TE Lvwg Erkenntnis 2020/7/1 VGW-042/093/2615/2020, VGW-042/V/2712/2020

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.07.2020
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Entscheidungsdatum

01.07.2020

Index

60/02 Arbeitnehmerschutz
24/01 Strafgesetzbuch
25/01 Strafprozeß
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

ASchG §130 Abs5
BArbSchV §87 Abs2
BArbSchV §87 Abs5
StGB §80
StPO §190 Z1
EMRK 7. ZP Art. 4 Abs1
VStG §45 Abs1 Z2

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seine Richterin Dr.in Oswald, LL.M. über die Beschwerde 1) der A. GmbH und 2) des Herrn B. C. gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom 15.1.2020, Zl. MBA/..., betreffend eine Übertretung des § 118 Abs. 3 des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (ASchG) iVm § 87 Abs. 2 iVm Abs. 5 der Bauarbeiterschutzverordnung (BauV), nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 25.6.2020 zu Recht:

I.       Gemäß § 50 Abs. 1 VwGVG wird der Beschwerde stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG eingestellt.

II.      Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.       Verfahrensgang

1.       Aufgrund einer Anzeige des Arbeitsinspektorates für Bauarbeiten vom 24.10.2019 wurde mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den ... Bezirk, (im Folgenden: belangte Behörde) vom 15.1.2020, Zl. MBA/..., den Beschwerdeführern zugestellt am 20.1.2020 und am 21.1.2020, über Herrn B. C. wegen der Übertretung des § 118 Abs. 3 des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (ASchG) iVm § 87 Abs. 2 iVm. Abs. 5 der Bauarbeiterschutzverordnung (BauV) eine Gelstrafe in Höhe von € 1.320,-- und für den Fall ihrer Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe im Ausmaß von 1 Tag und 8 Stunden verhängt.

Dem Beschuldigten wird vorgeworfen, es als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit als zur Vertretung nach außen Berufener der A. GmbH (im Folgenden: Erstbeschwerdeführerin) zu verantworten zu haben, dass diese Gesellschaft als Arbeitgeberin den Arbeitnehmer Herrn D. E. am 14.2.2019 auf der Baustelle in Wien, F.-gasse, im Zuge seiner beruflichen Tätigkeit auf dem Dach mit einer Dachneigung von ca. 1° am Dachsaum beschäftigt habe, obwohl Absturzgefahr über eine Höhe von ca. 40,00m auf das Terrain bestanden habe und weder Absturzsicherungen, Abgrenzungen oder Schutzeinrichtungen vorhanden gewesen seien noch der Arbeitnehmer mittels persönlicher Schutzausrüstung angeseilt gewesen sei.

Ferner wurde ausgesprochen, dass die Erstbeschwerdeführerin gemäß § 9 Abs. 7 VStG für die über den zur Vertretung nach außen Berufenen (im Folgenden: Zweitbeschwerdeführer) verhängte Geldstrafe und die Verfahrenskosten zur ungeteilten Hand haftet.

2.       Mit Schriftsatz ihres rechtsfreundlichen Vertreters vom 13.2.2020, bei der belangten Behörde eingelangt am 17.2.2020, erhoben die Beschwerdeführer gegen dieses Straferkenntnis Beschwerde. Darin bringen Sie im Wesentlichen vor, dass der betroffene Arbeiter weisungswidrig ohne Schutzausrüstung gearbeitet habe und die Sorgfaltswidrigkeit des Arbeiters der Erstbeschwerdeführerin nicht zuzurechnen sie, zumal dafür gesorgt worden sei, dass alle Arbeiter ausführlich über sämtliche Gefahrenquellen und diesbezügliche Schutz- und Verhinderungsmaßnahmen unterwiesen worden seien.

3.       Die belangte Behörde sah von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung ab und legte die Beschwerde samt bezughabendem Verwaltungsakt dem Verwaltungsgericht Wien am 26.2.2020 zur Entscheidung vor.

