TE Bvwg Erkenntnis 2019/8/14 L502 2221251-2

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Veröffentlicht am 14.08.2019
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Entscheidungsdatum

14.08.2019

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3
VwGVG §33
VwGVG §33 Abs4

Spruch

L502 2221251-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Nikolas Bracher als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA. Türkei, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen vom 06.06.2019, FZ. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird zurückgewiesen.

C)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF), ein türkischer Staatsangehöriger, der im Jahr 1992 im Wege der Familienzusammenführung legal nach Österreich einreiste, seinen Aufenthalt in der Folge jeweils auf gültige Aufenthaltstitel stützte, seither im Bundesgebiet aufhältig ist und sich aktuell in Strafhaft - mit voraussichtlichem Zeitpunkt der Haftentlassung per 18.11.2019 - befindet, wurde im Hinblick auf dreizehn rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilungen zwischen 2001 und 2018 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Schreiben vom 28.09.2018 von der geplanten Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen ihn in Kenntnis gesetzt und wurde ihm die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme hierzu eingeräumt.

2. Mit Schriftsatz vom 08.10.2018 gab er dazu eine Stellungnahme ab. Unter einem brachte er mehrere Beweismittel in Vorlage.

3. Mit Schreiben vom 25.02.2019 forderte ihn das BFA erneut zur Abgabe einer Stellungnahme binnen einer Woche ab Zustellung auf. Er gab keine weitere Stellungnahme ab.

4. Mit Bescheid des BFA vom 28.03.2019 wurde gegen ihn gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein für die Dauer von sieben Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde ihm ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit der Entscheidung gewährt (Spruchpunkt II.).

5. Dieser Bescheid wurde seinem vormaligen rechtsfreundlichen Vertreter am 29.03.2019 zugestellt und erwuchs am 27.04.2019 in Rechtskraft.

6. Mit Schriftsatz vom 13.05.2019 brachte dieser Vertreter beim BFA einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ein und erhob zugleich Beschwerde gegen den Bescheid vom 28.03.2019.

7. Mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 06.06.2019 wies das BFA den Wiedereinsetzungsantrag des BF gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 33 Abs. 4 VwGVG wurde dem Antrag keine aufschiebende Wirkung zuerkannt (Spruchpunkt II.).

8. Gegen den dem BF durch Hinterlegung mit 12.06.2019 zugestellten Bescheid vom 06.06.2019 wurde von der nunmehrigen rechtsfreundlichen Vertreterin des BF mit Schriftsatz vom 09.07.2019 fristgerecht Beschwerde erhoben.

9. Die Beschwerdevorlage langte am 15.07.2019 beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ein und wurde das Beschwerdeverfahren der nunmehr zur Entscheidung berufenen Gerichtsabteilung zugewiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der oben wiedergegebene Verfahrensgang steht fest.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den gg. Verwaltungsakt, im Lichte dessen der Verfahrensgang unstrittig war.

3. Rechtliche Beurteilung:

Mit Art. 129 B-VG idF BGBl. I 51/2012 wurde ein als Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zu bezeichnendes Verwaltungsgericht des Bundes eingerichtet.

Gemäß Art. 135 Abs. 1 B-VG iVm § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG) idF BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Zu A)

1. § 33 VwGVG lautet:

(1) Wenn eine Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

(2) [...]

(3) Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist in den Fällen des Abs. 1 bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen. In den Fällen des Abs. 2 ist der Antrag binnen zwei Wochen

1. nach Zustellung eines Bescheides oder einer gerichtlichen Entscheidung, der bzw. die das Rechtsmittel als unzulässig zurückgewiesen hat, bzw.

2. nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Stellung eines Antrags auf Vorlage Kenntnis erlangt hat,

bei der Behörde zu stellen. Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen.

(4) Bis zur Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag die Behörde mit Bescheid zu entscheiden. § 15 Abs. 3 ist sinngemäß anzuwenden. Ab Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag das Verwaltungsgericht mit Beschluss zu entscheiden. Die Behörde oder das Verwaltungsgericht kann dem Antrag auf Wiedereinsetzung die aufschiebende Wirkung zuerkennen.

