TE Bvwg Beschluss 2020/6/26 I419 2154995-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.06.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

26.06.2020

Norm

AsylG 2005 §12a Abs2
AsylG 2005 §22 Abs10
AVG §68 Abs1
BFA-VG §22
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch

I419 2154995-2/

3

E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundeamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 18.06.2020, Zl. 1092339806-200496521

:

A) Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 rechtmäßig.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

Der im Spruch genannte Fremde stellte am 26.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den das BFA verbunden mit einer Rückkehrentscheidung und der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Nigeria abwies, was dieses Gericht am 02.05.2018 bestätigte (I408 2154995-1/21E). Der VfGH lehnte die Behandlung einer Beschwerde dagegen ab (E 2309/2018-20), eine Revision wies der VwGH am 05.02.2019 zurück (Ra 2019/18/0029-4).

Der Fremde verbrachte 2018 etwa zwei Wochen in Italien und kehrte dann nach Österreich zurück, wo er am 29.05.2020 aufgegriffen wurde und tags darauf in Schubhaft einen Folgeantrag stellte. Das BFA hob darauf mit dem im Spruch genannten Bescheid gegenüber dem Fremden den faktischen Abschiebeschutz auf, begründet damit, dass der Folgeantrag voraussichtlich zurückzuweisen sein werde, da keine wesentliche Änderung des Sachverhalts erkennbar sei. Die Rückkehrentscheidung sei aufrecht und bedeute keinen Eingriff in die durch Art. 2, 3 und 8 EMRK geschützten Rechte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Die Übermittlung des Akts gilt nach § 22 Abs. 10 AsylG 2005 als Beschwerde gegen die Aufhebung des Abschiebeschutzes, der Fremde somit als Beschwerdeführer im gerichtlichen Überprüfungsverfahren.

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I getroffenen Ausführungen werden als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1 Zur Person des Fremden

Der Beschwerdeführer ist Ende 30, ledig, Staatsangehöriger von Nigeria, Christ, Angehöriger der Volksgruppe der Ibo, arbeits- und haftfähig. Seine Identität steht fest. Er leidet an keiner schweren Krankheit, aber nach eigenen Angaben unter Kopfschmerzen und Bluthochdruck, wogegen er Medikamente bekommen habe. Ein sonstiger Behandlungsbedarf liegt nicht vor. Er hat keine Kinder und spricht Igbo sowie Englisch.

Der Beschwerdeführer ging im Herkunftsstaat im Bundesstaat Enugu sechs Jahre in die Schule und arbeitete als Schweißer oder Schweißerlehrling. Von dort begab er sich 2014 nach Lagos und später auf nicht feststellbarem Weg in die EU. Zu seiner Familie im Herkunftsstaat – darunter zumindest der Vater – hatte der Beschwerdeführers jedenfalls etwa Anfang 2018 noch Kontakt. Aufgrund seiner Schulbildung und seiner Arbeitserfahrung hat er die Möglichkeit, auch künftig am nigerianischen Arbeitsmarkt teilzunehmen.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten. Er führte bis mindestens Anfang Mai 2018 eine Beziehung mit einer Staatsangehörigen der Dominikanischen Republik, die über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“ bis 2014 verfügt. Bei dieser hat er fallweise auch gewohnt, ohne sich behördlich anzumelden, und sich um deren derzeit vierjähriges Kind gekümmert, während sie arbeitete. Im Mai 2020 drang er morgens gewaltsam in ihre Wohnung ein, worauf sie nach Handgreiflichkeiten fliehen und die Polizei alarmieren konnte. Diese hat ihn anschließend wegen des Verdachts des Hausfriedensbruchs, der Nötigung, Körperverletzung, Sachbeschädigung und gefährlichen Drohung angezeigt. Beim BFA bezeichnete er sie auch nachher als seine Freundin, bei der er wohnen wolle.

Der Beschwerdeführer hat (abgesehen von der jetzigen Haft) seit August 2019 keinen gemeldeten Wohnsitz mehr im Inland. Er hat 2016/17 eine Straßenzeitung verkauft, ging sonst keiner Beschäftigung nach und bezog Leistungen der staatlichen Grundversorgung. Seine Deutschkenntnisse bei der Beschwerdeverhandlung 2018 waren bescheiden. Er weist in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf.

1.2 Zur Lage im Herkunftsstaat

Im angefochtenen Bescheid wurde das „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Nigeria auf Stand 20.05.2020 zitiert. Im angefochtenen Bescheid wurden die Länderinformationen zu Nigeria zitiert. Im Beschwerdeverfahren sind keine entscheidenden Änderungen der Sachverhaltselemente bekannt geworden.