4.       Die Staatsanwaltschaft Wien teilte auf Anfrage des Verwaltungsgerichtes Wien mit, dass gegen den Zweitbeschwerdeführer als Beschuldigten in Bezug auf den hier in Rede stehenden Sachverhalt zur Zl. ... ein Ermittlungsverfahren anhängig war und gemäß § 190 Z 1 StPO eingestellt wurde. Die Staatsanwaltschaft Wien legte am 29.6.2020 den beuzghabenden Akt zur Einsichtnahme vor.

5.       Das Verwaltungsgericht Wien führte am 25.6.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Zweitbeschwerdeführer, der rechtsfreundliche Vertreter der Beschwerdeführer sowie ein Vertreter des Arbeitsinspektorates für Bauarbeiten teilnahmen. Alle Verfahrensparteien verzichteten auf die Fortsetzung der mündlichen Verhandlung und auf die Verlesung des Aktes der Staatsanwaltschaft Wien zur Zl. ....

II.      Feststellungen

1.       Der Zweitbeschwerdeführer ist seit 20.12.2001 handelsrechtlicher Geschäftsführer der A. GmbH mit Sitz in Wien, G.-gasse.

2.       Arbeiter der Erstbeschwerdeführerin, u.a. Herr D. E., führten am 14.2.2019 in Wien, F.-gasse, Arbeiten am Dachsaum des Daches mit einer Dachneigung von ca. 1° eines bewohnten Gebäudes durch.

Während der Durchführung der Arbeiten durch Herrn D. E. auf dem genannten Dach waren keine Absturzsicherungen, Abgrenzungen oder Schutzeinrichtungen vorhanden. Herr D. E. war nicht mittels persönlicher Schutzausrüstung angeseilt. Herr D. E. stürzte bei den Arbeiten vom Dach und kam dabei zu Tode.

3.       Gegen den Zweitbeschwerdeführer wurde von der Staatsanwaltschaft Wien ein Ermittlungsverfahren wegen § 80 StGB (fahrlässige Tötung) zur Zl. ... eingeleitet. Im Rahmen dieses Verfahrens wurde der Zweitbeschwerdeführer am 27.3.2019 als Beschuldigter einvernommen. Das Verfahren wurde am 12.4.2019 gemäß § 190 Z 1 StPO mit der Begründung eingestellt, dass der Tatbestand der fahrlässigen Tötung gemäß § 80 StGB mangels Sorgfaltsverletzung nicht erfüllt ist.

Gegenstand des von der Staatsanwaltschaft Wien geführten Verfahrens war der Arbeitsunfall vom 14.2.2019, bei dem Herr D. E. bei einem Absturz vom Gerüst auf der Baustelle in Wien, F.-gasse zu Tode kam. Bei der Einvernahme des Zweitbeschwerdeführers als Beschuldigten sowie bei der Einvernahme von Zeugen wurde angesprochen, dass es aufgrund mangelnder Schutzausrüstung des Opfers zu dem Unfall kam. In seiner Einvernahme als der Beschuldigter vom 27.3.2019 gab der Beschwerdeführer u.a. an, dass es bezüglich der Verwendung von Sicherheitsausrüstungen Dienstanweisungen gegeben habe und der verunglückte Arbeiter ein erfahrener Arbeiter sei, der eigenmächtig von der Verwendung einer Schutzausrüstung abgesehen habe.

Es erfolgte keine Anordnung der Fortführung des zur Zl. ... geführten Verfahrens nach §193 Abs. 2 Z 2 oder §§ 195 f StPO.

III.    Beweiswürdigung

Die Feststellungen gründen sich auf den gesamten Akteninhalt (Behörden- und Gerichtsakt), an dessen Vollständigkeit und Richtigkeit kein Zweifel entstanden ist, sowie auf eine Einsichtnahme in den von der Staatsanwaltschaft Wien vorgelegten Akt zur Zl.  ....

Im Einzelnen:

1.       Die Feststellung der Funktion des Zweitbeschwerdeführers als Geschäftsführer der Erstbeschwerdeführerin folgt aus einem einholten Firmenbuchauszug.