(4a) - (6) [...]

2.1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung vom 13.05.2019 wurde in Ansehung dessen, dass der vormalige Vertreter des BF behauptete, am 02.05.2019 Kenntnis von der Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 28.03.2019 erlangt zu haben, und dies von der belangten Behörde auch nicht in Frage gestellt wurde, fristgerecht eingebracht.

Der Wiedereinsetzungsantrag wurde gemäß § 33 Abs. 3 VwGVG zutreffend an das BFA gerichtet, welches gemäß Abs. 4 erster Satz leg cit zur Entscheidung über den Antrag berufen war.

2.2. Der BF begründete seinen Wiedereinsetzungsantrag damit, dass eine Kanzleimitarbeiterin seines anwaltlichen Vertreters in dessen Kanzleikalender unter dem Datum 25.04.2019 (bloß) den nicht eindeutigen Vermerk "Beschwerde" (gemeint: bzgl. des Bescheides des BFA vom 28.03.2019) setzte. Nachdem der Vertreter den BF jedoch auch in einem strafgerichtlichen Verfahren einen Antrag auf vorzeitige bedingte Haftentlassung betreffend vertreten habe und auch gegen die in diesem Verfahren ergangene Entscheidung das Rechtsmittel einer Beschwerde offenstand, sei es zu einer Verwechslung der beiden Beschwerdegegenstände gekommen. Gegen die negative Entscheidung des Strafgerichtes vom 16.04.2019 habe der Vertreter nämlich beschlossen keine Beschwerde zu erheben und daher den Vermerk "Beschwerde", im Glauben es handle sich bei dieser Frist um jene den Beschluss des Strafgerichts betreffend, aus seinem Kanzleikalender gestrichen. Aufgrund dessen sei auch keine Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 28.03.2019 erhoben worden. Diesen Irrtum habe der Rechtsvertreter des BF am 02.05.2019 bemerkt, wobei es sich dabei um einen bloß minderen Grad des Versehens gehandelt habe.

2.3. Das BFA gelangte im angefochtenen Bescheid zur Auffassung, dass daraus kein die Wiedereinsetzung rechtfertigendes Ereignis abzuleiten sei, zumal der Rechtsvertreter des BF gegen seine anwaltliche Sorgfaltspflicht verstoßen habe und damit nicht von einem bloß minderen Grad des Versehens ausgegangen werden konnte.

2.4. In der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid brachte die nunmehrige rechtsfreundliche Vertreterin des BF im Wesentlichen vor, der Irrtum des vormaligen Vertreters bzw. seiner Kanzleimitarbeiterin sei vom BFA bewirkt worden, zumal in der Rechtsmittelbelehrung des Bescheides vom 28.03.2019 das gegen diesen Bescheid zu erhebende Rechtsmittel bloß allgemein als "Beschwerde" und nicht als "Bescheidbeschwerde" bezeichnet worden sei und die Rechtsmittelbelehrung sohin für die Kanzleimitarbeiterin irreführend gewesen sei. Die irreführende Rechtsmittelbelehrung der belangten Behörde im Bescheid vom 28.03.2019 stelle daher einen tauglichen Grund für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dar. Zu berücksichtigen sei zudem, dass der damalige Rechtsvertreter (bloß) zwei Rechtsmittelverfahren dieselbe Partei betreffend geführt habe, besondere Aufmerksamkeit jedoch erst bei mehreren - nach Ansicht der Vertreterin sohin nicht bloß zwei - Rechtsmittelfristen geboten sei.

