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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AufG 1992 §2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens,
Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde der 1965 geborenen AR in Wien, vertreten durch
Dr. Marcella Zauner-Grois und Dr. Christof Dunst, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Rathausstraße 19, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. Dezember 1995, Zl. 304.367/2-III/11/95, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, die über Wiedereinreisesichtvermerke für den Zeitraum vom 3. März 1992 bis zum 30. September 1992 sowie vom 24. August 1993 bis zum 30. Dezember 1993 verfügte, beantragte am 3. Juli 1995 die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Aus den Antragsbeilagen geht hervor, daß die Beschwerdeführerin am 11. August 1994 mit einem österreichischen Staatsbürger die Ehe geschlossen hat.
Der Landeshauptmann von Wien wies mit Bescheid vom 9. Oktober 1995 diesen Antrag mangels Antragstellung vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus gemäß § 6 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) unter Berücksichtigung der Verordnung der Bundesregierung über die Anzahl der Bewilligungen nach dem AufG für 1995, BGBl. Nr. 408/1995, ab.
In ihrer dagegen erhobenen Berufung machte die Beschwerdeführerin geltend, bosnische Staatsbürgerin und zumindest "de facto"-Flüchtling zu sein. Sie sei zur sichtvermerksfreien Einreise nach Österreich aufgrund der bilateralen "Bestimmungen" zwischen der Republik Österreich und der Republik Bosnien und Herzegowina berechtigt. Sie sei darüberhinaus Angehörige eines österreichischen Staatsbürgers, die Ehe bestehe über ein Jahr, weshalb ein durchsetzbarer Rechtsanspruch gemäß § 3 Abs. 1 Z. 1 AufG vorliege. Die Bestimmung des § 6 Abs. 2 AufG sei nicht geeignet, den Rechtsanspruch im Sinne des § 3 AufG zu "eliminieren". Ein illegaler Aufenthalt habe nicht nachgewiesen werden können. Bosnische Staatsbürger seien für den Fall, daß sie im Bundesgebiet lebten, zur Inlandsantragstellung berechtigt. Es liege kein Sichtvermerksversagungsgrund und auch kein Versagungsgrund im Sinne des § 5 Abs. 1 AufG vor, sodaß die Bewilligung hätte erteilt werden müssen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 13. Dezember 1995 wurde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 6 Abs. 2 AufG sowie § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes (FrG) abgewiesen. Als Begründung wurde ausgeführt, daß die Beschwerdeführerin den Antrag offensichtlich nicht vor der Einreise, mit der ihr derzeitiger Aufenthalt begonnen habe, gestellt habe. Der Antrag sei im Inland eingebracht worden, die Beschwerdeführerin sei vor, während und nach der Antragstellung in Österreich polizeilich gemeldet bzw. aufhältig gewesen, was auch durch den vorgelegten Meldezettel belegt werde. Überdies greife in ihrem Fall im Wege des § 5 Abs. 1 AufG auch § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG Platz. Die Beschwerdeführerin halte sich nach wie vor entgegen den Bestimmungen des Fremdenrechtes sichtvermerksfrei und damit illegal in Österreich auf (der letzte Sichtvermerk sei laut Aktenlage am 30. Dezember 1993 abgelaufen). Dadurch zeige die Beschwerdeführerin, daß sie nicht gewillt sei, die österreichische Rechtsordnung, insbesondere in einem Bereich, der für den geordneten Ablauf eines geregelten Fremdenwesens vorgesehen sei, zu respektieren; es liege ein Sichtvermerksversagungsgrund im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG vor. Unter Berücksichtigung der im speziellen Fall gegebenen Umstände sowie im Hinblick auf Art. 8 EMRK erachte die Behörde daher die öffentlichen Interessen höher als die privaten Interessen auf Familienzusammenführung oder die Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit. Gerade im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen habe die Berufungsbehörde festgestellt, daß unter Abwägung der persönlichen Interessen mit den öffentlichen im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK die öffentlichen Interessen überwögen.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Hinblick auf die Zustellung des vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheides am 29. Dezember 1995 hatte die belangte Behörde das AufG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 351/1995, die Verordnung über die Anzahl der Bewilligungen nach dem Aufenthaltsgesetz für 1996, BGBl. Nr. 854/1995 (Bundesgesetzblatt ausgegeben am 22. Dezember 1995), sowie die Verordnung der Bundesregierung über das Aufenthaltsrecht von kriegsvertriebenen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, BGBl. Nr. 389/1995, anzuwenden.