Aus einem Bericht des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen („EASO Special Report: Asylum Trends and COVID-19“) ergibt sich zwar betreffend Nigeria, dass die Zahl der bisher gemeldeten COV-Fälle die tatsächliche Verbreitung des Virus unterschätzen könnte, insbesondere in Bundesstaaten, die keine Labors haben, andererseits zeigt das Verhältnis der Zahl Infizierter (ohne Verstorbene und Geheilte), 13.500 per 24.06.2020, davon 124 in Enugu und 7.490 in Lagos State, zur Zahl durchgeführter Tests (117.569 bei ca. 200 Mio. Einwohnern oder 588 pro Million), dass auch eine Hochrechnung auf die Testquote Österreichs (65.630 pro Mio. Einwohner), keine gravierende Zahl dieser Infizierten ergäbe, nämlich 1,51 Mio. oder 0,75 % der Bevölkerung. Dem Bericht ist ferner zu entnehmen, dass Lagos die beste Abdeckung durch Labors aufweist.

Daraus folgt nicht, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr zwangsläufig in eine ausweglose Situation geriete.

Im gegebenen Zusammenhang sind mangels sonstiger Bezüge zum Vorbringen die folgenden Informationen von Relevanz und werden festgestellt:

1.2.1 Opposition inkl. MASSOB und IPOB

Verfassung und Gesetze erlauben die freie Bildung politischer Parteien, Gewerkschaften oder Interessengruppen. Es liegen keine Erkenntnisse über die Verfolgung von Exilpolitikern durch die nigerianische Regierung vor. Auch in Nigeria kann sich die politische Opposition grundsätzlich frei betätigen. Das gilt nicht nur für die parlamentarische Opposition sondern auch für außerparlamentarische Parteien und Gruppen. Bislang sind auch – meist marginale – Gruppen mit sezessionistischen Zielen (etwa Biafra) weitgehend toleriert worden (AA 16.1.2020).

Mit Verbot der Indigenous People of Biafra (IPOB) im September 2017 und der schiitischen Islamischen Bewegung Nigerias (IMN) im August 2019 sind jetzt aber klare Grenzen markiert worden (AA 16.1.2020). Neben der IPOB ist im Südosten Nigerias als zweite sezessionistische Bewegung das Movement for the Actualization of the Sovereign State of Biafra (MASSOB) aktiv (EASO 2.2019; vgl. ÖB 10.2019). Beide werden von der Igbo-Volksgruppe beherrscht, konkurrieren aber miteinander (ÖB 10.2019).

Nach der vorübergehenden Freilassung des seit Herbst 2015 inhaftierten Anführers der IPOB, Nnamdi Kanu, im Frühjahr 2017 spitzte sich die Lage rund um den 50. Jahrestag des Beginns des Biafra-Kriegs [Anm.: 6.7.2017] neuerlich zu. Zur Sicherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung wurden Truppen entsandt (ÖB 10.2019; vgl. AA 16.1.2020) und die IPOB zur terroristischen Organisation erklärt (ÖB 10.2018; vgl. AA 16.1.2020). Die Polizei geht gegen Mitglieder der IPOB und der IMN mittels Inhaftierungen vor (HRW 17.1.2019). Die Sicherheitskräfte nahmen im Verlauf des Jahres 2019 mindestens 200 Mitglieder und Unterstützer der IPOB fest, zehn Personen wurden getötet (AI 8.4.2020). In Abia wurden mutmaßliche IPOB-Mitglieder etwa wegen Mordes, Brandstiftung und anderen Verbrechen verhaftet. Seither hat es seitens IPOB und MASSOB nur noch vereinzelt Versuche gegeben, in der Öffentlichkeit für die (verfassungswidrige) Unabhängigkeit eines fiktiven Staates „Biafra“ zu werben. Diese wurden von den nigerianischen Sicherheitsbehörden regelmäßig unterbunden. Insgesamt können diese Bewegungen als relativ unbedeutende Randgruppen angesehen werden (ÖB 10.2019).

Der IPOB-Führer Nnamdi Kanu, der seit September 2017 spurlos verschwunden gewesen war, trat überraschend im Oktober 2018 in Jerusalem wieder öffentlich in Erscheinung (ÖB 10.2019; vgl. BBC 22.10.2018). Seit Anfang 2019 hielt er sich in Großbritannien auf (AFP 17.2.2019). Aufgrund einer umstrittenen Äußerung Kanus bei einem Interview distanzierte sich die IPOB in der Folge von ihrem (ehemaligen) Anführer (ÖB 10.2018). Der Federal High Court in Abuja erließ am 28.3.2019 einen Haftbefehl gegen ihn. Gleichzeitig widerrief das Gericht die Kanu im April 2017 aus gesundheitlichen Gründen gewährte Freilassung auf Kaution, da er seither mehreren Vorladungen des Gerichts nicht Folge geleistet hatte (BAMF 1.4.2019). Im September 2019 kündigte Kanu an, eine IPOB-Delegation zur Generalversammlung der UNO führen zu wollen, und beschuldigte Nigeria in einer Petition an die UNO in Genf der Menschenrechtsverletzungen gegen die Unterstützer der Biafra-Bewegung (ÖB 10.2019). In Nigeria selbst ist IPOB derzeit nicht sehr aktiv (AA 16.1.2020).

