TE Vfgh Erkenntnis 2020/6/9 E509/2020 ua

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Veröffentlicht am 09.06.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigter betreffend eine Mutter und ihren minderjährigen Sohn; mangelnde Auseinandersetzung mit der Situation von Kindern im Herkunftsstaat Nigeria

Spruch

I. Dem Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe im Umfang der Befreiung von der Eingabengebühr wird stattgegeben.

II. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria, die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung von Rückkehrentscheidungen, die Aussprüche, dass die Abschiebungen nach Nigeria zulässig seien sowie die Festsetzung einer zweiwöchigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen werden, im in dem durch ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl Nr 390/1973 über die Durchführung des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

III. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

IV. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.877,60 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter des minderjährigen, in Österreich geborenen Zweitbeschwerdeführers. Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige Nigerias und christlichen Glaubens sowie Angehörige der Volksgruppe der Ibo.

2. Die Erstbeschwerdeführerin stellte am 3. September 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz und brachte darin sowie in der nachfolgenden Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zusammengefasst vor, sie sei nach dem Tod ihres Vaters von ihrer Mutter, die wieder geheiratet habe, aus dem Haus geworfen worden. Zudem verlangten die Mitglieder des von ihrem verstorbenen Vater geführten Kultes, dass sie seinen Platz einnehme, was sie mit Verweis auf ihren christlichen Glauben abgelehnt habe.

3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16. März 2016 wurde der Antrag gemäß §3 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung von Asyl sowie gemäß §8  AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung von subsidiärem Schutz in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt. Gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG wurde gegen die Erstbeschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Nigeria gemäß §46 FPG zulässig sei; gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

4. Dagegen erhob die Erstbeschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

5. Am 2. September 2019 wurde der Zweitbeschwerdeführer in Österreich geboren, für den die Erstbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin am 9. September 2019 ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

6. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30. Oktober 2019 wurde der Antrag gemäß §3 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung von Asyl sowie gemäß §8 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung von subsidiärem Schutz in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt. Gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG wurde gegen den Zweitbeschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria gemäß §46 FPG zulässig sei; gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

7. Dagegen erhob der Zweitbeschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

8. Die gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem hier angefochtenen Erkenntnis vom 14. Jänner 2020 als unbegründet ab. Das Fluchtvorbringen der Erstbeschwerdeführerin habe sich als nicht glaubwürdig erwiesen; hinsichtlich der Nichtzuerkennung des subsidiären Schutzes wurde ausgeführt, es sei nicht anzunehmen, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Nigeria in eine Lage geraten würden, die eine reale Gefahr der Verletzung ihrer nach Art2 und 3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte darstelle. Die Erstbeschwerdeführerin sei jung und arbeitsfähig, ihr Lebensgefährte könne sie nach Nigeria begleiten und sie habe dort Familie, die sie unterstützen könne.

9. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

10. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift wurde aber Abstand genommen.

II. Erwägungen

1. Die zulässige Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria, die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung von Rückkehrentscheidungen, den Ausspruch, dass die Abschiebung nach Nigeria zulässig sei sowie die Festsetzung einer zweiwöchigen Frist für die freiwillige Ausreise richtet, begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

2.1. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

2.2. Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Bei der Behandlung der Anträge auf internationalen Schutz von Minderjährigen sind, unabhängig davon, ob sie unbegleitet sind oder gemeinsam mit ihren Eltern oder anderen Angehörigen leben, bei entsprechend schlechter allgemeiner Sicherheitslage zu deren Beurteilung einschlägige Herkunftsländerinformationen, in die auch die Erfahrungen der Kinder Eingang finden, jedenfalls erforderlich (vgl UNHCR, Richtlinien zum Internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern im Zusammenhang mit Art1 (A) 2 und 1 (F) des Abkommens von 1951 bzw des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, 22.12.2009, Rz 74). Dementsprechend hat der Verfassungsgerichtshof wiederholt die Bedeutung der Länderfeststellungen im Hinblick auf Minderjährige als besonders vulnerable Antragsteller hervorgehoben (zB VfGH 9.6.2017, E484/2017 mwN). Dieses Verständnis steht im Einklang mit Art24 Abs2 GRC bzw ArtI zweiter Satz des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern, BGBl I 4/2011, wonach bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein muss (VfGH 2.10.2013, U2576/2012 mit Verweis auf EuGH 6.6.2013, Rs. C-648/11, MA, Rz 56 und 57). Dies gilt auch in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria (vgl VfGH 25.9.2018, E3172/2017; 25.2.2019, E428/2018; 26.2.2019, E4224/2018).

3.2. Im angefochtenen Erkenntnis fehlen sämtliche Feststellungen hinsichtlich der im Speziellen Kinder betreffenden Sicherheits- und Versorgungslage. Das Bundesverwaltungsgericht hat sohin eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob dem zum Zeitpunkt der Entscheidung knapp ein halbes Jahr alten Kind der Erstbeschwerdeführerin im Fall einer Rückkehr eine Verletzung seiner gemäß Art2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte droht, vollständig unterlassen und dadurch sein Erkenntnis mit Willkür belastet (vgl hiezu jüngst VfGH 27.2.2018, E3507/2017; 21.9.2017, E2130/2017; 11.10.2017, E1734/2017; 11.10.2017, E1803/2017).

4. Im Übrigen, soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung von Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten richtet, wird ihre Behandlung abgelehnt: Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind: Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht anzustellen.

III. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria, die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung von Rückkehrentscheidungen, die Aussprüche, dass die Abschiebungen nach Nigeria zulässig seien sowie die Festsetzung einer zweiwöchigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen werden, im in dem durch ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl 390/1973 über die Durchführung des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher insoweit aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 218,– sowie Umsatzsteuer in der Höhe von € 479,60 enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, da die Beschwerdeführer Verfahrenshilfe in diesem Umfang genießen.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung, Kinder

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E509.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.09.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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