3.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Vorgängerbestimmung des § 33 Abs. 1 VwGVG ist als Ereignis im Sinne des § 71 Abs. 1 Z 1 AVG jedes Geschehen ohne Beschränkung auf Vorgänge in der Außenwelt anzusehen (vgl. VwGH vom 26.06.1985, Zl. 83/03/0134). Ein Ereignis ist dann unabwendbar, wenn es durch einen Durchschnittsmenschen objektiv nicht verhindert werden konnte. Es ist als unvorhergesehen zu werten, wenn die Partei es tatsächlich nicht miteingerechnet hat, und dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht erwarten konnte (vgl. VwGH vom 17.02.1994, Zl. 93/16/0020). Das im Begriff der "Unvorhergesehenheit" gelegene Zumutbarkeitsmoment (Hinweis auf E VS 25.03.1976, Zl. 0265/75, VwSlg 9024 A/1976) ist dahin so zu verstehen, dass die erforderliche zumutbare Aufmerksamkeit dann noch gewahrt ist, wenn der Partei (ihrem Vertreter) in Ansehung der Wahrung der Frist nur ein "minderer Grad des Versehens" (§ 146 Abs. 1 ZPO idF des Art. IV Z 24 der Zivilverfahrens-Novelle 1983) unterläuft (Hinweis auf E VfGH 27.02.1985, Zl. G 53/83-13 u.a.) (vgl. VwGH vom 26.06.1985, Zl. 83/03/0134).

Die Bewilligung der Wiedereinsetzung kommt sohin nur in Betracht, wenn der Partei kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens angelastet werden kann, wobei der Begriff des minderen Grad des Versehens als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen ist (vgl. VwGH vom 22.01.1992, Zl. 91/13/0254). Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben (vgl. VwGH vom 14.07.1993, Zl. 93/03/0136 sowie auch VwGH vom 24.05.2005, Zl. 2004/01/0558). Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige oder bisher noch nie an behördlichen oder gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen. Bei der Beurteilung, ob eine auffallende Sorglosigkeit vorliegt, ist also ein unterschiedlicher Maßstab anzulegen, wobei es insbesondere auf die Rechtskundigkeit und die Erfahrung im Umgang mit Behörden ankommt (vgl. VwGH vom 18.04.2002, Zl. 2001/01/0559 sowie VwGH vom 29.01.2004, Zl. 2001/20/0425).

Die Partei hat aber nicht nur ihr eigenes Verschulden zu vertreten, sondern ihr ist auch das Verhalten ihres Vertreters zuzurechnen (siehe etwa die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, unter E 72 ff zu § 71 AVG zitierte Rechtsprechung, die auch auf die vergleichbare Bestimmung des § 46 VwGG angewendet wird; vgl. dazu unter vielen den Beschluss vom 28.03.2001, Zl. 2001/04/0005). Demnach bildet nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Untätigkeit eines Vertreters im Allgemeinen auch keinen Wiedereinsetzungsgrund, es sei denn, der Machthaber wäre seinerseits durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert gewesen, die Frist einzuhalten, und es träfe ihn kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom 26.03.1996, Zl. 95/19/1792; vom 04.12.1996, Zln. 96/21/0914, 0915; vom 25.03.1999, Zl. 99/20/0099 und vom 03.12.1999, Zl. 97/19/0182).

Im Wiedereinsetzungsantrag sind, neben den Angaben zur Rechtzeitigkeit, die Gründe anzuführen, auf die er sich stützt, und ist ihr Vorliegen glaubhaft zu machen (vgl. VwGH vom 19.06.1999, Zl. 90/04/0101). Es ist bereits im Antrag jenes unvorhersehbare und unabwendbare Ereignis im Sinne des § 71 Abs. 1 Z 1 AVG [hier: § 33 Abs. 1 VwGVG] zu beschreiben, das den Wiedereinsetzungswerber an der Einhaltung der Frist oder an der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung gehindert hat (vgl. VwGH vom 27.01.2005, Zl. 2004/11/0212 sowie auch VwGH vom 30.09.1990, Zl. 91/19/0045 zu § 46 VwGG). Die Behörde [hier: das BFA] ist aufgrund der Antragsbedürftigkeit des Verfahrens ausschließlich an die vom Wiedereinsetzungswerber (rechtzeitig) vorgebrachten tatsächlichen Gründe gebunden. Es ist ihr verwehrt, von sich aus weitere Gesichtspunkte in die Prüfung mit einzubeziehen (vgl. VwGH vom 25.02.2003, Zl. 2002/10/0223 u.a.). Reine Behauptungen betreffend das Vorliegen des Wiedereinsetzungsgrundes reichen demgemäß nicht aus. Die Partei, welche die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, hat alle Umstände, die den Wiedereinsetzungsantrag begründen, glaubhaft darzulegen und bereits im Antrag taugliche Bescheinigungsmittel zur ihrer Glaubhaftmachung anzuführen (vgl. VwGH vom 25.02.2003, Zl. 2002/10/2002 sowie VwGH vom 21.03.1997, Zl. 97/02/0093).

