TE Vfgh Erkenntnis 1996/2/26 B370/95

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Veröffentlicht am 26.02.1996
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Index

32 Steuerrecht
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
StGG Art5
KStG 1966 §8 Abs1
EStG 1972 §18 Abs1 Z4
BAO §188

Leitsatz

Verletzung im Gleichheits- und im Eigentumsrecht durch verfassungswidrige Gesetzesauslegung und -anwendung bei Verweigerung der Berücksichtigung von Verlusten bei der Festsetzung von Körperschaftsteuer aufgrund nicht ordnungsmäßiger Buchführung; keine auf das ganze Rechenwerk ausstrahlenden Mängel

Spruch

I. Die beschwerdeführende Gesellschaft wurde durch den angefochtenen Bescheid, soweit er die Berufung als unbegründet abweist und die Bemessungsgrundlage und die Körperschaftsteuer für das Jahr 1983 festsetzt, in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt. Insoweit wird der angefochtene Bescheid aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Nach einer Betriebsprüfung für die Jahre 1980 bis 1984 wurde mit Bescheid des Finanzamtes für Körperschaften in Wien - nach Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Umsatz-, Körperschaft- und Gewerbesteuer - unter anderem über die Körperschaftsteuer für das Jahr 1983 (neuerlich) abgesprochen. Diese wurde mit dem Betrag von S 828.850,-- festgesetzt. Die Berücksichtigung von in den Jahren 1980 bis 1982 erlittenen Verlusten wurde verweigert.

2. Aufgrund der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung setzte das Finanzamt in seiner Berufungsvorentscheidung die Körperschaftsteuer für das Jahr 1983 mit S 773.465,-- fest, anerkannte jedoch nach wie vor die begehrten Verlustvorträge nicht.

3. Die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland gab der Berufung teilweise Folge: Vom Gesamtbetrag der Einkünfte des Jahres 1983 wurde der Verlust des Jahres 1980 in Höhe von S 214.617,-- sowie jener des Jahres 1981 in Höhe von

S 447.548,-- als Sonderausgabe in Abzug gebracht, nicht jedoch der Verlust des Jahres 1982 in Höhe von S 264.229,--.

Im Zusammenhang mit der Frage der Vortragsfähigkeit des Verlustes aus 1982 führte die beschwerdeführende Gesellschaft in ihrem Vorlageantrag aus, daß es im Jahre 1982 zu einer Umsatzverkürzung von S 33.000,-- gekommen sei, die auf ein Fehlverhalten nach einer verspäteten Abrechnung zurückzuführen sei. Hiebei sei zu bedenken, daß es sich um einen einzigen Geschäftsfall handle, der für einen Zeitraum von fünf Jahren bei einem Umsatz von ca. S 60 Mio festgestellt worden sei. Dieser Einzelfall sei durch eine Gewinnzurechnung von S 100.000,-- berücksichtigt worden. Es sei daher auch der Verlust des Jahres 1982 als vortragsfähig anzuerkennen, zumal die Ergebnisauswirkung der im Jahre 1982 festgestellten Umsatzverkürzung klar feststellbar sei.

Diese Auffassung teilte die belangte Behörde nicht und begründete die Verweigerung der Vortragsfähigkeit des Verlustes des Jahre 1982 damit, daß nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Voraussetzung für die Anerkennung eines Verlustvortrages gemäß §18 Abs1 Z4 des hier noch maßgeblichen EStG 1972 zwar nicht eine formell ordnungsgemäße Buchhaltung sei, ein Verlustvortrag aber nur dann zulässig sei, wenn der Verlust - allenfalls nach Korrektur der Buchhaltung durch den Steuerpflichtigen oder aufgrund einer Betriebsprüfung - seiner Höhe nach errechnet werden könne und das Ergebnis auch überprüfbar sei. Das sei in concreto nicht der Fall: Die

"Umsatzverkürzung im Jahr 1982 in Höhe von S 33.000,-- (wird) nicht bestritten. Die Betriebsprüfung konnte daher zu Recht davon ausgehen, daß nicht nur die nachgewiesen nicht verbuchten Vorgänge, sondern auch weitere Vorgänge nicht aufgezeichnet wurden, sodaß eine Zuschätzung notwendig war, um das Betriebsergebnis zu ermitteln. Bei diesem im wesentlichen somit unbestrittenen Sachverhalt kann aber keine Rede davon sein, daß der Verlust der Höhe nach errechnet werden konnte und das Ergebnis überprüfbar war ..."