Die Sicherheitskräfte setzen das harte Vorgehen gegen Mitglieder der schiitischen IMN fort, die gegen die Inhaftierung ihres Führers Scheich Ibrahim El Zakzaky und seiner Frau seit Dezember 2015 protestieren. Trotz gerichtlicher Anordnungen zu ihrer Freilassung bleiben sie in Haft (HRW 14.1.2020). Nach gewaltsamen Protesten der IMN in Abuja im Juli 2019 wurde die Gruppierung durch die Regierung im ganzen Land zu einer illegalen Organisation erklärt. Noch immer sitzen dutzende IMN-Anhänger ohne Anklage in Haft (AA 16.1.2020).

1.2.2 Ethnische Minderheiten

Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie ist durch die Verfassung verboten (AA 16.1.2029). Gemäß der Verfassung muss die Regierung einen „föderalen Charakter“ haben, was bedeutet, dass Kabinetts- und andere hochrangige Positionen so vergeben werden müssen, dass die 36 Bundesstaaten oder die sechs geopolitischen Regionen vertreten sind (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 16.1.2020). Traditionelle Beziehungen werden benutzt, um Druck auf Regierungsbeamte auszuüben, damit bestimmte ethnische Gruppen bei der Verteilung von wichtigen Positionen einen Vorteil erhalten (USDOS 11.3.2020). Die Zusammensetzung der bisherigen Regierung spiegelt aber einen fein austarierten Proporz zwischen den verschiedenen Ethnien wider. Dieser Proporz beeinflusst selbst die Besetzung höchster Staatsämter. Dennoch beklagen einzelne Gruppen immer wieder, nicht angemessen in Spitzenämtern repräsentiert zu sein (AA 16.1.2020).

Die Verfassung unterscheidet bei der Bevölkerung in den Bundesstaaten zwischen „Einheimischen“ („indigenes“) und „Zuwanderern“ („settlers“). Diese Unterscheidung sollte ursprünglich die einheimische Bevölkerung schützen, hat aber angesichts der wachsenden Mobilität auch in der nigerianischen Bevölkerung immer weniger Sinn (AA 16.1.2020). Zwar haben nämlich alle Staatsbürger prinzipiell das Recht in jedem Teil des Landes zu leben, doch diskriminieren Bundes- und Bundesstaatsgesetze jene ethnischen Gruppen, die an ihrem Wohnsitz nicht indigen im eigentlichen Sinne sind (USDOS 11.3.2020). Die Realität ist vom „indigene/settler“-Konflikt (oftmals gleichbedeutend mit Ackerbauern und Nomaden) bestimmt, der entlang ethnischer – aber auch religiöser – Grenzen verläuft (ÖB 10.2019). In einigen Bundesstaaten ist die Lage von Minderheiten deshalb problematisch, zumal selbst den Nachfahren der Zuwanderer, die häufig gleichzeitig einer anderen Ethnie als die einheimische Bevölkerung angehören, regelmäßig die Teilnahme an Wahlen (aktiv wie passiv) verwehrt wird und sie nur eingeschränkten Zugang zu Ressourcen wie etwa Subventionen und öffentlichen Aufträgen, Arbeits-, Ausbildungs- und Studienplätzen haben (AA 16.1.2020). Manchmal werden Einzelpersonen sogar dazu veranlasst, in die ursprüngliche Heimat ihrer Ethnie zurückzukehren, obwohl sie dorthin keinerlei persönliche Verbindungen mehr haben. Fallweise veranlassen Bundesstaats- und LGA-Verwaltungen Nicht-Indigene durch Drohungen, Diskriminierung am Arbeitsmarkt oder die Zerstörung von Häusern zur Abwanderung. Jene, die trotzdem am Wohnort verbleiben, sind manchmal weiterer Diskriminierung ausgesetzt (Verweigerung von Stipendien, Ausschluss einer Anstellung beim öffentlichen Dienst). Dies betrifft beispielsweise die Hausa-Fulani im Bundesstaat Plateau (USDOS 11.3.2020).

Angehörige aller ethnischen Gruppen praktizieren Diskriminierung, vor allem hinsichtlich der Anstellung im privaten Sektor und bezüglich einer Segregation in urbanen Gebieten. Zwischen einigen Gruppen existieren historisch verwurzelte Spannungen (USDOS 11.3.2020). Im Middle-Belt – insbesondere den Bundesstaaten Taraba, Plateau, Benue State und Kaduna (Süd) – kommt es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen meist muslimischen Hirten (oftmals Hausa-Fulani) und den dort traditionell ansässigen, meist christlichen Bauern; in einigen Fällen sogar mit hunderten Toten. Ursprünglich ein Konflikt um Land und Weiderechte, lädt er sich immer stärker ideologisch auf und verstärkt den Antagonismus zwischen Christen und Muslimen bzw. verschiedenen Ethnien (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Auch zwischen den Tiv, Kwalla, Jukun, Hausa-Fulani und Azara in den Bundesstaaten Nasarawa, Benue und Taraba gibt es Konflikte über Landnutzungsrechte. Die Regierung reagiert auf Spannungen zwischen Ethnien üblicherweise mit einer Konzentration an Sicherheitskräften, oft in Form einer Joint Task Force (USDOS 11.3.2020).