3.2. Der vormalige Vertreter des BF begründete seinen Wiedereinsetzungsantrag im Wesentlichen mit der Verwechslung von ihm gegen zwei verschiedene behördliche bzw. gerichtliche Entscheidungen parallel offenstehende, denselben Mandanten betreffende Rechtsmittel.

Dem ist entgegen zu halten, dass bei der Wahrnehmung von Fristen - wie hier der Beschwerdefrist - nach der hg. Rechtsprechung eine erhöhte Sorgfaltspflicht - sogar für unvertretene Parteien - besteht (vgl. VwGH 25.09.2018, Ra 2016/05/0018 mit Hinweis auf VwGH 25.06.1996, 96/11/0034). Diese erhöhte Sorgfaltspflicht gilt umso mehr für Rechtsanwälte, zumal nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. auch dazu VwGH 31.5.2017, Ra 2017/22/0064, mwN) das Verschulden des Parteienvertreters die von ihm vertretene Partei trifft und an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (vgl. VwGH 29.01.2019, Ra 2019/21/0008).

Angesichts dieses strengen Maßstabes läßt daher ein Rechtsanwalt die gebotene Sorgfalt vermissen, der eine Beschwerdefrist gegen einen seinen Mandanten betreffenden Bescheid übersieht bzw. diese verwechselt, gerade wenn er ihn aktuell auch in einem anderen - wenn auch strafprozessualen - Verfahren vertritt. Laufen mehrere, ein und dieselbe Partei betreffende Rechtsmittelfristen, ist wegen der nahe liegenden Verwechslungsgefahr nämlich besondere Aufmerksamkeit geboten. Daher muss etwa bei Streichung einer Frist eine über die sonstige routinemäßige Kontrolle hinausgehende gezielte Überprüfung vorgenommen werden, um ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden auszuschließen (vgl. VwGH 18. 12. 2000, 2000/18/0229).

Soweit der Anwalt vermeinte, es habe sich angesichts der irreführenden Kalendereintragung seiner Kanzleimitarbeiterin um einen bloß minderen Grad des Versehens gehandelt, ist dem zu entgegen, dass er gegenüber seinen Mitarbeitern einer ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht nachzukommen hat. Für die richtige Beachtung der Rechtsmittelfrist ist grundsätzlich immer der Rechtsanwalt selbst verantwortlich (vgl. VwGH 29.01.2019, Ra 2019/21/0008). Die besonders strengen Anforderungen bei Erfüllung der Sorgfaltspflichten gelten nämlich nicht nur für das eigene Handeln des Rechtsanwalts, sondern auch hinsichtlich der Tätigkeit seiner Mitarbeiter. Der rechtskundige Vertreter der Partei hat gegenüber der ihm als Hilfsapparat zur Verfügung stehenden Kanzlei alle Vorsorgen zu treffen, die notwendig sind, um die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben zu gewährleisten, welche ihm aus dem Bevollmächtigungsverhältnis obliegen. Die berufsgebotenen Vorkehrungen betreffen vor allem die Organisation des Kanzleibetriebs und die wirksame Überwachung der Angestellten in Bezug auf die Einhaltung der Fristen. Nur wenn der berufliche rechtskundige Vertreter die berufsgebotene Sorgfaltspflicht bei der Kontrolle der Evidenzhaltung und Wahrnehmung von Terminen und Fristen erfüllt hat, können Fehler und Irrtümer, die einer bisher objektiv geeigneten und bewährten Kanzleikraft unterlaufen, eine durch die konkreten Umstände des Einzelfalls entschuldbare Fehlleistung darstellen und eine Wiedereinsetzung rechtfertigen (vgl. Hengschtläger/Leeb, AVG §71 Rz. 49 mwN.).