2.       Die Feststellungen betreffend die durchgeführten Arbeiten am Dach und den tödlichen Absturz des Arbeiters folgen aus dem nicht in Abrede gestellten Akteninhalt. Dass während der in Rede stehenden Arbeiten keine Absturzsicherungen, Abgrenzungen oder Schutzeinrichtungen vorhanden waren und der Arbeiter Herr D. E. nicht durch eine persönliche Schutzausrüstung gesichert war, folgt ebenfalls aus dem Akteninhalt, dessen Richtigkeit von den Beschwerdeführern nicht in Abrede gestellt wurden.

3.       Die Feststellungen zum von der Staatsanwaltschaft Wien geführten Verfahren gegen den Zweitbeschwerdeführer als Beschuldigten ergeben sich aus dem von der Staatsanwaltschaft Wien vorgelegten Akt zur Zl. ..., auf dessen Verlesung die Verfahrensparteien in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich verzichteten, und an dessen Richtigkeit und Vollständigkeit kein Zweifel entstanden ist.

IV.      Rechtliche Beurteilung

1.       Das verwaltungsgerichtliche Ermittlungsverfahren hat ergeben, dass gegen den Zweitbeschwerdeführer aufgrund des gegenständlichen tödlichen Arbeitsunfalles ein Verfahren bei der Staatsanwaltschaft Wien wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung (§ 80 StGB) eingeleitet und gemäß § 190 Z 1 StPO eingestellt wurde.

2.       In diesem Zusammenhang ist Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK zu beachten, wonach niemand wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden darf (vgl. dazu VwGH 15.4.2016, Ra 2015/02/0226 mwH).

Eine neuerliche Strafverfolgung verstößt dann gegen das Doppelbestrafungs- und –verfolgungsverbot des Art. 4 Abs. 1 7. ZPEMRK, wenn sie sich auf denselben oder zumindest im Wesentlichen denselben Sachverhalt bezieht (siehe VwGH 13.9.2016, Ra 2016/03/0083; 28.5.2019, Ra 2018/05/0266; jeweils mwH; siehe weiters VwGH 13.12.2019, Ra 2019/02/0020 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EGMR, des VfGH und des OGH zum Bezugspunkt für die Beurteilung der Frage, ob dieselbe strafbare Handlung vorliegt).

Gemäß § 22 Abs. 1 VStG ist, soweit die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen, eine Tat als Verwaltungsübertretung nur dann strafbar, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet. Diese Bestimmung stellt ausschließlich auf die „Tat“ ab. Dass die Verwaltungsstrafnorm gegebenenfalls eine andere Schutzrichtung aufweist als die gerichtliche Strafnorm, ändert an der Subsidiarität nichts. § 22 Abs. 1 VStG stellt nur darauf ab, dass die Tat auch den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte strafbaren Handlung bildet; auf die tatsächliche Einleitung oder gar den Abschluss eines Strafverfahrens oder auf die Frage, ob der Beschuldigte die Tat verschuldet hat oder ein Entschuldigungsgrund in Betracht zu ziehen ist, ist für die Subsidiaritätsbestimmung des § 22 Abs. 1 VStG nicht relevant (VwGH 22.11.2016, Ra 2016/03/0095; 26.4.2019, Ra 2018/02/0344; 13.12.2019, Ra 2019/02/0020 mwH).

Im Hinblick darauf, dass wegen dem gegenständlichen Arbeitsunfall ein Verfahren gegen den Zweitbeschwerdeführer als Beschuldigten von der Staatsanwaltschaft Wien ein Ermittlungsverfahren geführt wurde, ist zu klären, ob die Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft gemäß § 190 Z 1 StPO Sperrwirkung für eine Bestrafung des Beschuldigten wegen der in Rede stehenden Verwaltungsübertretung entfaltet, sodass eine Bestrafung wegen der Verletzung der hier in Rede stehenden Arbeitnehmerschutzvorschriften von vornerherein nicht mehr zulässig ist und es auf Überlegungen im Zusammenhang mit dem Subsidiaritätsprinzip des § 22 Abs. 1 VStG nicht mehr ankommt

2.1.    In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob die durch die Staatsanwaltschaft verfolgte Tathandlung (§ 80 StGB) einerseits und die verwaltungsstrafrechtliche Übertretungshandlung (§ 130 Abs. 5 ASchG iVm § 87 Abs. 2 und 5 BauV) andererseits dieselbe strafbare Handlung betreffen (VwGH 29.5.2015, 2012/02/0238).

