die Erstbeschwerdeführer haftet als handelsrechtlicher Geschäftsführer der Zweitbeschwerdeführerin für diese Übertretungen gemäß § 9 Abs. 1 VStG. Die Zweitbeschwerdeführerin haftet für die verhängte Geldstrafe und sonstige in Geld bemessene Unrechtsfolgen gemäß § 9 Abs. 7 VStG.
Die Spruchkorrekturen betreffen die Präzisierung des Tatzeitraumes, die Präzisierung der übertretenen Verwaltungsvorschriften (ohne Veränderung des Tatvorwurfes) und des angewendeten Strafsatzes sowie die Angabe der im vorliegenden Fall anwendbaren Fassungen der maßgeblichen Rechtsvorschriften (vgl. VwGH 27.6.2007, 2005/03/0231).
Zur Strafbemessung:
Im angefochtenen Straferkenntnis wurde für die in Rede stehenden Verwaltungsübertretungen jeweils eine Geldstrafe von € 420,-- bzw. eine Ersatzfreiheitsstrafe von 10 Stunden verhängt. Damit liegen die verhängten Strafen im unteren Bereich des gesetzlichen Strafrahmens (§ 130 Abs. 1 Z 27 ASchG: Geldstrafe iHv € 166,-- bis 8 324,--/§ 16 Abs. 2 VStG: Ersatzfreiheitsstrafe bis zu zwei Wochen).
Die der Bestrafung zu Grunde liegenden Verwaltungsübertretungen schädigten in nicht unerheblichem Maße das öffentliche Interesse an der Gewährleistung des Schutzes der Sicherheit und Gesundheit von Arbeitnehmern.
Das Ausmaß des Verschuldens ist im vorliegenden Fall nicht als geringfügig einzuschätzen, wobei in Anbetracht der Aufforderungen zur Herstellung des rechtmäßigen Zustandes des Arbeitsinspektorats vom 8.11.2016 und vom 7.3.2017 von Vorsatz, auszugehen ist.
Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Erstbeschwerdeführers sind als durchschnittlich zu bewerten.
Der Milderungsgrund der Unbescholtenheit kommt dem Erstbeschwerdeführer nicht zugute, scheinen doch in Bezug auf seine Person vier ungetilgte verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen auf. Erschwerungsgründe sind im Verfahren keine hervorgekommen.
Die Voraussetzungen für eine Ermahnung gemäß § 45 Abs. 1 zweiter Satz VStG liegen mangels Geringfügigkeit der Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und der Intensität der Beeinträchtigung durch die Tat sowie mangels Geringfügigkeit des Verschuldens nicht vor.
Die verhängte Strafe ist im Ergebnis auch vor dem Hintergrund von spezialpräventiven Erwägungen – auch hinsichtlich der Ersatzfreiheitsstrafe – schuld- und tatangemessen.
Schlagworte
Arbeitsstätte; Betreuung; Präventionszentrum; BegehungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.042.093.16409.2019Zuletzt aktualisiert am
17.09.2020