Im gegenständlichen Fall räumte im Übrigen der vormalige Vertreter des BF selbst ein, dass dieser zum Anlass genommen wurde, künftig ein besseres Vormerksystem für Fristen in dessen Kanzlei einzusetzen (AS 473), er sohin selbst davon ausging, dass bislang die erforderliche Sorgfalt bei der Organisation des Kanzleibetriebs fehlte.

In der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des BFA vom 06.06.2019 vermeinte die nunmehrige rechtskundige Vertreterin des BF, dass der Grad der Sorglosigkeit des damaligen Vertreters dadurch gemindert werde, dass die belangte Behörde im Bescheid vom 28.03.2019 eine "irreführende" Rechtsmittelbelehrung vornahm, zumal dort das Rechtsmittel gegen den betreffenden Bescheid "bloß" als "Beschwerde", nicht aber als "Bescheidbeschwerde" bezeichnet worden sei.

Dem ist jedoch zu entgegnen, dass gerade bei einem Rechtsanwalt vorausgesetzt werden muss, dass dieser die jeweiligen Rechtsmittel, die gegen Entscheidungen seinen Mandanten betreffend offenstehen, im gg. Fall gegen einen strafgerichtlichen Beschluss und gegen einen verwaltungsbehördlichen Bescheid, kennt und voneinander unterscheiden kann.

Gemäß § 61 Abs. 1 AVG hat eine Rechtsmittelbelehrung anzugeben, ob gegen den Bescheid ein Rechtsmittel erhoben werden kann, bejahendenfalls welchen Inhalt und welche Form dieses Rechtsmittel haben muss und bei welcher Behörde und innerhalb welcher Frist es einzubringen ist. Diesen Anforderungen genügte die belangte Behörde im Bescheid vom 28.03.2019, indem sie dort ausführte, "Sie haben das Recht, gegen diesen Bescheid Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht zu erheben." (AS 456).

4. Im gegenständlichen Fall ist es dem BF daher nicht gelungen glaubhaft zu machen, dass er durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis daran gehindert war rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 28.03.2019 zu erheben und dass ihn daran kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Das BFA gelangte angesichts dessen zu Recht zur Auffassung, dass der Antrag des BF auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abzuweisen war.

5. Gemäß § 33 Abs. 4 VwGVG kann die belangte Behörde dem Wiedereinsetzungsantrag die aufschiebende Wirkung zuerkennen. Es handelt sich dabei jedoch um eine Ermessensentscheidung. Dass das BFA sein Ermessen nicht in rechtskonformer Weise geübt und dem Wiedereinsetzungsantrag des BF zu Unrecht keine aufschiebende Wirkung zuerkannt hat, wurde in der Beschwerde nicht substantiiert dargetan, zumal der in Haft befindliche BF auch nicht unmittelbar von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bedroht war.

6. Die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid war sohin als unbegründet abzuweisen.

7. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.

Diese Voraussetzungen waren aus Sicht des erkennenden Gerichts gegeben, weshalb von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden konnte.

Zu B)

Nachdem das BVwG mit dem gg. Erkenntnis inhaltlich bereits in vollem Umfang über die Beschwerde des BF gegen den im Spruch genannten Bescheid des BFA abgesprochen hat, war der dort zugleich gestellte Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde zurückzuweisen.

Zu C)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Schlagworte

Frist Fristenwahrung Rechtsanwälte Rechtsmittelfrist Sorgfaltspflicht unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis Verschulden Verschulden des Vertreters Wiedereinsetzungsantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L502.2221251.2.00

Im RIS seit

17.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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