Die für die Beurteilung des Beschwerdefalles danach maßgebenden Bestimmungen lauten auszugsweise wie folgt:
"§ 3. (1) Ehelichen und außerehelichen minderjährigen Kindern und Ehegatten
1. von österreichischen Staatsbürgern ...
ist nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 Z. 2 und 4 eine Bewilligung zu erteilen, sofern kein Ausschließungsgrund (§ 5 Abs. 1) vorliegt.
§ 5. (1) Eine Bewilligung darf Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, ...."
§ 6.
...
(2) Der Antrag auf Erteilung einer Bewilligung ist vor der
Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen. ... Eine
Antragstellung im Inland ist ausnahmsweise zulässig: ... für
jene im Bundesgebiet aufhältigen Personen, für die dies in einer Verordnung gemäß § 2 Abs. 3 Z. 4 festgelegt ist. ..."
Die aufgrund der §§ 2 und 6 des AufG ergangene Verordnung BGBl. Nr. 854/1995 bestimmt in ihrem § 4 wie folgt:
"§ 4. Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung kann ausnahmsweise im Inland gestellt werden von:
...
2. Angehörigen von österreichischen Staatsbürgern (§ 3 Abs. 1 Z. 1 Aufenthaltsgesetz), die gemäß § 14 Abs. 3 FrG einreisen oder denen vor der Einreise ein gewöhnlicher Sichtvermerk erteilt wurde,
..."
§ 10 Abs. 1 Z. 4 FrG lautet:
"§ 10. (1) Die Erteilung eines Sichtvermerkes ist zu versagen, wenn
...
4. der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;"
Die aufgrund der §§ 12 und 13 des AufG ergangene Verordnung, BGBl. Nr. 389/1995, bestimmt in ihrem § 2 wie folgt:
"§ 2. Personen, die zum 1. Jänner 1995 gemäß der Verordnung der Bundesregierung, BGBl. Nr. 1038/1994, ein Aufenthaltsrecht hatten, können den Antrag auf Erteilung einer Bewilligung gemäß § 1 Abs. 1 AufG ausnahmsweise im Inland stellen."
Die Verordnung der Bundesregierung, BGBl. Nr. 1038/1994, bestimmte in ihrem § 1:
"§ 1. (1) Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina und deren Ehegatten und minderjährige Kinder, die aufgrund der bewaffneten Konflikte in ihrer Heimat diese verlassen mußten, anderweitig keinen Schutz fanden und vor dem 1. Juli 1993 eingereist sind, haben ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet.
(2) Dieses Aufenthaltsrecht besteht weiters für die nach dem 1. Juli 1993 eingereisten und einreisenden Personen gemäß Abs. 1, sofern die Einreise über eine Grenzkontrollstelle erfolgte, bei der sich der Fremde der Grenzkontrolle stellte und ihm entsprechend internationaler Gepflogenheiten die Einreise gestattet wurde.
(3) Ungeachtet der Staatsangehörigkeit kann ein solches Aufenthaltsrecht auch Personen aus Grenzstädten der ehemaligen Teilrepublik Bosnien-Herzegowina gewährt werden, sofern die übrigen Voraussetzungen nach Abs. 1 gegeben sind.
(4) ..."
Aus der Begründung des angefochtenen Bescheides geht hervor, daß die Versagung der Aufenthaltsbewilligung zum einen darauf gestützt wurde, daß die Beschwerdeführerin Österreich nach Ablauf ihres letzten Sichtvermerkes am 30. Dezember 1993 nicht verlassen und sich daher seitdem, somit auch zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung, unrechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe. Damit erachtete die belangte Behörde die Tatbestandsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG als gegeben. Der Umstand, daß die Beschwerdeführerin Österreich nicht bis zum Ablauf der Gültigkeitsdauer ihres Sichtvermerkes verlassen, sondern die Entscheidung darüber im Inland abgewartet hat, rechtfertigt aber für sich alleine noch nicht die Annahme, der weitere Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet gefährde die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 14. Mai 1996, Zl. 95/19/0907, sowie vom 24. März 1997, Zl. 95/19/1048), zumal auch nach dem Akteninhalt keine Anhaltspunkte für eine subjektiv darauf gerichtete Verhaltensweise der Beschwerdeführerin erkennbar ist.
Der angefochtene Bescheid erweist sich somit hinsichtlich des von der Behörde herangezogenen Abweisungsgrundes des § 5 Abs. 1 AufG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG als rechtswidrig.