In seinem Erkenntnis vom 29.5.2015, 2012/02/0238, führte der Verwaltungsgerichtshof in einem Fall, in dem die Außerachtlassung der Vorschriften über die Absturzgefahr nach § 7 BauV, für die der Arbeitgeber verwaltungsstrafrechtlich zur Verantwortung gezogen wurde, zu einem Arbeitsunfall mit Körperverletzung geführt hatte, weshalb gegen den Arbeitgeber auch ein Verfahren wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung von der Staatsanwaltschaft eingeleitet aber schlussendlich eingestellt wurde, aus, dass keine verschiedenen Straftatbestände vorliegen, die sich in wesentlichen Elementen unterscheiden. Unabhängig von der rechtlichen Qualifikation der Fakten, die Gegenstand des (später eingestellten) gerichtlichen Strafverfahrens sowie des parallel eingeleiteten Verwaltungsstrafverfahrens gewesen seien, stehe im Zentrum beider angewendeter Strafbestimmungen (§ 130 ASchG und § 88 StGB) derselbe Vorwurf, nämlich die (fahrlässige) Außerachtlassung der normierten arbeitnehmerschutzrechtlichen Bestimmungen. Damit umfasse die strafrechtliche Anklage wegen fahrlässiger Körperverletzung die Fakten der Verwaltungsstraftat in ihrer Gesamtheit, und gehe sogar noch um ein weiteres Element (den Erfolgseintritt der Körperverletzung) über die Verwaltungsstraftat hinaus. Auch davon, dass der Unrechtsgehalt, der im Straftatbestand des § 88 StGB zum Ausdruck komme, von jenem des § 130 ASchG in einem wesentlichen Element abweiche und damit wesentlich verschieden sei, könne nicht die Rede sein (VwGH 29.5.2015, 2012/02/0238 mit Hinweisen auf einschlägige Rechtsprechung des VfGH und des EGMR).

Diese Erwägungen lassen sich auf die Beurteilung der hier in Rede stehenden Straftaten übertragen. Auch im Zentrum beider im vorliegenden Fall angewendeter Strafbestimmungen (§ 130 Abs. 5 ASchG iVm § 87 Abs. 2 und 5 iVm §§ 7 ff BauV und § 80 StGB) steht derselbe Vorwurf, nämlich die (fahrlässige) Außerachtlassung der normierten arbeitnehmerschutzrechtlichen Bestimmungen.

Es liegt also dieselbe strafbare Handlung (idem) vor.

2.2.    Folglich ist zu prüfen, ob die wegen dieser strafbaren Handlung erfolgte Einstellung des von der Staatsanwaltschaft gegen den Zweitbeschwerdeführer geführten Verfahrens gemäß § 190 Z1 StPO Sperrwirkung entfaltet, sodass eine Bestrafung wegen der Übertretung des § 130 Abs. 5 ASchG iVm § 87 Abs. 2 und 5 iVm §§ 7 ff BauV von nicht mehr zulässig ist.

Art. 4 Abs. 1 7. ZPEMRK verbietet die Wiederholung eines Strafverfahrens, welches mit einer endgültigen Entscheidung beendet worden ist. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt eine Einstellung nach §§ 190 ff StPO eine vom Staatsanwalt in Ausübung seines Anklagemonopols nach Art. 90 Abs. 2 B-VG getroffene Entscheidung dar, die zwar nicht als Gerichtsentscheidung zu qualifizieren ist, aber eine das Strafverfahren, welches mit dem Ermittlungsverfahren als integralen Bestandteil des Strafverfahrens beginnt, beendende Entscheidung darstellt (VwGH 13.9.2016, Ra 2016/03/0083 mit Hinweis auf VwGH 29.5.2015, 2012/02/0238).