Im Nigerdelta ist die Lage der Minderheiten seit langem kritisch. Die dortige Bevölkerung klagt über massive Umweltzerstörung, jahrzehntelange Benachteiligung und kaum vorhandene Infrastruktur und Bildungseinrichtungen. Korruption, insbesondere auf Ebene der Bundesstaaten, hat darüber hinaus zur besorgniserregenden Vernachlässigung der Region geführt (AA 16.1.2020).

Diskriminiert werden auch Albinos, die als Unglück erachtet werden. Sie werden manchmal bei der Geburt weggelegt, andere für Hexerei-Rituale ermordet (USDOS 11.3.2020).

1.2.3 Medizinische Versorgung

Insgesamt kann die Gesundheitsversorgung in Nigeria als mangelhaft bezeichnet werden. Zwischen Arm und Reich sowie zwischen Nord und Süd besteht ein erhebliches Gefälle: Auf dem Land sind die Verhältnisse schlechter als in der Stadt (GIZ 3.2020b); und im Norden des Landes ist die Gesundheitsversorgung besonders prekär (GIZ 3.2020b; vgl. ÖB 10.2019). Die medizinische Versorgung ist vor allem im ländlichen Bereich vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch problematisch (AA 2.4.2020).

Es gibt sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser (AA 16.1.2020). Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor, die im öffentlichen Gesundheitssektor allerdings in der Regel unter europäischem Standard liegt. Der private Sektor bietet hingegen in einigen Krankenhäusern der Maximalversorgung (z.B. in Abuja, Ibadan, Lagos) westlichen Medizinstandard. Nahezu alle, auch komplexe Erkrankungen, können hier kostenpflichtig behandelt werden (AA 16.1.2020; vgl. AA 2.4.2020; ÖB 10.2019). In größeren Städten ist ein Großteil der staatlichen Krankenhäuser mit Röntgengeräten ausgestattet, in ländlichen Gebieten verfügen nur einige wenige Krankenhäuser über moderne Ausstattung (ÖB 10.2019).

In den letzten Jahren hat sich die medizinische Versorgung in den Haupt- und größeren Städten allerdings sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor deutlich verbessert. So ist mittlerweile insbesondere für Privatzahler eine gute medizinische Versorgung für viele Krankheiten und Notfälle erhältlich. Es sind zunehmend Privatpraxen und -kliniken entstanden, die um zahlungskräftige Kunden konkurrieren. Die Ärzte haben oft langjährige Ausbildungen in Europa und Amerika absolviert und den medizinischen Standard angehoben. In privaten Kliniken können die meisten Krankheiten behandelt werden (AA 16.1.2020).

Die Gesundheitsdaten Nigerias gehören zu den schlechtesten in Afrika südlich der Sahara und der Welt (ÖB 10.2019). Mit 29 Todesfällen pro 1.000 Neugeborenen hat Nigeria weltweit die elfthöchste Todesrate bei Neugeborenen (GIZ 3.2020b). Die aktuelle Sterberate für Kinder unter fünf Jahren beträgt 100,2 Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten (ÖB 10.2019).

Es existiert kein mit westlichen Standards vergleichbares Psychiatriewesen, sondern allenfalls Verwahreinrichtungen auf sehr niedrigem Niveau. Dort werden Menschen mit psychischen Erkrankungen oft gegen ihren Willen untergebracht, können aber nicht adäquat behandelt werden (AA 16.1.2020). Stigmatisierung und Missverständnisse über psychische Gesundheit, einschließlich der falschen Wahrnehmung, dass psychische Erkrankungen von bösen Geistern oder übernatürlichen Kräften verursacht werden, veranlassen die Menschen dazu, religiöse oder traditionelle Heiler zu konsultieren; eine Rolle spielt hier auch der Mangel an qualitativ hochwertiger psychiatrischer Versorgung und die unerschwinglichen Kosten (HRW 11.11.2019).

Insgesamt gibt es für die inzwischen annähernd 200 Millionen Einwohner 100 Hospitäler mit psychiatrischer Abteilung (VAÖB 23.1.2019). Das in Lagos befindliche Federal Neuro Psychiatric Hospital Yaba bietet sich als erste Anlaufstelle für die Behandlung psychisch kranker Rückkehrer an. Die Kosten für einen Empfang durch ein medizinisches Team direkt am Flughafen belaufen sich auf ca. 195.000 Naira (ca. 570 Euro). Die Behandlungskosten sind jedoch je nach Schwere der Krankheit unterschiedlich. Zudem ist an diesem Krankenhaus auch die stationäre Behandlung psychischer Erkrankungen mit entsprechender Medikation möglich (AA 16.1.2020).