Die belangte Behörde hat ihre abweisende Entscheidung aber auch darauf gestützt, daß die Beschwerdeführerin entgegen der Bestimmung des § 6 Abs. 2 erster Satz AufG ihren Antrag vom Inland aus gestellt hat. Die belangte Behörde hat diesbezüglich zutreffend erkannt, daß es sich bei dem im § 6 Abs. 2 erster Satz leg. cit. normierten Erfordernis um eine Voraussetzung, deren Nichterfüllung die Abweisung des Antrages nach sich zieht, handelt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. Juni 1997, Zl. 96/19/1109, 1111, m.w.N.). Im Beschwerdefall konnte die belangte Behörde aufgrund des eigenen Vorbringens der Beschwerdeführerin davon ausgehen, daß sich diese zum Zeitpunkt der Antragstellung wie auch zum Zeitpunkt der Entscheidung durch die belangte Behörde im Inland aufhielt und damit das im § 6 Abs. 2 AufG normierte Erfordernis der Antragstellung aus dem Ausland vor der Einreise in das Bundesgebiet nicht erfüllte. Stünde der Beschwerdeführerin keine Möglichkeit zur ausnahmsweisen Antragstellung im Inland offen, wäre somit der Abweisungsgrund des § 6 Abs. 2 AufG gegeben.
Angehörige von österreichischen Staatsbürgern, denen vor der Einreise ein gewöhnlicher Sichtvermerk erteilt wurde, sind aufgrund des § 4 Z. 2 der Verordnung BGBl. Nr. 854/1995 ausnahmsweise zur Inlandsantragstellung berechtigt. Die belangte Behörde hat in Übereinstimmung mit der Aktenlage festgestellt, daß der letzte Sichtvermerk der Beschwerdeführerin, die Angehörige (Ehegattin) eines österreichischen Staatsbürgers ist, am 30. Dezember 1993 abgelaufen ist und diese seit diesem Zeitpunkt Österreich nicht verlassen hat. Feststellungen dahin, daß der zuletzt erteilte Wiedereinreisesichtvermerk der Beschwerdeführerin nicht vor der (letzten) Einreise erteilt worden wäre, hat die belangte Behörde nicht getroffen. Es kann somit zumindest nicht ausgeschlossen werden, daß dieser oder der davor erteilte Sichtvermerk der Beschwerdeführerin vor ihrer letzten Einreise ins Bundesgebiet erteilt wurde. Diesfalls hätte sie aber die obgenannten Voraussetzungen des § 4 Z. 2 der Verordnung BGBl. Nr. 854/1995 erfüllt und wäre zur Inlandsantragstellung berechtigt gewesen.
Ergänzend wird darauf hingewiesen, daß der Bestimmung des § 4 Z. 2 der zitierten Verordnung nicht zu entnehmen ist, daß die Ehe bereits im Zeitpunkt der Ausstellung des gewöhnlichen Sichtvermerkes oder der (letzten) Einreise bestanden haben müsse (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 24. Jänner 1997, Zl. 96/19/1010, und vom 17. Oktober 1997, Zl. 96/19/2222).
In der Berufung wies die Beschwerdeführerin darauf hin, bosnische Staatsangehörige und "de facto"-Flüchtling zu sein; auch aus diesem Grund stehe ihr das Recht auf Inlandsantragstellung zu. Die belangte Behörde hat sich mit diesem Vorbringen, auf das sich der Großteil der Beschwerde bezieht, überhaupt nicht auseinandergesetzt. Es wäre Sache der belangten Behörde gewesen, durch geeignete Erhebungen, wobei auch eine Befragung der Beschwerdeführerin nicht von vornherein ausscheidet, zu klären, wann genau die Beschwerdeführerin ins Bundesgebiet eingereist ist und ob sie aufgrund der bewaffneten Konflikte in ihrer Heimat diese verlassen mußte. Es ist zumindest nicht auszuschließen, daß der Beschwerdeführerin am 1. Jänner 1995 gemäß der Verordnung der Bundesregierung, BGBl. Nr. 1038/1994, ein Aufenthaltsrecht zukam. Diesfalls wäre gemäß § 2 der Verordnung BGBl. Nr. 389/1995 eine (weitere) Möglichkeit zur ausnahmsweisen Antragstellung vom Inland aus vorgelegen.
Dadurch, daß die belangte Behörde entsprechende Ermittlungen unterlassen hat, hat sie den angefochtenen Bescheid, soweit sich dieser darauf stützt, daß die Beschwerdeführerin den Antrag vom Inland aus gestellt hat und daher eine Bewilligung nicht erteilt werden könne, mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Da die in Ansehung des ebenfalls herangezogenen Abweisungsgrundes des § 5 Abs. 1 AufG iVm § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG vorliegende Rechtswidrigkeit des Inhaltes des Bescheides als Aufhebungsgrund aber der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeht, war der angefochtene Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
Schlagworte
Auslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996190570.X00Im RIS seit
11.07.2001