Die Frage der Bindungswirkung einer solchen Einstellung ist an Hand des Prüfungsumfangs der wesentlichen Elemente des tatbestandserheblichen Sachverhalts im Einzelfall zu beurteilen. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob die Einstellung (formell und materiell) rechtskräftig im Sinne von unwiderruflich wurde, somit für die Staatsanwaltschaft keine formlose Fortsetzungsmöglichkeit mehr besteht und daher ein Anklageverbrauch stattgefunden hat. In einem zweiten Schritt ist mit Blick auf den Umfang einer Sperrwirkung zu prüfen, auf welcher inhaltlichen Basis und auf Grund welcher Prüfungstiefe die Einstellungsentscheidung ergangen ist. Eine Bindungswirkung ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur hinsichtlich jener Fakten anzunehmen, die im Strafverfahren herangezogen und geprüft wurden (VwGH 13.9.2016, Ra 2016/03/0083 mwH; 15.4.2016, Ra 2015/02/0226). Der bloße Hinweis auf eine nicht näher begründete Einstellung vermag daher nicht ohne weiteres eine dem Art. 4 des 7. ZPEMRK entgegenstehende Sperrwirkung zu entfalten, vielmehr kommt es darauf an, aus welchen Gründen die Einstellung erfolgte und auf welcher im Verfahren herangezogenen und geprüften Faktenlage sie basierte (VwGH 13.9.2016, Ra 2016/03/0083 mwH).

2.2.1.  Im vorliegenden Fall kommt eine formlose Fortführung des gemäß § 190 Z 1 StPO eingestellten Ermittlungsverfahrens infolge der Vernehmung des Zweitbeschwerdeführers als Beschuldigten nicht mehr in Betracht (§ 193 Abs. 2 Z 1 StPO). Es ist auch keine Anordnung der Fortführung des Verfahrens nach §193 Abs. 2 Z 2 oder §§ 195 f StPO erfolgt.

2.2.2.  Aus dem von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Akt ergibt sich, dass im Rahmen des von der Staatsanwaltschaft Wien geführten Ermittlungsverfahrens dasselbe Faktensubstrat geprüft wurde, das Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist. So hat sich die Staatsanwaltschaft mit den Sorgfaltspflichten des Zweitbeschwerdeführers auseinandergesetzt und ihre Verletzung auf der Grundlage seiner Einvernahme als Beschuldigter und der Einvernahme von Zeugen verneint, wobei Gegenstand der Ermittlungen der – auch dem vorliegenden Verwaltungsstrafverfahren zugrunde liegende – Arbeitsunfall im Form eines Absturzes vom Dach, ohne dass der Arbeiter ausreichend durch eine Schutzausrüstung gesichert gewesen wäre, war.

Anders als etwa in den den Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes vom 10.1.2017, Ra 2016/02/0230 und vom 7.4.2017, Ra 2016/02/0236, zugrundeliegenden Sachverhalten erfolgte die Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft im vorliegenden Fall auch nicht nur aus dem Grund, dass ein besonderes Merkmal des objektiven Tatbestandes der gerichtlich strafbaren Handlung, das das objektive Tatbild der Verwaltungsstraftat nicht auch aufweist, nicht gegeben ist.

Vielmehr verneinte die Staatsanwaltschaft im gegen den Zweitbeschwerdeführer geführten Verfahren schlechthin das Vorliegen einer Sorgfaltsverletzung seitens des Beschwerdeführers.

2.3.    In der Einstellung des gegen den Zweitbeschwerdeführer eingeleiteten Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft Wien ist daher eine endgültige Entscheidung zu sehen, die nach Art. 4 7. ZPEMRK Sperrwirkung für das vorliegende Verfahren entwickelt.

3.       Da eine weitere Verfolgung des Zweitbeschwerdeführers daher unzulässig ist, war das angefochtene Straferkenntnis gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG einzustellen.

4.       Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen, oben unter Pkt. IV.2. zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur hier entscheidungswesentlichen Frage der Sperrwirkung einer Einstellung gemäß § 190 StPO für ein Verwaltungsstrafverfahren, ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende, oben unter Pkt. IV.2. zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Arbeitsunfall; gerichtlich strafbare Handlung; Einstellung des Strafverfahrens; Sperrwirkung; Doppelbestrafungsverbot

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.042.093.2615.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.09.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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