Nigeria verfügt derzeit über weniger als 150 Psychiater (AJ 2.10.2019), nach anderen Angaben sind es derzeit 130 für 200 Millionen Einwohner (Österreich 2011: 20 Psychiater/100.000 Einwohner). Bei Psychologen ist die Lage noch drastischer, hier kamen im Jahr 2014 auf 100.000 Einwohner 0,02 Psychologen (Österreich 2011: 80 Psychologen/100.000 Einwohner). Aufgrund dieser personellen Situation ist eine regelrechte psychologische/psychiatrische Versorgung für die große Mehrheit nicht möglich, neben einer basalen Medikation werden die stationären Fälle in öffentlichen Einrichtungen im Wesentlichen „aufbewahrt“. Die Auswahl an Psychopharmaka ist aufgrund der mangelnden Nachfrage sehr begrenzt (VAÖB 23.1.2019). Die WHO schätzt, dass weniger als 10 Prozent der Nigerianer jene psychiatrische Behandlung bekommen, die sie brauchen (AJ 2.10.2019; vgl. HRW 11.11.2019).

Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte im formellen Sektor gilt. Die meisten Nigerianer arbeiten jedoch als Bauern, Landarbeiter oder Tagelöhner im informellen Sektor. Leistungen der Krankenversicherung kommen schätzungsweise nur zehn Prozent der Bevölkerung zugute (AA 16.1.2020). Nur weniger als sieben Millionen der 180 Millionen Einwohner Nigerias sind beim National Health Insurance Scheme leistungsberechtigt (Punch 22.12.2017). Eine Minderheit der erwerbstätigen Bevölkerung ist über das jeweils beschäftigende Unternehmen mittels einer Krankenversicherung abgesichert, die jedoch nicht alle Krankheitsrisiken abdeckt (VAÖB 27.3.2019).

Wer kein Geld hat, bekommt keine medizinische Behandlung (GIZ 3.2020b). Selbst in staatlichen Krankenhäusern muss für Behandlungen bezahlt werden (AA 16.1.2020). Die Kosten medizinischer Betreuung müssen im Regelfall selbst getragen werden. Die staatlichen Gesundheitszentren heben eine Registrierungsgebühr von umgerechnet 10 bis 25 Cent ein: Tests und Medikamente werden unentgeltlich abgegeben, sofern vorhanden (ÖB 10.2019). Eine basale Versorgung wird über die Ambulanzen der staatlichen Krankenhäuser aufrechterhalten, jedoch ist auch dies nicht völlig kostenlos, in jedem Fall sind Kosten für Medikamente und Heil- und Hilfsmittel von den Patienten zu tragen, von wenigen Ausnahmen abgesehen (VAÖB 27.3.2019). Religiöse Wohltätigkeitseinrichtungen und NGOs bieten kostenfrei medizinische Versorgung (ÖB 10.2019).

Die staatliche Gesundheitsversorgung gewährleistet keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Jeder Patient - auch im Krankenhaus - muss Medikamente selbst besorgen bzw. dafür selbst aufkommen. In der Regel gibt es fast alle geläufigen Medikamente in Nigeria in Apotheken zu kaufen, so auch die Antiphlogistika und Schmerzmittel Ibuprofen und Diclofenac sowie die meisten Antibiotika, Bluthochdruckmedikamente und Medikamente zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Leiden (AA 16.1.2020). Medikamente gegen einige weit verbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria und HIV/AIDS können teilweise kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben. Schutzimpfaktionen werden von internationalen Organisationen finanziert, stoßen aber auf religiös und kulturell bedingten Widerstand, überwiegend im muslimischen Norden (ÖB 10.2019).

Die Qualität der Produkte auf dem freien Markt ist jedoch zweifelhaft, da viele gefälschte Produkte – meist aus asiatischer Produktion – vertrieben werden (bis zu 25% aller verkauften Medikamente). Diese wirken aufgrund unzureichender Dosisanteile der Wirkstoffe nur eingeschränkt. Es gibt zudem wenig zuverlässige Kontrollen hinsichtlich der Qualität der auf dem Markt erhältlichen Produkte (AA 16.1.2020). Gegen den grassierenden Schwarzmarkt mit Medikamenten gehen staatliche Stellen kaum vor (ÖB 10.2019).

Der Glaube an die Heilkräfte der traditionellen Medizin ist nach wie vor sehr lebendig. Bei bestimmten Krankheiten werden eher traditionelle Heiler als Schulmediziner konsultiert (GIZ 3.2020b). Gerade im ländlichen Bereich werden „herbalists“ und traditionelle Heiler aufgesucht (ÖB 10.2019).

1.2.4 Rückkehr

Generell kann kein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen festgestellt werden, welcher geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die allgemein herrschende Situation in Nigeria stellt keine Bedrohung i.S.v Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK dar. Außerdem kann allgemein festgestellt werden, dass eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2019).

Abschiebungen erfolgen auf dem Luftweg, in Linien- oder Chartermaschinen. Rückführungen aus EU-Staaten erfolgen meist durch Charterflüge, die auch durch FRONTEX durchgeführt werden (AA 16.1.2020). Die österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations (JROs) gemeinsam mit FRONTEX (ÖB 10.2019). Ohne gültigen nigerianischen Pass oder einen von einer nigerianischen Botschaft ausgestellten vorläufigen Reiseausweis ist eine Einreise aus Europa kommender nigerianischer Staatsangehöriger nicht möglich. Dies gilt auch für zwangsweise Rückführungen (AA 16.1.2020).

Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen nicht vor. Verhaftung aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig rückkehrenden Asylwerbern sind nicht bekannt (AA 16.1.2020). Die Erfahrungen mit den JROs seit dem Jahre 2005 lassen kaum Probleme erkennen (ÖB 10.2019). Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der zuständigen Behörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch von der NDLEA (National Drug Law Enforcement Agency) befragt (AA 16.1.2020) bzw. erkennungsdienstlich behandelt (ÖB 10.2019) und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen (AA 16.1.2020; vgl. ÖB 10.2019). Meist steigen sie in ein Taxi ein oder werden von ihren Familien abgeholt. Es kann jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit den Behörden haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖB 10.2019).

Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im „Decree 33“ nicht zu befürchten (AA 16.1.2020). Aus menschenrechtlichen Erwägungen wird gegenüber nigerianischen Behörden als Grund für Abschiebungen stets „overstay“ angegeben, da dieser kein strafrechtliches Delikt darstellt (ÖB 10.2019).

Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige sind in Lagos und anderen Landesteilen grundsätzlich vorhanden. Sie sind jedoch in schlechtem Zustand, so dass z.B. die Angebote nicht bekannt sind oder eine ausreichende Versorgung dort nicht ohne weiteres gewährleistet ist. Internationale Akteure bemühen sich, neue Rückkehrer- bzw. Migrationsberatungszentren aufzubauen. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State, wurde 2018 eröffnet. Gleichermaßen haben im Herbst 2018 in Lagos, Abuja und Benin City Migrationsberatungszentren der GIZ ihren Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert (AA 16.1.2020).

1.3 Zum Fluchtvorbringen

Im ersten Asylverfahren hat der Beschwerdeführer seinen Antrag auf internationalen Schutz, im Wesentlichen damit begründet, im Herkunftsstaat von den Mitgliedern eines Geheimkults verfolgt zu werden. Zum Folgeantrag brachte er erstbefragt vor, er sei der IPOB beigetreten, bevor er nach Österreich gekommen sei, und nochmals „2015/2016“, als er schon hier gewesen sei. Die Leute von „Biafra“ wollten unabhängig sein. Die „Leute aus dem Osten des Landes“ würden von der Polizei getötet, weil sie sich für Freiheit aussprächen und dafür einträten. Er fürchte also, dass ihn die Polizei töten werde. Außerdem fürchte er auch, dass ihn die Hausa umbrächten, welche vom Norden kämen und die Leute im Osten töteten.

Gegenüber dem BFA erklärte er weiter, dass er im Erstverfahren gesagt habe, er werde von Personen einer Geheimgesellschaft verfolgt. Diese seien von der Polizei, also habe er das Problem auch wegen Biafra gehabt.

Der Beschwerdeführer hat kein substantiiertes neues Vorbringen erstattet. Die geltend gemachten Gründe hätten zudem bereits vor Abschluss des ersten Asylverfahrens vorgelegen.

Es ist nicht ersichtlich, dass eine Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Eine entscheidungswesentliche Änderung der Ländersituation im Herkunftsstaat ist seit der Rückkehrentscheidung nicht eingetreten, insbesondere nicht auf das Vorbringen bezogen. Es existieren keine Umstände, die einer Abschiebung entgegenstünden.

Nach all dem wird das BFA aller Voraussicht nach feststellen, dass keine entscheidungswesentliche Änderung des Sachverhalts eingetreten ist. Der Folgeantrag wird daher voraussichtlich vom BFA zurückzuweisen sein.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und der festgestellte Sachverhalt ergeben sich zunächst aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA sowie des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes und aus dessen vorangegangenem, angeführten Erkenntnis von 2018. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Fremdenregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend eingeholt.

2.1 Zur Person des Fremden

Den Angaben des Beschwerdeführers betreffend die angegebenen gesundheitlichen Beschwerden konnten keine genaueren Feststellungen folgen, da dieser keinerlei Befunde oder sonstige Beweismittel vorlegte. Der Beschwerdeführer behauptet, schon seit 2018 die genannten Leiden zu haben, hat davon jedoch in der Beschwerdeverhandlung am 23.03.2018 noch nichts erwähnt, sondern chronische Krankheiten oder andere Leiden oder Gebrechen ausdrücklich verneint (S. 3). Er wurde am 29.05.2020 von einer Polizeiärztin untersucht (AS 41) und anschließend in Schubhaft genommen, woraus sich die Haftfähigkeit ergibt. Die Arbeitsfähigkeit folgt aus dem Vorgehen des Beschwerdeführers bei und nach dem Eindringen in die Wohnung seiner (vormaligen oder weiterhin) Freundin (AS 7 ff).