3. Gegen den so begründeten Berufungsbescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher die beschwerdeführende Gesellschaft behauptet, in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unversehrtheit des Eigentums und Gleichheit vor dem Gesetz verletzt worden zu sein, und in welcher die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides, soweit er die Körperschaftsteuer 1983 betrifft, begehrt wird.

4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie den angefochtenen Bescheid verteidigt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Die beschwerdeführende Gesellschaft ist gemäß §1 KStG 1966 körperschaftsteuerpflichtig. Was als Einkommen gilt und wie das Einkommen zu ermitteln ist, bestimmt sich gemäß §8 Abs1 KStG 1966 nach den Vorschriften des EStG und des KStG.

Nach §18 Abs1 EStG 1972 in der hier maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl. 531/1984 sind als Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte unter anderem abzuziehen:

"4. bei Steuerpflichtigen, die den Gewinn nach §4 Abs1 oder nach §5 auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung ermitteln, die in den fünf vorangegangenen Wirtschaftsjahren entstandenen Verluste aus Land- und Forstwirtschaft, aus selbständiger Arbeit und aus Gewerbebetrieb, soweit sie nicht bei der Veranlagung für die vorangegangenen Kalenderjahre ausgeglichen oder abgezogen worden sind. Die Höhe des Verlustes ist nach den Vorschriften der §§4 bis 14 zu ermitteln, ...".

2. Im Erkenntnis VfSlg. 11260/1987 hat der Verfassungsgerichtshof dargelegt, daß die auf §5 EStG 1972 verweisende Formulierung des §18 Abs1 Z4 EStG 1972 - entgegen einer damals verbreiteten Praxis der Finanzverwaltung - nicht bedeutet, daß eine formell ordnungsmäßige Buchhaltung Voraussetzung für den Verlustvortrag ist. Der Verlustvortrag sei vielmehr immer dann zulässig, wenn der Verlust seiner Höhe nach errechnet werden kann und das Ergebnis auch überprüfbar ist, mag auch eine Korrektur der Buchhaltung durch den Steuerpflichtigen oder aufgrund einer Betriebsprüfung erforderlich sein. Bei diesem Verständnis des Gesetzes sei den Bedenken der Boden entzogen, es könne nicht gerechtfertigt sein,

"jene Steuerpflichtigen vom Verlustvortrag auszuschließen, ... deren Buchführung zwar - wenn auch nicht bloß geringfügige - Mängel aufweist, bei denen aber - allenfalls nach Korrektur der Buchhaltung - die für den Verlustvortrag wesentlichen Daten feststellbar und nachprüfbar sind."

Der Verfassungsgerichtshof hielt an dieser Auffassung in seinem Erkenntnis VfSlg. 13295/1992 fest, begründete dies durch weitere Überlegungen und führte aus, daß das Recht zum Verlustabzug sehr wohl an die Erfüllung einer äußeren Bedingung, nämlich die tatsächliche Führung von Büchern geknüpft ist, die eine periodengerechte Gewinnermittlung gewährleisten. Auch ein seiner Art nach taugliches Rechenwerk kann aber diesem Erfordernis dann nicht genügen, wenn es aufgrund seiner Mangelhaftigkeit eine Berechnung und Überprüfung des Verlustes nicht ermöglicht.

Ist hingegen die Richtigstellung von Fehlbuchungen möglich oder kann die unterlassene Buchung nachgetragen oder der unterlaufene Mangel durch Schätzung behoben werden, so darf einer ihrer Art nach auf periodengerechte Erfassung der Geschäftsvorgänge angelegten Buchführung nicht die Eignung abgesprochen werden, einen vortragsfähigen Verlust auszuweisen.

Die pauschale Verwerfung einer durch Schätzung zu ergänzenden Buchführung würde im Ergebnis eine überschießende, durch das Erfordernis ordnungsmäßiger Buchführung nicht mehr zu rechtfertigende und damit gleichheitswidrige Sanktion für die festgestellten Mängel darstellen. Mängel einer ihrer Art nach tauglichen Buchhaltung können den Verlustvortrag sachlicherweise nur dann hindern, wenn sie nach Art und Umfang auf das ganze Rechenwerk ausstrahlen und auch nach einer Richtigstellung und Ergänzung (einschließlich allfälliger Sicherheitszuschläge) eine periodengerechte Erfassung der maßgeblichen Daten insgesamt nicht möglich erscheinen ließen, heißt es im genannten Erkenntnis weiter.

3. Legt man diesen - im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 13523/1993 bestätigten - Maßstab an den vorliegenden Sachverhalt, so erweist sich die Versagung des Verlustabzuges als unberechtigt:

Fest steht, daß im Zuge einer Betriebsprüfung festgestellt wurde, daß im Jahre 1982 in einem einzigen Fall ein vom Geschäftsführer vereinnahmter Betrag von S 33.000,-- nicht verbucht worden ist. Fest steht auch, daß die belangte Behörde diesen Umstand als Umsatzverkürzung wertete und einen Sicherheitszuschlag in Höhe von S 100.000,-- veranschlagte.

Der belangten Behörde ist zwar zuzugestehen, daß - wie sie in ihrer Gegenschrift ausführt - eine "lückenlose Überprüfung von Schwarzgeschäften nicht möglich ist, weil diese naturgemäß nicht in den Unterlagen aufscheinen, die der Betriebsprüfung zur Verfügung gestellt werden", doch übersieht sie, daß gerade die von ihr angewendete Schätzmethode (Sicherheitszuschlag-Schätzung) eben genau diesem Umstand Rechnung trägt, weil sich die Höhe des Sicherheitszuschlags danach zu richten hat, in welchem Ausmaß sich die Annahme, daß bei mangelhaften, vor allem unvollständigen Aufzeichnungen nicht nur die nachgewiesenermaßen nicht verbuchten Vorgänge, sondern auch noch weitere Vorgänge gleicher Art nicht verbucht worden sind, im konkreten Fall rechtfertigen läßt.

Die Mängel der Buchhaltung der beschwerdeführenden Gesellschaft, die ihrer Art nach unbestrittenermaßen tauglich ist, sind keinesfalls so geartet, daß sie "nach Art und Umfang auf das ganze Rechenwerk ausstrahlen"; vielmehr erscheinen sie durch die behördlichen Schätzungen ausgeglichen und lassen nach dieser Ergänzung eine periodengerechte Erfassung der maßgeblichen Daten insgesamt als möglich erscheinen.

Indem die belangte Behörde dies verkannt hat, hat sie dem Gesetz fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt, das Gesetz folglich denkunmöglich angewendet und durch den in das Eigentum der beschwerdeführenden Gesellschaft eingreifenden Bescheid diese in den geltend gemachten Grundrechten verletzt.

Der Bescheid war deshalb, soweit er die Vortragsfähigkeit des für das Jahre 1982 gemäß §188 BAO festgestellten Verlustes verneint, aufzuheben.

III. 1. Die Kostenentscheidung

stützt sich auf §88 VerfGG. Im zugesprochenen Betrag sind S 3.000,-- an Umsatzsteuer enthalten.

2. Diese Entscheidung konnte - da die maßgebliche Rechtsfrage durch die bisherige Judikatur des Verfassungsgerichtshofes genügend klargestellt ist - gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffenlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Körperschaftsteuer, Einkommensteuer, Sonderausgaben, Finanzverfahren, Schätzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:B370.1995

Dokumentnummer

JFT_10039774_95B00370_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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