In der Folge kann dem BFA in seinen beweiswürdigenden Erwägungen zugestimmt werden (AS 129), wonach der Beschwerdeführer zwar nach eigenem Bekunden beim Arzt war, aber keine stationäre Betreuung nötig gewesen ist, und er auch bei den zwei Befragungen durch Polizei und BFA angegeben hat, keine Beschwerden oder Krankheiten zu haben, die ihn an der Einvernahme hindern würden (AS 5, 101). Eine schwere Krankheit war demnach zu verneinen.

Die Feststellungen betreffend die Integrationsmerkmale konnten großteils dem genannten Erkenntnis im ersten Beschwerdeverfahren entnommen werden, aus dem auch die vorgelegten Urkunden betreffend die Person des Beschwerdeführers (Bestätigung des Vaters vom 11.10.2017 samt Zustimmung zu Heiratsplänen des Beschwerdeführers und Scheidungsurkunde der Freundin) sowie dessen Einvernahme in der Beschwerdeverhandlung berücksichtigt wurden.

2.2 Zur Lage im Herkunftsland

Die Länderfeststellungen, welche der Entscheidung des BFA zu Grunde zu legen waren, sind aktuell (20.05.2020, falsch datiert mit 2019). Es ist daher und auch betreffend die Pandemie keine entscheidungswesentliche Änderung der Ländersituation eingetreten.

Die Länderfeststellungen wurden dem Beschwerdeführer samt der Ladung zu seiner Einvernahme beim BFA ausgehändigt, wie die Übernahmebestätigung 15.06.2020 beweist (AS 89), die eine Unterschrift aufweist, welche der seinen entspricht, die sich auf den jeweiligen Niederschriften findet (AS 3 ff, im ersten Verfahren AS 1 ff, 119 ff, 233), auch wenn er beim BFA bestritt, sie erhalten zu haben (und erstmals auch nicht unterfertigte).

Die weiteren Feststellungen dazu entstammen der genannten Veröffentlichung der EU-Agentur EASO (www.easo.europa.eu/publications/easo-special-report-asylum-trends-and-covid-19-issue-2) und des „Centre for Disease Control“ des Herkunftsstaats (covid19.ncdc.gov.ng). Die inländischen Zahlen sind die des BMSGPK (info.gesundheitsministerium.at/data/data.zip bzw. www.derstandard.at/story/2000115810293/aktuelle-zahlen-zum-coronavirus) mit Stand 25.06.2020, 09:30 h.

2.3 Zu den Fluchtmotiven des Fremden

Der Beschwerdeführer behauptet im vorliegenden Folgeverfahren weiterhin Gegnerschaft einer Geheimorganisation.

Im Erstverfahren hatte er angegeben, dass es sich um eine Organisation handle, die Leute umbrächte und ihn vergeblich zum Beitritt aufgefordert sowie daraufhin bedroht habe (AS 9). Einige Mitglieder seien Jugendfreunde von ihm (AS 121), wie der Anführer heiße, wisse er nicht (AS 122). In der Beschwerdeverhandlung gab er dann an, die meisten der Mitglieder (später: einige) seien seine Freunde, einige gehörten zur Polizei (AS 227). Dieser „Occult“ genannte Geheimkult töte die meisten Leute. Ohne die Probleme mit diesem könne er wieder im Herkunftsstaat leben (AS 229).

Im Folgeverfahren nannte er erstbefragt seine Mitgliedschaft bei IPOB bereits im Herkunftsstaat und seine Unterstützung für Biafra als Fluchtgründe, wegen derer er Angst vor der Polizei habe, die ihn dafür töten könnte, und ferner, dass er sich vor den „Haussa“ (Hausa-Fulani, Anm.) fürchte, welche die „Leute im Osten“ umbrächten (AS 6). Einvernommen erklärte er dann auf die Frage nach dem Warum des neuen Antrags: „Ich brauche eine zweite Chance. Außerdem habe ich Probleme.“ In der Folge erwähnte er neben Biafra, dass auch die Geheimgesellschaft hinter ihm her sei, und viele Leute von Biafra getötet würden. Seine im Erstverfahren genannten Verfolger seien von der Polizei, sodass er das Problem mit diesen auch wegen Biafra gehabt habe. (AS 103)

Damit wurde kein Sachverhalt geltend gemacht, der nach Eintritt der Rechtskraft der vorigen Entscheidung entstanden wäre. Der unerklärt späte Zeitpunkt des Vorbringens belastet auch dessen Glaubhaftigkeit. Grundsätzlich ist nämlich davon auszugehen, dass kein Asylwerber eine Gelegenheit ungenützt ließe, zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten.

Der Beschwerdeführer erklärte dies gleichsam damit, dass es für seine Verfolgung durch die betreffenden Polizisten eben zwei Gründe gebe: Seine Weigerung, beizutreten, und seine Mitgliedschaft bei IPOB. Das Vorbringen betreffend die Fulani brachte er beim BFA – im Beisein seiner Rechtsberaterin – gar nicht mehr zur Sprache.

Ob die geltend gemachten Fluchtgründe im Kern denen des vorangegangenen Verfahrens entsprechen, und man in den Ergänzungen bloß deren Steigerungen sieht, oder ob sie sich inhaltlich von den bisherigen klar unterscheiden: Es wurde kein substantiiertes, und – da die geltend gemachten Gründe zudem bereits vor Abschluss des ersten Asylverfahrens vorgelegen hätten – auch kein neues Vorbringen erstattet.

Es war daher nicht ersichtlich, dass eine Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria eine reale Gefahr einer konventionsrelevanten Verfolgung mit sich bringen würde.

Die Feststellung, dass der Folgeantrag voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein wird, ergibt sich daraus, dass der vorgebrachte angebliche Sachverhalt bereits vor Abschluss des ersten Asylverfahrens vorgelegen hätte und dem Beschwerdeführer bekannt gewesen wäre.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes.

Nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005 kann das BFA unter anderem dann den faktischen Abschiebeschutz eines Fremden aufheben, der einen Folgeantrag gestellt hat, wenn dieser voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist (Z. 2), und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde (Z. 3).

Weiter ist vorausgesetzt, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht (Z. 1).

Die angeführte Rückkehrentscheidung ist seit Erlassung des Erkenntnisses vom 02.05.2018 rechtskräftig. Wie auch bereits dargetan, ist kein neues Vorbringen erstattet worden, von dem anzunehmen wäre, dass es beachtlich im Sinne einer materiellen Erledigung anstelle einer Zurückweisung wegen entschiedener Sache wäre.

Nach § 68 AVG hat die Behörde Anbringen von Beteiligten, die eine Abänderung eines der formell rechtskräftigen Bescheides begehren, grundsätzlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Ausnahmen dazu bilden die Fälle der Wiederaufnahme des Verfahrens und der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach §§ 69 und 71 AVG sowie die in § 68 Abs. 2 bis 4 AVG vorgesehenen Arten von Abänderungen und Behebungen, auf die kein Rechtsanspruch besteht.

Die vorgesehenen Ausnahmen kommen nach dem Inhalt der Akten im vorliegenden Fall nicht zum Tragen, insbesondere handelt es sich bei den vorgebrachten Tatsachenbehauptungen weder um glaubhafte nachträglich eingetretene Änderungen noch um nachträglich hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel, die geeignet wären, eine andere Entscheidung herbeizuführen.

Daher ist davon auszugehen, dass die in § 68 AVG grundsätzlich vorgesehene Zurückweisung als Erledigung des BFA zu erwarten ist.

Daraus ergibt sich, dass der Beschwerdeführer einen Folgeantrag im Sinne des § 2 Abs. 1 Z. 23 AsylG 2005 gestellt hat, und die Voraussetzungen des § 12a Abs. 2 Z. 1 bis 3 AsylG 2005 vorliegen, weil dem Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat droht. Nach all dem wird der Folgeantrag des Beschwerdeführers voraussichtlich zurückzuweisen sein, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhaltes eingetreten ist.

Es gibt nämlich auch dafür, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Nigeria die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre, keine Anhaltspunkte, zumal der Beschwerdeführer für Arbeitstätigkeiten ausreichend gesund und daher erwerbsfähig ist.

Es ist daher kein Grund ersichtlich, warum der Beschwerdeführer seinen Lebensunterhalt nach seiner Rückkehr nicht bestreiten können sollte, selbst wenn ihn Angehörige nicht unterstützen, sei es mit einer der beiden bereits ausgeübten oder einer anderen Tätigkeit. Zudem besteht ganz allgemein in Nigeria keine solch extreme Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne des Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK ausgesetzt wäre.

Im Verfahren sind auch keine Umstände bekannt geworden, die nahelegen würden, dass für den Beschwerdeführer ein „reales Risiko“ einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenen Behandlung bzw. der Todesstrafe besteht. Der Beschwerdeführer führt in Österreich kein im Sinne des Art. 8 EMRK geschütztes Familienleben und hat keine über die Aufenthaltszeit selbst hinausgehenden – z. B. sprachlichen, kulturellen, beruflichen oder sozialen – privaten Integrationsmerkmale.

Somit sind die Voraussetzungen des § 12a Abs. 2 AsylG 2005 gegeben, sodass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nicht rechtswidrig ist. Damit hatte das Gericht wie im Spruch zu entscheiden.

Die Entscheidung war mit Beschluss zu treffen, da § 22 Abs. 10 AsylG 2005 dies so vorsieht. Nach § 22 Abs. 1 BFA-VG hatte auch keine Verhandlung stattzufinden.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zum faktischen Abschiebeschutz und den Voraussetzungen seiner Aufhebung in Folgeverfahren oder zur Zurückweisung wegen entschiedener Sache und zur Beurteilung gesteigerten Vorbringens in Folgeverfahren. Weiter ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor.

Schlagworte

aufrechte Rückkehrentscheidung faktischer Abschiebeschutz faktischer Abschiebeschutz - Aufhebung rechtmäßig Folgeantrag Identität der Sache Privat- und Familienleben real risk reale Gefahr

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I419.2154995.2.00

Im RIS seit

17.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten